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DSDMB
Teil 6
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Informationen
Inhaltsverzeichnis
Ferdi
Ich bin noch nie im Leben handgreiflich geworden. Niemals würde ich so was tun, dachte ich, weil ich aus meiner Kindheit weiß, wie es sich anfühlt, geschlagen zu werden. Nicht der körperliche Schmerz, sondern die Demütigung.
Trotzdem sehe ich Schröder hart gegen die Wand hinter ihm donnern. Ich muss mich kontrollieren. Ich muss meinen Kopf klar bekommen. Was ist wichtig? Schröder ist erst verwirrt, dann kurz zornig und dann … resignierend.
„Dir ist nicht zu helfen, Fuchseder.“
Er reibt sich den Hinterkopf.
„Es tut mir leid“, flüstere ich.
„Schon okay. ICH hätte es besser wissen müssen.“
Damit geht er, seine Sachen lässt er einfach liegen. Dann bin ich wieder alleine.
Was hab ich auch erwartet? Wieso hab ich mich überhaupt auf das alles hier eingelassen? Hatte ich nicht schon genügend Probleme? Ich hätte nie aus Deutschland weggehen sollen. DSDMB, mal ehrlich: Ich hab nie verstanden, warum Michi das so dringend wollte. Und jetzt, da ich hier bin und hinter die Fassade schaue, verstehe ich es noch weniger. Ich mag nicht, was für einen Menschen das hier alles aus mir macht. Ich will nicht, dass Sophie Angst davor haben muss, mit mir Zeit zu verbringen, weil irgendwer daraus eine Liebesgeschichte machen könnte. Ich mag nicht, dass ich jede Sekunde darauf achten muss, Schröder vor der Kamera nicht komisch anzuschauen. Ich mag nicht, dass Leute sich als Pärchen ausgeben und dafür mit extra Interviewzeit belohnt werden. Und wie kann Schröder mir vorwerfen, dass ich Yoko zutraue, dass sie die Wahrheit sagt, um für sich einen Vorteil zu erwirken, wenn sie sogar LÜGT, um ein bisschen öfter ins Bild zu kommen?! Mit Fassaden hab ich mein ganzes Leben lang gearbeitet, aber das hier … auch die ganze Disney-Nummer … das ganze Format der Sendung, wo etwas Einstudiertes als authentisch verkauft wird … Leute gegen ihren Willen umgestylt werden, Neid und Missgunst regieren … Will ich hier sein? Nein. Aber wo will ich überhaupt sein?
Es klopft. Ein Hoffnungsschimmer keimt in mir auf. Schröder ist zurückgekommen! Er läuft nicht einfach weg, wenn es schwierig wird. Er hat mich gern genug, um das alles in Ruhe auszureden, eine Lösung zu finden, wie wir zusammen sein können, obwohl wir so unterschiedliche Vorstellungen haben! Ich hab ihn unterschätzt und ich war noch nie so erleichtert darüber, im Unrecht gewesen zu sein. Beschwingt reiße ich die Tür auf … und finde davor Cristian.
„Hey … ich … ich soll Schröders Sachen holen …“
„Was?!“
„Er hat mich gebeten, sein Zeug aus dem Zimmer zu holen und zum Bus zu bringen …“
Ich glaub es nicht! Enttäuscht, aber vor allem wütend lasse ich den Riesen eintreten und mache mich dran, meine restlichen Sachen möglichst schnell in den Koffer zu bekommen. Das Kostüm muss ich auch noch abgeben. Das wird knapp.
„Vergiss sein Zeug im Bad nicht. Ich muss los.“
Die ganze Zeit überlege ich fieberhaft, was ich weiter tun soll. Kann ich eigentlich einfach so nach Hause fliegen? Wir haben alle irgendwelche Drehgenehmigungsverträge und Verzichtserklärungen und so unterschrieben …
Gerade als ich am Bus ankomme, werden die letzten Gepäckstücke eingeladen. Die Kandidaten sitzen schon. Der Bus ist mit dreißig Leuten plus Coaches und Kamerateam natürlich nicht ganz voll. Trotzdem drängen sich alle hinten zusammen. Außer Markus und Stephano, die ganz vorne sitzen und irgendwelche Listen durchgehen. In sehr weiter Ferne sehe ich Yoko, Cristian und Schröder, in der allerletzten Sitzreihe. Da will ich jetzt bestimmt nicht hin.
„Kann ich hier vorne sitzen, oder besprecht ihr irgendwas Geheimes?“
Überrascht schauen die beiden auf.
„Nein, setz dich ruhig“, bietet Stephano an, also lasse ich mich in der Reihe hinter den beiden nieder.
„Du siehst nicht besonders happy aus“, stellt er fest.
Ich zucke die Schultern. Immerhin ist ein Jurymitglied in Hörweite. Da! Geht es schon wieder los! Ständig muss man sich verstellen! Ich hab genug davon.
„Kann ich inoffiziell mit euch sprechen?“, frage ich vorsichtig.
Markus schaut mich skeptisch an:
„Versuch jetzt nichts Dummes, Ferdi“, warnt er mich.
„Was zum Beispiel?“
„Lass mal hören.“
„Jetzt hast du mich verunsichert …“
„Du kannst inoffiziell mit uns reden, Ferdi“, versichert Stephano mit Nachdruck.
„Ich weiß nicht, ob ich das hier auf Dauer hinbekomme …“
„Was genau?“
„Geht es euch nicht auch auf die Nerven, ständig irgendwas verkörpern zu müssen?“
Markus lacht ein bisschen erleichtert auf.
„Ich hab für einen Moment befürchtet, du würdest uns mit Papas Geld bestechen wollen oder sowas. Jetzt bin ich froh, dass es ‚nur‘ Zweifel am Format sind. Man gewöhnt sich dran, echt.“
„Ja? Ich weiß nicht, ob ich so lang warten kann …“
„Was ist los? Bist du nicht zufrieden mit der Rolle, die du spielen sollst? Ich meine, der hübsche Jurastudent, der alle Mädchenherzen bricht, ist nicht die allerschlechteste Rolle, oder?“
„Wenn sie so weit weg von der Realität ist, schon.“
Stephano schaut mich wissend an und meint:
„Ich weiß sehr gut, wie du dich fühlst. Wir beide wissen das.“
„Du meinst …?“
Er nickt.
„Seid ihr zwei …?“, frage ich weiter.
Er nickt wieder. Markus scheint auch zu verstehen.
„Ah, daher weht der Wind. Tja, du kannst auch gerne versuchen, der Männerherzen-brechende Jurastudent zu sein, Ferdi.“
„Nein! Auf keinen Fall! Das geht nicht! Meine Familie … alle ... nein, das geht nicht.“
„Na dann ist aber nicht das Format der Sendung schuld dran, dass du dich verstellen musst, oder?“
Frustriert lehne ich mich zurück.
„Das ist ja auch nur eine Sache … auch das ganze Zeug, das die Kameraleute einem immer in den Mund legen wollen … das alles hier ist einfach nicht echt.“
„Vielleicht ist hier dann wirklich nicht der richtige Ort für dich“, räumt Stephano ein. „Aber so läuft das Geschäft eben, das ist nicht nur bei Castingshows so. Später sitzt dir halt das Management im Nacken, oder ein grummliger Produzent, nicht wahr, Markus?“, grinst er.
„Hey, ich bin einer der freundlichsten Produzenten, die ich kenne.“
„Na Mahlzeit“, schlucke ich.
„Hör mal, Ferdi. Du hast echt Potential. Du kannst es mit etwas Glück durchaus in die Band bringen. Oder auch alleine im Showbiz fußfassen. Der erste Schritt ist getan. Und wenn du mein Schützling wärst, dann würde ich dir raten, das Spiel hier möglichst lange mitzuspielen, damit du einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreichst. Damit öffnest du dir einige Türen und irgendeine davon wird dann schon die richtige für dich sein. Ich meine, falls du überhaupt den Rest deines Lebens Musik machen willst?“
„Ja, das schon. Aber ich will eben Musik MACHEN, nicht reproduzieren.“
„Schreibst du?“
„Ja, also … in letzter Zeit nicht, aber generell schon …“
„Dann hast du schon mal auf jeden Fall einen Zugang zur Musik. Das ist etwas echtes, was das man dir nicht nehmen kann. Und wenn du erst mal den Fuß in der Tür hast, dann kannst du mit etwas Glück deine eigne Musik machen UND damit Erfolg haben. Aber um da hin zu kommen, brauchst du ein Sprungbrett. DSDMB zum Beispiel.“
„Also Augen zu und durch, oder wie?“
„Genau.“
„Das hab ich befürchtet …“
Geringfügig schlauer als vorher setze ich mich ein Stück weiter hinter und weiche dabei den feindseligen Blicken der Leute um Schröder herum bewusst nicht aus. Vielleicht ist es Zeit, meinen Zugang zur Musik mal wieder aufzufrischen. Auf meinem Handy-Diktiergerät sind noch ein paar eingesungene Versuche eigener Songs … oh. Mein Handy. Ich spüre in meiner Tasche nach den Einzelteilen. Verdammt, hoffentlich krieg ich die Daten da irgendwie runter. Wie soll ich jetzt Musik hören? Alle meine MP3s waren da drauf. Und die Fotos von Michi … ach Scheiße! Ich hasse es, wenn ich mich nicht im Griff habe. Das muss wieder besser werden. Ich muss meinen Kopf frei kriegen. An nichts denken. Tief durchatmen. Die Augen schließen.
„Meditierst du?“, quietscht es neben mir.
Widerwillig öffne ich die Augen. Paolo sitzt neben mir.
„Jetzt nicht mehr.“
„Hast du Stress oder so?“
„Seit wann reden wir miteinander?“
„Seit du auch nicht mehr in Schröders Gunst stehst.“
„Wie kommst du darauf?“
Er greift mir unvermittelt in die Haare und zaubert ein aufgeweichtes Papierkügelchen hervor.
„Du wurdest beschossen …“
„Sehr erwachsen!“, brülle ich nach hinten und ernte dafür hyänenartiges Gelächter.
Einzig Sophie wirkt, als würde sie sich eigentlich gerne entschuldigen, aber vermutlich traut sie sich nicht zu mir, weil sonst ihr Silberrücken zu Hause durchdreht.
„Das ist ja schlimmer als in der Schule damals“, murmle ich.
„Ja, mir geht’s so ähnlich. Wenn man Ballett macht und sich ständig in Jungs verknallt, hat man’s nicht gerade leicht bei seinen Klassenkameraden.“
„Tja, dann sollte man damit vielleicht nicht so hausieren gehen, daran schon mal gedacht?“
„Klar, aber das hat für mich nicht funktioniert.“
„Ahja.“
„Also, warum lästern die vier Musketiere plötzlich über ihren D’Artagnan?“
„Weil sie zurückgebliebene Kleinkinder sind, vielleicht? Warum lästern deine Klassenkameraden über dich?“
„Weil ich anders bin, als sie mich gerne hätten und das nicht in ihr Schubladendenken passt. Naja, musst es mir ja nicht erzählen. Was ist das?“, fragt er, auf die Einzelteile meines Telefons auf der Ablage deutend.
„Sieht aus wie ein kaputtes Handy, oder?“
„Was ist damit passiert?“
„Ist kaputt gegangen."
„Verstehe … ich fand dich gestern übrigens große Klasse. Ich steh auf Disney.“
„Disney ist das größte und bestgetarnteste Werbekartell auf dem Planeten. Alles nur Show.“
„Ja, aber doch für einen guten Zweck. Um die Natur zu bewahren.“
„Die Tigerbabies leben in einem gefliesten Raum mit bunt eingefärbtem Spielzeug und ohne Tageslicht.“
„Mann, du bist aber zynisch …“
„Und du bist naiv. Und jetzt hätte ich wirklich gerne wieder meine Ruhe.“
„Willst du lieber weitermeditieren, damit Schröder und seine Freunde nicht auf ein bewegtes Ziel feuern müssen? Oder willst du mit ein paar Leuten Karten spielen? Neue Freunde wären vielleicht nicht gerade verkehrt, oder? Schließlich müssen wir es noch zwei Wochen zusammen aushalten, bevor es zurück nach Deutschland geht …“
Wo er Recht hat, hat er Recht. Und so stellt er mir die lockenköpfigen und ausgesprochen hübschen Zwillinge Rachel und Rebekka vor. Zusammen mit Irma legen sie gerade Tarotkarten. Na super. Bleibt mir eigentlich nichts erspart? Das wird wohl noch eine lange Busfahrt werden …
Schröder
„Tja, Schatz, ich fürchte, dein Paolo orientiert sich grad anderweitig.“
Tatsächlich hockt der Kleine für meinen Geschmack zu lange und viel zu nah beim Fuchseder rum. Und als wäre das nicht skandalös genug, nimmt er ihn auch noch mit in seinen Dunstkreis, bestehend aus Ökotante und bekloppten Zwillingen. Mann, ich wollte ihn mit den Papierkügelchen bloß aufmuntern, so scheiße wie der drauf ist. Hat ja nicht so besonders funktioniert. Ist halt viel zu erwachsen, der Ferdi. Ich an seiner Stelle hätte zurückgefeuert.
„Teenager verschenken ihre Herzen recht schnell, Meereskind. Ich denke, ich werde es überleben.“
„Du bist nur drei Jahre älter als Paolo“, bemerkt Cristian.
„Deshalb weiß ich ja auch, wovon ich rede.“
In Wirklichkeit weiß ich eigentlich gar nichts mehr. Außer, dass der Fuchseder ein absoluter Bilderbuchpsychopath ist, der dringend therapeutische Hilfe bräuchte. Er ist die tickende Zeitbombe, nicht - wie Sophie behauptete - Stephano. Ich meine, da will man nett sein und wird zum Dank gegen die Wand gedonnert. Mein Rücken tut immer noch leicht weh. Was kommt denn als nächstes, wenn er mal wieder ausflippt? Nimmt er sich ein schönes, großes Messer und rammt es mir nacheinander in meine lebenswichtigen Organe? Und wenn er dabei beispielsweise von Yoko aus Versehen gestört wird, murkst er sie dann auch noch gleich mit ab? Man kann doch echt nicht einschätzen, wie Menschen in Hardcoresituationen reagieren, oder? Paps war nie gewalttätig, als er noch mit uns zusammen war. Bis zur Trennung meiner Eltern bin ich wahrscheinlich genauso behütet aufgewachsen wie Paolo. Und selbst danach hat er alles dafür getan, dass er seine Kinder regelmäßig sehen durfte, aber meine Mutter, die Bitch, wollte ihm natürlich eins reinwürgen und das geht halt am Besten über die Kinder. Ich hab oft darüber nachgedacht, warum er damals, vor neun Jahren, so ausgerastet ist, aber ich krieg das nicht auf die Reihe und Paps spricht nicht darüber. Ich glaube ja, dass meine Mutter Timo total manipuliert hat, weil … der wollte Paps nach der Scheidung plötzlich nicht mehr sehen. Und als Paps dann im Knast landete und Mom ihren neuen Stecher angeschleppt hat, war eh alles im Arsch.
Genauso wie jetzt hier alles im Arsch ist. Und warum? Weil Menschen dazu neigen, auszuflippen, wenn sie unter Druck stehen.
„He, versuchst du grad, mit offenen Augen zu schlafen?“, fragt Yoko und schubst mich an.
„Wann sind wir endlich da? Ich will aus diesem verdammten Bus raus.“
„Knappe zwei Stunden“, weiß Cristian.
Knappe zwei Stunden später überlege ich, in ein anderes Zimmer zu wechseln, immerhin sind ja wieder fünf Leute weg, aber ich entscheide mich dagegen. Soll der Fuchseder doch ausziehen!
Offenbar hat er das nicht vor, denn er räumt schon seine Sachen in den Schrank.
„Willst du nicht lieber bei deinen neuen Freunden wohnen?“
„Wenn es dir nicht passt, dass ich hier bin, dann zieh halt zu deinen Freunden.“
„Wieso? Ich hab kein Problem mit dir.“
„Ich mit dir auch nicht. Schön, dass wir drüber gesprochen haben.“
„Es sei denn … du verspürst mal wieder den Drang mich gegen Wände zu schmeißen. Dann sag’s mir bitte vorher, damit ich mich ein bisschen polstern kann.“
Ferdi sagt überhaupt nichts mehr. Er geht weg, treibt sich vermutlich irgendwo im Haus rum, kommt irgendwann zurück und legt sich in sein Bett.
Na ja, was hab ich erwartet? Dass er sich in MEIN Bett legt??
Immerhin bleibe ich beim Frühstück von Paolos Flirtversuchen verschont … der hockt sich nämlich gleich neben Ferdi. Bestimmt will mich der Kleine bloß eifersüchtig machen.
So wirklich glücklich sieht der Fuchseder nicht aus, was sehr nachzuvollziehen ist. Links neben ihm die kleine Pestbeule und gegenüber die Eso-Schnepfe mit den bekloppten Zwillingen. Warum Sophie sich von allen absondert, verstehe ich dagegen nicht. Ich meine, auf wen könnte die schon sauer sein?!
„Guten Morgen allerseits“, begrüßt uns Stephano fröhlich, „das Thema der nächsten Entscheidung … Lovesongs. Vorschläge werden zwar entgegengenommen, aber nicht zwangsläufig berücksichtigt. Mit anderen Worten …“
„Darf ich bitte …“
„Du darfst bitte die Klappe halten und mich nicht unterbrechen“, erklärt Stephano.
„Klappe halten ist für den ein Fremdwort“, murmelt Ferdi, sodass nur ich es hören kann … fast.
„Soll ich mal eben ein Fenster öffnen, um die dicke Luft raus zu lassen, oder können wir jetzt arbeiten?“ Stephano blickt gespannt in die Runde. „Sehr gut. Also, Schröder, was möchtest du denn bitte dürfen?“
„Baby Baby singen … das ist von den Toten Hosen, also ursprünglich von den Vibrators, aber die Hosen …“
„I know. Und das steht sogar dick und fett mit deinem Namen auf meiner Liste.“
„Echt jetzt?“
„Natürlich nicht“, lacht er sich kaputt. „Keine Punknummern. Und nix von irgendwelchen Emo-Bands, die niemand kennt“, faselt er, mit einem Blick auf Paolo. „Yoko und Schröder, da ihr euch gestern vor der Welt als Liebende geoutet habt, dürft ihr zusammen singen.“
Meine Spaßfreundin bekommt einen Zettel in die Hand gedrückt.
„Was’n, Schatz?“
„Up Where We Belong “, liest sie vor.
„Cool … das kenne ich total überhaupt nicht.“
„Wir haben die Songs alle da“, erklärt Stephano, während er weitere Textzettel verteilt.
Der Fuchseder wirkt leicht schockiert.
Ich bin ja überzeugt davon, dass die einfach ausknobeln, wer welchen Song bekommt. Anders kann ich mir die Verteilung nicht erklären. Sophie kriegt Time After Time von Cindy Lauper. Cristian … When A Man Loves A Woman … und Paolo darf Hey There Delilah singen.
Yoko und ich verziehen uns erst mal in ruhige Gefilde, um unser Lied anzuhören.
„Das schmalzt bis zur Halskrause“, finde ich.
„Klar, ist ja auch ein Lovesong.“
„Und was gestern noch lustig war, ist heute irgendwie kacke.“
„Willst du dich von mir trennen?“
„Nee, aber … ich weiß auch nicht. Was, wenn die jetzt tatsächlich auf diesem Pärchenscheiß rumreiten?“
„Ich hab zu Hause keinen Freund, der eifersüchtig werden könnte“, zuckt sie die Schultern. „Du?“
„Der hat weh getan“, lächele ich schief.
„Ferdi ist doch nicht eifersüchtig, weil wir verliebt spielen, oder?“
„Nein. Der hat andere Probleme. Und zwar gravierende.“
„Sicher hat er seine Gründe, weshalb er sich verhält, wie er sich verhält … und niemandem hier vertraut.“
„Wieso hast du eigentlich keinen Freund zu Hause?“
„Hab mich getrennt. Während des Castings, als klar war, dass ich irgendwohin muss, wo er nicht mitkommen kann. Das hat ihm nämlich nicht gepasst und da hat er mich dann vor die Wahl gestellt. DSDMB oder Beziehung.“
„Krass.“
„Ja. Du siehst … ich bin ein karrieregeiles Miststück, das alles für den Erfolg tut.“
„Das solltest du den Fuchseder lieber nicht wissen lassen“, schlage ich ihr vor.
„Na ja, ein bisschen verstehen kann ich ihn ja schon. Schließlich könnte ich wirklich eine intrigante Bitch sein, die irgendwann im Fernsehen seine Homosexualität thematisiert, um ihm eins reinzuwürgen.“
„Der Junge ist einfach nur völlig paranoid.“
„Bist immer noch verknallt, mh?“
„Ich will’s mir gerade abgewöhnen, also lass uns an unserem Song arbeiten.“
Nachmittags dürfen wir eine neue Choreo einstudieren. Ey und ich dachte, ich hätte den Scheiß hinter mir. Diesmal lacht mich übrigens nicht Cosima aus, sondern der Fuchseder. Und das ist echt demütigend. Ich hasse ihn daraufhin wie die Pest!
Mann, ich begreif doch selbst nicht, warum ich’s nicht gebacken kriege. Am Rhythmusgefühl liegt es nicht, das hab ich, es …
„Es liegt an deiner Einstellung“, labert mich Frankie plötzlich an.
Mist, ob der Gedanken lesen kann?
„Du bist sehr wohl in der Lage, dir ein paar Schritte zu merken und im Takt zu bleiben. Aber es könnte ja deinem coolen Image schaden, wenn man dich vernünftig tanzen sieht, hab ich recht?“
Leider ja.
„Wenn das so ist, hast du hier nichts zu suchen. Keiner der Coaches hat Lust, seine Zeit zu verschwenden.“
„Reiß dich zusammen, Blödmann“, faucht Yoko und boxt mir in die Seite.
Okay, Augen zu und durch.
Mein Rumgehopse sieht zwar immer noch lachhaft aus, aber wenigstens die Schrittfolge hab ich drauf … so einigermaßen.
Als der Fuchseder abends aus dem Pool steigt und unzählige Wassertropfen auf seiner Haut glitzern, vergesse ich beinahe, dass ich ihn seit dem Nachmittag hasse. Ich könnte jetzt gut nach draußen gehen und die unzähligen, glitzernden Wassertropfen von seiner Haut lecken.
Die kleine Ratte macht das sicher extra. So halbnackt vor meiner Nase umher zu schlendern … ist doch ekelhaft. Was glaubt der eigentlich? Dass ich zu ihm gehe, um ihn abzulecken?
„Na, du Tanzbär“, kiekst Paolo neben mir, „woran denkst du grad?“
Daran, den Fuchseder …
„An dich jedenfalls nicht.“
„Ich weiß natürlich, dass ich keine Antwort bekommen werde, sondern höchstens irgendeinen gemeinen Spruch, aber … wieso habt ihr Stress, du und Ferdi?“
„Wenn du doch schon weißt, dass du keine Antwort bekommst, warum fragst du dann trotzdem?“, seufze ich.
„Hätte ja sein können, dass du mich mal überraschst.“
„Die Realität ist meistens eine Enttäuschung.“
Der Kleine mustert mich geringschätzig. „Allerdings“, sagt er und geht.
Wenn ich auf Paolo stehen würde, hätte mir das echt gefallen.
Ferdi
Dass ich Schröder gegen die Wand geschubst habe, tut mir nicht nur leid, sondern macht mir auch ziemlich Angst. Ich habe das Gefühl, immer öfter solche Ausbrüche zu bekommen, die ich nicht kontrollieren kann. Mir wird alles zu viel. Ich vermisse Michi, hab ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht bei ihm bin … aber wenn ich gehen würde, würde ich Schröder wohl nie wieder sehen. Und ich mag ihn wirklich. Aber andererseits … mag ich wirklich ihn, oder nur seinen zugegeben sehr tollen Körper und all die fortgeschrittenen Dinge, die er im Bett drauf hat? Was weiß ich sonst schon von ihm? Und was weiß er von mir? Bevor ich eine folgenschwere Entscheidung treffe, sollte ich Schröder vermutlich wenigstens die Chance geben, mich richtig kennenzulernen. Und ich ihn. Ich weiß überhaupt nichts von seiner Familie, ob er noch zur Schule geht, was er macht, wenn er nicht singt, oder säuft …
Ich nehme mir vor, ihn zu bitten, sich mal mit mir zusammenzusetzen, ohne dass wir übereinander herfallen. Nur leider hängt Yoko immer an ihm. Die zwei ziehen ihr Pärchenschauspiel selbst dann durch, wenn gar keine Kameras an sind. Ich weiß genau, dass er die Scheiße nur abzieht, um mir zu zeigen, wie es sich für ihn anfühlt, wenn ich von Michi erzähle. Und es funktioniert. Jedesmal, wenn sich die Hände der beiden umeinander schlingen, schlingen sich meine Gedärme ebenfalls zusammen.
Und dann drückt mir Stephano auch noch den Zettel mit dem mir zugedachten Song in die Hand. „Iris“ von den Goo Goo Dolls. Oh nein, mir wird schlecht. Das kann ich auf keinen Fall singen!
„Alles klar?“, fragt Paolo auf dem Weg zum Mittagessen.
„Nicht wirklich …“
„Was hast du für einen Song?“ Ich zeig ihm meinen Zettel. „Ist doch cool. Wenn du ihn noch mal in Ruhe anhören willst, leih ich dir gern mein Laptop.“
„Du hast ein Laptop?“
„Sogar mit mobilem Internet. Haben mir meine Eltern mitgegeben, damit ich mich regelmäßig melden kann …“
„Vielleicht komm ich drauf zurück. Mein Handy ist ja im Arsch …“
„Nach dem Mittagessen? Wir könnten ein bisschen zusammen üben …“
„Mal sehen.“
Ich habe meine Mails seit Wochen nicht gecheckt, deshalb nehme ich sein Angebot an und komme auch gleich auf die Idee, meine Handykarte in seinen Kartenleser zu stecken.
„Voila, alles da“, behauptet er und stellt mir den PC auf den Schoß. „Nimm ihn heute Abend mit zu dir, dann kannst du in Ruhe alles durchschauen.“
„Echt?“
„Klar, ich hab mein I-Phone, das langt …“
„Bonzenkind“, grinse ich.
„Hey, das T-Shirt, das du trägst, kostet achtzig Euro, also Vorsicht“, grinst er zurück.
Eines von Michi, natürlich …
Schröder und sein Meereskind nerven mich tierisch. Auch beim Tanzen, wie sie ihn ständig mit guten Ratschlägen bombardiert und wie er sich ständig zurücknimmt, ich sehe es ihm ganz genau an. Tanzen ist nun mal sowas von unpunkig. Was will er dann überhaupt hier?! Lachhaft! Sophie ignoriert mich auch, obwohl ich IHR doch wirklich nichts getan habe.
Das kühle Poolwasser beruhigt mich. Allerdings hält die Entspannung nicht lange an, als ich wahrnehme, dass Schröder mich begafft als wäre ich die Hauptattraktion im Zoo. Soll er doch sein Meereskind begaffen! Und soll er der doch Wassermanngeschichten erzählen. Soll er sich doch mit ihr ein Zimmer teilen! Das werde ich ihm auch vorschlagen, heute Nacht. Aber jetzt hole ich mir erst mal Paolos Laptop und übe ein wenig.
Sofort als ich den PC aufklappe, springt mir eine Nachricht entgegen:
„Hey Ferdi! Such bei Youtube mal Battle at Kruger. Nie die Hoffnung aufgeben ;-) Paolo“
Okay, was das wohl für eine Emokacke ist? Vielleicht schau ich später mal rein. Aber zuerst einmal stecke ich meine Handykarte um und suche ein bestimmtes Video. „I want you to know who I am“, steht da und das Vorschaubild zeigt einen ernst dreinschauenden achtzehnjährigen Michi. Ich klicke es an und stelle die Lautstärke hoch.
„Hey Ferdi. Nein, das ist die falsche Begrüßung. Hallo mein Liebling. Ich wünsche dir alles Gute zum Achtzehnten. Ich weiß, du hast gesagt, ich soll dir bloß nichts schenken, aber ich glaube du meintest, ich soll kein Geld für dich ausgeben. Hab ich auch nicht. Stattdessen will ich dir etwas versprechen. Ich verspreche dir: Irgendwann werden wir unsere eigene Wohnung haben und auf eigenen Beinen stehen und dann … dann werde ich der Welt zeigen, wer du für mich bist. Ich liebe dich, mein Schatz. Und ich will dir einen Song widmen. Auf dass du ihn anhören kannst und immer an mein Versprechen denkst, wenn alles wieder so ungerecht erscheint. Iris von den Goo Goo Dolls spricht mir ziemlich aus der Seele …“
Er schielt nach unten, seine Schultern bewegen sich ein wenig, das Piano im Wohnzimmer seiner Eltern erklingt und er singt für mich. Ich kenne jede Silbe, jeden Ton auswendig, sogar den kleinen Verspieler gleich nach dem Refrain.
„Ah, du übst schon fleißig …“ Schröder hat den Raum betreten und schaut über meine Schulter. „Nicht schlecht. Tolle rauchige Stimme.“
Ich bin irgendwie viel zu gebannt als dass ich das Video stoppen könnte, bevor Schröder auch den Rest sieht und verletzt wird.
„When everythings made to be broken, I just want you to know who I am“, sagt Michi noch einmal und beendet sein Klavierspiel. Er schaut wieder direkt in die Kamera:
„Egal was kommt, Ferdi, du bist das Einzige, was zählt. Ich erkenne dich und du erkennst mich. Du bist alles, was ich brauche. Ich liebe dich. Happy Birthday.“
Das Bild wird dunkel. Ängstlich drehe ich mich nach Schröder um. Er starrt immer noch auf den Bildschirm.
„Tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du das siehst …“
„Scheiße“, flüstert er.
„Es tut mir echt leid … ich wollte dich nicht verletzen.“
„Michi ist gut.“
„War gut. Und ich kann den Song hier auf keinen Fall singen.“
„Erzähl mir von ihm …“
„Von Michi?“, frage ich erstaunt.
„Ich will wissen, gegen wen ich antrete.“
„Du trittst also noch an?“, will ich noch skeptisch wissen.
„Wenn du mich noch lässt?“
Ich küsse ihn und freue mich und würde ihn am liebsten sofort in mein Bett zerren und …
„Ich will endlich mehr über dich erfahren, Schröder“, bremse ich uns beide.
Schröder
Das ist ja wie der berühmte Kübel Eiswasser, der einem über den Kopf geschüttet wird. Der Fuchseder ist so ziemlich der komplizierteste Kerl, mit dem ich … mich irgendwie intimer befasst habe. Na ja, aber der Fuchseder ist natürlich auch der einzige Kerl, der mich vögeln darf. Und genau deshalb will ich doch jetzt nicht reden. Schon gar nicht über mich.
„Nepomuk Schröder, neunzehn Jahre alt, spiele Gitarre und Blockflöte …“
Okay, das ist es wahrscheinlich nicht, was Ferdi über mich erfahren möchte, denn sein Blick drückt Genervtheit aus. Also zaubere ich die Wunderwaffe aus dem Hut.
„Ich bin vor einigen Tagen Onkel geworden“, erkläre ich und zeige ihm die kleine Nichte.
„Hübsches Baby, Onkel Schröder. Gehört das zum Bruder, der dir früher Homogeschichten zum Einschlafen erzählt hat?“
„Yep. Timo.“
„Und?“
„Naja, nix.“
„Wieso fällt es dir so schwer, was über dich zu erzählen?“
„Gibt halt nicht so viel Interessantes. Ich hab mal in ’ner Punkband gesungen. Wir waren aber bloß bei Konzerten erfolgreich. Im Partymachen bin ich unschlagbar“, grinse ich.
„Und was tust du, wenn du nicht singst … oder säufst?“
„Mh … ficken?“, schlage ich vor und sein Blick wird noch eine Ecke genervter. „Mein Bruder hat mich gezwungen, Abi zu machen, aber studieren wollt ich irgendwie nicht. Da hätte ich mir ja nebenbei noch ’nen Job oder so suchen müssen und als Punk lehne ich natürlich jegliche Form von Arbeit ab. Und wenn das hier zu Ende ist, weiß ich nicht, wo ich hin soll, weil in meinem Zimmer jetzt die kleine Nichte wohnt.“
„Was ist denn mit deinen Eltern?“
„Ähem … schwieriges Thema. Um darüber reden zu können, muss ich besoffen sein. Du bist dran.“
„Wie bitte?“
„Was machst du so im gewöhnlichen Leben. Ich meine, außer dich um Michi zu kümmern.“
„Ich studiere. Jura.“
„Ach du Scheiße“, murmele ich entsetzt. „Das heißt, du wirst irgendwann so arme Schweine wie mich verknacken, weil sie ohne Führerschein gefahren sind oder volltrunken Randale gemacht haben. Oder wirst so ’n schnieker Anwalt, der bloß riesige Firmen und super wichtige Leute vertritt. Fuchseder, ich glaube, aus uns kann nichts werden.“
„Eigentlich studiere ich Philosophie, aber Jura kommt anscheinend besser bei den Mädels an … jedenfalls ist Markus der Meinung.“
„Verstehe. Du tust auch echt alles, um hier Erfolg zu haben.“
„Du etwa nicht?“, regt er sich ein bisschen auf. „Deine Liebesgeschichte mit Yoko … das machst du doch auch nur, damit deine Visage ein bisschen öfter im Fernsehen ist … oder?“
Dieses „Oder“ macht mich ganz kribblig. Ey, der wird doch wohl nicht eifersüchtig sein?!
„Warum wohl sonst?“
„Keine Ahnung. Auf jeden Fall spielst du deine Rolle echt perfekt. So wie ihr andauernd zusammen hängt und Händchen haltet … man könnte glatt denken …“
„Das ist ja auch Sinn der Sache“, unterbreche ich ihn.
„Und für wen zieht ihr die Show ab, wenn die Kamera nicht dabei ist?“
„Wenn die Kamera nicht dabei ist, ist es keine Show. Dann hab ich Yoko einfach nur gern und mag in ihrer Nähe sein. Ist das ein Verbrechen? Hättest du nicht so ein Problem damit, dass du auf Typen stehst, würde ich mit dir Händchen halten … ob mit Kamera oder ohne.“
Jetzt sieht er ein wenig bedröppelt aus. Logisch. Vermutlich geht es ihm selber auf den Sack, dass er sich immer verstellen muss. Wem würde das nicht auf den Sack gehen, oder?!
„Sag mal … wie viele Geschwister hast du eigentlich, dass deine Eltern mit den Geburtstagen durcheinander kommen?“
„Drei.“
„Vier Kinder, mh? Da haben sich Mami und Papi aber sehr lieb gehabt. Ah, wo wir grad beim Thema sind … seit wann hat’n dich der Paolo so lieb?“
„Beleidigt, weil er dich nicht mehr lieb hat?“, lächelt Ferdi.
„Nee. Der soll nur seine kleinen Emo-Griffel von dir lassen“, antworte ich und schlinge meine Arme um ihn.
Wie selbstverständlich berühren sich unsere Lippen und ich krieg schon wieder ’ne Gänsehaut.
„Ausziehen!“
„Was?“, fragt er irritiert.
Ich zupfe an seinem Shirt.
„Nein, ich meine … wir wollten doch …“
„Ins Bett“, nicke ich.
„Reden“, sagt er.
„Fuchseder, wir haben uns tagelang nicht gesehen, dann gestritten, dann versucht, uns aus dem Weg zu gehen … ich will jetzt verdammt noch mal nicht mehr reden. Ich will … dich.
Als du vor ’ner Weile aus dem Pool gestiegen bist, war ich kurz davor … dich abzulecken … also wenn du’s mir nicht endlich besorgst, kann ich für nichts garantieren.“
Oha, wenn das mal nicht zu direkt … nein, war es offensichtlich nicht, denn Ferdi küsst mich ziemlich gierig. Unsere Klamotten liegen schnell im Zimmer verstreut und wir knutschend auf dem Bett. Ich friemle ihm das Gummi drüber und setze mich auf ihn. Ich glaube, er mag das ganz gerne so. Ich mag alles gerne … Hauptsache, ich kann ihn in mir spüren.
Er umklammert mich und wir küssen uns, sehen uns an dabei. Das ist total neu … ich meine, ich hab vor Ferdi noch nie beim Sex so viel Nähe zugelassen. Hab nie darauf geachtet, was der Typ da für Geräusche von sich gegeben hat. Ferdi atmet heftig und er seufzt leise, wenn er die Augen für einen Moment schließt. Und dann, wenn er mich wieder ansieht, beißt er sich kurz auf die Lippe bevor er mich küsst … und ich hab das Gefühl, stundenlang zu kommen …
Also Sex kriegen wir richtig gut hin. Bloß davor und danach ist’s schwierig. Allerdings hab ich grad überhaupt keine Lust auf schwierig.
„Ähem … wie ist’n das? Magst du hinterher noch … so … kuscheln?“
Ferdi starrt mich an und … lacht sich kaputt.
Supi!
„Was ist an der Frage lustig?“
„Alles“, gluckst er. „Dass du dabei so rot geworden bist, zum Beispiel.“
Danke, meine Visage steht wahrscheinlich in Flammen. Na ja, Hauptsache, es lenkt ihn von schlimmen Gedanken an die schreckliche Nacht mit Michi ab. Nicht, dass er wieder Wasserflaschen umklammern geht.
„Willst du jetzt kuscheln oder nicht?“
„Weiß nicht? Möchtest du?“
„Gott, Fuchseder“, stöhne ich, „leg dich hin, ja?“ Ich drücke ihn in die Kissen, schmiege mich an ihn und drapiere seine Arme um meinen Körper.
„Du, Schröder …“, beginnt er etwas unsicher und dreht seinen Kopf, sodass er mich anschauen kann. „War es okay, dass ich … ACH DU SCHEIßE!“, kreischt er plötzlich und rückt von mir weg.
„Was ist?“, frage ich erschrocken.
Fassungslos glotzt er auf meinen Hals. „Du … du hast ’nen Knutschfleck.“
„Und einen Herzinfarkt, vielen Dank“, schnaufe ich.
„Hast du nicht zugehört?“
„Ja, na und? Meinst du vielleicht, den sieht irgendeiner? Du hast ihn doch auch jetzt erst bemerkt.“
„Was an ein Wunder grenzt. Schröder … das Teil kann man eigentlich gar nicht übersehen!“
Ich stehe auf und werfe einen Blick in den Spiegel. Woah … du meine Güte!
„Fuck, das sieht ja aus, als hätte ich mir ein Staubsaugerrohr an den Hals gepappt“, lache ich. „Mhhh, das ist bestimmt passiert als du gekommen bist und …“
„Ne-po-muk!“
„Was denn? Glaubst du, ich hätte mir den heimlich selber gemacht? Ich wette, wenn man den genau untersucht, könnte man dich anhand der Gebissabdrücke als Täter überführen.“
„Sehr witzig. Ist dir nicht klar, dass sich morgen ungefähr jeder denken wird … ich meine, wir schlafen in einem Zimmer und du hast auf einmal einen Knutschfleck.“
„Mach dir nicht ins Hemd“, schlage ich vor und hopse zu ihm ins Bett zurück. „Ich erzähl einfach, dass der von Yoko ist. Oder ich trage die nächsten Tage mein Halstuch … wegen der Stimme. Weißt schon, so wie versnobte Opernsänger immer Künstlerschals tragen.“
„Aber zumindest Paolo weiß doch, dass du …“
„Dass ich gerne Jungs küsse. Und? Möglicherweise bin ich ja bi.“
„Na ja“, überlegt er, „so wie du mit Yoko auf verknallt gemacht hast …“
„Eben. Jetzt lass uns schlafen. Und versuch irgendwie, meinem Hals fernzubleiben“, grinse ich.
„Damit wirst du mich jetzt bis in alle Ewigkeit aufziehen, oder?“
„Yep.“
Es ist echt schön, mit Ferdi aufzuwachen. Jedenfalls im ersten Moment. Man öffnet verschlafen die Augen, lächelt sich an und … dann geht er Zähneputzen und der Zauber ist vorbei. Wenn er nämlich sein morgendliches Beautyprogramm beendet hat, hat er auch sein Schmusebedürfnis gleich mit weggespült. Ich kann schon verstehen, warum Vampire bloß nachts unterwegs sind. Tageslicht macht irgendwie alles grell und gemein.
„Hast du dich erkältet?“, will Paolo beim Frühstück wissen.
„Das Halstuch ist ein modisches Accessoire, das mein Outfit komplettiert“, erläutere ich freundlich.
„Aha. Und von wem ist der Knutschfleck?“
Ferdi wird leicht rot an den Wangen und beäugt wahnsinnig interessiert die Fruchtstücke in seiner Schüssel. Ja, Schätzchen, das ist totaaaaal unauffällig.
„Von meiner Freundin. Sonst noch Fragen?“
„Ja, so ein bis zwei …“
„Vergiss es. Ich rede nicht über mein Privatleben.“
„Genau. Ist ja grad auch keine Kamera in der Nähe. Mal ehrlich, Schröder, findest du nicht, ihr übertreibt das ein bisschen?“
„Nein. Und jetzt nerv hier nicht rum.“
„Was kommt denn als nächstes? Eine vorgetäuschte Schwangerschaft? Das erste DSDMB-Baby? Geburt vor laufender Kamera?“
„Hatte ich dich nicht gerade gebeten, nicht zu nerven? Mir war so.“
Bei der Songinterpretation am Nachmittag befürchte ich schon, Ferdi würde irgendwie ausflippen oder so. Aber er erzählt lediglich, dass „Iris“ für „City of Angels“ geschrieben wurde und die Gefühle des Engels beschreibt, der für die Frau, die er liebt, sterblich sein will.
Der Fuzzi gibt sich damit zufrieden.
Als anschließend bei Stephano gesungen wird, ist der Fuchseder nicht mehr ganz so beherrscht. Ich möchte ihn sofort in den Arm nehmen und trösten, was aber logischerweise unmöglich ist. Erstens wegen der anderen Kandidaten, zweitens weil ich schmerzhafte Eifersucht verspüre. Und es macht sich mal wieder die Erkenntnis in mir breit, dass Ferdi niemals gänzlich zu mir gehören wird. Nicht mal ein bisschen. Da kann der Sex noch so phantastisch sein. Gefühlsmäßig ist er total auf Michi fixiert und wird es wohl auch immer bleiben.
Das muss ich jetzt für eine Weile ausblenden, weil ich ja schließlich auch einen Song zu singen habe. Yoko verliebt anzuschmachten, fällt mir nicht schwer, aber das Lied ist halt … eine Spur zu schmalzig für meinen Geschmack. Eigentlich hätte ich viel lieber Ferdis Lied bekommen. „Iris“ ist cool, obwohl’s blöde, langweilige Radiomusik ist, wie Linda gerne behauptet.
Ferdi
Als der Tag der Jury-Entscheidung endlich da ist, bin ich eigentlich kaum aufgeregt. Ich will den Song einfach nur hinter mich bringen und nicht mehr den ganzen Tag an Michi denken müssen. Denn eigentlich zieht es meine Gedanken viel mehr zu Nepomuk und was wir nachts so alles geteilt haben. Die ganze Woche über, jede Nacht. Mehrmals.
Tagsüber hing er leider trotzdem noch ständig an Yoko, die mir wohl immer noch krummzunehmen scheint, dass ich ihr nicht vertraue. Oder sie nimmt mir krumm, dass ICH mit ihrem Medienfreund ins Bett gehe. Mir egal, ich war sowieso beim Üben lieber alleine. Und wenn ich Gesellschaft brauchte, dann war da ja immer noch Paolo, der immer gerne über Schröder und sein Meereskind lästert. Er wollte mich ständig mit den Zwillingen verkuppeln, Heteros stehen doch auf sowas, meinte er zu wissen. Ich behauptete, asexuell zu sein, was er erst für einen Scherz gehalten hat, bis er miterleben durfte, wie Rachel vor uns ihr Bikinioberteil gewechselt hat. Auf die Idee, dass ich schwul sein könnte, kommt er zum Glück überhaupt nicht. Auf die Idee, dass Schröder unter seinem Peacezeichen-Halstuch einen Knutschfleck versteckt, kam er allerdings schon und kennt seither kaum noch ein anderes Thema, als darüber zu spekulieren, ob Yoko und Schröder nicht doch ein echtes Paar sind. Mit Michi hab ich die ganze Woche über nur zweimal telefoniert. Und einmal mit seinem Onkel, der mir versichert hat, dass alles in Ordnung ist und mir erzählt hat, dass Martin überraschend vor seiner Türe gestanden hat und dringend seinen Bruder besuchen wollte. Das haben sie dann eben ein paar Mal getan. Und, wie Sophie auch schon meinte, hat das ganz gut funktioniert. Tja, bis auf die Tatsache, dass er Michi wohl in einem unbeobachteten Moment gefragt hatte, ob er nicht mehr leben wollte, füge ich in Gedanken hinzu, sage aber nichts davon zu Herrn Kolber.
Sophie hat die ganze Woche über irgendwie abwesend gewirkt. Sie wollte auch nicht mit mir sprechen, ich schätze, sie hat Stress mit Leon. „Time after Time“ bekommt sie jedenfalls nicht so richtig gut hin und auch beim Tanzen meckert Frankie öfter als normal an ihr rum. Ohjeh, wenn sie so weitermacht, wird die Entscheidung für sie knapp ausfallen …
B! stößt am Nachmittag auch wieder zu uns und wird, mit zwei Kameras im Raum, herzlich empfangen. Eine der ersten Sachen, die er sagt, ist:
„Also Schröder, hör mal, gar nicht blöd!“
„Hä?“, macht der.
„Na dass du dir unseren Wonne-Glückskeks geangelt hast. Das macht‘s echt schwerer, dich rauszuschmeißen. Weil sowas bringt natürlich Quote.“
„Dann schmeißt mich einfach nicht raus, hm?“, schlägt er selbstbewusst vor und hat die Lacher auf seiner Seite.
Danach folgt die große Entmutigungsrede. Denn B! verkündet nicht ganz unschadenfroh, dass ein Drittel der Kandidaten es nicht in die Liveshows schaffen werden. Dahin geht man nämlich mit maximal zwanzig Leuten und wir sind leider Gottes zehn zu viel. Okay, das ist ganz schön krass, jetzt geht es echt ans Eingemachte. Aber andererseits: In die Band will ich sowieso auf keinen Fall. Wenn es das hier gewesen sein sollte, dann hab ich es mit Sicherheit geschafft, ein paar interessante Türen zu öffnen.
Während des finalen Tanztrainings wird draußen wieder die Bühne aufgebaut, das kennt man ja inzwischen schon. Eigentlich würde ich zur Entspannung nochmal in den Pool springen, aber da herrscht mir zu viel Trubel.
„Dann spring doch mit mir ins Bett“, schlägt Schröder leise vor, als ich mich bei ihm beschwere.
„Mitten am Tag?! Das fällt doch voll auf!“
„Ich kann ganz leise sein“, schnurrt er mir ins Ohr.
„Hey, na, bereit für deine letzte Tanznachhilfestunde?“, fragt Yoko plötzlich irgendwo hinter uns.
„Muss das sein?“
„Nö, du kannst auch gern nach Hause fliegen“, findet sein Meereskind gereizt.
„Wir holen das nach, Fuchseder“, verspricht er mir und trottet davon.
„Klaaar …“
„Na, Entspannungssex?“, quiekt es neben mir.
„Bitte?!“
„Nicht du und ich“, lacht Paolo. „Unser Traumpaar. Oder wo wollen die sonst hin?“
„Tanzen.“
„Klar. Ich mein, überleg mal, wenn du hier eine Freundin hättest, was würdest du dann vor der Entscheidung tun? Nachher, wenn einer fliegt, dann kommt man ja auch nicht mehr dazu.“
„Mh.“
„Ich hab gelesen, du studierst Jura!“
„Und?“
„Meine Eltern sind beide Juristen.“
„Mhm …“
„Bist du nervös, oder warum so einsilbig?“
„Ja, das wird’s wohl sein. Ich geh duschen.“
„Vergiss nicht, anzuklopfen. Sonst siehst du noch Dinge, die du überhaupt nicht sehen willst.“
Nach der Dusche geht es schon in die Maske, wo meine Klamotten als zu uncool bekrittelt werden und man mir ein türkises Shirt anzieht, und eine sehr enge Jeans. Dann verkündet Cosima, die eine neue, kürzere Frisur trägt, dass uns gleich nach dem Auftritt unsere letzten Trainingslager-Songs eröffnet werden. Vorausgesetzt wir bekommen ein Go. In einer Woche gehe es dann zurück nach Deutschland, wo wir erst mal Pause haben sollen und im neuen Jahr geht es dann an die Live-Shows …
Ich bin als einer der Ersten durch die Maske. Schröder läuft, immer noch vom Tanzen verschwitzt, mit einem Handtuch um den Nacken durch die Gegend. Mmmmmmh …
„Gleich sabberst du“, nuschelt Stephano in seinem markanten Dialekt in mein Ohr.
Ich befürchte, ich werde ziemlich rot, was er ziemlich witzig zu finden scheint.
„Ich hab mir etwas Besonderes für dich einfallen lassen, als nächsten Song. Schröder wird es toll finden.“
Und schon verschwindet er, genau so schnell wie er aufgetaucht war.
Die letzten Minuten vor der Show versuche ich, mich in die traurige Stimmung des Songs zu versetzen. Das fällt mir natürlich nicht gerade schwer, auch wenn Schröder in einiger Entfernung gerade mit einem Makeup-Artist diskutiert und sich mit Händen und Füßen gegen irgendwas wehrt, was ziemlich albern aussieht. Und noch alberner sieht Schröder bei der Choreo aus, aber immerhin hat er die Schritte intus und das Ganze ist ja auch recht schnell überstanden …
Sophie eröffnet, aber ihren Auftritt bekomme ich nicht wirklich mit, ich bin zu sehr mit mir selbst und meinem Gefühlschaos beschäftigt. Irgendwie kann ich gerade nicht unglücklich sein. Aber das muss ich jetzt, denn die Jury hat nicht viel zu Sophie zu sagen und das, was sie sagen, hört sich nicht so gut an …
Und dann bekomme ich das Signal, auf die Bühne zu treten, höre die ersten Töne … denke angestrengt an Michis Video und schaffe es einfach nicht, traurig zu sein. Ich muss an Schröders dämlichen Schal denken, den er die ganze Woche nicht abgenommen hat, nur damit keine Gerüchte aufkommen. Und an seinen komischen Tanzstil und an seine leichtmütigen Kommentare B! gegenüber und an letzte Nacht und … und plötzlich begreife ich, während ich die ersten Töne mit einem Lächeln singe! Ich verstehe!
Das ist kein trauriger Song! Es geht verdammt noch mal nicht darum, etwas aufzugeben! Es geht um Vorfreude! Es geht darum, zusammen zu sein und alles andere zu vergessen, sich keine Gedanken mehr machen zu müssen, sich endlich wieder lebendig zu fühlen! Es geht darum, im größten Scheiß plötzlich einen Menschen zu finden, der einen zum Leben erweckt. Es geht um Schröder! Ich singe mich fast in einen euphorischen Freudentaumel! And you can’t fight the tears that ain’t coming!
“I just want YOU to know who I am”, spreche ich beim letzten Mal mehr als ich es singe und dann kommen die Tränen doch.
Aber es sind Freudentränen, Tränen der Erleichterung. Es wird still, ganz still. Die Jury schaut mich gebannt an. Ist das gut? Oder ganz schlecht? Egal! Hauptsache Schröder weiß, dass ich ihn gemeint habe. Ich sehe ihn nicht, aber er weiß es, ganz sicher.
Schröder
Okay, die Styling-Experten haben mich in ein Arschloch verwandelt. Ich fühle mich dermaßen verkleidet … wie soll ich denn gleich noch zusätzlich auf verknallt machen?
Man hat mir ein weißes Hemd angezogen, das bis zur Brust geöffnet zu sein hat, darüber ein schwarzes Jackett. Die Haare sind das Übelste. Nach hinten geföhnt und der Pony ist zu einer Art Tolle frisiert … fertig ist der Suppenkasper! Und der Fuchseder singt sich einen dranlang, dass ich ihn sofort bespringen will, obwohl er bei seinem Auftritt natürlich nur an Michi denkt. Ich meine, er hat die letzte Zeile ungefähr genauso gesprochen wie Michi in seinem Geburtstagsclip …
„Brauchst du eine Extraeinladung?“, ranzt Yoko. „Wir sind dran.“
„Ich sehe aus wie Scheiße.“
„Du siehst gut aus. Sei jetzt verliebt in mich und sing uns in die nächste Runde.“
Ich singe. Und ich bin verliebt. Wenn mir der Fuchseder durch den Kopf spukt, kriege ich eh einen super Schmachtblick hin, auch wenn Yoko neben mir steht.
Als alle Kandidaten durch sind, zieht sich die Jury kurz zur Beratung zurück.
Sophie ist ultra angespannt, was verständlich ist, denn sie war auffallend schlecht. Irgendwas scheint momentan absolut nicht bei ihr zu stimmen. Kann ich mich grad nicht mit befassen, weil ich nämlich ebenfalls angespannt bin. Ein Aufmunterungskuss von Ferdi käme mir jetzt sehr gelegen, aber … na ja.
Die Jury beginnt mit der Entscheidung. Paolo darf sich als Erster freuen. Danach ein paar Leute, die mich nicht interessieren. Zwei Typen sind rausgeflogen.
Irma jault wie die Hölle, B! hat ihr soeben mitgeteilt, dass sie an ihre Grenze gestoßen und es somit für sie heute zu Ende ist. Paolo jault gleich mit, weil er künftig ohne seine Adoptiv-mutter auskommen muss.
Au je … Ferdi ist an der Reihe.
„Ferdi“, lächelt Cosima, „du hast mich unglaublich berührt. Ich mag den Song sowieso, aber von dir gesungen, gefällt er mir noch besser.“
„Du hast da vorhin an einen ganz bestimmten Menschen gedacht, oder?“, vermutet der Fuzzi.
„Ähem … kann sein“, grinst der Fuchseder geheimnisvoll.
„Ganz großes Kino.“
„Ja, Ferdimaus“, räuspert B!, „ich bin eh Fan von dir. Du siehst gut aus, hast eine tolle Stimme, der Song war klug gewählt. Würd mich nicht wundern, wenn dir die kleinen Mädchen in den Live-Shows ihre Schlüpfer auf die Bühne werfen … mit eingestickter Telefonnummer.“
Oh Gott, was faselt der schon wieder für einen peinlichen Müll?! Da wird einem ja ganz anders im Magen-Darm-Trakt!
„Das heißt, wenn du bei der nächsten Entscheidung weiterkommst, was wiederum heißt, dass du heute auf jeden Fall weiterkommst“, drückt er sich deutlicher aus.
Ferdi jubelt in die Kamera und bedankt sich artig bei der Jury.
Die eine von den bekloppten Zwillingen bedankt sich zwar auch, aber nur für die tolle Zeit und weil sie hier so viel gelernt hat. Dann trollt sie sich zu den Rausgeflogenen.
Cristian darf bleiben.
Yoko und ich stehen Hand in Hand auf der Bühne.
„Knuddelkeksilein, du hast toll gesungen, aber jetzt mal ganz ehrlich … warum?“, schüttelt B! den Kopf.
Sie zuckt hilflos die Schultern.
„Warum ausgerechnet Schröder? Wie hat es der Kerl geschafft, dein Herz zu erobern?“
„Charme?“, schlägt sie vor.
B! hustet demonstrativ.
„Schlückchen Wasser?“, grinst Cosima und reicht B! sein Glas. „Also, ihr zwei, euer Auftritt war richtig klasse. Ganz viel Gefühl und Knistern und … ich bin gespannt, wie es mit euch weitergeht.“
„Mir hat’s auch gefallen“, nickt der Fuzzi. „Schröder, hast stimmlich einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Die zwei falschen Töne haben mich nicht wirklich gestört, weil ansonsten alles gepasst hat. Yoko, kommentarlos Daumen nach oben. Wir sehen dich bei der nächsten Entscheidung.“
Fein, Yoko erstickt mich fast in ihrer freudigen Umarmung.
„Mensch, Nepomuk“, runzelt B! die Stirn und krault sich den nicht vorhandenen Bart am Kinn, „wie wäre es denn für dich, wenn du heute von deiner großen Liebe Abschied nehmen müsstest?“
Ich denke an Ferdi und kriege Panik. „Zum Kotzen. Das würd ich auf keinen Fall überleben.“
„Was meint ihr?“, befragt er seine Jury-Kollegen. „Geben wir der Liebe eine Chance? Wenn nicht, kommt der vielleicht aus der Hölle zurück und piesackt uns bis in alle Ewigkeit.“
Hat der Arsch grad meinen Namen gesagt? Vor laufender Kamera? Ich will ihn sofort piesacken und ins Höllenfeuer schubsen! Leider muss ich mich aber stattdessen freuen, weil ich weiter bin.
Sophie und Leander sind die Letzten. Es wird noch ein bisschen nervige Spannung gemacht und … Sophie bricht in Tränen aus. Gerade eben und total knapp. Leander muss nach Hause.
An die übrig gebliebenen Kandidaten werden schnell die letzten Songs verteilt. Ferdi atmet geräuschvoll und schüttelt den Kopf.
„Was’n?“
Wortlos reicht er mir den Zettel. Pushed Again. Ey, das gibt’s doch nicht!
„Du darfst Campino singen? Skandalös, dass du das kriegst und nicht der grölende Punk vom Dienst.“
„Was hast du denn?“
Ah, ja, richtig … was hab ich denn überhaupt? Ich schaue gespannt auf meinen Zettel und will mich grad schon freuen, weil ich bei „Grace Kelly“ sofort an Die Ärzte denke. Leider steht da Mika. Who the fuck is Mika??
Yoko ist mit ihrem No Doubt-Song auch nicht so zufrieden, aber mal unter uns … die kann echt alles singen! Außerdem ist sie B!’s Glücksknuddelkeksilein, also was hat die schon zu befürchten?!
Beim anschließenden Feiern ist der Fuchseder so seltsam … entrückt. Sicher war in seinem Cocktail Alkohol. In meinem ist jedenfalls eine Menge, dafür hat Cristian gesorgt.
„Besauf dich nicht“, wispert Ferdi mir zu, „wir haben nachher noch was vor.“
„Knutschfleck auffrischen?“, wispere ich zurück, worauf seine Hand kurz gegen meinen Hinterkopf schlägt.
„Hey, wie kommst du dazu, meinen Freund zu schlagen?“
Wow … Ferdis Blick erinnert stark an den der berüchtigten Dame mit den Schlangen auf dem Kopf.
„Gute Nacht“, sagt er eisig und verschwindet.
„Mann“, seufzt Yoko, „der hasst mich.“
„Dafür lieb ich dich umso mehr.“
„Ja, klar. Jetzt geh ihm schon nach!“
„War das unbedingt nötig, Medusa?“, frage ich, als wir allein in unserem Zimmer sind.
Ferdi zuckt die Schultern, dann greift er lächelnd an meinen Hosenbund und zieht mich dicht zu sich heran. Seine Hände schieben sich hinten in die Taschen meiner Jeans.
„Was wird’n das?“
„Du hast mir was versprochen“, behauptet er.
„Ja? Was war das noch gleich?“
„Vielleicht hilft dir das ein bisschen auf die Sprünge“, grinst er und knutscht mich schwindelig.
„Mhhhh … die Erinnerung kehrt zurück, aber um sicher zu gehen …“
Ganz langsam öffnet er die Knöpfe meines Hemds und streichelt über meine Brust.
Dann schubst er mich aufs Bett, setzt sich auf meine Schenkel und macht sich an Gürtel und Knöpfen zu schaffen.
„Soll ich dir erst einen blasen?“
„Sag’s noch unanständiger, dann spritz ich sofort ab“, warne ich ihn.
„Schröder …“, verdreht er die Augen.
„Was? Du hast doch mit dem Schweinkram angefangen. Ich wollte mich lediglich deinem Niveau anpassen.“
„Kann man sowas denn irgendwie … anständig formulieren?“, überlegt er. „Soll ich … möchtest du, dass ich dich verwöhne … mit dem Mund?“, kichert er.
„Oh nein, bitte nicht. Bloß nicht verwöhnen. Das ist ganz schlimm. Blas mir lieber einen!“
Der Fuchseder … also das ist ein richtiger kleiner Draufgänger geworden. Oder das draufgängerische war schon immer in ihm und Michi hat das irgendwie gebremst oder so. Keine Ahnung. Jedenfalls ist der Sex mit Ferdi atemberaubend. Und zwar jedes Mal. Das ist natürlich außerordentlich gefährlich, weil wir bloß noch eine Woche hier sind und …
„Erzähl mir, was der kleine Wassermann macht“, bittet Ferdi und kuschelt sich an mich, „und wo der Prinz hin ist.“
„Der Prinz ging zu seiner Prinzessin zurück und heiratete sie. Der kleine Wassermann starb an gebrochenem Herzen und löste sich im Meerschaum auf.“
„Wie bitte? Was soll das denn für ein Ende sein?“
„Ein realistisches.“
„Aber …“
„Ferdi, was passiert, wenn wir wieder in Deutschland sind?“
„Ich weiß nicht“, gibt er zu.
„Ich schon. Du wirst dich wieder jeden Tag um Michi kümmern und ich werde mich irgendwo rumtreiben und hoffen, dass mich irgendwer bei sich pennen lässt.“
„Kannst du nicht zu deinen Eltern, oder willst du nicht?“
„Ja“, nicke ich, „beides.“
„Okay, aber du kennst doch überall Leute, oder?“
„Klar. Das ist auch gar nicht das Problem.“
„Vielleicht … also wenn du mich in der Zeit bis die Liveshows anfangen besuchen …“
„Wie soll’n das aussehen?“, unterbreche ich ihn. „Du gehst zu Michi und wenn du nach Hause kommst mit mir ins Bett? Das ist doch scheiße, das wird nicht funktionieren.“
„Ich will dich in meiner Nähe haben, kleiner Wassermann“, sagt er leise. „Mir geht’s so gut, wenn du bei mir bist.“
Wie soll ich ihm jetzt die Wahrheit sagen? Dass ich ihn kaum ansehen kann, ohne dass es weh tut. Weil ich so schrecklich verliebt bin und keine Chance auf ein Happy End sehe. Weil ich in sein Leben einfach nicht reinpasse. Und er in meins sowieso nicht.
„Schröder, was ist los? Hab ich was Falsches gesagt?“
Das Beste, was man mit blöden Gedanken machen kann, ist … sie zu verdrängen.
„Nee. Ich find’s auch toll, wenn wir zusammen sind.“
Oh Mann, Schröder, was Lahmarschigeres fällt dir wohl nicht ein.
„Und ich finde, dass Michi ein Arschloch ist.“
Na, fein, Schröder, das war doch schon um Längen besser! Wie wäre es mit Maul halten, mh?
„Was?“, fragt er und setzt seinen Medusa-Blick auf.
„Also jetzt vielleicht nicht mehr, aber das, was ich von dir weiß und das, was ich mir daraus zusammenreimen kann, das ergibt kein besonders sympathisches Bild. Daran ändert auch sein nettes Geburtstagsständchen nichts.“
„Du solltest jetzt dringend still sein!“
„Wahrscheinlich. Aber ich verstehe halt nicht …“
„Weil du ihn nicht kennst und deshalb solltest du jetzt dringend still sein, Schröder. Ich mein’s ernst!“
Ferdi
Ich kann nicht glauben, was dieser Kerl sich immer wieder herausnimmt! Erst denken, dann reden hat ihm wohl keiner beigebracht. Wobei er sich jetzt tatsächlich zu bemühen scheint, seine Worte weiser zu wählen.
„Tut mir leid, aber … wenn du mein Freund wärst, dann … dann würde ich niemals auf die Idee kommen, nicht mehr leben zu wollen, verstehst du? Ich kann nun mal Leute nicht ab, die ihr Glück nicht zu schätzen wissen.“
„Glück?! Was hat es denn mit Glück zu tun, wenn man schwul geboren wird?! Und was hat es mit Glück zu tun, fast jeden Morgen schweißgebadet aufzuwachen, aus Angst, die Eltern könnten dahinter kommen?! Was hat es mit Glück zu tun, zu glauben, dass man wegen Sodomie in der Hölle schmoren wird? Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten!“
Er stiert mich geschockt an. Dann fragt er ruhig:
„Du glaubst sowas doch nicht auch, oder?“
Ich kann nur die Schultern zucken. Es wäre mir viel zu peinlich, das zuzugeben.
„Ferdi … du wirst nicht in die Hölle kommen, egal was du im Bett treibst. Dafür bist du ein viel zu guter Mensch. Mal abgesehen davon, dass dieser ganze Kirchenscheiß sowieso nicht …“
„Schröder! Respektier bitte, was ich glaube.“
„Aber wenn es dich doch so fertig macht?“
„Mich macht es ja nicht fertig … aber Michi schon. Kirche und Religion und so waren halt schon immer ein großer Teil seines Lebens. In unserer Zeit bei den Domspatzen …“
„Den REGENSBURGER Domspatzen?!“
„Welchen sonst?“
„Meine Mutter lebt in Regensburg.“
„Ich bin in der Nähe von Bad Abbach aufgewachsen …“
„Bist du Weihnachten zu Hause?“
„Vermutlich … also bei meiner Schwester.“
„Vielleicht treib ich mich dann auch in der Gegend rum … wäre doch schön, oder? So der ein oder andere Kuss unterm Mistelzweig …“
„Komm doch bitte einfach nächste Woche mit zu mir.“
„Ach Ferdi …“
„Schlaf wenigstens bei mir. Tagsüber kannst du dich ja rumtreiben wo du willst …“
„Erstmal werd ich wohl meine Nichte besuchen gehen. Und danach überleg ich’s mir …“
„Ooooh, der Herr überlegt es sich!“, äffe ich ihn nach.
„Na warte!“
Er stößt einen indianermäßigen Kampfschrei aus und stürzt sich auf mich.
Am nächsten Tag fangen wir an, unsere Songs zu üben. Und weil es sich so anbietet, bringt mir Schröder noch ein paar Akkorde auf seiner Gitarre bei. So die gängigsten krieg ich natürlich eh schon hin, aber das Ganze liefert uns einen Vorwand, uns auch in der Öffentlichkeit zu betatschen. Schröder entdeckt für Mika seine Kopfstimme und säuselt von da an immer wie ein Mädchen rum. Er und Yoko finden das zum Schreien komisch und Cristian schlägt vor, dass wir doch noch mal das Elisa-Day-Lied performen sollen, was wir dann am Pool auch tun, wobei ich darauf eigentlich keinen Bock habe, aber als Yoko mit ganz tiefer Stimme verkündet:
„Wenn du nicht Nick Cave sein willst, mach ich‘s halt“, überzeugt mich das sehr schnell.
Und als Schröder dann auch noch lacht:
„Meereskind, kannst du bitte immer so tief sprechen wenn wir knutschen?“, bekomme ich sogar echt Lust, ihm mit einem Stein eins überzubraten.
Die vergeht mir allerdings sehr schnell, als Schröder anfängt, die Rolle der verliebten Unschuld zu spielen und um mich rum zu garnen … woah. Es sind gerade auch keine Kameras da, also darf ich das wohl ein klein wenig zulassen.
Aber als er mir am Ende noch einen Schmatz auf die Lippen drückt … ich meine, immerhin stehen zwei Dutzend Menschen um uns herum, da ist mir schon etwas mulmig zumute … das merkt er wohl auch, und versucht die Situation wohl zu retten, indem er Yoko auch gleich noch einen saftigen Kuss aufdrückt. Grmpf! Ich warte ab, bis alle genügend Beifall geklatscht haben, dann verschwinde ich nach drinnen.
„Du bist mein neues Vorbild“, erklärt Paolo später am Abend.
„Warum?“
„Ich hab noch nie so einen perfekten Knutschfleck hinbekommen wie der, den du Schröder verpasst hast.“
„Was ist los?!“, reagiere ich reflexartig gereizt und ungläubig, wie schon immer, wenn jemand mir irgendwas Schwules vorgeworfen hat.
„Mit deiner Asexuell-Nummer hättest du mich fast gekriegt, aber du bist einfach viel zu rot geworden, als Schröder dich geküsst hat …“
„Klar, war ja auch peinlich, so in aller Öffentlichkeit von ihm angefallen zu werden. Aber weißt du, was ich an euch Schwulen überhaupt nicht ausstehen kann? Dass ihr ständig rekrutieren wollt und jedem einredet, dass er ganz tief drin einer von euch ist. Das nervt echt, Paolo.“
„Okaaay, tschuldigung. Dann hab ich mich wohl vertan. Kommst du mit Rachel und mir Karten spielen? Ist irgendwie so einsam ohne Irma und Rebekka …“
„Na schön …“
Irgendwie vergeht die letzte Woche Trainingslager viel zu schnell. Einen Nachmittag bekommen wir frei, um uns noch ein bisschen am Strand rumzutreiben und Milchshakes zu schlürfen, Möwen zu füttern und noch etwas Wärme zu tanken, bevor es zurück in den deutschen Winter geht. Herr Kolber hat mich schon gewarnt, dass inzwischen sogar etwas Schnee liegt. Brrrrrr. Und kalt wird mir auch bei dem Gedanken, bald nicht mehr neben Nepomuk einschlafen und aufwachen zu dürfen. Ich hab Angst, dann wieder gar nicht mehr schlafen zu können … Ich meine, natürlich freue ich mich auf Michi und die Uni und meine Wohnung und so weiter … aber dann geht wieder der ganze Stress los, das zerreißen und an zwei Orten gleichzeitig sein müssen. Herr Kolber hört sich sehr müde an, er hat mich wohl gut vertreten, aber jetzt ist sein Jahresurlaub aufgebraucht …
Eine Stimme in meinem Hinterkopf flüstert es mir schon seit einer Weile zu, immer lauter und lauter: Ich will nicht. Ich will nicht weg von hier, ich will nicht den ganzen Nachmittag im Krankenhaus sitzen und ich will auf gar keinen Fall weg von Schröder! Vielleicht liegt es am Hosen-Song, aber dieser ganze Druck, dieses Rumgezerre … jeder will mich in irgendeine Richtung zerren und das macht mich irgendwie aggressiv. Ich soll mich um Michi kümmern, während seine Mutter ihn noch nicht einmal besucht hat. Ich soll für DSDMB den Frauenschwarm spielen, obwohl ich schwul bin. Ich soll dabei zusehen, wie Schröder Yoko küsst, weil er mich in der Öffentlichkeit nicht küssen darf. Ich soll ich soll ich soll! Und was ist mit dem, was ICH WILL?! Ich will Ruhe! Ich will Zeit für mich! Ich will darüber nachdenken, was ich aus meinem Leben machen möchte. Ich will wieder Songs schreiben! Ich will die Nacht durchschlafen können, ohne Albträume und schlechtes Gewissen! Ich will Philosophie studieren, eine Band gründen, mit der ich meine eigenen Songs spielen kann. Ich will rausfinden, welche Klamotten ICH gerne trage. Gott, ich will einfach nur allein sein!
Den ganzen Nachmittag vor der großen Show wandere ich durch die Gegend, frage mich, ob mein Entschluss richtig sein kann, kenne die Antwort aber eigentlich schon. Wenn ich den Weg, auf dem ich jetzt bin, weitergehe, endet das im Chaos. Zeit, die Notbremse zu ziehen.
Schröder kommt mir schon etwas aufgeregt entgegen. Und er trägt komische Sachen. Eine orange Hose und ein grünes, sehr enges Shirt mit Spongebob drauf.
„Wo verdammt noch mal warst du, Fuchseder?!“
„Nachdenken.“
„Aha, toll, so ne halbe Stunde vor der Show! Du sollst dringend in die Maske, damit man einen halbwegs glaubwürdigen Campino-Verschnitt aus dir machen kann.“
„Ich lass mich nicht mehr umstylen und du siehst übrigens aus wie eine Witzfigur. Aber ich lieb dich trotzdem.“
„Schönen Dank auch. He … Was?!“
„Ich liebe dich, Schröder. Und genau deshalb werde ich mich nicht mehr umkrempeln lassen. Ich muss erst mal mein Leben in den Griff bekommen, bevor ich die Erwartungen von einer Million Fernsehzuschauern erfüllen kann. Oder auch nur die von einem einzigen kleinen Wassermann.“
„Was wird’n das jetzt, Ferdi? Du machst mir grad ein bisschen Angst.“
„Tut mir leid. Und auch das mit der Wand … und dass ich dir ständig von Michi vorgeheult habe und dass du mich tagsüber nicht küssen durftest und … alles eben. Es tut mir leid, aber bereuen tu ich es nicht. Ich bin froh, dass ich dich hier kennengelernt habe. Allein dafür hat sich der ganze Scheiß schon gelohnt.“
„Ferdi …“
„Ich geh mich jetzt umziehen und dann liefern wir ne fette Show ab, okay?“
„Und über den Rest reden wir später?”, fragt er unsicher.
„Genau.“
Schröder
Der Fuchseder benimmt sich unheimlich! Sein Gefasel von wegen … sich nicht mehr umkrempeln lassen, dass er sein Leben in den Griff kriegen muss, dass er mich liebt und froh ist, mich kennen gelernt zu haben. Das klingt alles total nach Abschied. Ich hoffe, er macht keine Dummheiten. In einem Punkt hat er natürlich Recht: Ich sehe tatsächlich aus wie eine Witzfigur! Aber daran hab ich mich inzwischen gewöhnt. Ich meine, das alles hier ist doch ein Witz, oder? Warum kann der Fuchseder nicht einfach mal locker sein und DSDMB als Spaß betrachten, den man mal so mitnimmt? Ist doch egal, dass er den Mädchenschwarm spielen soll. Ich muss schließlich auch in Yoko verschossen sein. Allerdings … ich hab mir das selbst ausgesucht, weil ich’s immer noch lustig finde, während ihm die Rolle aufgedrängt wurde. Schon, dass er beispielsweise kein Philosophiestudent sein darf, sondern angehender Jurist zu sein hat, ist doch irgendwie völlig beknackt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Mädels sich für Ferdis späteren Beruf interessieren, wenn sie sabbernd vor der Glotze hängen und davon träumen, flachgelegt zu werden.
Die ganze Woche ist irgendwie ätzend gewesen. Liegt sicher auch daran, dass wir alle nach Deutschland zurück müssen und dann erst mal das normale Leben weitergeht.
Yoko hat Probleme mit Gwen Stefani und ich klinge bei „Grace Kelly“ wie eine Tucke. Immerhin hat das Meereskind mir angeboten, vorübergehend bei ihr in Berlin zu wohnen. Und der Fuchseder will, dass ich mit zu ihm komme, labert aber, dass er meine Erwartungen nicht erfüllen kann, oder so. Was hab ich denn bitte für Erwartungen, hä? Dass er sich in einen Punk verwandelt und mit mir saufend um die Häuser zieht? Dass er sich vor versammelter Mannschaft als schwul outet und mir einen Heiratsantrag macht?
Wow, also er hat echt gesagt, dass er mich liebt. Blödmann! Ich wollte ihm zuerst sagen, dass ich ihn liebe, verdammt.
Keine Zeit mehr nachzudenken. Jetzt wird gesungen.
Yoko schummelt sich durch „Simple Kind Of Life“.
Ich klinge noch quietschiger als Paolo.
Der kleine Emo ist toll.
Cristian so mittel.
Sophie hat sich von der letzten Entscheidung zwar erholt, ist aber auch nur durchschnittlich.
Ferdi … au weia!
Der hat so viel Wut in seiner Stimme. Aber nicht so ’ne laute Wut, sondern … so ganz eindringlich, gefährlich und entschlossen.
„It’s getting more than I can take …”
Nimmt man ihm sofort ab!
„I’ll sort my life out on my own I just want this pressure to end …“
Ich glaube, ich verstehe grad erst so richtig, wie er sich fühlt. Nicht nur hier, sondern wahrscheinlich insgesamt. Und ich spüre einfach, dass das noch nicht alles war. Meine Kopfhaut prickelt so unangenehm.
„Ich möchte bitte etwas sagen“, erklärt er der Jury.
„Okay, Ferdi, dann schieß mal los“, lächelt B! etwas irritiert.
Zuerst bedankt er sich. Für die Chance und das Training mit den Coaches … oh nein, ich hab’s doch gewusst, er macht Dummheiten! Nach seiner Lobhudelei verkündet er nämlich, dass DSDMB für ihn zu Ende sei, weil er bereits seit einiger Zeit das Gefühl hat, dass sein Leben in eine falsche Richtung geht und er es unfair findet, jemand anderem die Chance zu nehmen … blablabla.
„Kamera aus“, fordert B!, während seine Jury-Kollegen fassungslose Fressen ziehen.
„Okay, Ferdi, was ist los, mh? Hat dich einer geärgert? Kandidaten, Coaches oder hat Markus was Blödes zu dir gesagt? Oder Cosi? Kein Problem, ich schmeiß die sofort raus.“
„Nein“, behauptet er. „Es sind persönliche Gründe, die mich …“
„Ferdi, du weißt, dass du das Zeug hast, in die Band zu kommen, ja? Wir alle sind total überzeugt von dir. Natürlich war das eine stressige, anstrengende Zeit und dass man da irgendwann mal einen Durchhänger hat, ist klar. Aber deswegen schmeißt man doch nicht gleich alles hin. Mach doch keinen Quatsch.“
„Meine Entscheidung steht fest.“
„Okay, Junge, pass auf, wie wir das machen. Du wärst eh eine Runde weitergekommen und bis zu den Live-Shows ist es ja noch ein bisschen hin, also fahr nach Hause, ruh dich aus und überleg noch mal. Und wenn der Einzug ins DSDMB-Haus ansteht, meldest du dich einfach bei uns, ja?“
„Okay, danke“, sagt er, aber es klingt nicht, als würde er tatsächlich noch mal drüber nachdenken.
„Hast du davon gewusst?“, flüstert Yoko.
„Nee.“
Dummerweise kann ich jetzt nicht zu ihm, weil die Show hier ja noch weiterläuft.
Allerdings dauert es ein paar Minuten, weil die Jury heftig tuschelt. Und irgendwie machen B! und Konsorten es dann auch nicht so ätzend spannend wie sonst. Der Schock über den Weggang des hübschen, sympathischen Herzensbrechers, ist vermutlich zu groß.
Yoko, Paolo, Cristian und ich sind weiter, vier Kandidaten und Sophie raus.
Wow, das tut mir echt leid. Auch wenn wir uns die letzte Zeit nicht mehr ganz so gut verstanden haben … eigentlich mag ich Sophie und hätte ihr die Band wirklich gegönnt. Na ja, aber Leon wird sich sicher freuen, dass er seine Freundin wieder für sich hat.
„Hey, Sophie …“
„Schon okay“, lächelt sie und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht.
Ich hab keinen Bock auf Entschuldigungen, Erklärungen oder vertragen müssen, deshalb umarme ich sie einfach.
„Misch den Laden auf“, wispert sie, „und lass dich nicht noch mal in so dämliche Klamotten stecken, sonst hasse ich dich, verstanden?“
„Und du … gib Leon einen fetten Kuss von mir. Auf den Mund. Mit Zunge!“
„Mann, wir sehen uns doch wieder. Spätestens morgen im Flugzeug und … besuchen kannst du mich auch jederzeit. Du weißt schließlich, wo ich wohne.“
Der Fuchseder hockt allein im Zimmer.
„Ey, Drama-Queen.“
„Darf man gratulieren?“, fragt er.
„Man darf.“
Er steht auf, schlingt seine Arme um mich und gibt mir einen Kuss. „Gut gemacht, kleiner Wassermann.“
„Ja, und was läuft bei dir?“
„Hast du nicht zugehört?“
„Doch. Und ich hab’s sogar verstanden.“
Er lächelt zufrieden.
„Also größtenteils.“
Sein Lächeln stirbt.
„Sophie ist rausgeflogen.“
„Echt? Das tut mir leid.“
„Vielleicht solltest du ihr das sagen“, schlage ich vor. „Willst du nicht mit zu den anderen und dich verabschieden? Du hast alle total geschockt.“
„Nein. Ich bin hier fertig. Ich will packen und … ich will dich ficken.“
„In der Reihenfolge?“
Er schüttelt den Kopf und zupft an meinem Shirt. „Zieh das ätzende Teil aus.“
„Ja? Warum machst du das nicht?“
Und schwupps bin ich obenrum nackig.
„Danke, das war eh viel zu eng.“
Irgendwie fühlt es sich nach Abschiedsfick an. Aber das ist es ja wohl auch. Wer weiß, was passiert, wann wir uns wieder sehen und ob überhaupt.
Vielleicht wäre es nötiger zu reden, anstatt Sex zu haben. Da sind noch so viele Dinge, der er von mir nicht weiß … und Sachen, die ich bei ihm nicht begreife. Der kleine Domspatz fürchtet ewige Verdammnis oder so ’n Müll. Das ist logischerweise ein Scherz, weil … der Fuchseder ist doch viel zu gescheit, als dass er diesen aberwitzigen Scheißdreck glaubt, auch wenn er katholisch aufgewachsen ist. Michi hatte vermutlich schon vor dem Unfall eine gehörige Schraube locker. Angst vor den Eltern, die nicht erfahren dürfen, dass ihr Sohn schwul ist? Drauf geschissen! Warum hat er ihnen nicht gesagt: Ich bin, wie ich bin und wenn ihr mich deswegen hasst, fahrt ihr zur Hölle, nicht ich!! Klar, ist das nicht leicht, aber wenn du jemanden hast, der dich liebt … und diesen Jemand hatte Michi, hat er immer noch … dann kannst du doch verdammt noch mal den Mut aufbringen, allen in die Fresse zu spucken, die dich nicht akzeptieren! Er hat einen anderen Weg gewählt und deshalb liege ich jetzt mit seinem Freund im Bett …
„Ist dir klar, dass ich von der ersten Sekunde an in dich verschossen war?“
„Wann soll denn das gewesen sein?“, fragt Ferdi.
„Als du mich beim Casting angerempelt hast.“
„Oh, ich kann mich schwach erinnern. Aber du hast mich angerempelt, oder?“
„Jaaaaa“, stöhne ich und knabbere an seiner Schulter. „Und genau da hat’s bei mir gefunkt.“
„Wow … bei mir nicht.“
„Das ist niederschmetternd“, nicke ich. „Normalerweise bin ich sehr begehrt in der schwulen Männerwelt.“
„Ein Hauch von Größenwahn schadet nie.“
„Hey, ich kann jeden haben, den ich will, okay? JEDEN!“
„Okay, willst du mich haben?“
„Fuchseder, wir haben gerade erst.“
„Und?“
„Kannst du überhaupt schon wieder?“
„Find’s doch raus …“
Der Morgen ist ziemlich hektisch und ich bin ziemlich müde, weil wir die ganze Nacht nicht geschlafen haben. Das heißt, geschlafen haben wir, aber halt miteinander. Das war kein Abschiedsfick, das war … auf Vorrat ficken! Und knutschen. Und kuscheln. Und jetzt … geht’s zum Flughafen.
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