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DSDMB
Teil 9
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Informationen
Inhaltsverzeichnis
Ferdi
Schröder ist weg und die Wohnung ist leer. Total still und leblos. Keine schweren Stiefel mehr, die über den Boden poltern. Kein Lachen, keine Sprüche. Ich vermisse sogar sein ständiges Gehuste. Und das, obwohl er noch keine halbe Minute weg ist. Ich muss ihn irgendwie aufhalten! Im Treppenhaus brülle ich seinen Namen, aber er ist nicht mehr in Hörweite. Ich reiße das Fenster, das zur Straße führt, auf, sehe ihn, will nach ihm rufen:
„Ferdinand?“ Herr Kolber steht hinter mir. „Was machst du denn für einen Radau?“
„Oh, ich …“
„Du hattest die letzten Tage Besuch, nicht wahr?“
„Stimmt.“
„Ich lasse dich hier nicht mietfrei wohnen, damit du …“
„Sie lassen mich gar nicht mehr hier wohnen, wissen Sie noch?“, falle ich ihm ins Wort und bin über mich selbst erschrocken.
Er schaut mich ärgerlich an, wartet offensichtlich auf eine Entschuldigung, aber da kann er lange warten.
„Wenn Michis Verlegung nach Regensburg durch ist, sind Sie mich los.“
„Ja und dann bekommt Michi auch endlich die Pflege, die er braucht. Von seiner Familie. Mir war von Anfang an klar, dass auf dich kein Verlass sein würde. Du bist einfach zu jung, als dass du dieser Aufgabe gewachsen sein könntest.“
„Naja, Sie haben es nicht mal geschafft, mich vier Wochen lang ordentlich zu vertreten.“
„Das lasse ich mir nicht nachsagen!“, schimpft er los und wir fangen an, uns gegenseitig unsere Versäumnisse unter die Nase zu reiben.
Natürlich ist Schröder längst außer Sichtweite … und was hätte ich ihm auch sagen sollen? Er wollte weg und ich habe kein Recht, ihn aufzuhalten … Trotzdem: Ich will jetzt nicht in dieser leeren Bude hocken. Da kann ich genau so gut noch mal ins Krankenhaus fahren.
Michi bekommt gerade Abendessen im Speisesaal. Dabei ist er ziemlich sich selbst überlassen, weil gerade mal drei Schwestern für zwanzig Patienten da sind. Dementsprechend frustriert und bekleckert ist er auch.
„Oh je, da ist aber mehr Suppe auf dir gelandet, als in deinem Mund, was? Gib mir mal den Löffel.“
„Kuss“, fordert er zu allererst.
„Hier?“, frage ich leise, aber er nickt sofort.
Ich hab Michi noch nie vor anderen geküsst … fühlt sich erstaunlich gut und entspannt und … natürlich an.
„Pudding.“
„Nee, mein Schatz. Erstmal wird das Gemüse aufgegessen.“
Den Pudding nehmen wir mit auf’s Zimmer, wo der Tauchunfall durch seine Nasensonde ebenfalls gerade Abendessen einnimmt, schlafender Weise.
„Bett.“
„Wirklich, du willst dich schon hinlegen? Bist du müde?“
Er schüttelt den Kopf, versucht aber etwas ungeschickt, den Sicherheitsklapptisch seines Rollstuhls bei Seite zu drehen, also helfe ich ihm dabei, sich aus dem Stuhl rüber auf die Matratze zu hieven.
„Das funktioniert ja immer besser, was?“
Er nickt und bedeutet mir, mich zu ihm zu legen. Es dauert keine fünf Minuten und wir schlafen, bis eine SMS von Schröder mich weckt. Er hat nicht mal den Mumm, anzurufen. Toll. Michi schläft seelenruhig weiter. Das ist auch besser so, denn wenn ich nachts gehe, macht er meistens einen Aufstand.
Den nächsten Tag verbringe ich komplett bei Michi, rufe zwischendurch die Kandidatenhotline an, spreche auf Band, dass ich um Rückruf bitte und habe eine Stunde später B! persönlich an der Strippe.
„Na Ferdi, wie schaut’s aus?“
„Ja, also … ich hab zu Hause jetzt ein paar Dinge klären können und kann mir vorstellen, DSDMB jetzt doch durchzuziehen.“
„Schön. Die Mädels aus dem Testpublikum haben nämlich schon jede Menge Liebesbriefe für dich da gelassen. Vergiss nicht, am Zweiten die Glotze anzumachen. Da senden wir das Münchner Casting. Die erste Live-Show findet am sechsten Februar statt. Am 29. Januar haben sich alle Kandidaten spätestens im Bandhaus in Köln einzufinden. Das kriegst du dann noch alles schriftlich. Also, see you later, alligator.“
„Äh, ja … tschüss …“
Michi fragt sofort nach, mit wem ich telefoniert habe und irgendwie meine ich zu wissen, dass er befürchtet, Schröder sei dran gewesen. Als ich lässig erkläre, ich hätte gerade mit B! gesprochen, imponiert ihm das ungemein. Ich hingegen grüble darüber nach, was Nepomuk wohl macht und wann er sich melden wird und wann ich ihn wieder sehen kann … Dass meine Schwester beim Telefonieren am Abend ständig nach Schröder fragt, macht es auch nicht gerade besser. Ach Scheiße! Langsam wird es echt Zeit, dass ich mir den kleinen Punk aus dem Kopf schlage. Wie deutlich muss er es denn noch machen? Unsere Leben sind inkompatibel. Je eher wir uns damit abfinden, umso besser für alle Beteiligten. Ein Arzt klärt mich zwischen Tür und Angel darüber auf, dass Michis Medikamente vor ein paar Tagen umgestellt wurden. Er erhält jetzt Aufbauspritzen, die neben Vitaminen auch Antidepressiva beinhalten. Ich werde aufgefordert, auf Veränderungen in Michis Stimmung und Verhalten zu achten.
Am nächsten Vormittag, dem des Dreißigsten, komme ich etwas später zu Michi, weil ich noch mit Bernd wegen der Verlegung gesprochen habe und mal wieder einkaufen musste und so weiter. Ich traue meinen Augen nicht! Da sitzt Johann, hält Michis Hand und betet mit ihm einen Rosenkranz.
„Was …?“
Er bedeutet mir mit dem Zeigefinger am Mund, still zu sein und winkt mich dann heran. Ich stelle mich neben seinen Stuhl neben Michis Bett und stelle fest, dass die Litanei der gemurmelten Worte eine entspannende Wirkung auf meinen Freund zu haben scheint. Er bewegt seinen Mund schläfrig, aber zufrieden, zu den altbekannten Worten. Die letzten paar Verse bete ich mit, dann kommen wir mit einem Vater Unser schon zum Ende. Michi bekreuzigt sich sogar an der richtigen Stelle und will Johanns Hand gar nicht mehr loslassen.
„Schon gut, Michael. Schon gut“, erklärt mein Bruder weinerlich. „Der Herr sei mit dir.“
„Und mit deinem Geiste“, antworte ich.
Johann legt seine Stola ab und lässt sich zur Begrüßung überraschenderweise von mir umarmen.
„Hast du ihm die Kommunion gespendet?“
„Nachdem ich mich bei seinen Ärzten versichert habe, dass er die Hostie essen darf, ja.“
„Danke. Ich weiß, dass du das nicht hättest tun müssen.“
„Ich wusste, dass ihm das etwas bedeuten würde. Als ihr beiden noch Messdiener wart, … naja, das ist lange her. Und mein letzter Besuch hier ist auch lange her.“
„Danke, dass du gekommen bist. Wir kriegen nicht so viel Besuch.“
Für die nächste Stunde tänzeln wir geschickt um das heikle Thema herum, obwohl es die ganze Zeit in der Luft zu hängen scheint. Als Michi dann relativ unvermittelt einen Kuss von mir verlangt, ist Ausweichen leider nicht mehr möglich. Mein Bruder bekommt rote Flecken im Gesicht, als ich meinen Freund meine Wange küssen lasse. Dann fragt er:
„Können wir kurz etwas frische Luft schnappen?“
„Sicher“, erkläre ich möglichst uneingeschüchtert.
„Ferdi, du bist mein Bruder und ich liebe dich, aber … aber DAS. Ich möchte so etwas nicht sehen. Ich will nichts davon hören und wenn du wieder etwas zu beichten hast, suche dir bitte einen anderen Pfarrer dafür.“
„Gut, kein Problem. Ich meine, es ist ja auch nicht so, dass wir uns oft zu Gesicht kriegen. Zu viel von meinen Verfehlungen solltest du also nicht sehen müssen.“
„Und dieser Schröder …?“
„Was ist mit ihm?“
„Du bist in ihn … verliebt?“
„Wenn du nichts davon hören willst, warum fragst du dann danach?“
„Was ist mit Michael?“
„Keine Sorge. Bigamie habe ich nicht zu beichten.“
„Gut. Wir sollten wieder rein gehen. Ich denke Michael bekommt mehr mit, als es den Anschein erweckt.“
Seit mein Bruder sich gestern Nachmittag wieder verabschiedet hat, will Michi ständig beten. Das kann ja ein tolles Silvester werden! Nach dem Abendessen will mein Freund aber plötzlich nicht mehr beten, sondern kuscheln. Die zuständige Schwester hat das Geschirr schon abgeräumt und erklärt, wenn irgendwas ist, soll ich klingeln. Die Familie des Tauchunfalls hat sich schon am Nachmittag verabschiedet. Wir sind also ungestört und ich lege mich zu Michi ins Bett. Er riecht so gut! Sein Onkel hat ihm zu Weihnachten tonnenweise Pflegeprodukte und Duftwässerchen dagelassen, die die Schwestern fleißig anwenden. Ich schnuppere an seinem Hals herum und versenke meine Nase in den immer länger werdenden Haaren.
„Bald kommen deine Locken zurück“, ziehe ich ihn auf.
Das fand er früher immer ganz furchtbar und hat sich die Haare stets glatt geföhnt. Auch jetzt verzieht er das Gesicht und zieht mich näher an sich. Und zwar nicht auf seine übliche, kindliche Art. Seine Augen … sein Grinsen … das … bilde ich mir das ein? Die nie ruhende linke Hand schiebt sich über meinen Bauch.
„Michi …“
„Kuss.“
Ich gebe ihm einen Schmatz auf die Wange und fühle mich irgendwie seltsam …
„Mehr.“
Ich gebe ihm noch einen.
„Ferdifuchs“, macht er flehend und spitzt seine Lippen.
Also schließe ich meine Augen und gebe meinem Freund einen richtigen Kuss auf die Lippen, spüre dabei seine Linke im Nacken, die mich nicht mehr fort lassen will und merke, wie auch noch das letzte Stück Kindlichkeit aus diesem Kuss verschwindet, als Michis Zunge unsicher wie beim ersten Mal versucht, sich in meinen Mund zu schieben.
Ich reiße mich irgendwie erschrocken los.
„Michi …“
Er schaut mich so traurig aus seinen grauen Augen an.
„Sei mein Ferdi, bitte.“
Verzweifelt fahre ich über mein Gesicht, versuche zu erkennen, ob ich das darf. Michi WILL es, so viel steht fest. Will ich es? Sicher. Seit fast einem Jahr warte und hoffe ich darauf, dass Michi wieder dazu fähig ist, mehr Zuneigung zu zeigen als ein Zweijähriger. Warum also zögere ich? Wegen Schröder? Er ist weggegangen, zu seinem Meereskind. Nein, auf Schröder muss ich keine Rücksicht nehmen. Aber weiß Michi wirklich, was er will? Es ist nur ein Kuss, in Gotten Namen! Kurzentschlossen presse ich meine Lippen auf seine und fühle mich wirklich an damals vor acht Jahren erinnert, als Michi mir zeigen wollte, wie man richtig küsst. Er hatte das aus Filmen abgeschaut. Heute muss ich ihm zeigen, wie es geht … und wir üben … ausgiebig, bis nach kurzem Klopfen die Türe aufgeht und ich mich schnell schlafend stelle. Die Nachtschwester lacht leise, wechselt den Katheterbeutel, schaut noch beim Tauchunfall nach dem Rechten, dimmt das Licht und geht wieder.
„Ferdi?“, fragt Michi ins Halbdunkle.
„Ja?“
„Mehr üben.“
Darum muss er nicht zwei Mal bitten.
Aus weiter Ferne höre ich irgendwann Silvesterkracher böllern und sehe rotes und blaues und gelbes Flackern.
„Gutes neues Jahr, mein Schatz.“
„Auch, Ferdi-Fuchs.“
„Ich hab dich so schrecklich vermisst.“
„Wird gut, Ferdi. Ganz gut.“
Mein klingelndes Handy reißt mich aus dem Schlaf. Es liegt auf dem Nachttisch und erleuchtet den ganzen Raum. Schnell greife ich danach. Schröder! Ich rapple mich aus dem Bett und gehe auf den schwach beleuchteten Flur.
„Hey, Schröder.“
„Hey… wo bist du gerade?“
„Zu Hause“, lüge ich und frage mich im gleichen Moment, warum. „Und du? Das ist irgendwie total laut…“
„Brandenburger Tor.“
Er ist also immer noch bei Yoko. War auch klar. Überrascht mich nicht.
„Ach so.“
Er nuschelt irgendeine Antwort, die die Hintergrundgeräusche aber verschlingen.
„Was? Red lauter, ich versteh dich kaum.“
„DU FEHLST MIR“, schreit er.
„Ja, das hättest du dir vielleicht früher überlegen sollen“, erkläre ich zu leise, weil ich feige bin.
„Hä? Wart mal, ich hör dich nicht, ich muss mal eine ruhige Ecke suchen.“ Ein paar Sekunden ist es relativ still in der Leitung. Ich habe Zeit, nachzudenken. Dass Schröder anruft, zeigt, dass er … naja, dass er noch Interesse an mir hat. Okay, jetzt sitze ich ja mal echt zwischen allen Stühlen. Wenn er rausfindet, wie ich Silvester verbracht habe … „So, ich glaub, jetzt geht’s. Also… äh, wieso bist du zu Hause?“
„Wieso nicht?“
„Allein?“
„Ja.“
„Ferdi, du kannst doch an Silvester nicht allein…“
„Ist okay. Ich hatte keine Lust auf Party oder Leute treffen oder so was“, erkläre ich schnell und würde am liebsten sofort auflegen.
„Das ist doch scheiße, Fuchseder, warum… Mann, ich bin so ’n Arsch, ich hätte bei dir…“
„Spar dir dein Mitleid, Schröder. Ich wollte heute allein sein. Wie oft denn noch? Man muss doch nicht zwanghaft feiern, bloß weil einem der Kalender das sagt“, rege ich mich künstlich auf.
„Trotzdem. Ich vermiss dich total.“
Sowas kann der doch nicht bringen! Wie steh ich denn jetzt da?! Und Michi … Mann, warum musste Schröder auch abhauen?!
„Was möchtest du jetzt hören, mh? Ich vermiss dich auch… es ist nur leider so, dass du immer irgendwie weg willst, wenn wir zusammen sind. Du hältst es ja nicht mal drei Tage mit mir aus, Schröder.“
„Ich hab’s in Florida wesentlich länger mit dir ausgehalten. Und dass ich weg…“
„Müssen wir das jetzt besprechen? Du wolltest doch unbedingt Silvester bei Yoko in Berlin sein, also geh feiern und hab Spaß. Schöne Grüße an dein Meereskind. Bis dann.“
Damit drücke ich die Auflegetaste.
Für ein paar Sekunden bleibe ich auf dem Flur stehen, bis eine Schwester mich neugierig beäugt. Ich muss hier weg. Scheiße, ich muss hier einfach nur weg!
Schröder
Als ich im neuen Jahr früh morgens die Augen öffne, sehe ich, dass meine Flosse noch immer das Handy umklammert. Keine Ahnung, wie oft ich versucht habe, den Fuchseder zu erreichen. Tausendmal. Vergeblich.
Ich hab’s total versaut. Ich bin abgehauen und jetzt will er nix mehr von mir wissen. Das geht natürlich nicht, weil ich ohne ihn ein Wrack bin. Ehrlich, wenn er nicht bei mir ist, das fühlt sich an… ich kann das gar nicht beschreiben… und aushalten sowieso nicht.
„Willst du frühstücken?“, trompetet Yoko unangebracht fröhlich.
Mann, ich muss mich echt zusammenreißen, um sie nicht zur Schnecke zu machen. Deshalb erkläre ich so ruhig, wie es mir möglich ist, dass ich auf jeden Fall jetzt sofort nach München fahre, um eine Beziehung zu retten, die eigentlich nie eine richtige Beziehung gewesen ist, weil mein Freund sich nicht von seinem Freund trennen kann.
„Vielleicht hat der Fuchseder jemanden wie dich gar nicht verdient“, überlegt Yoko vorsichtig.
„Wie bitte?“, frage ich extrem leise, weil ich grad extrem angepisst bin und befürchte zu explodieren, wenn ich einen Tick lauter spreche.
„Naja, ich mein ja nur… du hast selber mal gesagt, dass ihr nie alleine seid, weil Michi immer da ist und… vielleicht macht es einfach keinen Sinn, sich auf einen Typen einzulassen, der nur mit einer Hälfte seines Herzens bei der Sache sein kann… oder mit noch weniger.“
Ich werde jetzt nicht in Tränen ausbrechen, weil sie Recht hat. Das ist mir nämlich scheißegal.
Ich würde mich auch mit einem Viertel Herz zufrieden geben. I’m just a sucker with no self esteem… offensichtlich!
„Schröder, ich will doch nur nicht, dass du verletzt wirst. Und ich glaube auch nicht, dass Ferdi dir absichtlich weh tun will, aber…“
„Meereskind, ich lieb dich, aber misch dich da verdammt noch mal nicht ein, okay?“
„Okay“, nickt sie. „Wenn irgendwas ist, ich bin da.“
„Danke, Süße“, lächele ich, klaube meine Klamotten zusammen und mache mich auf den Weg.
An Neujahr ist es natürlich schwierig, mitgenommen zu werden, weil nicht so wahnsinnig viele Leute unterwegs sind, deshalb erlaube ich mir von Moms Geld ein Zugticket und komme trotzdem erst am Nachmittag beim Fuchseder an. Und der Arsch macht die Tür nicht auf. Okay, gibt ja bloß eine Möglichkeit. Jetzt mit Michi konfrontiert zu werden, ist bestimmt nicht das, was ich dringend möchte, aber man kann sich’s halt nicht immer aussuchen.
Der Bettlägerige liegt unverändert, Michis Bett ist leer. Ich finde ihn im Aufenthaltsraum. Allein.
„Hi, Michi“, begrüße ich ihn. „Frohes neues Jahr.“
Michis Schnaufen wirkt irgendwie feindselig, was bedeutet, dass er sich an mich erinnert.
„Ist der Ferdi hier? Weißt du das?“
„Mein Ferdi“, behauptet er. Möglicherweise war es ja als Frage gedacht, woran ich jedoch eher nicht glaube. Das klang mehr… nach Kampfansage.
„Ja, ist er hier?“
Keine Antwort.
„Ich geh mal gucken, ob irgendeiner gesprächiger ist. Nicht weglaufen, okay?“
Im Schwesternzimmer herrscht gähnende Leere, aber als ich zum Aufenthaltsraum zurückgehe, kommt mir eine Schwester entgegen.
„Hallo… äh… der Herr Fuchseder, war der heute schon bei Michi?“
„Soweit ich weiß, war der gestern da und hat wohl auch hier übernachtet. Er schläft ja sehr oft bei Michi“, faselt sie im Vorbeilaufen.
„Danke“, murmle ich geschockt.
Der Fuchseder hat mich eiskalt belogen. Wäre nicht unbedingt nötig gewesen, finde ich.
Michi sitzt natürlich noch immer in seinem Rollstuhl, ich setze mich ihm gegenüber.
„Also, Michi, erzähl mal… hat der Ferdifuchs gestern mit dir Silvester gefeiert?“
Er lächelt stolz.
„Hast ihn lieb, mh?“
„Geh weg“, sagt er aggressiv, als ich ihm mit seiner Tasse helfen will.
„Ich frage mich, ob du früher auch so ein Kotzbrocken gewesen bist…“, sage ich. „Mach dir nix draus, ich würde mir von dir wohl auch nicht helfen lassen. Weißt du, ich hab den Ferdi nämlich auch lieb. Und wer von uns beiden die besseren Karten bei ihm hat, ist noch gar nicht raus. Dich liebt er, mich fi…“
„Schröder, was willst du denn hier?“
Ferdi steht in der Tür und sieht reichlich überrascht aus. Seine Stimme klingt allerdings eher… wütend, vielleicht sogar etwas entsetzt. Das ändert sich als er seinen Freund begrüßt.
„Hey, mein Schatz“, säuselt er.
„Ferdi“, strahlt Michi. „Kuss.“
Oh… wow… jetzt bin ich überrascht, denn Michi knutscht ihn direkt auf den Mund, sobald Ferdis Gesicht nahe genug ist. Und das ist alles andere als ein kurzer Schmatz. Anscheinend hat der zurückgebliebene Michi keine großartigen Probleme mehr mit seinem Schwulsein. Oder er hat vergessen, dass er jemals Probleme damit hatte. Oder er ist nicht in der Lage, überhaupt darüber nachzudenken.
„Wenn ich mal kurz stören darf…“
Ferdi löst sich von seinem Freund und glotzt unkomfortabel umher.
„Wo zum Teufel bist du gewesen? Ich hab dich tausendmal angerufen, stundenlang vor deiner Wohnungstür gewartet und…“
„Nicht hier“, unterbricht er mich.
„Fuchseder, du kannst mit mir in längeren Sätzen reden“, zische ich genervt.
Michi brabbelt was dazwischen, das ich nicht verstehe.
„Warte zu Hause auf mich“, bittet Ferdi.
„Das hab ich schon.“
„Ich muss mich um Michi kümmern. Du siehst doch, wie unruhig er grad ist“, wispert er und drückt mir seinen Schlüssel in die Hand.
„Und wie lange wird das dauern?“
Er zuckt die Schultern und… kümmert sich um Michi.
Fabelhaft.
Irgendwann abends klingelt er dann endlich, knallt seine Jacke an den Haken und stiert mich wild an.
„Was fällt dir ein, Michi zu besuchen?“
„Entschuldigung, ich wusste nicht, dass man von dir eine Erlaubnis braucht. Außerdem wollte ich ihn nicht besuchen, sondern dich finden.“
„Hast du irgendwas zu ihm gesagt? Er hat sich furchtbar aufgeregt.“
„Ist das echt alles, was dich interessiert?“
„Schröder, ich bin müde, okay?“
„Frag mich mal. Ich hab letzte Nacht stundenlang versucht, dich zu erreichen.“
„Mein Handy war aus.“
„Ferdi, ich hab kaum gepennt, hundertzwanzig Euro für das scheiß Zugticket bezahlt, den ganzen Tag auf dich gewartet… würdest du mir also bitte erklären, was Sache ist? Seit wann lügst du mich an? Und seit wann küsst Michi dich so?“
„Seit gestern“, antwortet er. Sein Lächeln, das er krampfhaft versucht abzustellen, fühlt sich wie ein Tritt an... direkt in die Eier! „Ich hab doch auch keine Ahnung, was passiert ist. Es ist… Michi wollte…“
„Ja?“
„Mich küssen“, nuschelt er.
„Toll, was habt ihr denn gestern Nacht sonst noch getrieben, hä?“
„Schröder, an so etwas nur zu denken, ist vollkommen irre.“
„Woher soll ich das wissen? Du erzählst mir ja nix.“
„Du bist einfach zu deinem Meereskind abgehauen. Du haust immer ab, woher soll ich denn bitteschön wissen, ob du überhaupt mal wieder auftauchst? Ich brauche einen Freund, auf den ich mich verlassen kann.“
„So wie Michi, oder? Der nie wollte, dass irgendwer von euch erfährt. Der versucht hat, sich umzubringen, weil er nicht darauf klar gekommen ist, dass du ihn gevögelt hast. Mal überlegt, warum ich zu Yoko gefahren bin? Vielleicht hab ich’s nicht ausgehalten, in dieser Wohnung zu sein. Vielleicht hat es weh getan, dich so vertraut mit einem anderen Typen zu sehen, den du verliebt ’Schatz’ nennst. Bei dem du heimlich die Nacht verbringst und den du jetzt vor meinen Augen küsst. Als du gesagt hast, dass du mich liebst… war das auch gelogen oder meintest du eigentlich… ich lieb dich solange, bis Michi wieder in der Lage ist, mit mir zu knutschen?“
„Ich hab das ernst gemeint. Aber hast du vielleicht mal überlegt, wie ich mich gefühlt hab, als du vor meinen Augen… vor aller Augen mit Yoko rumgeknutscht hast?“
„Das ist lahm, Fuchseder, lass dir was Besseres einfallen“, schüttele ich den Kopf.
Offenbar hat er dazu keine Lust, denn er sagt gar nichts mehr.
„Was mache ich eigentlich hier?“, frage ich, schnappe meine Tasche und…
„Du läufst jetzt nicht wieder weg, Nepomuk!“, schreit Ferdi, reißt mir die Tasche aus der Hand und wirft sie auf den Boden.
„Du bist grad so kurz davor, mir das Herz zu brechen. Ich hoffe, das ist dir klar.“
Ganz langsam zieht er mich in seine Arme. „Ich lieb dich, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das alles weitergehen soll“, flüstert er.
Eine Stunde später umklammern wir uns immer noch. Nur, dass wir die Räumlichkeit gewechselt haben. Wir liegen in seinem Bett. Es tut höllisch weh, ihm so nah zu sein. Aber ihn loslassen, würde mindestens noch mehr weh tun. Das ist eine verdammt böse Falle. Weil ich seine Hände, die mich streicheln, kaum ertragen kann und trotzdem nicht will, dass er damit aufhört. Was für ein scheiß dämliches Chaos! Und peinlicherweise fange ich auch noch an zu flennen, was Ferdi allerdings, wenn ich Glück hab, nicht mitkriegt, weil das lautlos geschieht.
Ferdi
Oh Gott, was mach ich nur? Wie konnte ich in so ein Chaos geraten? Gerade ICH, der immer alles plant und kontrolliert und … was letzte Nacht passiert ist, war alles andere als kontrolliert. Erst Michi und dann … dann dieser Nachtclub und all die Männer … Scheiße, ich darf gar nicht darüber nachdenken, wie ich die letzte Nacht verbracht habe und wessen Dusche die Spuren davon auf mir beseitigt hat und … und dass ich jetzt hier wieder mit Schröder im Bett liege und ihn liebe. Aber das allerschlimmste ist, dass ich sehe, wie sehr er mich braucht. Von seiner selbstsicheren, unabhängigen Art ist wirklich nichts mehr zu spüren. Und das macht mir Angst. Michi braucht mich. Und ich schaffe es glaub ich nicht, noch mehr gebraucht zu werden. Aber Schröder ist … ich liebe ihn. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber es ist nicht zu ändern. Trotzdem fühlt es sich fremd an, ihn zu berühren. Ich fasse ihn an und denke an Michi, daran wie sein Körper sich anfühlt, wie er riecht, wie seine Stimme klingt, was wir alles geteilt haben und welche Pläne wir hatten. Dann kommt mir wieder zu Bewusstsein, dass es Schröder ist, den ich im Arm halte und dass ich jetzt an ihn denken sollte. An niemanden sonst. So sehr ich mich auch bemühe, es gelingt mir nicht. Michi schleicht sich immer wieder in meinen Kopf. Der alte Michi, der neue Michi. Die tausend schönen Erinnerungen, die uns verbinden, aber auch die unschönen. Michi hat mich geküsst. Ich sollte zerspringen vor Glück. Stattdessen fühle ich mich schuldig und unehrlich und … planlos. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird.
Schröder schläft und ich beneide ihn darum. Schlaflosigkeit, damit kann ich mich arrangieren. Aber diese Ruhelosigkeit ist neu. Ich wandere durch die Wohnung, mit trockenem Mund, egal wie viel ich trinke und ohne das Wissen drum wie es weitergehen soll, egal wie viel ich nachdenke. Was ist jetzt wichtig? Ich weiß es nicht. Wo will ich hin? Keine Ahnung. Wen will ich haben? Beide. Keinen. Mich selbst. Was weiß ich?!
Schröder
Ferdis Schlaflosigkeit hat wieder angefangen. Oder vielleicht hat sie auch nie aufgehört und ich hab’s bloß immer nicht mitgekriegt. Die ganze Nacht rennt er herum und… naja, nix, er latscht einfach durch die Wohnung. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, herzukommen. Wir fühlen uns doch offensichtlich beide nicht wohl damit, dass ich hier bin.
Wahrscheinlich ist er in Gedanken längst bei Michi, liegt in seinem Bett und findet’s ganz großartig, dass er ihn endlich wieder küssen darf. Und das, nach allem, was Michi ihm angetan, was er ihm zugemutet hat! Yoko hat Recht. Es macht einfach keinen Sinn, sich auf einen Kerl einzulassen, der noch nicht mal mit der Hälfte seines Herzens bei der Sache sein kann, weil das größte Stück schon seit Ewigkeiten ein anderer Typ gepachtet hat. Mein Verstand sagt mir deutlich, dass ich verschwinden soll. Mein Gefühl ist leider eine Arschgeige, die mir ins Ohr säuselt, dass der Fuchseder das Beste ist, was mir passieren konnte. Schlimmer noch. Die Arschgeige lullt meinen Verstand total ein und gaukelt ihm die schrecklichsten Sachen vor… sie produziert Bilder von einem spießigen Leben mit Ferdi. Er und ich in unserer gemeinsamen Wohnung, wir laden Freunde zum Raclette-Essen ein und irgendwo springt sogar ein Hund umher. Mein Verstand schreit und tobt: Zieh die Reißleine, Junge! Mein Gefühl erklärt eindringlich, dass ein Leben zu zweit nicht zwangsläufig im völligen Spießertum enden muss. Und was ist mit Michi, frage ich Gefühl und Verstand.
Da sind sich ausnahmsweise beide einig. Michi soll weg. Er soll sich nie wieder erholen und in seinem Krankenzimmer neben dem Bettlägerigen krepieren. Obwohl der Verstand bemerkt, dass, wenn ich mich vom Fuchseder trenne, mir auch Michis Zustand am Arsch vorbeigehen kann, was ich durchaus logisch finde.
Der nächste Tag ist ungefähr genauso anstrengend wie der gestrige. Nur, dass wir kaum miteinander reden. Außer das höfliche ’Möchtest du noch Kaffee’ und ’Reich mir bitte die Marmelade’ Geplauder beim Frühstück. Echt, wir eiern dermaßen vorsichtig und nett und höflich umeinander rum, dass eigentlich nur noch ein Knicks fehlt. Ey, das kann’s doch irgendwie auch nicht sein.
Ferdi beschäftigt etwas, das merke ich, und es hat nicht nur was mit Michi zu tun, glaube ich. Mir fehlt die Kraft, ihn zu fragen, weil Verstand und Gefühl immer noch heftig diskutieren. Du meine Güte, hoffentlich ende ich nicht eines Tages in der Klapse, weil ich Stimmen höre.
Die Stunden am Nachmittag, die Ferdi bei Michi verbringt, liege ich auf der Couch. Tausend Gedanken rasen mir durchs Hirn. Viel zu schnell, um sie zu sortieren. Viel zu viele, um damit allein sein zu wollen, also telefoniere ich mit Yoko und lüge, dass alles in Ordnung ist, was sie mir nicht eine Sekunde abkauft.
„Deine Stimme klingt wie vierzig, zerknittert und alt“, behauptet sie. „Wenn es dir da so schlecht geht… komm zurück.“
„Ich kann nicht immer weglaufen“, erkläre ich müde. „Wenn ich überhaupt noch eine Chance haben will, kann ich jetzt unmöglich weg.“
„Du musst wissen, was du tust.“
Ja, ich weiß aber momentan eigentlich gar nichts mehr. Und der Fuchseder ist keine große Hilfe. Na ja, bin ich für ihn sicher auch nicht.
„Ach so, ich hab einen Anruf von DSDMB gekriegt. Die wollen eine Homestory drehen. Ich schätze mal, dass so was auf dich auch noch zukommen wird… und vermutlich schon sehr bald, weil ja heute bereits das erste Casting in der Glotze läuft.“
„Ach du Scheiße. Homestory… wie soll ich ’n das anstellen? Ich hab kein Home.“
„Denk dir halt irgendwas aus. Übrigens läuft heute das Münchner Casting, also wenn du dich gerne vor der Jury sehen willst…“
„Ja, ich kann mir augenblicklich nichts schöneres vorstellen.“
„Okay, bis bald Schatz.“
„Bis bald, Süße.“
Es ist bereits dunkel, als der Fuchseder nach Hause kommt. Das heißt allerdings nichts, weil es im Winter eh dauerhaft duster ist. Mann, ich mag endlich Frühling haben. Sommer und Wärme.
„Hey, weißt du, dass wir heute wahrscheinlich im Fernsehen sind?“, frage ich.
„Ja, der B! hat so was gesagt, als wir telefoniert haben.“
„Du hast mit dem Brechmittel gesprochen?“
„Klar. Um ihn zu fragen, ob ich weitermachen darf.“
„Und?“
„Ja.“
„Ist doch toll.“
„Hm-hm.“
„Also wollen wir es wagen, uns anzugucken?“
Er zuckt müde die Schultern. „Meinetwegen. Wenn du möchtest.“
Wieso hab ich eigentlich in dieser Wohnung ständig das Bedürfnis, irgendwas kaputt zu schlagen?!
Um viertel nach acht hängen Ferdi und ich auf der Couch. Der Vorspann mit der nervigen DSDMB-Melodie, eine männliche Moderatorenfresse faselt aufgeregt und spannend über die Show, die hundert Millionen Kandidaten, dass am Ende nur vier Leute übrig bleiben und ihren großen Traum leben können, dass der Workshop in einer wahnsinnig spektakulären Location stattfinden wird, danach gehen noch fünfzehn Minuten für die Vorstellung der Jury drauf und bevor es richtig losgeht, schwenkt die Kamera über eine jubelnde Menschenmasse.
Dann erscheint eine Hackfresse, die ich ausm Workshop nicht kenne und fliegt logischerweise auch gleich raus. An Vadder Abraham erinnere ich mich.
„Der war mit mir in einer Gruppe“, erkläre ich Ferdi, den das aber bloß mäßig interessiert.
„Sophie“, kreischt er plötzlich.
Tatsächlich.
„Irgendwie schade, dass sie nicht mehr dabei ist.“
Ah, der Prollkopp, der über B! hergezogen hat.
„Isch bin der Checker“, behauptet er und versucht durch Schmachtblicke, Cosima zu becircen.
„Du bist höchstens der Kacker“, findet B!. „Wenn du auch nur einen Ton richtig hinkriegst, fresse ich die alberne Sonnenbrille, die du auf deinem Kopf trägst.“
Der Checker fängt an zu singen/sprechen/nuscheln… irgendwas von Bushido.
Cosima schlägt sich entsetzt die Hand vor den Mund. Der Fuzzi macht eine Kotzgeste.
„Das war super. Super für’n Arsch. Wir suchen Leute, die singen können, du kannst aber nicht mal richtig sprechen, geschweige denn rappen. Geh nach Hause, Junge.“
Der Prollkopp diskutiert hin und her und zum Schluss droht er B! mit seiner Gang. Ich kann fast nicht hingucken, so furchtbar ist das.
Es werden noch ein paar andere arme Säue gezeigt, die sich total zum Kasper machen. Und dann wird’s richtig peinlich. Da hockt ein abgeranzter Freak mit verstimmter Gitarre und schnarrender d-Saite und erzählt, dass er seit drei Jahren auf der Straße lebt und DSDMB sein großer Traum ist, für den er alles tut und er den Leuten zeigen will, was er drauf hat.
„Du bist echt gut im Geschichten erfinden“, grinst Ferdi.
„So ganz erfunden ist das nicht. Immerhin bin ich wirklich momentan OFW.“
„Oberfeldwebel?“
„Ohne festen Wohnsitz.“
„Hahaha… Robbie Williams“, lacht er sich kaputt. „Wie bist du denn auf die Nummer gekommen?“
„Ich schlage vor, wir warten erst mal deinen Auftritt ab, Fuchseder.“
Der kommt übrigens direkt nach mir.
„Bon Jovi, mh? Aber über mich lachen.“
Oha, der Fuzzi labert, dass er Ferdi langweilig findet, wohingegen B! total Feuer und Flamme für ihn ist.
„Alles abgesprochen“, rümpft Ferdi die Nase.
„Scheiß Castingshows.“
„Genau, wir würden bei so was nieeeee mitmachen.“
„Richtig.“
Mann, das ist zur Abwechslung echt entspannend, einfach nur fernzusehen und alles andere auszublenden.
„Am 29. Januar ziehen wir übrigens in die WG und am 6. Februar ist die erste Live-Show… hat der B! gesagt.“
„Cool. Und Yoko hat erzählt, dass die vorher noch so bescheuerte Homestorys drehen wollen. Wieso weiß eigentlich jeder mehr als ich?“
„Hoffentlich wollen die mich nicht bei Michi… weil ich doch im Workshop… scheiße…“
Und schon sind wir wieder beim Thema. Ich muss auf den Balkon und eine rauchen.
Den Rest des Abends verbringen wir schweigend. Jeder hängt in seinen Gedanken fest. Ich sehe, dass es in Ferdis Kopf unaufhörlich arbeitet. Ich dagegen hab’s aufgegeben, zwischen Verstand und Gefühl den Vermittler zu spielen und halte mich schön aus allem raus.
Als wir im Bett liegen und Ferdi fünf Minuten später wieder im begriff ist aufzustehen, halte ich ihn fest.
„Fuchseder, wenn wir jetzt nicht die Kurve kriegen, ist es vorbei. Willst du das?“
„Ja“, antwortet er. „Nein. Das ist alles nur so… ich lieb dich, ich lieb Michi und… kann irgendwie mit keinem von euch… glücklich sein. Entschuldige, das ist sicher so ’ne Spießerformulierung, die du nicht hören willst.“
„Ich glaube, Formulierungen sollten grad unsere geringste Sorge sein.“
„Dass Michi mich geküsst hat… ich hab so lange darauf gewartet und dabei nicht eine Minute an dich gedacht. Aber jetzt… jetzt fühlt es sich an, als hätte ich dich betrogen. Und wenn ich mit dir zusammen bin, betrüge ich Michi, verstehst du? Ich hab’s satt, andauernd ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Und das Schlimmste…“ Er schüttelt den Kopf und verzieht das Gesicht.
„Was?“
„Ich hab euch beide betrogen.“
„Äh…?“
„An Silvester… ich war so… ich wollte…“
„Fuchseder, spuck’s aus, verdammt!“, zische ich.
„Du warst plötzlich weg und Michi war wieder da… jedenfalls ein bisschen… und dann… dann hast du gesagt, wie sehr ich dir fehle und ich hab dich belogen und… dann wollte ich einfach nur… nicht mehr nachdenken. Ich bin in einen Club und hab mich ziemlich… abgeschossen.“
„Du hast also ein Bier getrunken?“, grinse ich schief.
„Da waren Kerle, mit denen ich…“
Wow, mir wird leicht übel.
„… rumgemacht habe“, sagt er sehr leise und verschämt.
„Was heißt rumgemacht?“
„Ich hab mich anfassen lassen und so.“
„Und so?“
„Mit einem bin ich… im Bett gelandet.“
Okay, mir ist kotzschlecht.
„War er wenigstens gut?“
„Schröder, ich kenne nicht mal seinen Namen. Und wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen.“
„Ja, will man das nicht meistens hinterher?“
„Ich fühl mich total mies.“
„Erwarte bitte nicht, dass ich dich tröste. Hey, ich weiß genau wie es ist, sich besoffen mit wildfremden Typen zu vergnügen. Und logischerweise finde ich’s nicht so toll, dass du da anscheinend in meine Fußstapfen getreten bist. Aber bedeutungslosen Sex, wenn’s ein Ausrutscher war, kann ich dir eher verzeihen als die Tatsache, dass du an Michi denkst, wenn du mich umarmst. Also solltest du dir sehr dringend überlegen, was du willst, Fuchseder. Darauf warten und hoffen, dass du mit Michi eines Tages wieder eine richtige Beziehung führen kannst oder mit mir zusammen sein?“
Sein Schweigen, gepaart mit dem entschuldigenden Blick, ist deutlich. Mega deutlich. Ich muss kurz aufpassen, dass mein Herz nicht aufhört zu schlagen und ich sterbe. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen zu gehen. Dummerweise kann ich mich nicht bewegen, so sehr ich es auch versuche.
„Hast du alles vergessen?“, flüstere ich zittrig. „Florida, die Nächte, in denen wir… das kann dir doch nicht auf einmal alles egal sein. Dass ich der Mann bin, den du liebst… dein kleiner Wassermann…“
„Ich hab nichts davon vergessen, Nepomuk. Aber die Zeit mit Michi kann ich doch auch nicht einfach so wegwischen. Ich dachte halt immer, dass ich nie einen anderen Menschen lieben würde.“
„Dann sag mir, dass ich gehen soll.“
„Ich kann nicht“, murmelt er verzweifelt.
Und noch eine Nacht, in der wir uns umklammern und Ferdi zwischendurch in der Wohnung umhergeistert. Und ein weiterer Tag, an dem wir uns benehmen wie Mitbewohner in einer WG...
So langsam ist’s echt gesundheitsgefährdend, hier zu sein. Ich kann schon nichts mehr essen und hänge nur noch auf dem Balkon. Wenn’s noch schlimmer wird, fange ich sogar wieder mit Alk und Pillen an! Dass der Fuchseder sich einen Kerl aufgerissen hat, nachdem er mit Gott weiß wie vielen anderen Kerlen Gott weiß was getrieben hat, stecke ich natürlich nicht so locker weg, wie ich’s ihm weisgemacht habe. Ich meine, klar, kann ich’s irgendwie nachvollziehen und fairerweise muss ich zugeben, dass mir das genauso hätte passieren können… wäre ich bei Eddie zugedröhnter gewesen, höchstwahrscheinlich mit Sandro. Puh, aber die Vorstellung, wie er sich in einem düsteren, schwitzigen Club von gierigen, schwitzigen Griffeln befummeln lässt und dann mit so ’nem durchtrainierten Homo-Uglyfressen-Arsch fickt… ich krieg sofort fiesen Brechreiz! Das passt einfach nicht zu meinem süßen Prinzen.
Wenn Ferdi nachmittags bei Michi ist, treibe ich mich in der Stadt rum. Punks gibt’s nämlich hier auch und ich hab schnell Anschluss gefunden. Am Wochenende soll wohl irgendein Konzert in ’nem kleinen Club stattfinden… Mann, da hätte ich echt mal wieder Lust drauf.
Als ich in die Wohnung zurück komme, ist Ferdi noch nicht da. Dafür klingelt das Telefon.
„Ja, bitte?“, melde ich mich.
„Äh… wer ist da?“
„Hi, Barbara, hier ist Schröder.“
„Oh, Hallo“, freut sie sich. „Nenn mich übrigens Bobby, wenn’s dir nichts ausmacht. Ist mein Bruder da?“
„Nee. Noch bei Michi.“
„Verstehe. Alles klar bei euch?“
„Würd ich so nicht sagen. Seit er wieder mit Michi knutscht, läuft’s bei uns nicht mehr“, plaudere ich aus Versehen aus. Scheiße!
„Er knutscht was?“
„Wen. Michi. Und offenbar hat Michi auch die Initiative ergriffen. Hör mal, erzähl Ferdi nicht, dass ich dir das gesagt habe, okay?“
„Und jetzt hast du Angst, dass… Bernd hat sich wegen der Verlegungsgeschichte über Michis Zustand erkundigt, momentan kriegt er neben diversen Medikamenten auch Antidepressiva, du weißt, was das heißt, ja? Stimmungsaufhellend und so. Also möglicherweise liegt es daran, dass Michi so… aktiv ist. Aber Schröder, dass er sich wieder vollständig erholt, ist so gut wie ausgeschlossen.“
Es ist schändlich, sich darüber zu freuen, oder?!
„Wie geht es Ferdi denn?“
„Na ja, nicht so toll, nehme ich an.“
„Hab ich mir schon gedacht. Du weißt, was morgen für ein Tag ist.“
„Äh… Donnerstag“, antworte ich verwirrt.
„Morgen ist Ferdis Geburtstag… und Michis Unfall ziemlich genau ein Jahr her. Also solltest du grad ganz lieb zu meinem Bruder sein, mh?“
„Liebsein fällt mir im Augenblick und unter den ganzen Umständen ein bisschen schwer“, gebe ich zu.
„Trotzdem. Du bist gut für ihn, das weiß ich spätestens seit Weihnachten. Ich hab ihn lange nicht so fröhlich und entspannt erlebt.“
Tja, dann sollte sie ihn jetzt mal sehen, dann würde sie bestimmt sagen, dass ich ihren Bruder in Ruhe lassen soll, weil er so viele Probleme hat, dass er schon wildfremde Männer fickt, nur um den Kopf frei zu kriegen…
Donnerstagnachmittag, der Fuchseder knutscht sich wahrscheinlich gerade mit Michi durch den Selbstmordjahrestag, stehe ich in der Küche und… backe! Ich kann es nicht begreifen,
schreit mein Verstand und er hat Recht!
Das Einzige im Supermarkt, was halbwegs machbar aussah, war die Backmischung für eine
Prinzessin Lillifee-Torte. Na ja, es heißt doch immer, die nette Geste zählt, oder?!
Der Boden ist schon fertig. Jetzt bloß noch Sahne schlagen, die Mischung mit Wasser und Yoghurt verrühren, die Sahne unterheben und dann alles auf den Boden und glatt streichen. Das ist wirklich sehr einfach, sogar für mich. Die rosa Blümchendeko lasse ich allerdings weg. Stattdessen schreibe ich mit Zuckerschrift „Happy Birthday“ drauf. Und wenn der Fuchseder sich darüber nachher nicht freut, klatsche ich ihm das Teil in seine blöde Schleimfresse und sage ihm, was für ein Straßenfucker er ist!!
Als Geschenk hab ich ein schwarzes Nietenarmband besorgt, das ihm sicher auch nicht gefallen wird. Aber was erwartet der denn? Dass ich als Überraschung einen beschissenen Clown engagiere??
Eine Flasche Pfirsichschnaps hab ich gekauft… für alle Fälle und weil ich persönlich damit relativ nette Erfahrungen gemacht habe.
Als ich den Schlüssel im Schloss höre, hole ich die dezent nach künstlichem Erdbeeraroma duftende Prinzessinnentorte aus dem Kühlschrank, stelle sie auf den Tisch und… warte.
Ferdi geht natürlich erst mal zum Händewaschen ins Bad. Danach kommt er ins Wohnzimmer.
„Hey, Schrö… was zum Teufel ist das?“
„Alles Gute zum Geburtstag“, wünsche ich.
„Woher weißt du…?“
„Von deiner Schwester.“
„Oh…“
Ich schlinge ihm das Armband ums Handgelenk. „Das ist dein Geschenk und das ist deine Torte. Freu dich gefälligst, Fuchseder!“
„Du bist… irre. Aber süß“, lächelt er und umarmt mich umständlich. „Hast du die extra gekauft?“
„Ja, na klar“, rege ich mich auf. „Selber gemacht, was denkst du denn?“
„Wow… danke.“
Die Torte riecht übrigens nicht nur künstlich, sie schmeckt auch so.
Eigentlich würde ich Ferdi gerne fragen, ob er von Michi einen Geburtstagszungenkuss gekriegt hat und ob er sich auch nur ansatzweise vorstellen kann, wie weh er mir damit tut, dass er mehr Zeit mit ihm verbringt als mit mir… aber ich bremse mich, weil ich ja lieb sein soll.
„Das mit dem Kuchen war wirklich süß von dir“, erklärt er, „aber ich bin froh, wenn der Tag endlich vorbei ist.“
Okay, Zeit für den Schnaps. Ich gieße zwei Pinnchen voll und sage ihm, dass er sich auf den Boden setzen soll.
„Wir machen jetzt ein total krankes Teeniespiel“, beschließe ich. „Wahrheit oder Pflicht. Stell dir einfach vor, wir wären dreizehn und auf Klassenfahrt.“
„Muss das sein?“
„Yep. Wahrheit oder Pflicht?“
„Wahrheit“, seufzt er unmotiviert.
„Hast du einen zweiten Vornamen?“
„Ist es nicht Sinn der Sache, schlüpfrige Fragen zu stellen?“
„Ich fange halt klein an“, zucke ich die Schultern.
„Nein.“
„Wahrheit“, wähle ich.
„Wann war dein erstes Mal?“
„Du meinst… so richtig?“
Ferdi nickt.
„Mit fünfzehn.“
„Und wie war das?“
„Immer nur eine Frage.“
„Okay. Wahrheit.“
„Das ist lahmarschig, Fuchseder. Nimm…“
„Du meine Güte“, stöhnt er genervt, „Pflicht.“
Ich beuge mich nach vorne und küsse ihn auf den Mund. Lange. Die Schmetterlinge in meinem Bauch beginnen zu flattern und das Gefühl hat dem Verstand eins auf die Nuss gegeben.
„Das ist der einzige Grund für das alberne Spiel, oder?“, grinst Ferdi.
„Pflicht.“
„Trink den komischen Schnaps da. Wahrheit.“
Na, es wäre auch sonst ZU einfach gewesen. Und den Fuchseder besoffen zu machen, war eh nicht meine Absicht.
„Willst du, dass ich dich ficke?“
„Schröder…“
„Du musst antworten… und zwar ehrlich.“
„Wozu? Ist doch klar, wie das laufen soll. Ich sage ’Ja’, du sagst ’Pflicht’ und erwartest, dass ich sage ’Fick mich’. Glaubst du, das ist dann die Lösung all unserer Probleme?“
„Nein. Aber ich möchte es trotzdem gerne wissen.“
Ferdi kippt seinen Schnaps runter. „Ja, verdammt.“
„Wahrheit.“
„Liebst du mich noch, obwohl ich mit einem anderen Mann im Bett war?“
„Ferdi, ich hab diese fucking Torte für dich gebacken und ich bin immer noch hier, obwohl es vernünftiger wäre, wenn ich verschwinden würde. Also stell nicht so dämliche Fragen.“
Langsam kommt er näher und setzt sich auf meinen Schoß. „Ich vermiss dich… kleiner Wassermann.“
Diesmal geht der Kuss von ihm aus. Und seine Hände schieben sich unter mein Shirt. Und seine Zunge umschlängelt meine. Und ich spüre, wie er seinen harten Schwanz gegen meinen drückt.
Wir schaffen es nicht mal ins Schlafzimmer, sondern bloß auf die Couch. Und es ist atemberaubend!
Ferdi
Kurzzeitig hatte ich mich verloren. Aber jetzt weiß ich wieder, wer ich bin. Es ist schwer, sich an die schlechten Eigenschaften von kranken Menschen zu erinnern. Man neigt dazu, sie zu verherrlichen, sie über andere Menschen zu stellen, so als hätte Michi noch nie im Leben einen Fehler gemacht. Heute, an meinem einundzwanzigsten Geburtstag, ist es mir wieder eingefallen. All die Geburtstage, die ich ohne Michi verbringen musste, weil seine Eltern nicht erlaubt haben, dass er mich auf dem Hof besucht. All die abfälligen Bemerkungen, die alle Kolbers über meine Familie gemacht haben. Und der Blick, mit dem Michi mich manchmal betrachtet hat, wenn ich in meinen eigenen Klamotten rumgelaufen bin. Er hat mir dann immer was von sich aus dem Schrank gesucht und mir wirklich das Gefühl gegeben, dass Kleider Leute machen. Natürlich ist das nur eine Kleinigkeit, nicht wirklich eine negative Eigenschaft von Michi. Aber mir hat das damals immer das Gefühl gegeben, dass ich mich für meine Eltern und dafür, kein Geld zu haben, schämen muss.
Aber das war der alte Michi. Dem neuen Michi ist es egal, was ich anhabe. Und ihm ist egal, wo und vor wem ich ihn küsse. Doch heute hat auch der neue Michi einen Fehler gemacht. Er hat gesagt, dass er Schröder hasst. Und um das zu verdeutlichen, hat er sein Essenstablett vom Tisch gefegt. Ich war davon so überrascht, dass ich den Schwesternknopf gedrückt habe. Das war auch gut so, denn gleich darauf hat Michi versucht, aufzustehen und hat sich dabei ziemlich übel den Arm gestoßen. Selbst das hat noch nicht gereicht, um seinen Tobsuchtsanfall, der stark an einen jähzornigen Dreijährigen erinnert hat, zu unterbrechen. Es ging so weit, dass ein großer, stämmiger Pfleger mich eindringlich gebeten hat, den Raum zu verlassen und dann … ich nehme an, dann wurde Michi mit Gewalt zurück ins Bett geschafft. Ein Arzt kam, war ein paar Minuten bei Michi und hat mir dann erklärt, dass die Medikation wieder neu eingestellt werden müsse. Zu viele „aufputschende“ Medikamente in zu kurzer Zeit könnten schon mal zu solchen Stimmungsschwankungen führen. Auf die Frage, ob ich nochmal nach Michi sehen könne, hat der Arzt nur die Schultern gezuckt:
„Wenn Sie sich das wirklich antun wollen?“
Will ich nicht. Nicht heute, nicht an meinem Geburtstag. Deshalb gehe ich.
Allerdings weiß ich nicht so recht, wohin ich gehen soll. In der Tram klingelt mein Handy. Johann. Er wünscht mir alles Gute und Gottes Segen zum Geburtstag und ich hätte große Lust, ihm mein Silvester näher zu beschreiben, einfach nur, um ihn zu verletzen, weil ich selbst verletzt bin. Ich lasse es dann doch, bedanke mich höflich-distanziert für den Anruf und steige aus der Tram. Den Rest gehe ich lieber zu Fuß. Ich hab es nicht eilig damit, nach Hause zu kommen. Denn dort wartet Schröder. In meiner Wohnung wartet mein Freund auf mich. Wollte ich das nicht immer? Ich glaube, ich sollte mal etwas mehr zu schätzen wissen, was ich habe und nicht immer drüber nachdenken, was ich noch brauche zum glücklich sein. Der Spatz in der Hand ist besser, als die Taube auf dem Dach, oder?
Vor allem, wenn mir der Spatz selbstgebackene Torte serviert. Ich freue mich wirklich darüber, auch wenn die Küche ziemlich chaotisch aussieht. Naja, ich werde ja die ganze Nacht Zeit haben, aufzuräumen. Schlafen kann ich am Jahrestag von Michis Unfall selbst nach ganz viel Pfirsichschnaps bestimmt nicht. Das Armband, das Schröder mir schenkt, erinnert mich kurz an Michis Umstyleaktionen. Aber ich glaube nicht, dass Schröder ernsthaft von mir erwartet, dass ich irgendwie alternativ oder punkig rumlaufe. Wäre ja auch ziemlich heuchlerisch, immerhin sendet er ja immer die nonverbale Message aus, dass es scheiß egal ist, wie man rumläuft. Wobei ich noch von meiner Schwester weiß, dass es selbst in der Punkszene hippe Labels und teure Marken und so gibt. Naja, irgendwie ticken doch alle Menschen gleich und brauchen ihre Accessoires und Bewertungsmaßstäbe und Zeichen der Zugehörigkeit und so.
Völlig atemlos liege ich auf meiner Couch, unter Schröder. Eigentlich liegen wir auf Michis Couch. Die stand nämlich früher in einem seiner Zimmer. Genau wie die meisten Möbel hier. Wenn ich zurück nach Regensburg ziehe, werde ich erst mal so ziemlich ohne Möbel dastehen. Aber vorerst geht es ja zu DSDMB nach Köln. Danach seh ich weiter. Ich sollte bald mit Herrn Kolber klären, wer sich um den Möbeltransport kümmert. Und ich muss mir überlegen, wo ich meine Sachen zwischenlagern kann. Viel ist es ja eh nicht, nur die Bücher und ein paar Küchenutensilien und …
„Was denkst du?“, fragt Schröder. „Hör mal eine Sekunde auf damit und sei einfach nur bei mir, ja?“
„Okay …“
… und der Teppich, den Frau Kolber mir zum Geburtstag geschenkt hat und streng genommen gehört der Fernseher auch mir, nicht dass ich viel Verwendung dafür hätte …
„Ferdi, du tust es schon wieder …“
„Tut mir leid, ich hab einfach viel zu denken, okay?“
Na gut, vielleicht war mein Tonfall etwas zu gereizt, aber noch lange kein Grund, gleich so ein Gesicht zu ziehen und aufzustehen …
Schröder steht nur in seinen Parka gewickelt auf dem Balkon und raucht. Er wird sich sowas von eine Lungenentzündung holen, aber bitte, muss er selber wissen. Das Telefon klingelt. Bestimmt irgendwer, der gratulieren will …
„Ja hallo?“
„Ferdinand Fuchseder?“
„Ja.“
„Klein, mein Name. Mein Team dreht die DSDMB-Homestories. Wir müssen einen Termin für nächste Woche ausmachen.“
„Ehm …“
„Wann haben deine Eltern Zeit?“
„Gar nicht. Ich lebe bei meiner Schwester und ihrer Familie“, erkläre ich schnell.
„Na schön, dann mach mit denen was aus. Du lebst in München, richtig?“
„Nein, in Regensburg.“
„Ach Mist, dann müssen wir da auch noch hin. Dann nächsten Mittwoch.“
„Ich schau mal, ob das machbar ist.“
„Hey, du willst hier was von uns, ja? Also sieh besser zu, dass es machbar ist.“
„Mhm“, mache ich und lege auf.
War es wirklich eine gute Idee, weiterzumachen? Ich rufe gleich mal meine Schwester an.
„Ja hallo?“
„Hey Barbara, ich bin’s.“
„Ui, dich wollte ich sowieso gleich anrufen. Aber Noah hat Fieber und kotzt und ich bin den ganzen Tag nicht dazu gekommen.“
„Oh, stör ich? Soll ich später …“
„Quatsch. Hab ihn gerade hingelegt. Und jetzt erst mal alles Gute, Kleiner.“
„Danke …“
„Na, hattet ihr einen schönen Tag?“
„Ja klar … aber warum ich eigentlich anrufe:“
Ich erkläre ihr die Situation und sie ist sofort einverstanden, das Kamerateam bei ihr zu empfangen und bietet sogar an, das Gästezimmer kurzfristig zu meinem Zimmer umzugestalten. Ich soll nur am Dienstag mit ein paar persönlichen Dingen kommen und bis Donnerstag bleiben. Perfekt.
„Alles Weitere können wir ja dann besprechen. Und Schröder ist natürlich auch willkommen. Grüß ihn schön.“
„Mach ich.“
Ich schaue wieder auf den Balkon. Schröder telefoniert gerade. Nach ein paar Sekunden legt er auf und tritt unzufrieden wirkend wieder ins Wohnzimmer.
„Alles klar?“, frage ich.
„Nö. Die wollen nächste Woche die verdammte Homestory drehen.“
Schröder
„Mit mir auch“, nickt der Fuchseder. „Ich muss Dienstag nach Regensburg, weil ich bei meiner Schwester wohne.“
„Du kannst wenigstens irgendwo wohnen. Ich muss mir eine blöde Straßenkind-Story aus dem Arsch ziehen und behaupten, dass ich keine Familie habe. Na ja, was soll’s?! Mache ich halt einfach mit dem Team einen kleinen Streifzug durch die Münchner Punkszene und fertig. Mir ist kalt, gehen wir ins Bett?“
„Ich wollte eigentlich die Küche aufräumen. Hast ein ganz schönes Chaos angerichtet.“
Typisch Fuchseder. Der kann sich nicht einfach mal gescheit über etwas freuen, das man für ihn gemacht hat. Nein, er muss sofort eine negative Bemerkung dranhängen. So langsam kotzt mich das echt an. Ich meine, ich hab ihm das Fremdficken verziehen und er regt sich über eine chaotische Küche auf?!
„Na, dann… viel Spaß“, wünsche ich und gehe ins Bett.
You’re just a sucker with no self esteem… singt mein Verstand spöttisch.
Heute vor einem Jahr ist Michi gegen einen Baum gefahren, logisch, dass Ferdi nicht in Feierstimmung ist… behauptet mein Gefühl.
Ferdi liebt dich nicht, egal, was du tust, egal, wie viel Mühe du dir gibst… sagt der Verstand… glaubst du vielleicht, nur weil er mit dir geschlafen hat, ist alles in Ordnung? Sex ist nicht Liebe, Junge, das solltest gerade du wissen! Also tu das Richtige und verschwinde!
Wenn du JETZT gehst, bist du genau wie Michi… warnt das Gefühl.
Und endlich wieder frei… fügt der Verstand hinzu.
Ferdi ist so anders in seinem gewohnten Umfeld. Mann, wie anders er plötzlich ist. Anscheinend hat er wirklich alles vergessen, was zwischen uns war.
Irgendwann gegen vier Uhr morgens kriecht Ferdi zu mir unter die Decke und kuschelt sich an mich.
You’re just a…
Halt’s Maul!!
Nachmittags wundere ich mich.
„Willst du heute gar nicht zu Michi?“
Er schüttelt den Kopf. „Ich glaube, er braucht mal eine Pause von mir. Weißt du, er hat sich gestern fürchterlich aufgeregt über d…“
„Sorry, Fuchseder, aber das interessiert mich wirklich so überhaupt nicht. Michi ist deine Sache und dabei sollten wir es belassen, okay? Ich bin in ein paar Stunden wieder da.“
„Wohin willst du denn?“, fragt er.
„Keine Ahnung. Irgendwohin, wo du grad nicht bist.“
Ich hab kaum die Tür hinter mir zugemacht, da würde ich mich am liebsten übergeben.
Über eine Stunde latsche ich wie blöde durch die Stadt. Mir ist kalt und meine Ohren schmerzen. Gott, was mache ich hier? Erst mal kaufe ich mir einen heißen Kaffee für unterwegs. Dann hocke ich mich in irgendeinem Park auf eine Bank und rufe Yoko an.
„Hey, Schatz“, meldet sie sich.
„Ich hab ihm gestern eine Torte gebacken, weil er Geburtstag hatte, wir haben miteinander geschlafen und dann hat er die Küche aufgeräumt. Und ihm fällt nix Besseres ein, als mich mit Michi vollzulabern“, platzt es aus mir heraus.
„Komm nach Hause, Schröder.“
„Ich kann nicht. Ich lieb ihn doch.“
„Was er offensichtlich nicht zu schätzen weiß.“
„Vielleicht erwarte ich einfach zu viel von ihm“, fällt mir ein.
„Wie bitte?“
„Naja, für mich ist es leicht. Ich hab schließlich keinen sabbernden Freund an der Backe, dessen Sätze aus zwei Wörtern bestehen.“
„Und deshalb darf er dir weh tun, wie er lustig ist? Sei mir nicht böse, aber momentan würde ich mich echt total gerne in die intrigante Bitch verwandeln, für die Ferdi mich hält.“
„Das hast du nicht wirklich vor, oder?“
„Nein. Schon alleine, um ihm zu zeigen, dass er in Sachen Menschenkenntnis und Vertrauen noch eine Menge zu lernen hat. Außerdem würdest du mich umbringen.“
Ah… mein Stichwort!
„Yoko, kann ich dir was anvertrauen?“
„Klar.“
„Und du versprichst, dass du mich danach immer noch liebst?“
„Ja, doch!“
„Mein Vater sitzt im Knast, weil er vor neun Jahren zwei Menschen erstochen hat.“
Sekundenlang ist es still. Sekundenlang schlägt mein Herz nicht mehr.
„Okay, ich… wow… wart mal, ich brauch jetzt eine Zigarette.“
„Ich wollte nur, dass du’s weißt. Weil du meine einzige richtige Freundin bist und… na ja, da erzählt man sich doch alles, oder?“
„Wenn du jetzt hier wärst, würd ich dich in den Arm nehmen.“
„Ehrlich?“, frage ich leise.
„Dann müsstest du mir die ganze Geschichte erzählen und ich würd dich dabei nicht eine Sekunde loslassen.“
„Danke, Meereskind. Es tut so gut, das zu hören.“
„Wir holen das nach… wann immer du willst, ja?“
„Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch, Schröder.“
Nach dem Telefonat hab ich eine Idee. Ich suche die Punks, die ich kennen gelernt habe, und frage Stöpsel, ob ich nächste Woche für einen Tag seinen Schuppen mieten darf.
„Wozu? Hast ein Mädel aufgerissen und keinen Platz zum Vögeln, oder was?“, grinst er.
„Ich stehe nicht auf Mädels und ich brauche den Schuppen für ein kleines Filmchen, das über mich gedreht wird.“
„Was’n für ein Filmchen?“
„Lange Geschichte. Dienstag, geht das klar?“
„Logo. Aber… mach keine Unordnung, ja?“, lacht er und erklärt mir genau, wie ich zu diesem komischen Schrottplatz komme, auf dem er in einer Bretterbude haust.
Okay, das wäre also schon mal erledigt.
Und weil Stöpsel so nett ist, kriegt er meinen Kaffee und eine Schachtel Kippen, worüber er sich mehr freut als Ferdi über eine selbstgebackene Torte.
Besonders eilig nach „Hause“ zu kommen hab ich’s nicht, aber mir ist arschkalt.
Ferdi sieht tatsächlich erleichtert aus… oder ich bilde mir das bloß ein, weil ich daran glauben will.
„Ich hatte ein bisschen Angst, dass du nicht…“
„Meine ganzen Klamotten sind hier“, erkläre ich.
„Ist das der einzige Grund?“
„Nenn mir einen weiteren.“
„Ich… lieb dich, kleiner Wassermann.“
Das ist wie bei Something Stupid… man hat die Worte so oft gehört, dass sie bedeutungslos geworden sind. Ausgelutscht und abgenutzt.
„Bist du dir sicher, Fuchseder? Weil ich nämlich den Eindruck habe, du sagst das nur, um mich hier zu behalten, damit du jeden Tag jemanden hast, dem du weh tun kannst. Wenn ich weg wäre, müsstest du dir dafür einen anderen Deppen suchen.“
„Wow… du hältst mich für eine Art gefühlloses Monster, ja?“, murmelt er entsetzt und beleidigt.
Alles, was ich von ihm jetzt bräuchte, wäre ein Kuss und eine Umarmung… aber selbst auf so etwas Simples kommt er nicht.
Was zum Teufel mache ich hier?!
„Pass auf, ich hab echt keine Lust zu streiten. Ich bin müde und mir ist kalt.“
Ferdi schlingt seine Arme um mich. „Komm her, ich wärm dich“, flüstert er.
Der Ausflug in die Kuscheligkeit ist von sehr kurzer Dauer. Die Nacht über schläft er nicht neben mir, sondern liegt auf der Couch. Samstag besucht er Michi und als er wieder da ist, hab ich die Schnauze so was von voll, das kann man sich nicht vorstellen.
I’m not a sucker…
„Ferdi, lass uns mal was besprechen, ja?“, bitte ich ihn.
„Okay.“
„Das mit uns… das funktioniert so nicht. Ich hab echt lange genug gehofft… ey, ich kann unsere Beziehung nicht alleine übernehmen, du musst mir da schon ein bisschen helfen.“
„Schröder, hast du eine Ahnung, was ich momentan alles um die Ohren habe? Ich muss eine Wohnung finden, überlegen, wo ich meine Sachen lasse, bis ich eine gefunden habe, mich um Michi kümmern, diese blöde Homestory steht an, ich weiß nicht, wie mein Leben überhaupt weitergehen soll und du willst ständig Aufmerksamkeit und bekuschelt werden.“
„Wenn es dir zu viel ist, dass ich hier bin, dann… sollte ich vielleicht… also möglicherweise brauchst du etwas Abstand.“
„Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee“, nickt er und hat damit soeben mein Todesurteil unterschrieben, denn DAS wollte ich natürlich auf keinen Fall von ihm hören. „Du müsstest dir eh ab Dienstag überlegen… weil ich doch bei Barbara bin…“
„Ich packe meine Klamotten zusammen.“
„Aber doch nicht sofort. Ich meine, du…“
„Kapierst du echt nicht, dass ich’s kaum aushalte, wenn du dich mir gegenüber wie ein Eiswürfel verhältst? Ja, ich weiß, du hast es wahnsinnig schwer… dein armer kranker Freund, auf dessen Genesung du heimlich hoffst, damit ihr bis in alle Ewigkeit glücklich zusammen leben könnt… und was kriegst du stattdessen? Einen Straßenköter, der andauernd Aufmerksamkeit haben will. Warum hast du mich vorgestern gefragt, ob ich dich noch liebe?
Als würde dich das interessieren. Seit du hier bist, ist nur noch Michi wichtig. Ich kann einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr, Ferdi.“
„Es tut mir leid“, murmelt er.
Ich ziehe Jacke und Schuhe an und schnappe meinen Rucksack. „Mach’s gut. Wir sehen uns ja wahrscheinlich spätestens in der WG.“
„Das ist doch bescheuert. Wo willst du denn bleiben?“
„Ich find schon was.“
„Und wenn nicht? Es ist total kalt draußen…“
„Bis irgendwann“, sage ich und gehe.
Die Entscheidung ist richtig. Auch wenn es sich anfühlt, als hätte mir jemand einen Schlag in den Magen versetzt.
Nachdem ich ein paar Schritte vom Haus weg bin, rufe ich Yoko an.
„Ich hab mich grad vom Fuchseder getrennt.“
„Herzlichen Glückwunsch. Bist du halbwegs okay?“
„Nein. Ich muss mir einen Platz zum Pennen suchen. Ich meld mich wieder, ja?“
Glücklicherweise fällt mir der Weg zum Schrottplatz ein und ich komme sogar an.
Stöpsels Bretterbude ist eigentlich ein Wellblechverschlag in einer kaputten Lagerhalle. Nicht unbedingt super geräumig.
„Sagtest du nicht Dienstag?“
„Könnte ich für ein paar Tage eventuell hier…“
„Naja, normalerweise nicht, aber… da du schon eine Eintrittskarte hast“, grinst er und nimmt mir den Pfirsichschnaps aus der Hand.
„Danke“, schnaufe ich erleichtert.
„Pack dein Zeug irgendwohin, wo man nicht drüber stolpert. Schlafsack haste dabei, ja?“
Ich nicke und verstaue meinen Rucksack in einer Ecke. Direkt neben einer alten Gitarre.
„Spielst du?“, frage ich und setze mich mit auf seine Matratze.
„Früher mal. Hatte eine Band, standen kurz vor einem Deal mit ’nem Major-Label. Aus uns hätte echt was werden können.“
„Was ist passiert?“
„Alkohol und Drogen. Hab lieber Party gemacht.“
„Verstehe.“
„Und du? Was ist das für ein Filmchen, das gedreht wird? Ist in den Medien mal wieder das Thema Straßenkinder angesagt?“
„Schlimmer. Ich bin in eine Castingshow reingeraten.“
„Ach du Scheiße“, lacht er. „Aber, was soll’s? Wenn du irgendwann Platten verkaufst und auf Tour gehst, interessiert es keine Sau mehr, wie du das geschafft hast, mh?“
„Kann sein.“
„Ich hab mit sechzehn angefangen, Musik zu machen. Wir haben vor drei Leuten gespielt und vor dreitausend. Es hat ungefähr zehn Jahre gedauert, bis der Plattenvertrag in Sicht kam. Wie alt bist du?“
„Neunzehn.“
„Da würde ich vielleicht auch so einen Weg wählen. Kommt halt drauf an, ob du mit deiner Musik Spaß haben UND Geld verdienen willst. Wie sieht’s aus? Lädst du mich auf’s Konzert ein? Der Laden ist bloß ein paar Straßen weiter.“
Die Band ist grandios schlecht. Und deswegen ist es geil. Endlich mal wieder viele Leute, Krach, zugeknallt sein und nicht einen Gedanken an den Fuchseder verschwenden!
Die nächsten Tage hänge ich also bei Stöpsel rum. Ist total cool, mit ihm zu quatschen, weil er ziemlich gescheit ist, nicht so hohl wie Albert und Konsorten. Ich meine, er weiß ganz genau, dass der Abstieg seine eigene Schuld ist, aber trotzdem ist er nicht wirklich verbittert oder so. Manchmal hilft er auf dem Schrottplatz aus und kriegt ein bisschen Geld dafür. Im Sommer setzt er sich mit seiner Gitarre irgendwo in die Fußgängerzone und kriegt ein bisschen Geld. Und er spielt echt verdammt gut. Ungefähr hundert Klassen besser als ich.
Dienstag kommt das Homestory-Drehteam, bestehend aus drei Leuten und Herrn Klein. Naserümpfend beäugen sie „meine“ Behausung.
„Du wohnst hier nicht wirklich, oder?“, fragt Herr Klein, der offenbar der Chef ist.
„Äh… doch.“
„Ich dachte, das Straßenkind-Zeug wäre eine erfundene Geschichte… so, um Mitleid zu erregen.“
„Ja, ist es aber nicht.“
„Okay, hier gibt’s ja nicht viel zu sehen. Also erzähl einfach ein bisschen was über dich… wie du hier gelandet bist und so. Und danach… ja, genau, danach zeigen wir dich beim Schnorren“, freut er sich über seinen coolen Einfall. „Und vielleicht mit ein paar anderen Punkern. Geht das?“
„Hab ich eine Wahl?“
„Nein.“
Ich sauge mir schnell was aus den Fingern. Dass ich mit meinen Eltern nicht klargekommen bin und seit drei Jahren halt auf der Straße lebe. Dass ich den Wunsch nach einem ungebundenen Leben höchstwahrscheinlich von meiner Oma, der Zigeunerin, geerbt habe und mich selbst als eine Art Lebenskünstler sehe. Und natürlich, dass mir die Musik alles bedeutet und ich unbedingt in die Megaband will. Dass DSDMB das Größte ist, was ich bis jetzt erlebt habe, dass ich im Workshop wahnsinnig viel gelernt hab und ich froh über die Chance bin, die man mir gegeben hat.
„Und was hält deine Freundin Yoko von deinem ungebundenen Leben?“, fragt der Klein.
„Äh…“
„Wir nehmen die Liebesgeschichte mit rein, so was kommt immer gut. Ihr seid doch noch verliebt, oder?“
„Klar. Und Yoko hat genauso einen Freiheitsdrang wie ich, deshalb führen wir momentan eine Fernbeziehung. Das hat den Vorteil, dass man sich nicht auf die Nerven geht, sondern die Zeit, die man gemeinsam verbringt, richtig genießen kann“, phantasiere ich mir zusammen.
„Wow… das hat Yoko auch gesagt. Habt ihr euch abgesprochen?“, zwinkert der Klein bescheuert.
Danach werde ich tatsächlich in der Fußgängerzone gefilmt. Aber nicht beim Schnorren, denn der Klein fand, dass das zu sehr wie Thomas Sonnenburg mit seinen Ausreißern wirken würde. Ich muss mich da mit der Gitarre hinsetzen und ein Liedchen singen... bei klirrender Kälte. Zum Schluss dürfen auch noch ein paar Punks in die Kamera grölen und Kommentare über mich abgeben.
„Der Schröder schafft es in die Band, weil er Talent hat und Durchhaltevermögen. Der gibt nie auf“, behauptet Stöpsel.
„Okay, das reicht“, beschließt Herr Klein, den ich für ein absolutes Bilderbucharschloch halte, „mal sehen, was wir daraus machen können.“
Zwei Tage später trampe ich nach Berlin zu Yoko.
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