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Feindkontakt
Teil 3
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Informationen
- Story: Feindkontakt
- Autor: Chelsea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Vorwort:
So... nach ungefähr tausend Jahren hab ich’s doch noch geschafft, eine Fortsetzung zu erfinden. Eine Fortsetzung, die gleich mit Sexualität und schmutzigen Wörtern losgeht. Ich kann durchaus schon verraten: es wird nicht besser! Trotzdem hat auch dieser Teil der Geschichte wieder ein paar sehr wichtige, pädagogisch wertvolle Aussagen. Wer die findet, darf mir schreiben und sich selbst danach mit einem kleinen Geschenk belohnen ;)
„Mhhh... ich liebe es, dich zu vögeln“, säuselt Noah hinter mir. In mir. Die Haut an meinem Nacken ist schon ganz wund, weil er seit Stunden da rumlutscht und knabbert. Überhaupt haben wir den gesamten verregneten Nachmittag nichts anderes gemacht als Sex in allen Variationen.
Träge ergebe ich mich Noahs Zärtlichkeiten. Dringend kommen müssen wir beide nicht. Das hier ist lediglich ein Gemütlichkeitsfick! Ich könnte auf der Stelle einschlafen, so unglaublich wohl fühle ich mich gerade. Total entspannt und warm und weich.
„Tims Blick... als ich gestern am Tor stand... wow. Ich hätte ‘n Foto machen sollen“, kichert er.
„Hast du mich deshalb abgeholt?“, frage ich ein wenig ärgerlich.
„Nee, ich hatte Sehnsucht nach dir. Aber ich dachte, es ist gut, wenn der Penner genau weiß, dass du mir gehörst und...“
Genervt rücke ich von ihm weg.
„Hey, wir sind noch nicht fertig!“
„Jetzt schon. Noah, ich hasse sowas, okay?! Tim weiß, dass wir zusammen sind. Zum Teufel, die ganze Schule weiß das! Es ist also nicht nötig, es irgendwem zu zeigen. Willst du vielleicht auch noch direkt vor Elisas Nase mit mir knutschen?“
„Wenn sie so eine kleine Ratte wär wie Tim, würd ich das auf jeden Fall.“
„Vorgestern fandst du Tim noch süß“, entgegne ich pissig.
„Nur weil er einen hübschen Schädel hat, heißt das nicht zwangsläufig, dass er auch was Vernünftiges drin hat. Der Typ ist ein Bilderbuch-Blödmann.“
„Mit dem ich aber zufällig befreundet bin.“
„Was traurig genug ist.“
„Wenn du mir jetzt auch noch meine Freunde aussuchen willst, kannste gleich mit meiner Mama zusammen Tee trinken.“
„Au weia“, giggelt Noah und zwickt meine Brustwarze, „da müsste ich mich ja benehmen. Und das fällt mir außerordentlich schwer, wenn du in der Nähe bist.“
„Verdammt, ich wollte grad mit dir streiten. Also hör gefälligst auf, an mir rumzufummeln, ja?“
„Okay.“
„Mann, du sollst doch nicht wirklich aufhören“, schnaufe ich, „du musst versuchen, mich rumzukriegen, Idiot.“
„Hab dich doch schon den ganzen Nachmittag rumgekriegt. Ich kann echt nicht mehr.“
„Ich muss eh gleich nach Hause“, erkläre ich und schmiege mich in seine Arme.
„Oh je. Was meinst du erwartet dich da?“
„Meine Mutter, die für ihren verkommenen Sohn betet.“
„Ist dir jetzt wirklich alles egal?“, fragt er.
„Was soll ich denn machen? Mir vor Angst in die Hose pissen? Mich geißeln, weil ich mit
Jungs ins Bett gehe?“
„Was soll’n der Plural?“
Ich klatsche ihm kurz mit der Hand gegen die Stirn. „Du weißt, was ich meine.“ Dann stehe ich auf und ziehe mich an. „Also... bis morgen. Wenn ich dann noch lebe.“
Oh wow... Im Wohnzimmer geht tierisch die Post ab. Mama und Papa diskutieren heftig. Über mich. Logisch. Mom behauptet grad, Paps würde ihre Erziehung untergraben.
„Bennie ist sechzehn. Natürlich möchte er ein paar Freiheiten. Wie alle Jungs. Ich verstehe dein Problem nicht“, sagt Paps sehr ruhig und bemerkenswert freundlich.
„Er macht, was er will, und hört überhaupt nicht mehr auf mich. Ich hatte ihn gebeten, nach der Schule nach Hause zu kommen. Und er? Treibt sich schon wieder rum. Genau wie du.“
„Es gibt auch momentan nicht besonders viele Gründe, nach Hause zu kommen.“
„Sag doch gleich, dass es an mir liegt. Dass ich Schuld bin...“
Uahhh... Ehekrise! Das muss ich mir nicht geben. Ich schleiche in mein Zimmer und rauche erstmal eine Zigarette. Paps hat sehr Recht. Es ist augenblicklich wirklich nicht besonders nett hier, und ich überlege, ob es überhaupt irgendwann mal anders, besser, war? Wahrscheinlich nicht. Nur, dass ich zu klein war, um es mitzukriegen. Als Kind nimmt man viele Sachen einfach als gegeben hin. Auch, wenn man weiß, dass sich die Eltern von Freunden anders verhalten, stellt man doch seine eigenen nicht in Frage. Ich fand den religiösen Fanatismus meiner Mutter immer normal. Und genauso normal war es, dass mein Vater sich verpisste, wann es nur ging. Das war bei uns halt so. Ich hab da nie drüber nachgedacht. Bis jetzt.
Es klopft leise an der Tür. Reflexartig will ich meine angerauchte Zigarette aus dem Fenster werfen, entscheide mich dann jedoch dagegen.
Paps kommt herein und blickt mich irritiert an.
„Seit wann rauchst du?“
„Weiß nicht.“
Er setzt sich zu mir auf die Fensterbank, klaut mir die Zigarette, nimmt einen Zug und schmeißt sie anschließend nach draußen.
„Du solltest den ungesunden Scheiß lassen. Bennie, wir müssen reden.“
Oha, was ganz Neues. Da bin ich aber mal gespannt.
„Also... was zum Teufel ist los hier?“
„Findest du die Frage nicht reichlich seltsam? Ich meine, dass du nicht weißt, was in deiner eigenen Familie vorgeht... das sagt doch eine Menge aus, oder?“
Er streicht sich durch die Haare.
„Vermutlich. Es ist ja nicht so, dass ich... denk nicht, dass ihr mir egal seid. Ich kann...“
„Paps, was willst du mir sagen? Dass du mit deiner Frau nicht mehr leben kannst? Das ist mir schon lange klar. Wollt ihr euch scheiden lassen?“
Er sieht fast ein bisschen erschrocken aus.
„Du fragst das so... so beiläufig. Hättest du überhaupt keine Probleme damit?“
Komisch, oder?
„Nein“, entgegne ich, „eigentlich nicht. Wenn ich der Grund bin, dass es noch nicht passiert ist... darüber braucht ihr euch jedenfalls keine Gedanken zu machen. Und diesen ‚Wir haben dich trotzdem lieb und sind immer für dich da‘-Blödsinn könnt ihr euch auch sparen. Ihr seid doch nie wirklich für mich dagewesen. Ich hab mich inzwischen dran gewöhnt.“
„Oh Mann“, seufzt er, „wir müssen ja verdammt miese Eltern gewesen sein.“
„Ja“, bestätige ich, „meistens schon.“
Ey, ich bin selber überrascht, wie klar ich das alles jetzt sehe. Eltern, die lediglich versorgen... wer braucht die, oder? Ich meine, was ist denn wichtig? Dass das Essen pünktlich auf dem Tisch steht und meine Hausaufgaben überwacht werden? Noah und seine Eltern beispielsweise gehen wahnsinnig liebevoll miteinander um. Sowas kenne ich nicht. Hier gibt’s nur die totale Kontrolle meiner Mutter und Paps‘ Ignoranz.
„Wir haben versucht...“, beginnt er, „auch wenn du’s vielleicht nicht glaubst, Bennie, ich hab dich lieb“, erklärt er leise, steht auf, küsst sanft mein Haar und geht.
Puh... das war aber echt sehr dick aufgetragen. Und peinlich dazu. Weil’s eben so ungewohnt ist. Ehrlich, mein Vater, der plötzlich den Softie raushängen lässt... das erzeugt bei mir eher unangenehmes Kopfhautkribbeln als heimelige Geborgenheitsgefühle.
Ich geh kaputt! Mom hat mit dem alten Pfarrer gesprochen. Ich sei in letzter Zeit so schwer zu bändigen, und ob er mir nicht mal ins Gewissen reden könne. Daraufhin hat der Alte mich eine Stunde lang zugetextet. So auf die verständnisvolle Tour. Schwieriges Alter, Pubertät, Abnabelungsprozess... Alles normal, aber meine arme Mama... Und wenn ich was auf der Seele hätte, er würde mir zuhören... blablabla. Ist der durchgedreht? Als würde ich mit einem Ratzinger-Verehrer mein Privatleben bequatschen!
„Ey, Schneider... Mann, siehst du fertig aus“, begrüßt mich Tim. „Dein Typ hat dich wohl ziemlich rangenommen, was?“
„Du warst auch schonmal witziger“, zische ich.
„Und du hast dich schonmal mehr um deine Freunde gekümmert. Ehrlich, du hängst ja nur noch mit dem Brechmittel ab.“
„Ohhh...“, stöhne ich genervt, „deine Eifersucht macht mich ganz wuschig. Pass auf, sonst falle ich noch über dich her.“
Tim schüttelt gequält lächelnd den Kopf. „Lass mal. Ich stehe nicht so auf von hinten.“
„Ach nein? Woher willst’n das wissen? Du hattest doch noch nie Sex. Weder so noch sonst wie.“
„Letzteres ist aber nicht meine Schuld. Sissi fühlt sich halt noch nicht danach.“
„Mädchen fühlen sich anscheinend nie danach“, erkläre ich schulterzuckend, „vielleicht würdest du bei einem Typen eher...“
„Willst du mich auf die dunkle Seite der Macht ziehen?“, unterbricht er mich grinsend. „Mich haben Schwänze noch nie nervös gemacht. Außer, wenn ich überlegt habe, ob meiner groß genug ist, was ich übrigens mit einem ‚Ja, ist er‘ beantworten kann, und ich hoffe inständig, es macht dich nicht scharf, wenn ich mit dir über sowas rede.“
Der hat wohl einen Anfall von Blödsinn.
„Ich versuche, mich zu beherrschen.“
„Das will ich dir auch geraten haben. Schneider, ich liebe dich für immer und ewig. Aber auf gänzlich unsexuelle Art.“
„Alles andere wäre auch irgendwie gruselig.“
„Okay, sagst du mir jetzt, was los ist?“
„Meine Eltern sind verblödet, die gesamte Schule starrt mich an als wäre ich ein Alien, und der Alte hat mich zugeschwallert, ich solle netter zu meiner Mama sein.“
„Du hast was vergessen.“
„Hä?“
„Elisa. Die Frau hasst dich, Schneider. Man darf nicht einmal deinen Namen erwähnen.“
„Vielen Dank“, schnaube ich und stopfe meine Hände in die Jackentaschen, „damit hast du mir den Tag versüßt. Echt, jetzt geht’s mir doch schon total viel besser.“
Tim greift nach meiner Schulter. „Ist er es wirklich wert?“
„Was meinst du?“
„Naja, die Sache ist zwar raus aber... ihr könnt euch trotzdem kaum irgendwo zusammen blicken lassen. Denkst du, seine Freunde werden dir ‘nen roten Teppich ausrollen? Und was glaubst du passiert, wenn du Hand in Hand mit deinem Schnuckelchen bei uns auftauchst? Nur, weil ihr beide auf verliebt macht, heißt das nicht, dass sich alle untereinander die Hände reichen und eine ‚Alles-ist-vergeben’-Party feiern.“
Wütend wische ich seine Hand von meiner Schulter.
„Ich hab die Schnauze voll von diesem Pseudo-Banden-Kack. Mann, wir sind doch hier nicht in der Bronx. Wem es nicht passt, dass Noah und ich zusammen sind, kann sich von mir aus verpissen.“
„Hey, ich hab mit der Scheiße doch auch nicht angefangen, und ich bin wohl der Letzte, der sich nicht freuen würde, wenn’s mal eine Zeit ohne Klopperei laufen würde. Okay, logisch, es hat verdammt viel Spaß gemacht, die Deppen zu verdreschen, aber naja, egal. Übrigens sind wir nachher am Internat. Könntest ja mal testen, wie dein neuer Freund so ankommt. Allerdings würde ich empfehlen, eure Romanze nicht ganz so zu demonstrieren. Schließlich wird deine Exfrau auch da sein.“
„Klingt nach einem netten Abend, was? Naja, mal sehen.“
Nach der Schule gehe ich wie gewöhnlich zu Noah. Und heute ist es mir vollkommen egal, ob mich jemand sieht. Kann es ja jetzt auch. Das wäre die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass mir das Gespräch mit Tim noch im Kopf herumgeistert. Was ist zum Beispiel, wenn Noahs Freunde tatsächlich ein Problem mit uns, mit mir, haben? Für die bin ich doch auch der Feind.
Und ich habe das sehr eigenartige Gefühl, die nehmen diesen Banden-Kack noch eine Ecke ernster als Tim es jemals getan hat. Immerhin wollte der noch nie mit Ketten und Messern auf die Deppen losgehen. Wahrscheinlich endet alles damit, dass wir uns gegenseitig abstechen. Nur, weil Noah und ich verliebt sind. Du meine Güte! Vielleicht sollten wir einfach zusammen durchbrennen?
„Hey“, Noah stupst mir in die Seite, „du bist seit zehn Minuten da, und ich hab noch nicht mal einen Kuss bekommen. Woran denkst du?“
„Daran, durchzubrennen.“
„Wie heißt der Typ? Ich schlag den sofort zu Brei“, entgegnet er finster. „Oder ist es eine Tussi? Der hau ich auch eine rein. Ich kenn da nix.“
Seufzend setze ich mich auf seinen Schoß.
„Der Typ heißt Noah und ich bin verrückt nach ihm.“
Aufreizend lässt er seine Fingernägel über meine Schenkel gleiten, während wir uns küssen.
„Also, woran du jetzt denkst, weiß ich ganz genau“, grinst er.
„Ja, aber lass uns das trotzdem verschieben.“
Noah blickt mich skeptisch an.
„Wieso?“
„Ich will mit dir rausgehen.“
„Echt? Wohin denn? Und so richtig als Freund und... äh... Freund? Ich darf deine Hand halten und dich anschmachten?“
„Yep. Alles“, nicke ich.
„Ohhh... ist das toll“, strahlt er. „Warte mal, was ist denn, wenn Elisa oder deine Mutter... ist das okay für dich?“
Ich zucke die Schultern.
„Wir sind schließlich zusammen, oder?“
Zehn Minuten später stehen wir vor seiner Haustür. Mann, ich bin plötzlich tierisch nervös. Nicht ängstlich nervös sondern... weiß nicht, so’n Kribbeln halt. Noah schaut auf unsere Hände, danach mich an. Ich schiebe lächelnd meine Hand in seine. Dann schlendern wir los.
Das Kribbeln wird stärker. Und wärmer. Mein gesamter Körper wird anscheinend gerade von totaler Glückseligkeit durchflutet. Wenn ich nicht genau sehen würde, dass meine Füße den Boden berühren, würde ich denken, ich schwebe. Noah grinst dümmlich vor sich hin. Ich glaube, er fühlt grad dasselbe. Dass uns die alte Haushaltsschrulle vom Pfarrer total entsetzt anstiert und meine Mutter (weil mit der Schrulle befreundet) spätestens in drei Sekunden erfahren wird, dass ich Händchen haltend mit einem Jungen durchs Dorf latsche, geht mir am Arsch vorbei. Die ist eh nur neidisch, weil sie ihre Liebe verheimlichen muss. Die Gute ist nämlich ganz arg klischeehaft in ihren Chef verschossen. Ich frage mich, ob die vielleicht eine Affäre hatten, von der keiner was weiß? Möglicherweise ist mein Verehrer, Pater Pubertät, aus einem ganz bestimmten Grund hierher gekommen? Vielleicht sind die drei ja eine richtige kleine Familie? Könnte das altersmäßig hinkommen? Die Schrulle und der Alte sind ungefähr hundert und der junge Kollege... mh, wäre durchaus denkbar. Klar, die sehen sich sogar ein bisschen ähnlich, wenn man drauf achtet. Geil! Ich habe soeben einen Skandal entdeckt! Wenn der Alte mich nochmal zufaseln will, wäre es wohl nicht schlecht, die ein oder andere Bemerkung fallen zu lassen, richtig? Das darf man machen, ohne dafür in der Hölle zu landen. Schließlich habe ich nicht vor, ihn beim Papst anzuzeigen, damit er exkommuniziert wird oder sowas. Ich möchte einfach nur Ruhe vor seinem Geschwaller.
„Wollen wir zum See?“, fragt Noah.
Ich schrecke aus meinen Gedanken.
„Äh... nein. Wir gehen zum Internat.“
„Findest du, das ist eine gute Idee?“
„Tim hat gesagt, wir sollen.“
„Das ist sicher eine Falle“, überlegt er. „Der Penner will mir doch nur in die Fresse hauen.“
„Ich werde dich mit meinem Leben verteidigen, wenn’s sein muss“, erkläre ich theatralisch.
Die Stimmung auf der Wiese vorm Internat scheint ziemlich gut zu sein. Das ändert sich ein bisschen, als die ersten paar Jungs und Mädchen uns sehen. Betretenes Schweigen und lauerndes Anglotzen. Nicht feindselig, sondern mehr hilflos oder überfordert. Einige tuscheln. Einige kichern unsicher. Breit grinsend kommt Tim auf uns zu.
„Hey, Schneider. Los, nimm dir was zu trinken und setz dich... äh... ich meine, euch... setzt euch.“
Er versucht’s wenigstens. Obwohl Tims Blick immer noch deutlich sagt: Ich hasse dich, du bist der Feind, und wenn Bennie nicht mein bester Freund wäre, würd ich dich killen!
Nach und nach begrüßen mich dann auch die anderen. Verhalten zwar, aber immerhin. Noah wird ignoriert, was mich ankotzt. Naja... vielleicht darf man einfach nicht zu schnell zu viel erwarten. Elisa konnte ich übrigens noch nicht entdecken. Hoffentlich bleibt sie heute ausnahmsweise mal weg.
„Okay“, beginnt Noah und klatscht sich kurz auf die Schenkel, „sollen wir die Party-People jetzt langsam mal ein bisschen schocken?“
„Hä?“
Er rückt ein Stück näher, legt seine Hand in meinen Nacken und küsst mich. Knutschen in der Öffentlichkeit... au weia, das... kickt total! Meine Hand hat sich völlig eigenmächtig unter Noahs Shirt geschlängelt und streichelt seinen Rücken. Leider werde ich rabiat angestoßen. Und zwar von Tim.
„Sag mal, kannst du dich noch an unser Gespräch erinnern? Ich sagte, nicht so demonstrativ, richtig? Also haltet eure Zungen im Zaum.“
Noah schlingt seine Arme um mich und legt sein Kinn auf meine Schulter.
„Schatz, würdest du Mr. Arschloch hier bitte sagen, dass ich meine Zunge in deinen Mund stecke, wann immer ich will!?“
„Hey“, zischt Tim, „mir ist es vollkommen egal, wohin du deine Zunge steckst, ja? Aber Elisa hockt dahinten und flennt sich die Augen aus dem Kopf. Und das ist mir nicht egal.“
Mir auch nicht. Ich befreie mich aus Noahs Armen.
„Man muss nicht gleich übertreiben, mh?“
Er nickt zerknirscht.
„Ich werd mal zu ihr rüber und... keine Ahnung. Sagen, dass es mir Leid tut.“
„Viel Erfolg. Ich versuche inzwischen eine intelligente Konversation mit Mr. Arschloch“, antwortet Noah.
Meine Exfreundin sitzt an Sissi gelehnt und... naja, weint. Verdammt, das macht’s noch schwieriger. Ihre Wut kann ich aushalten, aber ich mag nicht, dass sie so traurig ist.
„Hallo“, sage ich leise.
„Verpiss dich, Schwuchtel“, faucht Sissi.
Elisa hebt nur kurz den Kopf und starrt sofort wieder auf den Boden. Mit ihrem verheulten Gesicht sieht sie fast noch hübscher aus als sonst. Irgendwie... beschützenswert.
„Kannst du mal abhauen? Ich will mit Elisa reden.“
Sissi glotzt mich entrüstet an, aber Elisa nickt kaum merklich. Ich setze mich zu ihr und warte geduldig, bis sich ihre Busenfreundin entfernt hat.
„Es... es ist nicht, dass du Jungs lieber magst“, schniefelt sie drauflos, „also doch... das auch, aber... ausgerechnet mit Noah... verstehst du? Ich fühl mich so... scheiße, wir sind uns doch so nah gewesen, und du hast die ganze Zeit nur an ihn gedacht und... und er an dich. Ich war... ihr habt mich beide total verarscht. Warum? Was hab ich euch verdammt noch mal getan?“
Sie heult und zittert und wirkt dermaßen verzweifelt, dass ich sie vorsichtig in den Arm nehme.
„Es tut mir Leid“, murmele ich und drücke einen Kuss auf ihre blonden Locken. „Ich wollte dir niemals so wehtun, das musst du mir glauben.“
„Wie kann ich das?“, fragt sie, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hat. „Du hast es monatelang hinter meinem Rücken mit ihm getrieben. Ich hoffe, ihr habt euch ordentlich kaputtgelacht über mich dumme Gans.“
„So war’s nicht. Ich... Oh Mann, ich wusste doch überhaupt nicht, was ich für wen empfinden sollte.“
„Offensichtlich weißt du’s jetzt. Hast dein Schätzchen ja schon mitgebracht.“
„Ich will mich nicht mehr verstecken.“
„Und ich will mir nicht euer verliebtes Geturtel reinziehen“, erklärt sie und geht.
Okay, das Gespräch hätte schlimmer verlaufen können. Sie ist mir schonmal nicht an die Gurgel gesprungen.
Noahs und Tims Gurgeln scheinen ebenfalls unversehrt, als ich zu den beiden zurückkomme.
„Alles in Ordnung?“, fragt mein Süßer besorgt, worauf ich nur die Schultern zucke. „Muss ich mir Gedanken über eure Rumkuschelei machen?“
„Das war trösten, nicht kuscheln“, seufze ich. „Von dir brauche ich aber grad beides. Allein.“
Tim schüttelt sich übertrieben.
„Uaahh, da wird einem ja ganz schummrig. Wir sehen uns morgen, Schneider. War nett, mit dir zu plaudern, Noah, ich halte dich nach wie vor für ein Brechmittel.“
„Du mich auch, Arschloch“, säuselt Noah und haucht Tim einen Kuss zu.
„Bei euch ist wohl die große Liebe ausgebrochen, was?“
„Tja“, lächelt er und legt mir seinen Arm um die Schulter, „meinem unglaublichen Charme kann sich eben niemand entziehen.“
Ich hätte schwören können, dass meine Mutter mir eine Szene macht. Mich anbrüllt und versucht, mir meine sündigen (schwulen) Gedanken auszutreiben. Ich weiß, dass sie es weiß, denn sie redet nicht mehr mit mir. Also überhaupt nicht mehr. Nichtmal das Nötigste. Dafür sieht sie mich an. Und zwar so abgrundtief angeekelt, dass man es mit der Angst zu tun bekommt. Wären wir in Amerika, würde sie sicherlich mit weißer Zipfelmütze überm Schädel ein Holzkreuz vor meinem Fenster abfackeln. Klar tut es mir Leid, dass ich ihre schöne heile Welt zum Einsturz gebracht habe. Aber ihr verdammter Job ist es doch, mich zu verstehen, zu akzeptieren und lieb zu haben.
Sie schämt sich für mich. Und das ist etwas, für das ich null Verständnis aufbringen kann. Schließlich habe ich ihr ihren religiösen Wahn auch nie vorgeworfen, obwohl der nun wirklich kaum noch zu ertragen ist. Beten macht sie glücklich. Fein. Mich macht Noah glücklich. Wo ist das Problem?
Paps ist vermutlich von seinem Sentimentalitätsausflug zurück, denn er ist mal wieder abwesend. Nicht, dass ich wirklich gedacht hätte, er würde sich vielleicht doch ein bisschen mehr um mich kümmern wollen, weil er mich vielleicht doch ein kleines bisschen gern hat.
Beim Mittagessen mit Noah und seinen Eltern wird mir wieder einmal dringend klar, wie sehr ich mich nach einer intakten Familie sehne. Ehrlich, ich fühle mich total wohl hier, aber gleichzeitig muss ich ständig aufpassen, nicht vor lauter Rührung loszuflennen. Und ich bin wahnsinnig neidisch, weil Noah so tolle Eltern hat. Meine Familie kann man doch komplett in der Pfeife rauchen.
„Du, Noah“, beginne ich, als wir nach dem Essen in seinem Keller hocken, „wenn wir heiraten... darf ich dann bei euch leben?“
Er hebt überrascht eine Braue.
„Machst du mir einen Antrag?“
„Weiß nicht. Ja.“
„Darf man denn mit sechzehn schon heiraten? Ich meine, dürfen sich zwei sechzehnjährige Jungs heiraten?“
„Keine Ahnung. Aber ich will überhaupt nicht mehr nach Hause.“
„Ach so“, schnauft er, „du suchst nur eine neue Familie. Ich dachte schon, es ginge dir um mich.“
Dafür bekommt er erstmal eine leichte Kopfnuss. Ich bekomme eine ausgiebige Umarmung.
„Ich lieb dich, Noah“, murmle ich und kuschel mich an ihn.
„Ich dich auch. Muss wohl so sein, schließlich hab ich dir einen Kuchen gebacken.“
„Stimmt. Wann krieg ich denn den nächsten?“
„Mom hat mir verboten, nochmal so eine Schweinerei zu veranstalten“, giggelt er. „Allein die Tatsache, dass ich das Teil für dich gemacht habe, hat sie milde gestimmt. Aber vielleicht können wir ja zusammen...“
„Darf ich dich dann mit Teig vollschmieren und abschlecken?“
„Kommt drauf an, wo“, grinst er anzüglich.
„Mann, du bist vielleicht ekelhaft“, bemerke ich. „Glaubst du, ich brauche so eine doofe Ausrede, um deinen Schwanz zu lutschen?“
„Glücklicherweise nicht. Sonst müssten wir eine Bäckerei aufmachen. Ist es wohl eine Perversion, wenn man nur noch mit Kuchenteig kann?“
„Frag doch Frau Kallwass. Die weiß sicher sehr viel über Perversionen. Übrigens hab ich jetzt total Lust auf was Süßes.“
Noah lacht sich kaputt.
„Danke, dass du nicht gesagt hast ‚Ich hab jetzt Lust auf Sex‘. Dann würde ich mir nämlich echt Gedanken machen.“
„Naja... also scharf gemacht hat mich die Unterhaltung schon“, grinse ich.
„Au weia.“
Eine Weile später liegen wir auf seinem Bett, essen Schokoladenkekse und Gummitiere und zappen durchs Fernsehprogramm.
„Ahhhh...“, kreischt er plötzlich, sodass ich vor Schreck die Weingummitüte zerreiße und der Inhalt auf uns niederprasselt.
„Fuck you, bitch“, zische ich, nach den süßen Tierchen grapschend.
Noah lässt sich davon überhaupt nicht ablenken.
„Pippi Langstrumpf“, faselt er entzückt, „die find ich toll. Als Kind wollte ich immer so sein.“
Das kleine Gör behauptet gerade, diese komische Blume im Glas, die aufblüht, wenn man sie mit Wasser beschüttet, sei eine Schlangschlingschluppe. Oder Schlingschlangschluppe. Irgendwas in der Art.
„Du wolltest ein Mädchen sein?“, frage ich besorgt.
„Nein, du Schwachmat. Ich wollte so stark sein und ein Äffchen und ein Pferd haben. Und eine Villa Kunterbunt. Und einen Koffer voller Gold.“
Ich atme erleichtert aus und finde ihn gerade anbetungswürdig süß.
„Ach so.“
„Und einen Spunk“, kichert er.
„Glaub mir, Noah... den hast du auf jeden Fall. Einen ziemlich ausgeprägten, wenn du mich fragst.“
Er klaubt beiläufig ein rotes Weingummikrokodil unter seinem Rücken hervor und steckt es mir in den Mund.
„Wolltest du nie irgendwer aus’m Fernsehen sein?“
„Nee. Ich durfte nicht so schrecklich viel kucken. Meine Mama fand Fernsehen ungesund. Ich musste mir immer selber was ausdenken.“
„Was’n?“
„Piratengeschichten. Ich hab mir oft vorgestellt, dass mich so Leute entführen und zum Piraten ausbilden.“
„Bennie, der Fluch der Karibik“, lacht Noah. „Süß. Mh... Wie sahen deine Piraten denn aus?“
„Naja, so mit Ringelshirt, Kopftuch, Augenklappe und... Warte mal, ey, du Sau, ich war ganz klein. Da hab ich noch nicht schmutzig phantasiert“, schnaube ich und versetze ihm einen Stoß in die Rippen. „Das kam erst später.“
„Okaaay...?“
„Oh nein“, schüttele ich den Kopf, „vergiss es. Du lachst immer über meine Geschichten.“
„Aber nur, wenn pochende Ständer und Eier und so drin vorkommen.“ Er schmust seinen Kopf an meine Brust und drapiert meine Arme um seinen Körper. „Mhhhh... fertig.“
„Ein klitzekleines Kichern und ich höre sofort auf“, erkläre ich und kraule seinen Nacken.
„Also... Meine Eltern waren so arm, dass sie mich verkaufen mussten. Zuerst an einen...“
„Lass deine Phantasie-Kindheit weg und komm gleich zur Jugend“, unterbricht er mich.
„Meinetwegen. Mein letzter Besitzer bot mich also auf dem Sklavenmarkt an. Da stand ich auf dieser Holzbühne. Dreckig. Mit bloßem Oberkörper und abgewetzten Hosen, und alle begafften mich. Ein fetter Kerl mit verfaulten Zähnen hatte schon fast den Zuschlag bekommen, als ein verwegen aussehender Mann in schwarz plötzlich das Doppelte bot.“
„Wow... du bist in deinen Träumen also ein kleiner Luxusjunge, was?“
„Jedenfalls nahm der Typ mich mit auf sein Schiff. Ein Piratenschiff mit lauter dreckigen Piraten, und...“
Noah hebt seinen Kopf und schaut mich an. „Ey, was hast du denn immer mit Dreck?“
„Darf ich jetzt weiter erzählen?“
Er kuschelt sich wieder zurück.
„Danke. Es stellte sich logischerweise heraus, dass der Typ der Kapitän war. Leider war der aber nicht besonders nett. Zu seiner Mannschaft nicht und zu mir schonmal gar nicht. Ich war sein Sklave. Musste den Fußboden seiner Kabine schrubben, ihm das Essen bringen, seine Stiefel putzen und so weiter. Wenn er grad Lust dazu hatte, verpasste er mir auch schonmal eine Ohrfeige.“
„Autsch. Wird das eine Sadomaso-Story?“
„Nein. Obwohl er mich auch gerne mal in Ketten legte. Besonders nachts. Da musste ich dann neben seinem Bett auf dem Boden schlafen. Ohne Decke. Ohne alles. Aber einmal... weckte er mich ungewohnt sanft und legte mich auf sein Bett. Beinahe zärtlich strich er mir eine Haarsträhne aus der Stirn... Ich zitterte und fühlte die Erregung, als seine Finger über meine nackte Brust glitten...“
„Du phantasierst wie ein Mädchen, Bennie. Wann kommt denn endlich der pochende Ständer und wann verdammt noch mal spritzt er dir ins Gesicht?“, mault er.
Dass mein Freund anscheinend ein wenig abartig veranlagt ist, ignoriere ich für den Augenblick. Ins Gesicht spritzen... Bah, wo gibt’s denn sowas?
„Seine Lippen drückten sich auf meinen Mund, seine Zungenspitze stieß gegen meine und dann...“
„Was?“
„Hat er mich verführt“, flüstere ich in Noahs Ohr.
„Wie?“, stöhnt er gequält.
„Das zeige ich dir jetzt.“
Puh, mir ist doch tatsächlich sehr unwohl im Magen-Darm-Bereich. Noah und ich sind kurz vorm Ausgehen. Jugendzentrum... Das ist, wo wir Katholiken uns immer nicht hintrauen, weil Noahs Deppen da rumhängen. Ich würde viel lieber mit ihm zu Hause bleiben, darf jetzt allerdings nicht kneifen, weil Noah sich schließlich auch allein zu meinen Freunden gewagt hat. Schwächlich im Gebein ist mir aber noch aus einem anderen Grund: Noah sieht unfassbar gut aus. Zum sofort Anspringen sexy. Seine schwarzen Haare sind gestrubbelt und gezwirbelt, und Klamotten trägt der, mein lieber Schwan! Schwarze Cordhose mit Silbergürtel, ein neckisches Shirt, das manchmal ein bisschen nach oben rutscht, und um seine nackten Oberarme hat er so schmale schwarze Bänder geschlungen... Wow, mir wird schwindlig. Seine grünen Augen sind schwarz umrandet. Wusste gar nicht, dass mein Freund so gruftig ist.
„Ich wusste gar nicht, dass du so gruftig bist“, bemerke ich. „Seit wann schminkst du dich?“
„Hab ab und zu einfach Bock drauf. Gefällt’s dir nicht?“
HAHAHAHAHA!!!
Ich bin heute genau zum zweiten Mal im Jugendzentrum. Letztes Jahr war ich hier mit Tim, weil eine Band aus der Stadt spielte, die wir unbedingt sehen wollten, und... naja, es gab hinterher sehr viel Ärger und ein blaues Auge. Es ist also durchaus logisch, dass ich mir Sorgen mache. Allerdings hab ich heute Noah an meiner Seite, und der lässt sicher nicht zu, dass mir Schlimmes passiert. Vielleicht sind die Deppen auch doch ganz nett, wer weiß?
Der Schuppen sieht jedenfalls noch so aus wie letztes Mal. Eine Theke, ein Kicker, ein paar zerschlissene Polstermöbel. Dahinter eine Minidisco. Im Keller gibt’s kostenlos Proberäume, und in den Zimmern oben fanden früher so beknackte Workshops statt. Ich glaube, die wurden eingestellt, weil da kein Arsch hingegangen ist. Wer auch? Die Deppen hängen in der Disco oder im Keller, und andere Leute trauen sich nicht her.
Es ist relativ voll. Ich erkenne einige Deppen. Zum Beispiel den, der mich beim letzten Kampf so nett getreten hat. Unwillkürlich ducke ich mich.
„Ich geh kurz aufs Klo“, erklärt Noah und verschwindet.
Typisch. Der wieder mit seiner schwachen Blase. Werde ihn nachher gnadenlos damit aufziehen.
Erstmal muss ich aber etwas ins Schwitzen geraten, weil ich mich grad allein auf feindlichem Terrain befinde. Vielleicht erkennt mich ja keiner? Allerdings hab ich den tretenden Blödmann auch sofort erkannt. Au weia. Wie lange will Noah denn noch pinkeln? Der ist doch schon seit Stunden weg. Das kommt alles vom vielen Tee trinken, würde meine Mutter jetzt sagen. Tee fördert den Harndrang. Danke, Mama. Das hilft mir leider nicht weiter.
Ins Düstere, jawohl. In der schummrigen Discobeleuchtung falle ich sicher nicht auf. Möglicherweise haben die sogar eine Nebelmaschine. Das wäre noch günstiger.
Mit gesenktem Haupt remple ich mich durch die Gestalten, hinein in die Tanzräumlichkeit. Leider ist die Musik zwar laut, aber nicht so, dass ich den überraschten „Hey!“-Ruf hätte überhören können. Naja, hey... da muss nicht unbedingt ich gemeint sein.
„Was will der denn hier?“
Ich fühle mich offiziell noch immer nicht angesprochen. Allerdings ändert sich das rasch, als der Blödmann mir genau in die Visage kuckt und hinter ihm noch mindestens sechs oder sieben andere Spießgesellen auftauchen, die nicht sehr freundlich aussehen. Die Deppen bilden einen Kreis um mich. Einen Deppenkreis, denke ich unangebracht und muss fast lachen. Jetzt bloß nicht hysterisch werden!
„Hast du das Schild draußen nicht gelesen? Kein Zutritt für Hosenpisser“, bölkt der Blödmann, worauf alle lachen. Er schüttelt übertrieben den Kopf. „Ich fasse es nicht, du traust dich echt hierher. Was meint ihr“, er schaut in die Runde, „sollten wir dem Bengel nicht eine Lektion erteilen? Er muss doch lernen, dass er nicht so einfach hier auftauchen darf. Ich meine, wo kämen wir denn da hin?“
Die anderen nicken, kichern und funkeln gefährlich mit den Augen. Ich sehe mich bereits tot und blutüberströmt am Boden liegen.
Die Deppen kommen auf mich zu, der Kreis wird immer enger, sie schubsen mich ein bisschen herum, ich bete leise und plötzlich...
„EY! Hört sofort auf mit dem Scheiß!“
Noah!!!
„Hä?“, macht der Blödmann.
Mein anbetungswürdiger Freund stößt einen Deppenkumpan zur Seite und legt seinen Arm um mich.
„Niemand fasst meinen Süßen an, verstanden?“, sagt er sehr ruhig und sehr deutlich.
„Seit wann schleppst’n du einfach so ’ne Katholikenschwuchtel hier an?“, fragt der Blödmann böse.
„Seit wann muss ich dich kleinen Pisser um Erlaubnis fragen?“, entgegnet Noah und schlingt auch noch den anderen Arm um mich. „Ist noch gar nicht so lange her, da hab ich dich hier angeschleppt. Bennie gehört zu mir... Hat jemand von euch Vollidioten ein Problem damit?“
Betretenes Schweigen.
Noahs Gesicht hellt sich auf.
„Schön, das dachte ich auch nicht und jetzt... geht spielen.“
Ich gehe kaputt... Die machen das wirklich! Der gesamte Deppenpulk verschwindet langsam. Wie hab ich denn das jetzt zu verstehen? Ist mein Freund etwa heimlich sowas wie ein Gang-Chef? Ach du Schreck! Wie abgefuckt cool der war. Wenn ich nicht zittern würde wie verdammtes Espenlaub, würde ich Noah augenblicklich in Grund und Boden knutschen. Ihm vielleicht ein bisschen in die Hose fassen und... Äh, nee, das ist ein sehr unpassender Moment für erotische Phantasien!
„Meine Güte“, japse ich, „wie lange musstest du denn pinkeln?“
„Sorry, der Tee... Alles in Ordnung?“ Er streicht mir beruhigend über die Wange.
„Ich nehme stark an, du hattest deinen Freunden noch nicht von uns erzählt, oder?“
„Ach Bennie... Das sind doch nicht meine Freunde. Das sind nur so Typen, mit denen ich manchmal rumhänge.“
„Ihr trefft euch wohl nur, um uns zu verkloppen, was?“
Er zuckt die Schultern.
„So ungefähr.“ Plötzlich hält er einen vorbeilaufenden Jungen fest. „Das da ist ein Freund von mir“, grinst er.
Der Junge hat einen rasierten Schädel. Aber nicht kahl. Mehr so... raspelkurz mit langen Ponysträhnen. Teilweise geflochten. Teilweise angedeutete Dreads. Bunt. Mit Perlen drin.
„Hi, Winter“, kiekst er und schmatzt ihm einen Kuss mitten auf die Stirn.
„Du dumme Sau“, bölkt Noah und reibt sich schwarzen Lippenstift von der Haut.
Könnte mir das mal jemand erklären?
„Das ist Blix. Blix, das ist Bennie.“
„Dein heimlicher Fick? Oh... Wie reizend, dich kennenzulernen“, flötet diese Blix-Type und schüttelt meine schlaffe Hand.
„Bennie ist mein Freund, du Arsch!“, regt sich Noah auf.
„Was auch immer. Hast du Lydia gesehen? Oder Florian?“ Schwupps ist er auch schon wieder weg.
„Würdest du mir bitte ein Fass Bier besorgen? Ich möchte mich jetzt gerne voll laufen lassen“, sage ich finster, worauf Noah mich stirnrunzelnd anblickt. „Was war das denn eben?“, füge ich hinzu.
Er zieht mich in seine Arme.
„Bist du eifersüchtig? Auf Blix? Total unnötig. Erstens hat der schon einen Freund, zweitens hat er auch eine Freundin und drittens, und das ist das Wichtigste, liebe ich sowieso nur dich. Alles klar?“
Ich nicke wirr und würde mich trotzdem schrecklich gerne betrinken.
Nach zwei Flaschen Desperados ist mir angenehm warm. Keine Ahnung, warum grad dieses Zeug so reinhaut. Härtere Sachen vertrage ich eindeutig besser, was nicht heißen soll, dass ich ständig Jack Daniel‘s und so saufe. Jedenfalls sitze ich eng an Noah geschmiegt auf einer abgefuckten Couch, hab Blödmänner und Deppen vollkommen vergessen und finde Noahs Oberarm plötzlich irre sexy. Fest ist er, allerdings nicht ekelhaft muskulös, und die Haut ist babyweich. Schwer zu beschreiben, aber fühlt sich unheimlich gut an. Ich schiebe meinen Zeigefinger unter das seidige Band und reibe meine Wange daran. Die Finger meiner anderen Hand streicheln seine Armbeuge. Irgendwie ist das noch zu wenig. Verstohlen schiele ich in sämtliche Richtungen und... berühre mit der Zungenspitze kurz seine Haut. Hat keiner gesehen, oder? Also nochmal. Und nochmal. Das Lecken geht langsam in küssen und knabbern über. Ich werd bekloppt... Macht mich das scharf!
„Bennie, was treibst du da?“, will Noah wissen.
„Mhhhhh...“, schmatze ich, „du hast so tolle Arme.“
Er tätschelt grinsend meinen Kopf. „Du bist betrunken, oder?“
„Ein bisschen“, strahle ich.
„Und geil.“
Ich nicke und strahle immer noch.
Noah kichert süß. „Aber hier können wir nicht...“
Ja nee, das stimmt wohl. Dabei will ich so dringend. Verdammter Mist. Ich überlege noch, dass wir vielleicht mal checken könnten, ob oben einer der Räume auf ist, da erscheint die Blix-Type auf der Bildfläche. Und zwar nicht allein. An der einen Hand ein Junge, der wie ein Mädchen aussieht, an der anderen Hand ein richtiges Mädchen mit geflochtenen Zöpfen, Ring in der Lippe und kurzem, rosa Flatterkleidchen.
„Das sind Florian und Lydia“, wispert Noah mir ins Ohr.
„Ich will dich vögeln“, wispere ich zurück, worauf er mich gequält ansieht.
Das Dreiergespann lässt sich neben uns nieder und beginnt, lustig zu faseln. Noah faselt mit. Ich lutsche derweil an seinem Hals und mache mich an seiner einen Brustwarze zu schaffen.
„Sag mal, Winter... Lässt du deinen Süßen verhungern, oder was? Mann, der is ja echt mega scharf.“
„Bennie, hör mal auf damit“, zischt Noah genervt und flitscht meine Hand weg.
Schmollend setze ich mich gesittet hin und nuckle an meinem Bier.
„Geht das bei euch immer so ab?“, fragt Blix fassungslos.
„Tu doch nicht so, als wäre das bei euch anders“, antwortet Noah mir roten Wangen.
„Immerhin warten wir bis wir allein sind. Okay, egal. Mal was anderes...Martin ist total angepisst. Solltest ‘n bisschen aufpassen, ja?“
„Der soll sich ins Knie ficken.“
„Genau“, stimme ich zu. „Wer ist Martin?“
„Der Typ, der dich angemacht hat“, erklärt Noah.
Mit einem Schlag bin ich wieder nüchtern.
„Der Blödmann“, murmle ich. „Scheiße... Wie spät ist es? Mann, ich muss morgen in die Kirche.“
Drei Augenpaare starren mich an.
„Kein Wort“, warnt Noah.
„Ich hab nix gesagt“, giggelt Blix. „Bennie, bist du zufällig Messdiener?“
„Nee. Aber ich singe ihm Chor.“
Lydia flüstert ihm was zu. Ein Grinsen erscheint auf seinem Gesicht.
„Gehst du auf die...“
„Ja, geht er“, schnauft Noah. „Und, ja, er trägt sowas.“
Ich hab irgendwie den Faden verloren.
„Schuluniform“, prustet Blix, worauf die anderen beiden sehr laut lachen.
„Ihr seid doch total bescheuert“, behauptet mein Freund.
Ah, der Faden ist wieder da.
„Babe“, ich streiche ihm über die Wange, „deine Neigung muss dir nicht peinlich sein.“
Noah verdreht die Augen. „Vielen Dank, Teigfetischist.“
„Hey, jetzt wird’s spannend“, grinst Florian.
„Oder abartig“, entgegnet Blix.
„Können wir bitte gehen?“, frage ich Noah leise und werfe ihm einen Schmachtblick zu.
Er nickt.
Ich hocke auf seinem Bett und knabbere an einem Schokokeks.
„Du, sag mal... Blix, ist das der Typ, mit dem du zum ersten Mal rumgemacht hast?“
„Nee. Das ist Florian.“
Ich bereue zutiefst, dass ich mir den nicht etwas genauer angeschaut habe. Weiß nur noch, dass der irgendwie so’n gruftiges Mädchen-Outfit trug.
„Blix hat mich eigentlich nie sexuell interessiert“, fügt er hinzu.
„Und warum... ich meine...“
„Weil Florian sich irgendwann sehr sexuell für Blix interessierte. Hatte keinen Bock auf Dreierkiste. Und dann kam auch noch Lydia dazu.“
Meine Güte!
„Die machen’s echt zu dritt?“
Er nickt. „Ja. Alles.“
„Wow. Gibt’s da keine Eifersucht?“
„Glaub nicht.“ Noah hat inzwischen die Armbänder abgenommen und sein Shirt ausgezogen.
„Ich wäre total eifersüchtig, wenn dich jemand anders begrapschen würde.“
Langsam kommt er zu mir rübergeschlendert, drückt mich sanft auf die Matratze und küsst mich auf den Mund.
„Mhhh... du schmeckst nach Schokolade“, lächelt er.
Sonntagmorgen. Die Glocken bimmeln dringlich. Mann, beinahe hätte ich‘s nicht mehr geschafft, weil Noah und ich total verpennt haben. Drinnen sitzen schon alle und warten, dass es losgeht. Grad will ich durch die weit geöffnete Kirchentüre eilen, da renne ich meiner Mutter über den Weg. Wieso ist die denn überhaupt so spät dran?
„Du... du wagst es“, zetert sie auch sofort los. „Hast dich wieder rumgetrieben, ja? Bei deinem... deinem...“
„Freund, Mama. Das Wort dafür ist Freund.“
„Wie kannst du nur sowas Schmutziges tun? Aus seinem Bett steigen und hierher kommen? Ins Hause Gottes! Hast du gar keinen Anstand mehr, Junge?“
„Ich liebe Noah. Das ist nichts, wofür ich mich schämen müsste.“
Sie sieht mich an, als sei ich ein ekliges Tier mit mindestens sechs Beinen, das man unbedingt zerquetschen müsste.
„Denkst du gar nicht an mich? Was für eine Schande das ist. Ihr Sohn, Frau Schneider, wurde mit einem Jungen gesehen. Ihr Sohn, Frau Schneider, hat die Hand dieses Jungen gehalten. Wie ein verliebtes Pärchen stolzierten sie durchs Dorf, Frau Schneider. Nein nein, sage ich, das kann nicht sein. Mein Sohn ist anständig. Der hat eine Freundin. Ein nettes Mädchen, die Elisa.“
„Wir haben Schluss gemacht“, setze ich sie in Kenntnis, obwohl es sie eigentlich nichts angeht, „weil ich mich in Noah verliebt habe.“
„Ich verbiete dir, diesen Jungen wiederzusehen, Benjamin.“
Ja, klar!
„Mom... Findest du nicht, dass du dir ein bisschen zuviel rausnimmst?“ Geil, dass mir dieser beknackte Elternspruch eingefallen ist, oder? „Ich lasse mir von dir nicht meine Freunde aussuchen.“
„Und ich lasse nicht zu, dass du mit...“
„Was?“, unterbreche ich sie. „Dass ich mit Noah schlafe?“
Bums... Oder besser gesagt: Klatsch! Da hat sie mir eine gescheuert. Ganz öffentlich. In der Kirche. Neben dem Weihwasserbecken. Und mit ihrer Hand auf meiner Wange bollert die Orgel los. Besser kriegt ein Film das auch nicht hin.
„Du wirst hier nicht so sprechen“, warnt sie und geht, ohne sich nochmal umzudrehen, auf ihren Platz.
Ich gehe ebenfalls. Und zwar zum See. Das Gequatsche über Gott, der alle seine Kinder liebt, kann ich mir jetzt echt nicht ziehen.
Es ist angenehm warm für Mitte Oktober. Die Morgensonne zaubert ein Glitzern auf die sich sanft bewegende Wasseroberfläche. Schön kann ich das finden, aber leider nicht wirklich genießen. Mensch, was soll denn bloß aus allem werden? Ich meine, Mom ist doch offensichtlich durchgedreht. Was, wenn die mich heimlich außer Landes schafft, um sicher zu gehen, dass ich Noahs homoerotischen Avancen entrinne? Inzwischen ist der ja alles zuzutrauen. Immerhin hat sie mir auf göttlichem Boden eine Ohrfeige verpasst. Das Schlimme ist: die Leute, die das mitbekommen haben, werden ihr Recht geben! Dem Sohn die abartige Neigung austreiben, da darf man auch schonmal handgreiflich werden.
Schließlich will man ihn nur vor dem Bösen bewahren. Züchtigung im Namen des Herrn ist durchaus legitim. Sicher wird man nach dem Gottesdienst sofort den Scheiterhaufen für mich und Noah errichten. Möglicherweise werden wir zusätzlich noch ein bisschen geteert und gefedert. Gesteinigt. Oder gefesselt in den See geschmissen. Allerdings sind wir keine Hexen, aber leider einige Leute hier gedanklich noch im Mittelalter anzusiedeln. Was stand denn früher auf Sodomie? Genau. Todesstrafe! Meine Tage sind also gezählt. Noahs ebenfalls. Schon allein, weil er kein Kirchgänger ist. Ob unser Fall dann wenigstens auf die erste Seite der Bild-Zeitung kommt?
Homo-Liebespaar von wahnsinnigen Dorfbewohnern auf Scheiterhaufen verbrannt... Mutter hielt das Streichholz...
Während ich in Gedanken bereits die Flammen spüre, die meinen Körper umzüngeln, fühle ich sehr real eine Hand auf meiner. Erschrocken drehe ich meinen Schädel. Elisa sitzt neben mir.
„Ich hab gesehen, was vorhin in der Kirche... Bennie, ich hab’s deiner Mutter nicht gesagt.“
„Ich weiß.“
Sie senkt bedröppelt den Kopf.
„Ich wollte... aber dann... ich hab dich doch immer noch gern.“
„Ich dich doch auch“, antworte ich und meine das wirklich ernst. Elisa ist meine absolute Traumfrau. Wenn Noah nicht wäre...
Ein scheues Lächeln huscht über ihr hübsches Puppengesicht. „Wirklich?“
„Na klar.“
„Du fehlst mir so“, flüstert sie und wirft sich plötzlich in meine Arme.
Vorsichtig streiche ich ihr über den Rücken. Dass ihr niedlicher kleiner Busen gegen meine Brust drückt... mh, das sollte ich wohl vielleicht nicht ganz so angenehm finden, oder? Auch der leichte Pfirsichduft, der ihren blonden Locken entsteigt, und ihre weiche Haut... Oh Mann!
„Und wenn... also ich würde... wenn die Sache mit Noah nur ein Ausrutscher war... ich meine, du und ich, wir haben doch... naja, es hat dir gefallen, glaube ich, und deshalb kannst du eigentlich gar nicht richtig...“
Holla! Ich muss ihre Hoffnung gleich zunichte machen.
„Ich liebe Noah, und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Tut mir Leid“, erkläre ich und will sie von mir schieben, doch sie drängelt sich regelrecht an mich. Ihre Hände versuchen, unter mein Shirt zu gelangen.
„Als ich mit dir schlafen wollte... Du warst scharf auf mich, oder? Und ich bin ein Mädchen, also bist du doch...“ Sie knabbert an meinem Ohr, während sich ihre Hand an meinem Reißverschluss zu schaffen macht.
Einen kurzen Moment bin ich geneigt, sie einfach machen zu lassen. Ihre Lippen streifen meine Wange, finden meinen Mund. Ihre Zunge... Jetzt schubse ich sie aber doch energisch weg.
„Elisa, es spielt keine Rolle, WAS ich bin. Die Tatsache, dass ich Sex mit dir haben könnte, ändert nichts an meinen Gefühlen.“
Ihre Veilchenaugen füllen sich mit Tränen.
„Ich verstehe das nicht“, heult sie.
Also noch deutlicher.
„Dass ich mit dir schlafen kann heißt nicht, dass ich es auch will. Ich... liebe... Noah.“
Es ist ekelhaft, sie zum Weinen zu bringen, und ich kann sie noch nicht einmal tröstend in den Arm nehmen, weil sie das sonst vielleicht wieder missversteht.
„Was soll ich denn jetzt machen? Euch beiden viel Glück wünschen?“, lächelt sie tapfer.
„Es würde mir reichen zu wissen, dass wir irgendwann wieder Freunde sein können.“
„Freunde, mh?“, schniefelt sie. „Abgedroschener geht’s wohl nicht?“
Ich zucke die Schultern und weiß auch nicht, was ich sonst sagen soll.
Als ich mittags nach Hause komme ist mir übel. Und das liegt nicht allein am ekligen Essensgeruch, der mir schon auf der Treppe in die Nüstern stieg. Ich rechne mal wieder mit dem absolut Schlimmsten, schleiche durch die Wohnung, spähe ins Esszimmer... Oh wow, Mama und Papa sitzen schweigend über ihre Kartoffeln-Soße-Gemüse-Fleisch-Teller gebeugt. Das heißt, Mom sitzt selbstverständlich nicht gebeugt sondern kerzengerade wie sich das gehört. Ihr Gesichtsausdruck ist immer noch eisig und wird lediglich durch Kaubewegungen gelockert... Ein wenig. Paps schlingt, als wolle er bloß schnell fertig werden, damit er seiner Frau entfliehen kann. Die Uhr im Wohnzimmer tickt bis hierher. Neben dem Besteck-auf-Teller-Geschabe das einzige Geräusch. In der Ecke glotzt ein Holzjesus am Kreuz leidend auf die Szene herab. Guten Appetit!
Ich verziehe mich mit leicht knurrendem Magen in mein Zimmer.
„Benjamin, bis du das?“, ruft Mom.
„Ja“, rufe ich zurück.
Eine Minute später kommt Paps herein. Scheiße, noch ein Gespräch mit Superdad kann ich jetzt echt nicht brauchen.
„Willst du nichts essen?“
„Mit dir, Mama und Jesus Christus? Nein, danke. Übrigens... Was machst du hier?“
Er setzt sich zu mir aufs Bett.
„Deine Mutter...“, er schüttelt den Kopf, „du weißt, wie sie ist. Sie will bestimmt nichts Böses. Es ist nunmal ihr Glaube und...“
„Klartext, bitte, Paps“, fordere ich genervt.
„Du hast einen... Freund?“
„Ja, mehrere.“
Umständlich kramt er aus seiner Tasche ein Päckchen Zigaretten hervor und zündet eine an.
„Ich meine, du bist mit einem Jungen zusammen.“
„Wenn ich ja sage... scheuerst du mir dann auch eine?“
„Unsinn. Es ist mir vollkommen egal...“
Logisch. Was anderes hätte ich auch gar nicht erwartet.
„...ob du schwul bist oder grad nur eine Phase durchmachst. Weißt du, in deinem Alter... da ist es ganz normal... also Jungs probieren schonmal mit anderen Jungs was aus und... äh, das bedeutet nicht, dass...“
„Paps, erspar uns diese Peinlichkeit, ja? Ich bin bereits aufgeklärt.“
Mir ist so, als würde er sehr erleichtert ausatmen.
„Ich wollte sagen, solange er dich anständig behandelt, ist es in Ordnung. Er...“
„Noah.“
Paps nickt. „Noah drängt dich doch hoffentlich nicht zu irgendwelchen Sachen?“
„Nein, ich schlafe ganz freiwillig mit ihm. Und zwar sehr gerne.“
„So genau muss ich das nicht wissen, oder?“, lächelt er verlegen. „Ich wollte nur sicher gehen, weil deine Mutter der Meinung ist... naja. Übrigens habe ich ihr meine Meinung über die Ohrfeige unmissverständlich klargemacht. Glaub mir, Bennie, das wird nicht nochmal vorkommen.“
„Was ist mit ihrem Verbot? Sie will mir verbieten, Noah zu sehen.“
„Wie ich dich kenne hältst du dich eh nicht dran, egal, was irgendwer von uns sagt, stimmt’s?“
Ich zucke die Schultern.
„Es wäre nur ganz gut, wenn du nicht so öffentlich...“
„Ich werde mich nicht verstecken“, unterbreche ich ihn entrüstet.
„Sollst du auch nicht. Nur ist es nicht nötig, ihr auf die Nase zu binden, was du mit Noah treibst, okay? Und halte dich ein bisschen an ihre Regeln. Bleib nicht einfach über Nacht weg, ohne was zu sagen. Und wenn du Schule hast, schläfst du sowieso nicht auswärts, ja?“
Irgendwie ist das alles ein riesiger Haufen Scheiße. Mom verbietet, Paps erlaubt. Und ich? Ich drehe langsam durch. Der macht es sich vielleicht einfach mit seinem Kack-Verständnis. Er muss sich ja nicht Tag für Tag mit der Irren im Esszimmer rumschlagen. Er sagt: Geh, fick Noah. Welchen Terror ich mitmache, wenn ich nach Hause komme, kümmert ihn einen verdammten Dreck.
„Also, ich muss los. Bis bald, mein Sohn.“
Fassungslos blicke ich ihm nach. Der ist genauso beknackt wie seine Frau!
Bei Noah zu sein ist immer ein bisschen wie Urlaub von der Klapsmühle, die sich Zuhause nennt. Eigentlich wollte ich den Chor heute ausfallen lassen, weil ich starke Sehnsucht nach meinem Freund hatte, aber dann hab ich mich nicht getraut. Gibt schon genug Stress mit der verrückten Mutter. Noahs Mutter jedenfalls ist superlieb. Die hat mir sofort was zu essen gemacht, gefragt, wie’s mir geht und sich gesorgt, weil ich so schrecklich blass bin. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Noah und seine Eltern auch manchmal streiten. Ist aber so. Als Noah einmal mitten in der Nacht stinkbesoffen nach Hause kam, gab’s am nächsten Tag eine fiese Standpauke von Papa Winter, die mit der Drohung endete, dass Noah, sollte es nochmal so einen Zwischenfall geben, seine vielen Freiheiten verlieren würde. Seinen Keller, sein Schlagzeug, das Ausgehen an den Wochenenden... Einfach alles. Bei Alkohol und Drogen versteht das Ehepaar Winter keinerlei Spaß. Ein, zwei Bier auf einer Party lassen sie grad noch so durchgehen. Das können sie ja auch kaum kontrollieren. Sternhagelvoll rumtorkeln und in den Vorgarten kotzen, das ist bei Noah danach nie wieder vorgekommen.
„Hey, du bist so still, was’n los?“, fragt Noah beunruhigt.
„Ich will nicht darüber reden... Ich kann grad nicht. Halt mich einfach nur fest, ja?“, murmle ich und schmuse mich in seine Arme.
„Klar“, seufzt er. Seine Hand wuschelt zärtlich meinen Schopf.
Noahs Haut duftet schwach nach Vanille. Und ein kleines bisschen nach Sommer. Ich bin völlig betört, reibe meine Nase an seinem Hals und schnüffle wie bekloppt.
„Ist irgendwas passiert?“
„Meine Mutter hat mir in der Kirche eine geschallert.“
„Ach du Scheiße. Wieso denn das?“
„Warum wohl? Noah... das ist noch nicht alles. Ich hab Elisa getroffen. Wir haben uns unterhalten und... naja, ich hab sie geküsst. Das heißt, eigentlich hat sie mich geküsst. Und ich fand das... irgendwie nett.“
Er rückt ein Stück von mir weg. „Okay?“
Ich erzähle ihm, was sich zugetragen hat. Noah sieht nicht besonders erfreut aus.
„Also willst du doch noch was von ihr?“
„Nee.“
„Aber?“
„Keine Ahnung“, gebe ich zu.
„Mann, ich hätte nicht gedacht, dass sich die kleine Schnalle so ekelhaft an dich ran schmeißen würde.“
Ich lächle gequält. „Das hätte sie vermutlich von dir auch nicht.“
„Das ist ja wohl was ganz anderes“, behauptet er.
„Ist es nicht. Du wusstest, dass ich mit Elisa zusammen bin und hast mich trotzdem angemacht.“
Noah verschränkt die Arme vor der Brust.
„Okay, von mir aus. Aber du, mein Süßer, hättest den Kuss nicht nett finden dürfen. Womit wir mal wieder bei unserer Lieblingsdiskussion wären. Elisa oder Noah. Beide geht nicht.“
„Ich habe mich bereits für dich entschieden, Döskopp.“
„Und warum dann das Fremdgeknutsche?“
„Es war EIN Kuss“, rege ich mich auf, „und den habe ich sofort unterbunden, als ihre Zunge ins Spiel kommen wollte. Außerdem habe ich ihr gesagt, dass ich dich liebe. Wieviel Entscheidung brauchst du denn noch? Hätte ich ihr vielleicht ins Maul kotzen sollen?“
Er schüttelt den Kopf. „Vor die Füße hätte gereicht.“
„Ich mag Elisa. Und ich gebe zu, wenn du nicht wärst... Aber du bist nunmal da und ich würde nie, niemals, etwas tun, was unsere Beziehung gefährden könnte, Noah. Du bist das absolut Wichtigste für mich. Ende der Liebeserklärung.“
„Dann darfst du die Braut jetzt küssen.“
„Ich wusste es“, seufze ich.
„Was?“
„Na, dass du doch lieber ein Mädchen wärst“, grinse ich und stupse seine Nase.
„Sag mal...“, beginnt er und zeichnet mit der Fingerspitze Verschnörkelungen auf meine Brust, „was willst du jetzt eigentlich wegen deiner Mutter unternehmen?“
„Hä?“
„Naja, die darf doch nicht einfach um sich schlagen.“
„Das hat Paps ihr schon gesagt. Ich hätte in der Kirche nicht über Sex reden sollen.“
Noah verzieht das Gesicht. „Ist ja wohl scheißegal. Und dein Vater ist auch total verblödet. Wieso schützt der dich nicht vor dieser fanatischen Furie?“
„Da fragst du die falsche Person. Sieh mal, für meine Mutter ist es eben die schlimmste Sünde überhaupt. Sie glaubt an den ganzen Himmel-und-Hölle-Hokuspokus. Das muss man akzeptieren.“
„Ach ja? Und sie... akzeptiert sie denn, dass du nicht nach ihrem Glauben leben willst?“
„Nein. Weil sie sich nichts anderes vorstellen kann. Für sie ist das der einzig richtige Weg.“
„Und wenn die noch mehr austickt? Einen Exorzisten bestellt oder dich zur Geißelung anhält? Vielleicht zwingt sie dich, literweise Weihwasser zu trinken und Knoblauch zu essen? Pappt dir Schröpfgläser auf den Rücken oder bohrt dir ein Loch in den Schädel, damit die dreckigen Gedanken entweichen?“
„Jetzt wirfst du aber alles durcheinander. Ich bin kein verrückter Vampir sondern ein schwuler Teenager“, lache ich. „Und meine Mutter hat nichts übrig für mittelalterlichen Blödsinn.“
„Katholizismus besteht größtenteils aus mittelalterlichem Blödsinn. Mehr noch, aus gefährlichem Blödsinn. Und was beispielsweise religiöser Wahn anrichten kann, weiß man spätestens seit Stephen King.“
„Du meinst, wenn mich meine Horrormutter genug gefoltert hat, kommen meine telepathischen Fähigkeiten zum Vorschein und ich bringe alle um?“
„Ja, wieso nicht?“ Sein Zeigefinger umkreist meine Brustwarze. „Mir ist auf alle Fälle wohler, wenn ich weiß, dass du weißt... Ich meine, ich war immer lieb zu dir, richtig?“
„Alles klar“, nicke ich, „du wirst als Einziger verschont. Versprochen.“
Noah befeuchtet seinen Finger und fährt aufreizend über meinen ultra harten Nippel. „Meine Eltern aber auch, oder? Die sind doch nett.“
„Logisch, die bleiben auch unversehrt... Au, nicht so fest.“
„Und der Tim?“ Seine Lippen berühren meine Brust.
„Mhhhhh... Ja, der natürlich auch.“
„Und der Bäcker, der die leckeren Puddingbrezel macht“, murmelt er und küsst meinen Bauch. Seine Hand ist schon ein Stück weiter unten und stellt sich wie immer verdammt geschickt an.
Meine Mutter hat überall im Haus so Broschüren ausgelegt. Aids, die Homoseuche... und Schwule landen eh alle in der Hölle. In einigen Blättchen geht es auch um Ex-Schwule, die den Weg zu Gott zurück oder überhaupt gefunden haben. Und der beste Schutz vor Aids ist eben doch Enthaltsamkeit. Sehr gefallen hat mir auch das Teil, in dem steht, alle Schwulen seien pädophil. Da weiß ich ja, dass ich wohl später mal Karriere als schlimmer Kinderfänger machen werde. Unser aller Papst Benedikt fand sowieso schon immer, Schwule hätten die Tendenz zum sittlich schlechten Verhalten. Als er das vom Stapel ließ, hieß er zwar noch Kardinal Ratzinger, aber ich gehe nicht davon aus, dass er mit seinem Namen auch seine wahnwitzigen Vorurteile abgelegt hat.
Das ist sehr typisch. Anstatt mit mir zu reden, sammelt meine Mutter Schriften, die eigentlich verboten gehören. Woher hat die bloß diesen Scheiß?! Und glaubt die wirklich, ich höre auf, in Noah verliebt zu sein, wenn ich den Schund lese?
„Mom, ich geh weg. Bis später.“
„Du willst dich schon wieder mit diesem...“
„Jungen treffen? Ja“, antworte ich genervt und hab meine Hand schon an der Türklinke.
„Benjamin, einen Augenblick, bitte!“
Hä? Was soll’n der Schmusekätzchenton? Klar, die will mich reinlegen. Mich in Sicherheit wiegen, um dann mit aller Macht zuzuschlagen. Möglicherweise beschuldigt sie mich gleich, meinen debilen, sechsjährigen Cousin sexuell belästigt zu haben.
„Also?“
„Nicht zwischen Tür und Angel. Setzen wir uns, ja?“
Das ist die bekannte Ruhe vor dem Sturm. Auf jeden Fall. Wer weiß... Vielleicht verwandelt sie sich doch gleich in die Mutter von Carrie? Ich setze mich auf die Couch und lauere angespannt. Mom setzt sich ebenfalls und zupft züchtig ihren Rock über die Knie. Eigentlich sieht sie für ihr Alter gar nicht mal so schlecht aus. Wenn ich das mal über meine Mutter sagen darf. Hätte sie nicht dieses altertümliche Gedankengut, wäre ihr Paps bestimmt nicht davongelaufen.
„Benjamin... Ich finde es entsetzlich, dass wir so miteinander umgehen. Du nicht auch?“
„Ich hab damit nicht angefangen.“
„Dann sag mir, was passiert ist. Warum tust du mir so weh, machst mich zum Gespött. Wofür willst du mich bestrafen?“
„Ich will dich nicht bestrafen. Ich hab mich einfach nur verliebt.“
„Ja, aber doch nicht in diesen Jungen“, lächelt sie unheimlich. „Das... das kann doch gar nicht sein. Du hast so eine nette Freundin.“
„Elisa und ich sind getrennt, schon vergessen?“
„Naja, ich bin sicher, das kann man wieder geradebiegen. Ihr seid doch so ein hübsches Paar.“
„Ich bin mit Noah zusammen, ob dir das passt oder nicht.“
„Benjamin, das... das ist eine Prüfung, verstehst du nicht? Der Teufel versucht dich, du darfst dich der Sünde nicht hingeben“, faselt sie verzweifelt. „Halte dich fern von diesem verdorbenen Jungen und bitte Gott um Vergebung. Bestehe die Prüfung.“
Au weia... Meine Mutter ist geistesgestört! Total übergeschnappt. Was macht man denn da bloß? Ich meine, es ist doch sicherlich nur noch eine Frage der Zeit, bis sie anfängt, Stimmen zu hören.
„Du redest einen unglaublichen Schwachsinn“, ist alles, was mir im Augenblick einfällt.
Sie fängt schon wieder an, so unheimlich zu lächeln.
„Aber das erwartest du doch von mir, oder?“
Äh, ich komme nicht mehr ganz mit. Hat die mich jetzt grad total verarscht? Ich werd bekloppt!
„Sieh mal, ich bin nicht so weltfremd wie du vielleicht denkst. Ich habe meinen Glauben, das ist richtig, aber ich bin nicht verrückt oder sowas.“
„Da bin ich aber froh.“
Bedächtig faltet sie die Hände.
„Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht. Vielleicht war ich oftmals zu streng mit dir. Mir ist längst klar, dass du einen gewissen Freiraum brauchst. Den bekommst du allerdings nicht, um dich weiterhin mit diesem Jungen zu treffen. Jedenfalls nicht offiziell.“
„Soll heißen?“
„Ich bin gegen diese... Liebschaft, und daran wird sich niemals etwas ändern. Es ist schmutzig und unnatürlich. Du bist mein Sohn, ich liebe dich, aber diese Seite an dir kann und will und werde ich nicht akzeptieren. Ich möchte nicht noch einmal derart ins Gerede kommen, also wirst du dich in Zukunft angemessen benehmen, verstanden?“
Wow, ich muss erstmal diesen üblen Geschmack im Mund runterschlucken.
„Noah und ich sollen uns verstecken? Nur hinter verschlossenen Türen und runtergelassenen Jalousien...“
„Du hast dir die Situation selbst ausgesucht. Für mich existiert weder diese Beziehung noch dieser Junge. Ich will damit nicht konfrontiert werden und ich mag davon nichts mehr hören. Und selbstverständlich wird er niemals auch nur einen Fuß in mein Haus setzen. Allein der Gedanke ist mir eklig. Ich erwarte, dass du meine Gefühle respektierst... wenn du schon nicht von ihm lassen willst.“
„Was ist denn mit meinen Gefühlen?“
„Du kannst jetzt gehen, Benjamin, ich habe alles dazu gesagt.“
Nach einem kurzen Spaziergang, den ich unbedingt brauchte, um den Mutter-Wahnsinn aus meinem Kopf zu kriegen, latsche ich in Noahs Keller. Er hängt auf dem Bett. Der Fernseher läuft.
„Hey, was gibt’s?“, frage ich und werfe mich neben ihn.
„Lucy hat ihren Bruder grad rausgeworfen, weil der in seiner Freizeit gerne Vögeln über die Köpfe streichelt. Lucy findet‘s peinlich, aber die Vögel mögen das. Und davor ist Linus total ausgetickt, weil Snoopy seine Schmusedecke bei Spike in der Wüste vergessen hat.“
„Oh nein! Wie schrecklich.“
„Naja, er hat sie wieder bekommen. Allerdings voller Kaktusnadeln, was ihn natürlich nicht vom Schmusen abhielt.“
„Natürlich nicht“, entgegne ich und greife nach der Popcorn-Schüssel.
Noah skipt zur nächsten Folge. Au weia... Der arme Linus wartet mal wieder auf den großen Kürbis, der sich bekanntlich in der Halloween-Nacht aus dem Kürbisfeld erhebt, um den Kindern Geschenke zu bringen. Und wie immer pennt er ein, der große Kürbis taucht nicht auf und Lucy kriegt die Pimpanellen.
„Warum kommst du so spät?“
„Meine Mutter wollte noch mit mir reden.“
Er stopft sich eine Hand voll Popcorn in den Mund. „Oh, sie spricht wieder mit dir?“
„Lassen wir das Thema, okay?“
Noah stellt die Schüssel zur Seite und bringt uns in eine liegende Position. „Ich hab dich so vermisst“, flüstert er.
Ich krieg ‘ne Gänsehaut. Ehrlich, überall fängt es an zu kribbeln.
„Das geht mir total auf den Geist.“
„Hä?“
„Na, weil ich immer an dich denken muss. Kannst du dir vorstellen, wie anstrengend das ist? Ich sitze in der Schule, weil ich was lernen will, und hab aber nur deine süße Visage vor Augen.“
„Entschuldigung.“
„Lass uns was spielen, ja?“
„Okay“, sage ich, obwohl mir überhaupt nicht nach Sex ist.
„Ich bin Linus und du... mhhhhh, du bist meine Schmusedecke“, grinst er und drückt mich an sich. Ob es irgendwo auf der Welt einen Jungen gibt, der süßer ist als Noah? Ich denke nicht.
„Und jetzt erzählst du mir, was deine Mutter wollte.“
Ich erzähle. Und ich heule... ein bisschen. Noah hält mich fest umschlungen. Die Sache mit meiner Mutter trifft mich mehr, als ich erwartet hätte. Ich war auf einen Streit gefasst. Auf Heulen, Schreien, Toben. Stattdessen sagt sie mir: Deine Gefühle interessieren mich einen Dreck! Es geht nur um mich. Um meine Befindlichkeit. Deine Liebe ist nicht normal. DU bist nicht normal! Dann verlangt sie auch noch, dass ich das Liebste, das absolut Beste in meinem Leben, wie ein schmutziges Geheimnis verstecken soll. Dass der Mensch, der mir am meisten bedeutet, in ihrem Haus nicht willkommen ist. Logischerweise habe ich ihm das verschwiegen. Reicht ja wohl, wenn sich einer von uns beiden scheiße fühlt. Wie sollte ich ihm sowas sagen, wo seine Eltern mich von Anfang an wie ein Familienmitglied behandelt haben? Zum ersten Mal in meinem Leben schäme ich mich für meine Mutter. Kein sehr schönes Gefühl, aber gleiches Recht für alle. Sie schämt sich ja schließlich auch für ihren schwulen Sohn. Mann, da sollten wir uns doch eigentlich prima verstehen.
„Hey“, wispert Noah, „nicht weinen. Irgendwann wird deine Mutter einsehen...“
„Eben nicht“, unterbreche ich ihn schniefend. „Niemals.“
„Naja, wenigstens ist sie nicht so durchgeknallt wie wir befürchtet hatten.“
„Warum kann sie nicht... ist es denn zu viel verlangt... Sag mal, findest du, ich bin eine Jammersuse?“
„Auf keinen Fall“, lächelt er.
Ich setze mich auf und wische mir durchs Gesicht. „Aber andauernd nerve ich dich mit meinen Problemen. Irgendwas ist doch immer.“
„Stimmt. Und an allem bin ich Schuld.“
„Wieso das denn?“, schnaufe ich.
„Na, überleg doch mal... Wenn ich dich in Ruhe gelassen hätte, wärst du noch mit Elisa zusammen, deine Mutter würde dir nicht all die schlimmen Sachen sagen und...“
„Hör schon auf“, unterbreche ich ihn. „Ich wollte dich genauso.“
„Bennie und Noah gegen den Rest der Welt“, seufzt er und schlingt seine Arme um mich.
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