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Dark Past
Teil 4
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Informationen
- Story: Dark Past
- Autor: Chris
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Coming Out, Lovestory
Sonnenstrahlen fallen durchs Fenster und streichen mir übers Gesicht.
Vorsichtig öffne ich die Augen und werde genau in diesem Moment von den Sonnenstrahlen geblendet und kneife die Augen zu schmalen Ritzen zusammen, um meine Umgebung so langsam wahrzunehmen.
Zwischen meinen Armen fühle ich etwas großes, warmes, was mit einer gleichmäßigen und rhythmischen Bewegung atmet. Dieses Etwas fühlt sich schön an und dieses Etwas hat auch einen Namen, es heißt Mark. Er liegt da wie ein kleines, hilfloses Kind. Ganz eng an meine Brust gekuschelt. Die Augen noch geschlossen und von meinen Armen gehalten.
Als ich aus dem Fenster blicke, sehe ich einen wunderschönen, strahlend blauen Himmel, einen knallgelbe Sonne lächelt mich an und schenkt mir ihre wärmsten Strahlen, die sie zu bieten hat.
Es scheint als würde auf einmal das Wetter mit meiner Stimmung schwanken.
Mark liegt immer noch unverändert in meinen Armen. Vorsichtig und sanft streichle ich ihm über die Wange. Ein leichtes Seufzen kommt von ihm.
Vorsichtig hauche ich ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Hey Kleiner! Aufstehn! Heut ist erst Freitag. Einmal müssen wir uns noch durch die Schule plagen, dann ist erst Wochenende und wir können gemeinsam liegen bleiben, aber noch nicht heute!«
Nur ein leichtes Knurren kommt von ihm. Keine weitere Regung. Ich streiche ihm noch einmal sanft durchs Haar und versuche es noch mal mit der friedlichen Methode.
»Nu komm du Schlafmütze! Es ist Zeit! Wir müssen bald in der Schule auf der Matte stehn.«
Wieder ein knurren von ihm. »Noch 5 Minuten bitte.«
»Es ist zwar wunderschön mit dir hier so zu liegen, ich will aber keinen Stress bekommen, wenn wir zu spät kommen.«
Wieder ein Knurren aus seiner Richtung, doch immer noch keine weitere Regung, ob er vielleicht aufstehn würde.
»Nu komm schon. Es muss sein. Entweder du stehst jetzt sofort auf, oder aber ich verweigere dir hiermit ab jetzt meine Liebesdienste.«, und schaute ihn dabei mit einem dicken Grinsen auf den Lippen an.
Plötzlich reißen seine Augenlider auf und wie vom Teufel gestochen, springt Mark auf und versucht sich hektisch anzuziehen.
Dabei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er sah so ungestüm und wild dabei aus. Am liebsten hätte ich laut losgelacht.
Und ratze fatze hatte sich Mark auch schon angezogen und stand abholbereit mitten in meinem Zimmer.
»So ich soll mich beeilen und der Herr bleibt noch liegen und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen!«, versucht Mark mit in die Hüfte gestützten Armen in ernstem Tonfall zu mir zu sagen. Doch er konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen und wir beide begannen plötzlich laut loszulachen.
Ich stand auf, so wie ich war, ging auf Mark zu, nahm sein Gesicht in meine Hände und gab ihm einen langen, aber dennoch viel zu kurzen Kuss direkt auf die Lippen.
»So, das als kleine Belohnung und Vorgeschmack auf heute Abend.«
Mark stand da wie ein begossener Pudel und konnte sich nicht bewegen. Er war starr, als wenn er angefroren sei. Im schien dies richtig gefallen zu haben.
»Wow.«, kam nur plötzlich über seine Lippen.
Ich musste dabei grinsen, ließ Mark wieder los und zog mich so schnell wie möglich an.
Aber eins durfte nicht fehlen! Ein gemütliches Frühstück! Also während Mark noch mal im Bad verschwand, schob ich einmal Frühstücksbrötchen zum Aufbacken in den Ofen.
Und schon fünf Minuten später stellte ich die frischen, lecker duftenden Brötchen auf den Tisch, den ich schon vorher mit Marmelade, Margarine, Käse und einer Rose gedeckt hatte.
Doch plötzlich spür ich um meine Hüfte zwei sanfte, warme Hände, die mich packen und festhalten. Zwei ganz sanfte Lippen liebkosen meinen Nacken und ein warmer, feuchter Atem streicht mir durchs Haar. Mit einem Satz werde ich rumgedreht und zwei geschmeidige Lippen pressen sich auf meine.
»Mmmm! So schön der Morgen. Wie soll bloß der Rest des Tages werden?«, frag ich mit einem neckischen Unterton.
»Lass dich überraschen, es ist noch lange nicht alles.«, grinste mich Marc mit einem verführerischen Lächeln an.
»Jetzt aber mal schnell, sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig!«
»Ach schade, ich dachte erst vernaschen wir uns und dann den Rest.«, und sein Grinsen wird noch breiter.
Erst setze ich mich auf einen Stuhl und statt sich einen eigenen zu suchen, setzt sich Mark auf meinen Schoß und beginnt mich liebevoll zu füttern.
Nach und nach immer wieder steckt er mir ein Croissant in den Mund und lässt mich immer nur ein bissen dran Knabbern. Immer und immer wieder füttert er mich und spielt mit mir.
Aber nach einer Weile wechseln wir die Rollen und ich versuch Marc zu füttern. Ich tauche meinen Finger in Marmelade und ganz sanft beginnt Marc ihn abzulecken und sauber zu küssen. Immer und immer wieder tauche ich meinen Finger in Marmelade und lasse ihn abschlecken.
Ein wunderschönes Gefühl diese sanften Lippen auf der Haut zu fühlen. Immer und immer wieder schiebt er sanft meinen Finger in seinen Mund und leckt und saugt dran.
Wie soll das erst werden, wenn ... STOP
»Shit...«, entfährt es mir, »… wir müssen ja noch zur Schule!«
»Wie kannst du nur an so was denken in solchen Momenten?«, fragt er mich mit einem treudoofen Blick.
»Naja, hast auch wieder recht. Aber je weniger Ärger wir haben, wenn wir pünktlich sind, desto früher kommen wir auch wieder raus und können dies hier fortsetzten!«
»Siehst du! Also reg dich nicht auf sondern mach dich bereit zum Abmarsch!«
Wie vom Blitz getroffen springt Marc auf, stellt sich kerzengerade hin, Hand an die Schläfe und antwortet in lautem Ton: »Jawohl Herr Oberfeldwedel!«
Dabei konnte ich mir natürlich ein Lachen nicht verkneifen. Aber Marc spielt seine Rolle perfekt und verzieht keine Miene.
Sanft ziehe ich ihn zu mir ran und gebe ihm einen sanften Kuss auf den Mund.
Doch Marc stößt mich zurück und sagt ganz trocken: »Nicht im Dienst!«, und schaut immer noch durch mich durch, als wäre er wirklich bei der Army.
»Dann Abmarsch Gefreiter Kerr! Und eins und eins ...!«, und wie befohlen nimmt sich Marc seine Sachen und geht im Stechschritt aus dem Haus.
Aber vor der Tür kann er sich nicht mal mehr halten und verfällt in ein großes Gelächter. Wir liegen uns in den Armen und können nicht mehr und halten uns die Bäuche. Uns fließen schon Tränen über die Wangen. Ich weiß nicht mehr wie lange wir so gelacht haben, aber irgendwann hatten wir uns unter Kontrolle und gingen los.
An einer Kreuzung hält Marc plötzlich an.
»Du ich muss noch mal nach Hause zu mir, diesmal alleine. Ok? Geh du schon mal direkt zur Schule, ich komm dann nach.«
»Aber ...«, noch bevor ich nur einen Einspruch einlegen konnte, versiegelte Marc meine Lippen mit einem langen, verzaubernden Kuss.
Er löst sich dann schnell wieder von mir und verschwindet in Richtung seines Hauses.
Ich stehe wie verdattert da und erst nach einer Weile fällt mir auf, dass Marc schon weg ist. So mache ich mich in Trance auf zur Schule!
Ich laufe wie auf Wolken, hüpfe von der einen zur anderen. Die ganze Welt scheint heut wunderschön zu sein. Überall strahlt und blinkt es. Die Menschen lächeln mich an und ich bin einfach bloß glücklich.
Laufe die Straßen hinunter. Am Marktplatz vorbei. Durch den Park. Alles strahlt nur so wie im schönsten Frühling, dabei ist November.
Autsch.
Wie ein Faustschlag in den Magen durchfährt es mich. Da hinten steht unsere Religionslehrerin. Mir wird ganz plötzlich schwarz vor Augen, meine Beine werden zu Pudding und die gesamte Farbe zieht aus meinem Gesicht.
Von einem Moment auf den anderen scheint die Welt wieder hässlich und grau zu sein. Erst jetzt kommt mir der Grund, warum ich heulend aus der Schule gelaufen bin, wieder in Erinnerung. Und das mit heftiger Wirkung.
Meine Kehle schnürt sich zu, ich bekomme keine Luft mehr. Der Schweiß tritt aus allen Poren meines Körpers, ich bin von einer auf die andere Sekunde klatsch nass. Mir wird schlecht. Ich muss mich erst mal auf die nächstgelegene Parkbank setzten
Nun sitze ich da auf der Bank. Das Gesicht in die Hände verschränkt. Meine Gedanken schwirren. Ich kann keinen vernünftigen Gedanken fassen. Immer wieder dieselben Fragen jagen mir durch den Kopf.
»Was wird heut geschehen?« – »Bin ich jetzt das Gespött der Schule?«
»Was macht meine Reli-Lehrerin jetzt mit mir?« – »Was ist gestern noch geschehen?« – »Wie werden die anderen Lehrer jetzt reagieren?« ...
Eine Frage nach der anderen jagt mir durch den Kopf. Aber keine Antwort. Meine Lehrerin ist schon verschwunden. Doch ich sitze immer noch da. Ich hätte am liebsten alles hingeworfen und wäre davongerannt. Doch der Gedanke an Marc hält mich Was würde er jetzt von mir halten, wenn ich einfach so feige bin und wegrenne?
Irgendwie schafft es meine innere Stimme mich zu beruhigen und irgendwie gelingt es mir meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Ich öffne die Augen und sehe eine karge, graue, hässliche Landschaft vor mir.
Ganz vorsichtig stehe ich auf. Meine Beine scheinen wieder zu funktionieren. Step by Step gehe ich voran und es scheint keine Probleme zu bereiten. Ich weiß nicht genau warum, aber irgendwie schaffe ich es in die Schule zu gelangen. Selber habe ich keine Erinnerungen mehr daran. Nur so viel, dass ich urplötzlich vor dem Eingang steh.
»Hey! Na wie geht's dir?«, fragt eine besorgte Stimme neben mir. Und plötzlich nehme ich zu der Stimme noch ein Gesicht war. Wer soll's anders sein als Dirk.
Zum Glück gibt's ihn, keine Ahnung was ich ohne ihn machen würde.
»Ach nicht grad besonders!«, antworte ich mit belegter Stimme.
»Hey, was ist denn? Ich dachte du und Marc, ihr hättet alles geklärt?«
»Haben wir ja auch und es läuft auch bestens, aber ... aber was ist mit unserer Relischlampe?«
»Deswegen machst du dir Sorgen ...«, beginnt Dirk mit einer wegwerfenden Handbewegung zu erklären, »... gleich nach der Stunde kam unser Direx und wollte sich erkundigen, warum du urplötzlich verschwunden bist.«
Nach einer kurzen Pause fährt er fort.
»Naja und da hat sich nahezu die ganze Klasse, bis auf ein paar kleine Arschlöcher hinter dich gestellt und ihm berichtet was die Kuh mit dir abgezogen hat. Um es jetzt kurz zu fassen, er hat sie dann zu sich in sein Büro geordert, hat sie erst mal wegen ihrem inakzeptablem Benehmen dir und allen anderen gegenüber zusammengeschissen und beurlauben lasse. Heute wird er den Antrag auf ein Disziplinarverfahren stellen und hat schon eine Vertretung geordert. Besser konnte es nicht laufen.«
»Aber wieso haben die anderen, erst nachdem ich fertig war, die Klappe aufgemacht? Was glaubst du wie man sich in so einer Situation fühlt. Ich hab heut mit dem schlimmsten gerechnet. Am liebsten wäre ich einfach nicht gekommen. Ich bin eigentlich bloß wegen Marc hier.«
»Ja klar war das Scheiße von uns, aber immerhin haben wir's dann ja doch gewagt die Klappe aufzumachen. Besser spät als nie und letztendlich hat's dann ja doch ein gutes Ende gefunden. Themawechsel: Und du bist jetzt wirklich fest mit Marc zusammen?«, fragt er mich mit neugierigen Augen.
»Naja ... Ja ... glaub schon ... bin mir eigentlich ziemlich sicher damit ...«, stammle ich so vor mich hin. Keine Ahnung warum aber irgendwie wurde ich verlegen.
»Was ist 'nu? Seid ihr oder seid ihr nicht? Und stammle nicht so rum!«, reizt mich Dirk jetzt und grinst mich dabei fies an.
»JA WIR SIND ZUSAMMEN. Herr Gott ne!«, schrei ich ihn dann mit einem breiten Lachen an.
»Nicht gleich so laut und überschwänglich. Ich will doch nicht gleich neidisch werden auf euer Glück.«
Genau in diesem Moment wird unser Gespräch von der Schulglocke unterbrochen und wir machen uns wieder mal mühsam auf, um in unsern Raum zu gelangen.
Ich glaub jeder, der schon mal an einer Schule war, weiß das nach dem Klingeln so gut wie jedes Gespräch gestorben ist, da sich alle Schüler versuchen durch die Türen zu drängen und das in einem absoluten Lärm. Von rechts ein Schreien, von links ein Tritt und so weiter. Kein Wunder, dass da das Gespräch mit Dirk erst mal beendet war.
Und so drängelten wir mit und standen bald vor unserm Raum.
Immer noch kein Zeichen von Marc. Hoffe mal es ist nichts passiert. Doch kurz bevor ich meine Gedanken zu Ende denken kann, kommt auch schon unser Lehrer und die Stunde beginnt.
Doch selbst als wir im Raum sitzen und der Unterricht schon in vollem Gange ist, war noch nichts von Marc zu sehen. Sein Platz neben Dirk ist leer. Immer wieder die Blicke aus dem Fenster raus, um zu schauen, ob er endlich zu sehen ist. Aber nichts. Ich wandte schon gar nicht mehr die Blicke vom Fenster weg.
»Steffen, Erde an Steffen, hier spricht Erde an Steffen. Würde sich der Herr bitte am Unterricht beteiligen?«, zum Glück war das Bloß unser Sozi-Lehrer, der macht sich gern einen Spaß aus weggetretenen Schülern. Bei anderen wäre das nicht ganz so glimpflich abgelaufen. Das wäre mir in diesem Moment sowieso egal gewesen, ich machte mir einfach bloß noch Sorgen um Marc, was mit ihm sei.
»Hey, wird schon nichts passiert sein, der wird sich bloß verspäten. Es ist sicher nichts, mach dir einfach keinen Kopf darüber.«, flüstert Dirk mir ins Ohr und versuchte mich damit zu beruhigen, doch es klappt nicht. Immer noch war mein Blick durchs Fenster nach draußen gerichtet. Zum Glück ist unser Sozi-Lehrer einer von der guten Sorte und weiß, wenn es einem nicht gerade gut geht, und so lässt er mich für den Rest der Stunde in Ruhe und ich starre aus dem Fenster.
Doch ich werde immer nervöser. Meine Sorgen werden immer stärker. Irgendwie packt mich eine dieser Vorahnungen, doch ich kann nichts machen.
Um meine Aufregung abzubauen tipp ich immer wieder mit dem Fingernagel auf die Tischplatte in gleichen Rhythmus. Normalerweise wäre Dirk oder ein anderer dabei ausgeflippt, weil es einfach nerv tötend ist, doch komischer Weise schnauzt mich keiner aus meiner dichteren Umgebung an.
Alle nehmen es hin und halten den Mund. Was ist heut bloß los. Von himmelhoch jauchzen bin ich zu einem nervösen Bündel geworden.
Irgendwas muss passiert sein. Ich hab keine Ahnung was, aber irgendwas ist.
Die Stunde vergeht wie im Schneckentempo. Jede Sekunde kommt mir wie eine Ewigkeit vor und es wird mir zur Qual, mein Puls steigt und steigt. Doch noch immer ist nichts von Marc zu sehen. Keine Ahnung wie ich es geschafft hab, aber irgendwann war dann doch die Stunde zu ende.
Keine Ahnung was ich jetzt machen soll. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte mich auf die Suche nach Marc gemacht. Doch meine Glieder bleiben lahm. Ich komme mir wie gelähmt vor. Der Konflikt wächst und wächst in mir.
Ich will aufstehen und Suchen, doch mein Verstand sagt mir, ich soll bleiben und warten.
»Was ist denn passiert? Wo bleibt er denn?«, fragt mich Dirk plötzlich von der Seite.
»Auf dem Weg hierher wollte er bloß noch einmal nach Haus zu sich und hat gesagt ich soll schon mal vorgehen, er würde sofort nachkommen. Doch er lässt sich ja gar nicht mehr blicken! Was ist da los ich mach mir unendlich Sorgen ...«, erklär ich ihm nah an den Tränen.
»Mach dir mal keine Sorgen. Er wird schon noch auftauchen, da wird nichts passiert sein.«
In diesem Moment wird die Tür aufgerissen und Marc kommt herein gestapft. Ein erleichtertes Lächeln will sich auf meinem Gesicht breit machen. Doch es bleibt nur für kurze Zeit dort. Anstatt sich neben Dirk und somit in meine Nähe zu setzen verzieht er sich in die erste Reihe weit weg von mir.
Ich wollte aufspringen und zu ihm rennen, doch in diesem Moment endet schon wieder die Pause durch die Klingel und die Stunde beginnt.
Doch diesmal haben wir keinen so besonders fairen Lehrer. Es ist Zeit für Englisch mit einem großen behaarten Etwas. Ich bin von der Aktion von Marc immer noch so geschockt, dass ich wie versteinert dasitze und auf Marc starr.
»Herr Neumann, Herr Neumann. Entschuldigen sie bitte, dass ich sie beim Schlafen störe, aber ich hätte sie gern hier vorne an der Tafel.«
Erst nach und nach dringt die Stimme zu mir durch. Erst als mir Dirk heftigst in die Seite stößt bekomm ich mit was abläuft. Die anderen um mich herum beginnen schon zu lachen.
Mir ist gehörig an diesem Tag das Lachen vergangen. Missmutig stehe ich auf und beweg mich nach vorne an die Tafel.
»Na, dann berichten sie mal von Ihren Hausaufgaben, die sie erledigen sollten.«
So ein Arsch. Durchfährt es durch meine Gedanken. Der weiß doch genau was gestern abgelaufen war und er weiß genau, dass ich da weder was von den Hausaufgaben mitbekommen habe, noch je die Zeit gehabt hätte sie zu machen.
Hab ich's denn nur noch mit Mobbing zu tun hier?
»Hallo, wir warten! Berichten sie uns bitte von ihren Hausaufgaben!«, bohrt das sabbernde, behaarte Etwas neben mir nach.
»Also bitte!«
»Ja also ...«, meine Augen wandern durch den Raum und bleiben immer wieder sorgenerfüllt und fragend bei Marc hängen. Doch der blickt zu Boden und gibt keine Reaktion von sich.
».. .also!«, stotter ich weiter. » Entschuldigen sie, aber ich konnte die Aufgaben nicht machen.«
»Ach der Herr konnte sie nicht machen. Rennt einfach so von der Schule weg. Vergnügt sich und er konnte die Aufgaben nicht machen.«, plustert sich das sabbernde, spuckende, behaarte Etwas auf.
»Der Herr musste ja unbedingt den Eingeschnappten spielen und musste andere unschuldige Menschen in die Pfanne hau'n.«
Autsch das saß. Zwar absolut unberechtigt aber es tat weh. Doch das war mir egal. Immer noch lagen meine Augen auf Marc. Doch der reagiert immer noch nicht. Sitzt wie schon die ganze Zeit mit Blick auf den Boden gerichtet auf dem Platz und gibt kein Zeichen.
»Sechs setzten!«, hör ich das Etwas nur noch neben mir brüllen.
Nichts lieber als das. Die sechs ist mir so was von egal. Ich will bloß noch zurück auf meinen Platz und das mache ich dann auch. Mit großen, schnellen Schritten gelang ich dort hin und lass mich bloß noch fallen.
Am liebsten hätte ich gleich angefangen zu weinen. Aber die Blöße wollte ich mir dann doch nicht geben. Meine Augen waren schön gerötet, ich konnte und wollte ich mehr.
Auf einmal dreht sich Dirk zu mir und nimmt mich einfach kräftig in den Arm.
»Ist schon gut, wird alles wieder!«
»Ach noch so eine Schwuchtel. Da haben sie ja die Richtigen gefunden!«
Und wieder so ein Kommentar von dem Etwas
»Jetzt halten Sie aber mal ihren großen, verflixten Rand!«, kommt es da plötzlich von Dirk gezischt. » Erstens, nicht jeder, der andere Jungen umarmt ist schwul und zweitens, was wäre daran so schlimm, dass ich schwul sei? Wobei ich es nicht bin. Es wäre zumindest besser, also so intolerant und inaktzeptant zu sein wie Sie. Anscheinend haben Sie noch nie was von Liebe gehört. Anscheinend geht's bei ihnen immer bloß knallhart zur Sache. Nach dem Motto: Friss oder Stirb. Aber so nicht mit mir. Entweder sie entschuldigen sich oder sie können sich mit dem Schülerrat und dem Direktorat auseinandersetzen!«
Urplötzlich Stille im Raum. Keiner sagt etwas und alles ist mit Spannung erfüllt.
Man hätte 'ne Stecknadel fallen gehört. Aber man hörte keine. Die Spannung war unerträglich. Unser Englischlehrer schaut uns verdattert, mit großen Augen an.
»RRRRRRRRAAAAAAAAAAAAUUUUUUUUUUUUSSSSSSSSSSSSSSS«
kommt es plötzlich aus seinem Mund wie eine Dampframme.
»RRRRRRRRRRRRRRRAAAAAAAAAAAAAAAAUUUUUUUUUUUSSSSSSSSSSSSS MIT ALLEN SCHWUCHTELN!«, schreit er weiter in die Klasse.
Doch bisher bewegen nur ich und dann plötzlich Marc sich. Alle starren ihn an, doch ihm scheint es nichts auszumachen. Er packt seine Sachen und verschwindet aus dem Raum.
Wie gebannt starren ich und die anderen im Raum ihn an. Doch dann setzt ich mich auch in Bewegung, packe meine Sachen und kurz bevor ich die Tür öffne hör ich nur noch ...
»NATÜRLICH AUCH ALLE SYMPATHISANTEN DAVON SOLLEN RAUS HIER!!!!!!!!!«
Und auf einmal setzt sich nahezu die gesamte Klasse, bis auf ein zwei Idioten, in Gang, packen ihre Sachen und wollen verschwinden.
Wie geschockt steht unser Englischlehrer da und starrt die Masse von Schülern gebannt an. Damit hat er nicht gerechnet, dass nahezu alle Schüler hinter uns stehen. Seine Farbe entweicht seinem Gesicht, Schweiß tritt auf seine Stirn und er lässt sich in seinen Stuhl zurück sacken.
Er schließt die Augen und jetzt wirkt er, wie derjenige, der Angst hat. Angst um seinen Job, Angst um seine Existenz, Angst um sein Weltbild.
Doch mir ist es egal. Wer so mit mir und anderen rumspringt hat es nicht anders verdient, wenn er sich noch selber in die Nesseln setzt. Ein armes Häufchen Mitleid bleibt übrig im Raum.
Unser Lehrer und die zwei Zurückgebliebenen.
Aus dem Raum kämpfen ich und Dirk uns durch die Schüler. Von allen Seiten bekommen wir Zuspruch und Mut zugesprochen und immer wieder haut man uns auf die Schulter.
Es tut ganz gut, es tut sogar sehr gut, dieses zu spüren.
Aber es ist mir im Moment so ziemlich egal. Das einzige was durch meine Gedanken kreist ist Marc, Marc und nochmals Marc. Doch er scheint vom Erdboden verschluckt.
Ich renn durchs komplette Gebäude. Erst die Toiletten im Obergeschoss, dann am Lehrerzimmer und Direktorat vorbei. Den Flur entlang der Chemie und Physik-Räume, durch die nahezu leere Aula.
Am schwarzen Brett und deren Sitzecke vorbei. Durch die zweiten Toiletten im Obergeschoss und durch die Cafeteria.
Nirgends ist er aufzufinden. Jetzt fällt mir noch das Untergeschoss ein.
Dort sind zwar fast nur Räume aber auch zwei Sitzecken. Also die Treppen runter. Die Toiletten durchsucht: nichts.
Die Sitzecken: keine Spur.
Also raus auf den Pausenhof.
Niemand ist an der Tischtennisplatte, niemand unter den Bäumen oder auf den Grasflächen. Und dann seh ich wen, wo ich es gar nicht erwartet hätte.
In der Raucherzone, sitzt jemand ganz klein und mit dem Gesicht in die Hand gestützt.
Mit näherer Betrachtung könnte es Marc sein. Doch ich bin mir noch nicht sicher.
So gehe ich erst mal auf die Person zu und mit jedem Schritt den ich näher trete, desto sicherer bin ich mir, dass es Marc ist. Ein großer Brocken der Erleichterung fällt mir vom Herzen und ein Lächeln fällt mir aufs Gesicht.
Doch dann halte ich abrupt an!
Was soll ich zu ihm sagen? Wieso hat er sich heute nicht neben mich gesetzt, wieso die ganze Zeit abgewehrt. Mein Lächeln verschwindet wieder. Ich wollte schon wieder weggehen. Doch irgendetwas in mir drinnen sagt, dass ich zu ihm gehen soll. Ich weiß nicht was es war, aber es hatte so viel Macht über mich, dass ich es tat.
Ich gehe in die Raucherecke und setzte mich direkt neben ihm, sage aber erst mal nichts.
Marc bleibt unverändert und hält das Gesicht in den Händen versteckt.
Plötzlich nimmer er die Hände weg und schaut mich an.
Ich schaue ihn an.
Er wühlt in seiner Tasche nach Zigaretten, nimmt eine und zündet sie sich an.
»Bist du Raucher? Sonst hast du hier nichts zu suchen!«, sagt er ganz trocken zu mir. Ich bin in dem Moment erschrocken wie Marc so sein kann. So hatte ich ihn noch nie gesehen.
Doch ich will auch nicht nachgeben. Was er noch nicht wusste, ich bin auch Raucher, also hol ich meine NIL raus und zünde mir auch eine an.
Etwas verdattert schaut mich Marc an, aber etwas dagegensetzten kann er nichts. Also muss er mit mir vorlieb nehmen, dass ich da sein darf.
Stillschweigend sitzen wir nebeneinander und rauchen. Es liegt eine Spannung zwischen uns, die einen Granitblock hätte schneiden können. Keine Ahnung warum, aber sie war da. Marc wirkte abweisend und kühl.
»Was ist mit dir los?«, kommt es dann doch plötzlich aus mir raus.
»Was meinst du?«
»Hast du etwa alles vergessen? Vorgestern Abend, gestern Morgen in der Schule, im Park, bei mir zu Hause und heute Morgen das Frühstück? War das alles bloß ein Spiel für dich? Oder warum reagierst du auf einmal so?«
Marc starrt mich mit großen Augen an.
Seine Augen zeigen Angst, Verletzlichkeit und Trauer. Bloß wovon?
»Komm, lass uns das vergessen. Wir können nicht zusammenkommen. Es geht einfach nicht. Wir müssen jeder selbst unseren Weg finden und das ohne den anderen.«
Dies sagt er ganz trocken zu mir. Es wirkt, als meine er es ernst. Seine Stimme ist klar und abweisend. Seine Körperhaltung zeigt auf Abwehr gegen Körperkontakt. Bloß seine Augen zeigen mir, dass er nicht so denkt.
»Komm bitte, du glaubst das doch nicht selber. Ich hab mich in dich verliebt. Ich vermiss dich jede Minute, die du nicht da bist. Du warst die letzten Tage so lieb zu mir, das kann doch nicht alles umsonst sein?«
»Doch, es geht nicht!«, seine Stimme beginnt zu schwanken.
»Wir können nicht weiter zusammen bleiben. Es geht einfach nicht.« Seine Augen füllen sich mit Tränen. Doch bevor die einsetzten können springt er auf und rennt davon.
Ich weiß nicht was mich getrieben hat. Aber ich bin ihm nicht hinterher. Ich hab keine Ahnung warum. Immer wenn ich Liebesfilme sehe und die Geliebte rennt weg und er bleibt stehen, könnte ich in die Luft gehen, weil es für mich nicht nachvollziehbar ist. Warum hält er sie nicht auf? Warum rennt er ihr nicht einfach hinterher? Ich find bis heute keine Antwort darauf. Aber ich finde auch keine Antwort darauf, warum ich sitzen geblieben bin.
Ich war starr und erst als ich Marc nicht mehr sehen konnte kam wieder Gefühl in meine Glieder zurück. Aber jetzt war es zu spät ihm nachzulaufen.
Die Glocke hatte geläutet und alle Schüler kamen zur Pause auf den Hof.
In diesem Gewühl war es unmöglich Marc zu finden. Es waren einfach zu viele da. Ich könnte mir selber in den Hintern treten, warum ich ihm einfach nicht nachgelaufen bin und ihn aufgehalten hab.
»Verdammt!«, schrei ich meine Wut raus. Alles um mich herum ist still und alle starren mich an. Auch das noch! Doch zu Glück scheint es keinen besonders zu interessieren und so beginnt Augenblicke später wieder der Lärm.
Ich weiß nicht wie die Pause vorübergegangen ist. Ich stand nur da, mitten auf dem Schulhof, mitten in der riesigen Menge an Menschen. Doch ich bewegte mich nicht. Mir war alles egal. Ich wusste einfach nicht, was ich machen soll oder wohin ich soll.
Soll ich einfach nach Hause gehen? Soll ich nach Marc suchen? Was soll ich machen?
Doch die Antwort darauf blieb mir verwehrt. So stand ich dann da in dieser riesigen Masse von Menschen, doch ich fühlte mich so einsam und verlassen, wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Einige andere begannen schon mich anzustarren, was denn der Typ da wohl will. Aber das war mir egal, in dem Moment war mir so gut wie alles egal. Ich blieb stehen und erst beim Klingeln der Glocke wurde ich wieder aktiv.
Irgendwie ging ich wie in Trance wieder zurück ins Schulhaus. Quetschte mich wie eh und je durch die Massen und kam irgendwie an unserem Raum an.
Dirk wartet schon mit besorgtem Gesichtsausdruck und kam gleich auf mich zu.
»Hey, wo warst du denn? Hab das ganze Schulhaus nach dir abgesucht!«
»Nirgends, ich war bloß auf dem Schulhof!«
»Schulhof? Da bist du sonst nie. Was ist denn mit dir los, ich mach mir schon richtig sorgen. Du läufst rum wie 'ne wandelnde Leiche. Kreideblass und deine Augen sind leer. Was ist mir dir los!«, fragt mich Dirk mit besorgter Stimme und schaute mich an.
Zum Glück klingelt es jetzt zur Stunde, sonst wäre ich vor ihm in Tränen ausgebrochen und hätte ihm mitten im Schulhaus alles erzählt, was vorgefallen war. Bloß es ist im Moment weder der richtige Ort noch die richtige Zeit dafür.
Dirk will schon nachbohren, doch er merkt selber, dass der Moment einfach falsch dafür ist und außerdem kommt schon der nächste Lehrer und scheucht uns in den Raum hinein.
Als ich reinkomme sehe ich Marc schon wieder vorne in der ersten Reihe sitzen. Das Gesicht wieder mal in den Händen gestützt und keine Reaktion nach außen gebend.
Mal gucken wie diesmal der Lehrer auf die gestrige Situation reagiert. Naja wir haben Mathe und da ist der Lehrer doch ganz erträglich und vor allem zu jedem fair.
Es war auch kaum anders zu erwarten. Er lässt mich in Ruhe und ich kann mir meine Gedanken machen. Immer wieder wandern meine Augen und Gedanken zu Marc hinüber. Nein eigentlich waren sie immer dort. Ich starrte ihn anscheinend die ganze Zeit an, so dass Dirk mir schon in die Seite stieß es würde auffallen, doch wie schon alles andere an diesem Tag war mir auch das egal.
Ich wollte bloß noch diesen Tag hinter mich bringen. Doch auch diese Stunde verging wie im Schneckentempo. Jede Sekunde wurde zu Stunden, jede Minute wurde zu einer Ewigkeit und immer wieder die Fragen.
Hab ich irgendwas getan, was ihn abgeschreckt hat?
Habe ich ihm wehgetan? Oder war was zu Hause passiert?
Doch auch diesmal keine Antwort auf meine Fragen, war ja auch nicht anders zu erwarten. Marc sitzt immer noch so da, wie zu Anfang. Kopf in die Hände und keine weitere Reaktion.
Die Stunde will und will nicht vergehen, aber dann kommt doch das erlösende Klingelzeichen. Doch diesmal ich sofort aufgesprungen und zu Marc gerannt.
Diesmal soll er nicht weglaufen, diesmal nicht.
»Marc? Was ist mit dir?«
»Lass mich in Ruhe!«, faucht er mich an und hält dabei sein Gesicht immer noch in den Händen versteckt.
»Was hab ich dir denn getan? Wieso sprichst du nicht mehr mit mir? Hab ich dir wehgetan?«, ich will endlich antworten darauf finden.
»Komm, lass mich einfach. Es geht einfach nicht!«
»Doch es muss gehen. Ich liebe dich doch! Ich kann nicht mehr ohne dich!«
»Das ist nicht mein Problem. Du musst damit klarkommen. Es wird nicht gehen!«
»Wieso denn nicht! Du warst doch selber heut Morgen noch glücklich?«
Ich bin schon den Tränen nahe, ich konnte einfach nicht mehr. Wieso blockt er ab. Ich will doch wenigstens einen Grund dafür wissen, warum er auf einmal so ist.
»Komm lass mich. Ich will einfach nicht!«
»Aber Marc?« Tränen fließen mir übers Gesicht.
Plötzlich nimmt er seine Hände vom Gesicht weg, starrt mir mit verheulten Augen ins Gesicht und schreit bloß noch.
»VERSCHWINDE. ICH WILL DICH NICHT MEHR SEHN!«
Ich stehe da wie angewurzelt. Kann mich wieder mal nicht bewegen und statt, dass ich gehe nimmt Marc seine Sachen und verschwindet.
Ich stehe da und starre ins Leere. Tränen fließen mir über die Wange. Mein Gesicht ist kaltweiß und zeigt sonst keinerlei Reaktion.
Alle anderen im Raum starren auf mich. Keiner traut sich etwas zu sagen oder zu lachen.
Nur Dirk bewegt sich. Er nimmt seine und meine Sachen, kommt auf mich zu, nimmt mich an der Hand und zieht mich aus dem Raum.
»Aber wir haben doch noch Unterricht?«, frage ich wie in Trance.
»Das ist mir scheißegal! Ich sehe schon den ganzen Tag an, wie dreckig es dir geht und jetzt ist Schluss damit. Wir gehen jetzt zu dir!«
Irgendwie war ich dankbar endlich aus dem Gebäude zu kommen. Dem ganzen Mist zu entfliehen. Ich konnte nicht mehr. Noch ein paar Momente und ich wäre komplett zusammengebrochen. Es war einfach alles zu viel.
Zum Glück hat man Freunde wie Dirk, die dann auf einen aufpassen und im letzten Moment die Bremsen ziehen. So etwas ist bisher nur einmal passiert, dass Dirk mich aus der Schule schleifen musste und das war an dem Tag, an dem ich erfuhr, dass sich mein Bruder in der Nacht mit dem Auto todgefahren hatte.
Ich war damals 15.
Mein Bruder war 3 Jahre älter wie ich. Zu seinem 18. Geburtstag bekam er wie die meisten anderen Jugendlichen auch seinen Führerschein ausgehändigt.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir beide unzertrennlich gewesen, da war selbst Dirk eifersüchtig an zweite Stelle zu kommen.
Doch mit diesem 18. Geburtstag änderte sich alles.
Von einen Tag auf den anderen war er ein anderer Mensch. Dadurch, dass er ein Auto geschenkt bekam war er auf einmal der King in seiner Klasse und gab den Ton an. Er ging von da an jede Woche zur Disko, was sonst nicht seine Art war.
Man akzeptierte ihn endlich, wobei von Akzeptanz konnte man nicht sprechen, dann sie waren bloß auf das Auto scharf, da sonst keiner eins hatte.
Es ging soweit, dass er von seiner neuen Klicke zu Drogen verführt wurde und von Woche zu Woche verschlechterte sich sein Zustand und sein Verhalten uns gegenüber. Er sprach kaum noch mit uns und wenn überhaupt, dann endete es im Streit. Zu Hause flogen bloß noch die Türen, wenn er überhaupt mal da war.
Und in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember ist es dann passiert.
Er war mit Freunden wieder einmal in eine Disko und hatte dort durchgemacht. Wie immer ging es auch diesmal nicht ohne Drogen ab.
Wie die Obduktion später feststellte, war es an diesem Abend Kokain. Es war so viel, dass er nicht mehr gerade ausgehen konnte, aber seine Freunde überredeten ihn, sie doch noch nach Hause zu fahren.
Doch wie jeder weiß, unter Drogeneinfluss ist schlecht Autofahren. Einmal hinterm Steuer machte ihm das Fahren so viel Spaß, dass er nicht mehr aufhören wollte und seine zugedröhnten Freunde auch nicht. Sie fuhren schneller und immer schneller über die Landstraße.
Doch plötzlich stand ein Reh da. Mein Bruder wollte ausweichen und trat so fest es geht auf die Bremse, doch mit 200 Sachen ist es schlecht auszuweichen.
Das Auto rutschte über die matschige Schneestraße und prallte frontal gegen einen Baum.
Mein Bruder war sofort Tod. Von ihm blieben nur noch einzelne Teile übrig. Sein Kopf war am Lenkrad zerquetscht worden, ein Bein war abgetrennt und der Rest genauso wenig wiederzuerkennen.
Von den drei Mitinsassen im Auto überlebte nur eine. Sie wurde aus dem Fenster geschleudert und kam mit mehreren Brüchen davon. Alle anderen starben auf dem Weg ins Krankenhaus an inneren Verletzungen.
Die eine Überlebende kam mit dem Unfall nicht zurecht und drehte durch. Einen Monat nach ihrer Genesung verschwand sie von zu Hause und wurde nach einem Selbstmord tot unter einer Brücke in Berlin gefunden.
Sie hatte sich den goldenen Schuss gesetzt.
Mein Bruder war durch den Unfall nicht wieder zu erkennen und erst nachdem die Überlebende wieder ansprechbar war, wurde herausgefunden, dass der Fahrer mein Bruder war.
Die Polizei rief sofort meine Eltern an. Die natürlich zusammenbrachen. Sie konnten selber nicht mehr. Deswegen riefen sie in der Schule an, unser Direktor sollte mich über den Vorfall informieren.
Ich erinnere mich an den Moment, als wäre es gestern gewesen.
Es klopfte an der Tür und der Direktor trat ein. Er hatte ein finsteres Gesicht, man konnte sehen, es muss etwas Schlimmes vorgefallen sein und als er dann mich bat kurz rauszukommen, ahnte ich schon was passiert war.
Als ich dann Gewissheit darüber hatte, brach ich unter Tränen zusammen. Obwohl das Verhältnis zu meinem Bruder sehr gelitten hatte, konnte ich nicht anders. Ich hing zu sehr noch an ihm.
Dirk sah dies und kam sofort auf mich zugerannt und brachte mich sofort nach Hause und kümmerte sich um mich. Da meine Eltern in ihrem Leid selber nicht in der Lage dazu waren, was ich ihnen auf keinen Fall übel nahm. Es waren die härtesten Monate meines Lebens und selbst wenn ich jetzt noch zurück denke, steigen mir die Tränen wieder in die Augen.
Dirk merkt dieses natürlich sofort und bleibt erst mal stehen und nimmt mich einfach in den Arm.
»Komm, ist alles geschehen und wird nicht noch einmal geschehen!«, versucht er mich mit sanfter Stimme zu trösten.
»Denk an was anderes, du weißt es ist nicht rückgängig zu machen, sonst würde ich alles dafür geben. Es geht nicht, dein Leben geht weiter. Komm wir beeilen uns, dass wir endlich zu dir kommen und dann erzählst du mir alles was dir auf dem Herzen liegt.«
Ich bin echt froh, solche Freunde zu haben. Wie viel andere von dieser Sorte gibt es, die einen einfach in den Arm nehmen und trösten. Ich glaube ohne ihn wäre ich schon unter die Räder gekommen.
Dirk brachte mich dann also nach Hause. Draußen regnete es wie in Strömen, doch meine Beine waren zu schlapp, um schnell nach Hause zu gehen.
Dirk zog einfach seine Jacke aus und legte sie mir über den Kopf, so dass ich nicht nass wurde und ging langsam die ganze Strecke neben mir her.
Jeder Schritt nach Hause tat mir weh. Ich fühlte jeden einzelnen Muskel, jede einzelne Faser, jede einzelne Zelle in meinen Beinen. Ich konnte nicht mehr.
Der weg war mühsam. Doch Dirk meckerte nicht. Er nahm mich einfach bei der Hand und führte mich nach Hause.
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