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Forgotten Friendship

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Vorwort

Hi da bin ich schon wieder. Aber diesmal dreht sich nicht alles um Marc und Steff sondern um Gregor und Mirko. Diesmal geht es nicht um so scheiß Themen wie in der ersten Story, dennoch ist mal wieder etwas Ernsteres eingebaut, diesmal wird es über die rechten Skinheads sein. Alle Personen sind natürlich wieder einmal erstunken und erlogen. Für Anregungen und Kritik bin ich natürlich weiterhin offen, also schreibt mir alles, was ihr über die Story denkt.

Also viel Spaß beim ersten Teil.

 

Gestern kam Mirko auf mich zu und erzählte mir, dass seine Familie und er kurzfristig entschieden hatten, ins Ruhrgebiet zu ziehen. Für mich war das ein Schlag ins Gesicht.

Das würde für mich bedeuten, dass ich meinen besten Freund verlieren würde. Ich war selber ein Einzelgänger. Eigentlich war Mirko der einzige mit dem ich was zu tun hatte.

Meine Stimmung war an diesem Tag komplett im Keller. Mirko im Gegensatz dazu tanzte auf Wolken. Für ihn war es ein einziges großes Abenteuer. Er war so aufgekratzt als würde Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen.

Ich konnte nicht verstehen, wie er sich so freuen kann. Ist er denn glücklich mich endlich los zu sein?

»Hey? Was ist denn? Wieso machst du so 'ne Mine?«

»Ich versteh einfach nicht, wieso du dich so freust hier wegzukommen! Ich weiß einfach nicht, wie ich die Zeit hier ohne dich totschlagen soll.«

»Hey. Komm schon, freu dich mit mir, dass ich endlich hier rauskomme. Und wieso sollten wir uns denn aus den Augen verlieren. So etwas wie uns bekommt man einfach nicht getrennt!«

Er versuchte mich mit einem kleinen Lächeln aufzumuntern. Doch es wirkte nicht richtig, von mir kam nur ein gequältes Lächeln zurück.

»Versprich mir, dass du mir mindestens einmal die Woche schreibst!«, schoss es mir durch und auch gleich direkt aus dem Mund.

»Natürlich, glaubst du ich würde meinen besten Freund vergessen? Nie im Leben, du bekommst so viel zu lesen von mir, dass du dir noch selber in den Hintern treten wirst!«, versprach er und grinste mich wieder frech an.

Der letzte Tag war dennoch nicht gerade angenehm. Ich saß da wie ein Schluck Wasser, während Mirko und seine Familie umher wuselten und die letzten Reste für den Umzug vorbereiteten. Die Nacht vor der Abreise war grausam für mich, ich lag im Bett und bekam kein Auge zu. Immer wieder übermannten mich die Tränen und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie ich hier ohne Mirko weiterleben sollte. Es war einfach grausam. Und als der Tag kam, stand ich mit blutunterlaufenen Augen und dunklen Augenringen vor Mirkos Auto und verabschiedete mich unter Tränen von ihm.

»Und du versprichst mir, so oft zu schreiben, wie es nur geht?«

»Jaja«, gab er zurück und wirkte schon etwas genervt, »ich schreib sofort, wenn wir angekommen sind.«

»Sorry, wenn ich nerve, aber ich vermiss dich schon jetzt.«

»Ich versteh dich ja. Ich komm hier wenigstens aus der Einöde heraus und du musst die nächsten Jahre hier noch versauern. Aber ich verspreche dir, du wirst noch mehr von dir hören als dir lieb ist.«

Dann stiegen er und seine Familie ins Auto und fuhren davon. Ich stand die ganze Zeit am Straßenrand und winkte hinterher. Ich stand noch eine ganze Weile da und sah dem Auto hinterher, ich stand sogar noch da, als das Auto nicht mehr zu sehen war.

Die nächsten Tage und Wochen waren für mich schrecklich. Nach der Schule ging ich nach Hause, haute mich vor den Fernseher und ließ mich berieseln. Und so ging das noch 'ne ganze Weile weiter, bis ich aufs Gymnasium wechselte und so neue Leute kennen lernte und mir einen neuen Freundeskreis aufbaute ....

Das ist jetzt 10 Jahre her. Es war kurz nach der Wende und viele Familien »flüchteten« in den »Westen« wegen der Hoffnung auf Reichtum, Arbeit, Wohlstand und wahrscheinlich auch aus Angst, dass die Mauer ein weiteres Mal aufgebaut wird und sie wieder in der DDR festsitzen.

Zu diesen Familien gehörte auch die von Mirko. Heute sind wir beide 18 Jahre und selbst wenn es keiner erwartet hatte, die Freundschaft hat immer noch Bestand, wir schrieben uns nahezu jede Woche mindestens einen Brief und es war immer noch wie zu Anfang, bei jedem Brief den ich erhalte, schlägt mein Herz vor Freude und macht 3 Purzelbäume.

Heute ist mal wieder so ein Tag. Direkt nach der Schule lag im Briefkasten nur ein Brief und diesmal ist es mal wieder einer von Mirko. Ich krallte mir den Brief und lief nach oben in mein Reich. Ich schmiss mich aufs Bett und riss den Brief in aller Hektik auf. Eigentlich ist es nichts besonderes mehr, denn die Briefe waren die Regel, in meinem Schreibtisch lagen schon mehr als 1000 von diesen, aber ich freute mich immer noch wie ein kleines Kind und musste sie sofort lesen.

Ich faltete wie immer sorgsam den Brief auseinander.

Hi Gregor

Was ich dir heute mitzuteilen hab wird dich wahrscheinlich vom Stuhl hauen.

Nach 10 Jahren wirst du mich endlich wieder sehen und diesmal nicht nur für ein paar Tage sondern für eine längere Zeit.

Meine Ma und mein Dad haben entschieden, nach all den Jahren wieder zurück nach Mendelshaben (ich hoffe den Ort gibt es nicht) zu ziehen. Nach all den Jahren wollen sie dann doch zurück in die Heimat. Für mich und meinen Bruder kommt es doch ziemlich überraschend. Aber ich freue mich riesig, dich endlich wieder zu sehen. Die Zeit hier war nicht grad die beste. Ich habe die Menschen aus meiner alten Heimat richtig vermisst. Der Rückzug kommt genauso plötzlich wie der Wegzug. Schon in 3 Tagen werden sich meine Eltern, mein Bruder und ich auf den Weg machen.

Ich freue mich schon wahnsinnig, dich und alle anderen wiederzusehen.

Ich hoffe du verzeihst mir, wenn ich heut so einen kurzen Brief schreibe, aber bei uns ist wegen des Umzugs die Hölle los. Meine Ma wirbelt wie eine Bescheuerte durch die Wohnung und versucht irgendwie eine Ordnung in dieses Wirrwarr zu bringen.

Mein Dad hilft ihr dabei, wo er nur kann und übernimmt für sie die schweren Sachen, die zu heben sind. Und ich springe wie ein Bescheuerter durch die Wohnung und freue mich riesig, endlich wieder daheim zu sein.

Ich muss jetzt aber wirklich abbrechen, da ich es sonst nicht schaffe, alles zu packen und zu verstauen.

Das war endgültig mein letzter Brief an dich, denn ab jetzt werd ich dir wieder alles direkt erzählen.

Tschau bis in 3 Tagen 17:00 Uhr an unserer alten Wohnung.

Mirko

Hab ich das eben richtig verstanden? Mirko kommt zurück? Ich konnte es einfach nicht glauben. Immer und immer wieder lese ich den Brief durch. Ich habe keine Ahnung wie oft.

Ich konnte es einfach nicht glauben, dass Mirko, mein bester Freund Mirko, zurückkommt.

Als ich es nach einer ewig Zeit kapiert habe, springe ich auf und kann mein Glück einfach nicht fassen. Wie ein bescheuerter spring ich durch den Raum und tanze wie auf Wolke 7.

»Oh Gott«, schießt es mir durch den Kopf, als ich den Poststempel sehe. Er kommt ja schon heute an, der Brief war ja 2 Tage unterwegs. Ach du Sch..immelkäse. So schnell. Shit das ist so plötzlich, dass ich nicht mal Zeit hab mich darüber zu freuen, geschweige denn irgendetwas für ihn vorzubereiten. Als ich auf die Uhr schaue, zeigt diese schon 16:30 Uhr an.

»Scheiße noch mal!«, entfährt es mir. Ne halbe Stunde das kann ich kaum noch schaffen.

So schnell wie möglich renne ich die Treppen runter, schnappe mir mein Fahrrad und trete so stark in die Pedalen, dass mir gleich zu Anfang fast die Kette runterfliegt. Zum Glück ist unser Ort nicht gerade besonders groß, vielmehr ist es ein großes Dorf und jeder kennt jeden.

Das geht einem oftmals ziemlich auf den Geist. Wenn du bloß einmal unachtsam deine Kippe auf der Straße fallen lässt, so steht es den nächsten Tag gleich in der Ortzeitung. So etwas ist echt nervig, da lob ich mir doch die Anonymität der Großstadt. Ich weiß, viele können es nicht verstehen, wie man in die Stadt ziehen will, aber wer 18 Jahre in einem kleinen Kaff gelebt hat, der ist froh endlich einmal etwas anderes zu sehen.

Klar in unserem Ort gibt's auch 'ne Disko, aber was für eine. Nur Kinder oder diese Dorfproleten hängen dort ab. Geschweige denn, dass es dort überhaupt vernünftige Musik gibt. Nein, man wird mit so Kram wie Blümchen oder den N' Sync voll gedudelt und darauf hab ich nun wirklich keine Lust. Sonst gibt es in diesem Ort nichts für Jugendliche. Die meisten hängen irgendwo in der Gegend ab und lassen sich durch Alkohol oder andere Drogen zu dröhnen. Ja richtig gehört, auch auf dem Dorf gibt es Drogen, zwar nicht so offensichtlich und exzessiv wie in der Großstadt, aber sie gibt es. Und sie werden vor allem dazu benutzt, um sich vom Stumpfsinn der alten Leute und der Obrigkeit der Lehrer und der Langeweile zu betäuben.

Aber ich lenke im Moment wieder zu sehr vom Thema ab. Gott würde ich mir wünschen hier rauszukommen. Nun aber gut. Nach etwa 10 Minuten erreiche ich dann doch den alten Wohnblock, wo anscheinend Mirko und seine Familie wieder einziehen werden. Es ist einer der alten Plattenbausiedlungen, die noch aus DDR-Zeiten übrig geblieben sind. Nicht gerade der schönste Ort dort zu leben. Aber es waren billige Wohnungen. Geringe Miete, geringe Heizkosten, geringe Stromkosten. Vor Jahren lebte ich auch noch in so einem Gebäude, aber dann ist meine Familie in ihr eigenes Haus gezogen und seit dem herrscht endlich Ruhe.

Man muss wissen, dass die Wände in solchen Wohnungen dünn sind wie Papier. Man hört jeden Mucks vom Nachbarn, jeden Streit und alles, was man sonst nicht hören will.

Das führt natürlich auch in der eigenen Familie für ziemliche Unruhe, doch seit jeder sein eigenes Reich bekommen hat, ist auch das Problem gelöst. Ich merke schon, ich lenke vom Thema ab.

Ich kam also doch noch rechtzeitig an. Es war mehr als rechtzeitig. Noch ungefähr 5 Minuten bis sie auftauchen würden. Ich stellte also mein Fahrrad weg und setzte mich auf die Treppen vor der Haustür. Die Sekunden vergingen wie Kaugummi, jede Sekunde wirkte, als wenn es ganze Stunden wären.

Endlich biegt ein Auto um die Ecke mit dem Kennzeichen K. Das kann nur Mirko sein. Sonst kenne ich keinen, der aus Köln hierher fahren würde. Das tut sich kein gesunder Mensch an.

Als das Auto näher kommt, kann ich hinter dem Steuer Mirkos Dad sehn. Er scheint genauso auszusehen wie früher, bloß dass seine Haut halt etwas faltiger und seine Haare mehr graue Strähnen haben. Aber sonst scheinen ihm die 10 Jahre nichts angetan zu haben.

Das Auto hält direkt vor mir mit einem abrupten Bremsen. Ich springe von der Treppe auf und meine Hände sind feucht, so als stünde ich vor meinem ersten Date. Oh Gott, mein Herz pocht, als wolle es gleich zerspringen, doch zum Glück geschieht dies nicht.

Die Türen vom Auto gehen auf und vier Gesichter kommen zum Vorschein. Von der Fahrerseite natürlich Mirkos Dad, der sich, wie schon gesagt, kaum verändert hat, bis auf den Aspekt, dass seine Haare und Haut unter der Zeit doch etwas leiden mussten. Von der Beifahrerseite her tritt Mirkos Ma auf die Straße. Sie hat jetzt im Gegensatz zu früher einen modischen Kurzhaarschnitt und hat während der Zeit doch so einige Kilos liegen gelassen. Sie ist für ihr Alter eine echte Augenweide geworden. Man könnte meinen, sie sei nur ein etwas in die Jahre gekommenes Model. Erstaunlich, was für Wunder die Zeit mit sich bringt, sie muss mindestens 20 Kilo abgenommen haben. In ihren Augen ist ein fröhliches Glitzern, so als würde sie heute etwas sehen, was sie schon ewig lange gesucht und nie gefunden hat.

Hinten steigen Maik und Mirko aus. Maik ist Mirkos kleinerer Bruder, wobei klein sich nur noch aufs Alter bezieht. Er ist gut einen Kopf größer wie Mirko und ist nur etwa 1 Jahr jünger wie er. Wenn ich mich nicht irre, müsste Maik jetzt 17 sein. Das ist also aus dem kleinen Quälgeist von damals geworden. Ein großer stattlicher Junge. Doch er scheint nicht allzu glücklich. So als würde er das hier nur widerwillig mitmachen. Was ich durchaus verstehen kann. Mit gesenktem Kopf steht er verloren neben dem Auto und weiß anscheinend nicht was er machen soll.

Mirko dagegen springt mit einem riesigen Lächeln aus dem Auto und fällt mir gleich um den Hals.

»Endlich wieder u Hause!« Er ist richtig erleichtert, seine alte Heimat wieder zu sehen und nicht mehr weg zu müssen.

Ich habe Mirko jetzt seit seinem letzten Besuch, das war vor 5 Jahren, nicht mehr gesehen. In der Zeit ist viel passiert und alle haben sich verändert, so natürlich auch Mirko. Bei ihm muss irgendwann der Wachstumsschub ausgesetzt haben. Er ist gut einen Kopf kleiner als ich, ich schätze ihn mal so auf 1,70-1,75, aber immer noch der schlaksige Kerl von früher. An seinem Körper ist kein Gramm Fett, aber auch keine Muskeln. Schwarze Haare und braune Rehaugen. Aber beim Bartwuchs muss er sich zwei Mal gemeldet haben, als dieser vergeben wurde. Entweder hat er sich die letzten zwei Tage nicht rasiert oder die schießen nur so aus seinem Gesicht heraus. Ich tippe eher auf ersteres, so ein Umzug macht doch jede Menge Stress und da vergisst man schnell mal seine alltägliche Rutine.

Genauso schnell wie er mir um den Hals gefallen ist, genauso schnell löst er sich auch wieder und beginnt mich zu mustern.

»Hey, was ist denn aus dir geworden. Fast hätte ich dich nicht erkannt!«

»Wieso Mirko, wer ist das denn eigentlich?«, kommt es jetzt fragend von seiner Mutter.

In diesem Moment konnte ich mir einfach ein Grinsen nicht verkneifen. Ist doch irgendwo schön, wenn man sich so verändern kann, dass einen die anderen nicht wiedererkennen.

»Ma das ist Gregor!«, kommt es gleich von Mirko zurückgeschossen. In diesem Moment klappen die Kinnladen der anderen drei so heftig herunter, dass ein Erdbeben der Stärke 9 hätte gemessen werden können.

»Nicht so schreckhaft, sind ja schließlich schon 5 Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Und Sie haben sich ja auch heftigst verändert!«, gebe ich gleich Mirkos Ma als Antwort.

»Da sind wir dann ja jetzt schon zwei!«, lächelt sich mich an. »Aber hör auf mich mit Sie anzusprechen! Das hast du früher nicht gemacht und jetzt fang bloß nicht damit an, sonst komm ich mir so alt vor. Es bleibt also bei Marion!«

»Ok, dann bleib ich bei Marion und Sie natürlich, pardon, DU natürlich bei Gregor.«

Mirko schiebt mich jetzt ein Stück von sich und betrachtete mich erst mal ausgiebig. Um dieses Verhalten mal aufzuklären:

Es ist eigentlich ganz schnell erklärt. Vor etwa 4 Jahren viel ich in eine kleine, oder doch eher große Krise. Sie war eigentlich der Auslöser dafür, dass ich mich verändert habe. Früher war ich ein fettes kleines Pummelchen. Wirklich, ich war fett bis oben hin. Und durch die Krise fiel ich so tief, dass ich mir endlich vornahm, aus mir etwas zu machen. So begann ich abzunehmen, dass bald darauf leider schon fast krankhaft war. So verlor ich dann in kürzester Zeit mehr als 30 kg. Doch zum Glück haben mir Leute immer wieder vor Augen geführt, wie mager ich doch sei und so hab ich wieder zu mir gefunden und wieder 10 Kilo zugenommen. Heute fühl ich mich endlich wohl mit meinem Gewicht und mit mir selbst. Ich bin sicher noch kein Top-Model, aber das will ich gewiss auch nicht werden. Sonst bin ich halt noch in die Höhe geschossen und mit meinen hart erkämpften 1,92 nicht gerade der Kleinste. Bin auch ganz froh damit. So muss ich zu anderen wenigstens nicht mehr aufschauen. Zumindest kommt es nicht allzu oft vor, dass ich aufschauen muss. Um dann gleich noch eine komplette Beschreibung von mir Abzuliefern, habe ich zu dem noch grüne Augen und schwarzes, seit neustem kurzes Haar und wenn es noch von Bedeutung ist, meine Schuhgröße ist 43 und meine Hosengröße 32/33 ;-). Und um die Krise noch genauer zu definieren. Es war damals die Zeit, als ich mir selber eingestand, ich wäre schwul, was sich bis heute nicht geändert hat und bis zum heutigen Tag wissen nur meine Eltern davon.

Mirko brauchte noch ein paar Minuten, um mich zu begutachten. Ich fühle mich vor allem irgendwie, als ob ich auf dem Präsentierteller säße. Es ist nicht gerade ein angenehmes Gefühl und so laufe ich auch schnell rot an. Maik und sein Vater stehen immer noch mit offenem Mund da, während Marion und Mirko schon wieder zum Normalzustand übergegangen sind

»Du bist doch wie immer so freundlich und hilfst uns beim Hochtragen der letzen Kartons!«

Wie es Mirko doch immer noch drauf hat eine Bitte als Befehl auszudrücken. Ich bin normalerweise ein Faultier und arbeite sehr ungern. Ist halt so, ich lass es mir lieber gut gehen und häng lieber dumm in der Gegend rum. Aber ich hasse es wie die Pest, wenn mir irgendetwas aufgezwungen wird, so wie jetzt. Aber diesmal, ist mir das so ziemlich egal. So kann ich wenigstens noch 'ne ganze Zeit mit Mirko abhängen. Aber in Zukunft wird er wohl noch lernen, was es heißt, mir etwas aufzuzwingen. Und beschweren kann ich mich eigentlich auch nicht, es sind ja schließlich nur noch ein paar Kartons mit persönlichen Sachen, die in die Wohnung getragen werden müssen. Den größten Teil haben die Möbelpacker gestern tagsüber anscheinend schon in die Wohnung gebracht.

»Natürlich helfe ich gern. Ist doch überhaupt kein Problem.«

»Immer noch der Gregor von damals, kann selbst heute zu nichts nein sagen!«, grinste mich Marion schief von der Seite an.

»Oh doch, ich kann nein sagen. Soweit hab ich mich dann doch in den Griff bekommen. Ich glaub mit meiner Sturheit werdet ihr in Zukunft noch mächtig viel Freude haben!«, grinste ich frech zurück.

Selbst Mirkos Vater und Maik hatten wieder ihre Kinnlade eingefahren und schienen wieder auf normal zu sein. Bloß Maik ließ wieder seinen Kopf hängen. Er sah schon richtig mitleidserregend aus, so wie er da stand. Rolf, Mirkos Vater, hat sich wieder gefangen und ging zum Kofferraum und öffnete ihn. In diesem Moment begann ich Kombis zu hassen. Die hatten für mich in diesem Moment einfach zu viel Stauraum. Da sind mindestens 10-20 Kartons, die alle nach oben zu tragen sind. Oh Gott, worauf hab ich mich da bloß eingelassen!

Nun hatte ich schon zugestimmt und konnte nicht zurück.

»Und jetzt alle Mann ran an die Kisten, vom Rumstehen wird nichts bewegt!«

Es schien als wolle nicht nur ich am liebsten die Kartons für die nächsten Jahre im Auto lassen, auch Maik und Mirko sehen so aus, als würden sie sich im Moment lieber verkrümeln.

»Fass an!«, forderte er Maik auf und drückte ihm gleich zwei Kartons in die Hand. »Marion gehst du mal schnell hoch und schließt du die Tür auf?«

»Schon erledigt Schatz!« So eine Harmonie war ja kaum noch zu ertragen ;-). Es schien wirklich so, als wäre es das Beste gewesen, wieder zurückzukehren.

»Seit wann habt ihr euch denn überlegt wieder zurückzukommen?«, beginne ich zu fragen, als wir uns dann mit den Kartons in den 5. Stock aufmachten.

»Schon seit einiger Zeit! Wieso fragst du?«

»Und wieso erzählst du mir dann 3 Tage vorher davon? Eigentlich hab ich den Brief ja erst vor einer dreiviertel Stunde erhalten! Ich stehe wohl noch immer unter Schock. Ich glaub ich hab bis jetzt noch nicht realisiert, dass du jetzt hier bleibst!«

»Autsch«, schrie ich auf und hätte fasst den Karton fallen gelassen.

»Siehst du, du träumst nicht und ich habe dich gerade gekniffen. Wach auf oder begreif, dass ich da bleibe!«, grinst er mich an.

»Musst mir ja nicht gleich einen blauen Fleck machen!«, murre ich zurück. Aber es ist ja auf keinen Fall böse gemeint. Ich bin innerlich noch zu überwältigt davon, endlich habe ich ihn zurück.

»Und du bist so glücklich! Vermisst du gar nicht deine Freunde, Bekannt usw. von dort? Ist dir das alles ganz egal?«

»Können wir bitte nachher darüber sprechen? Beim ganzen Gelaufe geht mir bloß die Luft aus und fürs sprechen geht's da sowieso nicht!« Innerlich angespannt und neugierig, auf alles was passiert ist, muss ich mich doch noch zusammennehmen. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, so viele Kartons in so einem kleinen Wagen unterzubringen. Mir qualmen auf jeden Fall die Füße, nachdem ich mindestens 10 mal hoch und runter gelaufen bin. Hoch in den 5. Stock, schwer bepackt, wieder hinunter. Hoch in den 5. Stock, wieder hinunter ...

Ich lasse mich da einfach bloß auf Mirkos Bett fallen und schnauf erst mal durch.

»Gott bin ich erledigt! Wieso bin ich bloß vorbeigekommen!«, grinse ich ihn an.

»Warum wohl? Weil du einfach bloß neugierig bist und als erster alles wissen willst, um es dann weiter zu tratschen!« Sofort kommt ein Kissen von mir geflogen und landet direkt in Mirkos Gesicht. Mirko gerät ins Wanken und fiel direkt rücklings auf seinen Allerwertesten.

Als er sich wieder gefangen hat, springt er sofort auf und direkt auf mich los.

Ein heftiges Gerangel zwischen uns fängt an. Ich bin zwar der größere, aber er ist immer noch der kräftigere, so geht es zu Anfang hin und her, mal er oben, mal ich oben. Aber letztendlich ist er doch derjenige, der die Oberhand behält. Er nagelt mich sozusagen am Boden fest.

Auf meinen Händen sind seine Knie und auf meinem Bauch sein hintern, so dass ich mich nicht mehr richtig bewegen kann und erst dann beginnt seine richtige Strafe. Er beginnt mich von oben bis unten durch zu kitzeln und unter seinem Gewicht kann ich mich einfach nicht wehren. Ich winde mich unter ihm. Quietsche und Schreie wie ein kleines Kind. Es ist aber auch in solchen Situationen sau blöd, dass man am ganzen Körper kitzelig ist. Ich muss so sehr lachen und quietschen, dass mir der Bauch weh tut und anscheinend winde ich mich so stark unter Mirko, dass er aufgeben muss, selbst er kommt da ins Schwitzen.

Erschöpft ließen wir uns nebeneinander aufs Bett fallen und mussten erst mal kräftig durchatmen. Ich weiß nicht genau wie lange ich brauchte, aber ich keuchte mir doch die Lunge aus dem Hals.

»Warum seid ihr nun denn eigentlich zurückgekommen?«, frage ich immer noch außer Atem.

»Da gibt's viele Gründe. Der wichtigste war natürlich, dass mein Vater hier ein Jobangebot bekam. Er fängt schon nächste Woche als Dachdecker an. Es ist schon heftig drüben, wenn man ohne Job und ohne festes Einkommen auskommen muss. Aber das war ja erst die letzten Monate so, denn zu Anfang verdiente mein Vater ja nicht schlecht. Bloß vor 3 Monaten ist die Firma Konkurs gegangen und so stand er auf der Straße!« Er macht eine kurze Pause, um dann weiter fortzufahren.

»Und natürlich, weil wir unsere alten Freunde hier alle vermisst haben!« Er sah mich an und schenkte mir ein Lächeln.

»Aber vermisst ihr nicht schon jetzt eure ganzen Freunde von da?«

»Welche Freunde? Das sind alles Arschlöcher diese Wessis. Keiner von uns da drüben hat richtige Freunde gefunden!«

»Wieso sollen das Arschlöcher sein? Ich hab mit niemandem aus der Ex BRD richtig Probleme gehabt. Die waren eigentlich immer supernett!« (*zwinkerzwinker*kicherkicher*).

»Du musst bloß mal mit denen reden. Die Glauben sie haben die Weisheit mit Löffeln gefressen. Sie lassen nichts anderes gelten und glauben ihr scheiß Kapitalismus ist das Beste, was es jemals auf Erden gegeben hat. Die wissen gar nicht wie gut es uns vor der Widervereinigung ging!« Hat Mirko das eben wirklich gesagt? Weiß er denn nicht selber wie schlimm es vor der Wende war? Wir waren damals zwar erst 7 – 8 Jahre alt. Aber auf die Augen gefallen dürften wir beide nicht sein. Die Gebäude waren abrissreif. Man bekam kaum etwas Vernünftiges im Supermarkt, damals noch Konsum. Es reichte schon, wenn man sich Weihnachten aufschreiben lassen musste, um pro Kind einen Weihnachtsmann zu bekommen. Hat er das alles vergessen?

»Es sind einfach bloß Besserwisser, die nur meckern können und glauben, wir wären bloß da, um ihnen das Geld aus dem Arsch zu ziehen! Nur Maik kam komischerweise mit ihnen zurecht. Er hatte schon einen riesigen Freundeskreis. Doch leider war es der falsche. Sie setzten ihm scheiß Flausen in den Kopf, die er natürlich noch alle glaubte. Es war zum Schluss zum Haare raufen, was er sich alles einreden ließ.«

»Was war denn das genau?«

»Du sei mir nicht böse, aber darüber möchte ich nicht reden. Er wird früher oder später bemerken, was für einen Scheiß er damals geredet hat und einsehen, dass es für ihn das Beste war, zurückzukommen.«

»Aber ...«

»Nein, kein weiteres Wort darüber!« Auf Mirkos Gesicht lag ein Schatten.

»Also war Maik der große Grund, warum ihr zurückgekommen seid?«

»Wenn du es genau wissen willst. Ja!«

Scheiße, was kann Maik bloß angestellt haben. Er scheint, als könne er kein Wässerchen trüben.

»Wie soll es denn dann hier werden? Wollt ihr ihn die ganze Zeit anketten? Er ist 17, wie wollt ihr ihn da abhalten!«

»Er ist noch 17 und so haben wir noch 1 Jahr Zeit, ihm zu zeigen, dass er was falsch gemacht hat. Und deswegen wird er die nächste Zeit auch vor allem bei mir abhängen müssen. Wenn er denn irgendwann mal aus der Wohnung will. Sonst muss er im Zimmer abhängen und da wir uns ab jetzt wieder eins teilen müssen, kann er auch hier keinen Mist mehr bauen!«

Auf Mirkos Gesicht liegt ein Schatten der Sorge. Es schien auch ein bisschen Wut mit bei zu sein, darüber, dass er nicht schon vorher auf ihn aufgepasst hat.

»Lass uns lieber das Thema wechseln!«

»Sorry. Geht leider nicht! Ich muss nach Hause, morgen ist ja wieder die Scheiß Schule. Endlich siehst du dann deine alten Leute, zumindest ein paar von ihnen, wieder!«

»Holst du uns beide dann ab?«

»Klaro kein Problem. So gegen 7?«

»Oki! Wir warten unten.«

Ich ging noch schnell zu den anderen und verabschiedete mich noch schnell und war dann auch verschwunden.

Den restlichen Tag verbrachte ich wie in Trance. Ich konnte einfach nicht begreifen, dass Mirko, mein bester Freund, endlich wieder da ist und nie wieder gehen wird! Ich könnte Luftsprünge machen, doch Maik zog mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Wieso bereitet er seiner Familie so viele Sorgen. Das hätte ich ihm nie zugetraut. Er war damals zwar der Quälgeist, der uns auf Schritt und Tritt folgte, aber nicht so, dass er irgendwem hätte irgendetwas antun können.

Mit einem Unguten Gefühl gehe ich dann zu Bett und schlafe mit diesem Gefühl auch ein.

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