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Muss das wirklich sein?
Teil 2
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Informationen
- Story: Muss das wirklich sein?
- Autor: Chris S.
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Vorwort
Was bisher geschah: Das von Chris so gefürchtete »Austauschmonster« entpuppt sich als hübscher schnuckeliger Boy. Chris verliebt sich sofort in den Austauschschüler Ben… Ben hat bereits seine erste Nacht in Deutschland verbracht und nun an diesem ersten »richtigen« Tag hilft Chris Ben nun beim Kofferauspacken. Dabei macht er eine (für ihn) entsetzliche Entdeckung ...
Anmerkung: An einer Stelle wechselt der Sprecher von der ersten in die dritte Person. Anders konnte ich diesen Abschnitt nicht realisieren. Ich hoffe, ihr werdet nicht allzu verwirrt.
Kommentare wie immer an crizi-online@web.de
Nein, es waren keine Freudentränen. Ich heulte wegen dem Bild, das ich eben entdeckt hatte. Immer wieder und wieder schaute ich es mir an. Aber, es gab keinen Zweifel. Ich sank auf den Boden. Auf dem Foto war - oh Gott ... ja, war Pamela Anderson abgebildet, die verführerisch (nicht für mich, nein ...) ihr Hinterteil in die Kamera reckte und keinerlei Anstalten machte, sich etwa in Johan Paulik oder wasweißichwen zu verwandeln.
Ben war inzwischen die Erschrockenheit aus dem Gesicht gewichen, und er grinste mich spitzbübisch an.
»Coole Tussi, was? Hat doch 'nen geilen Arsch, findest du nicht?«
Dann aber änderte sich blitzartig sein Gesichtsausdruck. Er sah, wie mir immer stärker und stärker die Tränen das Gesicht runter flossen, und blickte mich gleichsam sorgenvoll an.
»Chris was ist denn los? Du heulst ja!«
Was ist wohl los? Kannst du dir das nicht denken???? In diesem Moment muss mir der Verstand ein wenig abhanden gekommen sein, denn mir war überhaupt nicht mehr bewusst, dass Ben höchstwahrscheinlich nicht schwul sein würde und dass er eben doch auf Mädchen stand.
»Ach Chris, sorry dass ich dich so angeschrien habe, aber ich dachte du hättest........« Er stockte und wurde rot.
»Was dachtest du?«, fragte ich mit tränenerstickter Stimme.
»Ich dachte, dass du... dass du ... Ist ja auch egal. Weißt du was, ich könnte dir doch noch mehr von diesen Pics zeigen und ...«
Weiter kam er nicht. Das war nun eindeutig zu viel für mich. Ich raffte mich vom Boden auf und rannte aus dem Zimmer. Schreiend durchquerte ich die Diele, knallte die Türe meines Zimmers hinter mir zu und war mich in mein Bettzeug. Dort ließ ich dann meinen Tränen freien Lauf. Ich heulte und heulte, hemmungslos flossen die Tränen aus meinen Augen. Ich benahm mich wie ein Baby.
Jetzt im Nachhinein betrachtet kann ich gar nicht mehr verstehen was mit mir los war. Ich kann Ben doch seine sexuellen Vorlieben nicht vorschreiben. Doch in diesem Moment dachte ich an nichts mehr, außer dass meine große und vor allem erste Liebe schon zu Ende war, obwohl sie noch nicht einmal begonnen hatte.
Wie sollte ich Ben jetzt begegnen? Schließlich war ich immer noch in ihn verliebt.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach meine Überlegungen.
»Chris? Darf ich reinkommen? Bitte!«
Was will er denn jetzt noch? Will er mich niedermachen? Will er seine Drohung wahrmachen und mir seine Bildersammlung nackter Tussen zeigen?
Auf jeden Fall entschloss ich mich, nicht zu antworten.
»Chris, bitte ...«
...
Dann wurde vorsichtig die Türe geöffnet und Ben kam langsam auf mich zu.
»Chris, es tut mir so schrecklich leid dass ich die angeschrien habe vorhin. Ich weiß selbst nicht was mit mir los war. Wahr- wahrscheinlich steckt mir noch der Reisestress in den Knochen.«
So, glaubst du das wirklich? Dass Ben mich angeschrien hatte, war mir doch so was von egal. Dass er aber eine Hete war, konnte ich kaum verkraften.
»Chris, sag doch was. Bitte!!!«
»Ben, bitte geh. Ich möchte alleine sein. Lass mich.«
»Aber ich möchte doch nur ...«
»Bitte.«
»OK, dann gehe ich jetzt. Bitte verzeih mir, ja?«
Damit war es erledigt. Ben ging aus meinem Zimmer und machte sanft die Türe hinter sich zu. Dann übermannten mich wieder einmal Heulkrämpfe. Ich zwang mich, endlich damit aufzuhören, aber es klappte nicht. Immer wieder und wieder musste ich an Ben denken, und dabei schossen mir regelrecht die Tränen aus den Augen.
Ben lief inzwischen nachdenklich in sein derzeitiges Zimmer zurück. Er fragte sich, was wohl mit dem netten Jungen los war, der ihm eben noch beim Auspacken seines Koffers geholfen hatte. Der Koffer - oh Gott, was für ein Glück, dass er die anderen Blätter nicht gesehen hatte. Das wäre eine Katastrophe geworden. Dass er Chris angeschrien hatte, nagte immer noch an ihm. Hätte er nicht weniger aufbrausend reagieren können? Aber darüber nachzudenken war müßig, denn es war geschehen und auch nicht mehr rückgängig zu machen. Ben hoffte, dass ihm Chris verzeihen konnte. Er wollte mit irgendjemandem über diese Angelegenheit reden. Aber mit wem? Frau Hudelmayer? Ben war sich nicht sicher. Klar, er fand Chris‘ Mutter in Ordnung und auch sehr nett, aber ob er mit ihr darüber reden konnte? Und Herr Hudelmayer? Den hatte Ben bisher nicht kennenlernen können, da entweder er selbst entweder geschlafen hatte oder Herr Hudelmayer bei der Arbeit gewesen war, wie jetzt übrigens auch. Bleibt nur noch Sandra - die müsste doch da sein, und es wird auch höchste Zeit, sie mal kennenzulernen. Also beschloss Ben, Sandra in ihrem Zimmer zu besuchen. Aber wo war das noch mal? Er klapperte die Zimmer des Obergeschosses ab, und fand schließlich eines mit der Aufschrift »Sandra« direkt auf die Türe geschrieben. Er klopfte.
»Ja bitte?«, sagte eine freundliche Stimme hinter der Türe.
»Hallo Sandra. Ich bin es, Ben. Darf ich ´reinkommen?«
Er brauchte gar nicht auf eine Antwort zu warten. Die Türe wurde aufgerissen und ein etwas molliges Mädchen rannte heraus.
»Halloooooooo!!!! Du bist also Ben! Herzlich Willkommen bei uns! Ich hoffe, dass du dich bei uns einigermaßen wohl fühlen wirst!!!!!
Plötzlich wurde Ben von Sandra an sich gedrückt und zur Begrüßung herzlich umarmt.
»Mensch, du bist aber wirklich ein hübscher Bursche. Meine Mutter hat nicht übertrieben!«
Die geht aber ´ran, dachte Ben bei sich. Er war überrascht von der Energie und dem Leben, das in diesem Mädchen steckte. Es schien, als könnte er sich mit Sandra anfreunden.
»Und, wie war deine Anreise? Hattest du einen guten Flug? Wie war das Essen im Flugzeug? Ist es nicht eine krasse Umstellung mit der Zeitverschiebung? Sag mal, so niedlich wie du bist, musst du doch bestimmt schon vergeben sein? Ohh, meine Freundinnen werden nur so dahin schmelzen, wenn ich ihnen dich vorstelle. Sie werden platzen vor Neid! Hast du gut geschlafen? Hast du ...«
»Mal langsam Sandra. Ich kann doch nicht alles auf einmal beantworten. Also, mein Flug war okay, das Essen war verhältnismäßig lecker, und dass die Zeitverschiebung nichts für mich ist, wirst du ja sicher gemerkt haben: So todmüde, wie ich gestern Abend ins Bett gefallen bin, hatten wir ja nicht mal die Chance, uns kennenzulernen. Aber ich habe gut geschlafen und bin jetzt wieder total fit.«
»Fein. Aber eine Frage hast du mir nicht beantwortet. Hast du nun eine Freundin, oder nicht?« Sie zwinkerte ihn an.
Ben wurde rot. Er begann zu stottern. »Ja ääh nein. Nein ich h-habe keine Freundin. Aber ...«
»Och, wirklich nicht? Flunkerst du nicht ein bisschen?« Sandra grinste ihn an.
»Nein, wirklich nicht.« Er dachte nach. »Sagmal, hat eigentlich dein Bruder eine Freundin?«
»Soviel ich weiß nicht. Aber wer weiß, vielleicht versteckt er sie ja immer unter seinem Bett, wenn jemand in sein Zimmer ´reinkommt. Also ich weiß jedenfalls nichts davon. Wieso willst du denn das wissen?«
»Ööhm nicht so wichtig. Aber weswegen ich eigentlich hier bin: Vorher ist etwas passiert, was mir Sorgen bereitet. Chris und ich haben gemeinsam meinen Koffer ausgepackt, und dabei sind ein paar ja ääähm ... private Bilder aus meinem Koffer gefallen, und Chris hat sie aufgehoben. Ich wollte das aber nicht, und so hab‘ ich angeschrien. Bitte, versteh‘ mich nicht falsch, ich wollte das nicht, aber es ist mir so rausgerutscht, ich konnte gar nichts dagegen tun. Aber Chris ist in Tränen ausgebrochen, aus dem Zimmer gelaufen und hat sich in seinem Bett verschanzt. Ich wollte mich bei ihm entschuldigen, aber er lässt mich nicht an sich ran. Was soll ich denn jetzt bloß machen?«
Die Verzweiflung war Ben aufs Gesicht geschrieben. Sandra sah in prüfend an. Dann sagte sie:
»Das ist merkwürdig. Ich meine, dass du Chris angeschrien hast, war sicher nicht in Ordnung, aber dass er so ein Drama daraus macht ist gar nicht so seine Art. Normalerweise steckt er derartiges locker weg und kann später drüber lachen. Ich vermute, da steckt was anderes dahinter. Was, kann ich dir leider im Moment auch nicht sagen. Aber ich werde mal mit meinem kleinen Bruder darüber reden.«
»Wirklich? Das würdest du für mich machen?«
»Na klar, wieso nicht? Und am besten jetzt gleich. Du kannst ja inzwischen weiter deinen Koffer auspacken.«
»Ja, gute Idee. Danke, dass du mit zugehört hast, Sandra.« Er lächelte sie an.
»No problem. Also, dann geh ich mal.«
Die beiden Jugendlichen verließen den Flur. Ben ging zurück in sein Zimmer, um sich wieder der wundervollen Aufgabe des Kofferauspackens zu widmen. Sandra hingegen machte sich auf den Weg zu ihrem kleinen Bruder. An dessen Zimmertüre angelangt, klopfte sie an die Türe.
Wer ist denn das schon wieder? Kann ich denn nicht einmal alleingelassen werden?
»Chris, bitte, darf ich reinkommen?« Ach Sandra war es. Ich wischte mir schnell die Tränen aus den Augen.
»Alles klar, kannst reinkommen.« Ich bemühte mich um einen möglichst fröhlichen Gesichtsausdruck.
»Hi große Schwester. Na, was steht an?«
»Chris, bitte versuch gar nicht erst, mir was vorzumachen. Du weißt, ich merke so etwas gleich. Also, was ist los? Ben kam gerade eben zu mir und erzählte was vorgefallen ist. Er macht sich schreckliche Sorgen um dich und zermartert sich den Kopf, wie er das wiedergutmachen kann.«
Musste Ben alles rumposaunen? Warum war er nicht gleich zur Zeitung gelaufen, damit am nächsten Tag ein Artikel über das Vorgefallene drin stand?
»Sag mal, kannst du mir vielleicht verraten, was mit dir los ist? Du bist doch sonst nicht so nachtragend. Und außerdem ...«
Das war mal wieder zu viel für mich. Ich brach in Tränen aus.
»Chris! Ach Chris, was hast du denn?« Sandra nahm mich liebevoll in ihren Arm. Das ging noch etwa zehn Minuten so weiter, bis Sandra energisch sagte:
»So. Schluss jetzt. Kleiner Bruder, du sagst mir jetzt sofort, was los ist. Oder ich ziehe andere Saiten auf. Und du weißt, was das zu bedeuten hat.« Sie grinste. »Also, ich warte ...!«
Weiter kamen wir in diesem Moment nicht. Denn es klingelte an der Haustür. Und es war kein normales Klingeln, nein. So energisch konnte nur eine Person auf der Welt klingeln: Das konnte nur unsere allseits heißgeliebte Großtante Klara sein. Aber wie das? Sie hat sich doch gar nicht vorher angemeldet?
»Na da haste aber Glück gehabt Chris. Ich geh‘ mal schnell zur Tür. Aber verlass dich drauf - ich werde schon noch aus dir herausquetschen, was los ist.«
Und damit war Sandra aus meinem Zimmer verschwunden. Ich versuchte, mich wieder zu beruhigen. So langsam gelang mir das dann auch. Und mit der Zeit kam mir der ganze Kram so lächerlich und kindisch vor, dass ich schon versuchen wollte, das Geschehene zu vergessen. Im Geheimen vereinbarte ich mit mir, meine große Schwester in mein Geheimnis einzuweihen. Sie war so verständnisvoll, sie könnte mir bestimmt gut Trost spenden. Abrupt wurden meine Gedanken unterbrochen. Eine durchdringende Stimme trällerte durch das gesamte Haus:
»Saaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaandra! Mein Gott Mädchen, bist duuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu aber groß geworden! Das ist ja schon Ewigkeiten her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben!! Och, und wie hübsch du geworden bist, und vor allem: so schlank!! Menschenskind!«
Ja, das war Tante Klara. Tante Klara ist die Tante meiner Mutter, also meine Großtante (logisch, oder?). Sie ist ein herzensguter Mensch. Ihr konnte man alles anvertrauen, sie war äußerst verständnisvoll. Jeder musste Tante Klara einfach auf Anhieb ins Herz schließen: Dick wie ein Schrank, ca. so groß wie ich, aber behände wie ein junges Kitz, meist völlig überschminkt, und mit einem Schwall Parfüm hinter sich herziehend, kommt sie öfters im Jahr mal auf Überraschungsbesuche und beglückt die Familie. Alle freuten sich, wenn Tante Klara angekündigt war. Trotz ihres hohen Alters, sie ist bereits 84, jettet sie noch überall in der Weltgeschichte herum - sie führt die Firma ihres verstorbenen Mannes weiter. Was genau diese Firma macht, weiß eigentlich niemand. Tante Klara verliert kein Wort darüber. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie die Firmenleitung nach Oslo verlegt und wohnt seitdem dort. Und, wie gesagt, manchmal kommt sie zu einem Blitzbesuch bei uns vorbei.
»Herzlich Willkommen Tante Klara. Na du übertreibst aber wieder mal maßlos. Sag mal, wieso bist du eigentlich hier? Wir hatten dich gar nicht erwartet?«
»Das ist ja eine herzliche Begrüßung. Anstatt sich zu freuen, dass ich euch mal wieder besuchen komme, hast du nichts Besseres zu tun, als zu meckern, Sandra?« Sie lachte aus vollem Halse. »Nein nein, ist schon gut. Weißt du, ich hatte geschäftlich in Rom zu tun, und da dachte ich, ich könnte ja mal auf dem Rückweg nach Oslo bei euch vorbeischauen. Ich hoffe ich komme nicht ungelegen?«
»Na da ist ja eine Überraschung! Also, wie man's nimmt: Gestern ist der Austauschschüler aus den USA eingetroffen, und wir haben ihn im Gästezimmer einquar....«
»Was? Ein Austauschschüler? Ja, das ist ja WUN-DER-BAR! Endlich mal eine Abwechslung! Ach ja, die USA ... Dieses Land hat seine eigene Faszination, du, gar kein Problem für mich, dann schlaf ich halt auf der Couch. Wo ist denn eigentlich der Rest der Familie Hudelmayer?«
In diesem Moment kam ich die Treppe zur Haustür hinuntergelaufen. »Guten Tag Tante Klara! Wir hatten gar nicht mit deinem Bes....«
»Chriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiistian!!! Dass deine alte Tante so etwas nochmal miterleben darf. Siehst du aber fesch aus ... Wunderbar hast du dich gemacht in den letzten Jahren. Ein richtig hübscher junger Mann ist aus dir geworden. Komm, lass dich drücken.«
Sie drückte mich an ihre Brust und schlug mir mit der rechten Hand fest auf den Rücken. Nach ca. drei Minuten inniger Umarmung ließ mich Tante Klara endlich aus der Umklammerung los. Ich musste erst mal Luft schnappen.
»Ooooh äächz. Puh, Tante, deine Umarmungen sind aber wirklich nicht ohne.«
Sogleich ließ Tante Klara wieder unbeschreiblich durchdringendes schallendes Lachen erklingen. »Ach Junge, entschuldige - aber wenn ich meine einzigen Verwandten wiedertreffe, kann ich einfach nicht an mich halten. Wollt ihr mich denn nicht hochbitten?«
Sandra sprang ein. »Uhm sorry, Tante Klara. Bitte, komm‘ doch mit.«
Inzwischen hatte wohl auch meine Mutter mitbekommen, dass es an der Türe geläutet hatte. »Was ist denn los? Wer hat da geklingelt?«
Entweder muss meine Mutter einen kurzzeitigen Taubheitsanfall erlitten haben oder sie muss ganz, ganz weit weg gewesen sein, denn den Begrüßungsschrei einer Tante Klara zu überhören ist eine Kunst, die nicht viele beherrschen. Dann aber entdeckte sie ihre Tante. Die folgende Begrüßungszeremonie möchte ich hier lieber nicht beschreiben, das würde euch nur langweiligen.
Nachdem nun jeder ausgiebig geherzt und gedrückt worden war, rauschte Tante Klara wie ein Wirbelwind durch die Wohnung, um sich ausgiebig davon zu überzeugen, dass alles beim alten geblieben war. Nach einiger Zeit war sie nach oben verschwunden und Sandra und ich standen alleine in der Küche. Meine Mutter hatte sich kurzzeitig in die Waschküche zurückgezogen.
Sandra nahm meine Hände in ihre und drückte sie fest an sich.
»So kleiner Bruder und jetzt erzählst du mir was vorhin vorgefallen ist.«
»Sandra, weißt du, ich hab‘ vorher nachgedacht und mich entschlossen, dir alles zu sagen.«
Meine große Schwester schaute mich selten dämlich an. »Was willst du mir sagen?«
»Also gut. Aber versprich mir, es für dich zu behalten. Tust du das?«
»Ja, ich verspreche es.«
»Weißt du, ich habe mich verliebt ...«
»Aber das ist doch wunderbar!! Deswegen muss man doch nicht heulen wie ein Schlosshund! Oder hat sie dir einen Korb gegeben?« Man merkte, wie die Anspannung aus Sandra's Gesicht wich.
»Sandra, du verstehst nicht. Ich habe mich verliebt, ja. Aber nicht in ein Mädchen, sondern in .... Ben.« Dieses Wort, das für mich so unbeschreiblich schön klang, kam mir unglaublich schwer über die Lippen.
Ungläubig starrte Sandra mich an. Sie schien tief nachzudenken. Nach geraumer Zeit, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam, sagte sie schließlich:
»Du hast dich also in Ben verliebt. Du bist schwul. Wieso hast du mir nicht früher davon erzählt? Glaubst du etwa, ich hätte dich nicht akzeptiert? Oder dich verstoßen oder sonst was? Wenn man sich verliebt ist das nämlich wunder-wunderschön, und dabei ist es egal, ob man sich jetzt in ein Mädchen oder in einen Jungen verliebt. Also mein Kleiner: An unserer Beziehung ändert sich rein gar nichts, ich mag dich nämlich so, wie du bist.«
Sie drückte mich fest an sich. »Danke Sandra.«, sagte ich leise.
»Wofür denn? Ist doch alles selbstverständlich! Sag mal, wer weiß eigentlich noch, dass du schwul bist? Wissen Mama und Papa Bescheid?«
»Außer dir weiß es niemand. Ich hätte mich nie getraut, mich vor Mama und Papa zu outen. Du siehst ja, wie schwer es mir bereits bei dir gefallen ist.«
»Hh-hm. OK, das wäre nun geklärt. Aber ich weiß noch immer nicht, warum du vorher so ´nen Heulanfall hattest.«
»Nun, als ich vorher Ben beim Auspacken seines Koffers geholfen habe, sind mir einige Blätter entgegengefallen. Auf einem war die nackte Pamela Anderson abgebildet - vielleicht klingt es ja bescheuert, aber ich habe wirklich gehofft, dass Ben auch schwul ist. Und als ich dann dieses Bild gesehen hatte, ist mein schöner Traum von Ben und mir wie ein Kartenhaus ineinander gestürzt und ich konnte nicht mehr. Dass Ben mich angeschrien hat, ist mir doch völlig egal. Nur frage ich mich, wieso er das getan hat ...«
»Er war völlig fertig von der Reise. Bestimmt nichts, über das sich Nachdenken lohnt.« Sandra machte eine kurze Pause. Dann fuhr sie fort, indem sie ihren Arm um mich legte: »Erzähl‘ mir mal, kleiner Bruder: Seit wann weißt du, dass du schwul bist?«
»Puh. Das ist eine schwierige Frage. Mit etwa 14 Jahren ist mir aufgefallen, dass ich lieber schnuckeligen Boys als den Mädchen nachschaute. Natürlich habe ich mich gegen dieses Gefühl gewehrt, welcher Jugendliche akzeptiert denn schon auf Anhieb, dass er schwul ist? Aber dann, mit 16, 17 habe ich begonnen, meine Sexualität zu akzeptieren. Naja, und nun habe ich mich also das erste Mal «richtig» verliebt ...«
»Wer hat sich verliebt??? Duuhuuu etwa mein Kleiner????? Na das ist ja FAN-TAS-TISCH!!! Ich hoffe, die Glückliche kennenzulernen, solange ich noch hier bin!«
»A-a-ber Tante, da ist noch gar nichts sicher. Es dauert sicher noch einige Zeit.«, stotterte ich. Plötzlich stieß mir Sandra in die Seite und zischte: »Sag's ihnen doch! Jetzt ist ein guter Zeitpunkt!«
»Waahaaas sollst du uns sagen mein Chrissie?«, turtelte Tante Klara.
»Och ähm nichts Besonderes. I-ich ich wollte sagen ... ähm ja dass ich eine 6 in der Mathearbeit habe!«
Sogleich spürte ich einen Schmerz in meinem Gesäß. Sandra schaute mich erbost an.
Meine Mutter wurde bleich. Dann schrie sie: »Was! Eine sechs in der Mathearbeit??? Christian! Eine SECHS! Du weißt doch ganz genau, dass du dir das nicht leisten kannst! Wie soll das weitergehen? Du willst doch wohl nicht sitzenbleiben?« Wütend starrte sie mir ins Gesicht.
»Aber Mama, ich gleiche ...«
»JAAAAAAAAAAAAAAAAAA, das ist GAAAAAAAAR kein Problem!!!!! Iiiiiich kann doch mit meinem lieben kleinen Groooooßneffen lernen, du weißt doch, ich bin ein Ass in Mathe!« Tante Klara war entzückt und presste mich wiederum an ihre großen Brüste (...).
Meine Mutter sah nicht gerade begeistert aus. »Ja, bleibst du denn überhaupt so lange hier, dass sich das Lernen lohnen würde?«
»Aber jaaaaa! Gerade habe ich beschlossen, noch sechs weitere Monate bei euch zu bleiben.«, flötete sie. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Meine Mutter starrte Klara an, als hätte sie einen Geist gesehen. »Äähm natürlich vorausgesetzt, es ist euch recht!«
»Puh, das kommt jetzt aber sehr überraschend. Da muss ich erst noch mit Walther darüber reden.«
»Tu das. Ich werde mir inzwischen euer bildhüüüüüüübsches Gästezimmer einrichten.«
»Wie bitte?« Fragend sah ich meine dicke Tante an. »Da schläft doch Ben!«
»Och weißt du, vorher war ich oben bei ihm, und wir haben beschlossen, dass ich ins Gästezimmer einziehen darf. Er ist ja soooooooooooooooooooooooooooooooo ein lieber Junge. Der macht vielleicht die Damenwelt verrückt! Wäre ich 70 Jahre jünger, würde ich mich sofort an ihn ´ranwerfen ... Aber psst, erzählt's nicht weiter. So bekommt er womöglich noch Angst vor mir alten Schachtel.« Sie grinste. Aber ich sah Klara noch fragender an als zuvor.
»Schön und gut, wenn er dir das Zimmer überlassen will. Aber wo schläft er denn jetzt???«
Aha. Jetzt hatte ich ihren wunden Punkt erwischt. Auch Tante Klara dachte nicht immer an alles!
»e=mc²? Ouh. Du hast mich ertappt. Daran haben wir nicht gedacht. Hhhm.
HA! Ich hab's! Er schläft bei dir, mein Sohn! Du hast doch dieses formidable Doppelbett!!!«
Ich fühlte mich, als ob mir jemand einen Schlag versetzt hätte. Einerseits wurde damit vielleicht ein Traum von mir wahr: Ben, ganz nah bei mir! Und vielleicht war das ein guter Zeitpunkt, ihm alles zu beichten. Andererseits, wenn ich ihm alles erzählte, vielleicht würde er mich nicht mehr akzeptieren und abreisen! Eine verzwickte Situation. Schließlich sagte ich:
»I-ich werde ihn fragen. V-vielleicht...«
Meine Schwester schaltete sich ein. »JAAAA! Die Idee! Er kann doch im Wohnzimmer auf der Couch schlafen!«
»WAS? Auf der Couch? Dieser nette junge Mann schläft in diesem Haus nicht auf der Couch! Entweder er schläft bei dir, Chrissilein, oder ich gehe wieder. Und damit ihr's wisst: Das war eine Drohung!« Klara lachte schallend.
Meine Mutter kam nach langer Zeit endlich wieder einmal zu Wort: »OK, nachdem das jetzt geklärt ist, würde ich vorschlagen, Chris, du gehst zu Ben und unterbreitest ihm Tante Klaras ‚Drohung‘, und wir beide, Tantchen, besprechen deinen Aufenthalt.«
»Klar Mama. Mach mich auf die Socken.« Ich wollte schon nach oben rennen, da schnappte Sandra mich am Arm und riss mich ins Klo.
»Aua, mein Arm! Spinnst du?«
»Wieso hast du es Mama nicht gesagt? Jetzt haben wir den Salat! Ben und du in einem Bett, kannst du dich da überhaupt zurückhalten?«
Ich sah Sandra mit ernsten Augen an. »Ich weiß, die Situation ist verzwickt. Aber ich werde versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich gebe mir Mühe, Ben nicht anzuekeln. Und wenn es gar nicht mehr geht, muss halt ich auf die Couch. Bist du nun zufrieden?«
»Chris. Es geht nicht darum, ob ich zufrieden bin, sondern ob du damit klarkommst, wenn plötzlich deine große Liebe neben dir im Bett liegt!«
»OK, ich habe verstanden. Ja, ich werde es versuchen. Wenn es nicht mehr geht, du weißt schon.«
Damit war die Unterredung beendet. Sandra gab mir einen freundschaftlichen Klaps auf den Po, und verschwand. Ich entschloss mich, nun zu Ben zu gehen, mich erstens für mein unsägliches Verhalten zu entschuldigen, und ihm zweitens mein Zimmer anzubieten.
Ich lief also die Treppe zum ersten Stock hoch, und klopfte an das Gästezimmer.
»Jaaaaaaaaaaaaaaaaaa-haaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa, herrrein bitte!« Seit wann quartieren wir Operndiven ein? Ich öffnete die Tür, und sah, wie Tante Klara sich gerade auszog. Bis auf ihre Unterhose war sie nackt - nicht gerade das Schönheitsideal eines ‚normalen‘ mitteleuropäischen Mannes. Ich wunderte mich immer wieder aufs Neue, wie sich meine Tante nur so unbeschämt geben konnte. Ich würde mir sofort einen Bademantel oder ähnliches überwerfen, sie hingegen störte sich überhaupt nicht an der Anwesenheit anderer.
»Ups, entschuldige. Ich wollte dich nicht beim Anziehen stören«, sagte ich.
»Mein kleiner Neffe, du weißt, du störst nie, und außerdem ziehe ich mich gerade nicht an, sondern aus. Ich möchte ein Bad nehmen. Du fragst dich sicher, wo unser Ben ist?« Ich nickte. »Ich habe ihn schon aufgeklärt. Er hat es sich bereits in deinen vier Wänden gemütlich gemacht. So, und jetzt lass‘ mich bitte doch allein. Du weißt schon.« Sie lächelte mich an, gab mir einen Klaps, und schob mich aus dem Zimmer.
Das war Tante Klara? Gar kein verzücktes Aufschreien? Merkwürdig. Also, mit frischen Infos versorgt, machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Als ich dort ankam und die Tür öffnete, musste ich erst mal die Luft anhalten, um nicht auf mich aufmerksam zu machen, denn was ich dort sah, raubte mir förmlich den Verstand: Ben saß auf einem Stuhl vor dem Fenster und - holte sich einen runter! Ich sah ihm noch einige Zeit zu, wie er sich selbst befriedigte - es war einfach fantastisch! Plötzlich hörte er ziemlich abrupt auf - wieso weiß ich bis heute nicht - und drehte sich ruckartig um, um die geschlossene Tür zu sehen - ich hatte sie zwei Tausendstel Sekunden vorher geschlossen. Dann klopfte ich vorsichtig an.
»J-ja bitte?«
»Ich bin es, Chris. Darf ich reinkommen?«
»Na klar, ist doch dein Zimmer!«
Ich trat ein. Ben saß immer noch auf dem Stuhl, allerdings verdeckte ein sehr, sehr um nicht zu sagen äußerst riesengroßes T-Shirt seinen tollen Oberkörper und seinen Schwanz. Er sah ein wenig verlegen aus.
»Ben, ich muss mich entschuldigen ...«
»Chris, ich muss mich entschuldigen ...«
Wir lachten - ein gutes Zeichen?
»Bitte, sprich du zuerst, Ben.«
»Danke Chris. Du, ich wollte mich für heute Morgen entschuldigen. Ich habe mich echt total idiotisch benommen. Ich ...«
»Ach was, ist doch schon lange vergessen. Ich muss mich bei dir entschuldigen! Mein Auftritt vorher war echt beschissen. Ich habe mich wie ein Baby aufgeführt. Das tut mir echt leid. Freunde?« Ich hielt ihm meine Hand hin.
»Freunde!« Ben sah überglücklich aus. Dann aber zog er mich an sich und drückte mich fest. Er flüsterte: »Das waren alles verdammte Missverständnisse - das kommt bestimmt nicht mehr vor.« Ist der aber komisch auf einmal. Ich fühlte, wie eine Träne auf meinen Hals tropfte - von Ben. Schließlich ließ er mich los, und schnäuzte sich kräftig in ein Taschentuch. Damit war (hoffentlich) alles vom Tisch. Wir setzen uns.
Ben fand die Sprache als erster wieder. »Diese Dame, ist das wirklich deine Großtante? Sie kam vorher in das Gästezimmer gestürmt und drückte mich an sich. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah!«
Unwillkürlich musste ich lachen. Oh Tante Klara. Immer noch die alte. »Ja, das ist meine Tante Klara ... Sie war schon immer etwas aufdringlich, aber sie ist die Beste, die es gibt!
Sag mal, ist es dir denn überhaupt recht, wenn du hier schlafen musst? Ich kann auch auf der Couch schlafen, wenn du nicht magst mit mir in einem Bett zu liegen.»
»Mir ist das völlig egal. Es muss dir recht sein, sonst schlaf eich auf der Couch!«, antwortete Schnuckel.
»Mir macht es nichts aus.« Wenn er wüsste, wie lange ich mir das schon gewünscht hatte. »Also, abgemacht? Dann räume ich dir ein Fach in meinem Schrank leer.«
»OK, alles klar. Danke Chris!«
In diesem Moment wurden wir von einem durchdringenden Läuten aufgeschreckt. Ben starrte mich verschreckt an.
»Was war das denn?«
»Tja, daran wirst du dich gewöhnen müssen! Dieses Läuten signalisiert, dass es Essen gibt. Komm‘, lass uns gehen.«
»Ach so.«, murmelte er. »Und ich dachte schon, jemand fackelt gerade das Haus ab und die Feuerwehr muss anrücken!«
Wir gingen die Treppe herunter. Auch mein Vater war inzwischen eingetrudelt, und da sich er und Ben noch nicht vorher gesehen hatten, begann nun erst mal eine kleine Begrüßungszeremonie.
»Kinder, setzt euch! Sonst wir mein berüüüüüüühmter Lammbraten kalt! Ha-ha, kleiner Scherz. Das könnte ich euch beiden doch nicht antun, nicht wahr?« Ich habe euch einen leckeren Auberginenauflauf gezaubert. Also, lasst es euch schmecken! Auch du, mein Sohn!» Damit meinte sie Ben.
»Ja, danke!«, erwiderte dieser mit einem frohen Grinsen. Er war ihm leicht anzusehen, dass er sich bei und wohlfühlte - so soll das ja auch sein!
Während dem Essen wurde noch allerhand belangloses Zeug geredet, bis wir langsam auf das Thema Tante Klara zu sprechen kamen. Sie hatte sich tatsächlich dazu entschlossen, sechs Monate bei uns zu bleiben. Meine Eltern begegneten dieser Vorstellung anfangs mit Skepsis, unsere liebe Tante überzeugte sie dann aber doch, dass so ein Aufenthalt nur positives, sowohl für sie, als auch für mich bringen würde. Meiner Mutter könnte sie im Haushalt helfen und mit mir Mathe üben. Also wurde beschlossen, dass auch Tante Klara für die nächste Zeit unser Gast sein werde.
Inzwischen war es ziemlich spät geworden, es ging bereits auf 23 Uhr zu.
»Kinder, oder soll ich lieber ‚Jugendliche‘ sagen, es ist, glaube ich, Zeit um ins Bett zu gehen! Egal ob Ferien sind oder nicht. Also, husch-husch.« Meine Mutter sah uns erwartungsvoll an.
»Ach Liebes, lass sie doch noch ein bisschen aufbleiben! Die Jugend von heute verträgt das doch besser.«
»Ach lass nur, Tante Klara. Ich bin ganz schön müde. Wie ist es mit dir, Ben?«
Dieser brauchte gar nicht zu antworten. Er gähnte aus vollem Halse ...
»Da siehst du es, Tantchen! Wenn du sie länger aufbehalten willst, kippen die uns noch irgendwann aus den Latschen - also, verschwindet schon!« Meine Mutter lächelte uns an.
»Gute Nacht alle zusammen!«
Etwa eine halbe Stunde später lagen wir in meinem riesigen Doppelbett. Wir waren beide glaube ich ziemlich gestresst vom heutigen Tag. Wir hatten beide ziemlich viel durchgemacht.
»Schlaf schön, Ben. Und vergiss, was heute zwischen uns passiert ist, einverstanden?«
»Einverstanden. Gute Nacht.«
Plötzlich drehte er sich auf meine Seite, richtete sich ein wenig auf, und gab mir einen Kuss auf die linke Wange ...
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