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Trapped
Don't let me go
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Informationen
- Story: Trapped
- Autor: Gaius
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Genießerisch hielt ich meine Augen geschlossen, während die talentierten Lippen meinen Ärger auf der Arbeit und den Streit mit meiner Freundin in Nichts auflösten. Ich würde sie sowieso bald in die Wüste schicken.
„Oh verdammt, ist das gut“, keuchte ich und gab dem Höhepunkt nach.
Kurz darauf ließen mich diese, fast perfekten, Lippen frei.
Fabian erhob sich und sah mich flehend aus seinen haselnussfarbenen Augen an, die Hand lag an seinem Gürtel. Die hellbraunen Haare waren von meinen Händen zerzaust und der schlanke Läuferkörper war unsicher angespannt. Sofort kehrte mein Ärger zurück.
„Was soll das“, blaffte ich ihn an.
„Ich hab gehofft, ich dürfte mich neben dir erleichtern, nur dieses eine Mal. Bitte, Patrick.“
„Wie oft eigentlich noch? Ich hab keinen Bock dir zu zuschauen, wenn du an dir rumspielst. Geh ins Bad, oder verpiss dich nach Hause, verstanden?“
Er stand wieder kurz vor einem dieser Heulanfälle und sah mich traurig an.
„Okay, dann mach dich vom Acker, ich melde mich wieder bei dir.“
Mir war schon klar, dass ich ihn damit verletzte, aber er wollte es doch so. Unsere Treffen fanden schon seit einem halben Jahr regelmäßig statt, seit unserer Betriebsweihnachtsfeier. Er fing Mitte letzten Jahres bei uns an, um sich etwas zum Studium hinzu zu verdienen, obwohl ihm seine Eltern das meiste finanzierten.
Ich merkte schon relativ früh, dass er sich gerne in meiner Nähe aufhielt, tat es anfänglich aber noch als Zufall ab. Doch als er Tini, meine Freundin, und mich spätabends in meinem Büro beim Sex erwischte, da sah ich seine Tränen und wusste, dass da mehr war. Fast ein halbes Jahr beobachtete ich ihn, testete seine Reaktionen auf meine Nähe und war mir sehr sicher, dass er sich in mich verliebt hatte.
Meine unerklärliche Neugierde darauf, wie sich seine Lippen anfühlen würden, wuchs. Auf der Feier trank ich ein wenig über den Durst und im Rausch kam mir eine Idee. Bevor ich mich völlig abschoss, fragte ich Fabian, ob er mich nach Hause fahren würde. Er war, erwartungsgemäß, sofort dazu bereit. Bei mir daheim erzählte ich ihm von meiner Neugierde und war eigentlich davon überzeugt, dass er nicht widerstehen können würde.
Erst sah er mich ungläubig an, ließ sich aber darauf ein. Nach dem, zugegeben genialen, Höhepunkt machte sich bei mir die Ernüchterung breit. Ich hatte einen Homo an mein bestes Stück gelassen und fand es gut. Er machte Anstalten sich zu entkleiden und ich bat ihn zu gehen. Er zögerte einen Moment und warf mir einen bittenden Blick zu. Ich forderte ihn erneut auf zu verschwinden und diesmal tat er es, wortlos und sichtbar traurig.
Es blieb nicht bei dem einen Mal, dafür war es zu geil. Ein Wort von mir genügte und er war immer wieder zur Stelle. Er musste wissen, dass es mir nur um das Eine ging, um das Gefühl seiner begnadeten Lippen.
Fabian erinnerte mich ein wenig an meine Mutter. Mein Vater war der uneingeschränkte Herr im Haus und sie hatte nichts zu melden, ertrug seine Affären und wandte sich dem Alkohol zu. Gefühle hatten in seinen Augen keine Berechtigung, denn sie lenkten nur von den wahren Zielen ab. Ich war ein gelehriger Schüler und Fabian zählte für mich nicht direkt als Mann.
Tini war ganz anders als meine Mutter, ein dominanter Kontrollfreak, und das führte oft zu Streitereien. Trotzdem blieb ich mit ihr zusammen. Mein Vater zeigte seine Abneigung ihr gegenüber ohne Scheu. Sie hassten sich gegenseitig.
Ich stand auf und zog kommentarlos meine Hose hoch. Fabian stand noch immer am selben Fleck.
„Sag mal, bist du taub? Du kennst das Spiel. Wie oft denn noch? Ich steh nicht auf Kerle, sei doch froh, dass ich dir das hier manchmal erlaube. Es ist gut, okay, aber deswegen schulde ich dir nichts.“
Seufzend schloss er die Augen und atmete schwer aus. „Okay, ich warte auf deinen Anruf. Bis dann.“
Traurig trottete er zur Tür und schloss sie behutsam hinter sich. Kurze Zeit später sah ich ihn durch das Fenster, als er mit hängenden Schultern das Grundstück verließ.
Das Hochgefühl des Orgasmus hatte völlig nachgelassen und war meiner Wut gewichen. Dieser Schwachkopf wollte es einfach nicht kapieren. War es etwa meine Schuld, dass er sich in mich verliebt hatte? Ich hatte ihm nie Hoffnung gemacht. Er durfte lediglich manchmal an mir rumlutschen, weil er es wirklich verdammt gut konnte.
Ich ging zum Barfach, schnappte mir den guten Single-Malt und spülte meinen Ärger mit einem halbvollen Glas herunter. Nach dem dritten Nachschlag tat er mir plötzlich ein wenig Leid.
„Er hat selber Schuld“, murmelte ich und griff zum Telefon.
„Was willst du“, kam es scharf aus dem Hörer.
„Tini, der Streit tut mir leid. Kannst du herkommen?“
„Hast du getrunken?“
„Ja, aber nur ein bisschen. Bitte, Tini, ich brauch dich bei mir.“
Meine Freundin seufzte hörbar. „Okay, ich bin in einer halben Stunde bei dir. Gott, ich weiß nicht, warum ich das tue.“
„Weil du mich liebst“, schlug ich ihr vor.
„Vermutlich. Also bis gleich.“ Es knackte in der Leitung und ich lauschte noch dem Besetztton, bevor ich mich in die Dusche schwang und Fabians Sabber, sowie den Duft seines Aftershaves von mir wusch.
Ich trocknete mich gerade ab, als die Tür geräuschvoll zuschlug und Tinis Absätze auf dem Laminat im Flur klapperten.
„Pat?“ Ihre Stimme scholl laut durch die Wohnung.
„Ich bin im Bad, Moment“, rief ich zurück und band mir schnell das große Handtuch um die Hüfte.
Dann stand sie auch schon in der Tür und betrachtete mich eingehend.
„Netter Aufzug. Sag mal, brauchst du mich, oder brauchst du Sex?“
„Beides. Das eine geht nicht ohne das andere.“
Der strenge Zug um ihre Augen entspannte sich. „Das will ich auch schwer hoffen. Du würdest es nicht überleben, wenn du mich mit irgendeiner anderen Schnepfe betrügst.“
„Würde mir nie einfallen, du bist meine einzige Schnepfe, Ehrenwort.“
„Na danke für das Kompliment“, antwortete sie in einem gespielt säuerlichen Tonfall.
In einer provokanten Haltung bewegte sie sich auf mich zu und ich drehte mich mit dem Rücken zum Waschbecken, die Hände am Rand abgestützt.
„Du hast mich eigentlich nicht verdient“, säuselte sie.
„Vermutlich nicht.“
Dann stand sie vor mir und öffnete das Handtuch, während meine Hand unter ihre Bluse glitt und einen der festen Hügel umfasste. Lust flackerte in ihren blauen Augen und sie warf lässig das rotblonde Haar über die Schulter.
„Du brauchst heute wohl Starthilfe.“ Ihr Blick ruhte auf meinem schlaffen Schwanz.
„Es war ein harter Tag, er wird rechtzeitig artig sein.“
Sie wollte nicht warten und ging auf die Knie. Einen Augenblick später glitten ihre vollen Lippen über mich und ich schloss die Augen. Aber es passte nicht, es war ein gieriges Rumgenuckel und mein Kleiner rührte sich nicht.
Fabian war leidenschaftlicher und kümmerte sich um mein bestes Stück, als ob es ein wertvoller Schatz sei, mit völliger Hingabe. Die fast perfekten Lippen, nur der Körper war der falsche. Der Gedanke an seine ‚Behandlung’ brachte tatsächlich Leben in mein schlaffes Teil.
„Na also, geht doch!“ Sie grinste mich von unten an und wirkte so, als ob sie einen Wettkampf gewonnen hätte, so triumphierend. Damit machte sie gleich wieder alles kaputt, die Stimmung war hinüber.
Frustriert knurrend machte sie sich gleich wieder ans Werk. Das wilde Gezerre und Gelutsche fing an weh zu tun.
„Verdammt, Tini, verrate mir bitte, was du da tust!“ Ich griff unter ihre Arme und zog sie nach oben.
„Ich will mir holen, was du versprochen hast. Was denkst du denn?“
„Ich hab dir nichts versprochen.“
„Und warum hast du dann angerufen? Ich dachte du willst Versöhnung feiern.“
„Was ist, wenn ich einfach nur deine Gesellschaft brauche?“
Jetzt sah sie eindeutig wütend aus. „Moment mal, Freundchen. Du hast mich neulich weggeschickt, ich würde dir zu dicht auf die Pelle rücken. Du wolltest mal ‚frei durchatmen’. Und jetzt kommst du mit so einem Mist. Mit meinem Dildo hatte ich letzte Nacht mehr Spaß als mit dir die ganze letzte Woche über. Der würde vermutlich sogar mit mir reden, wenn er könnte. Ganz im Gegensatz zu dir.“
„Du hast echt nen Knall. Du willst reden? Dann schiess los.“ Ihre Laune war ansteckend.
Sie rückte ihre Bluse zurecht. „Nein, danke, kein Bedarf. Ruf mich an, wenn du wieder bei Verstand bist.“
Völlig perplex blieb ich am Waschbecken stehen, bis die Wohnungstür laut zuknallte. Ich rannte hinterher und riss die Tür auf.
„Dann fick doch deinen verdammten Dildo!“ Meine Stimme hallte laut durch das Treppenhaus.
„Wichser“, scholl es von unten. Die Tür gegenüber öffnete sich und die alte Mohrbeck, meine Nachbarin, sah aus zusammengekniffenen Augen zu mir. Da wurde mir bewusst, dass ich noch immer nackt war und ihr Blick versprühte wütende Entrüstung.
„Na du alte Vettel, noch nie nen Schwanz gesehen?“ Meine zugegebenermaßen unbedachte Aussage brachte bei ihr das Fass zum Überlaufen.
„Das wird ein Nachspiel haben, Herr Reder. So nicht. Ich werde mich offiziell beim Vermieter beschweren.“ Mit diesen Worten verschwand sie in ihrer Wohnung und knallte die Tür zu. Ich sah eine Bewegung an ihrem Spion und streckte den Mittelfinger in ihre Richtung. Sie schnappte entrüstet nach Luft, ich hörte das angestrengte Rasseln ihres Atems. „Ein Nachspiel!“, hallte es gedämpft.
Wütend ging ich in meine Wohnung und warf nun meinerseits die Tür ins Schloss.
Beiläufig betrachtete ich mein Handy und fand eine neue Kurznachricht. Jochen, mein befreundeter Arbeitskollege, war auf dem Weg ins Fitnessstudio und hatte keine Lust allein zu trainieren. Erst wollte ich absagen, entschied mich aber dagegen. Der Tapetenwechsel war bitter nötig.
Etwas später ...
„Echt toll, dass du noch vorbeigekommen bist.“
„Kein Ding, ich musste sowieso mal raus. Tini macht nur noch Stress. Erst beschwert sie sich, dass ich auf Abstand gehe, und dann brauch ich ihre Gesellschaft und sie flippt aus, weil ich nicht mit ihr poppen will.“
„Man, ich kann es nicht mehr hören. Warum macht ihr nicht einfach Schluss. Ihr schafft nicht mal fünf Minuten Frieden zu halten, außer ihr vögelt euch das Hirn raus.“
„Weil der letzte Teil gut ist?“
Er schmetterte den Einwurf mit einer wegwerfenden Geste ab. „Das kann es doch wohl nicht sein?“
Ich stoppte das Fahrrad-Ergometer und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Wenn sie nicht so zickig wäre, dann hätten wir es leichter.“
Jochen hob eine Augenbraue an. „Mal ganz im Ernst, du stehst ihr in Zickigkeit - pardon, im machohaften Verhalten - in nichts nach.“
„Willst du alleine trainieren?“
„Genau das meine ich. Absolut nicht kritikfähig. Vor ein paar Monaten warst du noch zur Einsicht fähig. Was passiert bloß mit dir?“
„Tut mir leid, ich bin wegen vorhin noch durch den Wind. Und ich bin sehr wohl kritikfähig.“
„Schon gut. Hauptsache du glaubst daran. Themenwechsel, okay? Ich mach den Anfang am Rudergerät.“
„Alles klar, dann geh ich zum Butterfly, wir können ja danach wechseln.“
Ich hockte mich auf die gepolsterte Bank, lehnte meinen Rücken an und legte die Unterarme an die Schaumstoffwülste. Dann ging es los. Die zwanzig Kilo waren mir zu wenig und ich steckte den Stift an den Gewichten auf glatte vierzig um. Nach drei Blöcken, mit jeweils dreißig Zügen, machte ich eine Pause.
Mein Blick schweifte durch das Center und blieb in einer der hinteren Ecken hängen, bei den Laufbändern, wo Fabian sich gerade verausgabte. Er starrte verbissen geradeaus und nahm keine Notiz von uns.
„Na, machst du schon schlapp?“ Jochen grinste mich hämisch an.
„3,6 Tonnen sind doch genug für den Anfang.“
„Du angeberischer Mathematiker. Okay, lass uns tauschen.“
Ich starrte weiterhin zu den Laufbändern.
„Erde an Patrick, ich sagte tauschen. Was ist denn los?“
„Schau mal, die Schwuchtel ist da.“
Sein Blick folgte meinem und er zuckte mit den Schultern.
„Na und? Lass ihn in Ruhe, er tut dir ja nichts.“
‚Wenn du wüsstest’, dachte ich.
„Du wirst doch wohl Manns genug sein und dich nicht von ihm bedroht fühlen, oder?“
„Bedroht? Bist du irre? Ich kann ihn einfach nicht leiden.“ In dem Moment blickte Fabian in unsere Richtung und seine Haut verlor sämtliche Farbe. Selbst aus der Entfernung konnte ich seinen verletzten Gesichtsausdruck wahrnehmen. Ich sah ihn kampflustig an und er verlor den Laufrhythmus. Unbeholfen stolperte er und fiel beinahe vom Band.
Eine Hand zog an meinem Kinn und Jochen stand mir gegenüber. „Schön, dass es dich amüsiert, wie er sich fast ziemlich weh getan hätte. Du gehst rudern, dann musst du ihn ja nicht ansehen.“
„Schon gut. Okay, Gerätetausch.“ Ich sah noch einmal kurz in die Ecke und Fabian war verschwunden.
Eine gute Stunde später standen wir ausgelaugt unter der Dusche. Das heiße Wasser rieselte wohltuend über meinen Körper. Als ich zum Shampoo greifen wollte, bemerkte ich, dass Jochen mich musterte. Ich quittierte dieses mit einer neuen Portion Gereiztheit.
„Was ist?“
„Du benimmst dich in letzter Zeit ziemlich merkwürdig. Sogar für deine Verhältnisse.“
„Und deshalb glotzt du so?“
Sein Mund klappte kurz auf, aber er schloss ihn kopfschüttelnd wieder.
„Ja natürlich. Ich bin, wie alle Kerle die dich anschauen, von deinem Anblick schwul geworden und hinter dir her. Jeder Mann will dich. Vielleicht hab ich dich aber auch angeschaut, weil du ein Gesicht machst, als ob du jemanden umbringen willst.“
„Tut mir ja leid, dass ich nicht lachend durch die Gegend renne. Der alte Kramer kontrolliert jeden meiner Schritte auf der Arbeit, Tini benimmt sich total abartig und ständig hängt die Schwuchtel hier rum.“
„Ja klar, die Anderen wieder. Das mit dem Kramer ist doch deine Schuld. Es ist ne Tatsache, dass du mit deinem Kram nicht nachkommst. Christine verstehe ich auch, wenn du bei ihr genau so bist wie die letzten Tage. Und dieser Fabian war schon vor dir hier. Ich kapier echt nicht, was dein Problem mit ihm ist. Ich steh auch nicht auf den Kram, den er mit seinen Typen macht, kenne aber meinen Platz sehr genau und muss mich deswegen nicht bedroht fühlen.“
„Und ich etwa nicht? Pass bloß auf, was du sagst.“
Innerlich kochte ich, aber auch Jochen schien die Geduld zu verlieren. Er war im Unrecht. Sich von einem Kerl einen blasen zu lassen macht schließlich nicht schwul, der Junge war einfach nur gut.
„Pat, ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß. Mir ist es völlig egal, ob du nun hetero, schwul oder sonst was bist. Es kommt auf das Menschliche an und du gehst mir langsam sehr auf die Nerven.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich gehe gleich noch ein Bier trinken. Wenn du deine homophobe Kacke stecken lässt, dann darfst du mitkommen ... Chef.“
„Ich werds versuchen.“
„Du lässt es. Basta. Oder geh gleich heim.“
Wir gingen natürlich noch in die Kneipe und aus einem Bier wurden drei. Der Alkohol lockerte und entspannte mich ein wenig.
„Jo, dass vorhin tut mir leid. Ich steh einfach etwas unter Stress. Das geht wieder vorbei und wegen dem Kleinen reiß ich mich zusammen.“
Innerlich zuckte ich zusammen, wegen dem was mir da gerade rausgerutscht war. Hoffentlich hatte Jochen es nicht bemerkt.
„Der Kleine? Hat er jetzt Karriere gemacht?“ Natürlich hatte er es bemerkt.
„Die Schwuchtel, meine ich. Liegt wohl am Bier, ich kann nicht mehr klar denken.“
„Natürlich, war ja klar.“ Jochen schien nicht wirklich überzeugt.
Wir schwiegen uns eine Weile an, tranken aus und bezahlten.
„Bis morgen früh“, verabschiedete ich mich.
Jochen lachte auf. „Nein, danke. Samstags schlafe ich lieber aus.“
„Oh verdammt, stimmt ja. Bis Montag dann.“
Vor der Tür trennten sich unsere Wege. Vielleicht hatte mein Freund Recht und ich sollte etwas netter zu Fabian sein. Aber würde er das nicht falsch verstehen? Eigentlich war alles völlig okay. Ich hatte meinen Spaß und er bekam, was er wollte. Dann erinnerte ich mich an die Situation im Bad, als Tini vor mir kniete und ich dabei an ihn denken musste.
„Ach Schwachsinn“, murmelte ich. Das konnte nur passieren, weil meine Freundin so grob war.
Bald darauf war ich daheim und fiel in einen unruhigen Schlaf. Ich träumte von den fast perfekten Lippen.
„... fünf Kilometer Stau, die Bergungsarbeiten sind fast abgeschlossen. Ansonsten sind die Straßen frei, fahren sie vorsichtig.“
Ich tastete nach dem Radiowecker, ich hatte wohl vergessen, ihn auszuschalten. Meine Beine kämpften sich aus dem Bett. Ich dackelte in die Küche und machte mir Kaffee. Die Zeiger der Wanduhr bildeten fast eine senkrechte Linie, noch eine Minute bis sechs Uhr.
Mit dem Rücken zur Arbeitsplatte wartete ich auf meinen Koffeindrink.
Eine Stunde später, in einer kleinen Studentenwohnung
Fabian wälzte sich unruhig im Bett herum, bis ihn sein Handy aus dem Schlaf erlöste.
„Ja?“ Seine Stimme klang noch völlig verschlafen.
„Hallo Schatz. Hab ich dich geweckt?“
„Ja, ist aber okay, Mama.“
„Ich wollte nur sicher gehen, dass du deinen Zug nicht verpasst. Oma freut sich schon auf dich, schließlich hat sie dich schon zwei Jahre nicht mehr gesehen. Und ... Thomas Eltern kommen auch, sie freuen sich ebenfalls sehr darauf.“
Thomas ... Fabian schluckte schwer. Thomas war sein bester Freund und die erste große heimliche Liebe. Mittlerweile war dieser schon seit vier Jahren tot.
Fabian wollte ihm eines Abends von seinen Gefühlen erzählen und trank sich deshalb Mut an. Doch dann wurde es zuviel und er schlief, vom Alkohol völlig hinüber, noch in der Kneipe ein. Thomas brachte ihn noch nach Hause und verschwand. Am nächsten Morgen waren sie zum Joggen verabredet, doch Fabian verschlief in seinem Rausch und so machte sich Thomas, mit einem mp3-Player bewaffnet, allein auf den Weg. Als er dann am frühen Morgen die verlassene Landstraße überquerte, hörte er das Auto nicht, welches sich schnell näherte. Der Fahrer selbst war völlig übermüdet und bemerkte den Läufer nicht, wie er es später bei der Polizei zu Protokoll gab.
Der Notarzt konnte nur noch den Tod des Jungen feststellen. Damals brach für den ehemals selbstbewussten Fabian eine Welt zusammen.
Danach entschied er sich zu einem großen Schritt und outete sich in der Schule. Sein Versteckspiel und die Angst hatten ihm einen hohen Preis abverlangt. Wäre er früher schon ehrlich gewesen, dann hätte Thomas nicht sterben müssen, befand er für sich selbst.
Dabei hatte er großes Glück. Die wenigen Mobber wurden von seinen Freunden in Schach gehalten.
Thomas Eltern entdeckten bald darauf das Tagebuch ihres Sohnes und fanden heraus, dass er ebenfalls viel für Fabian empfand. Das versetzte Fabian einen weiteren Schlag. Sie beide hätten jetzt glücklich und zusammen sein können. Doch er hatte es verbockt und somit einen tödlichen Fehler begangen.
Später begegnete er Patrick. Er hätte ein Bruder von Thomas sein können. Dasselbe dunkelblau strahlte aus seinen Augen, die gleichen schwarzen Haare fielen ihnen strähnig ins Gesicht und beide waren sie ein gutes Stück größer als er, der sich mit einem Meter neunundsiebzig eher klein fand. Beide hatten zudem eine ähnlich athletisch-kraftvolle Statur. Gut, er war 27 Jahre alt und Thomas wäre jetzt, so wie Fabian auch, 22.
Er dachte, er hätte nach der Sache mit Tommy eine zweite Chance bekommen. Doch so ähnlich sie auch aussahen, so unterschiedlich war ihr Charakter. Wie sehr vermisste Fabian die freundschaftlichen Umarmungen von damals! Patrick reichte ihm, im Normalfall, nicht einmal die Hand. Aber Fabian dachte, er sei nur unsicher und hoffte, dass sein Schwarm bald zu seinen Gefühlen stehen würde. Patrick hatte ihm während der vielen Treffen schon zärtliche Blicke zugeworfen.
„Fabian? Was ist mit Dir? Bist du eingeschlafen?“
„Nein, ich hab nur gerade an damals gedacht. Ich vermisse ihn.“
„Das weiß ich doch, mein Schatz. Also, bitte mach dich fertig, der Zug wartet nicht. Dann bist du bald bei uns.“
Er war hin und her gerissen. Was wäre denn, wenn Patrick ihn brauchte?
„Mama ... ich kann nicht. Es geht im Moment einfach nicht.“
„Das kannst du uns nicht antun! Es ist doch schon alles geregelt!“
Er überlegte schnell eine passende Ausrede. „Mein Chef, Patrick ... er braucht eine Änderung für ein Programm, es soll am Montag fertig sein und ich kann es nur hier am PC machen. Es ist wirklich wichtig.“ Die Lüge bereitete ihm Gewissensbisse.
Seine Mutter wurde hellhörig. „So, dieser Patrick mal wieder. Er ist dir wohl auch sehr wichtig, oder?“
„Er braucht mich ...“ Diesmal war es nicht einmal gelogen.
„Die Anderen werden ziemlich enttäuscht sein.“
„Ich mach es wieder gut, ehrlich. Es ist nur etwas unglücklich gelaufen. Mama, die Firma ist echt toll, und wenn ich mich gut anstelle, dann hab ich vielleicht eine Chance auf Arbeit, wenn das Studium vorbei ist. Das ist eine riesige Möglichkeit für mich.“
Sie seufzte. „Aber warum gerade Heidelberg. Du könntest hier oben auch gute Arbeit finden, wärst wieder bei Freunden und bei uns. Vermisst du das Meer denn nicht?“
Sie hatte ja Recht. Aber Patrick war nun mal hier und nicht im Norden.
„Lass uns bitte ein anderes Mal darüber reden. Ich hab dich lieb, Mama.“
„Ich liebe dich auch. Und viele Grüße von Papa.“
Sie beendeten das Gespräch. Fabian vergrub sich das Wochenende über in seinen Büchern, nahm sein Handy mit zum Joggen und wartete, wie schon so oft im letzten halben Jahr, auf einen Anruf von Patrick. Vergebens.
Montag
Ich hatte das Wochenende überstanden. Von Tini sah und hörte ich nichts und war versucht, mich bei Fabian zu melden. Aber stattdessen kümmerte ich mich um die vernachlässigte Arbeit.
Der alte Kramer schien vorerst wieder besänftigt, zumindest lobte er den Einsatz.
Von Fabian war noch keine Spur zu sehen, doch dann erinnerte ich mich, dass er montags Vorlesungen hatte und erst später in die Firma kam. Vielleicht würde ich ihn später noch für den Abend zu mir einladen.
Dann klopfte es an meiner Tür und Jochen trat ein.
„Na, Chef, alles klar mit dir?“
Ich brummte abfällig. „Ich hab am Wochenende gearbeitet und wäre jetzt eigentlich lieber daheim. Aber ich erwarte noch ein paar Mails von den Kunden.“
„Verstehe. Und was gibt’s Neues von deiner Freundin?“
„Funkstille. Ich soll mich melden, wenn ich wieder bei Verstand bin.“
„Du wirkst eigentlich ganz normal, zumindest jetzt.“ Ein spöttisches Grinsen zierte Jochens Gesicht.
„Das kann sich auch ganz schnell wieder ändern, wenn du mir auf den Keks gehen willst. Ich hab gerade einfach keinen Bock auf sie. Wie du schon sagtest, nach fünf Minuten gibt es wieder Stress und ich will gerade nicht mit ihr schlafen.“
„Das ist natürlich ein ernsthaftes Problem. Bist du krank?“
Ich hob drohend meinen Locher und nahm eine Wurfstellung ein.
„Schon gut, schon gut. Es geht mich nix an.“ Er nahm mich natürlich nicht ernst, das Grinsen war kein bisschen weniger spöttisch.
„Hast du ne Ahnung, wann die PC-Husche kommt? Ich hätte da noch ein paar Änderungswünsche für das Programm.“
Das Grinsen verschwand aus Jochens Gesicht. „Die Husche hat auch einen Namen! Fabian hat sich für heute krankgemeldet. Die Mail hast du auch bekommen.“
„Sorry, ich hab meinen guten Vorsatz wieder verdrängt. Na hoffentlich ist er morgen wieder fit.“ Soviel zu meiner Einladung für den Abend.
„Deine Fürsorge rührt mich zu Tränen. Wir haben auch noch andere Programmierer, die das bestimmt erledigen können.“
„Schon, aber ...“ Mir fiel dazu nichts ein, er hatte ja Recht und eigentlich ging es mir auch nicht um das Programm. Das konnte ich Jochen natürlich nicht sagen.
„Schon klar, die anderen kannst du nicht runterputzen. Patrick, das ist langsam echt erbärmlich.“
„Moment! Das ist es nicht. Er arbeitet mit am schnellsten und hat teilweise auch gute Ideen gehabt. Wenigstens das kann ich ihm zugutehalten.“
Ich konnte es kaum fassen, dass ich jetzt mit Jochen über meinen Vorwand stritt, oder mir seinen Ton gefallen ließ. Aber wir waren schon seit Ewigkeiten befreundet und aus seiner Sicht erschienen seine Bemerkungen richtig.
„Das sind ja mal ganz neue Töne. Aber mir brauchst du das nicht sagen, denn die meisten hier wissen bereits, dass der Junge gut ist. Und was er nach Feierabend in seinem Schlafzimmer macht, sollte uns nicht stören. Es gehört nicht hierher. Es wäre schön, wenn auch du das endlich mal beherzigen würdest.“
„Jawohl, Herr Anwalt.“ Ich kassierte einen verärgerten Blick. „Was wolltest du eigentlich hier?“
Jochen wedelte mit einem Umschlag vor meiner Nase. „Hatte ich jetzt fast vergessen. Hier, für dich. Die Brauerei hat das Angebot angenommen, die Kampagne kann starten.“
„Yes! Endlich. Das sind mal gute Nachrichten.“
„Allerdings. Und nicht vergessen, Fabian hat auch daran mitgewirkt.“
„Oh klasse. Schick ihm doch einen Blumenstrauß, okay?“
Jochen schmiss mir wortlos den Umschlag auf den Tisch und eilte aus meinem Büro. Das Knallen der Tür war vermutlich im ganzen Trakt zu hören.
Ich wusste einfach nicht, warum ich immer wieder in diese Kerbe hauen musste. Jochen hätte von dem kleinen Sex-Arrangement kein Wort geglaubt, selbst wenn es ein Beweisfoto gegeben hätte. Aber von wem sollte er es auch erfahren? Fabian hielt die Klappe und ich würde garantiert kein Wort darüber verlieren.
Die nächsten Stunden wurden sehr arbeitsintensiv, ich schickte einige Dateien an unsere Vertragsdruckerei, telefonierte mit ein paar Aufnahmestudios wegen der Radiospots und kümmerte mich um meine Post. Die Woche begann glücklicherweise erfolgreich.
Zwischenzeitlich versuchte ich Fabian zu erreichen, aber niemand nahm ab. Eine halbe Stunde vor Feierabend versuchte ich es noch mal und er ging dran. Aber er antwortete nicht.
„Fabian? Hörst du mich?“
Außer einem leisen Schluchzen war nichts zu hören. Aus irgendeinem Grund gefiel mir das nicht und ich rief seine Personaldatei auf, um mir die Adresse rauszusuchen. Er hatte sie mir zwar mal aufgeschrieben, doch der Zettel verschwand damals im Papierkorb.
Ich war gerade fertig, da kam Jochen wieder zu mir ins Büro.
„Wenn du dich wieder gefangen hast, dann können wir ins Studio gehen. Ich hab heute Auslauf bekommen.“
„Vielleicht später, hab noch was zu erledigen.“
Er blickte zufällig auf den Monitor und sah die Akte, bevor ich sie wegklicken konnte.
„Was zur Hölle hast du vor?“
„Ich werde ihn besuchen und mal schauen, wie es ihm geht. Du hattest nicht ganz Unrecht.“
„Soll ich mitkommen?“ Jochen traute mir offensichtlich nicht.
„Keine Sorge, ich schaff das schon, ohne auf ihm rumzuhacken. Ich sollte mich wirklich bei ihm entschuldigen.“ ‚Und vielleicht noch etwas Spaß haben’, fügte ich in Gedanken hinzu.
Jochen wirkte immer noch nicht überzeugt.
„Hör zu, ja, er arbeitet toll mit, ist kreativ und hat offensichtlich mit niemandem sonst ein Problem. Das mit dem Blumenstrauß war zwar zynisch gemeint, aber insgesamt gesehen hast du Recht. Er scheint was auf meine Meinung zu geben.“
„Und ich hab keine Ahnung warum. An seiner Stelle würde ich dich mit dem Arsch nicht angucken.“
Mir lag eine spitze Erwiderung auf der Zunge, aber Jochen ahnte das und griff ein.
„Das war die falsche Formulierung, sag jetzt bloß nichts über seinen Arsch.“
„Okay. Wir treffen uns später, ich werde nicht lange brauchen.“
Jochen verabschiedete sich und ging. Auch ich schnappte mir den Autoschlüssel und fuhr zu Fabians Adresse. Die Ecke kannte ich noch gut aus meiner eigenen Studentenzeit.
Nach fünfzehn Minuten Fahrt parkte ich den Wagen vor dem alten Wohnblock. Ich suchte seinen Namen auf der riesigen Tafel und fand ihn bald, inklusive Etage und Wohnungsnummer. Die Eingangstür stand offen und ich fuhr direkt mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Kurz darauf hatte ich seine Wohnung gefunden und schellte.
Niemand rührte sich und ich klopfte zusätzlich noch an.
„Ja?“ Ich hörte seine matte Stimme nur schwach durch die Tür.
„Ich bin es, Patrick.“
„Ich ... es tut mir leid, ich kann heute nicht.“
Hatte er mich gerade abgewiesen? Ich war überrascht.
„Lass mich rein und dann sehen wir weiter“, forderte ich.
Eine Kette glitt schleppend durch eine Schiene und dann öffnete er langsam die Tür. Er sah mich aus roten Augen an und ging träge zur kleinen Wohnstube.
„Bitte, setz dich doch. Ich ... bin gleich bei dir. Möchtest du vorher etwas zu trinken?“
Ich war geschockt. Er hatte dicke Ringe unter den rot geheulten Augen, war blass und seine Körperhaltung glich der eines alten Mannes. Ich verschwendete keinen Gedanken an unser Spielchen.
„Etwas zu trinken wäre toll“, antwortete ich ihm. „Das andere lassen wir besser ausfallen.“
Er sah mich einen Moment lang ausdruckslos an und schlich in die Küche. Bald kam er mit zwei Wassergläsern zurück, stellte sie auf den Tisch und machte sich gleich an meiner Hose zu schaffen.
Meine Hand schloss sich um seine und stoppte ihn.
„Es ist mein Ernst, lass das.“
„Bin ich dir dafür auch nicht mehr gut genug?“ Tränen liefen über sein Gesicht und eine Welle von Gefühlen überschwemmte mich. Zorn darüber, dass er sich so gehen ließ, völlig verweichlicht, und dann auch Mitleid. Plötzlich wollte ich ihn beschützen.
„Das ist es nicht. Aber sieh dich an, schau in den Spiegel. Ich kam zwar auch mit dem Vorsatz her, aber es geht nicht. Das bring ich nicht.“
Er kniete weiter vor mir und weinte immer stärker. Sein Körper zitterte und ich war mit der Situation völlig überfordert. ‚Was würde mein Vater jetzt tun’, fragte ich mich. Klar, er hätte ihm jetzt die flache Hand ins Gesicht geschlagen und so was wie ‚reiß dich zusammen’ gesagt.
Dieser Gedanke funktionierte für mich aber gerade überhaupt nicht.
„Also, Fabian ... bitte hör auf damit.“ Seine Reaktion war das genaue Gegenteil meiner Bitte. Er schluchzte noch stärker. Seine Hand lag regungslos um meinen Hosenbund geklammert und meine immer noch auf seiner. Ansonsten mied er jeden weiteren Körperkontakt, so wie ich es immer von ihm verlangte.
„Scheiße, was soll ich nur tun?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern, aber irgendwie hörte er es und sah mir in die Augen. Er zog seine Hand zurück und damit gab es keinen Berührungspunkt mehr.
Ich wollte aufstehen und gehen, doch meine Beine verweigerten mir den Gehorsam. Ich saß einfach nur da und starrte das Häufchen Elend an.
„Bin ich denn so abartig für dich? Ich hab dich am Freitag beim Trainieren gehört. Warum tust du mir so weh? Warum holst du mich trotzdem immer wieder zu dir?“ Seine Augen starrten auf den Boden.
„Ich weiß es nicht. Es gefällt mir, wie du es tust.“ Die erste Frage konnte ich nicht beantworten. „Warum sagst du nicht einfach nein?“
Er schwieg für einen Moment. „Ich weiß nicht, ob du es verstehen würdest. Ob du weißt, wie es ist, wenn man plötzlich alles Wichtige im Leben verliert.“
Fabian hatte Recht, so etwas kannte ich nicht. Er verlor kein weiteres Wort darüber. Offensichtlich wollte er mir seine Geschichte nicht erzählen und ich wusste nicht, ob ich sie hören wollte.
„Setz dich, bitte.“ Meine Hand klopfte auffordernd auf das Sofa und er sah mich ungläubig an. „Ich meine es ernst, setz dich zu mir.“
Er stand schwankend auf und ich streckte ihm die Hand entgegen, an der er sich hochzog. Dann ließ er sich langsam auf die Sitzfläche gleiten. Mein Arm legte sich reflexartig um seine Schultern und ich zog ihn näher an mich heran. Das überraschte mich selber ein wenig.
Er presste sich dicht an mich heran und ich spürte die warme, weiche Haut seiner Wange an meinem Hals. Ich verkrampfte zwar ein wenig, stieß ihn aber nicht weg, was mein erster Impuls gewesen wäre.
„Ich hoffe einfach, dass du mir eine Chance gibst, irgendwann. Ich hoffe es jeden Tag. Deswegen sage ich nicht nein.“
„Aber warum sollte es Hoffnung geben? Du bist ein Kerl und ich ...“
„Und du bist nicht schwul, ich weiß. Du machst es mir ja auch immer wieder sehr deutlich. Aber warum lässt du dich von mir befriedigen? Deine Freundin macht es doch auch. War ja damals nicht zu übersehen.“
„Weil sie ...“ Gute Frage. „Ich möchte nicht darüber reden.“
Mir tat mittlerweile der Nacken vor Anspannung weh und Fabian schien meine Gedanken zu erraten.
„Entspann dich doch ein bisschen, ich werde auch nichts machen. Das hier reicht mir völlig, es ist sehr schön mit dir. Und du riechst gut.“ Er seufzte.
Ich empfand den Geruch seiner Haare auch als ganz angenehm. Mir fiel erstmals sein eigener Duft auf, der sonst von dem süß-herben Aftershave überdeckt wurde.
Langsam ließ ich die Schultern sinken und lockerte mich ein wenig. Die Situation fing an mich zu erregen, aber dann hörte ich nur noch ein leises, gleichmäßiges Atmen. Fabian war eingeschlafen.
Ich wand mich unter ihm hervor und ließ ihn in eine liegende Position gleiten, zog meinen Arm unter seiner Schulter weg und war mit meinem Gesicht plötzlich ganz nah an seinem. Meine Lippen schwebten über seiner Wange.
Ich konnte es nicht und stand auf. Jochen wartete schon.
Mein Kollege legte die Hantel zurück in die Halterung. „Und wie war es?“
„Wir haben es überlebt.“
„Ich wollte eigentlich wissen, wie es ihm geht.“
„Besser, denke ich. Vielleicht ist er ja morgen wieder bei der Arbeit.“
„Nur nicht zu informativ sein. Hast du dich wenigstens benommen?“
Ich stand von der Aufwärmmatte auf und streckte mich. „Ja, ich habe mich benommen. Du wärst überrascht, wie nett ich sein kann.“
„Allerdings. Besonders dann, wenn es um ihn geht.“
„Man könnte ja meinen, du hältst mich für ein Monster. Er ist eigentlich ganz okay, nur definitiv zu weich.“
„No comment, harter Mann.“ Er legte ein paar weitere Gewichte auf die Hantel. „Dann zeig mal, wie hart du wirklich bist.“
Einige Stunden später
Fabian wachte etwas desorientiert auf, erkannte aber, trotz der Dunkelheit, sofort sein Wohnzimmer. Er erinnerte sich, wie er in Patricks Armen eingeschlafen war und kurz wach wurde, als ihn dieser sanft auf die Couch legte. Ihm war so, als hätte er kurz den Atem des Älteren auf seinem Gesicht gespürt.
Ein neues Gefühl von Hoffnung und wohlige Wärme machten sich in ihm breit. So gut hatte er ihn noch nie behandelt. Und er war dankbar, dass Patrick nicht auf seinen üblichen ‚Spaß’ bestanden hatte. Die Umarmung erinnerte den Studenten an Thomas, der ihm immer dasselbe Gefühl von Geborgenheit gegeben hatte.
Fabian ging in sein Schlafzimmer und schlief noch ein paar Stunden, so gut wie schon lange nicht mehr.
Dienstags hatte er keine Vorlesungen und war in der Firma fest eingeplant ... und verschlief um eine gute Stunde. Hastig duschte er sich, suchte frische Klamotten aus dem Schrank und schwang sich auf sein Fahrrad.
„Geht es Ihnen wieder besser?“ Der alte Kramer fing ihn am Empfang ab.
„Danke, ja. Ich bin nur noch etwas müde und hab leider verschlafen.“
„Macht nichts, das kommt bei Ihnen selten vor. Und herzlichen Glückwunsch, auch Sie haben zum Erfolg der Brauerei-Kampagne beigetragen.“
„Wirklich? Das sind ja gute Nachrichten.“
„Weiter so.“ Kramer klopfte Fabian anerkennend auf die Schulter und marschierte ab.
Patrick kam kurz danach aus dem Kopierraum und sah Fabian missgelaunt an, bevor dieser sich in sein Büro zurückzog. Er verstand die Welt nicht mehr. Bis zur Mittagspause trafen sie sich noch einige Male, doch Patrick würdigte ihn keines Blickes.
Die gute Laune des Studenten war wie weggeblasen.
Ein paar Stunden früher
Beschwingt betrat ich das Büro, selbst der leichte Muskelkater konnte meine Stimmung nicht trüben. Der Besuch am Vorabend war richtig, das war mir nun völlig bewusst.
Die Emails waren schnell abgearbeitet und ich besorgte mir einen Kaffee in der Kantine, wo Jochen und ich noch ein paar Worte wechselten. Er machte sich über meinen Muskelkater lustig, weil ich seine Herausforderungen mit mehr Gewichten stur angenommen hatte.
Ich saß gerade wieder am Platz, als mein Telefon klingelte.
„Kramer und Partner, Patrick Reder.“ Meine Stimme versprühte gute Laune.
„Schön, dass du so fröhlich bist. Mal sehen, wie du gleich reagierst.“
„Tini, was gibt es?“
„Okay, kurz und schmerzlos also. Herzlichen Glückwunsch, Papa.“
Mir fiel vor Schreck der Hörer runter. Mit zittrigen Fingern nahm ich ihn wieder auf.
„Verarsch mich nicht.“
„Ich bin im zweiten Monat.“
„Das kann nicht sein. Du nimmst die Pille!“ Ich war schockiert, aber absolut nicht positiv.
„Tja mein Schatz, vielleicht hab ich sie auch mal zu spät eingenommen, keine Ahnung. Jedenfalls ist es passiert.“
„Das gibt es nicht ... aber der zweite Monat ist gut, sehr gut. Mach doch am Besten gleich einen Termin für den Abbruch.“
„Vergiss es. Patrick, ich bin fast dreißig und ich wollte irgendwann ein Kind mit dir. Dann kommt es eben jetzt. Wir hätten endlich unsere eigene kleine Familie. Es würde unserer Beziehung gut tun.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage. Christine, ich weiß ja nicht einmal, ob es mit uns überhaupt noch Sinn macht. Wir sind ständig am Streiten. Was wollen wir da mit einem Kind?“
„Du bist ein egozentrisches Arschloch. Natürlich läuft es gerade nicht besonders, aber ich weiß wenigstens, dass ich dich will!“
„Lass uns das Thema verschieben, wir reden heute Abend darüber, oder die Tage.“
„Ja klar, verschieben, oder totschweigen. Du bist deinem Vater so was von ähnlich. Wenn man etwas nicht beachtet, dann existiert es auch nicht und euer Wort ist Gesetz, was? Aber es geht hier nicht nur um uns beide.“
„Doch, genau darum geht es. Ich will kein Kind und es ist dir egal. Es kümmert dich einen Dreck, was ich möchte.“
„Arschloch!“ Sie brüllte dieses letzte Wort so laut, dass es mir in den Ohren wehtat. Dann war die Leitung tot.
Wütend schnappte ich mir ein paar Unterlagen und lief zum Kopierraum. Das Gerät zog Seite um Seite ein, begleitet von einem monotonen Surren. Die Kopien rutschten in die Sortierfächer und der Vorgang war beendet. Auf dem Weg ins Büro hätte ich Kramer fast noch über den Haufen gerannt.
Und dann sah ich Fabian am Empfang, wie er mich entdeckte und anstrahlte. Ich bedachte ihn mit einem gereizten Blick und verschloss wortlos meine Tür.
Wir trafen uns im Laufe des Vormittags noch einige Male, aber ich war nicht in der Lage ihn anzusehen.
Der ganze Tag war wie verhext. Die Sache mit der Schwangerschaft hatte mich total aus der Bahn geworfen. Sollte ich trotzdem Schluss machen? Ich verabredete mich für den Abend bei meinen Eltern zum Essen.
Zu allem Überfluss streikte dann mein PC und ich stiefelte zur EDV. Fabian tippte gerade ein paar Zeilen in seinen Computer und Mario, der Administrator, schraubte an einem Drucker herum.
„Schw... Fabian, kommst du bitte mal? Ich habe ein Problem am PC.“
Er hatte natürlich gemerkt, dass mir beinahe mein übliches ‚Schwuchtel’ über die Lippen gerutscht wäre. Dementsprechend schlich sich, trotz der Verbesserung, der traurige Ausdruck zurück in seine Augen.
Wortlos folgte er mir ins Büro.
„Es tut mir leid. Das war keine Absicht.“ Ich meinte es wirklich ernst.
„Wieso, es ist doch alles wieder beim Alten. Gestern, das war ein Versehen.“ Die Verbitterung in seiner Stimme tat mir weh.
„Nein, war es nicht. Ich will mich doch entschuldigen. Der Tag war beschissen.“
„Und dann lässt du es an mir aus, bitte, lass es einfach.“
„Jetzt hör mir mal zu. Ich weiß selber, dass ich mich falsch verhalten habe. Heute hat meine Freundin angerufen und mir erzählt, dass ich Vater werde. Ich will dieses Kind nicht und sie will nicht abtreiben. Wir haben immer verhütet, es darf gar nicht sein.“
„Na herzlichen Glückwunsch.“ Seine Augen glänzten feucht und er wischte sich kurz mit dem Handrücken durchs Gesicht. „Warum erzählst du das ausgerechnet mir? Ich weiß auch so, dass ihr miteinander schlaft und es tut auch so schon weh genug. Sie bekommt das, was ich gern hätte. Ich gebe mich mit dem zufrieden, was du mir anbietest, nur allein um wenigstens einen Teil meiner Wünsche erfüllt zu bekommen.“
Er rieb sich wieder durch das Gesicht, während er sich durch die Menüs im Programm klickte, auf der Suche nach dem Fehler.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschnauzen. Das gestern Abend war wunderschön für mich. Und es hat dich auch nicht umgebracht. Okay, ich werde vielleicht nie das bekommen, was ich mir am meisten wünsche, mag sein, aber ich hab mich richtig geborgen gefühlt und nicht wie dein Spielzeug.“
„Ich fand es auch ... nicht unangenehm.“
„Bei dir können sogar Komplimente wie eine Beleidigung klingen.“
„Fabian, ich ... es war schön, irgendwie. Aber es ist falsch.“
„Und das andere ist dann richtig?“
Ich wusste keine Antwort darauf.
„Wenn du es geschehen lässt und dich keinem Gefühl verpflichten musst, dann ist es okay. Sobald du etwas geben sollst, dann ist es wieder falsch. Oder sehe ich das jetzt nicht richtig?“
„Sollen wir es lassen?“ Ich fühlte mich gerade richtig schlecht. Bisher hatte ich immer geglaubt, er bekäme genau das, was er wollte. Schwule blasen sich eben gerne einen, mehr braucht es nicht.
„Ist das dein einziger Gedanke dazu? Ich habe mir schon öfters gewünscht, du würdest mich einfach in Ruhe lassen.“ Sein Gesicht drückte traurige Verbitterung aus. „Ich komm einfach nicht von dir los.“
„Fabian, wieso liebst du mich, trotz alledem?“
Er seufzte. „Dein PC läuft wieder. Darf ich gehen?“
„Ja, natürlich. Danke.“
Als er an mir vorbei wollte, griff ich nach seinem Arm, zog ihn an mich ran und umarmte ihn. Seine Arme hingen kraftlos an der Seite herunter und er erwiderte es nicht.
„Tu das bitte nicht, wenn du es nicht ernst meinst. Lassen wir es so, wie es ist. Dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.“ Seiner Stimme fehlte jeder Ausdruck und ich ließ ihn wieder los.
„Vielleicht hast du Recht.“ Ich war mir im Moment überhaupt nicht sicher.
„Gut.“ Er verschwand mit gesenktem Kopf. Warum kümmerten mich plötzlich seine Gefühle? Alles veränderte sich dadurch und machte es komplizierter. Oder war es schon immer so kompliziert und ich hatte es mir nur einfach gemacht?
Als ich später bei meinen Eltern eintraf, hatte sich meine Stimmung nicht gerade verbessert. Antonia, das Dienstmädchen, öffnete die Tür und ließ mich herein. Meine Mutter lag schlafend auf der Couch, ein leeres Cognac-Glas stand auf dem Tisch.
Mein Vater saß im Esszimmer am Ende des Tisches und zog an seiner Pfeife. Der schwere Duft seines Tabaks hing im Raum.
„Hallo Vater.“ Ich begrüßte ihn, wie üblich, mit einem Kopfnicken und setzte mich an das andere Kopfende.
„Hallo Patrick. Welch seltene Ehre.“ Sein Blick glitt an mir vorbei, direkt auf Antonia, die ihren kurvigen Körper gerade streckte, um an die Teller im oberen Regal des Schranks zu kommen. Sie war in meinem Alter und es war ein offenes Geheimnis, dass sie des Öfteren bei meinem Vater ‚nächtigte’.
„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter.“ Jetzt lagen seine Augen forschend auf mir.
„Christine ist schwanger.“ Er hasste es, wenn man ewig um den heißen Brei redete.
„Das fehlt ja noch. Ich war schon immer gegen diese Kratzbürste.“
„Es hätte mit jeder anderen passieren können.“
„Ist es aber nicht. Du hast doch hoffentlich mit ihr über die Abtreibung gesprochen.“ Das war eindeutig nicht als Frage gemeint. Keine Spur von Opafreuden, das wäre ja zu gefühlsbetont.
„Natürlich. Sie will nicht.“
Er donnerte mit der Faust auf den Tisch. „Was für eine Art Mann bist du eigentlich? Sie will nicht? Wen interessiert das denn?“
„Vater, sie ist eben nicht wie Mama.“
„Genau das ist euer Problem.“
Er klopfte die Pfeife aus und füllte sie mit frischem Kraut. Die Flamme seines Streichholzes zuckte dem Kopf entgegen, als der alte Herr am Mundstück zog.
„Regel das.“ Dies war ein eindeutiger Befehl und ich nickte pflichtschuldig.
„Es gibt da noch etwas. Ein Mitarbeiter in der Firma ist in mich ... verliebt.“ Mir war nicht ganz klar, warum ich gerade dieses Thema ansprach. Vielleicht lag es an der Sehnsucht nach Nähe und Verständnis, die mich fest in ihren Klauen hielt. Meine Gefühlswelt lag in Trümmern. Aber mein Vater erwies sich, wie immer, als der falsche Ansprechpartner für so was. Ich hätte es besser wissen müssen.
„Nirgends ist man vor diesen Perversen sicher. Aber du wirst ihm die Flausen sicherlich austreiben, wie es sich für einen Mann gehört.“ Wieder der Befehlston. Wenn es nach ihm ginge, dann müsste ich Fabian vermutlich auspeitschen, bis er sich freiwillig auf eine Frau wirft oder ‚seinem Elend’ ein Ende setzte.
„Ich kümmere mich darum.“
Antonia erlöste mich von dem Gespräch, indem sie die dampfenden Teller mit Braten und Kartoffeln vor uns absetzte und mir ein Bier brachte. Mein Vater begnügte sich mit seinem teuren Whiskey.
Ich wusste nicht mehr, warum ich eigentlich herkommen wollte. Von meinen Eltern hatte ich keine vernünftigen Ratschläge zu erwarten. Dass mein Vater für eine Trennung war, hätte ich auch so gewusst. Es wunderte mich fast schon, dass ich überhaupt auf der Welt war. Aber Mamas Schwangerschaft war eine gesellschaftliche Entscheidung.
Wäre Tini ein braves Frauchen ohne Ambitionen, dann hätte er mir jetzt eine Zigarre gereicht und die Zukunft meines Kindes verplant.
Aber ich wollte kein Vater sein. Nicht so wie er, doch würde ich es anders machen können? Ich kannte nur dieses Leben.
Mir fehlte jedes bisschen Appetit und würgte mir den halben Inhalt des Tellers hinein, bis ich ihn zur Seite schob. Antonia räumte ihn gleich weg.
„Schmeckt es dir nicht?“
„Doch, Vater. Aber ich hatte nicht viel Hunger.“
Ich beobachtete ihn, wie er sich wortlos Bissen um Bissen in den Mund schob, sorgfältig kaute und hin und wieder mit einem Schluck Whiskey nachspülte. Sein Hausmädchen füllte das Glas immer wieder auf. ‚Wie gut er sie doch erzogen hat’, dachte ich in einem Anflug von Zynismus.
Ich konnte eigentlich nur dankbar sein, nicht als Mädchen geboren worden zu sein.
„Gut, ich denke, du hast dich noch um einiges zu kümmern. Viel Erfolg dabei.“ Er zündete sich wieder sein Pfeifchen an und damit war meine Anwesenheit nicht länger erwünscht.
„Natürlich. Einen schönen Abend noch.“
Zügig verließ ich das Haus, setzte mich in das Auto und brüllte meinen Frust raus. „Du bornierter alter Mann. Dämlicher Tyrann!“
Da meine Stimmung nicht noch weiter sinken konnte, nahm ich mein Handy und tippte Tinis Nummer ein.
Als sie abnahm, wartete ich ihre Meldung nicht ab und legte gleich los. „Wir sollten uns gleich treffen, wir haben was zu besprechen.“
„Patrick?“ Die irritierte Stimme am Telefon gehörte nicht meiner zukünftigen Ex, es war Fabian. Ich starrte auf das Display und erschrak. Unterbewusst hatte ich seine Nummer gewählt.
„Oh, Fabian ... das ist jetzt wirklich unangenehm. Eigentlich wollte ich Tini anrufen.“ Ich rechnete schon damit, ihn erneut zu verletzen. Doch das wollte ich nach all unseren Erfahrungen miteinander vermeiden. Daher schlug ich einen versöhnlichen Ton an.
„Verstehe. Ich wünsche euch viel Spaß.“
Der Klang seiner Stimme verriet mir, dass ich recht gehabt hatte, und war erleichtert, nicht gleich losgebollert zu haben. Dennoch fühlte ich mich prompt schuldig und wollte nicht, dass er alles in den falschen Hals bekam.
„Fabian warte, leg nicht auf. Ich will dich nicht quälen. Es geht bei ihr auch nicht um Sex. Ich will mich mit ihr treffen um Schluss zu machen.“ Bevor er sich wieder unnötig Hoffnungen machen konnte, fügte ich noch ein „Es hat nichts mit dir zu tun“ an.
„Warum auch. Als ob du wegen eines Kerls wie mir mit ihr Schluss machen würdest.“
Sein zynischer Tonfall kam nicht ganz überzeugend rüber. Mein widersprüchliches Verhalten musste etwas in ihm verändert haben. Es war offensichtlich, dass er angefangen hatte zu kämpfen und er wurde zusehends mutiger, aber durch die ständigen Misserfolge auch frustrierter. Eines wurde mir jedenfalls klar, er wollte sich nicht mehr alles widerstandslos gefallen lassen.
„Hör bitte auf damit. Ich möchte dir entgegen kommen, soweit es möglich ist. Es ist nur nicht so einfach. Du hast ein ziemliches Chaos in meinem Kopf ausgelöst und ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Das passiert nicht erst seit gestern. Seit Weihnachten entgleitet mir alles, ich verliere die Kontrolle über mein Leben. Und das liegt alles an unserem ‚Arrangement’.“
„Hast du jemals versucht die Kontrolle freiwillig zu verlieren, abzugeben?“
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Hast du jemals versucht zu leben?“
„Was denkst du denn, was ich hier tue?“
„Du läufst irgendwelchen Zwängen nach. Aber wann warst du wirklich glücklich, wann hast du richtig gelebt? Andere, die das Leben lieben, werden aus dieser Welt gerissen. Und du wirfst alles weit von dir. Alles, was ich bei dir sehe, ist Wut und Trostlosigkeit.“ Seine Stimme klang mittlerweile wieder eindeutig verheult. Und irgendwo, tief in mir, gab es einen Teil, der ihm zustimmte.
„Fabian, kommst du bitte zu mir? Ich bin fast daheim.“
„Wenn du willst ... ich bin auf dem Weg.“
„Danke, bis gleich.“ Ich drückte das Gespräch weg und fuhr auf meinen Parkplatz. Ein Umschlag ragte aus dem Briefkasten. Der Absender war mir bekannt, es war der Vermieter und ich ahnte Fürchterliches. Dies war das angekündigte Nachspiel, eine Abmahnung und die Androhung einer Anzeige, wenn ich mich nochmals einer Mieterin oder einem Mieter gegenüber ungebührlich und beleidigend verhalten würde.
Ich beruhigte meine Nerven mit einem einfachen Single-Malt und hockte mich auf die Couch.
Bald darauf durchbrach die Klingel für einen Moment die Stille. Ich schleppte mich zum Öffner, ließ die Tür einen Spalt offen und ging wieder zur Couch. Fabian kam auf leisen Sohlen herein und blieb unschlüssig vor mir stehen.
„Möchtest du es gleich hier?“
Die Kälte in seiner Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken, aber der Kampf um seine Fassung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich war mir fast sicher, dass er um die Wirkung seiner Worte bescheid wusste und das er mir einen schmerzhaften Stich verpassen wollte.
„Du musst mich doch eigentlich hassen, oder?“
„Es wäre vermutlich einfacher.“ Seine Worte taten mir weh, auch wenn ich diese Antwort erwartet hatte.
„Ich habe dich aber nicht deswegen hergebeten.“ Mühsam unterdrückte ich den schmerzhaften Kloß im Hals. Der Abend mit meinem Vater hatte mir doch stärker zugesetzt.
„Wozu denn? Ich dachte, wir hätten uns heute darauf geeinigt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, dein Wortlaut war etwas anders, hör mir bitte erst zu. Du hast am Telefon einige Dinge gesagt, über die ich nachdenken musste und du hast in einigen Punkten Recht gehabt.“ Ich machte eine kleine Pause, aber er sagte keinen Ton. „Was hast du gemeint, als du das mit ‚aus dem Leben gerissen’ gesagt hast?“
Er wurde ein wenig blasser. „Das ist mir so raus gerutscht. Ich möchte nicht darüber reden.“
„Ich verstehe, warum du mir nicht vertraust.“
„Das ist es nicht. Zumindest nicht nur.“
Er stand mit verschränkten Armen vor mir und sah mich unsicher an. Plötzlich wurden mir meine schlechten Manieren bewusst. „Bitte, setz dich. Möchtest du auch ein Glas?“ Ich deutete auf den Malt. Fabian nickte schüchtern und setzte sich, mit etwas Abstand, neben mich.
Er nahm das Glas und nippte vorsichtig an dem Getränk. Dann verzog er das Gesicht und hustete heftig. Ich fing herzhaft an zu lachen.
„Na vielen Dank auch, lach mich ruhig aus.“ Und etwas sanfter fügte er hinzu. „Ich hab dich jetzt zum ersten Mal lachen sehen.“
„Sorry“, antwortete ich glucksend, „aber du hast auch zu komisch ausgesehen.“
„Nein, es ist okay. Das hab ich vorhin gemeint. Du hast deine Kontrolle abgegeben und deinen Gefühlen freien Lauf gelassen.“
„Eigentlich bist du zu gut zu mir.“
„Das gleicht es dann wohl aus.“ Sein trauriger Blick weckte keinen Ärger in mir, so wie es sonst immer der Fall war.
„Mein Verhalten war alles andere als fair“, gab ich zerknirscht zu. „Tini hat mich ein ‚egozentrisches Arschloch’ genannt. Und vermutlich hat sie Recht.“
Fabian widersprach nicht.
Ich rückte ein Stückchen näher an ihn heran und er wich wieder ein Stück zurück. „Bitte spiel nicht mit mir. Ich halte es nicht mehr aus.“
„Das tue ich nicht. Aber ich weiß auch nicht, wo das alles hinführen soll.“
„Und was erwartest du von mir?“ Fabian rückte nun selber ein paar Zentimeter in meine Richtung.
„Zunächst einmal ... habe ich nicht das Recht etwas von dir zu erwarten, aber ich würde dir gerne ein Freund sein, ein Neustart für uns. Ganz ehrlich, ich kriegs nicht mehr hin, mich von dir bedienen zu lassen. Nicht mehr seit neulich bei dir. Mir war nicht klar, was ich dir damit angetan habe, fühlte mich als der Gönner, der dir noch einen Gefallen tut. Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Ich kann ein ziemlicher Ignorant sein.“
Sein Gesichtsausdruck wandelte sich in ein freudiges Erstaunen.
„Mein Vater hat es mir anders vorgelebt. Frauen haben zu gehorchen und die widerwärtigen Perversen brauchen nicht mehr als einen Schwanz. Er hasst Schwule und verachtet Frauen. Eigentlich hasst er alle Menschen.“
„Oh man, was für ein Mensch.“
„Das kannst du wohl laut sagen. Und ich war bisher nicht viel anders.“ Ich seufzte resignierend.
„Aber du kannst ausbrechen. Du musst so nicht sein.“
„Ach Fabian, ich bin so schon mein ganzes Leben. Es ist nicht so einfach. Selbst dieses Gespräch ... ich würde es jetzt schon gerne rückgängig machen.“
„Aber du kannst doch nicht dein ganzes Leben lang die Menschen von dir stoßen, daran muss man doch kaputt gehen.“
„Man gewöhnt sich daran.“ Ich spürte seinen Arm, wie er sich um mich legte, und kämpfte gegen den üblichen Reflex an. Der größte Teil von mir wollte aufspringen und ihn anbrüllen. Doch dann verschwand der Arm wieder. Wie so oft, in letzter Zeit, fühlte ich mich schuldig.
„Soll ich gehen?“
„Es wäre vermutlich vernünftiger, aber nein, meinetwegen nicht.“
Fabian gähnte unterdrückt. „Okay.“
„Bist du sehr müde?“ Mein Blick fiel auf die Uhr, wir hatten fast Mitternacht.
„Es geht.“ Er war ein schlechter Lügner.
Meine nachfolgenden Worte konnte ich selber nicht glauben. „Also, es ist jetzt vielleicht etwas seltsam, aber du kannst gerne hier bleiben. Ich bin auch ziemlich geschafft, wäre aber nur ungern allein. Wenn du deine Finger beherrschen kannst, dann darfst du mit zu mir.“
„Du verarscht mich doch.“ Er strömte ein verständliches Misstrauen aus.
„Ich fürchte nicht. Sag ja oder lass es, aber entscheide dich, bevor ich meine Meinung wieder ändere. Bitte.“
„In Selbstbeherrschung hab ich Übung.“ Es hörte sich vorwurfsvoll an, aber ich wusste, dass er es nicht so gemeint hatte.
Ich suchte ihm eine Zahnbürste heraus und schickte ihn ins Bad. Danach machte ich mich selber frisch und dann kam die nächste Hürde. Wir standen ziemlich verkrampft vor meinem Bett. Der Raum war immer noch ziemlich warm vom Tag.
„Hast du vielleicht ein Shirt für die Nacht? Meine Sachen sind frisch aus dem Schrank, die könnte ich auch morgen noch anziehen.“
Ich räusperte mich. „Ähm, ja, schon. Aber es ist doch ziemlich warm. Also ... es macht mir nichts aus, wenn du es einfach weglässt. Ich würde auch lieber darauf verzichten.“
„Oh Gott, ich werde sterben, ganz bestimmt.“ Er wurde sichtlich nervös.
Ich machte den Anfang, legte Shirt und Jeans auf die Wäschekiste und kroch unter die Decke. Seine Augen folgten mir stumm.
„Na los, ich beiße nicht.“
„Ja, leider“, brummte er leise. Er streifte sich das Hemd umständlich über den Kopf, dann folgte die Hose. Ich war mir nicht sicher, doch die Wölbung in den leichten Shorts schien zuzunehmen. Es war mir zwar etwas unangenehm, aber ich betrachtete auch seinen Körper etwas genauer. Er war wirklich gut in Form. Er bemerkte meine Blicke und hielt sich schüchtern die Hände vor den Schritt.
„Sorry, aber das kann ich wirklich nicht steuern.“
„Kein Ding, denke ich. Immerhin ... naja, du kennst meinen ja auch schon recht gut.“
Der Kleine nickte und kroch ebenfalls unter die Decke. Er lag, steif wie ein Brett, auf dem Rücken und starrte an die Decke. Irgendwie brachte mich das wieder zum Lachen.
„Okay, also folgendes: wie du schon angemerkt hast, die Sache in deiner Wohnung hat mich nicht umgebracht. Das wäre eventuell okay.“
„Aber ich hab kaum was an.“
„Das betrifft uns beide.“
„Ja, aber du würdest mich auf deiner Haut spüren.“
„Fabian, komm einfach mal näher.“
Er wuchtete sich wieder hoch und robbte näher an meine Seite. Dabei schob ich meinen Arm ein Stück vor, damit er seinen Kopf darauf legen konnte.
„Ist doch gar nicht so schlimm“, sagte ich mehr zu mir selbst. Seine Haut lag weich an meiner. Fast noch weicher als Tini. Und auch wärmer.
Fabian machte es sich in der Nähe meiner Schulter bequem. „Danke“, flüsterte er leise und plötzlich spürte ich seine Lippen auf meiner Wange, als er mir einen hauchzarten und unschuldigen Kuss gab.
Ich tastete nach der Lampe und löschte das Licht. Meine Augen wurden erstaunlich schnell schwerer und ich war kurz vorm Einschlafen, als plötzlich die Schlafzimmertür mit einem Knall an die Wand schlug und das Deckenlicht aufflammte.
„Ich lass mir das nicht mehr von dir gefallen! Wir reden jetzt! Ich habe ein verdammtes Recht dar... Was ist denn hier los?“
Fabian zuckte zusammen und presste sich erschrocken an mich, während Tini uns zornig anfunkelte.
„Es ist garantiert nicht so, wie es aussieht. Fabian, vielleicht solltest du jetzt doch gehen.“
„Fabian? Etwa der Fabian? Du hast dich letztens nicht so angehört, als ob ihr die besten Freunde wärt. Ich glaub’s ja nicht! Der Vater meines Kindes mit einer Schwuchtel im Bett.“
„Jetzt ist aber gut! Wir sind Freunde, nichts weiter. Und wir fühlen uns momentan beide nicht besonders.“ Ich drehte mich zu Fabian um, der immer noch völlig verängstigt an mir hing. „Bitte geh, es wäre besser.“
Tini griff nach seinen Klamotten und warf sie auf ihn. „Verschwinde und lass die Finger von meinem Freund!“
Verdammt, ich konnte jetzt nicht einmal Schluss machen, sie würde sofort die falschen Schlüsse ziehen.
„Er hat mich überhaupt nicht angefasst. Zumindest nicht so wie du denkst.“ Ich stand auf und zog die Furie aus dem Schlafzimmer. „Zieh dich in Ruhe an, ich kümmere mich um sie.“
Sein Gesicht sagte ganz deutlich, dass er gerade nichts mehr verstand. Ich machte eine unauffällige ‚ich ruf dich an’ -Geste, indem ich mit Daumen und dem kleinen Finger einen Hörer simulierte. Fabian nickte apathisch und ich ließ ihn erstmal alleine.
„Es ist überhaupt nichts passiert. Wie du siehst, wir waren nicht nackt.“
Christine tigerte auf und ab und sie warf Fabian einen bösen Blick zu, als er sich wortlos an uns vorbei schlich. Ansonsten sagte sie aber nichts.
„Nicht nackt, na toll. Hast du eine Ahnung, wie das eben ausgesehen hat?“
„Jedenfalls anders als es war. Hör zu, wir hatten beide etwas Gesellschaft nötig.“
„Du hättest auch mich anrufen können.“
„Ja natürlich. Und was wäre passiert? Wir hätten uns wieder gestritten, genau wie jetzt.“
Sie legte ihre Hand auf meine Brust. „Wir hätten auch was anderes tun können.“
„Sorry, aber genau danach steht mir momentan überhaupt nicht der Sinn. Ich bin keine Maschine, die mal eben alles ausblenden kann. Zurzeit läuft einfach zuviel schief.“
„Und an wem liegt das?“
„Klar, ich hab natürlich alleine Schuld. Sei doch ehrlich, zwischen uns läuft es schon lange nicht mehr richtig.“
„Willst du mir damit etwas Bestimmtes sagen?“ Ihre Stimme bekam einen lauernden Unterton.
„Wir sollten uns eine Weile nicht sehen und unsere Beziehung gründlich überdenken.“
„Verstehe. Ganz wie du willst. Ich wünsche dir eine grauenhafte Nacht. Und noch etwas: Ich werde das Kind bekommen. Es ist mir egal, was du sagst. Bis dann.“
Mir fehlte die Lust noch etwas zu erwidern und ich ließ sie ziehen. Wie von ihr gewünscht wurde meine Nacht grauenhaft und ich hoffte, sie zog wirklich nicht die falschen Schlüsse.
Fabian schwebte im siebten Himmel. Die Grenzen waren zwar gezogen, aber er konnte gut damit leben. Es war weit mehr, als er von Patrick noch erwartet hätte. Die Geschichte über den Vater erklärte dazu noch einiges mehr. ‚Was für ein grausamer und kalter Mann’, dachte er.
Und jetzt lag er hier, dicht an seinen Schwarm angekuschelt, den Kopf auf die Schulter gebettet und Patricks Stimme hatte einen zärtlichen Klang angenommen. Ein übermächtiges Verlangen überkam ihn, und er drückte dem Dunkelhaarigen einen vorsichtigen Kuss auf die Wange.
Doch dann, nur wenige Minuten nach dem Verlöschen des Lichtes, entwickelte sich um ihn herum ein Albtraum. Patricks Freundin brüllte wie eine Furie und Fabian fühlte sich mit einem Schlag elend. Hatte er das Leben seines Freundes noch tiefer ins Chaos gestürzt?
Der studierte Betriebswirt warf ihn, wie schon so oft, aus seiner Wohnung. Zwar mit sanfter Stimme, aber in den Augen lag eine unmissverständliche Bestimmtheit. Wenigstens konnte er die Wohnung unbehelligt verlassen.
Er hoffte nur, dass dies nicht der letzte Abend in dieser Form war, dass ihm seine Träume wieder entrissen wurden.
Vor lauter Grübelei stand er plötzlich vor seinem Wohnhaus und fiel bald darauf in einen unruhigen Schlaf.
Guten Morgen, liebe Sorgen
Der Wecker beendete den Horror dieser Nacht. Im Traum schlug mein Vater immer wieder auf mich ein, während Tini lachend zusah und sich einen Cognac nach dem anderen gönnte. Noch schlimmer war Fabians Anblick, der regungslos, mit blutenden Wunden übersät, neben mir auf dem Boden lag.
Ich schaffte es gerade noch zur Toilette und übergab mich. Würde sie meinem Vater davon erzählen? Hätte sie überhaupt was davon? Es würde an ihrer ‚Beziehung’ zu ihm nichts ändern.
Und warum kümmerte mich das eigentlich? Ich war nicht von meinem Vater abhängig, stand auf eigenen Beinen im Leben. Er war mir nie eine Stütze, hatte nichts gegen mich in der Hand. Ein weiterer Schwall Magensaft ergoss sich in die weiße Keramikschüssel. Ich betätigte die Spülung und putzte mir die Zähne. Dabei betrachtete ich die zweite Zahnbürste, die Fabian gestern benutzt hatte. Ihn raus zu werfen, den einzigen Menschen, der mir alle Fehler immer wieder verzeihen konnte, tat weher als gedacht. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was ich ihm mit meinem Verhalten alles angetan hatte.
Doch nun musste ich erst einmal den Schaden begrenzen und rief Tini an.
„Was willst du“, blaffte sie ins Telefon.
„Es tut mir leid. Es hätte gestern nicht so laufen müssen.“
„Eine Entschuldigung, von dir? Wie auch immer, sie kommt ein wenig spät.“
„Aber versteh mich doch, es ist so vieles anders zwischen uns. Wir sind schon zu lange dicht am Abgrund.“
Sie schnaufte verärgert. „Du hast dich verändert, nicht ich. Und ich komme damit auch nicht mehr zurecht. Ich erwarte aber, dass du dich um das Kind kümmern wirst.“
„Tini, ich ... bitte sag meinem Vater nichts von gestern.“
Sie lachte düster. „Du bist ein erbärmlicher Angsthase. Vielleicht tue ich es nicht, das liegt ganz an dir.“
„Willst du mich etwa erpressen?“ Ich war fassungslos.
„Ich möchte nur, dass du an gewisse Prioritäten denkst.“ Die neue Kälte in ihrer Stimme ließ mich frieren.
„Das glaube ich jetzt nicht.“
„Das hast du dir selber zuzuschreiben. Ich hab dich wirklich geliebt. Und jetzt halte ich dich an den Eiern, Patrick Reder.“
Sie legte auf.
Eine gute Stunde später hockte ich erschöpft im Büro und dachte über mein Leben nach, welches sich langsam in einen Scherbenhaufen verwandelte. Und das alles erst seit Fabian.
Wie auf ein Stichwort klopfte es zaghaft an der Tür und Fabian trat ein.
„Was willst du?“ Meine Stimme klang härter als gewollt und der Arme fuhr erschrocken zusammen. Wortlos drehte er sich um und schloss die Tür hinter sich.
„Oh verdammt ...“ Ich sprang auf und rannte hinterher. „Tut mir leid, bitte komm rüber.“
Er folgte mir zögerlich in mein Reich und ich erzählte ihm alles, vom Traum bis zum Telefonat.
„Und was willst du jetzt machen?“ Er hockte auf der Schreibtischkante und sah mich mitleidig an.
„Ich weiß es nicht, verdammt. Eigentlich müsste es mir egal sein, ob sie mit ihm darüber spricht. Zudem ist ja auch nichts zwischen uns gelaufen. Aber das weiß er ja nicht. Alleine die Tatsache, dass einer wie du in meinem Bett lag, reicht schon, damit er ausflippt.“
„Einer wie ich ...“
Ich griff nach seiner Hand. „Verzeih mir, ich hab es nicht böse gemeint.“
„Schon gut. Aber warum ist es dir denn nicht egal, was er sagt?“
„Keine Ahnung. Ich weiß eben auch nicht, was er dann macht. Er war nie besonders zimperlich, wenn es um ‚wichtige, erzieherische Maßnahmen’ ging. Seit ich weiß, wie weh eine Reitgerte tun kann, verzichte ich freiwillig auf Pferdesport.“
„Oh mein Gott. Und wann hat er so was gemacht?“
„Bei schweren Verfehlungen. Widerworte, zum Beispiel. Aber es war auch der Grund, warum ich mit Krafttraining angefangen habe. Durch die härteren Muskeln war der Schmerz nicht mehr ganz so stark.“
„Das hab ich nicht gewusst.“
„Ach Fabian, wie auch. Davon hab ich selbst Tini noch nie etwas erzählt. Und jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht. Bei mir ist es für uns derzeit nicht sicher. Tut mir leid, aber wir können uns eine Weile nicht sehen.“
Er sprang auf. „Ich habe auch eine Wohnung. Sie weiß nicht, wo ich lebe.“
„Fabian, das weiß ich doch. Aber sie wird es rauskriegen, wenn sie muss. Was passiert wohl, wenn sie mich überhaupt nicht mehr bei mir antrifft? Sie wird suchen, Rückschlüsse ziehen.“
„Ich verstehe, du willst ihr nachgeben.“
„Verdammt, nein, ich will uns beide schützen.“
„Okay. Du, Patrick, ich muss noch einiges erledigen. Vielleicht sehen wir uns ja heute Abend im Studio, wenn wir es irgendwie einrichten können.“
„Vielleicht. Glaub mir bitte, es tut mir leid.“
Er nickte leicht und verschwand wieder in seiner Abteilung. Wir sahen uns einige Stunden nicht mehr, er ging mir aus dem Weg. Und als ich dachte, es könne nicht mehr schlimmer werden, da klingelte mein Handy.
„Christine, was willst du?“
„Hallooooo Schaaaatzi!“ Sie lallte ein wenig.
„Dein Kind scheint dir ja sehr wichtig zu sein, wenn du trinkst.“
„Och, nur ein kleines bisschen. Aber warum ich anrufe, du kommst heute Abend zu mir.“
Mein Hals schnürte sich zu. „Ich kann nicht.“
„Prioritäten!“ Sie betonte das Wort in einem merkwürdigen Singsang.
„Okay ... ich komme um sechs Uhr.“
„Perrrrfekt, um sex Uhr.“ Sie imitierte dabei ein wenig das katzenhafte Schnurren von Halle Berry, aus dem Film ‚Catwoman’ und kicherte.
Fabian trat mir weiterhin nicht unter die Augen und nach Feierabend ging ich in die EDV.
„Mario, wo ist Fabian?“
„Der ist schon vor einer Stunde verschwunden, zur Nachmittagsvorlesung. Es ist schließlich Mittwoch.“
„Oh, das hatte ich vergessen. Dann einen schönen Feierabend.“
„Dir auch, bis morgen.“
Ohne Umwege ging ich zum Auto und fuhr zu Christine, damit ich es endlich hinter mir hatte.
Sie erwartete mich bereits und öffnete die Tür. Bei ihrem Anblick war sofort klar, was sie von mir wollte. Sie trug einen Morgenmantel aus schwarzer Seide und darunter ein halbtransparentes schwarzes Negligee. Die langen Nylonstrümpfe endeten in einer breiten Borte im oberen Drittel ihrer Oberschenkel, nur noch von den Strapsgurten gehalten. Früher hätte mich dieser Anblick rasend vor Lust gemacht, nun wollte ich mich lieber übergeben.
Sie packte meine Krawatte, zog mich durch die Wohnung ins Wohnzimmer und stieß mich unsanft auf die Couch. Dann hockte sie sich breitbeinig über meinen Schoß und presste mir die üppigen, gepushten Brüste ins Gesicht.
„Ich kann das nicht. So funktioniert es nicht.“ Ich zog meine Nase aus dem Dekolleté, um nicht darin zu ersticken.
„Wieso, stehst du nicht mehr auf meine Muschi?“ Sie lachte hämisch und stand auf. Am TV Schrank öffnete sie mit einem Rascheln eine Pappschachtel und warf mir einen silbrigen Tablettenblister zu. In dem Blister befanden sich blaue, rautenförmige Pillen.
„Dann nimm halt die, das Viagra wird schon helfen. Und wenn du noch eine andere Stimulation brauchst, ich war für dich in der Videothek. Welchen Film möchtest du sehen? Lass mal schauen. ‚Rasierte Kätzchen im Schwesternheim’ oder ‚Kolbenfresser im Jungeninternat’. Was darf es sein?“ Sie kam mit wiegenden Hüften auf mich zu. „Oder du beweist mir ohne all dieses, dass du noch ein Mann bist.“
Ich warf die Tabletten auf den Boden. „Darf ich noch kurz duschen? Es war ein langer Tag.“
„Sicher doch. Aber zieh dich hier aus, den Teil möchte ich nicht verpassen.“
Ich lockerte die Krawatte und zog mein Hemd aus. Die Situation war mir unangenehm. Ihre Augen verfolgten gierig jede Bewegung, als ich erst die Schuhe, Strümpfe, die Jeans und am Ende die Shorts fallen ließ.
„Du bist vielleicht ein charakterloser Penner, aber du siehst verboten gut aus.“
Auf der Demütigungsskala von null bis hundert war ich mittlerweile auf -10 angelangt. Aber es war egal, die Sache würde ich schon durchziehen, vielleicht war dann wenigstens Fabian aus der Schusslinie.
Die Dusche brachte keine Entspannung. Dieses miese Gefühl klebte wie Teer an mir. Tini räkelte sich bereits auf dem Bett und erwartete mich, meine Klamotten hatte sie ordentlich auf die Sofalehne gelegt.
„Wir können dann anfangen.“
„Ach, du bist heute aber wieder romantisch. Küss mich gefälligst.“
Ich ließ mein Handtuch fallen und legte mich neben sie. Mit geschlossenen Augen näherte ich mich ihren, zu einem siegessicheren Grinsen verzogenen, Lippen.
Ihre Zunge schob sich gierig in meinen Mund und ich konzentrierte mich auf das Bild von Fabian. Wie er wohl küssen würde? Er war in allem so sanft und zärtlich. Ihre fordernden Hände glitten über meinen Rücken. Wie würden sich wohl seine warmen Finger anfühlen?
Es funktionierte, mein kleiner Freund erwachte zum Leben. ‚Bloß die Augen geschlossen lassen’, dachte ich mir. Sein sanftes Lächeln schwebte vor mir.
Tini und ich schliefen miteinander. Was ich nicht bemerkte war, dass sie mein Handy unter dem Kopfkissen bereithielt. Zielsicher wählte sie Fabians Nummer aus der Kontaktliste und legte das Gerät auf den Nachttisch. Danach füllte das Geräusch ihrer lustvollen Schreie und mein leises Stöhnen den Raum. Fabians Bild vor mir wurde immer plastischer und ich näherte mich dem Höhepunkt. Mit einem gekeuchten ‚Ich liebe dich’ entlud ich mich. In dem Moment verdunkelte sich das Display meines Mobiltelefons, Fabian hatte aufgelegt.
„Die Erkenntnis kommt ein wenig zu spät.“ Sie grinste mich süffisant an. „Aber das war heute tatsächlich eine ganz brauchbare Nummer. Schade, dass du dich sonst nicht so angestrengt hast.“
Der Traum von Fabian zerplatzte wie eine Seifenblase und machte meinen Blick frei für die Wirklichkeit. Und die lag in der Gestalt einer rotblonden Teufelin vor mir. Sie sah beiläufig zur Seite und ich bemerkte mein Telefon. Hastig griff ich danach und, aus einer spontanen Eingebung heraus, klickte ich mich in die Anruflisten. Das letzte Gespräch war Fabian, vor kurzer Zeit und lang genug.
„Was hast du getan?“
„Eigentlich nichts, wieso? Ihr seid doch nur Freunde, was macht es da schon, wenn er weiß, zu wem du wirklich gehörst. Und das, mein Lieber, dürfte er reichlich mitbekommen haben.“
Ich sprang aus dem Bett und rannte zu meinen Klamotten, ich musste hier raus.
„Wer hat dir erlaubt zu gehen?“ Sie schmiegte sich nackt an den Türrahmen und genoss ihren Triumph sichtlich.
„Was willst du denn noch von mir? Liebevoll rumkuscheln?“
„Nein, mein Süßer. Ich will deine offensichtliche Abscheu vor dir selbst auskosten. Du bereust es noch, mir das Herz gebrochen zu haben.“
Meine Augen wurden feucht, Tränen sammelten sich und brannten sich ihren Weg nach unten. Ich hatte seit zwanzig Jahren nicht mehr geweint und es erschütterte mich.
„So, ich glaube das reicht mir für heute. Du darfst gehen.“ Sie drehte sich um und verschwand im Schlafzimmer, ließ mich weinend im Wohnzimmer zurück. Fabian würde mich hassen.
Fabian kam völlig fertig vom Training nach Hause, bitter enttäuscht, dass Patrick verschwunden blieb. Jochen, der diesmal alleine dort war, wusste auch nichts Genaues. Er vermutete, dass es Stress mit der Freundin gab.
Nach einer kurzen Dusche fiel er ins Bett und wälzte sich unruhig herum. Nach einer schier endlosen Zeit klingelte sein Telefon und er sah Patricks Nummer. Sofort verbesserte sich die Laune des Studenten, sein Angebeteter hielt Wort.
„Hi Patrick!“
Er bekam keine Antwort und hörte nur die erregten Laute einer Frau, die Stimme hörte sich sehr nach Christine an. Und im Hintergrund, ganz unverkennbar, das wohlige Stöhnen von Patrick. Fassungslos hielt er den Hörer an Ohr. Die Geräusche wurden immer lauter, bis er Patricks Höhepunkt eindeutig identifizierte.
„Ich liebe dich!“ Fabian schmetterte das Telefon enttäuscht gegen die Wand, wo es in tausend Stücke zerfiel und brach schluchzend zusammen.
Nach schier endlosen Stunden, der Wecker zeigte 10 Uhr an, raffte er sich völlig übernächtigt auf und verließ, nach einer notdürftigen Dusche, seine Wohnung. Er wollte Patrick zur Rede stellen und fuhr mit dem Rad zur Firma, auf eine Vorlesung hätte er sich jetzt nicht konzentrieren können.
Monika Herzgold, die Empfangsdame, musterte ihn mit einem besorgten Blick.
„Hallo Fabian, du siehst ja grauenhaft aus.“
„Ist Patrick in seinem Büro?“
„Hat er damit zu tun? Ich werde mit Kramer reden, so geht es nicht weiter. Aber ich dachte, ihr hättet euch ein wenig angefreundet?“
„Es hat nicht mit der Arbeit zu tun. Ich muss mit ihm reden.“
„Das tut mir leid, aber er ist noch nicht aufgetaucht. Wir erreichen ihn auch nicht.“
„Monika, bitte lass Kramer aus dem Spiel, es ist nicht so wie du denkst.“
Er drehte sich um und schnappte sich sein Fahrrad. Im Rekordtempo fuhr er zu seinem nächsten Ziel und wurde fündig. Patricks Auto stand, schief eingeparkt, vor dem Haus. Er klingelte an der Tür und bekam keine Reaktion. Die Haustür stand offen und er stürmte die Stufen hinauf und klopfte wild an der Haustür.
„Was machen Sie da?“
Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine ältere Dame in der offenen Haustür. „Ich möchte zu Patrick.“
„Da wünsche ich ihnen viel Glück, er ist heute Nacht stockbesoffen die Treppe raufgestolpert. Ein Lärm war das. Es würde mich wundern, wenn er jetzt schon wach wäre. Dieser Kerl macht nichts als Ärger, aber ich werde mich beim Vermieter beschweren. Er ist untragbar für dieses Haus. Vor ein paar Tagen stand er nackt im Treppenhaus und hat mich unflätig beschimpft. Können Sie sich das vorstellen? Mich hat er beschimpft und ungeniert mit seinem ... seinem ... Ding vor mir rumgewackelt. Es ist die Höhe! Dieser Mensch hat keinen Anstand, keine Manieren. Er ist ein ungehobelter Mensch.“
Fabian starrte die alte Frau fassungslos an und wünschte ihr einen spontanen Herzinfarkt.
„Äh, Frau ...“, er schaute auf ihr Klingelschild, „Frau Mohrbeck, ich habe Sie verstanden, er ist ein unmöglicher Mensch, aber es interessiert mich wirklich gerade überhaupt nicht. Sie haben keine Ahnung, in was für einer Situation er steckt. Ihnen steht kein Urteil zu.“
„Unverschämtheit. Aber richten Sie ihm aus, dass ich den Vermieter informieren werde.“ Sie schloss die Tür hinter sich und Fabian atmete erleichtert aus. ‚Was für ein Besen’, dachte er.
Dann wurde ihm bewusst, dass er wieder Partei für ihn ergriffen hatte, trotz der gemeinen Aktion am Telefon.
Er klopfte weiter an die Tür. „Patrick, mach bitte auf!“ Er bekam keine Reaktion und war ratlos.
Das Verhalten passte einfach nicht. Der Ärger über ‚seine Tini’ wirkte so echt, er brauchte die Nähe, hatte den einseitigen Sex verweigert und das zwei Mal in Folge. Dann all die Dinge über den herzlosen Vater, die Patrick erzählt hatte. Der Mann war offen wie nie zuvor und verströmte soviel Gefühl dabei. Das mit dem ‚Telefonat’ passte einfach nicht zusammen.
Geknickt verließ er das Haus und besorgte sich unterwegs, für eine beträchtliche Summe, ein neues Handy ohne Sim-Lock. Zurück in der eigenen Wohnung fischte er seine Karte aus den Trümmern und räumte die Wohnung auf.
Nach dem Einschalten zeigte sein Telefon auch prompt eine neue Kurznachricht an. Er tat sich schwer den, vor Fehlern strotzenden, Text zu entziffern.
Die Grundaussage war, dass alles anders war, als Fabian denken würde und das Patrick sich schämen würde. Die Nachricht wurde offensichtlich unter großem Alkoholeinfluss geschrieben, denn auch ein T9-Wörterbuch hatte seine Grenzen. Zumindest da hatte die Mohrbeck nicht übertrieben.
Er wählte die Nummer der Firma.
„Kramer und Partner, mein Name ist Monika Herzgold.“
„Monika, hier ist Fabian. Patrick hat sich wohl den Magen verdorben und kommt kaum aus dem Bad. Ich war eben bei ihm und besorge etwas aus der Apotheke.“
„Verstehe. Danke für den Anruf, Herr Kramer ist ziemlich sauer gewesen. Ich werde es ihm gleich mitteilen. Richte ihm bitte gute Besserung aus.“
„Mache ich, danke. Bis morgen.“
Er schwang sich ein weiteres Mal auf das Rad und fuhr zurück zu Patricks Wohnung. Er stürmte durch die offene Haustür und hielt atemlos den Finger auf den Klingelknopf. Nach ungefähr zehn Minuten hörte er etwas aus dem Inneren, irgendwas fiel mit einem Klirren um und schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Der Türspion verdunkelte sich kurz und die Tür ging auf.
Fabian wich erschrocken zurück und Übelkeit stieg in ihm auf. Patrick blickte ihm aus glasigen Augen entgegen und stank wie eine ganze Kneipe. Das weiße T-Shirt war von Erbrochenem ganz fleckig und er hielt eine halbvolle Flasche in der Hand, seinen geliebten Single-Malt. Der Student riss sich zusammen und schob ihn in die Wohnung zurück. Hier sah es auch nicht besser aus. Auf dem Couchtisch standen zwei leere Whiskeyflaschen und eine weitere war gegen den Sessel gerollt. Überall fand er Pfützen aus Magensaft. Der Gestank war widerlich.
„Was ist nur mit dir passiert?“
Patrick versuchte ihn anzusehen, verlor aber ständig den Blickkontakt. „Prost, auf den tollen Abend!“ Er versuchte die Flasche an den Mund zu setzen, verfehlte aber. Fabian riss ihm den Alkohol aus der Hand.
„Willst du dich totsaufen? Man, lass das Zeug weg!“
„Gibs her!“ Patrick taumelte schwankend nach vorne, verfehlte aber die Flasche. Dann sank er vor Fabian auf die Knie und heulte hemmungslos. Er fiel mit dem Kopf nach vorne und umklammerte den Studenten am Oberschenkel, welcher sich absolut hilflos fühlte.
„Erzählst du mir was passiert ist?“
„Ich bin erbärmlich. Sie hat mich erpresst und ich hab mit dir ...“, er kicherte zwischen zwei Schluchzern, „mit ihr geschlafen. Ich hab aber dabei an dich gedacht. Geh, lass mich allein, ich bin Dreck.“
Fabian streichelte ihm sanft über den Kopf. „Das bist du nicht und ich lass dich jetzt garantiert nicht alleine.“ Beherzt zog er den Betrunkenen hoch und stütze ihn auf dem Weg ins Badezimmer. Patrick stolperte immer wieder und er hatte alle Mühe ihn aufrecht zu halten. Im Bad streifte er ihm, ohne jede Gegenwehr, die versifften Klamotten ab, ließ in vorsichtig zu Boden gleiten und stellte das Wasser in der Wanne auf eine angenehme Temperatur ein.
„Hey, nicht einschlafen, das kannst du gleich machen. Hast du irgendwo Aspirin?“
Patrick deutete auf den Spiegelschrank und kicherte wieder. „Ich hab ja nix an.“
„Du gehst gleich in die Wanne.“ Er griff nach der Tablettenschachtel und flitzte in die Küche. Kurz darauf kehrte er mit einem Glas Wasser zurück, in dem sich zwei der Tabletten auflösten. „Hier, trink das.“
Nach einem schnellen Bad wickelte Fabian seinen ‚Patienten’ in ein frisches Handtuch und führte ihn, an den ekelhaften Pfützen vorbei, ins Schlafzimmer. Patrick schlief sofort ein und der Student kümmerte sich schnell um die kleinen Unfälle in der Wohnung. Vorsichtshalber schloss er die Wohnungstür ab und ließ den Schlüssel, leicht schräg gestellt, im Schloss stecken. Dann ging er zurück zum Bett und legte sich vorsichtig daneben, damit er schneller reagieren konnte, für den Fall der Fälle.
Doch die furchtbare Nacht forderte ihren Tribut und Fabian schlief ebenfalls ein.
Hinter meinen Schläfen pochte es heftig und ich spürte einen starken Druck auf meiner Brust. Ich erinnerte mich nur noch an den Besuch in der Kneipe nach dem Desaster bei Tini. Ich hatte aber keine Ahnung, wann oder wie ich da wieder raus gekommen war.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen und konnte nur verschwommen sehen. Bilder von Fabian blitzen in einer nicht greifbaren Geschwindigkeit durch meinen Kopf. Plötzlich verschwand der Druck auf der Brust und wanderte zum Bauch. Mein Blick gewann langsam an Klarheit und ich erspähte einen Arm, der quer über mir lag. Einen Männerarm und ich war, bis auf ein Handtuch, nackt.
Mit großer Anstrengung drehte ich meinen Kopf zur Seite und Fabians Gesicht schälte sich aus den schemenhaften Blickfetzen. Innerlich atmete ich auf, denn für einen Moment war ich unsicher, ob ich in der Kneipe nicht einen Fehler gemacht hatte. Hinter dem Schlafenden sah ich den Wecker und zuckte erschrocken zusammen. Die Ziffern wechselten gerade von 19:59 auf 20 Uhr. Ich versuchte mich aufzurichten, aber der Kopfschmerz zog mich zurück auf das Kissen.
„Wie geht es dir?“ Ich hörte seine verschlafene Stimme wie durch Watte.
„Frag nicht ...“ Das Sprechen fiel mir schwer, der Hals war völlig ausgetrocknet.
„Ich hab dich in der Firma krankgemeldet. Magen verdorben“, nuschelte er.
„Danke.“ Plötzlich erinnerte ich mich an den Vorabend und rückte, trotz der Schmerzen, von ihm weg.
„Warum tust du das alles? Ich habe gestern mit ihr geschlafen und ... das Telefon ...“ Er legte seine Fingerspitzen auf meinen Mund.
„Ich weiß. Gestern hab ich dich dafür gehasst, aber irgendwo hab ich es auch nicht geglaubt. Du hast mir vorhin, im Vollrausch, alles erzählt und ich glaube nicht, dass du zur Lüge fähig warst.“
„Alles? Was denn alles?“
„Sie hat dich erpresst, vermutlich mit deinem Vater. Und du sagtest ... du hättest an mich gedacht.“
Ein paar vereinzelte Tränen liefen über sein Gesicht und ich bemerkte sie, als sich die salzige Flüssigkeit einen Weg über meinen Arm suchte.
„Ich hab gedacht, dass dein ‚ich liebe dich’ für sie bestimmt war.“
„Nein. Schon lange nicht mehr.“
Die nächste Frage konnte ich schon erahnen.
„Heißt das, du liebst mich?“
Die Antwort auf diese Frage hingegen war deutlich schwieriger. Bevor ich jedoch darauf eingehen konnte, stand Fabian auf und kam mit einer Flasche Wasser zurück, die er mir wortlos in die Hand drückte. Ich leerte sie in einem Zug.
„Komm bitte wieder ins Bett.“ Ich wartete einen Moment, bis er seinen Körper wieder an mich schmiegte.
„Ich weiß es nicht, Fabian. Es ist nicht so einfach. Okay, ja, ich habe dabei an dich gedacht, an deine vorsichtige und zärtliche Art. An die warmherzigen Blicke, die du mir, trotz meines Verhaltens schenkst. Ich ... mag dich wirklich sehr und weiß nicht, warum sich plötzlich alles verändert hat. Aber die Frage ist eigentlich eher: Warum tu ich das? Ist es deinetwegen, oder einfach nur, weil du gut zu mir bist.“
„Das macht für mich keinen Unterschied“, warf er ein.
„Aber für mich. Du hast es verdient, dass es deinetwegen ist. Ich kann mir nur schwer vorstellen dich so zu berühren, wie du es bei mir tust. Und dann ... ist da noch Tini. Sie hat mich in der Hand und Abende wie gestern werden sich vermutlich wiederholen.“
„Und du willst dich lieber über Jahre hinweg danach halb totsaufen? Es steht alles auf dem Spiel. Nicht nur dein eigenes Glück. Auch die Arbeit. Wie willst du so was auf Dauer erklären? Irgendwann wachst du auf und hast Nichts. Du wirst alles verlieren.“
Er hatte Recht, darüber konnte ich bisher noch nicht nachdenken. Einen Punkt hatte er jedoch ausgelassen.
„Und was ist mit dir? Wie würdest du damit zurechtkommen?“
„Ich hab mich an die Rolle der zweiten oder dritten Geige gewöhnt.“
„Genau das meinte ich, du hast mehr verdient. Es wäre besser, wir würden etwas Abstand zwischen uns bringen. Ich will nicht dein Leben auch noch ruinieren.“
„Du bist ein feiger Wichser, weißt du das? Du wirfst lieber dein Leben und deine Zukunft weg, nur damit dein Vater nicht erfährt, dass du Gefühle hast und es genießt, wenn ich in deinem Arm liege? Aus Angst davor, was er dann über dich denkt? Angst davor, was er mit dir anstellt? Als ob du dich nicht wehren könntest, sieh dich doch an!“ Eine Mischung aus Wut und Trauer lag in seiner Stimme. „Du hast keine Ahnung, was man verlieren kann, aus einer falschen Angst heraus. Angst vor Klarheit.“
Mir fiel darauf keine Antwort ein und Fabian erzählte mir die Geschichte von ihm und Thomas. Er tat sich schwer damit und ich zog ihn dicht zu mir, wofür er mir ein dankbares Lächeln schenkte. Als er fertig war, da wurde ich unsicher.
„Du liebst mich also, weil ich ihm so ähnlich sehe?“
„Ja. Nein, anfänglich mit Sicherheit, aber ich hab schnell gemerkt, dass du nicht Tommy bist. Bisher wart ihr wie Tag und Nacht. Doch du bist so voll von Widersprüchen und ich habe gehofft, dass ich irgendwann zu deinem wahren Ich durchkommen würde. Weißt du, wir haben nur begrenzte Chancen wirklich glücklich zu werden und man darf sie nicht einfach verstreichen lassen.“
„Und du verschwendest deine Chancen an mir.“
Sein liebevolles Lächeln jagte mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper.
„Das sehe ich nicht so. Sieh uns an, wir erzählen uns gegenseitig Dinge, über die wir sonst schweigen. Du lässt mich an dich heran. Und so was machst du nicht leichtfertig.“
Ich konnte ihm nicht widersprechen und drehte den Kopf so, dass ich ihm in die Augen schauen konnte. Seine Lippen lagen nur wenige Zentimeter von meinen entfernt und ich zauberte spontan einen leichten Kuss darauf. Es fühlte sich ganz gut an und seine Zähne blitzten auf, als sich seine Mundwinkel nach oben zogen.
Er legte die Finger auf mein Gesicht und streichelte mich sanft in den Schlaf, einen viel besseren Schlaf.
Der Wecker holte mich aus einer erholsamen und albtraumlosen Nachtruhe. Ein warmer Luftzug strich regelmäßig über meine Brust, er hatte sich halb auf mich gelegt und der Kopf ruhte unterhalb meines Kinns.
„Hey, wir müssen aufstehen“, flüsterte ich leise und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter.
„Nur noch fünf Minuten, Mama.“
Ich lachte. „Die bin ich garantiert nicht.“
Er schoss senkrecht in die Höhe, als er merkte, wo er war, und wie er auf mir lag.
„Tut mir leid, ich hab das nicht mit Absicht gemacht!“
„Hey, keine Angst, Kleiner. Es war ... nicht unangenehm“, grinste ich ihn an.
Seine Hand klatschte leicht auf meine Brust. „Blödmann“, antwortete er mit einem leicht tadelnden Unterton. Sein Gesicht wurde aber sofort wieder ernster. „Wie geht es jetzt weiter?“
„Erstmal aufstehen, Frühstück, Kaffee und dann fahr ich dich heim. Mit den Klamotten kannst du nicht zur Arbeit. Über alles andere kümmern wir uns später. Du hast aber Recht, es muss sich einiges ändern.“
Er nickte zustimmend und dann machten wir uns fertig. Mit einem Schmunzeln registrierte ich meine verrammelte Wohnungstür, er hatte wirklich an alles gedacht. Das Müsli brachte meine Energie zurück und bald schon wartete ich vor seinem Haus, wo er sich blitzschnell umzog. Ich war ihm unglaublich dankbar für alles, dass er sogar die Spuren meines Alkoholgenusses beseitigt hatte. Es musste viel Überwindung gekostet haben. Aber er blieb bei mir, war für mich da, trotz dieses absoluten Tiefpunktes. Tini wäre vermutlich nach Hause verschwunden, hätte mich irgendwann geweckt und zur Sau gemacht. Dann hätte sie mir einen Wischlappen in die Hand gedrückt und mich zum Großputz gezwungen.
Meine Meinung über den Studenten hatte sich gründlich geändert. Er war nicht unmännlich, eher im Gegenteil. Und ich hatte kein Recht, ihn für meine Zwecke zu benutzen. Innerhalb weniger Tage war mein Weltbild aus den Fugen geraten und ich hatte absolut keine Erklärung dafür, warum sich meine Einstellung ihm gegenüber verändert hatte. Ich hatte ihn schon so oft verletzt gesehen und es interessierte mich nicht, bis zu meinem ersten Besuch bei ihm. Es war, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte.
Fabian kam aus der Haustür gestürmt und wäre beinahe noch über die Stufen gestolpert.
„Sorry, es ging nicht schneller.“
„Nur keine Hektik, wir liegen gut im Plan. Du hättest dir ruhig noch Zeit lassen können, dann säße dein Shirt nicht auf links“, grinste ich ihn an.
„Oh, stimmt.“ Er griff nach dem Saum und hielt inne. „Stört es dich, wenn ich kurz ...“
„Jetzt mach hin, wir haben schon mit weniger Bekleidung gekuschelt.“
Er zog sich eilig den Stoff über den Kopf und wendete es. Ich betrachtete die Haut, die sich so weich auf mir angefühlt hatte.
„Warte!“
Er ließ das Shirt sinken und sah mich fragend an. Meine Finger näherten sich der glatten Haut. „Darf ich?“
Fabian nickte schüchtern. Vorsichtig strich ich über seinen seitlichen Brustkorb und spürte die samtigen, fast unsichtbaren Härchen. Er hielt den Atem an und bekam eine Gänsehaut. Verlegen legte er seine Hände in den Schritt.
„Das ist jetzt keine besonders gute Idee.“
Ich zog meine Hand zurück und nickte. „Wahrscheinlich. Aber weißt du was? Es fühlte sich ...“
„Nicht unangenehm an?“, schlug er vor.
„Ich dachte eher an ‚gut’.“ Fabian strahlte über das ganze Gesicht und zog sich wieder an. „Es hat mir auch gefallen.“
„Morgen ihr zwei. Geht es dir wieder besser?“
„Morgen Moni, danke, ja, ich hatte eine ausgezeichnete Krankenschwester.“ Dabei zeigte ich auf Fabian.
„Es überrascht mich, dass ihr euch plötzlich so gut versteht.“
„Wir machen alle Fehler, manchmal. Aber selbst ich bin lernfähig und er ist ein wertvoller Teil des Teams.“
Wir trennten uns und machten uns an die Arbeit. „Bis nachher, Fabian. Heute Abend reden wir weiter, okay?“
„Gerne, bis später.“
Monika kam kurze Zeit später in mein Büro.
„Er hat ganz schön was für dich übrig.“
„Ich weiß. Vielleicht war genau das mein Problem. Aber wir haben uns ganz gut arrangiert.“
„Ich hoffe es. Du bist nicht weit von einer Beschwerde beim Betriebsrat entfernt. Also bitte, reiß dich weiter zusammen. Und das hast du nicht von mir.“
„Moni, es ist wirklich vorbei. Ich mag ihn und bin für seine Hilfe gestern dankbar. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“ Mir war gar nicht bewusst, was mein Verhalten alles ausgelöst hatte. Meine Zukunft stand definitiv an einer steilen Klippe.
„Das hoffe ich.“ Ihr tragbares Telefon klingelte. „Ich muss wieder, bis später.“
Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit der Durchsicht von einigen Präsentationen und nahm, wenn nötig, ein paar Korrekturen vor. Unsere Druckerei meldete einen Maschinendefekt, aber sie würden es fast pünktlich schaffen. Verzögerungen waren bei uns mit eingeplant, von daher gab es deswegen kein Problem.
Mein Handy machte sich bemerkbar, der Akku war fast leer. Mir fiel ein, dass ich es seit dem Abend bei Tini nicht mehr in der Hand hatte. Dementsprechend sah es auch auf dem Display aus. Diverse Nachrichten von der Firma, Jochen und Christine.
„Oh verdammt“, entfuhr es mir. Flugs erschien ihre Nummer im Firmentelefon. Ich atmete einmal kräftig durch und drückte den Wählknopf.
„Höchste Eisenbahn, Herr Reder. Ich dachte schon, du würdest deine Prioritäten vernachlässigen.“ Ich hatte ein Monster aus ihr gemacht.
„Meine Priorität ist momentan die Arbeit, ich hab mir in letzter Zeit zuviel Negatives geleistet.“
„Dein Job ist mir total egal. Du bist mir was schuldig.“
Ich blendete alle Emotionen aus und blieb kalt. „Schön. Aber ohne Arbeit hab ich nur sehr wenig Geld. Kennst du jemanden, der dir sonst noch Unterhalt für das Kind zahlen würde?“
Sie überlegte kurz. „Vielleicht dein Vater?“
„Du bist ihm scheißegal. Erzähl es ihm und er wird mit Freude versuchen mich fertig zu machen, aber du bist für ihn weniger Wert als der Dreck unter seinen Schuhen. Er gibt dir höchstens Geld für eine Abtreibung. Weißt du, er will diesen Enkel nicht. Und er ist weder dir noch mir gegenüber verpflichtet.“
Tini antwortete nicht darauf.
„Übrigens, ich weiß nicht, was du mit dem Telefon bezweckt hast, aber es ging schief. Fabian und ich haben uns darüber unterhalten.“
„Seit wann hast du eigentlich Eier in der Hose?“ Eine berechtigte Frage fand ich.
„Prioritäten. Wenigstens damit hattest du Recht.“
„Prioritäten also. Was läuft zwischen dir und der Schwuchtel?“
„Nichts. Ich bin nicht ... schwul. Aber er ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne. Und er erpresst mich auch nicht zum Sex.“ Warum hatte ich gezögert?
„Das kannst du mir nachher beweisen, dass du nicht schwul bist.“
„Nein, Christine. Geh zu meinem Vater. Er wird dich wahrscheinlich nur für eine rachsüchtige Zicke halten, aber es ist vorbei, du hast mich das letzte Mal gedemütigt.“
„Dafür wirst du bluten, ich press dich bis auf den letzten Cent aus!“
„Nur zu, im Ausbluten hab ich Übung. Und mach dir keine Sorgen, das Kind bekommt, was ihm zusteht.“ Ich beendete das Gespräch mit gewaltigem Herzklopfen und konnte meine Worte kaum glauben. Fabian musste davon erfahren und ich ging in die Küche, um uns mit Kaffee zu versorgen.
Zu meiner Überraschung waren Jochen und er auch da.
„Man Patrick, geht es dir wieder gut? Ich hab gestern zigmal versucht dich zu erreichen.“
„Alles in Butter. Ich war in guten Händen.“
„Hast du dich etwa mit Tini versöhnt?“ Sein überraschter Gesichtsausdruck sollte sich bald noch verstärken.
„Ich sagte ‚in guten Händen’. Darf ich dir einen talentierten Pfleger und künftigen Informatiker vorstellen?“ Meine Hand deutete auf Fabian, welcher leicht errötete.
Jochens Tasse glitt ihm aus der Hand und das glasierte Tongefäß zersplitterte am Boden.
„Ha-hast du Fieber?“
Ich lachte. „Nein, mir geht es gut. Fabian, ich wollte eigentlich auch zu dir. Es ist aus, Tini ist Geschichte.“
Der Kleine umarmte mich zaghaft und ich spürte kurz seine Wange an meiner. „Oh man, ich freu mich für dich.“
Jochen hockte am Boden, fegte die Scherben zusammen und starrte uns fassungslos an.
„Was guckst du so? Du hast doch selber immer darauf gepocht, dass ich ihn besser behandeln soll. Ein schwuler Freund ist überhaupt nicht so übel.“ Im Gegensatz zu meinen Worten, wie mir Fabians angespannte Körperhaltung verriet, bevor er sich von mir löste.
„Sorry, ich hab’s nicht so gemeint. Jetzt guck nicht so, du kennst mich doch.“
Jochens Augen schienen aus den Höhlen fallen zu wollen.
„Äh, du hast Tini wirklich verlassen?“ Mein Kollege wollte von der für ihn merkwürdigen Situation ablenken.
„Ja. Auch wenn sie schwanger ist, den Entschluss hatte ich schon länger gefasst. Aber es sind einige Dinge passiert, die mir in Bezug auf sie die Augen geöffnet haben. Und Fabian war nicht ganz unbeteiligt. Er war da, als ich ganz unten war. Ein echter Freund. Also, trotz meines fiesen Verhaltens.“
„Ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“
„Vermisst du den alten Patrick etwa?“
„Nicht direkt ... okay, ich muss das jetzt erstmal verarbeiten. Sag mal, seid ihr beiden jetzt ...“
„Nein“, kam es zeitgleich von Fabian und mir.
„Ja, dann mach ich mich mal wieder ans Werk. Wir sehen uns dann spätestens im Studio, oder?“
„Von mir aus geht es klar. Fabi?“
Jochen grinste über die Kurzform und der Angesprochene wurde wieder rot. „Ich würde gerne, aber ich muss heute unbedingt was für die Uni machen. Das kam in den letzten Tagen etwas kurz.“
„Sorry dafür, meine Schuld.“ Ich drückte ihn kurz, betont kumpelhaft.
„Ach quatsch, ich hab es ja gerne gemacht.“
Mein älterer Kollege hatte die Küche kurz nach der Umarmung verlassen. „Wenn du möchtest, kannst du auch gerne bei mir lernen. Meine Wohnung ist ja wieder sicher und das mit dem Schlüssel in der Tür ... eine einfache und geniale Idee.“
„Wenn du das wirklich willst, gerne. Ich mag deine Wohnung. Nur die Nachbarn ... was hast du da eigentlich für einen Besen am Hals? Was die für Stories erzählt. Du hättest mit deinem ‚Ding’ vor ihr rumgewedelt und so was. Jetzt will sie sich bei dem Vermieter beschweren, weil du im Vollrausch so laut warst.“
„Oh Gott, nicht die Mohrbeck wieder. Ich hab wegen ihr schon eine formelle Abmahnung bekommen. Und ... die Geschichte stimmt, in einem gewissen Umfang. Es passierte nach einem Streit mit Tini, nachdem du am Freitag verschwunden warst.“
„Ist dir mal aufgefallen, dass alles Negative irgendwie mit ihr zu tun hatte? Zumindest die zwei Dinge mit deiner Nachbarin.“
„Sie war einfach nicht die Richtige für mich und wir hätten schon vor Ewigkeiten die Sache beenden sollen. Es ist ja nicht alles nur ihre Schuld. Du weißt am Besten, wie falsch ich mich verhalten kann.“
Fabian nickte betreten. Die Erinnerungen an mich waren sicherlich nicht die Allerbesten. Dann stahl sich ein spitzbübisches Lächeln in sein Gesicht. „Seitdem wir miteinander reden, kommen aber ständig mehr deiner besseren Seiten ans Licht.“
„Ich weiß, danke.“ Ein Teil in mir wollte ihn küssen, aber die falsche Seite behielt die Oberhand und ich klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sollten jetzt wirklich wieder arbeiten.“ Ich erntete ein Nicken, von einem mutlosen Seufzer begleitet. Mit jeweils einer frischen Tasse Kaffee gingen wir getrennte Wege.
Der restliche Arbeitstag verging schnell und ohne besondere Ereignisse. Fabian hielt ein wenig Abstand und wir begegneten uns nur wenige Male zufällig auf dem Flur. Ich hätte ihn gerne etwas aufgemuntert, aber seine Reaktionen weckten eine unerklärliche Abwehrhaltung bei mir. Er musste doch verstehen, dass ich in der Öffentlichkeit nicht ganz so ungezwungen sein konnte.
Jochen redete beim Training auch nicht lange um den heißen Brei.
„Was geht da bei euch eigentlich ab? Das heute war wie eine Szene aus einem Paralleluniversum.“
„Es geht gar nichts ab. Ich versuche mich nur mit ihm anzufreunden.“ Meine Antwort kam etwas barscher als beabsichtigt.
„Jetzt bleib doch ruhig. Ich finde es ja auch wirklich nicht schlecht. Aber ich hab mal eine Frage dazu. Ist dir aufgefallen, wie er dich ansieht?“
Ich konnte es mir denken, hielt es aber für klüger, den Unwissenden zu mimen. „Wie denn?“
„Er himmelt dich an. Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist er bis über beide Ohren in dich verschossen. Er muss wohl Masochist sein.“
„Als ob du wüsstest wie er tickt.“
„Du etwa? Ich kenne kaum jemanden, der emotional so kurzsichtig ist wie du.“
„Danke für die Blumen. Du hast allerdings Recht, ich hab in der Zeit mit Tini ziemlich alles runter gefahren. Die Beziehung hat uns beiden nur geschadet.“ Über den Zwischenfall verlor ich allerdings kein Wort. Wäre das mit dem Telefon nicht gewesen, dann hätte auch Fabian nie davon erfahren.
„Gut, den Befreiungseffekt konnte ich heute deutlich beobachten. Aber das eigentliche Problem ist Fabian. Schlimm genug, dass er sich ausgerechnet in dich verliebt, aber diese Form von Nähe zu dir macht es ihm auch nicht einfacher.“
Und wieder traf Jochen ins Schwarze. Es war egoistisch von mir, ihn als Seelentröster zu benutzen, ihn so dicht heran zulassen und ihm trotzdem etwas Wesentliches zu verwehren. „Er ist mir irgendwie schon ans Herz gewachsen.“
„Aber du kannst ihm nicht geben, was er von dir möchte. Du bist bisher nur selten den Mittelweg gegangen, immer nur Hopp oder Top, wenn man von Tini mal absieht. Aber Fabian ist nicht Tini, nicht mal im Ansatz weiblich.“
„Und was soll ich machen, ihn links liegen lassen?“ Für einen Moment wollte ich ‚Schluss machen’ sagen.
„Ich werde dir bestimmt nicht sagen, was du tun sollst, du bist alt genug. Ich möchte nur, dass du über dein Handeln nachdenkst.“ Er grinste frech. „Du kannst natürlich sein fester Freund werden, dann ist er auch glücklich.“
„Schwachsinn. Lass uns weitermachen, wir sind ja nicht zum Labern hergekommen.“ Jochens spaßhafter Vorschlag kam mir längst nicht so falsch vor, wie ich ihm Glauben machen wollte. Er selber bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. Ehe ich reagieren konnte, schlang er seine Arme um mich und klopfte mir auf den Rücken. Ich schob ihn unwirsch weg.
„Was soll der Mist?“
„Interessant.“ Mehr sagte er nicht.
Wie heißt es so schön, was hoch fliegt, muss auch wieder runterkommen. So ging es auch meiner Laune. Daheim kochte ich eine Kleinigkeit und wartete dabei auf Fabian, der eigentlich jeden Moment eintreffen sollte.
Wir setzten uns an den Esstisch und seine anfänglich gute Stimmung verblasste zusehends. Ich konnte einfach nicht mit ihm reden, zuviel ging mir durch den Kopf.
„Möchtest du heute lieber allein sein?“ Der ängstliche Ton riss mich aus den Gedanken und brachte erneut Schuldgefühle hoch.
„Nein, tut mir leid. Es sind noch so viele Dinge, die ich verarbeiten und einsortieren muss. Wie geht es mit dem Lernen voran?“
„Ich hab heute einiges geschafft. Den Fehltag konnte ich nachholen.“
„Und das nur wegen mir. Kann ich das wieder gutmachen?“
Er druckste verlegen herum. „Naja ... ich würde mich einfach gerne an dich kuscheln, wenn du möchtest.“ Das Gespräch mit Jochen kroch durch die Erinnerung und verstärkte die Gewissensbisse ein wenig. Es war wieder nur ein kleines Häppchen, mit dem er sich abspeisen ließ.
„Es ist das Mindeste, was ich tun kann. Gerne. Ich bin sowieso ziemlich erledigt.“
Und so lagen wir bald, nach der abendlichen Hygiene, im Bett. Er schmiegte sich Wärme suchend an mich. „Fabian, ich ...“
„Psscht, schon gut. Ich weiß, was du sagen willst.“
„Aha?“
„Du machst dir Gedanken, weil ich nicht mehr von dir bekommen kann. Das steht dir eindeutig ins Gesicht geschrieben.“
„Oh“, war meine nicht besonders intelligente Antwort.
Er drehte sich auf die Seite, damit er mich anschauen konnte, und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Sein Arm schob sich vorsichtig über mich und blieb quer über dem Bauch liegen. „Ist das noch okay für dich?“
„Du hättest es gemerkt, wenn nicht.“ Die Hitze im Schlafzimmer war zwar an der Grenze zum Unerträglichen, aber seine Körperwärme störte mich nicht. Sein Atem strich kühlend über meine Brust und es kribbelte allmählich zwischen meinen Beinen. Das Ganze blieb natürlich nicht unbemerkt.
„Pat... darf ich mich darum kümmern?“ Seine Stimme war etwas heiserer als vorher. Ich war hin und her gerissen. Einerseits vermisste ich dieses Gefühl der zarten Lippen, aber der Kopf sprach sich dagegen aus. ‚Unfair’, echote es hinter meiner Stirn.
„Ich weiß nicht ... bist du dir sicher?“
„Ja, bin ich. Mir fehlt dein Geschmack, du schmeckst sehr gut.“
Der raue Unterton in der Stimme wirkte sehr erregend und so ein ‚Kompliment’ bekam man ja auch nicht häufig. „Okay. Er gehört ganz dir.“
Sein nackter Oberkörper löste sich von meiner Seite und hinterließ ein leeres Gefühl. Die Luft wirkte plötzlich kühl und ich fröstelte ein wenig. Doch dann streiften zwei Hände geschickt meine Shorts ab und eine warme Hand legte sich zart um mein bestes Stück, spielte damit. Ich schloss meine Augen und genoss es einfach. Ich spürte, mit einiger Überraschung, seine Lippen auf meinem Bauch, die sich mit sanften Küssen ihren Weg nach unten suchten. Das hatte er bisher noch nie gemacht. Gut, ich hatte es ihm auch verboten, es überschritt eine bisher unsichtbare Grenze. Aber heute gefiel es mir.
Fabian ließ sich viel Zeit und ich wand mich unter ihm. Zwischendurch schenkte er mir liebevolle Blicke, die ich unbewusst erwiderte. Trotz des wippenden Kopfes strahlte er eine unglaubliche Sinnlichkeit aus und ich ließ es zu, dass er mit einer Hand über meinen Oberkörper streichelte.
Das Kribbeln in den Leisten nahm zu und ich schloss genießerisch die Augen. Die Welle des Höhepunkts schlug über mir zusammen. Als ich die Augen wieder öffnete, da wischte er sich gerade mit dem Handrücken über den Mundwinkel und sah mich entschuldigend an. „Du hattest ganz schön was angestaut, es war ein wenig viel auf einmal.“
Mein Atem beruhigte sich allmählich wieder. „Hör bitte auf dich zu entschuldigen. Es war toll.“
„Danke. Äh, Patrick, ich verschwinde mal eben.“ Der Kleine erhob sich umständlich vom Bett und versuchte seine Erregung vor mir zu verbergen.
„Stopp!“
„Du willst mich jetzt nicht rauswerfen, oder?“ Der Grad an aufkeimender Panik in seinen Augen stieg exponentiell an.
„Nein, wirklich nicht.“ Ich klopfte mit der Hand auf das Bett. „Zieh das Ding aus. Ich werde es schon überleben, wenn du es hier machst.“
„Kein Scherz?“ Seine Erregung nahm sichtbar zu.
„Kein Scherz, Indianerehrenwort.“
Ich rückte ein wenig zur Seite und breitete meinen Arm aus, damit er sich drauflegen konnte. Er streifte sich gedankenschnell den Slip ab, wohl aus Angst, ich würde von meinem Ehrenwort zurücktreten. Sein Körper glühte förmlich und sein Schwanz stach ein beachtliches Stück in die Höhe. Ich zog ihn dicht an mich heran, damit er etwas von meiner Nähe spüren konnte und beobachtete, wie er sich selber zum Höhepunkt brachte. Der Anblick löste widersprüchliche Gefühle in mir aus, ließ mich aber nicht völlig kalt.
Wie ferngesteuert fasste ich um ihn herum und streichelte vorsichtig über seine Seite, ein Stück unter seiner Achsel.
„Oh Gott“, stöhnte er und fing an zu zucken. Mit der Hand fing er sein Sperma auf, welches sich sonst vermutlich über dem ganzen Bett verteilt hätte. Sein entspanntes Gesicht strahlte einen unglaublichen Frieden aus. Sein Kopf fiel auf die Seite und ich spürte das heftige Pochen der Halsschlagader auf meinem Arm. „Kneif mich, bitte.“
„Du träumst nicht.“ Meine Stimme klang sanft.
Ich drehte mich leicht nach hinten, fischte eine Packung Papiertücher aus dem Nachtschrank und reichte sie ihm. Er beseitigte schnell seine Spuren.
„Es war auch besser als ein Traum. Ich hätte nie daran geglaubt.“
„Ich hatte es mir auch schlimmer vorgestellt.“ Ich bereute die Wortwahl sofort. Prompt sanken seine Mundwinkel nach unten und er schloss die Augen.
„Ach Fabian, du weißt, wie ich es gemeint habe. Oder?“
„Ich hoffe es.“ Bravo, ich hatte die Stimmung mal wieder gekillt. Es hätte eigentlich nicht mehr schlimmer kommen können, aber ich hätte mich besser kennen sollen.
„Ich wollte auch noch etwas mit dir besprechen. Wegen heute Mittag.“
„Und was möchtest du besprechen?“ Seine Stimme klang völlig neutral.
„Jochen war heute etwas merkwürdig und ich denke er ahnt vielleicht was. Könntest du dich in der Öffentlichkeit ein wenig zurückhalten? Sonst denkt bald jeder, wir hätten was miteinander.“
Fabian richtete sich auf und sein Gesicht verströmte eine Mischung aus Wut und Trauer.
„Ach, denken die das? Und wie nennst du das hier? War das eben ein gnädiger Gefallen von dir oder was spielst du für ein Spiel mit mir? Tolles Timing. Ich danke dir, dass ich wenigstens mal für einen kleinen Moment glücklich sein durfte.“
„Fabian, bitte ...“
„Nein! Nichts für ungut, du hast nur eben den glücklichsten Moment meines Lebens zerstört. Du wirst dich vermutlich nie ändern.“ Die Wut wich einem Schwall Tränen.
„Ich ertrag das nicht mehr. Ich weiß, dass du mehr fühlst, du zeigst es mir in jeder Sekunde und hilfst mir zu schweben. Und dann lässt du mich abstürzen. Es war alles viel einfacher, als du mich nur benutzt und beschimpft hast. Ich wusste, woran ich war und hab mich nicht dieser völlig falschen, übersteigerten Hoffnung hingeben müssen.“
Fabian stand auf und sammelte seine Klamotten zusammen. Er war blitzschnell angezogen.
„Was machst du?“
„Ich gehe nach Hause. Dein Spielzeug hat keine Lust mehr.“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und trottete zur Tür. Ich raffte schnell meine Short und ein Shirt zusammen und rannte hinterher. Er war schon zur Tür hinaus und ich griff nach dem Schlüssel, bevor ich ihm ins Treppenhaus folgte. Auf dem Gehsteig holte ich ihn ein.
„Fabian, es tut mir leid, wirklich, aber geh nicht!“ Ich griff nach seinem Arm und zog ihn zu mir, doch er befreite sich nach einem kleinen Augenblick.
„Es tut dir jedes Mal leid. Mir tut es auch leid.“
Er schloss sein Fahrrad auf und ich starrte ihm noch eine Weile nach, bis das Surren des Dynamos nicht mehr zu hören war. Durch den Tränenschleier bemerkte ich auch nicht das Auto, welches auf der anderen Straßenseite parkte. Ein sehr bekanntes Auto.
Mein erster Weg führte mich zur Hausbar und ich schnappte mir die letzte Flasche Single-Malt. Doch ich trank sie nicht. Stattdessen beobachtete ich die kupferfarbene Flüssigkeit, wie sie durch den Abfluss verschwand. Die Trinkerei hatte mir noch nie Glück gebracht. Außerdem erinnerte es mich an meinen Vater. Ich wollte einfach die Nacht abwarten und mich morgen bei Fabian entschuldigen.
Er hatte Recht, ich empfand deutlich mehr als ich mir eingestehen wollte. Ich liebte ihn und das nicht erst seit gestern. Ein verblödeter, emotional verkrüppelter und gottverdammter Feigling, das alles traf auf mich zu.
Die Nacht endete so trostlos wie sie angefangen hatte. Die innere Leere fraß mich auf. Ich wartete bis 9 Uhr und wagte einen Anrufversuch. ‚Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar’, tönte mir die blecherne Frauenstimme entgegen. Ich versuchte es im halbstündigen Rhythmus und das Resultat blieb das Gleiche. Gegen 12 Uhr stand ich vor seinem Haus und lief langsam auf die Tür zu. Eine unbekannte Frau machte sich an seinem Briefkasten zu schaffen.
„Was tun Sie da?“
Sie drehte sich um. „Herr Westerkamp hat mich gebeten, in seiner Abwesenheit nach der Post zu gucken. Und wer sind Sie?“
„Fabian ist nicht da?“
„Er ist heute Morgen abgereist, zu seinen Eltern. Für ein paar Tage ans Meer.“
„Oh bitte nicht.“
„Sind Sie Patrick?“
Ich nickte erschrocken.
„Lassen Sie ihn in Ruhe.“ Sie schloss den Briefkasten und verschwand im Haus.
„Okay, das hab ich wohl verdient“, murmelte ich zu mir selbst. Die nächsten Stunden lenkte ich mich allein im Studio ab. Jochen verbrachte den Abend lieber mit seiner Frau. Als ich mich vor Müdigkeit kaum noch rühren konnte, lenkte ich den Wagen, nach einer kurzen Dusche, übervorsichtig nach Hause. Ich schaffte es nur noch bis auf mein Sofa, bevor der Erschöpfungsschlaf gnädig zuschlug.
Zerschlagen traf auch das Gefühl beim Aufwachen. Aber ein Muskelkater war deutlich besser als ein Alkoholkater. Den restlichen Sonntagvormittag verbrachte ich mit nachdenken. Ich legte mir Worte zurecht, mit denen ich Fabian von meinen Gefühlen überzeugen konnte. Hoffentlich.
Die Ruhe wurde, kurz nach Mittag, durch die Schelle gestört. Dann klopfte es an der Tür. Fabian?
Ich sprintete zur Tür und riss sie auf, der Schock war unbeschreiblich. Ich sah einen langen Mantel, der einen edlen Anzug bedeckte. Faltige Hände stützten sich auf einen massiven Spazierstock. Mein Vater.
„Was machst du denn hier?“
Er reichte mir wortlos einen braunen Umschlag. Ich öffnete die Lasche und zog den Ausdruck eines Digitalphotos hervor. Der Zeitstempel passte zum Freitagabend. Es zeigte mich, spärlich bekleidet, wie ich Fabian im Arm hielt, kurz bevor er sich losriss. Um seinen Kopf hatte jemand einen roten Kreis gezeichnet und eine Linie verband den Kreis mit einem Wort: ‚Schwuchtel’. Ich sank kraftlos auf die Knie.
Die Stimme meines Vaters drang zu mir wie durch Watte. „Du kümmerst dich also um das Problem. Du bist noch jämmerlicher als dieser Perverse.“
„Er ist nicht pervers. Er ist einer der anständigsten Menschen, die ich kenne.“
„Du sollst mir nicht widersprechen!“
Dieser Satz löste eine Welle von Erinnerungen aus. Widerworte sind Schmerz. Wie oft hatte er mich verprügelt, wenn ich ihm widersprach. Und es war ihm egal womit. Mal war es die Reitgerte, ein Stück Holz und alles, was in greifbarer Nähe lag. Wie damals riss ich auch nun die Arme schützend nach oben, keine Sekunde zu spät.
Ich hörte das Zischen der Gehhilfe, wie sie durch die Luft schnitt und meinen Arm traf. Der gespannte Trizeps fing die größte Wucht des hölzernen Schaftes ab. Es brannte höllisch und der Impuls ließ mich mit dem Kopf gegen die Wand stolpern. Ich stieß mich ab und im nächsten Moment steckte die metallische Spitze des Stockes in der Wand, genau da, wo kurz zuvor noch mein Kopf war. Mein Vater zerrte mit beiden Händen am Griff, bekam seine ‚Waffe’ aber nicht sofort frei. Mit aller verfügbaren Kraft schnellte ich aus der Hocke vor und mein Schädel knallte gegen sein Kinn. Der Schmerz explodierte förmlich und breitete sich wellenförmig aus. Doch der alte Herr fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
Ich konnte noch die Mohrbeck sehen, wie sie starr in ihrer Tür stand.
„Bitte ... nicht beim ... Vermieter ...“ Ich verlor das Bewusstsein.
Fabian hatte, trotz der langen Zugfahrt, in der folgenden Nacht kein Auge zubekommen und sich bis in den frühen Morgen mit seinen Eltern unterhalten. Sie wussten mittlerweile alles und waren fassungslos. Sie verstanden aber auch, dass Patrick nicht ganz der Unmensch war, den sie in ihm sehen wollten, hatten Mitleid mit seiner harten Kindheit.
„Ihr habt Recht, ich kann da nicht mehr bleiben. Seine Nähe bringt mich um und ich habe keine Kraft mehr zu warten. Ich hoffe schon so lange darauf, dass er sich seine Gefühle endlich eingesteht.“
„Dein Zimmer steht immer noch frei, aber wir können auch schauen, ob wir Dir eine Wohnung in der Nähe finanzieren können, bis Du das Studium abgeschlossen hast.“ Viel mehr fiel seinem Vater dazu nicht ein.
Fabian schluchzte leise, nickte aber zustimmend.
„Schatz, wir helfen Dir, was auch immer passiert. Und Du wirst hier sicher einen netten Jungen finden, der Dir auch etwas zurückgibt. Dieser Patrick ist ein Idiot, wenn er Dich nicht zu schätzen weiß. Er hat Dich nicht verdient.“ Seine Mutter küsste ihn sanft auf die Wange und Fabian klammerte sich an ihr fest. Doch ans Verlieben wollte er im Moment absolut nicht denken.
„Gut, ich fahre morgen zurück, kündige bei Kramer und lasse mich exmatrikulieren. Dann bin ich bald wieder hier.“ Ein neuer Schwall Tränen floss über seine Wangen. Er bedauerte seinen ‚Fast-Freund’, dass dieser keinen Rückhalt bei der Familie hatte. Er würde es deutlich schwerer haben.
‚Du darfst dich nicht um ihn sorgen, sonst geht es dir nie besser’, rief er sich still zur Ordnung.
Nach ein paar wenigen Stunden Schlaf entführten ihn seine Eltern an den Strand, den er wirklich sehr vermisst hatte und vergaß im warmen Sonnenlicht für ein paar Stunden den schweren Weg, der nun vor ihm lag.
Leise Stimmen drangen an mein Ohr. „Ich sage es ihnen doch, dieser ‚Herr’ wollte den jungen Mann umbringen.“ Das war die Mohrbeck.
Zwei schlanke Finger zogen meine Augenlieder nach oben und eine Stiftlampe blendete mich. „Okay, die Augen reagieren normal. Ansonsten haben wir noch einen starken Bluterguss am linken Oberarm, eine saftige Prellung. Wir sollten es aber noch röntgen.“
Ich blinzelte.
„Er kommt zu sich.“
Eine männliche Stimme meldete sich und ein Uniformierter schob sich in mein Blickfeld.
„Wie ist ihr Name?“
„Patrick Reder.“
„Sehr gut. Erinnern sie sich noch an etwas?“
„An alles. Mein Vater wollte mich umbringen.“
Der Polizist hielt mir das Bild vor die Nase. „Der Umschlag war an ihn adressiert. Hat der Vorfall etwas damit zu tun?“
„Ja. Ich glaube ... ich bin schwul.“
Der Polizist wandte sich einem Kollegen zu. „Bringt ihn ins Krankenhaus, aber es bleibt jemand in der Nähe. Ich will ihn vernehmen, sobald er aufgewacht ist. Frau Mohrbeck, danke, dass Sie uns gerufen haben. Wir melden uns, falls noch Fragen auftauchen sollten.“ Er nahm das Bild wieder an sich. „Sollen wir Ihren Freund informieren?“
„Er ist nicht mein Freund, das hab ich gründlich versaut.“
„Tut mir Leid für Sie. Haben Sie eine Idee, wer dieses Foto gemacht haben könnte?“
„Meine Ex, möglicherweise. Wir haben uns vor kurzem getrennt. Sie ist schwanger und hat es nicht besonders gut aufgenommen.“ Ich nannte ihm Tinis Adresse und erzählte haarklein, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Die Mohrbeck stand noch in der Tür und hörte gebannt zu.
„Ich hatte ja keine Ahnung. Oh mein Gott, was sind das nur für Menschen.“
„Frau Mohrbeck, bitte gehen Sie in ihre Wohnung zurück. Und jetzt Abtransport.“
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf einer Trage lag und die Sanitäter trugen mich zum Rettungswagen. Die Notärztin stieg in ihr eigenes Dienstfahrzeug.
Die Röntgenbilder von Kopf und Oberarm waren unauffällig. Ich hatte wirklich nur eine extrem schmerzhafte Prellung und eine ungefährliche Beule am Kopf. Es bestand jedoch der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung und ich musste die Nacht zur Beobachtung bleiben.
Am nächsten Morgen, nach einer weiteren Befragung durch die Polizei, wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und bekam eine einfache Schlinge für den Arm, damit ich ihn ruhig halten konnte. Einen Krankenschein wollte ich nicht. Mein Vater hatte ohne zögern gestanden. Er wollte den missratenen Schandfleck seiner Familie beseitigen.
Des Weiteren wurde ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt und Tinis Wohnung wurde gründlich untersucht. Sie hatte das Bild auf der Festplatte und wurde ebenfalls verhaftet. Zwei Probleme weniger, aber das letzte Problem war das schwierigste von allen.
Gegen Mittag traf ich in der Firma ein. Kramer und Monika stürmten auf mich zu.
„Wir haben es schon gehört, geht es Ihnen gut?“ Kramer wirkte besorgt.
„Es ist nur eine Prellung. Mein Vater ist in U-Haft, mit etwas Glück sehe ich ihn nie wieder.“ Nach einem kurzen Zögern ergänzte ich: „Dafür habe ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren.“
Ohne weitere Kommentare drehte ich ihnen den Rücken zu und verschwand in meinem Büro. Ich versuchte mich auf die Emails zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht. Irgendwann ging ich ihn die Küche und besorgte mir einen Kaffee.
Vor der Tür hörte ich plötzlich Fabians Stimme, zusammen mit Kramers.
„Ich hab es mir wirklich überlegt, Herr Kramer. Es ist das Beste und mir fehlt die Heimat.“
„Ich lasse Sie nur ungern gehen, Herr Westerkamp. Aber gut, ich nehme Ihre Kündigung an.“
Kündigung? Heimat?
„NEIN!“ Ich sprintete in den Flur.
„Fabian, bitte tu das nicht!“
Er sah mir nicht einmal mehr in die Augen.
„Es ist das Beste für uns alle. Ich kann nicht mehr.“
Kramer blickte irritiert zwischen uns hin und her.
„Fabian, bitte, denk noch mal drüber nach.“
„Das habe ich“, antwortete er mit einem unterdrückten Schluchzen. „Machs gut, Patrick.“ Er drehte sich um und lief in Richtung Ausgang.
Ich sammelte allen Mut zusammen und legte alles an Kraft in die Stimme. „Fabian, ich bin schwul und, verdammt noch mal, ich liebe Dich!“ Mein Aufschrei war im ganzen Haus zu hören. Er blieb tatsächlich stehen.
„Es steht nichts mehr zwischen uns. Mein Vater sitzt im Gefängnis. Er wollte mich deinetwegen umbringen. Lass mich bitte nicht allein, ich brauche dich mehr denn je. Bitte, ich meine es ernst. Du fehlst mir.“
„Für wie lange denn? Du gibst mir immer wieder neue Hoffnung und nimmst sie mir wieder. Das übersteigt meine Kraft.“
Mit zittrigen Schritten lief ich zu ihm und drehte ihn an der Schulter herum. Sein tränenverschmierter Anblick brach mir fast das Herz. „Ich beweise es Dir“, flüsterte ich und legte meine Lippen auf seine. Mein Arm rutschte aus der Schlinge und ich umklammerte ihn, die Schmerzen ignorierend. Er verlor den Bodenkontakt und schlang nun seinerseits die Arme um mich. Ich presste ihn fest an meinen Körper, während der Kuss immer mehr an Leidenschaft gewann.
Im Hintergrund spielte leise das kleine Radio von Moni, welches einen absolut passenden Song zum Besten gab.
Well, you done done me and you bet I felt it
I tried to be chill but your so hot that I melted
I fell right through the cracks, now I'm tryin to get back
before the cool done run out I'll be givin it my best test
and nothin's gonna stop me but divine intervention
I reckon it's again my turn to win some or learn some
But I won't hesitate no more,
no more, it cannot wait
I'm yours
Well open up your mind and see like me
open up your plans and damn you're free
look into your heart and you'll find love love love love
listen to the music at the moment people dance and sing
Were just one big family
And it's our godforsaken right to be loved loved loved loved loved
So, i won't hesitate no more,
no more, it cannot wait i'm sure
there's no need to complicate, our time is short
this is our fate
I'm yours *
Atemlos stellte ich ihn wieder ab und hielt mir den pochenden Arm. „Glaubst du mir nun?“
Der entrückte Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem zaghaften Lächeln. Er nickte.
„Danke für die Chance. Ich werde nie wieder so einen Scheiß machen. Dafür sind deine Küsse zu gut.“
Er grinste mich an. „Ich fand es auch ... nicht unangenehm.“
*Interpret - Songtitel : Jason Mraz – I’m yours
Komponist/ Text:Jason Mraz
Originalverleger: Warner Music Group Germany GmbH
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