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Verwirrungen
Teil 3 - Petra
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Informationen
- Story: Verwirrungen
- Autor: Gerry
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Vorwort
Hallo, das ist der dritte Teil meiner ersten Geschichte. Viel Spaß beim Lesen, Gerry
Während der Semesterferien angelte sich Mike eine Freundin. Sie hieß Silke und war voll in Ordnung. Sie war hübsch und als Hetero beneidete ich ihn um sie. Er hatte natürlich ab da weniger Zeit für uns. Wenn wir weggingen, war sie nun immer dabei. Aber das störte keinen, da sie witzig war und man sich mit ihr gut unterhalten konnte. Als sie erfuhr, dass Thomas schwul war, ich glaube, es kam mal an einem gemeinsamen Abend raus, nahm sie das ganz locker und fing gleich an, Thomas auf alle möglichen Jungs aufmerksam zu machen. Dadurch wurde seine Homosexualität in unserer Runde auch wieder präsenter, da wir, wenn wir zu viert unterwegs waren dieses Thema eher mieden. Ich glaube, nicht bewusst, aber da Thomas das auch selten anschnitt, sahen wir uns auch nicht dazu veranlasst, mit ihm darüber zu sprechen. Auch konnten oder wollten wir mit ihm eher nicht über andere Jungs, deren Aussehen oder ihre mögliche sexuelle Ausrichtung reden. Mike und Reiner einfach, weil sie sich dabei wahrscheinlich dämlich vorgekommen wären (sie sahen Jungs nicht als Objekte der sexuellen Begierde) und ich wohl weil ich mir unbewusst Thomas nicht mit einem Freund vorstellen wollte. Ich war froh, dass er keinen Partner hatte.
Nun, Silke hatte natürlich kein Problem über Jungs als potentielle Partner zu reden, und das machte sie dann auch mit Thomas. Der tat zwar immer recht schüchtern, aber Silke konnte ihn aus der Reserve locken. Wenn ich bei solchen Gesprächen dabei war, war ich immer unruhig, mochte das auch gar nicht, auch wenn mich Silke manchmal damit aufzog, da sie dachte, ich käme mit Thomas’ Homosexualität nicht ganz so klar wie ich nach Außen hin tat. Wo sie recht hatte, hatte sie recht, auch wenn der Grund nicht der war, den sie vermutete. Ich vermutete wie immer nichts, sondern war fleißig am Verdrängen.
Eines Abends, es war so Ende April- Anfang Mai, fragten mich Mike und Silke, ob ich mit ihnen und einer Freundin von Silke ins Kino gehen möchte.
Natürlich saß ich neben Petra. Sie gefiel mir auf Anhieb. Sie war lustig, hatte kurze, blonde Haare, und wirkte dadurch burschikos, zumal sie nur dezent geschminkt war und ihre Oberweite fast nicht vorhanden war. Man konnte gerade mal zwei Hügel erahnen.
Wir gingen alle noch in ein Café und tratschten. Wir hatten eine Menge Spaß. Am nächsten Tag fragte mich Mike dezent über Petra aus: Wie ich sie fände, ob sie mir gefiele, etc., etc. Ich sagte ihm die Wahrheit: Dass ich sie nett fände, dass es lustig mit ihr war und dass sie auch hübsch sei usw.
Als Mike, Reiner, Thomas und ich unsere Planung für den folgenden Freitagabend machten fragte er mich, ob Petra mitkommen solle.
„Wer ist Petra?“, fragte Reiner.
„Phillips neue Flamme“, meinte Mike wissend.
Ich protestierte und beschwichtigte, aber Mike und Reiner zogen mich mit ihr auf und wollten natürlich, dass sie mitkäme. Thomas enthielt sich jeden Kommentars und hatte eigentlich gar keine Lust, uns am Freitag zu begleiten. Reiner überredete ihn aber und so war es abgemacht, dass wir am Freitag zu sechst losziehen würden.
Am Freitag holte ich Mike ab. Silke und Petra waren schon bei ihm und so gingen wir zu viert zum, mit Reiner und Thomas vereinbarten, Treffpunkt. Da Mike neben Silke lief und die beiden auf traute Zweisamkeit taten, folgten Petra und ich den beiden. Wir gingen schweigend nebeneinander. Ich war nervös. Was sollte ich sagen? Alle unsere Versuche ein Gespräch zustande zu bekommen verliefen im Sand bzw. in Schweigen. Sie war recht einsilbig, aber auch ich zeichnete mich nicht durch übermäßige Gesprächsbereitschaft aus. Alles, was mir als potentielles Gesprächsthema durch den Kopf schoss, kam mir recht dämlich vor, und so wurde auch ich immer schweigsamer.
Verstohlen blickte ich sie ab und zu von der Seite an. Sie gefiel mir immer besser. Ihre Augen waren von einem blassen Blau. Wenn sie lächelte, hatte sie Grübchen, ihre Haare waren blond, stufig geschnitten und recht kurz. Sie sah echt niedlich aus. Während ich so neben ihr ging und mir immer klarer wurde, dass ich gerne Petras Freund sein würde, tippte sie mir auf den Arm: „Schau mal, die zwei da drüben. Die sind sicher schwul.“
„Hä? Äh, wie bitte?“
„Na die zwei Jungs auf der anderen Straßenseite. Die gehen schon die ganze Zeit schräg vor uns. Ein bisschen tuntig, aber süß wie sie Händchen halten.“
„Süß?“
Als ich die zwei sah, fand ich sie auch süß, obwohl ich mir das so nicht eingestand. Sie waren wohl etwas jünger als ich und gingen tatsächlich Hand in Hand. So öffentlich hatte ich das noch nie gesehen, d.h. ich hatte noch nie Jungs händchenhaltend gesehen. Plötzlich gab der eine dem anderen einen Kuss auf die Wange. Ich fand es schön! Die zwei strahlten so eine Vertrautheit aus, so eine Zuneigung zueinander wie... Sie waren wie eine Einheit. Sie wirkten so perfekt wie sie da vor uns als Paar gingen. So glücklich... Sie hatten etwas... etwas das ich nicht hatte. Eine Sehnsucht befiehl mich.
‚Ich will auch... verdammt, was will ich? Jemanden, mit dem ich auch zusammen sein kann. Ist das alles? Will ich so was wie die zwei haben mit Petra oder will ich etwas anderes. Wieso finde ich Mike und Silke nicht so perfekt? Wieso erfüllte mich ihre zur Schau gestellte Zuneigung, Liebe nicht so wie jene der zwei wildfremden Jungs?’
All diese Fragen schossen mir mehr oder weniger alle auf einmal durch den Kopf. Ich wusste keine Antwort. Ohne es wirklich zu realisieren, war ich wieder mal total verwirrt. Mein Hirn erlaubte mir nur ein „Süß?“ zu wiederholen. Mein Gesichtsausdruck, den ich auch nicht unter Kontrolle hatte, war wohl missverständlich, denn Petra fuhr mich an:
„Ja was? Süß! Hast du was gegen Schwule?“
Ich fasste mich wieder und versuchte den Irrtum gleich wieder aus der Welt zu schaffen: „Ich? Nein, natürlich nicht. Thomas, mein bester Freund, ist auch schwul!“
„Thomas? Der Thomas den wir jetzt treffen?“
‚Scheiße!’ Ich hatte Thomas vor ihr geoutet. Er machte zwar kein Geheimnis mehr daraus, dass er auf Jungs steht, aber irgendwie war es mir unangenehm.
„Ja. Bitte sag ihm nichts. Das ist mir jetzt so rausgerutscht. Es wissen zwar schon recht viele, dass er schwul ist, aber eigentlich ist es seine Sache und er sollte bestimmen, wer es erfährt und wer nicht.“
„OK, ich sage nichts. Wie hast du eigentlich darauf reagiert? Ich meine, als er dir gesagt hat, dass er schwul ist?“
Und nun hatten wir ein Gesprächsthema: Thomas und wie ich sein Freund wurde.
Während wir noch tratschten, erreichten wir den vereinbarten Treffpunkt. Thomas und Reiner warteten schon auf uns. Auf dem Weg zum Lokal beobachtete Petra Thomas interessiert und wollte mit ihm auch ein Gespräch anfangen. Er hatte aber anscheinend schlecht Laune, war recht einsilbig und ruhig. Als ich ihn fragte, was los sei, meinte er ausweichend, dass er sich nicht ganz wohl fühle und es schon wieder werden würde.
Das Lokal war tretend voll. Nachdem jeder sein Bier hatte, stand einem aufregenden Freitag Abend nichts mehr im Wege. Anfangs wurde Petra von Reiner noch ausgefragt, aber dann bildeten sich Grüppchen, Leute wurden begrüßt, wir wurden begrüßt, ein paar Freunde kamen hinzu, unsere Gruppe löste sich auf, man traf sich wieder. Alles lief also wie üblich ab. Es gab allerdings einen Unterschied: Petra und ich blieben den ganzen Abend zusammen, da Mike und Silke dafür sorgten, dass ich Petra nicht allein ließ.
Als es später wurde und das Lokal sich langsam leerte, weil die meisten weiterzogen, nahm mich Petra bei der Hand und zog mich in eine Ecke an einen Tisch. Dort saßen wir noch eine Stunde, in der ich es mit Herzklopfen aber ganz „unabsichtlich“ schaffte, meinen Arm um ihre Schultern zu legen. Ich betrachtet sie, während sie redete. Das Bier hatte seinen Teil getan, denn ich bekam nicht mehr mit, was sie so sagte, sah nur ihre Lippen wie sie Wörter formten, sich ab und an zu einem Lächeln verzogen. Ihre Grübchen, welche sich dabei bildete, erschienen mir das Süßeste zu sein, was ich je gesehen hatte. Ich verlor mich in ihren Augen, wenn sie mich anblickte und ich hatte den unstillbaren Drang sie zu küssen. Bevor ich mir jedoch noch genug Mut antrinken konnte, meinte sie, sie müsse jetzt nach Hause. 1 Uhr sei das Späteste, was ihre Eltern ihr erlauben würden. Ich schreckte auf.
„So spät schon? Ich glaube ich muss auch nach Hause.“
Wir standen auf, verabschiedeten uns noch von Mike und Silke, die sich ein Grinsen nicht verkneifen konnten.
„Wo sind Thomas und Reiner?“
„Thomas ist schon gegangen und Reiner knutscht gerade da drüben.“
Ich wunderte mich zwar, dass sich Thomas nicht verabschiedet hatte, aber da er schon den ganzen Abend so merkwürdig drauf war, dachte ich mir nichts. Reiner wollten wir nicht weiter stören und so verließen wir Hand in Hand das Lokal.
Am Weg zu ihr nach Hause überlegte ich mir nur, wie und wann ich Petra küssen sollte. Die Gelegenheit ergab sich vor ihrer Haustür. Etwas schüchtern drückte ich meine Lippen auf die ihren. Mein Hände streichelten zaghaft über ihren Rücken und auch sie umarmte mich. So standen und küssten wir uns wohl fünf Minuten, bis sie schließlich die Umarmung löste. Ein letzte „Ciao“ und sie schloss die Tür hinter sich.
Ich war happy. Ich hatte ein Freundin, also das, was sich die Jungs in dem Alter am sehnlichsten wünschten. Na ja, was sich die meisten Jungs in dem Alter wünschten.
Auf dem Nachhauseweg rekapitulierte ich noch mal den Abend und musste über Mike und Silke grinsen. Die zwei hatten es geschafft mich zu verkuppeln. Sie hatten während des ganzen Abends immer dezent darauf geachtet, dass ich Petra nicht alleine ließ. Nun, schwer hatte ich es ihnen ja nicht gemacht, und Petra auch nicht.
Die jetzige Situation war neu für mich. Früher hatte ich zwar auch mal auf die eine oder andere ein Auge geworfen gehabt, eine echte Freundin hatte ich aber noch nie. Ja, ich hatte immer für irgendein Mädchen geschwärmt, aber als notorischer Träumer nie irgendwas angefangen. Das Schwärmen hatte allerdings in letzter Zeit aufgehört. Ungefähr ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, an dem Thomas in mein Leben getreten war. Ohne es zu merken, hatte ich in letzter Zeit kein Interesse mehr an Mädchen gezeigt.
Und nun war ich in Petra... ja was? War ich verliebt? Hätte man mich an jenem Abend gefragt, ich hätte ohne zu zögern mit „Ja“ geantwortet. Im Nachhinein fielen mir aber Anzeichen auf, die eher nicht darauf deuteten, die ich aber damals abtat, verdrängte.
Da war zum einen das Fehlen der berühmt-berüchtigten Schmetterlinge im Bauch. So was gehört doch zum Verliebtsein? Ich war zwar an jenem Abend nervös, als ich ihr das erste Mal den Arm um ihre Schultern legte, sie das erste Mal küsste, aber die Gefühle während des Küssens waren nicht umwerfend. Es war schön, keine Frage, aber... irgendwas fehlte. Ich bemerkte das zunächst nicht und später dachte ich, es werde schon noch kommen, schließlich muss man sich ja nicht gleich Hals über Kopf verlieben.
Zum anderen ging mir Thomas nicht aus dem Kopf. Seit ich mit Petra zusammen war, und das war ich nach jenem Freitagabend offiziell, zog er sich immer mehr zurück, wollte uns immer seltener sehen und kam nur auf Reiners, Mikes oder mein Drängen mit, wenn wir etwas zu sechst unternahmen.
Anfangs fiel es mir nicht so auf, da ich natürlich mehr Zeit mit Petra verbrachte, aber ich machte mir mit der Zeit meine Gedanken.
„Thomas ist in letzter Zeit nicht gut drauf“, sprach mich Mike darauf an, als ich mal alleine bei ihm war.
„Ist dir das auch schon aufgefallen?“, wunderte ich mich.
„Na sicher! Ich bin doch nicht blind! Ich glaube er braucht einen Freund.“
„Was? Wieso?“
Die Vorstellung von Thomas mit einem Jungen gefiel mir nicht.
„Na, er ist der Einzige, der niemanden hat.“
„Aber er hat doch uns?“
„Na, ich meine einen Partner. Ich habe Silke, du hast Petra und Reiner hat jede Woche eine andere. Hast du nicht bemerkt, wie er sich ein Bier nach dem anderen runterspült wenn wir mit Silke und Petra unterwegs sind? Der kommt sich sicher wie das fünfte Rad am Wagen vor. Reiner ist ja dann immer gleich auf Aufriss.“
Ja, so was Ähnliches vermutete ich damals auch schon. Und um ihm nicht das Gefühl zu geben ausgeschlossen zu sein, versuchte ich immer Petra auf Distanz zu halten, wenn er dabei war. Mir war es unangenehm in seiner Gegenwart mit ihr zusammen zu kleben. Nicht, dass Petra eine Klette war, aber ich wollte nicht einmal Händchen halten, wenn Thomas dabei war. Sie akzeptierte das oder bemerkte es nicht. Er allerdings war immer mürrisch und ließ sich auch nicht aufheitern. Selten, vor allem aber, wenn er zuviel getrunken hatte, wurde er sogar aggressiv und fuhr mich an. In solchen Fällen ließ ich ihn dann stehen und widmete mich wütend Petra. Das bedrückte mich, aber ich sprach nie mit ihm darüber und er verlor auch kein Wort darüber oder entschuldigte sich am nächsten Tag halbherzig von wegen zuviel Alk und so.
„Was meinst du? Sollen wir für ihn einen Jungen suchen?“, riss mich Mike aus den Gedanken.
„Hä? Wie stellst du dir das vor? Woher sollen wir wissen auf welchen Typ er steht und außerdem kenne ich niemanden der schwul ist, von Thomas mal abgesehen.“
„Ja, hast recht. Aber ich werde die Augen offen halten. Vielleicht ergibt sich ja was.“
Damit war dieses Thema erledigt. Da mir der Gedanke ‚Thomas mit Freund’ überhaupt nicht gefiel, versuchte ich auch gar nicht mehr, dieses Thema aufkommen zu lassen.
Die Situation in unserer Klasse hatte sich nicht wesentlich geändert. Auf der einen Seite jene, die zu Thomas standen, auf der anderen die Minderheit der Homophoben. Die Spannungen zwischen diesen beiden Gruppen hielten sich in Grenzen, brachen aber manchmal aus. Meist, wenn sich einer dazu veranlasst fühlte, Thomas zu beleidigen oder entsprechende Bemerkungen laut zu äußern. Thomas selbst hatte anfangs noch Probleme, beleidigende Bemerkungen über ihn oder Schwule im Allgemeinen zu ignorieren bzw. auf Provokationen nicht einzugehen. Aber da er bei uns einen sicheren Halt fand, kam er auch immer besser damit zurecht, und strafte die Schwulenhasser bald mit Ignoranz.
Derweilen ging das Schuljahr langsam zu Ende.
Meine Beziehung mit Petra wurde zur Routine, ohne dass wir jedoch über das Stadium des Küssens mit gelegentlichen Erkundigungen einzelner Körperregionen des Anderen durch unsere Finger hinwegkamen. Ich genoss es, wenn sie mich mit ihren Händen verwöhnte und auch ich tat ihr diesen Gefallen, aber irgendwie war es mir unbewusst recht, dass wir nicht weiter gingen und miteinander schliefen. Wie anders kann man sich erklären, dass ein Junge in meinem damaligen Alter nicht intimeren Kontakt mit seiner Freundin forcierte? Nichts unternahm ich in jene Richtung.
Thomas zog sich immer mehr zurück, wurde uns (Mike, Reiner und mir) gegenüber immer einsilbiger bzw. manchmal auch abweisend und, vor allem unter Einfluss von Alkohol, aggressiv. Das Ganze belastete mich, da ich Thomas mochte, aber auch hasste, weil er sich so benahm. Ich verstand ihn nicht, hatte aber auch ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Ich hatte immer das Gefühl, ich hätte ihn und unsere Freundschaft verraten, weil ich mit Petra zusammen war. Und dafür hasste ich ihn noch mehr. Zugleich aber war ich traurig, und nicht selten weinte ich mich in den Schlaf, der Zeiten eingedenk in der es nur Mike, Thomas und mich gab und alles so einfach und schön war.
Die Spannungen mit Thomas gingen soweit, dass Mike und ich nur mehr mit unseren Freundinnen für die Abende etwas verabredeten und wir daher Thomas höchstens zufällig in einem Lokal trafen, wenn er sich denn mal von Reiner überreden ließ, überhaupt wegzugehen. An solchen Abenden fühlte ich mich dann immer noch mieser, spülte meinen Frust mit Alkohol runter und ließ ihn oft noch an Petra aus, was unweigerlich zu Zoff führte. Nach solchen Streitereien hasste ich nicht nur Thomas sondern auch mich, weil ich meinen ganzen Ärger an dieser Situation an der Person ausließ, die eigentlich am wenigsten dafür konnte: an Petra.
Dann kam alles ins Rollen.
Mike gab eine Party zum Abschluss des Schuljahres, am Tag der Zeugnisverteilung, also dem letzten Freitag vor den Ferien. Er lud die ganze Klasse ein. Auch die Schulkollegen, welche nicht zu Thomas standen. Er meinte, vielleicht würden ja gemeinsame Tätigkeiten deren Vorurteile zerstreuen. Das war typisch Mike: immer an das Gute im Menschen glauben.
Jeder aus der Klasse durfte natürlich seine Freundin oder seinen Freund mitbringen.
Der Termin war für mich nicht gut gewählt, da meine Eltern und ich schon am nächsten Tag vormittags in den Urlaub fliegen würden. Ich musste meinen Eltern daher das Versprechen geben, nicht zu viel zu trinken und auch nicht zu spät nach Hause zu kommen, da sie keine Alkleiche im Flieger neben sich sitzen haben wollten. Es würde der letzte gemeinsame Urlaub sein, da sie einsahen (und es wohl auch seltsam fänden), dass nächsten Sommer ein dann 18jähriger nicht mehr mit seinen Eltern auf Urlaub fahren würde.
Silke, Petra, Reiner und ich halfen Mike bei den Vorbereitungen für die Party. Alk wurde in Mengen und in fast jeglicher Form beschafft und für die Musik engagierten wir einen aus der Parallelklasse, der sich für 100€ bereiterklärte, uns bis in die frühen Morgenstunden mit Musik zu versorgen.
Fast alle hatten zugesagt, auch Thomas. Der allerdings erst, als ihm Reiner klar gemacht hatte, er müsse kommen, da sich sonst der Teil der Klasse der gegen ihn war, bestätigt gefühlt hätte in der Meinung, dass ein Schwuler nicht in unsere Klasse passe. Und das könne er jenen, die zu ihm standen, nicht antun.
Nun, ich wäre damals froh gewesen, hätte er abgesagt. Das hatte ich natürlich niemandem gesagt, und es wusste ja auch niemand von meiner Wut auf und meinen Problemen mit Thomas.
So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass mich Reiner während der letzen Vorbereitungen auf die Party, es war am frühen Nachmittag des großen Tages, ganz unbedarft auf Thomas ansprach.
„Du Phillip, kannst du mal mit Thomas reden?“
„Ich? Wieso?“
„Ich weiß nicht, aber vielleicht dringst du zu ihm durch? Er hat sich so verändert und ich würde gerne wissen, was mit ihm los ist. Ich mache mir Sorgen.“
„Ne, ich habe schon ein paar Mal versucht, mit ihm zu reden, aber es hat ja nichts geholfen.
Irgendwie habe ich das Gefühl, unsere Freundschaft ist am Ende. Lang hat sie ja nicht gehalten.“
Er schaute mich an.
Nach einer kurzen Pause: „Phillip, weißt du noch, was du mir an jenem Tag gesagt hast, als rauskam, dass Thomas schwul ist?“
„Ne, was soll ich gesagt haben?“
„Als ich mich von ihm weggesetzt habe, bist du zu mir gekommen und hast mich gefragt, was los sei. Da habe ich gesagt, dass es aus ist zwischen mir und Thomas, dass ich nichts mehr von ihm wissen will, weil er schwul ist und sonst jeder glaubt, ich sei auch schwul. Und da hast du irgend so was wie: ‚Wenn er jemals einen Freund gebraucht hat, dann jetzt’ gesagt und bist gegangen. Das habe ich mir durch den Kopf gehen lassen und bin deswegen am selben Abend noch zu ihm hin und habe ihn um Verzeihung gebeten. Ich habe ihm geschworen, dass ich ihn niemals mehr im Stich lassen werde und das tue ich auch jetzt nicht, obwohl er sich derzeit mehr wie ein Arsch denn ein Freund benimmt. - Weißt du Phillip, er ist total unglücklich... aber ich weiß nicht, warum. Er sagt es mir nicht. Wenn ich ihn darauf anspreche, schreit er mich an. Er meint, ich soll mich um meine eigenen Sachen kümmern und ihn in Ruhe lassen. Und da dachte ich... du und er... ihr hattet was besonderes in eurer Beziehung... vielleicht könntest du ihm helfen. Ich dachte du wärst sein Freund.“
Reiner hörte auf zu sprechen. Er schaute traurig vor sich hin.
„Und warum tust du es dann nicht?“
„Was? Was soll ich tun?“
Er blickte mich erwartungsvoll an.
„Na ihn in Ruhe lassen. Wieso sollen sich immer alle um ihn Sorgen machen? Wenn er nicht will, will er nicht! Basta!“
Ich sagte diese Sätze leicht verärgert, als ob mir Thomas lästig sei, einer, über den zu reden es nicht wert sei.
Reiner zuckte bei meinen Worten zusammen. Er schaute auf den Boden und nach einer kurzen Pause sagte er leise zu mir: „Weißt du Phillip, ich habe dich beneidet dafür, was du für Thomas an jenem Tag gemacht hast. Du warst für ihn da. Du warst der Erste, der zu ihm ging und ihm sagte, dass er zu ihm stehe. Thomas hat mir an jenem Abend so von dir vorgeschwärmt: wie lieb du gewesen wärst, wie du dich um ihn gekümmert hättest. Ich habe dich an jenem Tag dafür gehasst. Aber noch mehr hasste ich mich. Ich war ja selber schuld und daher verstand ich Thomas, und da ich versprochen hatte ihn niemals mehr zu enttäuschen, akzeptierte ich, dass dich und Thomas was Besonderes verbindet.“
Reiner war tatsächlich den Tränen nahe. Ich merkte es an der dünnen Stimme, mit der er sprach. Das war absolut untypisch. Reiner?
Er fuhr fort: „Und deswegen habe ich dich heute gefragt, ob du mit Thomas reden könntest. Vielleicht hätte er sich ja dir anvertraut. Du, wo da so was war zwischen euch... so was... zumindest habe ich das gedacht, aber anscheinend ist dir Thomas egal. Anscheinend war da nie was, zumindest von deiner Seite. Du bist nur ein genauso mieses Arschloch wie ich es damals war. Kein Freund, sondern nur einer der an sich selber denkt. Es tut weh. Es tut mir weh, weil es Thomas weh tut. Vielleicht hat er ja bemerkt, wie du zu ihm stehst und ist deswegen so unglücklich.“
Er blickte auf. Er sah mir wütend direkt in die Augen und sagte:
„Phillip, du bist es nicht wert. Du bist Thomas’ Freundschaft nicht wert. Du bist ein Arschloch.“
Er hatte das ruhig und gefasst gesagt, aber ich merkte, dass er sich beherrschen musste. Sein Blick war kalt und in dem Moment hasste er mich wohl wirklich. Es machte mir Angst, aber es wirkte. Es war wie ein Hieb in die Magengrube, nein wie ein Tritt. Hätte er mich niedergeschlagen, er hätte mich nicht mehr verletzten können als durch diese paar Worte. Diese paar Worte, die, ich wusste es in dem Moment, genau ins Schwarze trafen, die Wahrheit waren. Ich war ein Arschloch gewesen, ich hatte Thomas’ Freundschaft verraten, meine Versprechen ihm gegenüber gebrochen.
Reiner drehte sich weg und ging.
Ich, ich fiel. Ich fiel in ein Loch, das sich hinter mir auftat und in das mich Reiner mit seinem Vorwurf, gestoßen hatte.
‚Was habe ich gemacht. Ich habe ihn allein gelassen. Ich habe nicht versucht, herauszufinden was mit ihm los ist. Statt dessen bin ich wütend auf ihn geworden, habe ihn sogar gehasst. Gehasst dafür, dass er unglücklich war. Anstatt zu versuchen, ihn zu trösten, die Mauer einzubrechen die er um sich aufgebaut hat, habe ich ihn von mir gestoßen.’
Als ich das dachte, wurde ich traurig. Ich lief in den Garten und verkroch mich in die hinterste Ecke, setzte mich ins Gras und dachte nach. Ich dachte an Thomas.
‚Wie kann ich das je wieder gut machen?’, fragte ich mich.
Ich fasste den Entschluss, mich zu entschuldigen. Ich wollte versuchen zu ihm durchzudringen, mich durch seine Aggressivität nicht abschrecken zu lassen. Ich wollte ihn wiederhaben, ich wollte ihn wieder lächeln sehen, ich wollt wieder in seiner Nähe sein können, ihn berühren, ihn... Je mehr ich so überlegte, desto deutlicher entstand Thomas’ Bild vor meinen Augen. Und immer weniger verstand ich mich und mein Handeln, mein Verhalten ihm gegenüber in den letzen paar Wochen.
‚Thomas, mein Freund. Wieso habe ich dich gehasst? Wieso habe ich solche Gefühle überhaupt zugelassen? Was hast du getan? Nichts außer unglücklich sein.’
Ich wollte ihn wieder. Ich wollte ihn wieder trösten, ihm helfen wie seinerzeit. Ihn umarmen.
‚Wie schön war das doch damals, als er seinen Kopf an meine Schulter gelegt hatte. Wie schön. Er ist doch so... süß, so lieb, so...’
Und dann, ganz plötzlich die Erkenntnis: ,Ich liebe dich.’
Es schoss mir einfach so durch den Kopf.
‚Thomas, ich liebe dich!’
Ich sagte es mir vor, zwei-, dreimal. Es war so schön, so klar.
Plötzlich war mir alles klar.
‚Wie konnte ich nur... wie habe ich in letzter Zeit ohne ihn leben können, ohne seine Freundschaft, ohne seine Nähe!’
Es war mir unverständlich. Ich war blind gewesen und nun sah ich. Alles wurde klar, meine Gefühle ihm gegenüber, meine Emotionen, der Schauer, wenn er mich berührt hatte, das wärmende Gefühl, wenn er mich angelächelt hatte, alles, alles war nun so logisch. Mein Unmut, sobald Thomas mit einem anderen Jungen in Verbindung gebracht wurde, mein Unbehagen, wenn ich in seiner Anwesenheit mit Petra zusammen war, meine Trauer, weil er unglücklich war, mein Hass auf ihn, weil er mich durch seine Ablehnung unglücklich machte. ‚Seine Ablehnung, woher kam sie?’
Das zu klären war nun mein Aufgabe.
Ich wollte ihn wiederhaben, wenn nicht als Freund, so doch seine Freundschaft. Ich musste ihn wiederhaben.
‚Wie! Wie...?’
Verzweiflung und Angst machte sich wieder breit, gepaart mit Selbstvorwürfen. Ich hatte Angst, es sei schon zu spät, zu spät um Thomas zu erklären, was ich für ihn empfand, was er mir bedeutete, wie wichtig er mir war. Wie viel hatte ich durch mein Verhalten schon zerstört, wie sehr hatte ich ihn schon verletzt? Gab es überhaupt noch Hoffnung für uns? Hatte es je welche gegeben? Empfand er überhaupt etwas für mich?
‚Liebt er mich überhaupt?’
Allein diese Frage zu denken, machte mir Angst ob der möglichen Antwort.
‚Wenn er mich nicht liebt, wie soll ich dann je sein Freund sein können? Wäre es dann nicht wirklich zu Ende?’
„Da steckst du also!“, rief Mike und kam von hinten auf mich zu.
„Was ist denn mit Reiner los? Habt ihr euch gestritten? Der ist total fert...“
Weiter kam er nicht. Er hatte sich neben mich gehockt, während er noch mit mir sprach und sah nun wohl meinen Zustand. Ja, ich hatte mal wieder Tränen in den Augen!
„Flip... was ist los? Was ist mit dir?“
Ich schaute ihn an, er blicke mich fragend an.
Er legte seine Arm um meine Schulter.
„Flip?“
Seine Augen strahlten soviel Wärme und Besorgnis aus.
‚Ach Mike, könnte ich dir nur alles erzählen!’, dachte ich verzweifelt.
„Mike“, mehr konnte ich nicht sagen und heulte los. Er blieb einfach in der Hocke neben mir. Ich legte meinen Kopf an seine Seite.
„Flip, Flip, Flip“, war alles was er sagte.
Als ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, schaute ich ihn wieder an. Es war so gut, ein Gesicht zu betrachten das nur Liebe, Freundschaft, Verständnis ausstrahlte. Sicherheit. Ich badete in seinem Blick und war unendlich froh so einen Freund zu haben.
„Mike... Mike... ich“, und schon wieder standen meine Augen unter Wasser.
Er legte einen Finger auf meine Lippen.
„Psst. Mein kleiner Flip.“
Wieder seine Schulter, seine Freundschaft, seine Wärme die mich beruhigte.
Nach ein paar Minuten: „Mike, danke.“
„Geht es wieder?“
„Ja.“
Ich hatte mich wieder gefasst und stand auf.
Mike zog sich an mir hoch, schaute mich an, und küsste mich auf die Schläfe.
Dann sagte er noch: „Ich liebe dich.“ Dabei umarmte er mich kurz und ging.
„Mike!“
Ich schaute ihm nach, er dreht sich im Weggehen zu mir, zwinkerte mir lächelnd zu und ging auf Silke zu. Er legte seinen Arm auf ihre Schultern und gab ihr eine Kuss auf die Wange.
‚Mike, Mike, Mike! Dich habe ich nicht verdient!’
Noch leicht verwirrt raffte ich mich auf Reiner zu suchen.
Ich fand ihn in der Küche beim schnipseln von Grünzeug.
„Ich werde mit Thomas reden. Du hast recht, ich war ein Arsch. Es tut mir leid.“
„Ich hoffe, du meinst das ernst. Wenn du ihm noch mal weh tust, kann ich für nichts garantieren“, meinte er recht kühl, ohne dass er aufschaute.
„He Reiner, ich meine es ernst. Auch du hast schon mal einen Fehler bei ihm gemacht. Verurteile mich nicht dafür, genauso blöd gewesen zu sein wie du damals.“
Er schaute auf und sah mich an.
„Hm - Du hast recht. - Es tut mir leid, was ich gesagt habe, aber Thomas wirkt so verletzlich, so... zart. Versteh mich nicht falsch, ich bin nicht andersrum oder so, aber... aber ich habe in verdammt, verdammt gern. Es tut weh zu sehen, wie er mich nicht an sich ranlässt, dass er sich auch mir gegenüber so abschottet. - Weißt du, er ist mein bester Freund und deswegen tut es so weh. – Er hat mir wohl innerlich nie verziehen, dass ich damals nicht für ihn da war. Und das macht mich wohl auch so wütend, und das habe ich an dir ausgelassen.“
Er machte eine Pause.
„Weißt du, wie schwer es für mich war dich heute darum zu bitten - zu bitten, dass du das machst, was ich nicht kann, was er nicht zulässt, was mir nicht gelingt? Zu ihm durchzudringen. Weißt du, wie schwer das war, dich zu bitten, mein Stelle einzunehmen? Und dann... dann hast du das einfach so abgetan, hast so kalt reagiert. Es war als hättest du mir eine in die Fresse gehauen.“
„Hey, ich weiß, es war mies. Es tut mir leid. Aber du hast mir geholfen und die Augen geöffnet. Danke.“
„Hehe. Da habe ich nur das Gleiche getan wie du seinerzeit. Thomas kann sich glücklich schätzen, dass wir uns immer gegenseitig drauf aufmerksam machen, wenn wir uns ihm gegenüber wie Arschlöcher benehmen.“
Das Letzte sagte er halb lachend.
Ich boxte ihm leicht auf die Schulter.
„Du hast recht. Wir sind schon zwei Trottel.“
Damit schnappte ich mir auch ein Messer und fing an zu schnipseln.
Um 8 Uhr sollten die ersten Gäste eintrudeln. Silke, Petra und Reiner wollten vorher noch nach Hause, sich frisch machen. Ich hatte meine Partyklamotten schon mit zu Mike gebracht, so konnte ich gleich bei ihm bleiben. Wir duschten und richteten uns für die Party her. Um halb 8 waren wir fertig und genehmigten uns schon einen Drink. Wir setzten uns damit auf die Treppe der Terrasse, die in den Garten ging und auf der gerillt werden sollte.
‚Er hat mir gesagt, er liebt mich.’
Ich wusste noch immer nicht, was ich davon halten sollte. Keine Frage, es war schön und machte mich glücklich, aber eigentlich war das Ganze nicht hilfreich, da mir erst am selben Tag klar geworden war, dass ich Thomas liebte. Ist musste erst mit diesen Gefühlen klar kommen. Ich entschloss mich, darauf, zumindest bis zur Klärung mit Thomas, nicht weiter einzugehen, zumal Mike auch nichts weiter in diese Richtung angemerkt hatte, vielmehr den ganzen restlichen Tag mit Silke herumgeturtelt hatte. Trotzdem...
„Mike, danke noch mal, dass du heute für mich da warst.“
„He. Wir sind doch Freunde.“
„Ja schon, aber... aber wieso bist du so Mike? Ich meine so... so...“
„Nett? Lieb? Altruistisch? Fantastisch cool?“, fiel er mir blödelnd ins Wort und lachte mich von der Seite an.
Ich blieb ernst. Es war mir viel zu ernst. Es war mir ein Bedürfnis ihm ehrlich zu sagen, wie wichtig er mir war.
„Nein Mike. Du bist der beste Freund, den man sich vorstellen kann. So was habe ich gar nicht verdient. Du bist einfach für mich da, ohne Wenn und Aber. Das ... „
„Flip, hör auf damit. Du machst mich noch ganz verlegen. Weißt du, ich mache das, weil ich dich verdammt gern habe. Ich hatte nie einen Freund wie dich und es war schwer genug, dich auf mich aufmerksam zu machen. Ich weiß, dass du das Selbe für mich tun würdest. Du bist auch für mich da. Es ist einfach schön bei dir, mit dir. Also du brauchst mir nicht zu danken. Ich weiß, dass du mich magst.“
Während er das sagte, spielte er mit seinem Glas und stierte in den Rasen vor sich. Er sah süß aus, ich musste einfach und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Hey Sweety, lass das lieber, sonst überlege ich mir das mit Silke noch!“, strahlte er mich mit einem Grinsen an.
„Doofi“, dabei stupste ich ihm mit dem Finger in die Schulter.
„Selber Doofi.“
Wir saßen noch eine Weile schweigend nebeneinender. Ich genoss es. Es war einfach schön neben Mike zu sitzen und zu wissen, dass er für mich da ist.
‚Wäre nicht Thomas, dann, ja dann...’
Als die ersten Gäste kamen, wurde ich leicht nervös. Ich hatte ja noch vor mit Thomas zu reden. Auch mit Petra musste ich noch etwas klären. Wie, wusste ich nicht. Ich hatte überhaupt keinen Plan. Erst langsam kam es mir: Ich hatte mir überhaupt nichts überlegt.
‚Was soll ich Thomas sagen, was Petra? Wie wird Thomas reagieren, wenn ich,... ja was überhaupt? Soll ich ihm sagen, dass ich ihn liebe? Oder soll ich mal abwarten und versuchen herauszufinden was ihn bedrückt?’
Ich entschied mich für Letzteres. Schließlich war dies das drängendste Problem. Ich sollte ja, ich wollte ja für ihn da sein, ihm helfen, daher mussten meine Probleme, meine Gefühle mal hintan stehen.
Trotz dieses Entschlusses war ich nicht ruhiger. Ich rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn herum und schüttete einen Drink nach dem anderen in mich hinein.
‚Meine Eltern werden sich freuen’, dachte ich mir, als ich merkte, dass der Alk zu wirken begann.
Petra merkte natürlich auch, dass irgendwas mit mir los war. Als sie mich mehrmals gefragt hatte und ich sie ebenso oft abgewimmelt hatte, ließ sie mich beleidigt in Ruhe, nicht ohne mir vorher zu sagen, dass sie sich den letzten Tag vor meinem Urlaub anders vorgestellt hätte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, aber ich konnte mich nicht darum kümmern. Allein Thomas hatte noch Platz in meinem Kopf.
Thomas.
Er kam recht spät und ich bemerkte ihn erst, als mich Reiner darauf aufmerksam machte.
Als ich ihn sah, blieb mir das Herz stehen. Er sah umwerfend aus. Seine kurzen, schwarzen Haare waren ein bisschen verstrubbelt. Er war ganz schwarz angezogen. Sonst nicht seine Art, aber es stand ihm gut. Es machte ihn noch schlanker als er schon war. Er strahlte eine gewisse Traurigkeit aus und seine blau-grauen Augen blicken ein bisschen unsicher herum. Reiner hatte recht: er sah zerbrechlich aus, so zart.
‚Wie hatte ich es je ausgehalten ohne ihn? Wie hatte ich ihn jemals hassen können?’
Tränen stiegen auf in mir ob meiner Gemeinheit.
Ich riss mich zusammen und trank noch etwas um meine Nervosität endgültig zu ertränken.
Ich ging auf ihn zu.
„Hallo!“
Ich lächelte unsicher.
„Hi?“
Sein Blick verfinsterte sich.
„Können wir reden?“
„Was sollten wir reden? Hast du nicht Petra zum Reden?“
Da war sie wieder, sein Aggressivität.
„Ich möchte mit DIR reden.“
Ich musste mich zusammenreißen ihn nicht anzufahren.
„Bitte!“, setzte ich nach.
„OK. Was gibt’s?“
„Nicht hier, können wir kurz raus?“
Er schaute mich verwundert an, folgte mir dann aber doch.
Wir gingen in die Ecke des Gartens, wo ich mich heute schon mal verkrochen hatte. Sie war etwas abgelegener und ich war mir sicher, dass wir dort unsere Ruhe hatten.
„Also?“
Noch immer aggressiv. Die Mauer um ihn, ich konnte sie förmlich spüren.
„Es tut mir leid.“
„Was?“
„Ich weiß es nicht. Es tut mir leid, was immer ich gemacht habe. - Thomas, was ist los mit dir... mit uns?“
Er wurde kurz unsicher, aber fasste sich wieder.
„Was meinst du? Was soll los sein mit uns? Wir sind alle glücklich, alles Bestens. Du hast eine Freundin und amüsierst dich und ich werde auch noch jemanden finden. Ich bin nur eine miese Schwuppe, aber ich werde schon wen finden.“
Ich ignorierte seinen Sarkasmus.
„Ich meine mit unserer Freundschaft.“
Ich war langsam am Verzweifeln. Ich drang nicht durch.
„Unsere Freundschaft? Welche Freundschaft? Du hast doch jetzt Petra, was brauchst du da mich?“
Kälte. Ich spürte nur Kälte. Es tat weh. Ich sah nur mehr einen Ausweg: Offenheit.
Ich war fast am Heulen, als ich meine Hände auf seine Brust legte: „Thomas... ich liebe dich!“
Jetzt war es raus und jetzt heulte ich auch wirklich. Es war mir alles egal. Egal, was er damit anfangen würde, egal. Ich hatte ihm alles gesagt, was ich sagen konnte. Alles was wichtig war, waren diese drei Worte: ich liebe dich. Nichts anderes zählte für mich in dem Moment.
Ich schaute ihn nicht mehr an, als meine Hände schlaff herabglitten und ich mich ins Gras setzte, meinen Kopf zwischen die Knie hängend und vor mich hinschluchzend.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich noch einmal.
„Ich liebe dich“, ein zweites mal.
Eine Hand berührte meine Wange.
Es war seine. Sie drehte mich zu ihm. Er hatte sich neben mich gehockt.
Tränen, ein Lächeln, noch mehr Tränen: „Ich liebe dich, Phillip ich liebe dich auch. Schon seit dem Tag, an dem du bei mir warst. – Phillip.“
Er flüsterte es unter leisem Schluchzen.
Kann man Gefühle beschreiben, die unendlich sind? Unendlich schön, unendlich erlösend, das absolute Glück? Dieser Moment, so intensiv als hätte sich mein ganzes Leben auf diesen einen Punkt zusammengezogen, um diesen gruppiert, auf diesen fokussiert.
Ich sah ihn, sein Gesicht, ganz nah, vor Liebe und Glück strahlend: Liebe für mich, Glück durch mich.
Er berührte meine Lippen mit seinen. Weich, ganz weich und zart. Seine Lippen an meinen. Sein Zungenspitze glitt über meine Lippen, öffnete sie sanft, drang in mich ein, berührte meine Zunge. Ein Schauer strich von unten meinen Rücken nach oben, die Brust wieder hinunter, wanderte durch meinen ganzen Körper um in einem Schwindelgefühl in meinem Kopf zu enden.
Ich Stöhnte. Vor Lust, Glück? Ich könnte es nicht sagen.
Ich spürte nur ihn, wie sich seine Hände um meinen Hals legten, nach hinten in meine Nacken wanderten, meine Haare kraulten.
Ich umarmte ihn und drückte meinen Mund fester auf seinen. Ich umschlang ihn und fordernd drang meine Zunge nun in seine Mundhöhle. Unsere Zungen spielten, kämpften miteinander, zogen sich wieder zurück, ließen sich von der anderen lecken, liebkosen, um wieder zum Leben zu erwachen und wieder zu fordern.
Er atmete schwer aus. Sein Atem strich über mein Gesicht.
Da machte es ‚Klick’ bei mir. War es der Alkohol gepaart mit der Anspannung? Auf jeden Fall legte ich mich nach hinten und zog ihn mit. Er fiel auf mich, genau wie ich es gehofft hatte. Unser Atem wurde schneller. Nun überkam auch ihn die Lust. Das merkte ich, nein, das fühlte ich ziemlich eindeutig. Nun wollte ich ihn nur noch, jetzt... hier. Es ging alles recht schnell: seine Hände wanderten unter mein T-Shirt, meine Hand verschwand in seinem Hosenbund. Ich spürte ihn. Meine Hand rieb gierig auf und ab. Thomas’ Atmen wurde lauter. Ich biss in seine Lippe. Seine Stöhnen turnte mich an. Ich...
„Schaut euch diese schwulen Schweine an!“
Weg. Alles weg.
Wir blickten auf und sahen in die höhnisch grinsende Fratze von Markus.
„Phillip ist ein Schwanzlutscher!“, rief er.
Ich stieß Thomas weg, sprang auf und auf Markus zu.
Wie konnte er nur. Wie konnte er nur diesen schönsten Moment meines Lebens zerstören. Ich hasste ihn. Wut und Zorn (und zuviel Alkohol) ließen mich auf ihn einschlagen.
„Ich bin kein Schwanzlutscher, du Schwein!“, schrie ich und schlug blind weiter.
Wie konnte er das so in den Schmutz ziehen. Diesen Moment. Tränen vor Wut.
Hände ergriffen mich von hinten. Zerrten mich weg von Markus. Ich schlug um mich, und immer wieder schrie ich: „Ich bin nicht schwul! Ich bin keine Schwuchtel!“
„Phillip. Phillip! Beruhige dich! Phillip!“
Ich wurde auf den Boden gedrückt. Ich ergab mich der Gewalt und heulte, mein Gesicht ins Gras gepresst.
„Flip. Ich bin es.“
Ich hörte Mikes stimme an meinem Ohr.
„Beruhige dich Flip.“
Ich drehte meine Kopf zur Seite. Mikes Gesicht war neben meinem.
„Flip, beruhige dich.“
Thomas!
„Lasst mich los!“
Sie taten es.
Ich richtete mich auf und blickte mich suchend um. Ich sah mich umringt von verwundert oder belustig dreinschauenden Kids. Kein Thomas.
„Thomas?“
Angst. Sie war wieder da.
Ich packte Mike am Kragen. „Wo ist Thomas?“, fragte ich verzweifelt.
„Der ist raus gestürmt, als du so herumgeschrieen hast.“
Ich sprang auf und rannte, die Schaulustigen beiseitestoßend aus dem Haus.
‚Thomas! Thomas wo bist du?’
Ich sah ihn nirgends. Die Straße war leer. Ich lief wahllos in eine Richtung. Ich heulte, ich schluchzte. Während ich rannte, stieg die Erkenntnis in mir auf, wurde immer gewisser: ‚Ich habe ihn verleugnet. Wie konnte ich nur so reagieren?’
Ich lief und lief und lief. Irgendwann blieb ich stehen und stützte mich mit einer Hand an einem Baum ab, vor Erschöpfung nach vorne gebeugt, um besser Luft zu bekommen. Tränen flossen aus meinen Augen, Rotz rann mir aus der Nase, Spucke troff mir aus dem Mund. Ein Häufchen Elend war ein erfreulicher Anblick gegen mich.
Ich sackte zusammen und blieb auf der keinen Rasenfläche die sich um den Baum befand, hocken.
Kein Gedanke, nichts. Nur Leere, Leere und Einsamkeit.
Irgendwann, es dämmerte schon, raffte ich mich auf.
‚Wo bin ich?’
Ich versuchte mich zu orientieren. Als ich wusste, wo ich war, ging ich nach Hause. Ohne zu denken, wie ein Roboter, einen Schritt vor den anderen setzend, Blick zu Boden gerichtet. Ich sperrte wie in Trance unsere Wohnungstür auf, ging in mein Zimmer und warf mich ins Bett.
Ich schlief sofort ein.
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