Stories
Stories, Gedichte und mehr
Der Dieb
Teil 2
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
Inhaltsverzeichnis
*Michael*
Ich wusste zwar, dass Fabian heute vorbeikommen wollte, aber dass der Kleine mich so ablenkte, dass ich nicht mal mehr die Tür hörte, nervte mich schon. Vor allem als mich Fabi lauthals auslachte und rückwärts vom Bett fiel. Dass er es so locker auffassen würde, weil ich jemand Neues aufgenommen hatte, hätte ich nicht gedacht, schließlich war Tobi sein Bruder gewesen.
„Mal davon abgesehen, dass ich es wirklich amüsant finde, wen du dir da angelacht hast, bitte ich dich trotzdem vorsichtig zu sein. Nach der Vorgeschichte, die du mir erzählt hast, muss man eigentlich mit allem rechnen. Aber so wie ich dich kenne, weißt du das natürlich. Du liebst den Nervenkitzel.“
Fabian hatte sich wieder auf das Bett in Schneidersitz gesetzt und grinste mich kopfschüttelnd an, wie ich im Raum auf und ab lief.
„Ach ich weiß auch nicht. Der Kleine hat jedoch irgendwas an sich, was mich total reizt.“
„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit, so eifersüchtig wie Adrian mich angefunkelt hat“, machte sich mein Freund über mich lustig.
„Dazu hat er überhaupt kein Recht“, meckerte ich.
„Das entscheidest du doch nicht. So, ich mach mich dann mal wieder auf den Weg und überlasse dich deinem Schicksal. Wie gesagt, wenn du die Halle brauchst, sag einfach Bescheid. Und sei nett zu deinem neuen Welpchen. Er scheint echt was drauf zu haben, wenn er es jetzt schon schafft, dich flachzulegen.“
Lachend verabschiedete sich Fabian und drückte mir an der Haustür einen extra langen Kuss auf die Wange, wohl wissend, dass Adrian hinter uns stand und zuschaute. Fabi hatte nicht mal unrecht bei seinen Worten. Der Kleine hatte natürlich was drauf. Er lernte sehr schnell und besaß eine große Ausdauer. Wenn er nur nicht so unsicher wäre.
Es vergingen drei weitere Wochen, in denen Adrian immer besser wurde, allerdings auch immer aufdringlicher. Er schien es sich krampfhaft in den Kopf gesetzt zu haben, mich verführen zu wollen. Aber so leicht war ich nicht zu haben. Ab und an warf ich ihm einen Knochen hin, lockte ihn ein wenig, spielte mit ihm, nur um ihn schlussendlich doch eiskalt abblitzen zu lassen.
Das Ganze amüsierte mich ungemein, genauso sehr, wie es mich erregte. Es verging kaum eine Nacht mehr, in der ich mir nicht Erleichterung verschaffen musste, nur um nicht doch noch wild über den Kleinen herzufallen. Aber es war noch zu früh – viel zu früh. Zuerst stand ein kleiner Ausflug in die Stadt an. Ein Klient benötigte ein paar Informationen, die ich besorgen musste.
Adrian freute sich wie ein kleines Kind, als ich ihm eröffnete, dass er mit durfte, zickte aber auch gleich wieder rum, zwecks der Augenbinde. Ein paar Kopfnüsse später saß er brav samt der Binde um den Kopf auf dem Beifahrersitz und schmollte leise vor sich hin. Kaum hatten wir das Ortseingangsschild passiert, nahm ich ihm die Augenbinde ab, worauf mich gleich ein bitterböser Blick traf. Mir sollte das vorerst egal sein.
Ich parkte in einer Seitenstraße und bedeutete Adrian hier zu warten. Er presste verärgert die Lippen aufeinander und sagte kein Wort. Meine Angelegenheiten hatte ich recht schnell erledigt, doch als ich zum Auto zurückkehrte, war Adrian weg. Mein erster Gedanke war, dass der Kleine getürmt war, aber irgendwie wollte ich das nicht wirklich glauben. Noch einmal blickte ich mich genau um und erkannte die Straße, in der ich geparkt hatte. Das war die gleiche, in der ich stand, als mein Welpchen zu mir in den Kofferraum gekrabbelt war.
Meinem Bauchgefühl folgend lief ich zu dem schäbigen Hotel, wo ich das zweite Mal auf ihn getroffen war. Als ich den Vorraum betrat und hinter die dreckige Theke linste, fand ich den Portier bewusstlos auf dem Boden liegend. Schritte auf der Treppe ließen mich aufhorchen, weswegen ich mich schnell in einer Nische versteckte. Aus einem schmalen Spalt heraus konnte ich Adrian erkennen, wie er zufrieden heruntergehüpft kam und sich gerade sein Shirt über die nackte Brust streifte. Dann legte er einen ganzen Batzen Geld auf die Theke und verschwand.
Noch einige Sekunden abwartend schälte ich mich aus meinem Versteck und ging die Treppen hinauf, bis zu dem Zimmer. Im Bad erwartete mich eine kleine Überraschung. In der Duschkabine stand der Papierkorb, worin die verschiedensten Sachen reingestopft waren und gemütlich vor sich her brannten. Sein Rucksack, die Bücher und sogar ein Handy konnte ich erkennen. Anscheinend wollte er wirklich mit seinem alten Leben abschließen. Grinsend verließ ich das Hotel und lief, über ein paar Umwege, zum Wagen zurück, wo Adrian lässig daran lehnte und ein Softeis mit Karamellsoße löffelte.
„Das Geld aus dem Handschuhfach ist für den Parkschein bestimmt und nicht für so ein süßes Zeug“, schimpfte ich schwach.
„Du weißt halt überhaupt nicht, was gut ist“, meinte der Kleine locker darauf, warf den Becher in den Mülleimer und stieg nach mir ein.
Ich hatte heute noch so einiges mit ihm vor und war auf die Standhaftigkeit seines Magens gespannt. Wir fuhren aus der Stadt, noch eine gute halbe Stunde, bis wir unser neues Ziel erreichten. Erst als wir ausgestiegen und in der Halle waren, nahm ich meinem Schüler die Augenbinde ab, der sich daraufhin mit großen Augen neugierig umschaute. Das hier war ein Paradies für jeden Abenteurer. Kletterwand, Hochseilparcours, Innenschießanlage und, und, und.
„Wow“, beschrieb der Kleine es passend. „Mit was fangen wir an?“, fragte er aufgeregt, begierig darauf, sofort loszulegen.
Ich deutete lediglich auf den Hochseilparcours, worauf er spontan kreidebleich anlief. Ich lachte in mich hinein. Das Welpchen wird doch keine Höhenangst haben. Zuerst wärmten wir uns etwas auf, liefen ein paar Runden und machten verschiedene Dehnübungen.
Dabei wanderte Adrians Blick immer wieder ängstlich nach oben. Meine Güte, wenn er sich nicht gleich entspannte, würden wir hier Wochen mit den Übungen verbringen. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen, was ihn ablenkte oder wenigstens anspornte. Eine gute halbe Stunde später standen wir auf einem Podest in gut zehn Meter Höhe.
„Oh fuck, das ist doch nicht wirklich dein Ernst, oder?“, fragte Adrian wenig begeistert und umklammerte mit der rechten Hand krampfhaft das Geländer.
„Ich mache nie Scherze“, meinte ich bloß desinteressiert.
„Solltest du aber mal probieren. In manchen Sachen bist du viel zu bieder.“
„Nur wenn mich etwas zu Tode langweilt, so wie du. Na los, mach schon. Der Weg erklärt sich von allein und gesichert bist du auch sehr gut. Die Zeit läuft, sobald du den Sensor hier passierst. Auf der anderen Seite ist auch einer, wodurch die Uhr gestoppt wird. Für den Anfang hast du sieben Minuten. Jede Sekunde länger wird heute Abend eine Extralaufrunde sein, also beeil dich.“
„Und was ist, wenn ich unter der Zeit durchkomme?“
„Das wird nicht passieren.“
Stieg dem Kleinen die Angst etwa zu Kopf? Klar, ich schaffte den Parcours bei weitem unter sieben Minuten, aber doch nicht er als Anfänger. Egal, wenn ihn das ein wenig anspornte, sollte er seine Wette bekommen.
„Du unterschätzt die Kraft der Jugend, Opa.“ Verschmitzt grinste mich Adrian an, worauf ich verärgert zurückblickte. Was bildete sich dieser Scheißer eigentlich ein?!
„Was willst du?“
„Nur den heißesten und geilsten Zungenkuss, den du jemals einem gegeben hast, für mich ganz allein.“
Hm, vielleicht war das die Höhe, die ihm so zusetzte, obwohl mir seine Augen eiskalte Entschlossenheit entgegenschleuderten. Auffordernd hielt er mir seine Hand hin, die ich nach kurzem Zögern ergriff und somit die Wette beschloss. Na da war ich ja mal gespannt.
Adrian drehte sich zum Startpunkt um, wischte sich ein letztes Mal die schweißnassen Hände an seinen Sachen trocken und sprintete dann los. Am Anfang sah alles sehr wacklig aus, ständig rutschte er weg oder blieb wo hängen. Doch als ich schon annahm, mir keine Sorgen mehr um diese doofe Wette machen zu müssen, legte der Kleine richtig los. Er hatte wohl nur etwas Zeit gebraucht, um sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen, denn jetzt flog er nur so über die Seile.
Gespannt blickte ich zwischen Uhr und meinem Schüler hin und her. Wenn er so weitermachte, würde er es wirklich noch schaffen. Wie gefesselt verfolgte ich mit den Augen diesen drahtigen Körper, der sich geschmeidig durch jedes Hindernis wand, wusste, wie er Schwung und Kraft auszunutzen hatte. Er war so kurz davor, es zu schaffen.
Jedoch knapp vor dem Ziel tat der Kleine einen falschen Schritt und legte sich komplett hin. Ich dachte schon, er würde runterfallen. Adrian hielt allerdings nicht viel davon, einfach so aufzugeben. Mit einem letzten Ruck hievte er sich hoch und rettete sich mit einer Sprungrolle ins Ziel. Total perplex schaute ich auf die Uhr. 6:58 Minuten. Das durfte doch nicht wahr sein! Genervt kletterte ich das Podest hinab, wo mich auf dem Boden ein vor Glück überschäumendes Welpchen erwartete.
„Mann, hast du das gesehen?! Am Anfang war‘s ja echt krass wacklig, aber dann wurde es wirklich easy. Und der Schluss erst, wie ein …“
Weiter konnte ich mir dieses freudige Geplapper einfach nicht mehr antun. Kurzerhand zog ich den Kleinen am Kragen schroff zu mir heran und presste dann meine Lippen auf seine. Er war so dermaßen überrascht, dass er einfach nachgab und ich bequem meine Zunge zwischen seinen Zähnen durchschieben konnte. Selbst der Kuss entwickelte sich anders, als ich vorgesehen hatte.
Adrian erholte sich schnell von seinem Schock und legte nun seinerseits los, was mir schier die Luft zum Atmen raubte. Seine Zunge war so unglaublich sanft und fordernd zugleich, seine Lippen so schön weich, dass ich kaum aufhören konnte an ihnen zu saugen, mich festzubeißen und drüber zu lecken. Keine Ahnung wie lange wir so dastanden und uns unser kleines, persönliches Gefecht lieferten, als sich jemand hinter mir räusperte.
„Du wirst mir doch jetzt nicht untreu?“
Fabis Worte waren wie der Notanker, den ich dringend gebraucht hatte. Mit einem letzten, gierigen Saugen löste ich mich von Adrian, schubste ihn noch zur Bekräftigung ein kleines Stück nach hinten und drehte mich dann zu meinem guten Freund um, der mich breit grinsend in die Arme schloss.
„Danke, das war echt knapp“, flüsterte ich ihm so leise wie nur möglich ins Ohr.
„Das habe ich gesehen“, flüsterte er ebenso zurück. „Kletterwand?“, fragte Fabian gleich darauf laut, worauf ich knapp nickte.
„Komm, Kleiner. Der Tag heute ist noch lange nicht vorbei.“
Fast tat mir Adrian schon leid. Nach dieser Aktion waren seine Beine weicher als Pudding, was ihm an der Kletterwand ganz schön zu schaffen machte. Doch ich hatte das perfekte Druckmittel gefunden. Fabian kletterte geschmeidig wie eine Katze die Wand hinauf und das kratzte sehr an dem Ego des Kleinen. Mehr und mehr legte er sich ins Zeug, nur um zu beweisen, dass er die bessere Partie von beiden war.
Dabei kam mir ein böser Gedanke, den ich die nächsten Wochen erfolgreich umsetzte. Fabian wollte das Welpchen besser kennenlernen und der Kleine steigerte sein Können zu Rekorden, weswegen ich sie meist zusammen trainieren ließ. Fabi kümmerte sich ab jetzt um das Lauftraining und um alles, was mit Klettern zu tun hatte. So konnte ich mich ab und an um meine Arbeit kümmern, ohne ständig über meine Schulter blicken zu müssen, und mein Freund hatte seinen Spaß.
*Adrian*
Wieder vergingen drei weitere Wochen, in denen ich wie blöde trainierte und versuchte, mich gegen diesen Schönling zu behaupten. Jedes Mal, wenn ich glaubte langsam an ihn ranzukommen, legte er doch noch einen Zahn zu und ließ mich weit hinter sich. In der letzten Zeit hatte ich echt das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Mal davon abgesehen, dass Michas Übungen immer heftiger wurden. Nicht wenige Abende stand ich vor Schmerzen gekrümmt im Bad, genauso wie heute.
Mit wackligen Beinen kletterte ich aus der Dusche. Dieses Mal war dieser Wichser echt mit seinem Training zu weit gegangen. Selbst das sanfte Prasseln der Dusche schmerzte auf meiner Haut. Nur grob tupfte ich mich mit dem Handtuch trocken und schaute in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Schwer stützte ich mich auf das Porzellan und erinnerte mich wieder an die letzte Begebenheit. Mann, ich war so knapp dran gewesen, ihn zu küssen. Nur noch ein Zentimeter trennte unsere Lippen voneinander. Doch er hatte mich einfach liegen gelassen.
Wieso musste dieser alte Knacker auch noch so gut aussehen?! Allein wenn ich an seinen knackigen Po dachte, seinen breiten Oberkörper, die muskulösen Arme und diese harten, aber doch seltsam weichen Hände, seine Lippen, wurde ich schon steif, was mir ein Blick nach unten gleich bestätigte.
Kurz schaute ich zur Tür. Ich wusste genau, dass Michael in ein paar Minuten unter irgendeinen dummen Vorwand ins Bad geplatzt käme. Das machte er immer, sobald ich die Dusche abstellte, damit ich auch ja nicht zu lange allein in einem Zimmer war. Übrigens, Brause einfach an lassen und aus der Dusche klettern ist nicht. Dafür quietschte diese bescheuerte Schiebetür viel zu laut.
‚Hm, wie lange hatte ich noch, bis mein Lehrmeister mich mit seiner Anwesenheit beglücken wird? Ach Scheiß drauf.‘ Ohne weiter drüber nachzudenken langte ich nach meinem steifen Schwanz und begann mir einen runterzuholen. Ich brauchte nur meine Augen zu schließen und schon sah ich ihn wieder, wie er schwer atmend über mir thronte, ein einzelner Schweißtropfen sich von seiner Stirn löste und direkt auf meine Lippen tropfte. Allein diese Erinnerung katapultierte mich fast zum Höhepunkt, wenn nicht gerade in dem Augenblick die Tür geräuschvoll aufgerissen worden wäre und meine Wichsvorlage ins Bad geschlendert käme.
Wieso besitzt nur dieser Assi allein den Schlüssel passend zur Tür? Der schaute mich nur den Bruchteil einer Sekunde überrascht an. Dann ging er zur Wanne gegenüber dem Waschbecken und ließ sich Wasser ein. Für mich allerdings war es viel zu spät zum Aufhören. Wieso kam der Vollidiot auch nur halb nackt, lediglich bedeckt mit einem knappen Handtuch um die Hüfte, hier hereinspaziert? Mein Gehirn setzte komplett aus, als ich seinen entblößten Rücken betrachtete und mein Blick auf den knackigen Arsch, der unter dem dünnen Stoff verborgen war, fiel.
Ich machte einfach da weiter, wo ich vor seiner Ankunft aufgehört hatte. Mich an die Wand seitlich vom Waschbecken lehnend, rieb ich mich weiter bis zum Höhepunkt, meine Augen die ganze Zeit auf Michael gerichtet. Als ich endlich kam, gaben meine Beine endgültig nach und ich rutschte mit einem Stöhnen auf den Lippen schwer atmend zu Boden. Wenige Sekunden später klatschte ein eiskalter Waschlappen in mein Gesicht.
„Mach dich sauber und geh endlich raus. Deine anderen Entspannungsübungen warten noch auf dich“, meinte mein Lehrmeister spöttisch und schaute abwechselnd zum Spiegel und zu mir. „Ganz schön selbstverliebt, wenn du allein bei deinem Spiegelbild abgehst“, setzte er nach und wandte sich wieder dem Wasser zu, um die für ihn passende Temperatur einzustellen.
„Was kann ich dafür, dass ich so geil aussehe“, konterte ich schwach und bereinigte mich. „Wenn du ein wenig netter zu mir wärst, müsste ich nicht selbst Hand anlegen“, schnurrte ich so verführerisch wie nur möglich, stand währenddessen auf und gesellte mich zu Michael. Zögernd berührte ich von hinten seinen rechten Oberarm und küsste ihm in den Nacken. Gott, ich wollte so viel mehr.
„Entschuldige, aber DAFÜR bist du mir noch zu jungfräulich“, entgegnete er mir kühl, worauf ich wieder einen Schritt Abstand nahm.
„Heißt das, ich muss mich erst von ein paar Typen durchficken lassen, bevor du mit mir schläfst?“, fragte ich empört.
„Nein. Dann wärst du mir zu offen“, antwortete dieser Arsch gelassen und deutete mit einer knappen Bewegung zur Tür. Noch nicht mal angucken konnte der mich.
Wütend stampfte ich aus dem Bad und knallte die Tür lautstark hinter mir zu. Kurz danach hörte ich das Zuschnappen des Schlosses. Hinter sich hatte er wieder mal zugeschlossen, damit ich ihn auch ja nicht stören konnte. ‚Was bildete der sich eigentlich ein? Erwischt mich beim Wichsen und bekommt noch nicht mal einen Halbsteifen. Ich hab ihn vollkommen kalt gelassen. Impotent war er auf Garantie nicht, schließlich war seine Morgenlatte letztens eindeutig.‘ Mit solchen und noch viel bescheuerten Gedanken verkroch ich mich so wie ich war auf meine Matratze und pennte ein, noch ehe mein Kopf das Kissen berührte.
Der nächste Tag war genauso heftig. Ich wurde von früh bis spät nur noch getriezt, von Ausgewogenheit war kaum mehr die Rede. Irgendwas war hier los oder lag im Busch, wie man so schön sagte. Fabian hatte ich seit über einer Woche nicht mehr gesehen und Micha wirkte manchmal seltsam abwesend, als wäre er mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache. Am frühen Abend liefen wir zusammen unsere Abschlussrunde, als das Handy meines Mentors plötzlich klingelte. Er hörte lediglich zu und meinte nur zum Schluss:
„Warte!“
Zum ersten Mal sah mein Lehrmeister aufgewühlt aus.
„Du bleibst schön hier und wartest, bis ich wieder da bin, haben wir uns verstanden!“, knurrte er mich bissig an, worauf ich lediglich mit einem Okay antwortete.
Mann, was war denn mit dem auf einmal los? Neugierig war ich schon und wäre ihm nur zu gerne hinterher geschlichen. Allerdings wusste ich auch, dass er mich drei Meilen gegen den Wind riechen würde und ich dann voll am Arsch wäre. Also übte ich mich in Geduld und machte ein paar Dehnübungen, bis ich selbst davon zu viel hatte.
Gelangweilt setzte ich mich auf den Boden, lehnte mich an einen Baum und betrachtete das Farbspiel am Himmel, als die Dämmerung einsetzte. Mit dieser zogen leider auch dichte Wolken auf und der Regen ließ, im Gegensatz zu meinem Mentor, auch nicht lange auf sich warten. Binnen weniger Sekunden war ich komplett nass und rollte mich zitternd zusammen.
Nicht wenige Male dachte ich drüber nach, einfach aufzustehen und eigenmächtig zum Haus zurückzulaufen. Aber irgendwas hielt mich davon ab. Mein Zeitgefühl hatte ich längst verloren, als mich jemand am Fuß grob anstupste. Träge blickte ich hinauf und erkannte im Dunkeln grob die Umrisse von Michas Gesicht.
„Steh auf!“
Seine Stimme war kälter als die Nacht, weswegen ich dieses Mal von einem dummen Kommentar absah. Langsam joggten wir zurück, dehnten uns kurz, wonach ich gleich unter die Dusche und dann ins Bett geschickt wurde. Keine Kontrolle bei den Entspannungsübungen, kein Rumgemotze im Bad. Ich bekam meinen Mentor den gesamten Abend nicht mehr zu Gesicht, geschweige denn sah er sich zu einer Erklärung genötigt, mit der ich aber auch kaum gerechnet hatte.
So seltsam wie der Abend aufhörte, begann der Morgen. Niemand der mich aus dem Bett warf, keiner der zum Frühstück kam und auch keine Antwort, egal wie oft ich an den verschlossenen Türen vom Arbeits- und Schlafzimmer rüttelte. Zum ersten Mal beschäftigte ich mich alleine im Fitnessraum, lief eine Weile auf dem Laufband, machte ein paar Kraftübungen und ging einige Formläufe durch.
Beunruhigt lief ich durch die Wohnung. Sein Auto stand noch vor der Tür, also musste er doch da sein. Dass ich scheiß Kopfschmerzen hatte und ich mir total schwach auf den Beinen vorkam, half mir nicht gerade. Am Abend hielt ich es trotzdem kaum im Haus aus, schnappte mir meine Laufsachen und ging eine Runde joggen. Die angehende Erkältung verhalf mir nicht gerade zur Bestzeit, aber als ich wiederkam, brannte tatsächlich Licht in der Hütte.
Sofort ging ich hinein und traute meinen Augen kaum. Mein Mentor, der, der doch so übel stark, selbstsicher und über alles erhaben war, saß zusammengesunken auf der Couch und sah aus wie ein Häufchen Elend. Der Geruch von Whisky lag in der Luft und das kleine Glas vor ihm auf dem Tisch bestätigte meine böse Vorahnung. Plötzlich stand Micha auf und ging, ohne auch nur die kleinste Notiz von mir zu nehmen, ins Bad. Ich war total überfordert mit der Situation.
Auf einmal entdeckte ich einen Bilderrahmen, der mit dem Foto nach unten auf dem Tisch lag. Ich wollte einfach nur wissen, was hier los war, trat um das Sofa herum und nahm den Rahmen hoch, um mir das Bild anzuschauen. Es war genau das gleiche, was ich ganz zu Anfang schon einmal in den Händen gehalten hatte.
Micha umarmte Fabian von hinten und sah einfach nur glücklich aus. Als eine Tür laut zuknallte, war ich so erschrocken, dass ich ertappt den Fotorahmen fallen ließ und dieser klirrend auf den Boden zerschellte. Das Gesicht meines Mentors zeichnete reine Wut. Als er auf mich zukam, wich ich erschrocken zurück. Doch er war mit einem Satz bei mir und packte mich grob am Arm.
„Du … hast hier überhaupt nichts zu suchen und vor allem nicht in meinen Sachen rumzuschnüffeln!“, zischte er.
„Das Foto lag auf dem Tisch und ich hab mir nur Sorgen gemacht! Micha, bitte, sag mir was hier los ist, denn ich kapier gerade gar nichts mehr!“, versuchte ich mich zu verteidigen. Mein Lehrmeister machte mir wirklich Angst.
„Das tust du doch nie! Schleichst dich hier rein und denkst sonst was, wer du bist. Aber ich sag dir mal was. Du bist nichts! Ein Niemand! Und das wirst du auch immer bleiben! Und jetzt geh mir aus den Augen! Verschwinde hab ich gesagt!“ Rumschreiend warf er mich halb über die Couch und versuchte mich hinauszuwerfen. Jedoch wurde ich nun meinerseits wütend.
„Micha, hast du sie noch alle?! Was ist in dich gefahren? Hat Fabi mit dir Schluss gemacht, oder was? Und das ist jetzt wohl meine Schuld? Wenn du was mit ihm hättest konkret anfangen wollen, hättest du mich doch viel eher schon rausgeworfen. Also wieso jetzt?!“
„Mein Leben geht dich einen Scheiß an!“
„Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest: Ich bin seit einem knappen viertel Jahr ein Teil davon! Also schließ mich nicht mit aller Gewalt aus!“
Mein Mentor hatte mich an beiden Armen gepackt und hielt mich dicht vor sich. Seine Augen waren total glasig, vom Alkohol gezeichnet und er sah aus, als würde er langsam seinen Verstand verlieren.
„Ach so ist das. Du fühlst dich also ausgeschlossen. Dann wollen wir doch mal sehen, wie wir dieses wunderbare Gefühl noch vertiefen können.“
Zum ersten Mal machte mir Michael richtig Angst. Es schien als wäre er vom Wahnsinn befallen. Die Erkältung schwächte mich zusehends und ich konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten. Mein Lehrmeister zerrte mich brutal aus der Hütte, an ihr ein Stück vorbei, bis zum Zwinger, wo er mich mit voller Wucht hineinstieß und die Tür verriegelte.
„Ich wünsche dem ausgeschlossenen Herren einen wunderschönen Abend“, lachte er verrückt und verschwand dann wieder im Haus. Ein paar Mal rief ich noch schwach seinen Namen, dann verkroch ich mich in die hinterste Ecke und ergab mich meinem Delirium.
*Michael*
Oh Mann, was für ein Morgen. Mein Kopf fühlte sich schrecklich an, genau wie mein gesamter Körper. Schwerfällig hievte ich mich aus dem Bett ins Bad und gönnte mir eine lauwarme Dusche. Wieso musste dieser Tag auch jedes Mal so enden. Wieder ein Jahrestag vorbei. Sein Jahrestag. Und wie immer ertrank ich um diese Zeit in Selbstmitleid, verkroch mich in mein Bett, versuchte eine Flasche Whisky zu leeren und setzte jeden schwer zu, der sich in meiner Nähe befand.
Der kleine Nervenzusammenbruch von Fabian am Vortag hatte mich schon heftig genug getroffen. Ich konnte mich nur noch entsinnen, wie ich gestern im Wohnzimmer aufwachte und mich ins Bett geschleppt hatte. Langsam trocknete ich mich ab und erledigte den Rest der Morgentoilette. Als ich dann aus dem Bad ins Wohnzimmer trat und die Matratze auf dem Podest liegen sah, runzelte ich die Stirn.
Das Sofa war total verschoben, der Bilderrahmen von Tobi und mir lag zerbrochen auf dem Boden und schlammige Fußspuren waren überall auf dem Laminat verteilt. Und dann fiel es mir wieder schlagartig ein. Die Bilder flackerten blitzartig vor meinen Augen auf, dass mir schwindlig wurde und ich mich an der Wand abstützen musste.
Was hatte ich nur getan? Ich rief mich innerlich zur Ordnung und stürmte auf die Haustür zu, die im selben Augenblick aufsprang. Fabian stand vor mir und sah mich so vorwurfsvoll an wie noch nie. Halb auf dem Arm hatte er den bewusstlosen Adrian, der fast wie tot ausschaute.
„Adrian.“
Erschrocken stürmte ich auf die beiden zu und nahm meinen Schüler auf die Arme. Er war patschnass und eiskalt. Dunkel erinnerte ich mich, dass es die letzten Tage nur noch geregnet hatte und verfluchte mich selbst. Schnell lief ich ins Bad, legte den Kleinen in die Wanne und stellte das warme Wasser an. Fabi half mir ihn auszuziehen, zu waschen und wieder ins Bett zu packen.
Er hatte hohes Fieber, was selbst mit kalten Umschlägen an den Waden nicht zurückgehen wollte. Den Doc hatte ich längst informiert, der keine Stunde später da war. Er ersparte sich zu meiner Überraschung jeglichen Kommentar und versorgte seinen Patienten. Zum Glück schien es Adrian den Umständen entsprechend gut zu gehen. Weder hatte er Schnupfen noch Husten, geschweige denn eine Lungenentzündung, was ich eher vermutet hatte.
Das Fieber lag mehr am Wetter und Überlastung, wie Rainer erklärte. Er drückte mir ein paar Medikamente in die Hand und meinte, dass er sofort informiert werden wollte, wenn der Kleine wieder wach war. Dann verabschiedete er sich auch schon. Kaum hatte ich das Wohnzimmer wieder betreten, traf mich Fabians Faust mitten ins Gesicht und haute mich fast um.
„Du bist so ein Trottel, weißt du das eigentlich?! Adrian kann überhaupt nichts für deine dämlichen Komplexe und trotzdem bestrafst du ihn für deine Fehler. Er vergöttert dich und du hast nichts Besseres zu tun, als ihn ständig zu verarschen. Hör verdammt noch mal auf mit der Scheiße. Egal wie hart du bei dem Kleinen jetzt vorgehst, Tobi bringt dir das nicht wieder zurück!“
Entgeistert sah ich meinen besten Freund an, wie er mich wütend anfunkelte und senkte den Blick. Ich wusste, dass er Recht hatte - ich wusste es doch so sehr und er tat es auch. Trotzdem warf er mir den Holzhammer gegen den Kopf.
„Ich mach uns einen Tee. Den können wir alle drei gut gebrauchen.“
*Adrian*
Als ich wieder aufwachte, befand ich mich auf meiner weichen Matratze im Haus, eingekuschelt unter warmen Decken. Dem lautstarken Dröhnen in meinem Kopf war lediglich ein ganz schwaches Pochen gewichen, was leicht zu ignorieren war. Es war noch recht früh am Morgen, was ich an der Dämmerung erkannte, die noch nicht ganz dem Tag gewichen war.
Da meine Blase sich nervig bemerkbar machte, stand ich gähnend auf und tapste Richtung Bad. Als ich jedoch an der Couch vorbeikam, hielt ich inne und betrachtete, wie Micha schlafend auf dem Sofa saß, während Fabian sich darauf zusammengerollt hatte und den Schoß meines Mentors als Kissen missbrauchte. Schwer seufzend wand ich mich ab.
Hatten die beiden also doch wieder zusammengefunden. Sollte man sich nicht für sie freuen? War ich ein schlechter Mensch, wenn ich es nicht tat? Es klang egoistisch, aber ich wollte Micha nur für mich haben. Scheiße war ich kindisch. Und das nach dem Mist, den dieser Typ gestern verbockt hatte. Dafür würde ich mich auf jeden Fall noch revanchieren, darauf konnte er wetten!
Aber zuerst galt es, mich zu entschuldigen. Ich wusste nun, wo ich bei ihm stand und das er von vornherein mich eigentlich nicht hier haben wollte. Dass ich trotzdem so lange bleiben durfte, grenzte wohl bei ihm an ein Wunder. Nur hatte ich nach wie vor die Absicht, weiter ausgebildet zu werden. Und wenn sich die Wogen durch diese bescheuerte Entschuldigung etwas glätteten, war das nur hilfreich.
Die heiße Dusche tat echt gut und der Rest war auch schnell erledigt. Zwar versuchte ich wirklich leise zu sein, aber als ich aus dem Bad kam, waren die anderen doch wach geworden. Fabian sah mich seltsam besorgt an, während Micha nur starr geradeaus blickte. Okay, ob’s mir nun passte oder nicht:
„Tut mir leid wegen gestern. Ich hab mich da zu sehr reingehängt“, gab ich kleinlaut die Entschuldigung von mir, mit einem miesen Gefühl in der Magengegend.
Mein Mentor schnaubte nur abfällig und schloss kurz genervt seine Augen. Dann stand er auf und ging auf das Schlafzimmer zu, ohne mich auch nur einmal anzuschauen. Als er genau auf meiner Höhe war, ließ ihn Fabis schneidende Stimme wie vom Blitz getroffen stehen.
„Michael!“, zischte er warnend, das selbst mir unheimlich wurde.
Dass mein Lehrmeister total angespannt war, sah sogar ein Blinder. Zögernd legte er eine Hand auf meine Schulter, was mich etwas zusammenzucken ließ.
„Nein. Mir tut es leid“, sagte er leise und dann sah er mich an. Bildete ich mir das nur ein oder war das, was in seinen Augen funkelte, Schmerz? Erst nachdem ich leicht nickte, nahm er seine Hand weg und verschwand im Schlafzimmer. Ich blickte ihm geschockt nach und rührte mich erst, als Fabian mich bat, neben ihm Platz zu nehmen.
„Wie geht es dir?“, fragte er und musterte mich von der Seite. Mir wurde das Ganze langsam echt unheimlich.
„Gut“, antwortete ich verwundert, weil ich wirklich nicht wusste, was die Frage sollte.
„Fabi, ganz ehrlich, ich freu mich ja, dass ihr beide wieder zusammen seid, aber …“ Weiter kam ich nicht, da der andere mich unterbrach.
„Ach, tust du das wirklich?“ Spöttisch lächelte er mich an, worauf ich seinem Blick mit zusammengepressten Lippen auswich. Ich war so ein beschissener Lügner. „Dachte ich es mir doch. Adrian, ich kann‘s mir zwar nicht erklären, aber irgendwie kann ich dich wirklich gut leiden. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass du wissen solltest, warum alles so gekommen ist.“
Hellhörig geworden sah ich ihn wieder an.
„Das, was passiert ist, war nicht gestern, sondern vor drei Tagen. Ich fand dich am Morgen total zusammengekauert und zitternd im Zwinger und schleppte dich in die Hütte. Micha hatte einen kompletten Blackout und als er sich gerade wieder erinnerte und hinausstürmen wollte, stand ich schon mit dir in der Tür.
Du hattest sehr hohes Fieber und weder ein Bad noch die kalten Umschläge haben geholfen. Der Doc gab dir ein paar Medikamente und wies uns an, dir genügend Flüssigkeit zuzuführen. Du hast drei Tage komplett durchgeschlafen, dich maximal im Fieberwahn hin und her gewälzt.
Die ganze Zeit saß Micha neben dir, um über dich zu wachen. Er hat selbst jetzt noch ein verdammt schlechtes Gewissen, was nur die gerechte Strafe ist für sein dämliches Verhalten. Aber so wie er sich um dich gekümmert hat … Du scheinst ihm doch mehr zu bedeuten, als ich dachte.“
Wie bitte? Das war doch ein schlechter Scherz!
„Das waren maximal Schuldgefühle. Aber glaub mir, auch wenn es mir wirklich nicht richtig passt, er ist in dich total verknallt!“
Fabian lachte daraufhin laut auf.
„Nicht in mich, sondern in ihn“, sagte er und drehte das Foto um, welches auf dem Tisch lag. Ich erkannte es sofort und kapierte nun gar nichts mehr, was wohl auch mein Sitznachbar bemerkte.
„Das ist mein Bruder, Tobi. Es ist wirklich schon eine halbe Ewigkeit her, als sich die beiden kennenlernten und sofort ineinander verliebten. Tobi war ganz schön neugierig und fand recht schnell heraus, welchem Beruf sein neuer Freund nachging und bettelte solange, bis Micha ihn ausbildete und auf seine Touren mitnahm.
Lange ging es auch gut, bis vor fünf Jahren. Diese seltsame Organisation hatte angefangen, verstärkt nach Micha zu suchen, weswegen sie mitten bei einem Coup erwischt wurden. Dein Mentor stand oben auf einer Brüstung, weitgehend in Sicherheit. Aber Tobi hing noch an einem Seil. Zwar schaffte er es mit Michas Hilfe rechtzeitig raufzuklettern, doch meinem Bruder stieg das Adrenalin zu Kopf.
Oben angekommen klinkte er sich aus der Sicherung und winkte den Verfolgern hochmütig zu. Leider kommt Hochmut immer vor dem Fall und Tobi fiel tief. Als er über die Brüstung klettern wollte, rutschte er aus. Micha versuchte ihn noch zu packen, aber es war zu spät. Er musste mit ansehen, wie mein Bruder gute zehn Meter in die Tiefe stürzte und unten aufprallte. Vor drei Tagen war Tobis Todestag und Micha scheint es noch immer nicht verkraftet zu haben.“
Nachdem Fabian aufgehört hatte zu erzählen, herrschte bedächtiges Schweigen. Oh Mann, was für ´ne verfuckte Geschichte. Zwar war das noch lange kein Grund mich so zu behandeln, aber jetzt verstand ich meinen Mentor etwas besser. Deswegen hatte er mich auch in den letzten Tagen so hart rangenommen. Er wollte nicht den gleichen Fehler zweimal begehen und zu nachlässig mit seiner Ausbildung werden.
Allerdings wurde mir noch etwas bewusst. Einem Geist konnte man schwer Konkurrenz machen. Hatte ich denn jetzt überhaupt noch eine Chance, bei Michael zu landen? Und warum machte ich mir darüber überhaupt einen Kopf? Ich wollte ihn doch nur flachlegen, mehr nicht! Oder?
„Na gut, dann lass ich dich mal mit deinen Gedanken in Ruhe. Gehe es heute noch ein wenig langsam an und gönne Micha den Tag eine Auszeit. Er hat seit drei Tagen kaum ein Auge zugemacht.“ Fabian stand auf, streckte sich kurz und ging dann auf die Haustür zu. Kurz davor blieb er noch mal stehen und drehte sich zu mir um.
„Gib ihm etwas Zeit und enttäusche mich nicht“, zwinkerte er mir zu und trat aus der Hütte. Schnell lief ich ihm hinterher und fing ihn ab, als er gerade auf sein Quad stieg.
„Sicher, dass er nicht doch in dich verknallt ist?“
„Ganz sicher“, lachte Fabi. „Mal davon abgesehen bin ich ´ne Hete.“
„Das sieht man aber nicht, wenn ihr miteinander umgeht“, sagte ich ungläubig.
„Das liegt wohl daran, dass wir beide Vollwaisen sind. Damals hatten wir drei nur uns. Und jetzt habe ich nur noch ihn und er mich. Das verbindet. Mehr ist es aber nicht, glaub mir.“
Lächelnd setzte er seinen Helm auf, winkte mir ein letztes Mal zu und brauste dann davon. Oh Mann, ein ganz schön chaotischer Anfang für einen Tag. Die restliche Zeit schob ich wirklich eine ruhige Kugel, machte mir ein kleines Frühstück und trainierte dann ein wenig, weil ich sonst eh nicht wusste, was ich alternativ machen sollte.
Da es absolut geiles Wetter war, beschloss ich am Nachmittag etwas spazieren zu gehen. Die warme Sommerluft war einfach nur genial. Selbst der Doc schaute kurz vorbei, stellte zufrieden fest, dass es mir wieder gut ging, und verabschiedete sich recht schnell wieder.
Am Abend merkte ich doch, dass ich drei Tage nur gelegen hatte und verkroch mich verhältnismäßig früh auf meine Matratze. Micha bekam ich den gesamten Tag nicht zu Gesicht, was auch nicht schlimm war. So hatten meine Gedanken genügend Zeit, sich wieder zu ordnen. Am nächsten Morgen wurde ich zur üblichen Zeit auf dem gewohnten Weg geweckt.
„Los aufstehen! Zeit fürs Frühstück.“
„Ich will nicht!“
Grummelnd verkroch ich mich unter meine Decke, die mir natürlich gleich weggezogen wurde. Allerdings störte mich das weniger. Ich wechselte die Position in Fötalstellung und ratzte gemütlich weiter.
„Na gut“, hörte ich dumpf meinen Mentor sagen und hätte da schön hellhörig werden müssen. Aber als er mich auf seine Arme nahm, spätestens dann hätten meine Alarmglocken lautstark läuten müssen. Doch was tat ich? Ich kuschelte mich schnurrend an seine Brust und genoss den frischen Duft von Seife an seinem Körper.
Erst als ich auf kalte Fliesen abgesetzt wurde, schlug ich erschrocken die Augen auf. Nun war jedoch alles zu spät. Schon hatte er den Hahn der Dusche aufgedreht und kaltes Wasser stürzte auf mich hinab. Quiekend sprang ich aus der Kabine, worauf sich Michael nur lachend abwandte und aus dem Bad verschwand. Mo… Moment mal! Er lachte?! Perplex rappelte ich mich auf und hetzte ihm nach. Dieser drehte sich stirnrunzelnd zu mir um.
„Du tropfst“, kommentierte er lediglich und ging dann in die Küche. „Wegen dessen, was passiert ist. Das tut mir wirklich leid und ich weiß, dass der Alkohol absolut keine Ausrede ist. Außerdem ist mir klar, dass Fabian dich über Tobi aufgeklärt hat. Bevor du noch auf dumme Gedanken kommst: Nein! Ich will auf keinen Fall darüber reden!“
Gut, das war auf jeden Fall eine klare Ansage. Aber die hatte ich auch zu machen.
„Erstens: Das sollte es dir auch verdammt noch mal! Und glaube ja nicht, dass ich das einfach so auf mir sitzen lasse. Zweitens: Okay.“
Mit so was hatte er wohl nicht gerechnet, denn nun blickte er mich total verwundert an und vergaß sogar, sich den Kaffee einzuschenken, den er in der Hand hielt. Ich nutzte das gleich aus, ging federleicht auf ihn zu und setzte ein verführerisches Lächeln auf.
„Aber du siehst hammergeil aus, wenn du lachst.“
Ganz leicht hauchte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und ließ kurz meine Hand über seinen Hintern gleiten. Dann drehte ich mich weg und ging zurück ins Bad. Innerlich freute ich mich wie ein kleiner Schneekönig. So leicht würde ich alles wirklich nicht auf mir sitzen lassen.
Weitere Wochen vergingen und der Sommer feierte langsam Hochkonjunktur. Fabian hatte zum Großteil mein Training übernommen, da Micha einen neuen Auftrag hatte. Immer länger schloss er sich in sein Arbeitszimmer ein und ließ mich nicht ein einziges Mal teilhaben, was ständig in kleinere Streitereien ausartete. Ich wollte ihm doch bloß helfen, mehr nicht. Doch mein Mentor blockte alles rigoros ab und brummte mir nur Extralaufrunden auf, wenn es ihm zu bunt wurde. Ich wusste, dass ich mich wieder mal kindisch benahm, aber das war mir egal.
Mit Fabi schaffte ich es, langsam mitzuhalten. Er war echt ein begnadeter Läufer und Kletterer. Das Schieß- und Nahkampftraining übernahm weiterhin Michael und triezte mich jedes Mal so dermaßen, dass ich zum Abend hin alle Knochen spürte. Trotzdem hörte ich nie ein Lob von ihm, geschweige denn, dass er mich näher an sich ran ließ.
Gerade bei den Übungen hatten wir dermaßen viel Körperkontakt, dass ich mich manchmal kaum konzentrieren konnte. Und ihn ließ alles total kalt. Er meckerte nur heftiger, wenn ich wieder mal was nicht richtig machte. Den einen Abend gab er es schließlich frustriert auf und schickte mich ins Bad.
Er meinte zwar, dass er noch einen Job zu erledigen hatte, aber ich wusste genau, dass es an mir lag. Weit nach Mitternacht verließ er die Hütte und wies mich scharf zurecht, ich solle ja keinen Blödsinn machen, morgens schon mal Kaffee aufbrühen und mir die Laufsachen anziehen. Vor Morgendämmerung wäre er wieder da. Mein Gebettel, ob er mich nicht doch mitnehmen würde, ignorierte er einfach, stieg ins Auto und ließ mich alleine zurück.
*Michael*
Nach einer kleinen Weile verlangsamte ich meine Schritte und sah mich bedächtig um. Das Haus, in das ich geflüchtet war, um der Organisation zu entkommen, war wirklich alt und abbruchreif. Wieder mal hatte sie mir zwischen meine Arbeit gefunkt. Trotzdem hatte ich das bekommen, was ich wollte, und nun stand ich inmitten einer großen Halle, die damals vielleicht als Saal für größere Empfänge gedient haben musste. Obwohl alles im dämmrigen Morgenlicht grau erschien, konnte man hinter der verblassten Tapete ein klein wenig des einstigen Glanzes erblicken.
Putz knirschte unter meinen Füßen, was mich wieder in die Gegenwart zurückholte. Hinter einem maroden Balken Schutz suchend, lauschte ich in die Düsternis. Nur eine Handvoll Söldner waren mir in das Gebäude gefolgt, der Rest positionierte sich bestimmt drum herum. Ich musste es also geschickt anstellen, wenn ich hier unentdeckt rauskommen wollte.
Zu meinem Glück stand dieses Haus zu zwei Seiten dicht an zwei anderen Gebäuden und da die Fensterscheiben hier schon entfernt wurden, brauchte ich mir nur auf der anderen Seite ein passendes Fleckchen zu suchen, um meinen Anker zu werfen und schon wäre ich weg, ohne viel Lärm zu veranstalten. Angestrengt sperrte ich meine Ohren auf und erst als ich glaubte, dass mir wirklich niemand so weit gefolgt war, trennte ich mich von dem Balken, um Richtung Fenster zu gehen. Weit kam ich allerdings nicht.
„Halt! Stehenbleiben!“, erscholl eine verzerrte Stimme hinter mir und ich hörte das metallische Klicken, wenn man eine Waffe entsichert.
Verdammt! Seit wann bewegten sich diese Tölpel so lautlos? Mal davon abgesehen, dass ich diese Tonversteller hasste, die in den schwarzen Masken der Söldner eingebaut waren. Anscheinend legten die wirklich viel Wert auf Anonymität. Ganz automatisch hatte ich meine Hände hoch genommen, so dass sie gut zu sehen waren, und drehte mich nun langsam um. Zwar wurde ich dazu nicht aufgefordert, aber jemandem Angesicht zu Angesicht zu stehen war mir lieber. So konnte ich viel besser unerwartet handeln.
Mein Häscher machte vorsichtig einen Schritt zurück, um mehr Spielraum zwischen uns zu bringen. Dumm war der kleine Kerl schon mal nicht. Und er war wirklich klein und recht schmal. Vielleicht frisch von der Akademie. Ein kleines, fieses Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Das könnte noch amüsant werden.
„Oh, du hast mich ertappt. Da muss ich mich wohl oder übel ergeben“, schnurrte ich und blickte den Söldner lüstern an. Dieser machte aber nur einen weiteren Schritt zurück und richtete seine Waffe direkt auf meine Brust.
„Auf den Boden in Liegestütz! Arme und Beine breit auseinander!“, wurde mir befohlen. Ich konnte mir ein Glucksen gerade so verkneifen.
„So etwas Anzügliches gleich beim ersten Date. Also wirklich“, tadelte ich und positionierte mich lieblich lächelnd wenige Meter vor dem maroden Balken, hinter dem ich noch vor Kurzem gestanden und gelauscht hatte.
Dieser stand schon recht schief und benötigte bestimmt nur noch einen kleinen Schups, um komplett umzufallen. Und das genau in die Richtung meines Häschers. Mit ein wenig Glück würde dabei ein Stück der Decke runterkommen und ich könnte mich gemütlich verdrücken, in der Zeit, wo der Söldner panisch zur Seite springen würde. Mein Grinsen wurde um einen kleinen Tick breiter.
„Im Grunde genommen steh ich ja auf Typen, die wissen was sie wollen. Aber ich bleib doch lieber der Aktivere von beiden“, quasselte ich so vor mich hin.
Ich konnte regelrecht sehen, wie der Kerl unter der Maske die Stirn kraus zog und überlegte, was ich damit überhaupt meinte. Viel Zeit zum Grübeln gab ich ihm nicht, denn wenige Sekunden später trat ich mit voller Kraft gegen den Balken und ließ mich dann nach hinten fallen, um einen eventuellen Schuss meines Häschers zu entgehen, der auch gleich darauf folgte.
Allerdings stellte sich nicht die Wirkung ein, die ich mir erhofft hatte. Zwar knirschte das Holz bedrohlich auf, umstürzen tat es allerdings nicht. Verwirrt sah ich dieses widerspenstige Ding an und rappelte mich ein wenig auf.
„Tolle Aktion“, vernahm ich die tief verzerrte Stimme. Der Hohn darin war nicht zu überhören.
Verdammt! Heute war wirklich nicht mein Tag. Der Kleine war diesmal vorsichtiger, als er so schon gewesen war, dirigierte mich vom Balken ein Stück weg und wiederholte dann seine Befehle, mich in Liegestütz zu begeben. Äußerlich gab ich mich zwar geschlagen, aber meine Gedanken rasten.
Bisher hatte ich mich aus jeder brenzligen Situation rauswinden können, also müsste es hier auch eine Lösung geben. Aber so wie es momentan aussah, würde mir nur ein Erdbeben helfen. Als hätte jemand meine Gedanken erhört, gab es einen lauten Knall und der Boden begann zu erzittern.
„Shit! Ich hatte um einen Aufschub gebeten.“
Fragend sah ich meinen Häscher an, der hastig seine Waffe schulterte, worauf dieser zu erklären begann:
„Dieses Gebäude wurde zum Abriss freigegeben für heute morgen. Und zwar durch Sprengung! Zuerst ist der linke Flügel dran, zwei Minuten später der rechte, in dem wir uns zurzeit befinden. Anscheinend haben meine Leute nichts erreicht. Wir müssen hier raus – sofort!“ Hektisch kam der Kleine auf mich zu und zerrte mich am Arm in eine Richtung.
Wir standen in der obersten Etage von sechs Stockwerken insgesamt. Eine kleine Weile würden wir schon brauchen, um hinunterzukommen, in Sicherheit. Allerdings hatte ich andere Pläne. So eine Gelegenheit bot sich mir schließlich kein zweites Mal. Meinen Arm musste ich nur leicht drehen und schon hatte ich mich aus der Umklammerung gelöst. Nachträglich stieß ich den Söldner grob von mir weg, so dass dieser der Länge nach hart auf dem Boden landete. Somit war meine kleine Rache für den höhnischen Ton von vorhin auch geklärt.
„Tut mir leid mein Schatz, aber ich habe andere Pläne.“
Schnell drehte ich mich um und lief wieder Richtung Fenster. Erneut erbebte die Erde durch eine Explosion, die nach meinem Geschmack viel zu nah war. Größere Teile lösten sich von der Decke, stürzten herab und ließen mich ab und an stolpern. Es wurde wirklich höchste Zeit hier zu verschwinden. Am Fenster angekommen, schulterte ich meinen Rucksack ab, kramte meine kleine Armbrust heraus und spannte darin den Enterhaken.
Ein passendes Ziel war schnell gefunden, denn das Gebäude der gegenüberliegenden Seite war ein Stockwerk tiefer, weswegen ich das Dach gut überblicken konnte. Gleich der erste Schuss traf perfekt und gab nach kurzer Überprüfung genügend Halt. Das andere Ende befestigte ich an einem Balken, denn für meine normale Saugvorrichtung war der Boden hier einfach zu porös. Ich war gerade dabei Richtung Ausgang zu gehen, als es wieder laut donnerte. Es musste sich nur noch um Sekunden handeln, bis die Sprengung genau unter mir losging und der Rest des Gebäudes in sich zusammenfiel.
Die bebende Erde machte es mir für einen Moment schwer, mein Gleichgewicht zu halten und ein gefährliches Knirschen über mir kündigte nichts Gutes an. Doch noch ehe ich einen Satz nach vorn machen konnte, kam auch schon die Decke herab. Aber anstatt schwere Schläge auf den Kopf zu bekommen, erhielt ich nur einen harten Stoß an der Seite, der mich gute zwei Meter weg fallen ließ.
Dank dem pulsierenden Adrenalin in mir, ließ sich die Beklommenheit leicht abschütteln, die sich um meinen Kopf legen wollte. Schnell rappelte ich mich wieder auf und blickte zu der mit Trümmern überhäufte Stelle, wo ich noch Sekunden zuvor gestanden hatte. Unter dem ganzen Dreck konnte ich eine schmale, schwarzbehandschuhte Hand ausmachen.
‚Der Kleine hat doch nicht wirklich …‘
Ohne groß drüber nachzudenken, wie viel Zeit ich noch haben würde, begann ich die Trümmer beiseitezuschaffen und buddelte meinen Lebensretter aus. An der Hand hatte ich einen Puls fühlen können und das reichte mir aus. Richtig schwere Stücke waren auch nicht dabei gewesen, aber die Masse machte es wohl diesmal. Das Dröhnen des Hauses wurde immer lauter, als wolle es wie ein verwundetes Tier ein letztes Mal aufbegehren und drängte mich immer mehr zur Eile.
Mit einem letzten Ruck packte ich den schlaffen Körper und wollte ihn hochheben, doch irgendwo schien er festzuhängen. Nach kurzem Suchen fand ich die Ursache, holte mein Messer hervor und zerschnitt das dünne Lederband, was sein Handgelenk schmückte. Danach warf ich ihn mir einfach über die Schulter, legte mein Tuch um das gespannte Seil und schwang mich aus dem Fenster.
Kaum dass ich drüben auf der anderen Seite mehr oder weniger heil angekommen war und das Seil mit dem Messer durchgetrennt hatte, fiel auch die letzte Hälfte des Gebäudes zusammen und verbreitete einen feinstaubigen Nebel, der sich wie der Schleier des Todes auf die angrenzenden Straßen niederließ.
Schnell verstaute ich den Enterhaken in meinem Rucksack, um so wenig Spuren zu hinterlassen wie möglich. Dann schnappte ich mir meinen kleinen Retter und stieg die Treppen des Gebäudes hinab. Ich musste ihn dringend zu einem Arzt bringen. Allerdings wimmelte es außerhalb von Polizei und Leuten aus der Organisation, was ich oben vom Dach gut überblicken konnte.
Würde ich nur eine einzige Tür dieses Hauses öffnen, hätten sie mich sofort geschnappt. Das war zwar gut für den Söldner auf meinen Armen, aber nicht für mich. Und ihn hier liegen lassen kam für mich nicht infrage, schließlich schuldete ich ihm eine Menge.
Zu meinem Glück verfügte das Gebäude über einige Kellergänge, die dieses mit anderen Häusern verband. Anscheinend ein Nachlass aus Kriegszeiten – oder noch eher, denn das Gemäuer dort unten glich alten Katakomben. Je länger ich Zeit brauchte, um irgendwelche Türschlösser zu knacken oder dann oben auf der Straße in Deckung zu gehen, desto unruhiger wurde ich. Der Kleine war bisher nicht wach geworden und ich hatte die Befürchtung, dass er mehr abbekommen hatte, als ich so sehen konnte.
Nach einer kleinen Weile kam ich endlich an der Hintertür des Arztes meines Vertrauens an und klopfte kräftig. Der magere Mittvierziger öffnete mir und blickte mich mit versteinerter Miene an. Als er den Söldner in meinen Armen sah, hob er lediglich eine Augenbraue, seufzte ergeben und nickte mir dann mit dem Kopf zu, einzutreten. Schnell folgte ich der Geste und lief Richtung Behandlungszimmer, einen Weg, den ich leider all zu gut kannte. Vorsichtig legte ich den Kleinen auf den entsprechenden Tisch ab und schaute dann meinen alten Freund erwartungsvoll an.
„Ich muss zugeben, dass meine Neugierde wirklich enorm ist, warum gerade DU einen Söldner durch die Gegend trägst“, meinte er, während er sich die Hände wusch und sterile Handschuhe anzog.
„Er hat mir das Leben gerettet“, antwortete ich knapp, worauf Rainer kurz innehielt und das Mitglied der Organisation kühl musterte.
„Schau an, schau an. Sind die dunklen Ritter der Gerechtigkeit doch noch nicht ganz ausgestorben.“
Ich wusste zwar, dass der Arzt schon oft mit der Organisation zu tun hatte und weit aus mehr über sie wusste als ich. Vielleicht machten mich genau deswegen seine Worte so hellhörig. Aber vorerst hatte ich keine Zeit mir darüber Gedanken zu machen.
Ich machte dem Gehilfen meines Freundes und ihm selbst Platz und beäugte angespannt jeden einzelnen Handgriff. Ich musste einfach wissen, wie es meinem Retter ging. Zuerst wurde er von seiner Maske befreit und als ich endlich sein Gesicht frei betrachten konnte, verschlug es mir die Sprache.
Dieser lautlose, freche Söldner, der mir durch einen kräftigen Stoß das Leben gerettet hatte … war eine Frau! Ich hatte wirklich mit einer Frau geflirtet! Und als wäre das nicht schon schlimm genug, stand ich bei dieser auch noch in der Schuld. Wieso musste mein Leben in letzter Zeit nur so kurios verlaufen?
„Oh“, war die einzige Reaktion meines Freundes, bevor er zu mir aufschaute. „Du weißt ja sicherlich noch, wo die frischen Sachen und Dusche standen“, gab er mir den sanften Hinweis, den Raum zu verlassen.
Noch immer etwas perplex nickte ich abwesend und verschwand vorerst, um mich zu säubern. Absichtlich ließ ich mir mehr Zeit als nötig, damit der Arzt länger Spielraum für seine Arbeit hatte. Eine ganze Weile später klopfte ich an der Tür des Behandlungszimmers und trat, nach einem Wink von Rainer, ein. Die junge Frau war gereinigt und ihre Wunden versorgt. Ihr Kopf und ein paar Stellen der Arme waren mit weißem Mull verbunden und sie hatte komplett andere Kleidung an.
Mein Freund hatte ihre bestimmt alle vorsorglich beiseite geschafft. Wer wusste schließlich schon, wo diese Leute Peilsender versteckten. Die Frage nach ihrem Befinden brauchte ich gar nicht erst zu stellen, da sie mir wohl sprichwörtlich im Gesicht stand.
„Schürf- und Schnittwunden an verschiedenen Stellen des Körpers, Prellungen en masse, davon besonders stark die zwei untersten Rippen. Die Gutzte scheint einen wirklichen Dickkopf zu haben, denn abgesehen von der Platzwunde konnte ich nur eine geringe Gehirnerschütterung feststellen. Die Röntgenbilder waren soweit okay. Die einzige Frage ist nur, wie du sie ungesehen draußen absetzen willst.“
Seltsamerweise war mir die Antwort sofort klar.
„Ich nehme sie vorerst mit zu mir.“
Für Rainer war das anscheinend schon vorher klar, denn er holte sofort eine kleine Reisetasche unter dem Behandlungstisch hervor und warf mir diese, samt einem Autoschlüssel, zu.
„Schmerztabletten, Wund- und Heilsalbe, frisches Verbandsmaterial und ein paar Sachen. Du wirst verstehen, dass ich mein Auto als vermisst melden werde, wenn es morgen vor Beginn der Sprechstunde nicht wieder vor der Türe steht.“
Auf das Danke meinerseits antwortete er wie immer nur, in dem er mir die Tür zum Ausgang aufhielt. Auf Rainer war halt immer Verlass, auch ohne viele Worte. Der Weg nach Hause gestaltete sich als recht unspektakulär. Nur mein Schüler schaute nicht schlecht, als ich mit einer Frau auf den Armen heimkam. Erst als ich sie in mein kleines Gästezimmer auf das Bett legte, fand er seine Stimme wieder.
„Hey, Moment mal. Warum bekommt die Tussi ein Zimmer und ich muss im Wohnzimmer auf der Matratze pennen?“, fragte Adrian empört.
„Weil sie weitaus gefährlicher ist als du. Mal davon abgesehen wirst du mir kaum weglaufen.“
Gerade die letzten Worte ließ ich mit Absicht bedauernd klingen. Zwar hatte ich mich langsam mit ihm als Schüler abgefunden, was aber kein Grund für irgendwelche Höhenflüge seinerseits war. Seinen Schmollmund ignorierend, schob ich Adrian aus dem Zimmer und verschloss vorsichtshalber die Tür. Zwar hatte die Söldnerin mir das Leben gerettet, was aber nicht bedeutete, dass ich ihr in irgendeiner Weise vertraute.
Den leckeren Duft von Kaffee folgend, ging ich in die Küche und schenkte mir einen großen Pott ein. Mein Schüler hatte mir ausnahmsweise mal gehorcht, den dunkelbraunen Wachmacher aufgebrüht und sich seine Laufsachen angezogen. Es fiel mir wirklich sehr schwer, ein zufriedenes Grinsen zu unterdrücken.
Adrian setzte sich mit zu mir an den Tisch, gleichsam eine dampfende Tasse vor sich hinstellend. Schweigend sah ich mit an, wie der Kleine nach dem Zucker langte und wie immer drei Stücken in den Kaffee plumpsen ließ. Es war eine Schande, wie er dieses edle Getränk verunreinigte, war doch seine Tasse eh schon zur Hälfte mit Milch gefüllt.
„Kannst du mir langsam mal verraten, wo du dich so lange rumgetrieben hast?!“, brach es endlich aus meinem Schüler heraus.
Oh je, langsam klang er wie eine eifersüchtige Ehefrau. Eifersüchtig war er auf jeden Fall, das konnte ich eh nicht verhindern. Aber meine Ehefrau war er deshalb noch lange nicht. Ich nahm einen sachten Schluck und genoss die Wärme, die sich in mir ausbreitete, bevor ich gemächlich, wie in Gedanken versunken, antwortete.
„Rumgetrieben … hm, dieser Ausdruck ist wirklich passend.“
Einen Herzschlag später sprang Adrian so heftig auf, dass sein Stuhl mit voller Wucht gegen den Küchenschrank donnerte. Sagen tat er allerdings nichts. Seine Hände hatte er fest zu Fäusten geballt, die schon leicht zitterten. Wütend schaute er mich an, seine Lippen aufeinandergepresst, was ich lediglich mit einer hochgezogenen Braue quittierte. Was erwartete er auch von mir? Einen detaillierten Bericht? Meine Arbeit ging ihn nicht im Geringsten was an.
Und davon mal abgesehen, was da im Nebenraum vor sich hin schlummerte war eine Frau. Eine FRAU!!! Dachte der Kleine etwa, ich sei bi? Oder noch schlimmer – hetero? Gerade als er sich wegdrehen und wild aus der Küche stürmen wollte, stand mit einmal die Söldnerin im Türrahmen und sah uns abwechselnd verärgert an.
„Sagt mal, geht’s vielleicht noch etwas lauter? Meine Kopfschmerzen sind nämlich noch ein bisschen zu schwach“, grummelte diese verschlafen und tapste dann in den Raum.
Langsam ließ sie sich auf den Stuhl mir gegenüber sinken, legte etwas Metallisches auf den Tisch, bevor sie sich einfach die Tasse meines Schülers schnappte und vorsichtig daran nippte. Wie von mir erwartet verzog die junge Frau angewidert das Gesicht, doch nicht wegen dem, was ich dachte. Sie klaubte sich doch tatsächlich den Zucker und warf zwei weitere Stücken in die Tasse.
Und als wäre das nicht schon kurios genug – und eklig – identifizierte ich endlich das Metallstück, was sie beim Hinsetzen neben sich abgelegt hatte. Es war das Schloss. Sie hatte wirklich das Türschloss einfach demontiert. Und das Geräuschlos und ohne Werkzeug … ohne Werkzeug? Mist, mein Ersatzkoffer mit Spezialwerkzeug hatte ich tatsächlich unter dem Bett vergessen. Anscheinend wurde ich doch langsam alt.
Irgendwie sah die Söldnerin schon merkwürdig aus, wie sie so total verpennt mit zerzaustem Haar mir gegenüber saß, den Kopf auf einen Arm gestützt, als wäre dieser tonnenschwer. So anfühlen tat er sich bestimmt, nach der riskanten Aktion von ihr.
„Wer bist du?“, brachte mein Schüler gepresst hervor. Oh je, wenn Blicke töten könnten … Die Kleine schaute müde zu ihm auf.
„Cathrina. Und du?“, war ihre unschuldig klingende Antwort.
„Das geht dich überhaupt nichts an“, zischte Adrian und ich sah, wie seine Beherrschung mehr und mehr schwand. Die Söldnerin zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und rührte weiter schläfrig ihren Zucker mit einem Hauch von Kaffee um.
„Ich … will jetzt genau wissen, was passiert ist, sofort!“, forderte mein Schüler mit Nachdruck, worauf die Kleine wieder zu ihm aufschaute und dann mit ihren Kopf leicht in meine Richtung nickte.
„Er ist passiert. Wusstest du eigentlich, dass er ganz schön rabiat sein kann? Ehe ich ihn da hatte, wo ich ihn haben wollte, musste ich mich schon übel anstrengen. Aber als dann alles um uns herum explodierte, da …“
Weiter kam die junge Söldnerin nicht mit ihrer Ausführung, denn Adrian hatte viel zu viele unsinnige Sachen in ihre Worte reininterpretiert und trat den am Boden liegenden Stuhl in die nächste Ecke. Cathrina presste erschrocken ihre Hände auf die Ohren und verzog von Schmerzen gepeinigt ihr Gesicht, während mein Kleiner an ihr vorbei aus der Küche stürmte.
Das Knallen der Eingangstür wenige Sekunden später bestätigte mir, dass er das Haus verlassen hatte. Das war das erste Mal, dass ich ihn bewusst allein draußen rumlaufen ließ. Aber vielleicht war jetzt etwas Einsamkeit genau das Richtige. Er würde mir schon nicht weglaufen, dessen war ich mir sicher.
„Der Junge ist nicht nett“, stellte die Söldnerin schmollend fest und holte mich somit aus meinen Gedanken.
Wie sie so zusammengesunken da saß, konnte ich kaum glauben, dass dieses kleine Persönchen zu den knallharten, unerbittlichen Söldnern der Organisation gehören sollte. So wie sie ausschaute, schien sie wirklich noch starke Schmerzen zu haben. Auf der einen Seite fühlte ich mich dafür verantwortlich, schließlich war sie wegen mir in diesem Haus gewesen und hat mich dann noch vor den herabstürzenden Trümmern bewahrt. Andererseits war sie selbst dran Schuld. Sie hätte mir ja nicht folgen oder mich retten müssen.
Halt allgemeines Berufsrisiko. Aber nun war sie einmal hier. Deswegen stand ich auch auf, holte ihr ein paar Schmerztabletten und gab diese ihr samt einem Glas Wasser. Zuerst guckte die Kleine etwas verdutzt, nahm dann aber beides dankend an.
„Sag mal, warum verfolgt ihr mich eigentlich?“, fragte ich ruhig, hob den davongeschmetterten Stuhl auf und setzte mich darauf, rechts von ihr, an den Tisch.
Wenn ich schon mal ein Mitglied der Organisation als meinen Gast zählen durfte, konnte ich das auch gleich ausnutzen und ein paar Informationen einfordern. Die Söldnerin schaute mich daraufhin mit zusammengezogenen Brauen an, als sollte ich die Antwort längst wissen.
„Du bist ein Dieb“, stellte sie unnötigerweise fest.
„Das stimmt und ich mag meinen Beruf sehr. Obwohl ich es eher als Berufung sehe. Aber die meisten Diebe werden von der Polizei gejagt oder von irgendwelchen Currywurst essenden Kriminalkommissaren und nicht von einer unbekannten Organisation, die größtenteils geheim gehalten wird.“
Die Kleine überlegte kurz und nickte dann zustimmend.
„Ehrlich gesagt habe ich absolut keine Ahnung. Momentan bin ich nur Söldner, bekomme also lediglich einen Auftrag, den ich auszuführen habe, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Ich weiß auch nicht, warum du so von Interesse bist, dass die halbe Organisation auf dich angesetzt wurde.“
„Und wie hoch stehen die Chancen, dies rauszubekommen?“
Ich wusste, dass das ein kräftiger Vorstoß war, aber mehr als eine Absage hatte ich nicht zu befürchten. Cathrina legte ihren Kopf leicht schief und begann dann milde zu lächeln.
„Mal davon abgesehen, dass ich überhaupt keinen Grund sehe, diese Frage zu beantworten – schließlich sind das äußerst brisante Informationen und wir nicht gerade die besten Freunde – komme ich momentan an gar nichts ran.“
„Also meine Türen hier halten dich nicht auf“, lächelte ich zurück.
„Das stimmt, aber alles in der Organisation ist ziemlich gut gesichert. Es wäre ein enormer Aufwand und nicht ganz ungefährlich.“
„Aber nicht unmöglich.“
Darauf sagte Cat nichts, sondern nippte nur an ihrem Kaffee.
„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber langsam legen sich die Schmerzen in meinem Kopf, was eine super Möglichkeit wäre, einzuschlafen, um wieder neue Kraft zu tanken“, meinte die Kleine nach kurzer Stille.
„Natürlich. Lass die Tasse ruhig stehen. Ich räume sie später weg.“
Langsam stand die Söldnerin auf und verzog dabei etwas das Gesicht. Ihren Arm hatte sie um den Brustkorb geschlungen und versuchte tapfer ein Stöhnen zu unterdrücken.
„Also echt, ich hab wirklich einiges bei dir gut“, grummelte sie und schaute ärgerlich zu mir rüber.
„Hey, ich habe dich schon mal nicht liegen gelassen“, scherzte ich, worauf Cathrina wieder grinste.
„Na das war ja wohl das Mindeste“, lachte sie etwas, tapste in das Gästezimmer und kuschelte sich unter die Decke.
Ich war mir ziemlich sicher, dass die Kleine wusste, dass die Tabletten vorhin nicht nur für die Schmerzen waren, sondern auch welche für einen tieferen Schlaf. Auf eine seltsame Art und Weise schien die Söldnerin mir zu vertrauen. Und was mir noch mehr Kopfzerbrechen bereitete, spürte ich, dass dies langsam auf Gegenseitigkeit beruhte.
Leise schloss ich die Tür hinter mir und widmete mich endlich dem Gut meiner harten Arbeit, weswegen mir fast wortwörtlich die Decke auf den Kopf gefallen wäre.
*Adrian*
Oh Mann, heute lief es wirklich nicht gut für mich. Mal davon abgesehen, dass ich von meinem Lehrmeister ständig auf die Matte geschickt wurde, konnte ich mich einfach nicht konzentrieren. Natürlich merkte Michael das sofort, weswegen er mich gleich viel härter anpackte. Klasse und das alles nur, weil diese Frau seit fünf Tagen im Haus war!
Als ich wieder besonders „sanft“ auf dem Boden landete, blieb ich angepisst sitzen. Das hatte eh keinen Sinn. Mein Lehrer war fünfmal stärker als ich und diese Techniken in der kurzen Zeit zu lernen einfach unmöglich. Das glich einem Kampf wie David gegen Goliath!
Ich war richtig entnervt wegen meiner Unfähigkeit und als ich so zu Micha hochblickte, ging es ihm wohl genauso. Die Extralaufrunden konnte ich regelrecht schon riechen. Er wollte gerade zu einer entsprechenden Bemerkung ansetzen, als ein sachtes Händeklatschen ihn davon abhielt. Diese Cathrina stand lässig am Türrahmen gelehnt da und bekundete ihren Beifall.
„Wirklich nicht schlecht. Also für deine schmale Statur steckst du ganz schön viel ein.“
Verwundert schaute ich sie an. Am Anfang dachte ich wirklich, sie machte sich über mich lustig, aber in ihrem Gesicht konnte ich nur ein aufrichtiges Lächeln finden.
„Doch ich glaube nicht, dass der Sinn dieses Trainings Robustheit ist. Es ist nicht wichtig, dass du jeden Schlag mehr oder weniger mühelos einstecken kannst, sondern wie du ihnen am besten ausweichst.“
Was sollte das denn werden? Noch so ein Miyagi-Verschnitt, nur in weiblicher Form? Außerdem hatte Micha mir was anderes beigebracht. Sie bemerkte meine „Begeisterung“ sofort, lächelte aber nur noch mehr.
„Du gehst doch viel laufen, auf Schnelligkeit, unter Zeitdruck, richtig?“, fragte sie dann, worauf ich irritiert nickte. „Und du bist immer noch der Meinung, dass dies lediglich der Ausdauer dient? Nun überleg mal. Deine Strecke führt durch unwegsames Waldgebiet. Ständig musst du auf den Weg achten, der sich durch Regenfälle und starkem Wind fortwährend verändert. In Sekundenbruchteile musst du reagieren, damit du nicht stolperst oder hinfällst. Das schult immens deine Reaktionsfähigkeit. Hast du das wirklich noch nicht bemerkt?“
Verwirrt blickte ich zwischen Cat und Micha hin und her. So ruhig wie mein Lehrmeister ausschaute, schien die Tussi wirklich recht zu haben, was mich nur noch mehr ärgerte, denn ich hatte das echt nicht erkannt. Also schaltete ich auf stur.
„Wenn du so toll bist und alles weißt, dann zeig doch mal was du so drauf hast!“, blaffte ich sie deswegen an. Wieder lächelte die nur mild. Mann, die hatte die gleiche, beschissene Ruhe drauf wie mein Meisterdieb.
„Tut mir leid, aber dies sind nicht meine Unterrichtsstunden.“
„Mich sollte es nicht stören. Zumindest, wenn du mir etwas Abwechslung bieten kannst“, mischte sich Micha gelangweilt ein, als würde er absolut nicht daran glauben, dass Cat ihm auch nur ein Haar krümmen könnte.
Irgendwie musste ich ihm da allerdings zustimmen. Die Kleine war einfach viel zu schmächtig. Auf jeden Fall kratzte Michaels Ton am Ego der Söldnerin, denn die legte ihren Kopf leicht schräg und ihr Lächeln wirkte gepresst.
„Na gut, ein paar Lektionen dürften nicht schaden. Aber ich bitte schon jetzt um Entschuldigung. Ich bin etwas aus dem Training raus.“
Hm, das konnte wirklich interessant werden. Ich trollte mich mal lieber zur Seite und sah den beiden zu, wie sie sich respektvoll voreinander verbeugten. Jeder ging mehr oder weniger in Kampfposition, wobei das Mädel noch recht locker dastand. Mein Lehrmeister legte gleich los und versuchte ein paar Faust- und Fußschläge, denen Cat nur knapp auswich. Gerade als sie unkonzentriert zu Boden schaute und mit gerunzelter Stirn ihre linke Schulter kreiste, griff Michael plötzlich an.
Doch die Söldnerin reagierte blitzschnell. Mit einem einfachen Block lenkte sie den Fauststoß beiseite, drehte sich dann so, dass ihr Rücken zur Hälfte die Front meines Meisters bedeckte und rammte mit voller Kraft ihren kleinen, spitzen Ellenbogen gen Brusthöhe. Geschwind brachte sie wieder gute zwei Meter Abstand zwischen sich und ihrem Opfer, lächelte leicht und wand sich dann an mich.
„Lektion Nummer eins. Auch wenn dein Gegner abwesend erscheint, unterschätze nie seine Aufmerksamkeit. Dir könnte sonst eher die Luft wegbleiben, als dir lieb ist.“
Überrascht blickte ich dann zu Micha, der sich gerade schwer atmend aufrichtete. Boar, die musste ihn direkt auf den Solar Plexus getroffen haben und das volle Kanne. Jo, dieser Kampf wurde echt interessant. Zwar war ich ein wenig besorgt, weil mein Süßer doch angeschlagen ausschaute. Aber ´ne kleine Abreibung konnte er gut und gerne mal vertragen.
Als beide soweit wieder bereit waren, ging es auch schon weiter. An Michas Bewegungen konnte man erkennen, dass er viel vorsichtiger geworden war, trotzdem war es überwiegend er, der angriff. Und wieder dauerte es nicht lange, bis mein Lehrmeister strauchelte und dieses Mal mit einer blutigen Lippe zu Boden ging.
Cat hatte sich einfach blitzschnell gedreht, ihren Fuß hochgerissen und ihren Gegner mit der Hacke voll am Kinn getroffen. Bloß gut, dass wir barfuß waren. Mit Stiefeln hätte sie ihn bestimmt ausgeknockt. Ich hingegen war ungewollt zusammengezuckt. Die Kleine machte echt ernst. Und das mein Meister ständig nur was abbekam, passte mir gar nicht.
„Lektion Nummer zwei. Es heißt zwar Kampfsport, sollte aber doch nur zur Verteidigung genutzt werden, denn dafür war sie ursprünglich vorgesehen. Gerade für Menschen, die weniger Muskelkraft besitzen wie ich zum Beispiel, ist es von Nöten, den Schwung des Gegners auszunutzen. So braucht man nicht mal hart zuschlagen, schließlich läuft der andere direkt hinein. Wichtig dabei ist aber, dass der Schlag genau an der richtigen Stelle sitzen muss. Sonst war alles für umsonst.“
Ey, die hatte echt zu viel Karate Kid geguckt. Seltsamerweise verstand ich jedoch jedes einzelne Wort. Michaels Miene hingegen hatte sich übel verfinstert. Oh je, diesen Blick kannte ich. Jetzt war Schluss mit lustig. Cathrina spürte das auch und ging nun richtig in Kampfstellung. Dann gingen beide wieder aufeinander los. Dieses Mal allerdings war jeder konzentriert.
Auf einen Angriff folgte ein Block und sofort ein Konter, das alles so schnell, dass ich kaum durchblickte, welches Bein oder welcher Arm da gerade durch die Luft flog. Verbissen wurde alles daran gesetzt, eine Schwachstelle zu finden, um den anderen irgendwie zu Fall zu bringen. Doch beide schienen gleichstark. Wo Micha mit Kraft und Verbissenheit glänzte, beeindruckte Cat mit Schnelligkeit und Präzision, die zum Schluss doch überlag.
Mein Lehrmeister war nur ein paar Millisekunden zu langsam, als die Söldnerin ihm eine Schlagabfolge verpasste und zum krönenden Abschluss hochsprang, um mit voller Kraft einen Fußtritt seitlich gegen seine Rippen zu platzieren. Es sah fast so aus, als würde mein Süßer ein Stück fliegen, bevor er volle Kanne auf dem Boden aufschlug. Erschrocken war ich aufgesprungen und zu ihm hingelaufen.
„Alles okay bei dir?“ Mann, ich war echt besorgt.
„Scheiße“, bekam ich lediglich als Antwort, während er sich stöhnend aufrichtete.
„Lektion Nummer drei und die letzte für heute. Unterschätze mich niemals!“
Wütend schaute ich zu der Tussi auf und wollte ihr irgendwas Blödes an den Kopf werfen, doch so finster wie die dreinblickte, blieb mir jeglicher Kommentar im Hals stecken. Dann wand sie sich einfach ab und verließ den Übungsraum. Ich widmete mich erst mal meinem Meister und zuppelte an seinem Shirt, um mir seine Rippen anzugucken. Doch er schlug natürlich meine Hände beiseite, was mich genervt reagieren ließ.
„Hör auf zu zicken. Ich kenn mich wohl besser mit Prellungen aus als du. Also zeig schon her!“
Er tat das natürlich nur mit einem „Pff“ ab und wollte aufstehen. Doch ich zog ihm einfach den Arm weg, mit dem er sich abstützte. Allerdings verlor er dabei sein Gleichgewicht und kippte nach hinten, mich mit sich ziehend. Ich war voll auf seiner Brust gelandet, weswegen sich unsere Wangen leicht berührten, als ich mich aufrappeln wollte. Sofort war ich wie elektrisiert und verharrte nur knapp über seinem Gesicht.
Ein paar Sekunden lang blickten wir uns einfach nur an, wobei ich das Gefühl hatte, dass seine Augen tief in mein Innerstes drangen. Sein warmer Atem, der meine Haut strich, machte mich komplett wahnsinnig. Dann küsste ich ihn. Zwar war es ohne Zunge, aber mir kam es einfach so intensiv vor, was vielleicht auch daran lag, dass er mich nicht wegstieß.
Das heftigste passierte allerdings, als ich mich von ihm sacht trennte. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass er meiner Bewegung folgte, als wolle er den Kuss nicht lösen. Dementsprechend irritiert sah ich ihn auch an. Mir war so, als wollte er etwas sagen, wurde allerdings unterbrochen, da Cat in den Übungsraum reinplatzte.
„Ich hab dir schon mal Badewasser eingelassen. Da können sich deine Muskeln entspannen … solang Adrian laufen geht … ähm … sorry.“
War sie am Anfang noch fröhlich laut unterwegs, wurde sie später Wort um Wort leiser und lief dann mit geröteten Wangen aus dem Raum. Michael nutzte meine Abgelenktheit, schob mich beiseite und stand rasch auf.
„Heute ist Strecke Bravo dran. Die Zeit läuft in einer Minute los“, sprach‘s und ließ mich wieder einmal unvollendeter Dinge sitzen.
*Michael*
Oh Mann, was war heute nur mit mir los? Zuerst ließ ich mich von einer Frau fertig machen, die nur halb so schmal war wie ich und gut einen Kopf kleiner und dann gingen noch mit mir die Pferde durch. Ja, ich geb’s schon zu, ich wollte ihn wirklich küssen. Dieser vorlaute Bengel ohne Manieren hatte es mir tatsächlich mehr angetan, als mir mittlerweile lieb war.
„Na, ist der Herr durcheinander?“, holte mich Cathrina aus meinen Gedanken. Lässig lehnte sie am Türrahmen des Gästezimmers und grinste mich wissend an.
„Zss. Ich geb ja zu, dass ich dich ein wenig unterschätzt habe, aber ein zweites Mal passiert mir das nicht“, antwortete ich betont ruhig, schließlich ging es sie überhaupt nichts an, wie verärgert ich darüber war.
„Erstens: Ein wenig??? Zweitens: Ein weiteres Mal? Und Drittens: Das „durcheinander“ war nicht auf mich bezogen, Dummkopf.“
Beim letzten Wort schnippte die Kleine mir doch tatsächlich gegen die Nase. Zeit zu protestieren gab sie mir natürlich nicht.
„Geh baden, entspann dich ein wenig und ordne langsam mal deine Gedanken. Denn ich habe das dumpfe Gefühl, dass der Junge es wirklich ernst meint.“
Okay, das hatte gesessen. Für einen kurzen Moment war ich sprachlos. Die Söldnerin war schon fast in der Küche verschwunden, als ich mich wieder fing und zu ihr rumdrehte.
„Es tut mir leid. Wenn wir wieder Mal aufeinandertreffen sollten, werde ich mich nicht mehr zurückhalten und mein gesamtes Wissen einsetzen.“
Daraufhin erstrahlte in Cat’s Gesicht ein breites Lächeln.
„Das will ich hoffen! Ach, was mir gerade noch einfällt. In ein paar Tagen ist doch das große Stadtfest. Zwischen den ganzen Menschen dürfte es kein Problem sein, eine kleine Person wie mich unbemerkt abzusetzen.“
Nun war ich an der Reihe leicht zu grinsen. Zu ihrer Zufriedenheit nickte ich der Söldnerin zu und verschwand vorerst im Bad. Ich versuchte wirklich ihren Rat zu befolgen, was schon komplett gegen meine Natur war. Doch auf ein passables Ergebnis kam ich nicht. Den restlichen Tag verbrachte ich mit dem Sortieren meiner Nachforschungen für das neue Projekt.
Nach meinem Lehrling brauchte ich dieses Mal nicht oft zu schauen, denn er stemmte wie ein Verbissener die Gewichte. Ich war also nicht der einzige, der leicht durch den Wind war. Am Abend verabschiedete ich mich dann von beiden und machte mich zur letzten Erkundungstour auf. Meine alleinige Sorge für diese Nacht bestand darin, dass sich meine Mitbewohner nicht gegenseitig zerfleischten.
*Adrian*
Langsam tapste ich aus dem Bad und trocknete mir nebenher meine Haare. Ich hatte extra ein Stück länger trainiert, bis Micha weg war. So konnte ich endlich mal wieder länger die warme Dusche genießen. Mann, ich hatte mich dieses Mal aber auch echt verausgabt. Und das nur, weil mir dieser Blick von ihm, die Lippen, das leichte Zucken, einfach nicht aus dem Kopf ging.
Hatte er denn überhaupt gezuckt? Mittlerweile stempelte ich das schon als pure Einbildung ab. Irgendwie war mein Hirn eh gerade Matsch. Schließlich wollte ich diesen Typen doch einfach nur rumkriegen, nur ein bisschen Sex, mehr nicht. Und jetzt da ich merkte, dass ich meinem Ziel langsam näher kam … war alles nur noch kompliziert.
Frustriert setzte ich mich auf meine Matratze und wollte mit der Meditation beginnen, um danach unter die Decke zu kriechen und zu schlafen. Allerdings machte mir da eine kleine Person einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Musste die denn unbedingt so laut Fernsehen gucken? Und was für einen Mist tat die sich denn da überhaupt an? Genervt stand ich auf, ging zum Sofa und schaute über Cat hinweg zum Bildschirm.
„Was schaust du denn da für ein Scheiß?“ Die zog sich echt einen Thriller rein. Dummerweise erschreckte ich Cat so dermaßen, dass sie aufsprang und mir ein Kissen an den Kopf klatschte.
„Scheiße! Musst du dich so anschleichen?! Ich hat fast ´nen Herzinfarkt und bestimmt jetzt ein zwei graue Haare mehr!“
„Für so eine Superhero-Söldnerin hast du ganz schön viel Schiss“, ärgerte ich sie ein wenig und setzte mich auf die Couch. Bei diesem Lärm zu meditieren funzte eh nicht.
Zum Film passend stand eine große Schüssel mit Popcorn auf dem Tisch, wo ich erst mal ordentlich zulangte. Cat ließ sich wenig später grummelnd neben mich auf das Polster fallen und schob sich auch ein bisschen Popcorn in den Mund.
„Sag mal, ist das nicht ‚The Cave‘?“, fragte ich sie nach einer Weile, worauf sie nur nickte und apathisch weiter auf den Bildschirm starrte.
„Der ist voll gruslig.“
„Ich fand den ganz lustig. Konnte den das letzte Mal nur nicht bis zum Schluss gucken.“
Es sah schon irgendwie lustig aus, wie die Kleine das Kissen vor ihrer Brust zusammenknüllte und bei jeder krasseren Stelle zusammenzuckte. Mir blieb einfach nichts anderes übrig, als sie ein wenig zu necken.
„Du bist so ´ne Schisserin.“
„Bin ich nicht! Außerdem war das gerade voll eklig“, rechtfertigte Cat sich empört.
„Das war nur ´nen bisschen Blut. Musst du doch von Arbeit her genügend kennen“, stichelte ich fies grinsend weiter.
„Na ja, mal ´ne Schusswunde, aber das war‘s auch schon. Wir verwenden eigentlich keine scharfe Munition. Maximal auf Befehl von höhere Ebene. Unsere Patronen sind Spezialanfertigungen. Die haften sich lediglich an dir fest und erzeugen wenig später einen elektrischen Impuls. Dieser Ministromschlag knockt dich für ´ne Weile aus, ist aber nicht tödlich.“
„Dann bist du ja noch verweichlichter, als ich dachte.“
„Du hast ja auch schon soooo viele Massaker miterlebt, nicht.“
„Ich habe mir alle SAW Teile angeguckt“, verkündete ich stolz, worauf die Kleine angeekelt ihr Gesicht verzog.
„Du bist ja auch pervers.“
„Und du bist ein Schisser.“
„Perverser!“
„Schisser!“
„Perverser!“
„Schisser!“
So ging das ein paar Mal hin und her, bis Cat ihr Kissen nach mir warf. Das konnte ich zwar noch beiseite schlagen, nur dann saß sie auf einmal auf mir drauf und bohrte ihre schmalen Finger ganz schnell an verschiedenen Stellen in meine Rippen. Mann, ich war doch total hyperempfindlich und voll kitzlig! Dementsprechend quiekend lag ich auf den Rücken und hatte kaum mehr Kraft, Luft zu holen, geschweige denn sie von mir runterzuschubsen.
„Also für dein Alter bist du echt mega frech!“
„Und du für deinen Status mega ängstlich.“
„Das liegt nur daran, weil ich zu viel Fantasie habe. Gibst du jetzt endlich auf?“
„Ja, jaaaa doch. Gnade!“
Triumphierend lächelnd ließ sie endlich von mir ab und setzte sich wieder gesittet auf das Sofa, was ich dann auch tat. Natürlich nicht, ohne ihr Kissen wieder zurückzuwerfen.
„Weißt du, Junge, eigentlich bist du ja ganz lieb“, meinte sie dann nach einer Weile, worauf ich nur grinste, was ihr wiederum nicht genug war. „Los sag‘s schon! Trau dich!“, nervte sie, bis ich endlich sagte, was sie hören wollte.
„Ja Mann, du auch … manchmal.“
Das schien ihr vorerst zu genügen.
Irgendwann später wurde ich durch ein sanftes Rütteln geweckt. Ich brauchte erst ein paar Minuten, bis ich merkte, dass es mitten in der Nacht war und ich noch immer auf der Couch lag – mit Cat auf mir drauf. Die hatte sich dermaßen an mich angeschmiegt, als wäre ich ihr Lover und Micha hatte deswegen einen ganz komischen Gesichtsausdruck drauf.
„Und ich dachte, ihr würdet euch gegenseitig zerfleischen, wenn ich mal nicht da bin“, sagte er leise, bevor er die Söldnerin behutsam auf seine Arme nahm und ins Bett brachte. Als er aus dem Gästezimmer rauskam, fing ich ihn ab.
„Hätten wir auch fast, aber diese Frau ist einfach viel zu albern. Wir haben nur ´nen Film geschaut und ich bin dabei irgendwann eingepennt. Brauchst also nicht so ein Gesicht zu ziehen“, erklärte ich leise, drückte ihm mutig einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange und verzog mich dann auf meine Matratze. Dieses Mal wollte ich einfach nur schlafen.
Am nächsten Morgen wurde ich durch ein hässliches Quieken aus meinen süßen Traum gerissen.
„Guten Mooooorgäääääään. Aufstehen du Schlafmützeeeee!“
Bäh, wie kann man zum frühen Morgen nur so fröhlich und vor allem wach sein?!
„Du bist dir schon im Klaren darüber, dass du dir gerade deine ganzen, mickrig gesammelten Pluspunkte bei mir versaust?“, meckerte ich und blickte verkniffen unter meiner Decke hervor. Und was machte Cathrina? Spielte Igors kleine Schwester, indem sie ´nen Buckel machte und ihr Bein ein Stück hinterher schleifen ließ.
„Aber der Meissster hat es befohlen“, witzelte sie weiter und zog das ‚S‘ dabei besonders lang. Mann, die Frau war echt blöd im Kopf.
„Wo ist denn unser Oberguru?“, fragte ich grinsend.
„Irgendwohin mit Fabian. Er hat mich gefragt, ob es mir was ausmachen würde, heute mit dir zu trainieren. Also husch, husch, ab ins Bad, Sportklamotten an und dann geht’s erst mal ´ne Runde raus, laufen.“
Alles klar. Jetzt stand es fest. Ihre Punkte bei mir waren volle Kanne ins Minus gefallen!
*Michael*
Ich kam später nach Hause, als ich eigentlich vorgehabt hatte, was die ganze letzte Woche passierte. Wenn ich nicht gerade auf Erkundungs- oder Plantour war, bat ich bei Fabi um Asyl. Ich brauchte einfach Rat von jemand, der mich länger kannte und auch über meine Vergangenheit Bescheid wusste. Entgegen meinen Erwartungen hatte Fabian mich bei meinem Vorhaben nur bestärkt.
Und als ich meinen Schüler so beobachtete, wie er mit der Söldnerin trainierte, wie geschmeidig und präzise seine Bewegungen geworden waren, wurde ich mir immer sicherer, dass es Zeit war. Als Cat mich entdeckte, beendete sie die Übung, verbeugte sich vor Adrian und kam dann fröhlich auf mich zugehopst. Die Kleine hatte echt zu viel Energie.
„Willkommen zurück, Onkel Michael. Wir waren auch ganz dolle brav.“
„Das sehe ich.“ Okay, ein Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen. „Es ist soweit.“
Nach dieser Information lächelte mein Gast zwar, aber eine leichte Traurigkeit konnte ich trotzdem in ihren Augen erkennen.
„Gut. Dann werd ich mal fix duschen gehen“, meinte sie dann und verschwand im Bad.
„Was hat sie denn?“, fragte Adrian verwundert.
„Heimweh. Ich werde sie heute auf dem Fest in die Stadt zurückbringen.“
Der Kleine schien sich an die Söldnerin auch ganz schön gewöhnt zu haben, denn so richtig glücklich sah er nicht aus. Der Abschied gestaltete sich recht unspektakulär. Cat hauchte Adrian einen Kuss auf die Wange und saß wenig später schon im Auto. Zusätzlich zu den verbundenen Augen setzte ich ihr noch Kopfhörer mit Musik auf. Und trotzdem hatte ich das dumme Gefühl, dass sie jederzeit blind wieder hierher finden würde.
In der Stadt war wirklich mächtig was los, weswegen ich nicht weit mit dem Auto kam. Ich nahm Cathrina die Kopfhörer und Augenbinde ab und versuchte mit einem verkniffenen Lächeln die bedrückende Stimmung im Auto zu vertreiben, was mir kläglich misslang.
„Mach‘s gut“, sagte die Söldnerin dann, stieg einfach aus und war in wenigen Sekunden zwischen den Menschen verschwunden.
Als ich Zuhause ankam, fand ich meinen Schüler wieder im Trainingsraum vor, wo er fleißig ein paar Kraftübungen machte. Besonders in der letzten Woche stieg sein Ehrgeiz immer ein Stück mehr. Ich war wirklich gespannt, wie lange das noch anhalten würde. Allerdings hatte ich auch beschlossen, ihn ein wenig zu belohnen. Mal davon abgesehen brauchte ich ihn dringend als Alibi.
„Geh dich duschen“, forderte ich Adrian deswegen auf, ignorierte seinen verwunderten Gesichtsausdruck, weil es eigentlich noch viel zu früh war und ging schon mal in mein Arbeitszimmer.
Der Kleine ließ nicht lange auf sich warten und klopfte fünfzehn Minuten später an die offene Tür. Von allein getraute er sich noch immer nicht in meine heiligen Hallen. Ich winkte ihn zu mir an den großen Tisch, wo ich einige Grundrisse und Pläne von einem Museum liegen hatte. Innerlich musste ich schmunzeln und genoss Adrians Nervosität, die er krampfhaft versuchte zu verbergen. Aber mir war so, als könnte ich sein Herz bis zu mir rüber laut klopfen hören.
„Vor jedem Auftrag, den du gut erfüllen willst, gehört eine bessere Planung. Du musst genau wissen, was du beschaffen sollst, mit was du es zu tun bekommst, wie du die Umgebung und Umstände für dich nutzen kannst. Einfach wild darauf losrennen wäre nicht nur unklug, sondern führt in der Regel auch zu mäßigem Erfolg. Das hier sind die Baupläne für das nächste Projekt und hier drüben liegen die für die angrenzenden Gebäude. Du musst sie genau studieren, Vorder-, Hinter-, Notausgänge, Balkons. Sieh genau hin und präge dir alles gut ein.“
Mehr verriet ich vorerst nicht, was Adrian etwas zu irritieren schien. Aber er gehorchte, ganz ohne murren oder nervende Fragen zu stellen. Was war denn nur in der letzten Zeit mit meinem Schüler los? Erst mal sollte mir dies ein Rätsel bleiben, denn am nächsten Tag war alles beim Alten. Ich hatte Fabi gebeten, zum späten Nachmittag vorbeizuschauen, um auf seine verborgenen Talente zurückzugreifen. Und so stand er genervt im Wohnzimmer und versuchte einen zickigen Adrian zu bändigen.
„Einen Anzug? Wozu brauch ich denn so ´nen Scheiß?“, begann er zu wettern, in der Zeit, wo Fabian versuchte, ihn in einen Smoking zu stecken. Bei dem Versuch blieb es auch vorerst.
„Wir gehen heute Abend aus, deswegen“, meinte ich ruhig.
„Ich hab aber keinen Bock auf so ein Nobelrestaurant. Burger King würde mir echt reichen.“
„Wir gehen nicht essen.“
„Na ins Kino gehen wir in dem Outfit ja wohl auch nicht. Und Oper kannst du dir gleich abschminken. Von dem Geträller bekomm ich eh nur Kopfschmerzen.“
Interessant. Er wurde also langsam neugierig. Genau der richtige Zeitpunkt, um noch etwas Stroh ins Feuer zu werfen.
„Kannst du tanzen?“, fragte ich deshalb.
„Ja … Ich war mal auf so einer Benimmschule“, antwortete er zögerlich. Für mich war das ein gefundenes Fressen, um ihn etwas zu ärgern, weswegen ich ihn stirnrunzelnd betrachtete.
„Und wie viel ist dabei hängengeblieben?“
Ja, so wie er mich nun anfunkelte, war er wirklich ein bisschen beleidigt.
„Der Dame wird immer Vorrang gewährt, außer beim Tanz, da übernimmt der Mann die Führung. Von den Häppchen nimmt man sich nur eines vom Tablett und das Glas wird nicht mit der gesamten Hand betatscht, sondern am Stiel gehalten.“
„Falsch! Du wirst dort mit niemandem tanzen, geschweige denn berühren! Ist das klar!“
Erschrocken blickte mich Adrian mit großen Augen an, zwecks meines derben Tons. Ich wusste auch nicht, warum ich auf einmal so in Rage geraten war, aber es lag auf jeden Fall nicht nur daran, dass er Grundlegendes verkehrt machte. Wieder wurde mir bewusst, dass der Kleine ein Neuling, ein kompletter Grünschnabel war. Egal wie weit er sich auch körperlich gesteigert haben mag, theoretisch war mein Schüler noch ganz am Anfang.
Nachdem er ein leises „Ja“ gemurrt hatte, ließ ich ihn einfach stehen und verzog mich in mein Arbeitszimmer. Fabi hatte eh mit ihm noch genug zu tun und ich wollte alles nochmals genau überprüfen. Denn für den ersten Ausflug meines Schülers duldete ich keine Fehler. Eine knappe Stunde später klopfte es an meiner Tür und Fabian gesellte sich zu mir.
„Wir sind draußen soweit fertig. Du solltest dich auch langsam umziehen, schließlich beginnt die Gala bald.“
„Wie schaut er aus?“
Mein Freund wog seinen Kopf etwas hin und her und schien zu überlegen.
„Och, ich denke für den Anlass entsprechend okay. Zieh du deinen einfachen Anzug an. Da gehst du eher als Bodyguard durch.“
„Gut. Danke für deine Hilfe“, lächelte ich ihn liebevoll an und drückte ihn dann kurz zum Abschied.
„Kein Problem. Passt gut auf euch auf.“
„Machen wir.“
Fabi war gerade wieder an der Tür, drehte sich aber dann noch mal zu mir um.
„Ach und Micha. Meinen Segen hast du.“
Nachdem mein Freund weg war, verharrte ich an Ort und Stelle und ließ seine Worte einen Moment auf mich wirken. Jetzt brauchte ich nur noch die Zustimmung der letzten Person. Damit musste ich mich vorerst gedulden, denn heute galt es zuerst den Abend zu bewältigen. Also atmete ich tief durch und suchte meinen Schüler, der sich gerade am Kühlschrank gütlich tat.
„Geht’s los?“
Aha, er hatte mich also kommen hören. Gut, gut.
„Ja. In fünfzehn Minuten. Hast du die Pläne noch im Kopf?“, fragte ich seinen Rücken, den er mir bisher noch zuwandte, was ich an sich recht unhöflich fand.
Aber als er sich umdrehte, wünschte ich mir, er hätte es nie getan. Fabian hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und den teuren Anzug direkt an Adrians Leib angepasst, was einfach nur atemberaubend ausschaute. Weiter waren die Haare meines Schülers stark mit Gel nach hinten gekämmt, was ihm einen leicht arroganten Touch gab. Er sah so aus wie eines dieser Designermodels! Einfach nur Wahnsinn. Ich presste meine Zähne so fest es ging aufeinander und wartete angespannt seine Antwort ab.
„Jap. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob die Ausgänge noch dort sind, beziehungsweise ein paar Türen hinzu gebaut wurden. Die Pläne waren nicht gerade die jüngsten.“
Wow, er hatte endlich mal seinen hübschen Kopf angestrengt und auf das Datum der Grundrisse geschaut.
„Deswegen schauen wir uns heute auch vor Ort um.“
„In diesem Aufzug?“
„Genau. Ich ziehe mich noch um, danach gehen wir los.“
Der Kleine nickte, wonach ich mich endlich umdrehen und verschwinden konnte. Im Schlafzimmer lehnte ich mich erst mal gegen die geschlossene Tür. Seit wann war dieses dämliche Gefühl so intensiv? So aufgebracht wie ich gerade war, konnte ich niemals professionell meinen Auftrag ausführen und vor allem nicht, wenn es so ein heikler war wie dieser. Und für Abhilfe schaffen hatte ich gerade überhaupt keine Zeit. Also bedeutete dies für mich an irgendwas Dummes denken, umziehen und los. Aber eines stand fest. Lange würde ich diesen Zustand nicht mehr aushalten können.
*Adrian*
Also ich fragte mich echt, was mit Michael los war. Mal davon abgesehen, dass er die letzten Tage kaum zu Hause war, benahm er sich heute wirklich seltsam. Erst markierte er den gütigen Lehrer, machte sich dann über mich lustig, zickte in der nächsten Minute rum und war zum Schluss voll kurz angebunden.
Okay, ich gab ja gerne zu, dass ich ´nen typischen Anfängerfehler gemacht hätte. Nachdem mich Micha so angeblafft hatte und verschwand, erklärte mir Fabi darauf, dass ich an den Gläsern meine Fingerabdrücke gelassen hätte, beziehungsweise beim Tanzen mir jemand einen Sender unterschieben könnte.
Mann, ich hatte halt nur an die Etikette gedacht. Und mal abgesehen davon, wer kannte mich dort schon? Was mir allerdings am meisten zusetzte, war sein Blick, den er mir in der Küche zuwarf. Sah ich denn wirklich so scheiße in dem Anzug aus? Bis wir im Auto saßen, hatte er es rigoros vermieden, mich anzuschauen.
Ich wusste ja nun, dass er ein schwieriger Mensch war und es noch schwieriger werden würde, näher an ihn ranzukommen. Und trotzdem ärgerte ich mich so dermaßen, dass es fast wehtat. Nicht nur diese bescheuerten Gedanken rasten mir durch den Kopf, als ich mit verbundenen Augen auf dem Beifahrersitz saß und wir Richtung unseres „Dates“ fuhren.
Der unebene Waldweg war schon lange der geteerten Straße gewichen, als Micha mir die Augenbinde abnahm. Er bog gerade auf einen abgelegenen Parkplatz ein, auf denen trotzdem recht viele Autos standen. Verwundert schaute ich mich um, machte allerdings noch viel größere Augen, als wir die Wagen wechselten und ich auf dem Rücksitz eines nagelneuen Mercedes Platz nahm, der schon fast einer kleinen Limousine glich.
Ich musste echt fett grinsen, als ich Michaels Rolle bei diesem Ausflug endlich checkte. In diesem schlichten, schwarzen Anzug – in dem er übrigens absolut lecker aussah – stellte er meinen Chauffeur beziehungsweise Bodyguard dar! Als mein Partner hätte ich ihn zwar lieber gesehen, aber das würde trotzdem ein recht interessanter Abend werden.
In knappen Sätzen erklärte er mir dann, dass wir auf so etwas wie ´ne Gala gingen und ich mein Augenmerk auf die Security und Ausgänge richten solle. Natürlich ließ er es sich nicht nehmen, mich nochmals in einem üblen, strengen Ton dran zu erinnern, auch ja nichts anzufassen, auch nicht im Auto. Er selbst hatte sich edle Lederhandschuhe drübergezogen.
Als wir an unserem Ziel ankamen, staunte ich nicht schlecht. Der Wagen hatte direkt vor einem riesigen Gebäude angehalten, zu dessen großem, zweitürigem Eingang mehrere Treppen hinaufführten. Selbst ein roter Teppich war ausgelegt. Jetzt fehlten nur noch die kreischenden Fans und nervende Reporter. Hier war wirklich einiges los. Gäste in schicker Abendgarderobe strömten aus jeder Richtung in das Gebäude, was von außen hell angeleuchtet wurde.
Micha öffnete mir die Tür und ich hatte echte Probleme, ohne den Wagen zu berühren, auszusteigen. Nachdem mein Mentor die Autoschlüssel einem Fahrer zugeworfen hatte, folgte er mir in respektablem Abstand Richtung Eingang. Rechts und links davon hingen über vier Meter lange Banner aus Stoff, die ein gutes Stück der Vorderseite bedeckten. Darauf prangerte auch das Motto dieser Gala: „Edles Geschmeide und Uhrwerk für den jungen Mann von Morgen.“ Jetzt war mir auch klar, warum Micha mich mitgenommen hatte. Das war unauffälliger, als wenn er hier allein auftauchen würde.
‚Klasse‘, dachte ich bitter. ‚Soviel zum Thema, er würde mir langsam vertrauen.‘
Genervt durchquerte ich den Eingang und die darauf folgende Empfangshalle, blieb aber dann wie angewurzelt stehen. Ich befand mich nun in einem mega großen Saal, der zu jeder Seite kaum ein Ende zu nehmen schien. Klassische Musik drang an meine Ohren und überall standen rechteckige Vitrinen, um die sich die Leute scharrten, wenn sie nicht gerade mit einem Glas in der Hand in Grüppchen beieinander standen und sich aufgeregt unterhielten.
Was mich allerdings viel mehr nervös machte, war die Security, die in Massen hier vertreten war. Gut, die Ausstellungsstücke waren bestimmt nicht billig, aber ich hatte trotzdem ein dummes Gefühl in der Magengegend. Und wenn ich eines von Micha gelernt hatte, dann war es auf meinen Bauch zu hören. Als ob er ahnen würde, dass ich gerade an ihn dachte, spürte ich den Atem meines Mentors im Nacken, was mir eine kribbelnde Gänsehaut über den Rücken jagte.
„Bleib jetzt ganz ruhig. Wir mischen uns unter die Gäste und steuern möglichst unauffällig den Hintereingang an.“
„Hier ist was faul. Ich hab echt ein ganz blödes Gefühl.“ Ich nahm meine gesamte Selbstbeherrschung zusammen, um weiter gelassen durch die Runde zu schauen und nicht ängstlich nach hinten.
„Ich weiß, was du meinst. Am Haupteingang stehen auch zu viele Gorillas. Wir müssen einmal komplett durch den gesamten Saal, an der Tanzfläche vorbei nach hinten. Also mach jetzt ganz langsam los.“
Beruhigen tat mich das zwar nicht, trotzdem setzte ich mich gemütlich nach außen hin in Bewegung. Innerlich war jeder auch noch so kleinste Muskel angespannt. Und dass einige von diesen Lackaffen sich gerade ans Ohr fassten, um den Funkspruch besser zu hören, dann in unsere Richtung blickten und sich in Bewegung setzten, auf uns zu, machte die Sache nicht gerade entspannter.
Wieder blieb ich abrupt stehen, weswegen Micha fast auf mich aufstieß. Ich spürte seinen dominanten Körper dicht hinter mir und langte reflexartig nach hinten, um seine Hand zu ergreifen. In dieser für mich extremen Situation brauchte ich einfach Halt. Und dieses Mal gab ihn mein Mentor mir.
Fest umschlossen seine Finger die meinen und erwiderten den Druck, was mein Herzschlag etwas beruhigte. Selbst wenn wir hier auffliegen würden, Micha war bei mir, an meiner Seite und ich an seiner, genau wie es sich nach meinem Befinden gehörte. Schon seltsam, wie klar mir das gerade erschien.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.