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Die Sache mit der Bettkante
Teil 2
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Informationen
- Story: Die Sache mit der Bettkante
- Autor: Ike
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Tja, natürlich hat Karin eine Antwort. Aber keine neue, sondern die alte, die sie mir schon seit Jahren versucht zu erklären. Und das tut sie jetzt wieder, während wir in einem Café sitzen und das Schneechaos draußen beobachten.
„Schatzi, dagegen kannst du nichts tun. Auch wenn das ziemlich ätzend ist. Du kannst es nicht erzwingen, den Richtigen für dich zu finden. Klar, es kann sein, dass deine Ansprüche höher sind als die von einigen anderen, aber das ist doch gar nicht schlimm. Wärst du denn glücklich, wenn du dir deinen Partner nicht danach aussuchen würdest wie du ihn dir wünschst? Dann kommt nur wieder so ein Ole und versaut alles.“
„Das ist ja alles ganz toll, aber was ist, wenn ich nicht so lange warten will?“
„Ich fürchte dir bleibt da gar nichts anderes übrig.“
Ich grummele als Antwort nur in meine Kaffeetasse.
„Das setzt natürlich voraus, dass du überhaupt weißt, was du willst. Deiner Beschreibung nach waren Locki und Maik ziemlich unterschiedlich und Ole sah auch wieder ganz anders aus.“
„Du vergisst mal wieder vollkommen die inneren Werte“, erinnere ich sie.
„Ach so, ja. Ich bin mir sicher, dass du genau weißt wie die bei deinen Bettbekanntschaften waren.“, sagt sie ziemlich sarkastisch und verdreht die Augen. „Und Ole war ja auch so ein herzensguter Mensch.“
„Könntest du bitte aufhören ständig diesen Namen zu erwähnen?“
„Klar, soll ich stattdessen Du-weißt-schon-wer sagen?“
„Echt witzig.“
„Ach komm schon. Sei jetzt nicht eingeschnappt. Ich weiß was… wir gehen jetzt shoppen“, sagt sie begeistert und trinkt ihren Kaffee in einem Zug aus.
„Nee, so weit kommt´s noch!“
„Oh doch, das wird dir gut tun. Und mir auch.“
Tja, letztendlich kam es dann doch so. Ich muss zu meiner Schande ja zugeben, dass ich was gekauft habe, obwohl ich es aus Prinzip nicht tun wollte. Aber an diesem kuscheligen Pulli konnte ich einfach nicht vorbei gehen. Wenn man schon niemanden zum Kuscheln hat, dann muss eben etwas Anderes herhalten. Und da ich keine Katze oder ein anderes Schmusetier habe, muss ich wohl oder übel auf unlebendige Dinge zurück greifen. Karin hat so getan als würde sie nicht über ihren Sieg triumphieren. Dafür war ich ihr schon mal dankbar. Normalerweise hätte sie mich frech angegrinst und darauf bestanden, dass es eben doch eine gute Idee von ihr war, shoppen zu gehen. Aber manchmal sind Frauen eben doch ganz anders als man sie sich vorstellt. Bei Karin passiert das ehrlich gesagt eher selten, aber es passiert.
„Oh, können wir da noch rein?“, fragt sie aufgeregt, als sie das ungefähr siebentausendste Schmuckgeschäft entdeckt hat.
Ich zucke nur mit den Schultern und da braust sie auch schon davon. Sie kramt zwischen den Millionen von Ohrringen natürlich genau das Paar heraus, das sie schon immer haben wollte und geht strahlend zur Kasse. Auf dem Weg dahin bleibt sie allerdings wieder abrupt an einem Ständer stehen und winkt mich dann zu ihr.
„Schatzi, schau mal“, quietscht sie und wirft mir einen Schal um den Hals. Einen schwarzen, unheimlich weichen. „Der passt perfekt zu dem Rot in deinen Haaren.“
„Das stimmt allerdings“, sagt jemand hinter mir und mir wird schlecht, als ich sehe wer das ist. Es ist Maik und er wirft mir wieder dieses Hypnose-Lächeln zu. „Den solltest du kaufen.“ Und dann ist er auch schon wieder verschwunden. Mit einer kurzen Handbewegung und einem Zwinkern.
„Das war Maik, oder?“, fragt Karin mit ihrem üblichen Analysetalent.
„Ja.“
„Echt süß. Du hast nicht zufällig doch seine Handynummer?“
„Nein. Du siehst ja wie schnell er immer wieder verschwindet.“
„Oh man, den hätte ich auch nicht von der Bettkante gestoßen.“
„Sag ich ja. Wenn ich ihn noch mal sehe, gebe ich ihm deine Handynummer, okay?“
„Ach, Schatzi, ich befürchte nur, dass mir der Schal nicht so gut steht wie dir.“
„Was?“, frage ich verwirrt.
„Das ist ne Metapher, du Blödmann. Ich wollte sagen, dass er wohl eher auf dich steht.“
„Aha. Na ja, ist auch egal. Bei mir braucht der jedenfalls nicht noch mal aufzutauchen.“
Nachdem Karin ihre Ohrringe und ich meinen Schal – ja, ich hab ihn gekauft – bezahlt haben, gehen wir endlich wieder zurück in meine kleine Wohnung. Meine beste Freundin breitet sich auf meinem Bett mit ihren Lernbüchern aus und ich schreibe an meiner Hausarbeit. Zusammen arbeiten ist doch viel schöner als allein. Und wenn man mal eine Pause braucht, hat man immer Ablenkung. Zumindest war diese Lerneinlage eine Bedingung dafür, dass Karin an diesem Wochenende überhaupt hierhergekommen ist. Ich vermisse die Zeit, als wir uns um nichts Sorgen machen mussten. Als die Vorstellung ans Küssen noch etwas Ekliges war und man zum Kuscheln nur ein Plüschtier oder eine weiche Decke brauchte. Eigentlich ist doch nur eines gleich geblieben: dass man geliebt werden will.
Am Abend haben wir es uns dann noch mit einem schön kitschigen Film gemütlich gemacht und heiße Schokolade getrunken. Ich bin mir sicher, dass ich in Karins Nähe irgendwann noch mal zum Mädchen mutiere. Die lässt mich manchmal Sachen machen, von denen ich hinterher niemandem erzählen kann, weil´s einfach zu peinlich wäre. Vor ein paar Monaten sollte ich ihr die Haare färben. Ich! Und ich muss ständig mit ihr shoppen gehen. Sie behauptet zwar immer, dass es ihr egal ist, ob ich schwul bin oder nicht, aber in Wirklichkeit manipuliert sie mich doch. Selbst wenn ich wollte, könnte ich wohl nie wieder hetero werden, denn dann müsste sie auf ihre beste „Freundin“ verzichten. Versteh einer die Frauen. Wenn Heteromänner eine Lesbe sehen, fangen sie an zu sabbern und wenn Heterofrauen einen Schwulen sehen, bekommen sie glänzende Augen und auf ihrer Stirn steht praktisch geschrieben: Darf ich den behalten?
Wir sind doch keine Schmusekätzchen! Na ja, zumindest nicht immer. Und schon gar nicht, wenn uns eine Frau dazu machen möchte.
„Weißt du, was ich glaube?“, fragt Karin auf einmal, während der Film noch läuft. Sehr verdächtig.
„Nein, aber ich weiß, dass es etwas ist, das du unbedingt loswerden musst. Also, spuck´s aus.“
„Ich befürchte, dass du mich dann rauswirfst.“
„Dann hättest du erst gar nicht damit anfangen sollen. Jetzt will ich es wissen.“ Noch so ein typisches Frauending. Erst etwas andeuten und dann einen Rückzieher machen.
„Ich denke du magst Maik. Vielleicht ein bisschen zu sehr.“
„Ich dachte, dass ich immer mit verschiedenen Kerlen schlafe, weil… wie war das noch gleich?“
„Deswegen bist du noch lange nicht immun gegen das Verlieben.“
„Ich bin nicht verliebt!“, sage ich empört. „Warum unterstellen mir das ständig alle?“
„Vielleicht, weil du eigentlich gar nicht der Typ für kurze Bettgeschichten bist? Du bist viel zu romantisch, um auf Dauer nur mit Sex auszukommen.“
„Das weiß ich ja wohl selber am besten.“
„Oder auch nicht“, meint sie.
„Und ob ich das tue. Und ich bin definitiv nicht in Maik verliebt und in Locki auch nicht und in Stephan schon gar nicht!“
„Du hast selber gesagt, dass es komisch war, als Maik bei dir war. Du hast total geschwärmt und bei der bloßen Erinnerung an ihn, angefangen zu grinsen. Und dein Gesicht, als er dich vorhin angesprochen hat, hättest du mal sehen sollen.“
„Das ist schwachsinnig. Du bist schwachsinnig.“
„Nein, ich sehe nur, was du in deinem Gefühlschaos scheinbar nicht siehst.“
„Ich bin nicht verliebt!“
„Okay, okay. Willst du mich jetzt rauswerfen?“
Ich sollte ernsthaft darüber nachdenken, oder?
„Nein, du darfst hier bleiben. Ausnahmsweise.“
„Oh, wie großzügig. Dann können wir ja morgen ausgehen, oder? Haben wir lange nicht gemacht und dann kannst du mir mal diesen Club zeigen.“
„Ja gut, können wir jetzt den Film weitergucken?“
Sie grinst.
Also ich bin der Meinung, dass ich heute richtig gut aussehe. Jetzt muss nur noch der richtige Typ auftauchen und mich genauso umwerfend finden wie Karin das scheinbar tut. Sie ist nämlich gerade dabei mich von allen Seiten zu fotografieren.
„Ich bin schon toll, oder?“, fragt sie nebenbei. Ja, sie war diejenige, die mich gestylt hat.
„Ja, sicher. Aber jeder gute Künstler ist auch auf eine gute Leinwand angewiesen.“
„Natürlich, Schatzi. Du bist auch toll. Vielleicht bemerkt das heute ja auch mal jemand.“
„Eigentlich glaube ich nicht daran, dass man den Richtigen in so einem Club findet. Das ist doch irgendwie als würde man in einem Elektrofachhandel Blumen kaufen wollen, oder?“
„Das hat dich bisher auch nicht gestört.“, meint sie. „Außerdem kann man ja nie wissen…“
„…wer einem über den Weg läuft.“, beende ich ihren Satz. „Ich weiß. Aber ich glaube trotzdem nicht daran.“
„Du alter, pessimistischer Stinkstiefel.“
Ich strecke ihr nur die Zunge raus und warte dann bis sie endlich mit ihrem Shooting fertig ist und wir aufbrechen können.
Karin ist von dem Club natürlich total begeistert, weil sie aus ihrem Heimatdorf nicht mal etwas annähernd Ähnliches gewohnt ist. Da gibt es nur diese langweiligen Stadtfeste und ab und zu mal so etwas wie eine Party in der alten Schützenhalle. Sie folgt mir jedenfalls mit strahlenden Augen und lässt sich neben mir auf eines der kleinen Sofas in der Nähe der Tanzfläche fallen. Wie schon bei meinen anderen Freunden werde selbstverständlich ich zum Getränkeholen verdonnert, aber glücklicherweise muss ich dieses Mal nur zwei Gläser tragen, so dass mir niemand seine Hilfe aufzwängen muss.
Der Abend ist eigentlich ziemlich entspannt. Wie schlürfen unsere Cocktails, tanzen ein bisschen, holen uns neue Getränke, albern rum und tanzen wieder. Obwohl man das schon irgendwann nicht mehr tanzen, sondern vielleicht eher rumstolpern nennen kann. Mir wird jedenfalls gerade schwindelig davon, also setze ich mich lieber hin, während Karin vor meinen Augen weiter munter übers Parkett hüpft. Ich schaue mich einfach nur ein bisschen um und muss leider feststellen, dass hier niemand an mir interessiert zu sein scheint. Alle sind zu zweit oder in größeren Gruppen hier und beachten mich nicht einmal. Echt deprimierend. Allerdings ist das hier ja auch kein reiner Schwulenclub, also könnte ich wahrscheinlich sowieso nicht davon ausgehen, dass jeder, der mich ansieht auch etwas von mir will. Mit Maik hatte ich da wohl mal richtig Glück.
Ich schließe meine Augen für einen Moment, um das grelle, blinkende Licht nicht mehr sehen zu müssen. Das funktioniert allerdings nicht, also öffne ich sie wieder. Karin tanzt immer noch und beachtet mich genauso wenig wie alle anderen. Als ich merke wie sich neben mir etwas bewegt, drehe ich mich zur Seite und blinzle ungläubig.
„Ich schätze das war ein Drink zu viel für dich.“, sagt Maik und grinst mich aus seinen dunklen Augen an. Er bemerkt den Schal um meinen Hals und wickelt ihn um seine Finger. Ich sehe ihm sprachlos dabei zu. „Der steht dir wirklich sehr gut.“ Er zieht ein wenig daran, bis seine Haare mein Gesicht kitzeln und scheint auf etwas zu warten. Seine Augen bohren sich geradezu in meine und seine leicht geöffneten Lippen sind so nah, dass ich mich eigentlich nur ein Stückchen nach vorn lehnen müsste.
„Dann eben nicht.“, sagt er und zwinkert mir zu, bevor er aufsteht und mich allein lässt. Ich sehe ihm verdutzt hinterher und kann mich gerade noch davon abhalten, ihn zurück zu rufen. Wenig später setzte sich Karin neben mich und sofort ist auch wieder meine Stimme da.
„Hast du das gesehen?“, frage ich sie.
„Was?“
Sie hat es also nicht gesehen. Ich frage mich, ob ich es überhaupt gesehen habe oder ob das alles nur in meinem Kopf stattgefunden hat. Jedenfalls werde ich den Teufel tun und Karin davon erzählen. Dann würde sie nur wieder behaupten, dass ich verliebt bin.
„Ich glaub ich hab zu viel getrunken.“, sage ich wahrheitsgemäß.
„Das glaube ich auch. Du verträgst eben nichts.“
„Und mir ist schwindelig.“ Das entspricht ebenfalls der Wahrheit.
„Dann solltest du wohl schnell nach Hause gehen, bevor hier jemand auf die Idee kommt diese Tatsache auszunutzen.“
„Vielleicht will ich das ja.“
„Nein, das willst du nicht. Jedenfalls nicht, solange dein Bett noch zur Hälfte für mich reserviert ist.“
Wir verlassen also den Club und ich schaue mich noch mal kurz um. Aber ich kann Maik nirgends entdecken. Dafür bleibt mein Blick an einer anderen Stelle hängen. Am anderen Ende der Tanzfläche sehe ich Locken. Niedliche, blonde Locken. Karin zerrt an meinem Arm, aber ich bleibe wie angewurzelt stehen.
„Was ist denn jetzt wieder?“, fragt sie leicht angesäuert.
„Da ist Locki.“
Sie stöhnt und unternimmt noch einen Versuch, mich endgültig aus dem Club zu ziehen, aber das hilft alles nichts. Wenn ich ihn mir jetzt nicht schnappe, bekomme ich vielleicht nie wieder die Chance.
„Okay…“, sagt Karin resignierend. „gibst du mir wenigstens deinen Schlüssel, damit ich in die Wohnung kann?“
Ich werfe ihr stumm den Schlüsselbund zu und kämpfe mich dann zurück auf die Tanzfläche. Locki hat es sich währenddessen an der Bar gemütlich gemacht, also setze ich mich einfach neben ihn. Er dreht sich zu mir um und schaut mich etwas verwirrt an. Auf seiner Stirn glitzern noch ein paar kleine Schweißtropfen und seine Wangen sind ein bisschen rot. Süß.
„Warst du das nicht neulich auf diesem Stadtfest?“, fragt er.
„Ja. Und du bist der, der sich einfach aus dem Staub gemacht hat.“
Jetzt grinst er. „Ich wollte mich nicht mit deiner Freundin anlegen.“
„Zu recht, aber sie ist gar nicht meine Freundin.“
„Möchtest du einen Cocktail?“
„Nee, von denen hatte ich heute schon genug.“
„Du meinst also, ich hätte mich nicht aus dem Staub machen sollen?“, fragt er.
„Ja, das war echt schade.“
„Na gut, ich werd´s nicht wieder tun.“, sagt er, nickt Richtung Ausgang und steht auf. Ich folge ihm, verliere ihn allerdings aus den Augen, während ich mich durch die tanzende Menge quetsche. Zu dieser Uhrzeit sollte man am besten nur an einem Fleck stehen bleiben. Als ich frische Luft schnuppern kann, schaue ich mich um und werde, sobald ich einen Fuß ins Freie gesetzt habe, am Arm gepackt und in die nächste dunkle Ecke gezogen. Ich kann absolut nichts sehen in dieser Finsternis, aber ich spüre ganz deutlich zwei Hände an meinen Schultern und gierige Lippen auf meinem Mund. Ich taste mit meinen Händen herum, bis ich weiche lockige Haare zwischen meinen Fingern fühlen kann. Man muss ja sicher gehen, dass man nicht von irgendjemandem geküsst wird.
Die Wand hinter mir ist ziemlich kalt. Das merke ich, als er mit seinen Händen unter meine Jacke und mein Shirt schlüpft und mein Rücken dadurch an den nackten Stein gedrückt wird. Ich zucke etwas zusammen und höre kurz darauf seine Stimme an meinem Ohr. „Möchtest du lieber woanders hingehen?“ Seine Lippen berühren jetzt meinen Hals und seine Finger versuchen meinen Schal zu lösen.
Auf einmal sehe ich Maik vor mir und bin sofort wie erstarrt. Ich schüttele meinen Kopf, um sein Gesicht loszuwerden, aber es scheint da irgendwie zu kleben. Sein selbstbewusstes Grinsen, die dunklen Augen und die verführerischen Lippen, die ich vorhin so gerne geküsst hätte.
Was soll das denn jetzt? Ich will nicht Maik küssen, sondern Locki. Also antworte ich, dass ich gerne woanders hingehen würde.
„Okay.“
Seine Hand greift nach meiner und führt mich aus der Dunkelheit auf die Straße zurück. Dann lässt er mich wieder los und steckt seine Hände stattdessen in seine Hosentaschen. Als wir am Eingang des Clubs vorbeigehen, kann ich kurz ein Gesicht erkennen und bleibe sofort stehen. Schon wieder. Ist dieser Kerl denn überall? Aber als ich ein zweites Mal hinsehen will, ist er verschwunden.
„Was ist denn nun?“, fragt Locki.
Ich sehe ihn an und frage mich auf einmal selber, was denn eigentlich los ist. Er kommt mir plötzlich gar nicht mehr so niedlich vor und ich hab auch nicht das Bedürfnis, ihn nach Hause zu begleiten. Da stimmt einfach irgendwas nicht. Es ist nicht so wie ich es will. Ich will ihn nicht. Aus welchem Grund auch immer.
„Sorry, aber… ich kann nicht“, sage ich und verschwinde so schnell wie möglich.
„Na toll!“, hör ich Locki hinter mir schnaufen, aber das ist mir jetzt auch egal. Ich laufe nach Hause, ohne mich auch nur noch einmal umzudrehen.
Karin kommt gerade aus dem Bad, als ich die Wohnungstür aufschließe und sieht etwas verwirrt aus.
„Ich weiß ja, dass ich lange im Bad brauche, aber so lange doch auch wieder nicht. Was ist? Wollte er nicht?“
Oh Shit! Was sag ich ihr nur? Ich kann ihr nicht sagen, dass ich Locki einfach hab stehen lassen, sonst lässt sie sich nie wieder von dem Gedanken abbringen, dass ich doch in Maik verliebt bin. Was ich natürlich nicht bin. Ich war nur verwirrt, weil er überall aufgetaucht ist und außerdem war Locki irgendwie merkwürdig. Das war mir alles zu schnell und auch zu lieblos. Ja, ich weiß, so was hat nie besonders viel mit Liebe zu tun, aber bei Locki hab ich mich echt wie so ein Wegwerfgegenstand gefühlt. Sogar Ole hat da mehr Gefühl gezeigt. Ist eigentlich ein Wunder, dass Locki mich überhaupt geküsst hat.
„Hallo?“, fragt Karin ungeduldig.
„Äh ja, nee… ist nichts draus geworden.“ Das ist sogar eigentlich die Wahrheit.
„Na, wie schade.“
„Das hört sich ja sehr mitfühlend an“, finde ich.
„Du hattest ja auch nicht besonders viel Mitleid mit mir, als ich allein mitten in der Nacht durch eine Großstadt voller Verrückter laufen musste, weil du mal wieder etwas triebgesteuert warst.“
„Okay, tut mir leid, das war nicht besonders nett von mir und es wird nicht wieder vorkommen.“
„Na, das wollen wir ja mal sehen. Ich gehe jetzt jedenfalls ins Bett. Und du?“
„Ja, ich auch.“
Ich gehe noch kurz ins Bad und quetsche mich dann neben Karins ins Bett.
„Aber nicht, dass du vor lauter Enttäuschung wegen Locki jetzt auf komische Gedanken kommst.“, sagt sie und zwinkert mir zu.
„Haha, du warst aber auch schon mal lustiger.“
„Gute Nacht, Schatzi.“
„Gute Nacht, Nervensäge.“
Sie grinst und dreht mir dann den Rücken zu. Ich liege noch eine Ewigkeit wach und weiß nicht genau warum. Ich meine, ich weiß, dass es mit dieser Nacht zu tun hat, verstehe aber nicht, was diese Nacht so verrückt gemacht hat. Ich wollte Maik küssen, das steht fest, aber ich hab es nicht getan. Und ich wollte mit Locki schlafen, aber das hab ich auch nicht getan. Hat Karin etwa Recht und ich weiß wirklich nicht, was ich will? Sieht ganz so aus.
Aber was ich ja noch viel merkwürdiger finde, ist, dass Maik sich schon wieder an mich rangemacht hat. Wollte er mich verarschen? Immerhin hätte er mich ja selber küssen können, wenn er es unbedingt gewollt hätte. Oder hat er es ernst gemeint und wollte mich nur nicht überrumpeln? Und dann ständig das mit dem Schal. Kein Wunder, dass ich an ihn gedacht habe, als Locki mir den Schal abnehmen wollte. Das ist ja reinster Terror. Mein Herz schlägt immer noch ganz unruhig. Schneller und so kräftig, dass ich die Bewegung deutlich an meinem Shirt sehen kann.
Ich wälze mich noch eine Weile hin und her und rechne schon fast damit, dass Karin sich über meine Unruhe beschwert, aber wenigstens sie scheint heute Nacht gut schlafen zu können.
Ich wache für meine Verhältnisse schon sehr früh auf und fühle mich total unausgeschlafen. Ich kann mich an keinen Traum erinnern, aber ich hab das Gefühl als hätte ich die ganze Nacht nichts anderes getan als nachzudenken. Ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Mein Kopf tut weh, also lasse ich erst mal frische Luft in dieses stickige Zimmer und mache mir dann einen Kaffee. Gedankenverloren rühre ich darin herum, bis er schon wieder kalt ist und Karin in die Küche geschlurft kommt.
„Du siehst genauso unausgeschlafen aus wie ich mich fühle“, sagt sie träge und nimmt einen Schluck von meinem Kaffee. „Igitt, der ist ja kalt.“
„Kannst dir noch einen frischen einschenken. Ist genug da.“
Das tut sie dann auch. „Sag mal, was hat dich denn heute Nacht verfolgt? Du warst total unruhig. Ist echt unmöglich neben dir zu schlafen.“
„Weiß auch nicht.“
Sie sieht mich herausfordernd an. Mit dem ich-weiß-es-aber-Blick.
„Gib es doch endlich zu, Schatzi.“
„Was?“
„Dass dir irgendjemand den Kopf verdreht hat.“
Ich stehe auf und schütte meinen kalten Kaffee in die Spüle. Dann gehe ich ins Bad um zu duschen.
„Ich kenne die Symptome dafür und du hast sie alle. Ich bin deine beste Freundin, mir kannst du nichts vormachen.“, ruft sie mir nach.
„So ein Schwachsinn.“, nuschel ich vor mich hin, während ich mich ausziehe.
Das Wasser ist angenehm warm auf meiner Haut und fast so weich als würde jemand mit zarten Händen über meinen Körper streichen. Oder als würden feine Haarspitzen die Haut kitzeln. Schwarze Haare. Ohne Locken. Ganz glatt. Ich kann sie sehen, genau wie die dunklen Augen, die zwischen ihnen aufblitzen. Ich will schon meine Hand ausstrecken, als ich plötzlich aus meinem Tagtraum aufwache und so schnell wie möglich die Dusche abstelle. Ich schnappe mir das Handtuch und rubbel so kräftig wie möglich über meine Haare. Nein, sage ich zu mir selber. Ich lasse mir das nicht einreden. Auch nicht von Karin.
Ich schlüpfe in meine Hose und mein T-Shirt und gehe zurück in die Küche. Karin sitzt immer noch am Tisch und isst einen Joghurt.
„Na, wieder klar im Kopf?“, fragt sie stichelig.
„Allerdings. Ich werd mich jetzt an meine Hausarbeit machen. Wir haben morgen ein Gruppentreffen. Willst du noch bleiben? Du kannst hier auch lernen.“
„Nein, ich fahr wieder nach Hause.“
„Okay.“
„Kommt Stephan auch?“
„Ich hoffe. Wir wollen die ganze Arbeit ja nicht alleine machen.“
„Und? Wirst du mit ihm reden?“, fragt sie.
„Wenn er mich lässt, ja.“
„Und was willst du ihm sagen?“
„Wird das hier ein Verhör?“, frage ich misstrauisch.
„Nein. Ich fahre jetzt.“
Eine viertel Stunde später ist sie verschwunden und ich hab meine Wohnung wieder für mich. Eine leere, stille Wohnung, die mir aus allen Ecken merkwürdige Dinge zuflüstert. Da hätte Karin ja auch gleich dableiben können, denke ich ernüchtert. Super!
Am nächsten Tag fahre ich etwas nervös zur Uni. Ich weiß nicht, ob Stephan da sein wird und auch nicht wie ich in dem Fall mit ihm umgehen soll. Soll ich so tun, als wäre nichts gewesen oder soll ich wirklich versuchen mit ihm zu reden? Vielleicht wäre es besser, wenn er den Anfang macht, immerhin ist es für ihn wohl wesentlich unangenehmer als für mich. Und offiziell weiß ich ja sowieso noch nichts. Er wird sich bestimmt denken können, dass ich mir meine Gedanken gemacht habe und auch nur auf den einen Schluss kommen konnte, aber es wäre ihm mit Sicherheit peinlich, wenn ich ihn sofort darauf ansprechen würde. Ich hoffe aber, dass er da sein wird, damit wird das aus der Welt schaffen können. Hoffentlich gibt das keinen riesen Aufstand.
Wir treffen uns wie immer in der Bibliothek, weil man da einfach die beste Arbeitsatmosphäre hat. Die beiden Mädels sind schon da und unterhalten sich fröhlich. Als sie mich bemerken, winken sie mir zu und ich setze mich zu ihnen.
„Hey Mika, wie geht´s dir?“, fragt Kim.
„Na ja, geht schon. Karin war übers Wochenende bei mir.“
„Wir hätten doch zusammen was machen können. Wir haben sie auch lange nicht mehr gesehen.“, sagt Lara etwas beleidigt. Sie und Kim haben sich wirklich immer sehr gut mit Karin verstanden und versuchen seitdem auch immer alles zu analysieren, was ich tue. Aber so gut wie meine beste Freundin ist da wirklich niemand.
„Habt ihr euch gestritten?“, fragt Kim ungläubig.
„Nein.“
„Warum bist du dann so schlecht drauf?“
„Ist nicht so wichtig. Ich bin mir im Moment nur nicht unbedingt sicher, was ich eigentlich will.“, gebe ich zu.
„Ach so.“
„Aber egal. Wisst ihr, ob Stephan heute kommt. Ich konnte ihn immer noch nicht erreichen und würde diese Sache gerne klären.“
„Er hat zumindest nicht abgesagt.“, sagt Lara. „Aber Heiko ist ja auch noch nicht da, wahrscheinlich wird sich Stephan am ehesten bei ihm gemeldet haben.“
„Das wird schon gut gehen“, meint Kim. „er lässt sich eigentlich von nichts so lange runterziehen und er weiß ja immerhin auch, dass er sich keine Hoffnungen machen sollte, oder?“
„Das hoffe ich doch. Das würde mir echt noch fehlen, wenn er mir hinterher laufen würde.“
„Wir werden sehen.“
Ein bisschen mulmig war mir zwar immer noch, aber eigentlich haben die Mädels Recht damit, dass Stephan sich nicht so leicht runterziehen lässt. Jetzt muss ich also nur noch warten, bis er auftaucht und es mir selber sagt.
Etwa fünf Minuten später ist es dann soweit. Heiko und Stephan kommen zusammen und setzen sich zu uns an den Tisch.
„Hallo Mädels… hallo Mika“, sagt Stephan, ohne jemanden anzusehen.
„Hi“, kommt es von uns dreien gleichzeitig und ich bin froh, dass mein Gruß darin etwas untergeht.
„Ich bin dafür, dass wir gleich anfangen“, meint Heiko. „Wir müssen ja auch mal fertig werden.“
Stephans und meine Blicke treffen sich und genauso schnell schauen wir auch wieder weg. Sehr entspannt, wirklich. Wie soll man sich da konzentrieren? Heiko scheint allerdings wirklich schnell fertig werden zu wollen und sorgt dafür, dass wir uns alle tatsächlich nur auf die Arbeit konzentrieren. Die Mädels sind am Ende etwas genervt, weil er sie ständig unterbrochen hat, wenn sie angefangen haben zu tuscheln. Wir sind aber wirklich fertig geworden und sind alle erleichtert, dass wir eine Last weniger auf den Schultern haben.
Kim und Lara haben jetzt scheinbar etwas nachzuholen und verschwinden kichernd, nachdem sie sich von uns verabschiedet haben. Heiko schaut argwöhnisch zwischen Stephan und mir hin und her und beschließt dann scheinbar, dass er uns allein lassen kann.
„Bis bald“, verabschiedet er sich und lässt Stephan und mich und die dicke Luft zwischen uns zurück.
Es ist echt merkwürdig, dass man sich gerade mit Stephan auf einmal so unwohl fühlen kann. Er war sonst immer der fröhliche Wirbelwind und jetzt steht er schweigend neben mir und kramt in seinem Rucksack. Ich weiß nicht, ob ich ihn ansprechen oder einfach gehen soll. Wie es aussieht, will er mir nichts sagen. Was soll ich also noch hier?
„Mika, warte mal“, sagt er schließlich doch, als ich gerade aufstehen und gehen wollte. „Ich wollte das nicht. Das ist einfach so passiert.“
„Du kannst ja nichts dafür.“
„Ich weiß selber nicht warum… also, ich meine… ich weiß ja, dass das nichts bringt. Ich hab nur… es war so komisch, dich mit diesem Kerl zu sehen. Und wie du ihn angesehen hast…“
Oh nein, bitte nicht auch noch er. Bitte nicht noch jemand, der denkt, dass ich in Maik verliebt bin. Das kann doch nicht wahr sein.
„Ich will aber auch nicht, dass es jetzt immer so ist wie heute. Ich werd das vergessen.“
Ich sehe ihn misstrauisch an.
„Ich kann das“, sagt er daraufhin. „Aber guck mich nicht so an, damit machst du´s nicht leichter.“
Da wird´s mir doch glatt ein bisschen heiß im Gesicht und er lacht.
„Wenn dir das schon peinlich ist, was soll ich denn dann sagen? Das war echt nicht geplant. Und dann auch noch du.“
„Was soll das denn heißen?“
„Na ja, du weißt ja offensichtlich selber nicht, was du willst. Heiko hat mir alles erzählt. Selbst wenn ich ne Chance hätte, könnte ich ja nie sicher sein, ob du es dir nicht sofort wieder anders überlegst.“
„Das ist ja Schwachsinn“, sage ich empört.
„Dann weißt du also doch, was du willst?“, fragt er mit einem viel zu frechen Grinsen im Gesicht. Und überhaupt… müsste er nicht eigentlich eifersüchtig sein, wenn er mir sowas unterstellt?
„In dem Fall weiß ich zumindest, was ich NICHT will.“
„Na dann hab ich ja vielleicht doch noch ne Chance.“
„Träum weiter“, sage ich, werfe mir meinen Rucksack über die Schulter und mache mich auf den Weg nach Hause. Wenigstens ist Stephan wieder ganz der Alte.
Okay, ich hab also das Gespräch mit Stephan hinter mir. Ich bin froh, dass es so gelaufen ist und nicht so verkrampft wie ich vermutet hatte. Aber es hat mir mal wieder bewiesen, dass meine Freunde mich alle nicht so gut kennen wie ich mal dachte. Maik… pah… ich hab von ihm schließlich schon das bekommen, was ich wollte. Mag ja sein, dass ich ihn vorher etwas auffällig angesehen habe, aber jetzt hab ich ja keinen Grund mehr dafür. Ich hoffe nur, dass er mich nicht ein Leben lang verfolgen und immer überall auftauchen wird. Wer weiß, was ich mir sonst noch alles anhören muss. Und genauso hoffe ich auch, dass ich Locki – dessen Namen ich immer noch nicht weiß – nicht noch mal über den Weg laufen muss. Das könnte sehr unangenehm werden, aber vielleicht würde er auch eher einen riesen Bogen um mich machen. Jedenfalls hab ich im Moment nicht wirklich Lust einen Fuß in diesen verfluchten Club zu setzen.
Ich muss sowieso erst mal dafür sorgen, dass ich wieder einen vollen Kühlschrank habe. Da herrscht nämlich gerade gähnende Leere. Und danach werd ich mal wieder staubsaugen müssen und mein Bett neu beziehen. Tja, das sind eben die Nachteile einer eigenen Wohnung. Aber immer noch besser als sich ständig das Leben von denen verpfuschen zu lassen, die erst dafür gesorgt haben, dass es mich überhaupt gibt.
Ich ziehe mich also schnell an und verlasse meine Wohnung, nachdem ich noch einen prüfenden Blick in den Spiegel geworfen habe. Ich sah echt schon mal besser aus. Meine Haare machen, was sie wollen. Vor allem nachts. Und es regnet auch noch. So ein ekliger Sprühregen, der einen nicht ganz nass macht, sondern nur so leicht anfeuchtet, dass man möglichst beschissen aussieht. Also noch mehr als vorher schon. Aber egal. Ich will ja nur schnell in den Supermarkt und dann so schnell wie möglich wieder nach Hause.
Es ist mitten in der Woche und dank dieses Schmuddelwetters ist die Stadt ziemlich leer. Immerhin muss ich dann nicht ewig anstehen und mich auch nicht in einen vollgestopften Bus quetschen. Das Tütenschleppen macht bei dem Regen allerdings noch weniger Spaß als sonst. Frustriert schleiche ich durch die Straßen und hoffe, dass mir der Bus nicht vor der Nase wegfährt.
Aber genau so kommt es natürlich doch. Ich biege gerade um die Ecke, da fährt dieses blöde Ding einfach weg.
„Scheiße“, fluche ich und schmeiße die Tüten und mich auf die kleine Bank. In zwanzig Minuten kommt erst der nächste Bus, aber immerhin hab ich hier ein Dach überm Kopf.
„Hey“, sagt jemand neben mir. „Schlechte Laune?“
Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um zu sehen, wer da steht. Maik natürlich. Wer auch sonst?! Aber er sieht gar nicht so fröhlich aus wie sonst immer. Kein Grinsen. Er sieht mich nicht mal an.
„Geht so“, antworte ich matt. „Du warst aber auch schon mal besser drauf.“
„Man kann es sich eben nicht aussuchen.“
„Was?“
„Wie das Leben so läuft.“
Hat der heute seinen sentimentalen Tag?
„So wie neulich Abend?“, frage ich.
„Ja, zum Beispiel.“ Jetzt huscht doch ein kleines Lächeln über sein Gesicht und ich schaue lieber schnell weg.
„Was sollte das?“
„Ich fand die Situation sehr einladend.“
„Ich war betrunken“, sage ich empört.
„Ja und das sah echt niedlich aus. Und dann noch dieser Schal…“
„Kann es sein, dass du da einen Fetisch hast?“
Er lacht und setzt sich neben mich auf die Bank. „Nein, eigentlich nicht.“
Ich rutsche lieber noch ein Stück von ihm weg und sehe vorsorglich auf den Boden.
„Und warum…?“, fange ich an und traue mich dann doch nicht, ihn zu fragen.
„Weil du nicht wolltest.“
Jetzt muss ich ihn doch ansehen. Und er sieht mich auch an. Bei diesem Wetter wirken seine Augen noch dunkler.
„Oder doch?“, fragt er etwas zu ernst für meinen Geschmack. Was soll das denn werden? Bilde ich mir das nur ein oder kommt er immer näher?
„Nein“, sage ich schnell.
„Du bist ein schlechter Lügner.“
Er streckt eine Hand aus, aber ich fange sie ab, bevor sie mich berühren kann. Mir wird etwas flau im Magen. Nur gut, dass ich den Schal heute nicht um habe. Das scheint ihn allerdings nicht zu stören. Er schlüpft mit seinen Finger zwischen meine und lässt seine Augen über mein Gesicht streifen.
„Auf jeden Fall weiß ich, dass du es jetzt willst.“
„Nein.“
„Tja, ich weiß es besser“, sagt er überheblich.
„Du spinnst.“
„Und warum wehrst du dich dann nie?“
Mein Blick fällt auf unsere Hände und ich versuche sofort meine zu befreien, aber Maik hält sie fest.
„Das zählt nicht.“
Shit, er hat recht. Ich will mich eigentlich gar nicht dagegen wehren. Ich kann mich sogar nur sehr schwer davon abhalten, ihn auf der Stelle zu küssen. Aber irgendetwas sagt mir, dass ich es nicht tun darf. Allerdings ist sein Gesicht jetzt so nahe, dass ich wieder erkennen kann, dass seine Augen braun, nicht schwarz sind. Ein paar von seinen Haarsträhnen hängen davor und ich kann mir nur allzu gut vorstellen, wie sie die Haut auf seinen Wangen kitzeln.
Während ich ihn ansehe, verzieht sich sein Mund zu dem typischen Lächeln, das mich immer total schwach macht. Es sagt mir, dass er mich durchschaut hat und ich mich nicht mehr rausreden kann. Es so nahe zu sehen, ist sogar noch verführerischer.
„Weißt du was?“, fragt er und zwingt mich damit, wieder in seine Augen zu sehen. „Es ist nicht schlimm, das zu wollen.“
Er streckt jetzt auch seine andere Hand aus und streift damit durch meine nassen Haare, ohne dass ich ihn davon abhalte. Sein Lächeln ist jetzt ein breites Grinsen.
„Ich mag das Rot.“
Dann lehnt er sich endgültig zu mir rüber und überwindet damit das letzte Stückchen leeren Raum zwischen uns. Seine Lippen auf meinen fühlen sich genauso an wie ich es in Erinnerung hatte. Einfach perfekt. Als gehörten sie da hin. Unsere Hände halten sich immer noch fest und das nutze ich jetzt aus, um Maik auf meinen Schoß zu ziehen. Er lässt es zu und schmiegt sich an mich. Seine Hände liegen jetzt an beiden Seiten an meinem Gesicht und meine auf seinem Rücken. Ich schwöre, wenn es nicht mitten am Tag und die Bank nur ein wenig größer gewesen wäre…
Plötzlich brummt und quietscht und zischt es neben uns und eine belustigte Frauenstimme ruft: „Was ist Jungs? Wollt ihr nun mit?“
Ich brauche erst mal ein paar Sekunden, um zu erkennen, dass wir immer noch in diesem kleinen Bushäuschen sitzen und der Bus gerade am Straßenrand gehalten hat. Dann wird mir auch die peinliche Situation bewusst und ich schiebe Maik von mir weg, um aufstehen zu können. Als ich nach einer der Einkaufstüten greife, hat Maik bereits die andere in der Hand.
„Was…?“, versuche ich eine Frage zu formulieren.
„Na, ich komme mit.“
Und schon ist er in den Bus gestiegen und hat sich hingesetzt. Ich folge ihm und lasse mich neben ihn auf die Sitzbank plumpsen. Unter den neugierigen Blicken der anderen Mitfahrer natürlich. Probleme mit spontanen Entscheidungen hat er wohl nicht, denke ich und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Maik greift unauffällig nach meiner Hand und steckt sie wieder mit seiner zusammen in seine Jackentasche. Wie schon beim letzten Mal jagt das so viele kleine Stromstöße durch meinen Körper, dass es mir fast ein bisschen Angst macht.
Der Bus zischt wieder und fährt mit einem Ruck los.
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