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Manu und ich
Teil 4
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Informationen
- Story: Manu und ich
- Autor: Ike
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Niedergeschlagen und reichlich wütend laufe ich nach Hause, ohne mich von den anderen zu verabschieden, und knalle die Tür zu meinem Zimmer zu. Nicht, dass das jemand hören würde. Meine Eltern sind irgendwo bei Freunden eingeladen.
Ich schnappe mir das Kissen von meinem Bett und werfe es zuerst auf den Boden und dann gegen die Tür. Am liebsten würde ich es ganz auseinander nehmen, aber das bringt ja auch nichts und ich müsste das später meiner Mutter erklären. Deshalb bekommt es nur noch einen kräftigen Tritt und landet in der Ecke.
Verdammte Scheiße! Dieser Feigling! Ich habŽs so satt mich ständig wegen ihm aufzuregen. Soll er doch endlich sagen, was eigentlich los ist! Ist es wirklich so schlimm, in mich verliebt zu sein? Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass er es ist. Dieses "Ich kann das nicht" war doch schon ne halbe Liebeserklärung, warum dann keine ganze? Ich verstehe das einfach nicht. Hatte er denn in den letzten Jahren nicht genug Zeit sich damit abzufinden, dass er schwul ist? Der macht sich das Leben doch nur unnötig schwer. Er muss es ja nicht gleich in der Öffentlichkeit herumposaunen. Man könnte doch langsam anfangen, aber das ist es ihm scheinbar nicht wert. Dann lieber gar nicht oder wie? Für mich ist hier jedenfalls Schluss. Ich werde ihm nicht mehr nachlaufen und mir ständig Sorgen machen, wo er steckt. Wenn er es nicht alleine schnallt, hat er Pech gehabt. So.
"Hey! Du willst doch nicht etwa einschlafen?"
"Nee", gähnt Benni und legt beide Arme um mich. "Obwohl du so schön kuschelig bist."
"Warum warst du eigentlich schon so früh auf? Du hättest doch schön ausschlafen können."
"Keine Ahnung. Ich war nicht mehr müde."
"Schwer vorstellbar, aber trotzdem gut. Sonst hätte ich dich wecken müssen. Ich bin so gespannt auf den Artikel morgen."
"Darfst du dann jetzt öfter was schreiben oder wirst du wieder an den Kopierer verbannt?"
"Weiß ich auch noch nicht. Wird sich zeigen, denke ich."
"Ich bin jedenfalls ganz doll stolz auf dich", sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
"Danke."
Den restlichen Tag verbringen wir fast ausschließlich auf der Couch im Wohnzimmer. Essen, kuscheln und fernsehen sind eine willkommene Abwechslung nach dem ganzen Stress der letzten Tage. Aber es hat trotzdem auch irgendwie Spaß gemacht. Das ist genau das, was ich machen will. Ich bin froh, dass ich mich nach der ersten Bewährungsprobe immer noch wohl mit dieser Arbeit fühle. Hätte ja genauso gut sein können, dass ich sage "Um Gottes Willen, alles bloß das nicht!". Keine Ahnung, was ich dann gemacht hätte.
Und ich bin froh, dass ich Benni hab. Mal wieder. Ohne jemanden, dem man immer alles erzählen kann und der sich mit einem freut, wäre das alles doch ziemlich langweilig. Aber so ist immer, oder meistens, jemand da, wenn ich nach Hause komme und damit passt irgendwie alles zusammen. Man könnte sagen, dass es gerade nicht besser laufen könnte.
Früh am Morgen rase ich zum Briefkasten und ziehe die Zeitung heraus. Dann laufe ich aufgeregt zurück in die Küche, in der auch Benni sitzt. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, mir Gesellschaft zu leisten, obwohl er ja eigentlich frei hat.
Ungeduldig lege ich alles beiseite, was ich nicht brauche und breite die Zeitung auf dem Tisch aus.
"Da ist er", quietsche ich und greife nach Bennis Pulloverärmel.
"Ist ja gut", sagte er und beginnt zu lesen. "Homophober Angriff auf einen Jugendlichen. Am vergangenen Samstag kam es in der Innenstadt zu einer Schlägerei. Eine Gruppe Jugendlicher hatte sich an ihrem üblichen Treffpunkt in der Fußgängerzone versammelt, sie unterhielten sich und zwei von ihnen tanzten zur Musik aus dem CD-Spieler. Nichts Ungewöhnliches, könnte man meinen. Tatsache ist allerdings: Sie sind alle homosexuell und das ist in unserer heutigen Gesellschaft noch immer ein Tabu-Thema, das die Gemüter auf der ganzen Welt erhitzt. Tanzen zwei Jungen in der Öffentlichkeit miteinander, ernten sie nicht selten feindselige Blicke. So war es auch in dem Fall von Martin S. und seinem Freund. "Einige Leute gucken mal komisch und tuscheln, aber uns hat noch nie irgendjemand angegriffen", sagt er unter Schmerzen im Interview. "Warum auch?" Eskaliert ist die Situation aufgrund eines Passanten, der sich von dem Anblick gestört fühlte. Er beschimpfte die Jugendlichen und ließ ihnen nicht einmal die Zeit, Stellung zu nehmen. Martin wurde mit mehreren gebrochenen Rippen und einer ausgekugelten Schulter ins Krankenhaus eingeliefert und verpasst aufgrund dieses Vorfalls seine Vorabitur-Prüfungen. Sein Freund brach dem Angreifer die Nase. Welche Konsequenzen den Mann erwarten, bleibt bis zur gerichtlichen Verhandlung offen."
Benni legt die Zeitung beiseite und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. "Wow. Und wie ist es für dich, deinen Artikel in der Zeitung zu lesen?"
"Aufregend und irgendwie unheimlich, aber sehr geil!"
"Wie schade, dass du nicht auch frei hast", sagt er und drückt mich an sich.
"Jetzt lass mich schon los, sonst komme ich zu spät."
"Okay, bis nachher. Ich liebe dich."
Ich ziehe mir die Schuhe an und werfe ihm zum Abschied eine Kusshand zu, dann verlasse ich die Wohnung mit einem breiten Grinsen. Unglaublich. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so aufwühlen würde. Aber es ist einfach ... der Wahnsinn.
Vom einem bis zum anderen Ohr strahlend betrete ich die Redaktion und werde von allen freundlich begrüßt. Mein Chef klopft mir auf die Schulter und macht mir unmissverständlich klar, dass ich gerne mal wieder einen Artikel schreiben darf, wenn ich denn möchte. Da sage ich natürlich nicht nein und bin innerlich auch verdammt stolz auf mich selber.
"Da ist übrigens jemand, der nach Ihnen gefragt hat. Er wartet dort drüben."
Bestimmt Martin, denke ich, weil mir sonst niemand einfällt, der extra hierher kommen würde und sich offensichtlich für meinen Artikel interessiert. Es ist allerdings nicht Martin. Ich muss erst ein zweites Mal hinsehen, um mich zu vergewissern, dass dieser Jemand tatsächlich da steht und mich anlächelt. Ich bin so verwirrt, dass ich ganz vergesse wie wir das letzte Mal auseinander gegangen sind. Ich war unheimlich wütend und hätte ihn am liebsten zerhackstückt. In den letzten Wochen hatte ich kaum mehr an ihn gedacht und jetzt steht er wieder hier? Langsam werde ich ein wenig sauer und erinnere mich wieder genau an alles. Vor allem an viele Tränen.
"Hey, Manu", sagt Patrick fast ein wenig schüchtern und kommt einen Schritt auf mich zu. Ich weiche automatisch etwas zurück, woraufhin das Lächeln aus seinem Gesicht verschwindet.
"Ich habe deinen Artikel gelesen und dachte, dass diese Redaktion wohl die einzige Möglichkeit ist, dich zu finden. Nachdem du aus der Wohnung ausgezogen bist, hatte ich keine Ahnung wo du dich aufhältst, dabei wollte ich dir doch sagen, dass es mir leid tut."
"Du willst mir weismachen, dass du zwei Jahre lang darauf gewartet hast, dich bei mir zu entschuldigen?"
"Ich konnte dich ja nie finden."
"Du kannst dir deine Ausreden sparen. Es ist mir reichlich egal, was du mir sagen willst. Dafür ist es eindeutig zu spät und es ändert auch nichts mehr."
Sein Blick senkt sich, doch dann scheint er etwas Bestimmtes gesehen zu haben und grinst mich auf einmal wieder an. "Du trägst das Armband ja immer noch."
Scheiße, denke ich und verberge meine Hand hinterm Rücken.
"Na und? Es gefällt mir eben."
"Manu, es tut mir leid wie es damals gelaufen ist. Ich wusste nicht, was ich an dir hab."
"Das hab ich gemerkt. Schön, dass dir das aufgefallen ist, aber du musst jetzt gehen. Ich muss arbeiten und ohnehin lege ich nicht sehr viel Wert darauf, mich mit dir zu unterhalten. Das Ganze ist zwei Jahre her und ich war gerade dabei, es zu vergessen. Lass mich einfach in Ruhe."
Ich drehe mich um und gehe zu meinem Schreibtisch, doch er folgt mir.
"Was willst du noch? Du warst doch derjenige, dem ich nicht genug war."
"Ich liebe dich noch, Manu. Ich möchte dich wiederhaben."
"Ich bin doch kein Möbelstück. Man kann mich nicht besitzen. Und wenn, dann wäre das Benni.", sage ich wohl etwas laut, denn einige Augenpaare ruhen auf einmal auf uns.
"Du hast einen Freund?", fragt Patrick und in seinen Augen kann man deutlich die Eifersucht sehen.
"Allerdings und der wird sicherlich nicht so begeistert von deinem Auftauchen sein."
"Ist das eine Drohung?"
"Nein, nur eine Tatsache."
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verlässt Patrick die Redaktion und lässt mich fassungslos zurück. Warum muss er denn nach dieser langen Zeit wieder auftauchen? Reicht es nicht, dass ich schon einmal am Booden zerstört war seinetwegen?
Ich fühle mich schlecht. Nicht nur, weil ich Kai seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen habe, sondern auch, weil ich es doch nicht verhindern konnte, meine schlechte Laune auf Manu zu übertragen. Ein bisschen was muss bei ihm doch auch mal schief laufen, oder nicht? Sonst wäre das ja auch alles zu langweilig. Mal sehen was Patrick noch für eine Rolle spielen wird. Ich habe da schon so eine Idee, aber im Moment kann ich mich nicht konzentrieren und somit auch nicht schreiben.
In einer Woche fängt die Schule wieder an, was mich nur noch mehr verzweifeln lässt. Hatte Tim nicht gesagt, dass Kai auch auf meine Schule geht? Er müsste eine Klasse über mir sein, genau wie Tim, Lippe und die beiden Mädels. Komisch, dass die mir vorher nie aufgefallen sind. Wahrscheinlich habe ich einfach nicht genug darauf geachtet, wer noch so in der Schule rumläuft. Das war mir immer reichlich egal. Meine sozialen Kontakte waren immer schon sehr überschaubar. Wie gesagt, ich war immer allen zu uncool. Ein Wunder, dass Tim und Lippe mich angesprochen haben. Aber bevor ich jetzt in Selbstmitleid versinke, krieche ich verschlafen aus meinem Bett und schlurfe ins Bad. Mein Spiegelbild sah echt schon mal besser aus. Lieber schnell wegsehen, anziehen und dann runter zum Frühstück. Meine Eltern haben sich schon wieder wunderbar eingelebt und machen mich rund um die Uhr wahnsinnig. Wo ich denn immer so lange bin und mit wem ich mich denn da treffe, wollen sie immer wissen und so langsam habe ich es endgültig satt. Die sollen sich um ihren Kram kümmern und mich mir selbst überlassen. Leider scheint das zur Zeit sogar noch unwahrscheinlicher zu sein, als dass Kai mir seine Liebe gesteht. Und wie unwahrscheinlich Letzteres ist, muss ich wohl ich nicht erläutern.
Heute gehe ich wieder in die Stadt und treffe mich mit den anderen. Tim hatte gestern Geburtstag, da muss man natürlich gratulieren. Meine Eltern werde ich in etwa die Wahrheit sagen. Nämlich, dass ein Freund von mir Geburtstag feiert und ich eingeladen bin. Da können noch nicht einmal sie etwas gegen sagen.
Mein Vater ist nicht da, als ich die Küche betrete. Wahrscheinlich wurde er angepiepst und sitzt jetzt schon wieder hinter seinem Schreibtisch und erledigt wichtige Telefonate.
"Hallo, Moritz", begrüßt mich meine Mutter. "Papa musste leider noch mal ins Büro, aber er wird auch bald wieder da sein."
"Hm-hm", grummel ich nur. Was hab ich gesagt?
"Hast du heute etwas vor?"
"Ja, ein Freund feiert Geburtstag."
"Wer denn?"
"Tim."
"Den kenne ich gar nicht. Ist er in deiner Klasse?"
"Nein, eine Klasse über mir." Meine Güte, ich will doch nur auf einen Geburtstag.
"Bist du denn zum Abendessen wieder hier?"
"Nein, wir essen bei ihm." Natürlich gehen wir nicht zu Tim. Wir werden wie immer in der Fußgängerzone hocken. Tim hat gestern schon ausgiebig mit Lippe gefeiert. Allein.
Meine Mutter sagt nichts weiter, aber ich kann ihr ansehen, dass es ihr nicht recht ist. Am liebsten würde sie mich weiter über Tim ausquetschen. Weiß der Geier, warum sie es nicht tut.
Eine Stunde später komme ich an unserem Treffpunkt an und sehe die anderen schon von Weitem winken. Ich habe mich wohl etwas zu lange nicht mehr sehen lassen.
"Hey Tim, alles Gute", sage ich und umarme ihn kurz.
"Schön, dass du mal wieder auftauchst. Wir dachten schon, du würdest gar nicht mehr kommen."
"Ja, sorry. Ich wollte eigentlich auch herkommen, aber …"
"Ich weiß schon", unterbricht mich Tim und ich schenke ihm ein dankbares Lächeln. Wenn es sich vermeiden lässt, möchte ich lieber nicht über eine gewisse Person reden. Dieser Ort hat allerdings auch eine ganz bestimmte Wirkung auf mich. Und auch Tim und die anderen. Ohne IHN ist es hier einfach ganz merkwürdig. So leer.
"Hattest du einen schönen Geburtstag?", frage ich, um ein anderes Thema anzusprechen.
"Oh ja", sagt Tim grinsend und legt beide Arme um seinen Freund.
"Wie geht es dir denn, Moritz?", fragt Anna.
"Ich komme klar."
"Hört sich nicht sehr überzeugend an."
Ist mir doch egal, was ihr denkt. Also wirklich. Auf dieses Verhör hab ich überhaupt keinen Bock. Ich will nicht mehr die ganze Zeit Trübsal blasen und wie ein Häufchen Elend von meinen Freunden bemitleidet werden. Das nervt und bringt überhaupt gar nichts.
"Ich will nicht darüber reden."
"Möchtest du dann vielleicht einen Schluck hiervon?", fragt Lippe und hält mir eine Flasche mit einer roten Flüssigkeit darin unter die Nase. "Hat Tim mitgebracht. Zur Feier des Tages, sozusagen."
"Wollt ihr mich abfüllen?"
"Nee", kichert Tim. "Wenn du nicht willst, es zwingt dich keiner. Außerdem ist das Zeug so harmlos, dass man schon ein paar Flaschen trinken müsste, um so richtig dicht zu sein."
"Was ist das denn?"
"Ein Fruchtwein-Cocktail. Echt nichts Schlimmes."
"Glaubst du allen Ernstes, dass wir dich betrunken machen wollen?", fragt Anna. "Das würde niemand aushalten."
"Haha." Ich nehme also einen Schluck von diesem Cocktail und es schmeckt erstaunlich gut. Normalerweise bin ich überhaupt kein Alkohol-Fan, aber das hier lässt sich trinken. Leider übertreibe ich es dann doch ein wenig damit und merke gar nicht mehr, was ich so alles erzähle.
"Genau das meinte ich vorhin", sagt Anna.
"Ich bin nicht betrunken."
"Nein, natürlich nicht. Vielleicht solltest du so lieber nicht zu deinen Eltern gehen."
"Die merken das gar nicht", säusele ich.
"Ich glaube schon", schaltet sich Tim ein und sieht mich schuldbewusst an. "Vielleicht war das wirklich keine so gute Idee, dir Alkohol anzubieten."
"Mir geht's gut." Richtig stehen kann ich allerdings nicht, weil sich um mich alles dreht. Ist eigentlich ganz lustig. Ich fange an zu kichern und laufe ein Stück vorwärts. "Geht doch."
"Nee, nee. Wir gehen jetzt erst mal zu mir und dann rufe ich deine Eltern an. Die denken ja sowieso, dass du bei mir bist."
"Okay."
Es dauert eine ganze Weile bis wir bei Tim angekommen sind. Er klingelt an der Tür und kurz darauf macht uns eine Frau auf.
"Oh Gott, Tim, was ist denn passiert?", fragt sie erschrocken, als sie mich sieht.
"Das ist Moritz. Ihm geht es nicht so gut."
"Das sehe ich."
"Eine böse Mischung aus Liebeskummer und Alkohol. Er wird heute Nacht hier bleiben müssen. Seine Eltern sind ein bisschen schwierig und sollten ihn lieber nicht so sehen. Könnt ihr sie vielleicht gleich mal anrufen? Sie denken ohnehin, dass er hier war, um meinen Geburtstag zu feiern."
"Ja, klar, aber bring ihn doch erst mal hoch."
Der Weg über die Treppe ist auch nicht so einfach, aber schließlich schaffen wir es bis in Tims Zimmer und ich lasse mich auf sein Bett plumpsen. So langsam wird mir auch wieder bewusst, was eigentlich passiert ist. Wie peinlich.
"Bleib ruhig liegen, wir sagen deinen Eltern schnell Bescheid."
Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen das nächste Mal öffne, ist es dunkel im Zimmer und die Bettdecke ist über mir ausgebreitet. Tim sitzt an seinem Computer und dreht sich zu mir um, als ich mich aufsetze.
"Hey, da bist du ja wieder."
"Ja, mehr oder weniger. Tut mir leid."
"Ach was, ich hätte es besser wissen müssen und den Alkohol von dir fern halten sollen."
"Was haben meine Eltern gesagt?"
"Sie waren nicht gerade begeistert, aber anscheinend waren sie beruhigt, als meine Mutter ihnen erklärt hat, dass unsere "Party" noch ein wenig länger dauert und es dann einfach zu spät wird, um noch nach Hause zu gehen."
"Danke."
"Möchtest du was essen? Meine Mutter hat uns ein paar Sandwiches gemacht."
"Ja, gerne."
Es ist eine unangenehme Situation. Tim scheint nicht genau zu wissen wie er sich verhalten soll und mir ist alles einfach nur peinlich.
"Du musst ihn vergessen", sagt Tim auf einmal. "Du kannst so nicht weitermachen."
"Ich weiß, aber das geht nicht so leicht."
"Aber was willst du denn machen? Deprimiert zuhause hocken und dich volllaufen lassen?"
"Nein, natürlich nicht. Ich kann ihn einfach nicht verstehen, das ist das Problem. Ich weiß nicht, warum er so ist und warum er es nicht einfach versuchen kann. Es muss doch niemand wissen, außer ihr natürlich."
"Darum geht es ihm gar nicht. Er möchte schlicht und einfach nicht schwul sein."
"Und warum hat er dann mit so vielen Kerlen rumgemacht?"
"Das weiß nur er", sagt Tim. "Aber wie gesagt: Sich zu verlieben ist noch mal etwas ganz anderes."
"Dann hätte er gar nicht erst damit anfangen sollen, sich an mich ranzumachen."
"Er wusste doch nicht, dass du ihn abblitzen lassen würdest und dass ihn das so sehr verwirrt."
"Na und?", sage ich trotzig. "Er hätte damit rechnen müssen, dass das irgendwann passiert."
"Ich sage ja gar nicht, dass er nichts falsch gemacht hat. Natürlich ist es scheiße, dass er dich da mit reingezogen hat, aber du solltest versuchen, das abzuhaken."
"Wie soll das denn gehen, wenn die Schule wieder anfängt?"
Darauf hat er scheinbar auch keine Antwort, denn er sieht mich nur nachdenklich an. Wir knabbern beide weiter an unserm Sandwich und schrecken erst wieder hoch, als es leise an der Tür klopft. Aus irgendeinem Grund fängt mein Herz sofort an zu rasen und wie sich dann herausstellt, auch zu recht. Kai schlüpft ins Zimmer und bleibt augenblicklich wie angewurzelt stehen. Offensichtlich bin ich der Letzte, den er hier erwartet hätte, sonst wäre er nicht gekommen.
"Oh, hallo Kai …", sagt Tim und schaut nervös zwischen uns beiden hin und her.
"Ich wollte … du hattest doch Geburtstag", sagt er, sieht dabei aber mich an. In mir sprudelt gerade alles durcheinander. Wut, Trauer, Liebe, Hass … Ich kann mich überhaupt nicht entscheiden.
"Ich komme wann anders noch mal wieder", sagt er mit belegter Stimme und greift nach dem Türgriff.
"Nein", ruft Tim und stellt sich ihm in den Weg. "Ich glaube, ihr beide solltet da noch mal was klären. Ich gehe nach unten."
"Ich will nicht …", beginnt Kai, wird aber von Tim unterbrochen.
"Doch du wirst. Das hast du dir selbst eingebrockt." Dann verschwindet er und schließt die Tür hinter sich.
Ich bekomme fast keine Luft mehr, so stickig und drückend ist die Stimmung auf einmal. Kai steht nur da und sieht auf den Boden. Na super, das kann ja dauern.
"Willst du mir irgendwas sagen?", frage ich.
"Nein, ich dachte das hätte ich schon getan."
"Ja, aber nicht das, was ich hören wollte."
Jetzt sieht er mich an und zwar so, dass mir ganz anders wird. "Warum bist du überhaupt hier?"
"Tim ist auch mein Freund. Er hat mir geholfen, weil es mir nicht so gut ging."
Ein kleines Grinsen erscheint in seinem Mundwinkel, verschwindet aber sofort wieder. Was sollte das denn heißen?
"Warum ist das so schwer für dich?", frage ich.
"Was?"
"Mir die Wahrheit zu sagen."
"Ich hab keine Ahnung wovon du redest. Außerdem kann ich immer noch selber entscheiden, wem ich was erzähle."
"Warum hast du am See geweint?" Oh je, das war vielleicht ein bisschen zu aufdringlich. Kai sieht mich entgeistert an, dann schaut er wieder auf den Boden.
"Das geht dich überhaupt nichts an. Kümmere dich um deinen Kram."
"Das versuche ich ja, aber dann kommt dabei heraus, dass ich mich volllaufen lasse und bei Tim übernachten muss, damit meine Eltern davon nichts erfahren. Und warum das alles? Deinetwegen! Weil du immer mal wieder auftauchst, merkwürdige Dinge von dir gibst, mich küsst und einfach wieder verschwindest."
"Es ist nicht mein Problem, wenn du dich da in was reingesteigert hast."
"Ach nein? Du hast mich geküsst! Das passiert mir nicht so wahnsinnig häufig. Was also soll ich denn da denken?"
Der Alkohol ist bei der Hitze in meinem Kopf wahrscheinlich schon längst wieder verdampft. Ich fühle mich zumindest gerade jetzt sehr nüchtern. Aber wenn ich nicht aufpasse, bekomme ich heute Abend noch einen Herzkasper.
"Ich fasse es nicht, dass du schon wieder damit anfängst", schnauft er. "Ich habe keine Lust, immer wieder darüber zu reden."
"Du erklärst es mir ja nie. Du sagst immer nur "Ich kann das nicht", aber was genau das heißen soll, bleibt jedes Mal offen."
"Ich dachte das erklärt sich von alleine."
"Tut es nicht. Ich werde aus dir einfach nicht schlau. Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe. Warum kannst du das nicht auch?"
"Weil …", beginnt er, bricht dann aber ab. Einmal kurz huschen seine Augen zu mir und wenden sich dann schnell wieder auf den Boden.
"Das ist keine Antwort."
"Ich gehe jetzt", sagt er nur noch, aber ich halte ihn auf.
"Ich will eine Antwort. Warum …" Weiter komme ich allerdings nicht, weil mir auf einmal ganz schwindelig wird und ich mich schwankend wieder zum Bett zurück bewege. Wahrscheinlich bin ich zu schnell aufgestanden. Meine Güte, alles dreht sich. Ich taste nach dem Bett, finde es aber nicht. Dann spüre ich zwei Arme, die mich stützen und zum Bett führen.
"Ich hole Tim und dann gehe ich."
"Nein", rufe ich und packe ihn am Arm. "Ich hab noch keine Antwort."
Er seufzt. "Bist du immer so hartnäckig?"
"Nein."
Er grinst wieder, aber dieses Mal ziemlich ängstlich. Ich kann mich nicht mehr beherrschen und ziehe ihn auf meinen Schoß. Er wehrt sich überhaupt nicht, auch nicht als ich meine Hände in seinen Nacken lege und ihn küsse. Und er küsst mich zurück. Endlich, denke ich nur und lasse mich zurück fallen. Sein Körper schmiegt sich ganz dicht an meinen und seine Lippen wandern jetzt über meinen Hals und zurück zu meinem Mund. Ich schlinge Arme und Beine um ihn, damit er nicht einmal daran denkt, einfach aufzustehen und wegzurennen. Es scheint ihn allerdings auch nicht zu stören. In mir kribbelt alles, aber nicht unangenehm. Dann streicht eine seiner Hände über meinen Bauch und mir wird bewusst, dass wir aufhören müssen.
"Warte", hauche ich und schiebe ihn ein Stückchen von mir weg. "Wir sind hier bei Tim."
"Ja … das …ähm …", stottert er und wird ein bisschen rot im Gesicht. Er richtet sich auf und zupft an seinem T-Shirt. Hoffentlich bereut er das jetzt nicht gleich wieder und sagt, dass es nichts zu bedeuten hatte. Dann wird er garantiert einen Kopf kürzer sein.
"War das jetzt die Antwort?", frage ich.
"Ähm …"
Also wirklich, ich habe noch niemals jemanden gesehen, der so nervös war. Ich stehe auf und stelle mich ganz dicht vor ihn.
"Du kannst es ruhig sagen. Ich behalte es auch für mich."
"Du bist unmöglich."
"Ich meine das ernst."
Er sieht mich noch eine Weile an, dann sagt er: "Das ist nicht einfach."
"Ich weiß."
Seine Finger streifen durch meine Haare und seine Augen mustern mich genau. Ich fühle mich ein bisschen durchleuchtet, aber als er mich auf einmal anlächelt, macht es mir gar nichts mehr aus.
"Das war noch nicht die Antwort", sagt er und legt seine Lippen auf meine. Sie sind so weich und komischerweise fühlt es sich total vertraut an. Es ist genau wie beim zweiten Kuss im Park. Mir huscht sofort eine Gänsehaut über den gesamten Körper und ich klammere mich an ihn. Nach diesem Kuss kann er sich die Antwort eigentlich auch sparen. So küsst man nicht, wenn man nicht verliebt ist.
Als er sich von mir löst, sieht er allerdings überhaupt nicht glücklich aus. Eher traurig oder etwas anderes, das ich nicht deuten kann.
"Ist es so schlimm?", frage ich.
"Ich weiß nicht."
Als es an der Tür klopft, rückt Kai ein Stück von mir weg.
"Lebt ihr noch?", fragt Tim.
"Ja, alles klar", sage ich und sehe zu Kai.
"Ich werde jetzt gehen."
"Okay."
Dann ist er auch schon verschwunden.
"Und?", bohrt Tim neugierig. "Hat es was gebracht?"
"Ja, danke. Wir haben uns mehr oder weniger ausgesprochen."
Er sieht mich fordernd an, aber ich denke nicht, dass ich ihm alles erzählen sollte. Auch wenn Tim Kais bester Freund ist.
"Ich hab versprochen, niemandem etwas zu sagen."
"Na gut."
Als ich später im Gästezimmerbett liege, bin ich hin und hergerissen. Einerseits ist es jetzt ziemlich klar, dass Kai tatsächlich in mich verliebt ist, aber über alldem schwebt immer noch diese düstere Wolke. Wenn Kai nicht endlich damit klar kommt, dass er schwul ist, wird trotz Liebe wohl nichts aus uns. Auf ein ewiges Hin und Her habe ich nämlich keine Lust.
Am nächsten Morgen fühle ich mich wie erschlagen. Die ganze Nacht hab ich überlegt, wie es jetzt wohl weitergeht und wann Kai wieder auftauchen wird. Er hatte genug Zeit zum Nachdenken, um mal wieder herauszufinden, dass er sich unmöglich darauf einlassen kann. Ob ich mich jetzt besser oder noch beschissener fühlen soll, weiß ich auch noch nicht so richtig. Kommt darauf an, wie Kai sich entscheidet. Wenn er sich gegen mich entscheidet, gehe ich kaputt. Mit Sicherheit.
Warum konnten wir uns nicht wo anders treffen? Wenn wir nicht bei Tim gewesen wären, hätte ich ihn gar nicht erst gehen lassen, aber so hatte ich keine Wahl. Das Problem ist nur, dass wir uns nirgendwo anders treffen können. Bei mir zuhause ist es vollkommen ausgeschlossen und seine Eltern scheinen auch nicht zu wissen, dass ihr Sohn schwul ist. Ich gehe einfach mal davon aus, dass er ihnen nichts erzählt hat und das in näherer Zukunft auch nicht tun wird. Ganz toll!
Vorsichtig klopft es an der Tür und kurz darauf erscheint Tims Kopf im Türrahmen.
"Schon wach?"
"Ja, schon länger. Hab nicht so viel geschlafen."
"Hm", sagt er nur und setzt sich zu mir. "Ich weiß, dass du nicht darüber reden willst oder kannst, aber ich habe das Gefühl, dass sich irgendwas geändert hat."
"Ja, hat es."
"Besonders gut kann es ja trotzdem nicht gewesen sein, wenn du so ein Gesicht machst."
Doch es war gut, denke ich. Es war total schön, aber leider liegt die Betonung auf 'war'.
"Willst du noch frühstücken?"
"Nein, ich gehe lieber gleich nach Hause. Vielen Dank für eure Hilfe."
Meine Eltern sind komischerweise ganz gelassen. Wahrscheinlich hat sie das Gespräch mit Tims Mutter beruhigt. Jetzt wissen sie immerhin, dass es tatsächlich einen Tim gibt, mit dem ich befreundet bin. Nicht das Schlechteste.
Sobald ich zuhause angekommen bin, lege ich mich allerdings erst einmal wieder ins Bett. Ich ziehe die Bettdecke bis zu den Ohren hoch und versuche, nicht mehr an Kai zu denken. Ein bisschen Schlaf würde mir mit Sicherheit ganz gut tun, aber das Gedankenchaos in meinem Kopf macht das unmöglich. Ich muss immer wieder an gestern Abend denken. Wie er mich geküsst hat. Ich hätte nie gedacht, dass er sich darauf einlassen würde. Ich dachte, dass er mich sofort von sich stößt und mich beschimpft, aber er hat nichts getan. Er war auf einmal ganz anders, irgendwie so versunken, dass ich ihn sogar daran erinnern musste, dass wir nicht irgendwo sind, sondern in Tims Zimmer. Er schien für einen Moment alles vergessen zu haben und ich war auch kurz davor. Die Berührung seiner Hand hat mich allerdings an unseren ersten Kuss im Park erinnert und wie ich mich dabei gefühlt habe. Gestern Abend ging mir für einen Augenblick der Gedanke durch den Kopf, dass er wieder nur darauf aus ist, mit mir zu schlafen. Anscheinend hat sich das bei mir irgendwo festgesetzt, obwohl ich weiß, dass es nicht mehr so ist. Merkwürdig.
Und jetzt ist wieder alles so wie in den letzten Tagen. Ich hab keine Ahnung, was ihm durch den Kopf geht und was dabei herauskommen wird. Ich kann nur hoffen, dass er sich bald entscheidet und zwar für mich.
Den Großteil des Tages verbringe ich im Bett, doch irgendwann halte ich das nicht mehr aus. Ich setze mich an meinen Computer und surfe dabei ein wenig im Internet. Dabei stoße ich auf ein Forum, das sich hauptsächlich mit Homosexualität beschäftigt. Viele der Beiträge schildern genau das Problem, das ich gerade habe, beziehungsweise Kai. Ich bin total fasziniert, wie vielen Leuten es genauso geht wie mir.
Als ich einen Beitrag lese, der von einem Junge in meinem Alter geschrieben wurde, bekomme ich auf einmal einen ganz fetten Kloß im Hals. Er schreibt von seinem Freund, der einfach nicht akzeptieren konnte, dass er schwul ist. Ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis sie endlich zusammengekommen sind und es weiß immer noch niemand davon. Sie treffen sich immer nur heimlich und jede Anfrage, ob sie ihre Beziehung nicht wenigstens den Freunden anvertrauen wollen, wird sofort abgeblockt.
Das könnte ich nicht. Ich weiß nicht, ob ich so lange durchhalten würde. Wahrscheinlich fällt es mir einfach schwer, mich in Kais Situation hineinzuversetzen, aber wie sollte ich ihn auch verstehen? Er spricht ja nicht mit mir. Ich wünschte, ich könnte ihm irgendwie helfen. Es muss doch möglich sein, dass er ein Stück seiner Angst verliert. Ich befürchte nur leider, dass ich dafür genau der Falsche bin.
"Lass nicht so lange das Wasser laufen!", ruft meine Mutter und holt mich aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Ich stehe unter der Dusche und bemerke gerade, dass ich eigentlich schon lange fertig bin.
So weit ist es jetzt also schon gekommen. Ab und zu drifte ich total ab mit meinen Gedanken und merke gar nicht mehr, wie die Zeit vergeht. Gestern Abend hat Tim angerufen und gefragt, ob Kai sich bei mir gemeldet hat.
"Nein", sagte ich geknickt.
"Ist ja komisch."
"Wieso das denn?"
"Er war bei mir und hat nach dir gefragt. Er wollte wissen, wie es dir geht. Süß oder? Ich dachte, dass er sich danach auch noch bei dir meldet."
Ich musste das erst mal verdauen. "Kai hat nach mir gefragt?"
"Ja. Ich war auch ganz verwirrt. Hab ihm gesagt, dass du dir Sorgen machst und darauf wartest, dass er sich bei dir meldet."
"Und was hat er dann gesagt?", fragte ich aufgeregt.
"Nichts. Er hat sowieso nicht viel gesagt. Wahrscheinlich hält er mich für befangen und redet deshalb nicht mehr offen mit mir. Vielleicht denkt er, dass ich gleich alles an dich weitertratsche."
"Das tust du doch auch. Jetzt gerade."
"Er hat es mir ja auch nicht verboten. Hätte er gesagt, dass ich dir nichts sagen soll, hätte ich das auch nicht getan."
"Moritz!", ruft meine Mutter wieder.
"Ja, ist ja gut!" Ich stelle das Wasser ab und steige aus der Dusche.
Kann mir mal jemand sagen, was ich davon halten soll? Warum erkundigt sich Kai bei Tim über mich? Kann er nicht selber mit mir reden?
Morgen fängt die Schule wieder an. Ich rechne nicht damit, dass er mich dort anspricht. Wahrscheinlich wird er mich eher ignorieren. Niemand weiß, dass wir … na ja, das weiß ja noch nicht mal Kai. Er streitet ja immer ab, dass wir befreundet sind. Dann wird ihm das in der Schule ja nicht schwer fallen. Na toll! Dann kennen wir uns ab morgen gar nicht mehr, oder wie?
Den Wecker höre ich erst gar nicht. Irgendwie ist das Piepsen mit meinem Traum verschmolzen. Muss ich erklären, was für ein Traum das war? Wohl eher nicht.
Missmutig steige ich aus dem Bett und schleppe mich ins Badezimmer. Danach in die Küche, wo ich mir etwas zu Essen einpacke und dann in den Flur, um mir meine Schuhe anzuziehen. Schließlich öffne ich die Tür und mache mich auf den Weg zur Schule. Ich fühle mich wie ein Roboter. Irgendwie mechanisch.
Ach, ist das schön wieder etliche Stunden in einem miefigen Raum zu verbringen und sich über höchst interessante Themen auszutauschen. Ich sterbe … Die Lehrer scheinen vergessen zu haben, dass wir sechs Wochen Ferien hinter uns haben und verlangen sofort die volle Aufmerksamkeit ihrer Schüler. Das ist nicht auszuhalten.
In der Pause erwische ich mich selber dabei, wie ich nach Kai und den anderen Ausschau halte, obwohl ich mir vorgenommen hatte, das nicht zu tun. Lange brauche ich aber auch gar nicht suchen, weil Tim mich bereits entdeckt hat. Kai sehe ich nicht, aber Lippe und Anna.
"Hey, wie ist der erste Schultag bei dir so?", fragt Tim und rollt mit den Augen.
"Ganz herrlich."
"Dito."
"Wo ist Kai? Drückt er sich jetzt auch noch vor der Schule?"
"Nein, er ist hier. Er wollte allerdings lieber im Klassenzimmer bleiben."
"War ja klar", schnaufe ich.
"Haben wir was verpasst?", fragt Anna und sieht uns neugierig an.
"Das musst du Moritz fragen, mir sagt er es auch nicht", sagt Tim. "Aber ich denke, dass du keine Chance hast."
Danke Tim, denke ich und knabbere an meinem Brötchen. Das fehlt mir noch, dass ich den anderen etwas erklären muss. Glücklicherweise scheint Anna das zu merken und fragt nicht weiter nach.
Wir unterhalten uns noch ein wenig über den Unterricht und die Lehrer, doch als es klingelt, müssen wir uns wieder aufteilen. Mein Blick huscht nach oben zu den Fenstern und bleibt an einem hängen. Ich bin mir sicher, dass ich gerade Kai gesehen habe. Hat er mich beobachtet?
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