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Manu und ich

Teil 8

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Informationen

Anmerkung der Autorin:

So, viel schneller ging es dieses Mal leider nicht und länger ist dieser Teil auch nicht, aber: tada! Hier ist jetzt Teil 8. Eine Info noch an alle Leser: Am Ende des fünften Teils wurde noch ein Stückchen angefügt. Ein sehr aufmerksamer Leser hatte mich vor Kurzem darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen dem fünften und sechsten Teil die Verbindung fehlt. Vielen Dank an dieser Stelle dafür ;) Lest doch einfach noch mal nach. Und jetzt viel Spaß bei Teil 8!

 

"Ähm…" Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle. "Ist irgendwas?"

"Nein, nichts", sagt er, dreht sich um und setzt sich mir gegenüber.

Sollte ich ihn auf sein merkwürdiges Verhalten ansprechen? Ich habe Angst, dass das genau das Falsche ist. Aber ich kann es auch nicht ignorieren.

"Warum warst du schon so früh auf, ich dachte…"

"Ich konnte nicht mehr schlafen und hatte Durst." Er zwingt sich zu einem Lächeln.

"Glaubst du, es war ein Fehler?", frage ich nach einer längeren Pause.

"Nein." Ich weiß nicht, ob ich ihm das glaube. Es klingt aufrichtig, aber er sieht mich nicht an.

"Willst du, dass ich gehe?"

Jetzt sieht er mich an. "Sei mir nicht böse. Ich bin nur ein bisschen durcheinander."

"Okay." Ich stehe auf und gehe in den Flur. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen wie durcheinander ich bin und ziehe mir schweigend die Schuhe an. Kai lehnt an der Wand. Er macht noch nicht einmal den Versuch mich aufzuhalten.

"Bist du morgen im Park?", frage ich und öffne die Haustür.

"Ja, mal sehen."

Mehr werde ich wohl vorerst nicht aus ihm rauskriegen, also gehe ich durch die Tür und die kleine Treppe vor dem Haus hinunter.

"Hey", ruft er und steht auf einmal neben mir. "Es tut mir leid." Dann küsst er mich kurz auf den Mund und verschwindet im Haus.

Ich drehe mich auch um und gehe die Straße entlang. Sobald ich außer Sichtweite bin, laufe ich los. Ich weiß genau, was ich jetzt tun muss, auch wenn es wahrscheinlich nicht unbedingt das Richtige ist. Darauf kann ich jetzt allerdings keine Rücksicht nehmen.

An meinem Ziel angekommen, warte ich erst einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen und klingele dann an der Tür. Zum ersten Mal bin ich dankbar für meinen kleinen Alkoholabsturz, denn sonst wüsste ich jetzt nicht, wo Tim wohnt.

Seine Mutter öffnet die Tür und sieht mich überrascht an. "Moritz? Was machst du denn schon so früh hier?"

"Es tut mir leid, aber ich muss ganz dringend mit Tim sprechen."

Sie sieht mir meine Verzweiflung wohl an, denn sie fragt nicht weiter nach und hält mir die Tür auf. "Ja, okay, komm rein. Wir sind gerade beim Frühstück."

Während ich mir die Schuhe ausziehe, geht sie in die Küche und kurz darauf kommt mir Tim entgegen.

"Hey, ist was passiert?"

"Ja, kann man so sagen. Tut mir leid, dass ich euch beim Frühstück störe."

"Schon gut, das läuft ja nicht weg. Es ist wohl besser, wenn wir nach oben gehen, oder?"

"Ja."

"Geht es um Kai?"

Ich nicke nur und konzentriere mich darauf nicht über eine Treppenstufe zu stolpern. Der Weg nach oben kommt mir unendlich lang vor.

"Ich dachte ihr habt alles geklärt", sagt Tim, als er die Tür zu seinem Zimmer hinter uns schließt.

"Das hatten wir auch."

"Hast du bei ihm geschlafen?"

"Ja." Es ist mir zwar peinlich darüber zu reden, aber schließlich will ich ja, dass Tim mir hilft. Ich erzähle ihm also alles. Angefangen bei unserer Diskussion zum Thema Sex, bis hin zu Kais merkwürdigem Verhalten heute Morgen.

"Ich glaube nicht, dass er dich bewusst verletzen wollte", sagt Tim.

"Nein, das glaube ich ja auch nicht. Ich verstehe nur nicht, warum er seine Meinung erst geändert hat und dann später doch wieder bereut."

"Aber er bereut es doch gar nicht. Das hat er selber gesagt."

"Und was war dann los mit ihm? Warum hat er mich weggeschickt?"

"Überleg doch mal", sagt Tim ruhig. "Er hat noch nie jemanden bei sich übernachten lassen, weil er immer nur den Sex wollte. Darüber habt ihr doch vorher noch gesprochen, oder?"

"Ja und?"

"Und bei dir wäre es genau andersrum gewesen. Ich denke, dass er immer noch nicht richtig mit dem Gedanken umgehen kann, in einer festen Beziehung mit einem Jungen zu sein. Wahrscheinlich wollte er die Tatsache, dass du der Erste bist, der über Nacht bei ihm bleibt, dadurch entschärfen, dass er auch mit dir schläft."

"Also hat er mich nur benutzt", stelle ich fest.

"Nein. Er wollte sich bestimmt etwas beweisen, aber es ist ihm mit Sicherheit vorher auch schon schwer gefallen, nicht über dich herzufallen. Wie gesagt: du bist eben genau sein Typ. Und gestern Abend kam dann eben alles zusammen."

"Aber das kann er sich doch nicht einfach so spontan überlegt haben."

"Doch, weil ihr darüber gesprochen habt. Vielleicht wollte er durch den Kuss auch einfach das Gespräch beenden und konnte dann nicht mehr aufhören. Das Ganze ist für ihn viel schwieriger als du es dir vorstellen kannst."

"Und was war dann heute Morgen los?"

"Ich kann das natürlich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, aber wahrscheinlich ist sein Plan nicht so aufgegangen wie er es sich vorgestellt hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass er total verwirrt war, als er neben dir aufgewacht ist und dann erst mal ein bisschen Abstand brauchte."

"Aber warum?", frage ich ungeduldig. "Er hatte doch dann alles, was er wollte."

"Ja, eben. Ihm ist es wahrscheinlich unheimlich, dass du ihm immer noch wichtig bist, obwohl er schon mit dir geschlafen hat."

"Das ist doch total bescheuert. Wie kommst du darauf?"

"Es ist gar nicht so schwer rauszufinden, wenn man ihn schon so lange kennt."

"Und wie geht es jetzt weiter? Er hätte doch mit mir reden können, anstatt mich rauszuwerfen."

"Lass ihm einfach die Zeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass das jetzt gerade die schwierigste Phase für ihn ist. Er muss sich erst mal darüber klar werden, dass du eben nicht nur eine Bettgeschichte bist und was das für ihn bedeutet. Das ist nicht einfach."

"Aber er will sich doch nicht trennen, oder?"

"Er liebt dich, Moritz. Das kann noch nicht mal er ignorieren."

Ich bin erleichtert, aber trotzdem noch verwirrt. Was, wenn er nicht damit klar kommt? Wenn er merkt, dass ich ihm doch nicht wichtig genug bin?

"Immer noch nicht überzeugt?", fragt Tim.

"Nicht so richtig, nein. Es war einfach so merkwürdig. Die ganze Zeit redet er davon, dass er noch nicht mit mir schlafen will und dann … tut er es ganz plötzlich doch. Von einer Sekunde auf die andere. Er hat sich überhaupt nichts anmerken lassen. Das ist doch seltsam. Ich meine … ich dachte noch, dass es nur ein Scherz ist, aber…" Mir fehlen die Worte. Ich kann es einfach nicht so beschreiben wie ich es gerne möchte. Tim hält mich bestimmt für bekloppt, dass ich da mitgemacht habe.

"Ja, ich weiß, was du meinst. Bei mir war es ähnlich. Wir haben uns damals auch nur unterhalten und auf einmal hat er mich geküsst und… na ja. Ich glaube es gibt so Momente bei ihm, in denen er nicht mehr weiter weiß und einfach das tut, was ihm als erstes einfällt. Bei mir hat er vielleicht gedacht, dass es ihn abschrecken würde mit einem Jungen zu schlafen und bei dir war es diese Übernachtungsgeschichte, die ihn irgendwie aus der Bahn geworfen hat. Übrigens sollte ich dir vielleicht noch etwas sagen."

"Was denn?", frage ich ängstlich. Das hört sich nicht gut an.

"Mit mir hat er damals eine Woche lang nicht gesprochen. Ist mir vollkommen aus dem Weg gegangen."

"Was?"

"Ja, aber das kennst du ja auch schon. Er kann da sehr hartnäckig sein."

"Na toll. Er wird also mal wieder überhaupt nicht daran denken wie es mir dabei geht, ja?"

"Das tut er in solchen Situationen nie. Hast du doch gestern selber miterlebt. Er wollte aus Rücksicht auf dich nicht mit dir schlafen, hat es dann aber trotzdem getan, weil er dachte, dass es besser für ihn wäre. Fällt dir was auf?"

"Warum musste ich mich unbedingt in ihn verlieben?", schnaufe ich.

"Weil er ansonsten ein ganz toller Freund ist und mit der Zeit bestimmt auch lernen wird, mit sich selber klarzukommen."

"Ja, wenn es dann nicht zu spät ist", murmle ich, mehr zu mir als zu Tim.

"Wie meinst du das?"

"Ich versuche mir nur gerade vorzustellen wie das mit uns weitergehen wird. Ich glaube nicht, dass ich es auf Dauer so aushalten würde. Wenn er sich ändert, schön. Aber wenn nicht … keine Ahnung."

"Du darfst das nicht so schwarz sehen. Kai hat schon sehr viel an sich verändert und es ist bestimmt noch nicht vorbei damit. Gib nicht auf. Ihr schafft das schon."

Es war gut, dass ich zu Tim gegangen bin. Auch wenn ich nicht alles so richtig nachvollziehen kann, was er gesagt hat, habe ich doch das Gefühl, dass ich Kai besser verstehe als vorher. Ich wäre nie darauf gekommen, dass es Kai in dem Moment als er mich so plötzlich geküsst hat, eigentlich eher schlecht ging. Ich habe davon nichts mitbekommen. Sollte ich mich deswegen jetzt schlecht fühlen? Ein komisches Gefühl ist da jedenfalls in meinem Bauch, das ich nicht wirklich einordnen kann.

Als ich zuhause angekommen bin und gerade die Tür aufschließen will, klingelt auf einmal mein Handy.

"Hallo?"

"Wo bist du, Moritz?", brüllt die Stimme meiner Mutter.

"Ich stehe vor der Haustür."

Und schon hat sie wieder aufgelegt. Einen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken schnell das Weite zu suchen, entscheide mich aber doch dafür, zu bleiben. Besser ich höre mir jetzt an, welche Strafe sie mir auferlegen möchte, anstatt jetzt wegzulaufen und alles nur noch schlimmer zu machen.

Als ich schließlich wieder im sicheren Bereich, sprich in meinem Zimmer angekommen bin, muss ich mir erst mal ein Kissen schnappen und quer durchs Zimmer werfen. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber jetzt gerade hasse ich meine Mutter. Sie hat mir zwei Wochen Hausarrest gegeben. Zwei Wochen! Und das ausgerechnet jetzt!

"Scheiße!"

Ich schmeiße mich aufs Bett und fange zu meinem Entsetzen auch noch an zu heulen. Großartig. Wenigstens sieht das niemand.

Wie immer vergeht das Wochenende rasend schnell und der Montag steht wieder vor der Tür. Benni musste schon sehr früh aufstehen, also sitze ich allein in der Küche und frühstücke. Kein Ausschlafen, kein Bademantel, kein Benni, aber der Kaffee muss schon sein. Besonders heute, weil ich seit Langem mal wieder eine fast schlaflose Nacht hatte. Scheinbar hat mein Unterbewusstsein ohne meine Zustimmung einen fiesen Alptraum aus den Ereignissen der letzten Wochen gesponnen. Das ist die einzige Erklärung, die ich dafür finden konnte. Warum sonst sollte ich träumen, dass Benni und Patrick durch irgendeinen Zufall aufeinander treffen und versuchen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Es war alles genauso, wie Martin es beschrieben hatte, nur dass Benni derjenige war, der im Krankenhaus gelandet ist. Fürchterlich. So genau hätte ich das lieber nicht sehen wollen. Und natürlich sehe ich es immer noch. Traum hin oder her, ich kann es nicht abschalten. Die Arbeit ist die einzige Hoffnung, die ich habe, dass diese Bilder über den Tag hinweg verschwinden werden. Das Schlimmste ist aber, dass so etwas durchaus passieren könnte. Patrick ist hier in der Stadt und ich würde ihm auch zutrauen, dass er irgendwann wieder auftaucht. Ich bezweifle, dass er sich zurückhalten könnte, wenn er auf Benni trifft. Und Bennis Reaktion darauf kann ich mir auch nur zu gut vorstellen.

In der Redaktion werde ich freundlich begrüßt. wie jeden Morgen. Mein Chef scheint besonders gut gelaunt zu sein und teilt mir sofort mit, dass er für mich einen Termin mit dem Leiter des Fitness-Studios vereinbart hat. Ich solle mich sofort auf den Weg machen und mir alles genau ansehen. Erleichtert nehme ich den Schlüssel zum Firmenwagen entgegen und mache mich auf den Weg. Das Interview bedeutet, dass ich weniger Zeit zum Nachdenken haben werde und den Traum somit hoffentlich schnell vergessen kann.

Dank der Tatsache, dass ich meinen Job sehr gerne mache, funktioniert es sogar. Ich sehe mir das Studio erst einmal in Ruhe an, bevor ich mich mit dem Leiter treffe und er mir alles genau erklärt. Er bietet mir sogar an, einen kostenlosen Probetag zu absolvieren, um einen noch besseren Überblick zu bekommen. Mehr oder weniger dankbar nehme ich den Vorschlag an. Mein Chef würde kein Verständnis dafür haben, wenn ich mich drücke und Benni bräuchte ich auch nicht mehr unter die Augen zu treten. Er würde nur wieder mit solchen Sprüchen kommen, dass es mich schon nicht umbringen würde, und dass er so ein Angebot gerne angenommen hätte.

Um es allen außer mir recht zu machen, schreibe ich mich nach dem Rundgang also gleich für einen Termin ein. Mein Gegenüber strahlt mich begeistert an und ist offensichtlich mit seiner Werbung sehr zufrieden.

Auf dem Rückweg zur Redaktion stecke ich dann im Stau fest. Scheinbar müssen alle nach dem Wochenende wieder einkaufen und blockieren damit die Straßen. Ich bin froh, dass die Redaktion einen eigenen Parkplatz hat, sonst dürfte ich wahrscheinlich ewig nach einem suchen.

Zurück an meinem Schreibtisch trage ich den vereinbarten Termin erst mal in den Kalender ein und tippe meine Notizen dann am Computer ab. Bevor ich allerdings mit dem eigentlichen Artikel anfangen kann, bekomme ich noch ein paar Aufgaben, wie Kaffeekochen und Unterlagen sortieren, zugeteilt. Wie immer. Leider bin ich durch meinen letzten Bericht nämlich immer noch nicht um diese Sklavendienste herumgekommen.

Als endlich Feierabend ist, schnappe ich mir meine Sachen und verschwinde so schnell wie möglich aus der Redaktion bevor mir noch jemand etwas aufhalsen kann. Kommt nicht selten genug vor. Glücklicherweise muss ich mich jetzt nicht auch noch durch den Stau nach Hause kämpfen, sondern fahre mit meinem Fahrrad einfach mitten durch. Ich will jetzt nur noch auf dem Sofa liegen und irgendetwas im Fernsehen gucken, um abzuschalten.

Als ich allerdings um die Ecke in meine Straße einbiege, löst sich diese Illusion sehr schnell auf. Ein Polizeifahrzeug steht vor meiner Haustür und ich sehe Benni wie er mit einem Polizisten spricht. Außerdem fällt mir sofort auf, dass eines unserer Fenster kaputt ist. Wurde etwa eingebrochen? Ich muss natürlich gleich an Patrick denken, aber warum sollte er in unser Haus einbrechen wollen. Das ist doch sogar für seine Verhältnisse etwas übertrieben, oder nicht?

Ich fahre so schnell wie möglich zu Benni. Als er mich sieht, kommt er auf mich zu und versucht sofort mich zu beruhigen.

"Es ist alles okay, Manu. Nur das eine Fenster wurde eingeworfen. Mir geht es gut."

"Du warst dabei?", frage ich entsetzt.

"Ja, aber ich habe nicht wirklich etwas mitbekommen. Ich war im Bad und konnte deshalb auch nicht sehen, wer es war. Ich bin gleich rausgelaufen, habe aber niemanden entdeckt. Dann hab ich die Polizei gerufen. Es ist noch gar nicht so lange her."

"Aber, was… war jemand im Haus? Fehlt irgendwas?"

"Nein, es war niemand im Haus. Er oder sie hat nur das Fenster mit einem Stein eingeworfen."

"Aber warum?"

"Ich hab keine Ahnung. Meinst du…" Er zögert. "Meinst du Patrick könnte…?"

"Das hab ich mich auch schon gefragt, aber ich wüsste nicht, was ihm das bringen soll."

"Vielleicht will er uns Angst machen."

"Ja, vielleicht."

Wir beantworten der Polizei noch einige Frage und gehen dann ins Haus. Ich setze mich erst einmal aufs Sofa, obwohl an das gemütliche Entspannen, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hatte, natürlich nicht zu denken ist. Benni holt uns beiden ein Bier und setzt sich dann neben mich.

"Wer wirft denn bitte einfach so ein Fenster ein?", fragt er.

"Keine Ahnung. Ich hoffe nur, dass es nicht Patrick war."

Benni sieht mich misstrauisch an. "Willst du ihn in Schutz nehmen?"

"Nein, ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es damit gegessen wäre. Wenn es wirklich Patrick war, wird da sicherlich noch etwas nach kommen."

"Sag sowas bloß nicht."

"Aber wer sollte es denn sonst gewesen sein? Selbst wenn es nicht Patrick gewesen ist, muss sich doch irgendjemand etwas dabei gedacht haben. Oder meinst du es war nur ein blöder Streich und unser Haus wurde rein zufällig ausgesucht?"

"Das kannst du nicht wissen", versucht Benni mich zu beruhigen. "Fühl dich nicht immer so verfolgt. Es gibt nicht nur Menschen da draußen, die uns etwas Böses wollen."

Schon wieder sagt er nicht das, was er wirklich denkt. Ich hasse das. Als ob ich zusammenbrechen würde, wenn er mir offen sagt, dass es wahrscheinlich wirklich jemand auf uns abgesehen hat. Er ist immer viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu beruhigen.

"Und was machen wir jetzt?", frage ich.

"Bier trinken und fernsehen."

"Nein, ich meine wegen dieser Fenstergeschichte."

"Gar nichts, Manu. Was willst du denn auch tun? Ausziehen? Nicht mehr schlafen, weil jeden Moment wieder etwas passieren könnte? Die Polizei weiß über alles Bescheid. Mach dir keine Sorgen."

"Das sagst du so einfach. Was ist denn, wenn wir morgen von der Arbeit kommen und das ganze Haus ausgeräumt ist?"

Er legt einen Arm um meine Schulter und küsst mich auf die Stirn. "Dann rufen wir wieder die Polizei an und die sagen uns dann wie es weitergehen soll."

"Du bist doof."

"Wieso das denn jetzt?", fragt er verwirrt, lächelt mich aber an.

"Weil du mich überhaupt nicht ernst nimmst."

"Hab ich das jemals getan?"

"Eben."

Er lacht und ich kann einfach nicht anders als mich ein Stückchen besser zu fühlen. So sehr mir seine Beruhigungsversuche auch auf die Nerven gehen, er ist wirklich gut darin.

"Wie soll ich denn mit Kai sprechen, wenn ich nicht raus darf?", frage ich Tim verzweifelt am Telefon. Heute ist Montag und eigentlich wollten wir alle in den Park gehen, weil wir heute schulfrei haben. Aber ich hab ja Hausarrest.

"Vielleicht ist es ja ganz gut so."

"Was?"

"Na ja, wahrscheinlich kommt Kai heute ohnehin nicht und du musst dir dann nicht den ganzen Tag Gedanken machen."

"Als ob ich das nicht sowieso tue." Also wirklich. Dafür, dass Tim sonst immer alles so gut versteht, liegt er dieses Mal ziemlich daneben.

"Aber sieh es doch mal so: wenn Kai heute doch kommt, wird ihm auffallen, dass du nicht da bist und er wird sich mit Sicherheit auch seine Gedanken machen. Vielleicht verzichtet er darauf dir aus dem Weg zu gehen, wenn er sich Sorgen macht."

"Dazu müsste er aber erst mal im Park auftauchen und du hast selber gesagt wie unwahrscheinlich das ist."

"Dann rufe ich ihn eben heute Abend an und…"

"Nein, das tust du nicht!", drohe ich. "Er soll nicht denken, dass ich bei jedem Problem immer gleich zu dir renne und dir alles erzähle."

"Aber so ist es doch", kichert er.

"Sehr witzig. Das muss er nur nicht unbedingt jetzt erfahren."

"Und was ist, wenn er mich anruft? Weiß ich dann über alles Bescheid oder nicht?"

"Gute Frage. Aber ja, ich denke schon. Wenn er schon von sich aus bei dir anruft, kannst du ihm gleich den Kopf waschen."

"Na toll, jetzt geht alles wieder von vorne los. Manchmal glaube ich, dass mein Leben sehr viel ruhiger wäre, wenn ich euch nicht kennen würde."

"Das kann ich nachvollziehen. Tut mir leid, dass immer alles so kompliziert ist."

"Das ist nicht deine Schuld", versucht er mir zu erklären. "Kai ist einfach so. Ich hab mich damit abgefunden. Mach dir keine Sorgen. Das ist alles neu für ihn, aber irgendwann wird es nichts Neues mehr geben. Dann wird das alles für ihn auch ganz normal sein."

"Das kann ich mir nur sehr schlecht vorstellen. Hoffentlich hast du recht."

"Ich sag dir morgen in der Schule, ob er heute da war."

"Meinst du er kommt morgen?"

"Ich weiß nicht. Wir werden sehen. Bis dann."

"Okay."

Das wird ein langer Tag heute. Es macht mich ganz verrückt nicht zu wissen, was Kai gerade macht und wie es ihm geht. Was wird er wohl denken, wenn er in den Park geht und ich nicht da bin? Wird er sich Sorgen machen? Wird ihm auffallen, dass er irgendetwas falsch gemacht haben muss?

Ich kann mir nicht vorstellen wie er es anstellen will, mir aus dem Weg zu gehen, wenn er mir nichts erklärt hat. Er muss doch eigentlich davon ausgehen, dass ich mit ihm reden und ihn sehen will. Was wird er wohl denken, wenn ich mich nicht bei ihm melde? Vielleicht ist er dann froh, dass er Zeit zum Nachdenken hat. Zeit, um sich irgendeine Ausrede auszudenken. Oder vielleicht bekommt er ein schlechtes Gewissen? Als er mich gestern verabschiedet hat, hat er auch schon ausgesehen, als wüsste er genau, dass sein Verhalten mich irritieren und verletzen würde.

Komisch ist auch, dass ich mich überhaupt nicht wohl fühle mit dem Gedanken, dass es ihm auch nicht gut geht. Sonst dachte ich immer: Gut, dass er auch ein bisschen leidet, wenn er sich schon so dämlich aufführt. Aber jetzt finde ich die Vorstellung ganz schrecklich. Ich will nicht, dass es ihm schlecht geht und er sich Sorgen machen muss. Ich möchte, dass es immer so ist wie am Samstagabend. Ich möchte doch nur bei ihm sein und nicht ständig darüber nachdenken müssen, ob etwas Schlechtes daran ist, was wir tun. Geht es ihm nicht auch so? Er kann doch auch nicht wollen, dass es ewig so weiter geht wie jetzt.

Meiner Mutter gehe ich heute vollkommen aus dem Weg. Sogar das Mittagessen hab ich ausfallen lassen. Meinem Vater muss ich wie immer nicht ausweichen, weil er nicht da ist. Ich habe keine andere Wahl als den ganzen Tag in meinem Zimmer zu hocken und mich zu langweilen. Es ist schon fast eine Erleichterung, als es spät genug ist, um schlafen zu gehen.

Am nächsten Morgen bin ich so aufgeregt, dass ich überhaupt nicht hinhöre, als meine Mutter mir erklärt, dass ich sofort nach der Schule nach Hause zu kommen habe. Als ob ich das vergessen hätte. Ganz kurz spukt mir der Gedanke im Kopf herum, dass ich ihre Anweisung einfach ignorieren und Kai besuchen könnte, aber dann ist er auch ganz schnell wieder vergessen. Ich habe mir immerhin vorgenommen, Kai in Ruhe zu lassen und darauf zu warten bis er sich bei mir meldet. Und mit meiner Mutter muss ich es mir nicht auch noch mehr verscherzen. Eigentlich ist es ja egal, ob ich mich über den Hausarrest hinwegsetze, weil sie mir ohnehin nichts Schlimmeres antun kann, als mich hier festzuhalten, aber wo sollte ich schon hingehen? Die einzige Alternative wäre der Park, aber ich möchte jetzt nicht zu Tim und den anderen und wieder alles von vorne erzählen. Ich will nicht wieder wie ein halber Zombie da rumsitzen, nur um die Zeit totzuschlagen.

Die einzige Möglichkeit, dass ich trotz der Anweisungen meiner Mutter nicht nach Hause kommen würde, wäre, wenn Kai mich fragt, ob ich mit zu ihm gehe. Aber da mache ich mir keine große Hoffnung. Ich werde erst mal sehen, ob er überhaupt in der Schule ist.

"Er ist hier", sagt Tim, als wir in der Pause einen Moment allein sind. Anscheinend hat er unseren Freunden nichts erzählt. Das ist mir nur recht. Für Anna und Susi, die wieder gesund ist, wäre es nur wieder ein Grund zum Tratschen.

"Er wird auch gleich hier sein."

"Was? Er bleibt nicht in der Klasse? Will er mit mir reden?", frage ich ganz überrumpelt. Ich merke sofort, wie sich alles in meinem Körper schmerzhaft verkrampft. Wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Damit hatte ich nicht gerechnet.

"Nein, ich glaube er will nur nicht, dass die anderen etwas merken. Und er will sehen wie es dir geht, das hätte ich nicht gedacht. Sonst war es ihm immer egal …"

"Hast du mit ihm gesprochen?", unterbreche ich ihn.

"Ja, er hat mich angesprochen. Und er weiß ganz genau, dass er sich dir gegenüber falsch verhalten hat. Er hat mir von sich aus alles erzählt. Und ich hatte recht: er ist mit der Situation nicht klargekommen. Er sagt, dass er sich total erschrocken hat, als du morgens neben ihm gelegen hast."

"Aber er will nicht mit mir reden."

"Das weiß ich nicht. Es kann aber sein, dass er sich jetzt total schlecht fühlt und nicht weiß wie er dir alles erklären soll. Er hat es schon kaum geschafft es mir zu erzählen. Wahrscheinlich denkt er, dass du ihn nicht verstehen kannst."

"Aber das ist doch Quatsch!", schnaufe ich.

"Wart's doch erst mal ab. Vielleicht will er ja mit dir reden."

"Hey Kai!", ruft Lippe auf einmal. "Wo warst du denn so lange?"

Ich drehe mich schnell um und sehe, wie er auf uns zukommt. Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen und merke wie meine Hände anfangen zu schwitzen. Meine Güte. Warum bin ich so aufgeregt?

Nachdem Kai auf Lippes Frage geantwortet hat, sieht er mich kurz an und dann auf den Boden. Er sieht mindestens genauso angespannt aus wie ich.

Dadurch, dass wir hier an der Schule nie gezeigt haben, dass wir zusammen sind, bemerkt jetzt auch keiner unserer Freunde unser merkwürdiges Verhalten. Alles läuft eigentlich genau wie immer, außer dass Kai eben nicht mit mir spricht. Ich könnte auf der Stelle anfangen zu schreien, um den Druck loszuwerden, der sich gerade in mir aufbaut. Tim versucht mich abzulenken und fragt, ob sich meine Mutter wieder abreagiert hat. Das scheint auch Kai mitzubekommen, denn er sieht auf einmal neugierig zu uns rüber. Ich weiß nicht genau, ob er alles versteht, ich hoffe nicht. Dann könnte er eins und eins zusammenzählen und wüsste genau, dass ich am Sonntag nicht rechtzeitig zuhause war, obwohl ich so früh von ihm weg gegangen bin. Und wo sollte ich gewesen sein, wenn nicht bei Tim? Wenn er zu diesem Schluss kommt, wüsste er auch, dass ich Tim alles erzählt habe.

Ich wüsste nur zu gerne, was er gerade denkt. Ist er sauer auf mich, weil ich alles vor Tim ausgebreitet habe? Allerdings hat er selber heute mit Tim gesprochen, dann kann es ihm doch nicht so unangenehm sein, oder?

Vielleicht überlegt er auch gerade, wie er mir am besten beibringen kann, dass er sich trennen will. Oder er hat Angst, dass ich mich trennen will und traut sich deswegen nicht, mich anzusprechen. Oder …

Die Schulklingel unterbricht mich in meinen Gedanken. "Bis später", rufen mir Anna und Susi vollkommen synchron zu und schon stehe ich allein da. Na ja, fast allein. Kai steht hinter mir, was ich aber erst bemerke, als ich mich umdrehe und ihn fast umrenne.

"Oh. Entschuldigung", murmle ich leise.

"Kein Problem, ich …" Jetzt sieht er wieder auf seine Füße, will aber offensichtlich noch etwas sagen.

Oh Gott, jetzt kommt es, denke ich.

"Kann … ich meine, vielleicht … ist es dir recht, wenn ich heute zu dir komme?" Der letzte Teil kam so schnell aus seinem Mund, dass ich mich konzentrieren musste, um alles richtig zu verstehen. "Ich dacht nur, weil du doch Hausarrest hast … und wahrscheinlich willst du auch gar nicht … also …"

Er hat es scheinbar aufgegeben, mir eine Erklärung geben zu wollen und sieht mich jetzt fragend an.

"Äh, ja … ich weiß nur nicht, ob meine Mutter was dagegen hat." Ach, ist auch egal. Rausschmeißen wird sie ihn wohl nicht und ich werde mir die Chance nicht entgehen lassen, mit Kai zu reden. "Aber komm doch einfach."

"Okay." Er lächelt einmal kurz und geht dann in die Schule zurück.

Ich laufe in die andere Richtung und hoffe, dass der Unterricht noch nicht angefangen hatte.

Zuhause versuche ich, so ruhig wie möglich zu bleiben und nicht zu überlegen, was Kai mir vielleicht sagen möchte. Trotzdem kann ich das Kribbeln, das überall zu sein scheint, nicht unterdrücken.

Meiner Mutter habe ich nicht gesagt, dass Kai kommt, aber sie hat mir schließlich auch nicht verboten jemanden einzuladen. Ich darf nur nicht raus, außerhalb der Schulzeiten. Wahrscheinlich wird sie trotzdem einen Aufstand machen, aber heute werde ich darauf bestehen, dass Kai bleiben darf. Soll sie mir doch für die Zukunft verbieten, Besuch zu bekommen, aber für heute gilt das noch nicht. Da kann sie nichts machen. Ich hab auch Rechte.

So verbringe ich die Zeit, bis es unten an der Haustür klingelt und ich so schnell wie möglich die Treppe hinunter rase.

Ich öffne die Tür und da steht Kai. Er hat schon wieder dieses merkwürdig gequälte Lächeln aufgesetzt, aber wahrscheinlich sehe ich auch nicht anders aus.

"Hallo", sagt er etwas zu höflich.

"Hey, komm rein."

"Oh, hallo Kai", ruft meine Mutter aus dem Wohnzimmer. Man sieht nur ihren Kopf durch die Tür schauen. "Tut mir leid, aber Moritz hat Hausarrest. Ihr müsst euch ein anderes Mal verabreden."

"Aber wir gehen ja gar nicht weg. Davon, dass ich niemanden einladen darf, war nie die Rede. Wenn du das jetzt einführen willst, bitte. Aber heute kannst du es mir nicht verbieten."

"Moritz!", ruft sie uns nach, aber wir sind schon auf dem Weg nach oben. Wahrscheinlich hat ihr mein Ton nicht gefallen. In den nächsten zwei Wochen kann ich mir Besuch dann wohl abschminken.

"Jetzt siehst du mal wie sie ist", seufze ich und lasse mich auf meinen Sitzsack plumpsen.

"Das mit dem Hausarrest tut mir leid, das ist meine Schuld."

"Wieso das denn?"

"Weil du meinetwegen zu spät nach Hause gekommen bist. Wenn ich mich nicht so dämlich verhalten hätte, hättest du nicht bei Tim …" Er spricht den Satz nicht zu Ende, aber das muss er auch gar nicht. Meine Frage ist so schon beantwortet. Er weiß also, dass ich mit Tim gesprochen habe.

"Ich verstehe das, Kai. Aber ich hätte lieber von dir erfahren wie es dir geht. Immer zu Tim zu laufen, kommt mir auch nicht richtig vor, aber was soll ich denn machen? Du könntest es mir doch viel besser erklären."

"Nein."

"Warum nicht?"

"Weil ich es selber nicht verstehe", sagt er verzweifelt. "Ich weiß warum ich mit dir zusammen sein will, aber ich verstehe nicht, warum es so schwer ist. Ich dachte es wäre jetzt vorbei, aber als du dann am Sonntagmorgen neben mir gelegen hast, war ich so erschrocken, dass ich raus musste. Ich kann es ja nicht mal jetzt erklären."

"Ich verstehe, dass das nicht einfach für dich ist, aber auch wenn du es nicht erklären kannst, musst du mir sagen wie es dir geht. Ich möchte wissen, was du denkst und was du fühlst. Du kannst mir auch sagen, wenn es dir zu viel wird. Dann gehe ich. Aber sag es mir. Wenn du nicht mit mir sprichst, weiß ich nicht was los ist, und das macht mich verrückt. Ich kann nicht in dich reinschauen, um zu wissen, wann ich vielleicht etwas falsch mache."

"Du hast nichts falsch gemacht", sagt er leise.

"Doch, ich hätte nicht bei dir schlafen dürfen. Ich hätte merken müssen, dass es dir nicht gut geht."

"Du hast selber gesagt, dass das nicht geht. Ich bin derjenige, der immer wieder alles falsch macht und das tut mir leid. Aber ich kann das einfach nicht abschalten."

"Und was heißt das jetzt? Willst du … Schluss machen?"

Er sieht mich erschrocken an. "Nein."

Ein paar Sekunden lang schauen wir uns nur an, dann halte ich es nicht länger aus und stehe auf. Ein bisschen erinnert mich die Situation an den Tag im Park, als er mich zum zweiten Mal geküsst hat. Ich gehe zu ihm und nehme ihn in den Arm. "Ich liebe dich", flüstere ich.

"Ich dich auch."

"Sag mir das nächste Mal, wenn etwas nicht in Ordnung ist, ok?"

"Ich werd's versuchen, aber versprechen kann ich es nicht."

"Das reicht mir schon", sage ich lächelnd. "Ich bin froh, dass ich dich wieder hab."

Er löst sich von mir und nimmt mein Gesicht in beide Hände. "Ich werde versuchen, nicht immer so ein Idiot zu sein."

"Ist gut."

Und dann endlich küsst er mich. Es fühlt sich ganz normal an. Nicht so als müsste man sich um irgendetwas Sorgen machen, nicht so als müsste man sich dafür rechtfertigen oder sich sogar verstecken. Es ist nur ein Kuss. Und ich bin froh, dass Kai mich immer noch küssen möchte. Alles andere ist für diesen Moment egal. Ich werde mir wohl angewöhnen müssen, die Zeit, die ich mit Kai verbringen kann, zu genießen. Auch wenn es sich schrecklich anhört: ich kann nie wissen, wann er wieder auf Abstand geht. Ich hoffe nur, dass Tim recht behält und irgendwann tatsächlich alles normal sein wird.

"Woran denkst du?", fragt er.

"Na an dich. Und daran, dass wir es uns eigentlich auch gemütlicher machen könnten."

Er zögert.

"Nicht so gemütlich", sage ich schnell, nachdem ich seine Gedanken erraten habe. "Einfach nur hinlegen."

Ich gehe vor und lege mich quer übers Bett, sodass die Füße an der Seite runter hängen. Dann klopfe ich auf den freien Platz neben mir. Kai verdreht die Augen und kommt dann langsam zu mir rüber.

"Ich will nicht, dass du glaubst …", fängt er an.

"Ich glaube überhaupt nichts, also leg dich endlich hier hin."

Er tut, was ich sage und sieht sogar schon etwas glücklicher aus, als er merkt, dass ich nichts weiter im Sinn habe.

"Das ist das erste Mal, dass ich in deinem Zimmer bin."

"Ja, aber nicht das letzte Mal", sage ich schnell.

"In den nächsten zwei Wochen werde ich wohl öfter her kommen müssen, hm?"

"Wenn es dann nicht verboten ist. Na ja, sonst musst du dich eben rein schleichen. Oder ich schleiche mich raus."

"Und dann?"

"Dann verbringen wir die Nacht unter dem funkelnden Sternenhimmel", flüstere ich mit übertrieben romantischem Unterton.

"Ach so", sagt er schmunzelnd. "Hätte ich mir eigentlich auch denken können."

"Heißt das, du findest mich schnulzig?"

"Nein."

"Sondern?"

"Ich finde dich süß. Aber das weißt du ja schon."

Bei dem Stichwort fällt mir etwas ein. "Tim hat mal gesagt, ich sei genau dein Typ. Stimmt das? Ich meine, woran genau hat er das gesehen?"

"Wer weiß schon so genau, was Tim sich denkt?"

Mit der Antwort gebe ich mich aber nicht zufrieden und sehe ihn weiterhin neugierig an. Ich hab mich schon öfter gefragt, was Kai auf mich aufmerksam gemacht hat.

"Vielleicht meinte er deine Art. Du willst dich immer klein machen und nicht unbedingt auffallen. Ich fand es so niedlich, wie du auf der Mauer gesessen und versucht hast, dass dich niemand bemerkt. Und als ich dich angesprochen habe, bist du ganz rot geworden."

Genau das passiert jetzt gerade auch wieder. Ich fasse es nicht, dass er ausgerechnet das so niedlich fand. Normale Menschen gehen doch meistens übers Äußere, oder nicht? Aber vielleicht sollte ich mich freuen, dass Kai sich nicht in meine Augen, Haare oder meinen Körper verliebt hat.

"Es könnte aber auch etwas damit zu tun haben, dass du einfach zum Auffressen süß bist", sagt er grinsend und beugt sich über mich. "Dich muss man einfach lieb haben." Und dann küsst er mich. Nur ganz leicht, aber gerade richtig, um mir zu zeigen, was er gemeint hat.

"Was meinst du wie schwer es mir gefallen ist, dich im Park stehen zu lassen, nachdem wir uns so geküsst haben?"

"Du hättest ja bleiben können."

"Nein", sagt er einfach nur und ich weiß, dass da nicht mehr kommen wird. Das Thema ist abgehakt.

"Warum hast du geweint?", frage ich, ohne zu wissen wie er darauf reagieren wird. Als ich ihn das letzte und erste Mal danach gefragt habe, war es ein sehr schlechter Augenblick.

Er sieht mich lange an und einen Moment bin ich sicher, dass er auch dieses Mal nichts sagen wird. Er legt sich wieder neben mich, den Kopf auf eine Hand gestützt und scheint sich selber erst wieder erinnern zu müssen.

"Ich wusste, dass du mich irgendwann wieder danach fragen wirst."

"Willst du es mir nicht sagen?"

"Nein und ja. Ich kann dir nicht alles sagen, das heißt jetzt noch nicht. Vielleicht irgendwann. Aber das, was ich dir sagen kann, kannst du dir wahrscheinlich selber denken. Ich war einfach durcheinander. Deinetwegen. Und dann auch noch der Streit mit Tim. Das war zu viel in dem Moment."

Ja, so was hab ich mir schon gedacht, aber was kann er mir nicht sagen? Und warum nicht? Ich muss zugeben, dass mir das schon wieder Sorgen macht. Ich dachte nämlich, dass ich langsam mal alles wüsste, was es über Kai zu wissen gibt. Ist es vielleicht etwas Schlimmes? Warum sollte er es mir sonst nicht sagen wollen?

"Oh je, ich sehe schon", seufzt er. "Jetzt machst du dir wieder Sorgen, weil ich dir etwas verheimliche, oder?"

"Ein bisschen", gebe ich zu. "Warum sagst du es mir nicht?"

"Weil es etwas ist, womit ich selber noch zu kämpfen habe. Du musst dir keine Sorgen machen."

"Ich könnte dir doch helfen."

"Nein." Er sagt es schon wieder so endgültig.

"Und wie soll ich mir jetzt keine Sorgen machen?"

"Reicht es nicht, wenn ich dir versichere, dass das nicht nötig ist? Und es bringt übrigens auch gar nichts, Tim zu fragen. Der weiß es auch nicht."

"Sehr beruhigend. Muss ja wirklich schlimm sein, wenn du es nicht mal Tim erzählt hast."

Er seufzt wieder und streicht mit seiner freien Hand durch meine Haare. "Ich hätte es dir nicht sagen sollen. Aber irgendwann erzähle ich dir alles, okay? Solange musst du das vergessen und dir keine Gedanken machen. Es ist wirklich nichts Schlimmes, nur etwas, das mich noch beschäftigt."

"Na gut. Ich werde nicht mehr dran denken."

Das werde ich natürlich doch und ich kann es kaum glauben, dass Kai mir das abnimmt. Wir liegen noch eine ganze Weile zusammen in meinem Bett und danach schaut sich Kai noch in meinem Zimmer um. Er möchte es genauso aufmerksam ansehen wie ich es bei ihm getan habe. Manchmal kann ich seinetwegen echt nur den Kopf schütteln.

Am frühen Abend geht er dann nach Hause und mir steht das Gespräch mit meiner Mutter bevor. Allerdings verbietet sie mir überraschenderweise nicht, dass ich Besuch bekomme, besteht aber darauf, dass sich der Umgangston zwischen uns wieder verbessert. Sie wolle mich schließlich nicht ärgern, sondern nur sicher gehen, dass aus mir mal ein anständiger Mensch wird. Von da an habe ich ihr nicht mehr zugehört. Meine Gedanken waren wo anders.

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