Stories
Stories, Gedichte und mehr
Trost
Kapitel 45-47
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Trost
- Autor: Jainoh
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 45
Kai war es unglaublich egal, was der andere denken würde. Er amüsierte sich prächtig und entgegen seiner Befürchtungen war auch Pascal sehr gut gelaunt. Sie lachten und tanzten viel, teilten sich tatsächlich die Aufmerksamkeit von Lukas, dessen Fähigkeiten, sie beide zu beachten, Kai maßlos erstaunte. Zugleich hielt Lukas ihnen noch einige Kerle von der Pelle, wofür Kai ihm allein schon dankbar war. Eifersucht stellte sich weiterhin nicht ein, aber es besorgte Kai nicht mehr. Die Tanzfläche war zudem angenehm klein und dunkel, keine Fleischbeschau, sondern wirklich zum Austoben gedacht. Die Bar hingegen war erleuchtet und gemütlich eingerichtet, hier lief angenehme Musik, zu der man sich gut unterhalten konnte. Den Darkroom streifte Kai mit einem unsicheren Blick und wendete sich dann entschlossen ab. Auf eine Erinnerung an seine Angst vor Überfällen im Dunkeln hatte er an diesem Abend sicherlich keine Lust.
Es war schon vier Uhr und so langsam begann der Laden doch hier und dort freie Eckchen aufzuweisen, als Kai und Pascal auf ihren Barhockern sitzend zu gähnen begannen und ans Einschlafen dachten. Lukas tauchte schon wieder neben ihnen auf und drängte sich zwischen sie beide. „So, was machen wir jetzt? Einen Kaffee trinken gehen? Ich kenne eine hervorragende Bar.“ Seine gute Laune und sein Unternehmungsgeist steckten an und auf der Fahrt durch die schneidende Kälte wurde Kai ein wenig wacher, schon bald kletterten sie vor der Bar aus dem Bulli und warteten frierend vor dem Eingang, dass Lukas einen Parkplatz gefunden hatte. Pascal lehnte den Kopf in den Nacken und blinzelte zu den Sternen hoch. „Falls ich es nachher vergesse, Kai. Danke. Das war wirklich ein toller Abend.“ Kai lächelte und sah ihn von der Seite her an. „Für mich auch, ich hab mich wirklich schon lange nicht mehr so amüsiert. Deswegen auch dir noch mal danke.“ Pascal zeigte wieder sein süßes Lächeln, bei dem Kai immer schmelzen wollte und sah ihn an, seine hellgrauen Augen schienen Kais Gesicht einmal absuchen zu wollen, dann umarmte er Kai spontan und lachte. „Das Leben ist doch toll, oder?“ ‚Toll. Ja. Ist es das?‘ Irgendwie fühlte Kai sich leicht und froh, aber auf eine taube Art. Um mehr fühlen zu können, die Taubheit in den Hintergrund zu drängen, umarmte er Pascal fest und drückte sein Gesicht gegen die kalte Wange seines Freundes.
Bevor sie noch etwas hätten sagen können, kam Lukas zu ihnen und schimpfte spielerisch, weil sie sich nicht schon längst ins Warme gesetzt hatten. Die Bar war mit schicken Ledersesseln ausgestattet und beherbergte etliche discomüde Grüppchen und Paare. Lukas steuerte auf einen freien Ecktisch zu und ließ sich seufzend nieder, zog Kai gleich mit sich auf das Kunstledersofa. Sie bestellten ihren Kaffee, Kai mit viel Milch, Lukas einen doppelten Espresso und Pascal Latte Macchiato und begannen die Wärme und das Nachglühen zu genießen.
Kai schmiegte sich, blind und taub für die Umwelt, an Lukas heran und ließ sich streicheln, während Lukas sich mit Pascal über Geldanlagen und Versicherungen unterhielt, worüber sie auf das Haus in Spanien zu sprechen kamen. Träge und unbedeutende Ferienpläne wurden geschmiedet und Kai genoss es, schweigen zu dürfen und nicht denken zu können, weil er zu betrunken war.
Leicht strichen Lukas’ Finger über seine Hand und Kai schmiegte sich schamlos noch enger an ihn heran. So warm und sicher und weich hatte Kai sich mit Jan nie gefühlt. Immer waren da die Anderen gewesen, die sie nicht zusammen sehen durften, immer waren da die Anderen gewesen, mit denen Jan noch ausgehen wollte. Immer wieder die Anderen. Bei Lukas war da nur er. Er, mit dem Lukas ausgehen wollte, er, mit dem er gern gesehen werden wollte. Es tat so unheimlich gut im Mittelpunkt zu stehen, wichtig zu sein, dass Kai sich um nichts anderes mehr kümmern wollte, auch wenn der nicht ausreichend betrunkene analytische Teil seines Gehirns ihn ein wenig bissig zu fragen begann, was denn mit Pascal sei und wohin seine Eifersucht nun gegangen sein mochte.
Endlich schlief Kai einige Male fast ein, der Barkeeper schenkte ihnen allen noch einen netten Rauswurfschnaps aus und Lukas erklärte den Abend für offiziell beendet. Gut gelaunt verfrachtete er Kai und Pascal zusammen in den Bulli und fuhr dann zur Musik im Radio mitsummend los. Erst als sie vor Kais Haus schon eingeparkt hatten, zuckte Pascal aufwachend zusammen und riss die Augen auf. „Ich… wollte doch… zu mir…“ Lukas legte, bereits den Motor ausstellend, den Arm um seine Schultern. „Unsinn, Passi. Du pennst wieder hier, wie zu Silvester. Das geht doch prima mit uns Dreien!“ Misstrauisch folgte Kai ihnen und überließ es Lukas, mit seinen Schlüsseln voranzustiefeln und die Türen aufzuschließen. ‚Prima mit uns Dreien? Was hat er denn nun schon wieder vor?‘
Zunächst hatte Lukas gar nichts vor, machte einen schon verdächtig friedlichen Eindruck. Wo er sonst gerade nach dem Ausgehen doch Sex abgestrahlt hatte und seine Lust darauf in jedem Blick auf Kais Haut schon hatte spürbar machen können, waren seine kleinen Blicke nun in Kais Augen gerichtet und freundlich oder fragend gemeint, während sie sich umzogen und die Bettensituation entschärften.
Sie bezogen gemeinsam noch eine Decke für Kais Bett, jeder half in schweigendem Einvernehmen mit. Pascal wurde von Kai mit einem Schlafanzug versorgt und Lukas schlief natürlich wieder mal nur in Shorts mit nacktem Oberkörper. Der kleine Teufel auf seiner Brust zwinkerte besonders wissend.
Als Lukas sich die Zähne putzen ging, quetschte Kai sich schnell noch durch die Tür zu ihm dazu. Das Neonlicht blendete ihn, transportierte die Müdigkeit noch tiefer in seinen Kopf, auch wenn die Situation ihn aufkratzte. Lukas schien dies nicht zu merken, er schien aber auch nicht übermäßig müde zu sein. Fröhlich grinsend reichte er Kai die Zahnbürste. „Na? Habe ich mich vorbildlich gekümmert?“ Benommen nickte Kai und schrubbte sich die Zähne, ohne es wirklich wahrzunehmen. ‚Eifersucht… ist es vielleicht unnormal? Bei… Jan…‘ Gott, es tat weh, wenn er den Namen nur dachte, wenn er nur in diese Richtung erinnert wurde, aber dennoch konnte er damit nicht aufhören. ‚Bei Jan hat es mich sofort genervt, wenn er nur mit Bianca geredet hat.‘
Um Zeit zu gewinnen, spülte Kai sich den Mund extra lang aus, dann erst drehte er sich zu Lukas um, der sich das Gesicht und die Haare kurz mit dem Duschkopf gewaschen hatte und nun mit einem geblümten Handtuch als Turban noch weniger gefährlich aussah als sonst.
„Ja… hast dich gut gekümmert.“ Kai nickte noch einmal, von einem Lächeln begleitet, das ihm selber ein wenig unpassend erschien. „Aber das fällt doch bei Passi auch nicht schwer, oder?“ Lukas’ Augen verengten sich kurz, dann nickte er, lächelte dabei aber mit einem Schlag nicht mehr. Innerhalb von Sekunden war der Raubtierblick wieder da, die Haltung änderte sich nur um eine Spur, der Effekt war jedoch erschreckend deutlich. Kai spürte, wie er sich ein wenig versteifte, dann senkte Lukas die Schulter jedoch und gab zu. „Es fällt erschreckend leicht, Kai. Aber das scheint dir ja bekannt zu sein.“ Kai grinste böse. „Er hat so einen versteckten Zuckerfaktor, der einem auf den zweiten Blick auffällt, nicht? Ich kenne mich mit Passi aus, er war immerhin mein erster Freund.“ Lukas seufzte. „Nein. Er war dein erster Kuss, die erste Liebe. Das ist das wichtige dabei.“ Verwirrt suchte Kai in Lukas’ Gesicht nach einer Erklärung für diese merkwürdige Feststellung. „Und? Ist das nicht dasselbe?“ Sie wendeten sich der Tür zu, um Pascal auch noch eine Chance zu geben, sich die Zähne zu putzen.
„Nein.“ Lukas ließ Kai den Vortritt, nickte Passi, der am Esstisch gehockt hatte und nun eilig im Bad verschwand einmal zu. Dann antwortete er leise, während er Kai unter die Decke drängte und an sich zog. „Die erste Liebe und die Liebe des Lebens vergisst man nicht. Die erste nicht, weil sich alles so weich und unsicher angefühlt hat und man es gehasst hat, zu raten, geliebt zu gewinnen und mit einem Mal zu wissen. Deswegen vergisst man die erste Liebe nicht.“ „Und? Was willst du mir damit sagen?“ Es wurde still im Zimmer. Lukas’ Finger strichen Kai über die Brust, aber Kai wendete sich ab von ihm, um sich gemütlicher hinzulegen.
Mit einem Mal, als Kai schon nicht mehr damit rechnete, murmelte Lukas verhalten „Man vergisst die erste Liebe nicht nur nicht, man vergleicht auch alle folgenden damit. Das Gefühl im Bauch, im Kopf. Seit meiner ersten Liebe, ewig ist das schon her und nicht gut ausgegangen für mich, habe ich mich nicht wieder so verliebt, hab mich nie wieder so gefühlt wie da.“ „Aber fühlt man sich nicht sowieso bei jedem anders?“ Unsicher starrte Kai auf sein Rollo, auf dem ein Schattenspiel zeigte, dass ein Licht im gegenüberliegenden Haus angegangen war.
„Nein. Ich glaube nicht, dass man sich immer wieder neu fühlt. Ich glaube, dass man sich immer wieder erinnern müsste Aber das hab ich noch nie.“ „Und was ist mit mir?“ Ein wenig beleidigt begann Kai schon zu sein. War es nun so, dass Lukas ihn gar nicht liebte?
„Mit dir ist es zwar anders, als die Jahre zuvor. Ich will dich wirklich haben, kann meine Finger nicht von dir lassen, aber diese… Unsicherheit fehlt. Ich… fühle mich nicht kribbelig, fühle mich nicht wie von lauter Fragen umgeben. Ich fühle mich gut mit dir, aber zu sicher.“ „Also liebst du mich nicht.“ Dies zu sagen kostete erstaunlich wenig Kraft und tat nicht sonderlich weh. Dem Ego ein wenig, dem Teil von Kai, der sich eben noch in der Mitte aller Aufmerksamkeit durch diesen tollen Mann geaalt hatte. Aber dem Gefühl tief drinnen, dem Bauch, konnte es nichts anhaben.
Lukas stützte sich hoch und drehte Kai zu sich um. Mit verkniffenem Mund blickte Kai ihm ins Gesicht, suchte nach einer Antwort, die er doch schon längst in den Händen hielt. „Nein. Leider nicht.“ Die Tür knarrte und sie sahen beide hoch, auf Pascal, der schrecklich verschüchtert und mit roten Ohren dastand und es doch tatsächlich schaffte, die Füße einwärts zu drehen. Kai verdrehte die Augen und blaffte, von dem Blick, der Lukas’ Worten erst das Gewicht zu geben schien, gereizt „Komm schon her, verdammt!“ Pascal tat etwas anders, als schweigend und peinlich berührt ins Bett zu krabbeln. Er ging nach einer kleinen Weile, die er anscheinend überlegt hatte, zu Kai hin und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Leicht schob er ihm seine Finger in die Haare, die sich im Nacken schon wieder ein wenig lockten, weil sie zu lang wurden, dann fragte er leise und schmerzlich ernst „Ist es so schlimm ohne Jan?“ Kai erschauderte und starrte seinen Freund sprachlos an. Wie konnte Pascal so sehr ins Schwarze treffen und Dinge sehen und sagen, die er selber noch nicht erkannt hatte? Das war wirklich schrecklich und dazu noch unfair. Grausam und unfair. Schockiert blinzelte und gaffte Kai eine ganze Weile bevor er die Stimme wiederfand, um heiser zu fragen „Wieso… wieso sagst du so etwas?“ Bauchschmerz, vermutlich Liebeskummer, sehr wahrscheinlich weil Pascal genau Recht hatte mit dem was er so locker sagte, begann in Kais Körpermitte und zog dann in alle Glieder, wurde zu Schmerzen in der Brust, in den Armen, in den Beinen und zuletzt im Gesicht, wo sie sich zu sammeln begannen, um ihn zum Weinen zu bringen.
Pascal zuckte mit den Achseln und holte Luft, entließ sie wieder, ohne etwas gesagt zu haben und zuckte erneut mit den Achseln. Endlich wandte er sich ein wenig von Kai ab und sagte leise „Du liebst ihn noch, weil du noch all seine Bilder hier aufgehängt hast, seine Dinge liegen hier überall rum, seine… Aura einfach. Sie ist so sehr noch hier, du lebst doch noch darin, das wäre alles nicht so, wenn du ihn nicht mehr lieben würdest. Deswegen sage ich das.“ Er zögerte, dann schob er seine Hand unter das Kopfkissen und endete ein Shirt hervorziehend „Und weil sein T-Shirt noch in deinem Bett liegt.“ Kai wurde knallrot und wandte sich verärgert von Pascal ab, leider damit direkt Lukas zu. Dieser lächelte und sagte beruhigend. „Ich weiß, dass es nicht leicht ist, so etwas zuzugeben, aber Kai, du wirst noch ein Weilchen brauchen, um ihn zu vergessen, wie es ausschaut. Sogar im Bett, auch wenn mich das ein wenig traurig macht.“ Er kratzte sich ein wenig durch die Haare und grinste hilflos. „Mein armes Ego.“ Pascal lachte mit Kai zusammen leise auf, dann krabbelte er auf der anderen Seite zu Kai ins Bett und löschte das Licht. Er schob sich an Kais Rücken heran und umarmte ihn von hinten, schmiegte sich ganz an ihn. „Bitte, lass uns doch helfen, dass du ihn wenigstens heute Nacht vergisst, so wie zuvor, wie dort in der Disco, du hast dort nicht an ihn gedacht und auch jetzt soll das nicht passieren. Dürfen wir?“ „Ihr… ihr…“ ‚Moment mal! Wir?! Sind die zwei nun schon ein Team?! Scheiße und ich bin ihr… Opfer?!‘ Lukas jedoch schien ähnlich überrascht wie Kai. Neugierig lugte er über Kais Schulter hinweg in Pascals Gesicht, das im schwachen Schein, der durch den Schlitz unter dem Rollo auf das Bett fiel, eben zu erkennen war. „Wir, Pascal? Wie meinst du das?“, fragte er leise, aber nicht uninteressiert.
„Ja, wie meinst du das denn? Bist du denn total…?“ Pascals Finger glitten über Kais Schlafanzugoberteil hinab und mit einer nebensächlichen Bewegung darunter, um zur Brust hinauf zu fahren. „Nein, ich bin nicht verrückt geworden oder so. Ich sehe nur nicht ein, warum der Abend schon enden soll. Ich weiß nicht genau, wie ihr das seht, aber es geht mit uns, wie Lukas schon sagte, wirklich prima. Also?“ Er schien zwar abzuwarten, aber seine Finger wussten auch so schon, dass er längst gewonnen hatte.
Kai reagierte als erster, er war vielleicht auch als einziger wirklich gefragt worden. Er schloss die Augen und lehnte sich gegen Pascal zurück. Tränen prickelten noch hinter seinen Lidern, aber das zarte Streicheln und weiche Werben seines Freundes, das nicht mehr von ihm verlangte, als ihn zuzulassen, schläferte seine Fragen, seine Zweifel und auch den Schmerz allmählich ein.
Als nächstes, eine Weile später, berührte Lukas Kais Gesicht. Wesentlich weniger zärtlich wurde sein Kopf umfangen, gleich drauf pressten sich fordernde Lippen an seinen Mund und mit einem kleinen Japsen ergab Kai sich und öffnete seinen Mund, griff nach Lukas, um ihn dichter zu ziehen. Schon bald hatte Kai seine ursprünglichen Gedankenwirbel, in denen vornehmlich von Moral die Rede war und Fragen nach Erziehung, und natürlich die Fragen nach dem Morgen sich stellten, vergessen. Er schob sie nach hinten, weit hinter seine Empfindungen und darin wurde ihm warm, heiß sogar, die beiden anderen Männer hatten sich um ihn nicht nur gesorgt, sondern wollten ihn, beide. Wollten ihn beide so sehr, dass sie ihn sogar zu teilen bereit waren, der Gedanke machte ihn mehr an, als der, dass er soeben etwas tat, von dem er sicherlich noch im Altenheim angeben würde.
Lukas drängte sich über Kai und zog ihm die Shorts aus, streichelte ihm mit der flachen Hand über den Bauch und die Beine, zugleich beschäftigte Pascal sich damit, sein Kinn zu drehen, um ihn zu küssen. Der Wechsel zwischen den beiden war fließend, aber sofort zu merken. Pascal konnte einfach unverschämt gut küssen. Weich und einladend, bestimmend zugleich, ohne zu bedrängen. Er zeigte sehr genau, wann er Kais Zunge spüren wollte, wann er ihn schmecken wollte und er verwickelte ihn in ein zärtliches Spiel, bei dem sie sich mit den Lippen jagten, ohne sich fangen zu wollen, sodass Kai Lukas beinahe vollständig ausgeblendet hatte, obwohl dieser seinen Körper fast vollständig entkleidet hatte in der Zwischenzeit.
Endlich begann Kai sich von seinem ersten kleinen Schock zu erholen und schaffte es, ebenfalls etwas zu tun, auch wenn die Berührungen und Verwicklungen von beiden Seiten ihn immer wieder aufhielten. Er wandte sich ein wenig weiter Pascal zu und begann, ohne darüber nachzudenken, ihn ebenfalls auszuziehen. Es erschien einfach logisch, sie würden alle nackt sein, sich alle streicheln, berühren und vermutlich gegenseitig zum Höhepunkt bringen, es machte zu viel Sinn, um ihn auch nur erröten zu lassen.
Lukas drängte sich an seine Hüfte, natürlich war er schon nackt und eine deutliche Erektion presste sich heiß gegen Kais ausgekühlte Haut. Seine dunkle Stimme machte ihm kleine Komplimente, zumeist über die Teile seines Körpers, die Lukas gerade mit den Fingern für sich entdeckte. Erschaudernd zerrte Kai mit einer Hand die Decke weiter über sich, mit der anderen strich er Pascals Bauch hinunter, das hatte er schon seit Weihnachten tun wollen und es fühlte sich wundervoll an, wie erwartet. Glatte Haut, unter der sich die Muskeln leicht anspannten, als er eine kitzelige Stelle erreichte.
Als Kai jedoch noch mutiger geworden mit den Fingern weiter hinab wanderte, ertastete er… nichts. Nicht das, was er erwartet hatte jedenfalls, bevor er an Pascals schon hartes Glied stieß. Ein weiches Lachen, dann flüsterte Pascal „Sorry, das Rasieren ist eine Angewohnheit, die ich wegen der Piekserei nach dem letzten Kerl einfach nicht abgelegt hab.“ Lukas’ Stimme unterbrach Kais Überlegung, warum Pascal ihn immer so schockieren musste. „Echt? Cool.“ Gleich darauf legte sich eine große warme Hand über Kais Finger und schob diese noch weiter über Pascals Schoß hinunter. „Hm, fühlt sich witzig an, hab ich mir auch mal überlegt.“ Gemütlich umfasste Lukas, an Kais Fingern vorbei, Pascals Glied und begann ihn nebenbei zu streicheln, während er seinen Schoß günstiger über Kais brachte, um sich gegen ihn zu reiben. Kai stöhnte auf, bevor er sich bewusst wurde, dass er dies direkt an Pascals Ohr getan hatte. Es schien seinen Freund jedenfalls anzumachen, ihn zu hören, seine Erektion wurde rasch unter seinen und Lukas’ Fingern hart.
„Mach es… nicht…“ Pascals Stimme hatte schon eine gewisse atemlose Note an sich. „… es ist ätzend, wenn es nachwächst.“ Verwirrt überlegte Kai, was denn im Bett noch alles wachsen sollte, bevor ihm klar wurde, dass die beiden noch immer von Haaren sprachen.
„Nachwachsen muss man es ja nicht lassen, gell?“ Mit diesen Worten tauchte Lukas unter die Decke und legte sich gleich drauf schwer über Kai, um Pascal mit dem Mund zu verwöhnen, jedenfalls vermutete Kai dies, dessen eine Hand noch dazwischen gefangen war.
Pascals Atemlosigkeit wurde sehr rasch zu einem leisen Keuchen und Kai wurde es zu langweilig, nur immer als Ablage benutzt zu werden. Er entzog seine eine Hand zwar nicht, aber strich mit der anderen über Lukas’ Hintern und zwischen seine Beine, genoss es, dass dieser gerade zu beschäftigt war, um ihn daran zu hindern.
Doch Lukas hatte gar nicht vor, ihn zu hindern, gedämpft stöhnend öffnete er seine Beine und bewegte zugleich mit Kais aggressiver werdenden Bewegungen der Finger seine Hüften gegen Kais Schoß. Genießerisch erkundete Kai den festen Hintern unter seinen Fingern und begann sich günstiger hinzulegen, um mehr von den Bewegungen gegen seinen Schoß spüren zu können, die Lukas ungewollt ausführte, während sein Mund noch mit Pascal beschäftigt war.
Seine Bewegungen und die Laute, die Pascal ausstieß, wurden zugleich drängender und das machte Kai nur noch mehr an. Er mogelte seine freie Hand zwischen sich und Lukas und begann ihn zu streicheln, dann sich selber, weil er seine Hand dazu weniger verdrehen musste Kai war kurz davor, als Pascal japste und leise zu wimmern begann, dann stöhnte er verhalten auf, gleich danach war Lukas von Kais Schoß verschwunden und legte sich wenig später der Länge nach auf ihn. Mit der freien Hand schien er noch immer Pascal zu streicheln, der sich keuchend von ihnen abgewendet hatte.
Ein harscher Kuss, dann flüsterte Lukas heiser „Nix da mit den Alleingängen hier, du hast zwei Männer mit dir im Bett, Kai. Lass mich mal machen.“ Pascal grummelte im Hintergrund müde herum, aber rollte noch während Lukas begann, sich gegen Kais Schoß zu pressen ebenfalls wieder zu ihnen, um Kai weiter zu küssen. Zwischen der Reibung an seinem Glied durch Lukas und dessen neckende Bisse über seine Brust, sowie Pascals kleinen Küssen gefangen, kam Kai sehr rasch, eigentlich schneller als er wollte.
Müde ließ er sich abtupfen und hörte nur wie Pascal sich erhob und leise sagte „Ich geh kurz aufs Bad.“ Lukas folgte ihm schattenhaft, eine Shorts in der Hand. Kai steckte sich, überlegte ob er er sich etwas anziehen sollte, aber verzichtete darauf und ließ sich stattdessen in einen flachen Erschöpfungs- und Zufriedenheitsschlaf sinken.
Leider drückte seine Blase und brachte sich Minute für Minute mehr und mehr in den Vordergrund seiner Aufmerksamkeit. Müde, schlaff, auf eine angenehme Art jedoch, torkelte Kai endlich zum Bad hin, nachdem er sich Shorts und Schlafanzugoberteil gegriffen hatte, anziehen wollte er es später.
Er wollte eigentlich nur rasch im Halbdunkel des Bads pinkeln, sich anziehen, vielleicht noch einen Schluck Wasser trinken, dann aber sicherlich gleich weiterschlafen, aber er erstarrte in der Tür, denn das erste war er sah, als er ins Bad kam, war Lukas. Seine Rückseite vielmehr, sehr nackt, sehr sehr sexy anzusehen, vor allen Dingen in Bewegungen begriffen, leicht und eben gerade daran zu sehen, dass sich seine Beinmuskeln ein wenig anspannten. Der schöne Körper war feucht, schimmerte im hereinfallenden Flurlicht und im Schein des Radioweckers und natürlich machte es ihn noch attraktiver. Doch als Kai noch einen Schritt in Richtung seines Freundes tat, sah er einen hellen Arm, der sich um Lukas’ Nacken legte, gleich drauf hörte er leises Stöhnen, nicht von Lukas, sondern von Pascal.
Nach und nach erreichte das Wissen seinen Kopf, das sein Körper schon von Anfang an verstanden haben musste, denn Kai hatte eine Erektion noch bevor er vollständig begriff, dass er gerade dabei war zuzusehen, wie Lukas mit Pascal schlief.
Irgendwie entschied sein Körper, dass es eine bessere Idee war, zu den beiden hinzugehen, als sich – wie jeder normal denkende Mensch – davon zu schleichen. Noch bevor Kai sich seiner selbst so richtig bewusst geworden war, stand er neben Lukas und berührte ihn und Pascal an der Schulter. Im Gegensatz zu ihm selber schien Pascal es zu genießen, wenn man mit ihm schlief, seine Augen waren halb geschlossen, er hielt sich mit einem Arm locker an Lukas fest, überließ es ihm jedoch, seinen Körper zu stützen.
Es dauerte auch einen Augenblick, bis Pascal die Augen öffnete, um Kai freundlich, wenn auch lustverhangen anzusehen. Gleich drauf löste Pascal seinen Arm von Lukas und wandte sich Kai weiter zu, presste sich gegen ihn und begann ihn wild zu küssen, ohne ein Wort gesagt zu haben.
Seufzend genoss Kai seine und auch Lukas’ Hände auf seinem Hintern, während er eine Hand zwischen sich und Pascal schob, um seinen Freund zu streicheln. Lukas' Bewegungen wurden harscher, setzten sich über Pascals Körper gegen Kai hin fort, dies spornte ihn nur weiter an, sich gegen Pascal zu pressen, ihn enger an sich zu drücken und ihn zugleich jedoch auch härter zu streicheln. Er verspürte Pascals Höhepunkt wie einen kleinen Sieg und hörte Lukas aufstöhnen, die ganze Szene kam Kai mit einem Mal vor wie ein wilder Traum, eine Vision, die gleich mit ihm allein in einem Bett mit versauter Wäsche aufwachen ließ, denn auch er war kurz davor.
Keuchend hing Pascal an Kais Hals, hinderte ihn daran, sich von den beiden zu entfernen, während Lukas sich noch immer in ihm bewegte, grob, direkt nun und nur noch für sich, mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf, verschwitzt, unglaublich erotisch anzusehen. Doch der Anblick reichte nicht, dass Kai kam und Pascal hinderte ihn daran, sich zu berühren auch wenn es ihn wahnsinnig machte, so kurz davor zu sein.
Es begann ihn erst zu ärgern, als Lukas kam und mit einem Seufzen die Stirn gegen Pascals Rücken legte, während er einige Momente lang durchatmete. „Hey… und ich?“ Erschrocken klappte Kai den Mund wieder zu, doch Lukas lachte leise auf. Sie waren so still gewesen, die Stimmen von ihm und Pascal, der leise zischend bat, dass Lukas vorsichtig sein sollte, durchbrachen den traumhaften Charakter des Erlebnisses, machten Realität daraus und Kai wurde klar, dass es wirklich er und seine Freunde waren, die hier in seinem Bad Sex hatten. Gehabt hatten, nur dass er jetzt geil und verlassen dastand, während die anderen beiden verdammt zufrieden waren.
Ein Blick auf den Radiowecker ließ Kai zusammenzucken „Hey… ist es schon fast sieben Uhr?“ Pascal gähnte „Wow. Haben wir so lange gemacht?“ Lukas streckte sich ächzend und stellte die Dusche an. „Verdammt noch mal, hast du mich fertig gemacht. Mir tut alles weh.“ „Ha. Und mir erst! Tut mir leid, ich hatte schon so lange nicht mehr… ich meine…“ „Hey, halt die Klappe, war doch toll. Kai, willste nicht mit uns duschen? Dich bekommen wir auch noch platt.“ Kai starrte die beiden wütend an. Er fühlte sich mit einem Mal ausgeschlossen und wie vor einer Tür zu dem Paradies, aus dem die beiden nun müde und zufrieden herauskamen, nur um die Tür direkt vor seiner Nase zuzuschlagen. Er senkte den Blick dann noch wütender auf seine Erektion, die ihn hämisch, wie es ihm schien entgegenblickte. „Scheiße! Wie lange habt ihr denn hier rumgemacht?!“ Pascal wurde mit einem Schlag wieder schüchtern und lieb, zärtlich auf eine viel zu süße Art. „Ist doch egal, oder? Komm mit unter die Dusche, Kai. Dann gehen wir alle ins Bett und schlafen noch eine Runde, eine lange Runde. Ich bin total kaputt.“ Grummelnd kletterte Kai zu den anderen unter das warme Wasser und starrte sie misstrauisch an, während Lukas sich benahm wie immer und Pascal eher müde und irgendwie steif in seinen Bewegungen das Duschgel auf sich verteilte.
Kai wendete sich von ihnen ab und wurde von Lukas überrascht, der ihn mit resoluter Bewegung zu sich zurück drehte. „Komm schon, Kai. Wir haben dich nicht wecken wollen, aber jetzt wo du da bist, werden wir dich sicherlich nicht einfach so… hm… stehen lassen.“ Er grinste und Pascal lachte leise.
„Scheiße, lasst mich schon in Ruhe. Schon klar, dass ich mal wieder… hey!“ Lukas nahm gelassen auf dem Wannenrand Platz und brachte sein Gesicht mit einer resoluten Bewegung in Kais Schoß. Pascal umarmte Kai von hinten und begann ihn einzuseifen, spielte mit den Fingern über seinen Körper, mit den Lippen an seinem Ohr entlang. „Tut mir Leid, Kai. Ich wollte das nicht, aber es war so… unausweichlich…“ „Was habt ihr gemacht?“ Kai stöhnte leise und Lukas schob seine Finger um seinen Po herum streichelte ihn genau an den empfindlichen Stellen, drang mit einem Finger in ihn ein, massierte ihn leicht und sanft, unerwartet rücksichtsvoll und verdammt richtig. Ein leises Lachen an seinem Ohr, Pascals Stimme, trug dazu bei, dass Kai sich mehr und mehr dicht davor fühlte zu kommen. Dann flüsterte sein Freund „Lukas hat eine verdammt gute Kondition, fast hätte er mich total fertig gemacht.“ „Was… wovon… redest du?“ „Von der Nacht. Hat es dir nicht gefallen?“ Pascals Finger glitten über Kais Bauch und streichelten Lukas Gesicht leicht, umrundeten seinen Mund, bevor Lukas ihn wieder um Kais Erektion schloss und Pascal die Finger wieder hinauf streichen ließ, um Kais Brustwarzen zu umkreisen und neckend daran zu zupfen.
Kai wurde heiß und kalt, Schauer durchrieselten seinen Körper, steigerten sich und wurden endlich unerträglich. Er vernahm Pascals leise Stimme wie durch einen Nebel, ein Lachen mit sich tragend „Das war eine wilde Nacht, ich danke dir Kai, ich liebe dich dafür!“ Gleich darauf kam Kai und sackte nach Atem ringend zurück gegen Pascal, der ihn weiterhin gleichmütig wie es schien einseifte, während Lukas sich abduschte und aus der Wanne kletterte.
„Kommt schon, genug geduscht und genug gespielt für heute Nacht!“ forderte Lukas sie beide auf und schaffte es, ihnen klatschend auf den Hintern zu klopfen, bevor er sie im Bad allein ließ.
„Wilde Nacht, toll. Die hab ich ja wohl verschlafen, oder? Es war grad mal vier, höchstens halb fünf, als ich die Augen zugemacht hab, jetzt ist es sieben.“ Pascal zuckte mit den Schultern. „Mir war danach und Lukas auch, glaube ich. Jedenfalls haben wir kaum geredet zwischendurch.“ „Zwischendurch?! Wie… wie…?“ Kai wurde rot und er brach ab, suchte seinen Schlafanzug zusammen und stolperte zur Tür, dort hielt ihn Pascals Stimme auf. „Wir haben es ein paar Mal getan, ehm, vier oder so, euer Bad bietet eine Menge Möglichkeiten.“ Pascal ging über den Flur zu seinem Zimmer davon, während Kai sich sehr darüber wunderte, dass er überhaupt noch lebte. Im nächsten Moment schmerzte seine Blase ihn und ihm wurde bewusst, dass er vor fast einer halben Stunde schon schrecklich dringend gemusst hatte. „Sexmonster! Meine Freunde sind Sexmonster!“ Wütend pinkelte Kai und kroch zu den bereits schlafenden anderen in sein Bett, fest entschlossen, nie wieder mit ihnen beiden auszugehen.
Kapitel 46
Kai wachte schon gegen halb zehn erneut auf, weil es schlicht zu warm geworden war mit den zwei anderen im Bett. Leise raffte er sich ein paar Klamotten zusammen und zog sich in der Küche an, während die Kaffeemaschine blubbernd arbeitete.
Der Kaffeeduft vermischt mit dem Geruch von getoastetem Brot breitete eine kleine zufriedene Welle in Kai aus, sodass er dämlich grinsend am Tisch saß und Kaffee trank, als seine Schlafzimmertür eine Weile später kurz klappte. Erst bei dem Blick auf die Katzenuhr fiel ihm auf, dass er fast zwei Stunden und eine Kanne Kaffee so verbracht hatte, vollkommen leeren Kopfes zudem.
‚Komisch. Ich geh mit meinen zwei Freunden ins Bett, zugleich auch noch und dies schafft es, meinen Kopf dermaßen leer zu fegen, dass ich nicht einmal ansatzweise an… Scheiße, Jan.‘ Um sich abzulenken und weil die Kanne leer war, die Anderen aber sicherlich irgendwann einmal aufstehen würden, setzte Kai neuen Kaffee auf und verbrachte einen Moment lang damit, über dem Filter zu schnüffeln, in der vagen Hoffnung, seine schöne Leere im Kopf könnte vielleicht durch direktes Einatmen von Kaffeeduft wieder herstellbar sein. Leider eine vergebliche Hoffnung, sogar Jans Geruch und Stimme kehrten in seiner Erinnerung zurück zu ihm und das nagende Bedürfnis anzurufen, um ihn einfach nur hören zu können.
‚Ja… klar. Dann hör ich mir seinen AB-Spruch an und verfalle in Depressionen. Vielleicht hab ich besonderes Glück und Bianca geht ran, das wär doch mal was… Gott bin ich ein Idiot!‘ Irgendeine nervige Stimme in seinem Bewusstsein erwähnte die zwei Männer, mit denen er im Bett war, die seine Eifersucht zu einer Farce machten, und Kai beschloss, einfach gleich Depressionen zu bekommen.
Wenig später klappte seine Zimmertür noch einmal, dann noch mal und endlich trat Lukas in die Küche. Er sah müde aus, seine Haare waren zerrauft und er gähnte anstelle eines ›Guten Morgen‹, bevor er sich einen Schluck von Kais Kaffee nahm. Außerdem blieb Lukas neben dem Tisch stehen, den Blick irgendwie fragend auf die Teller gerichtet, die Kai für drei Personen gedeckt hatte. Dazwischen verteilte Kai, Lukas einfach ignorierend, Margarine, Marmelade, Käse und Lollis vegetarischen Brotaufstrich.
Endlich hielt er Lukas’ Benehmen nicht mehr aus und versuchte ihn aufzuschrecken. „Morgen. Ich setzte gerade neuen Kaffee auf, dann können wir…“ „Ehm… Danke, aber… Nicht nötig, ich bin um zwei verabredet und fahre besser gleich nach Hause. Ich melde mich bei dir, ja?“ Verwundert sah Kai zu Lukas hoch, aber bekam keine Antwort auf seine stumme Frage, was denn nun los sei, sondern lediglich einen knappen Kuss auf die Wange. Lukas stürzte den Kaffeerest hinunter und verschwand mit ausgreifenden Schritten in den Flur. Verwirrt folgte Kai ihm, aber kam schon zu spät, die Jacke noch in der Hand, mit der kleinen Sporttasche unter dem Arm, ging Lukas gerade durch die Wohnungstür in den dunklen Hausflur, er blickte nicht zurück.
„Hä?!“ Kai stemmte eine Faust in die Seite und holte Luft, um sich selber laut zu fragen „Bin ich im Irrenhaus oder was?“ „Es ist meine Schuld.“ Pascal stand in der Tür, ebenfalls schon fertig angezogen, auch er sah müde aus, vollkommen kaputt.
Kai seufzte und wendete sich ab, um in die Küche zurück zu gehen. Während Pascal sich auf einem Stuhl niederließ, räumte er den überzähligen Teller weg und goss ihm Kaffee ein. „Ach ja? Wieso?“ „Weil wir Sex hatten.“ „Toll. Das sagt mir jetzt viel. Was hat das mit Lukas zu tun, der einfach wegläuft?“ „Er läuft vor mir weg, weil…“ Pascal rührte hektisch in der Tasse, bevor er einen Schluck trank. „Er ist weggelaufen, weil ich glaube, dass er weiß, dass ich nicht wirklich den Sex wollte von ihm, sondern eigentlich…“ Pascal sah einen Augenblick tatsächlich aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Dann nippte er jedoch noch einmal an dem Becher und fing sich wieder, bevor er heiser flüsterte „Ist doch auch egal.“ „Aha. Eigentlich bist du in ihn verschossen? Aber das ist doch nichts neues, Passi. Das weiß auch Lukas schon und nicht erst seit ge… Oh, Shit!“ Kai war genervt gewesen, aber er hatte seinen Freund nicht verletzten wollen. Er hatte ihm schon sagen wollen, dass Lukas ihn nicht wollte, aber nun, nach der Nacht war alles irgendwie verwischt. Lukas und Pascal hatten sich in eine merkwürdige Situation gebracht und Kai, der eigentlich in der Mitte all dieser Verwirrung stehen sollte, fühlte sich mit einem Mal außen vor. Und in diesem Moment war er auf perverse Art glücklich über seinen Zuschauerposten.
Pascal versenkte sein Gesicht noch tiefer in den Becher und nickte endlich eben wahrnehmbar. Die kleine Bewegung schien ihn unerhört viel Kraft zu kosten. Erstaunlich, Kai war noch immer nicht eifersüchtig, eigentlich war es sogar so, dass er mit einem Mal hoffte, dass Lukas zur Tür wieder hereinkommen würde, um Pascals Herzenswunsch wahr werden zu lassen.
„Weißt du, Kai, ich dachte immer, dass ich in den Typen verliebt war, in den ersten, der nur Sex von mir wollte, aber das war ich nicht. Ich hab mich nur geschmeichelt gefühlt. Dann dachte ich, dass ich es vielleicht genauso machen kann. Nur Sex und weg, mir tut es nicht weh, den anderen auch nicht, Spaß ohne nachzudenken und ohne Konsequenzen, ohne diese Quälerei.“ Den Teil mit der Quälerei konnte Kai durchaus nachvollziehen, weswegen er träge nickend seinen Kaffee trank. Pascal nahm dies zur Aufforderung, weiter zu reden. „Ich hab es eigentlich zuvor schon ein paar Mal so gemacht, einige Male im letzten Sommer, im Urlaub. Nach dem Motto, dass man Gefühle mit Sex wegbekommen kann.“ „Wie meinst du das?“ Pascal lächelte, es wirkte, als würde er Kai ein wenig belächeln, seine Naivität vielleicht. „Na, wegficken halt.“ Aus diesem weichen Mund klang der vulgäre Ausdruck schmerzend hart.
„Wie? Spinnst du?“ Allein so etwas zu sagen war ungeheuerlich.
Pascal hob die Schultern. „Vermutlich ist es wirklich Spinnerei. Ich hab es nur immer wieder erlebt, dass die Gefühle bei einem Flirt weg sind, sobald man es getan hat. Im Urlaub war es einfach, hinterher zu sagen, netter Flirt, tschüss. Aber… ich stelle gerade fest, dass es nicht immer geht. Nicht mit jedem, nicht mit ihm…“ Auf dem Stuhl hin und her ruckelnd fügte Pascal sarkastisch an „Egal wie sehr wir es versucht haben.“ „Aber warum läuft Lukas dann weg? Meinst du, er merkt es auch?“ „Nee. Er ist vermutlich einfach sauer, dass all seine Bemühungen, die Gefühle von mir für ihn wegzubekommen, fehlgeschlagen sind. Er findet mich langweilig. Das bin ich ja auch. Was hab ich schon zu bieten?“ Aufgebracht sah Kai auf und rief „Was? Du spinnst doch! Was hat denn dann er zu bieten, hm? Außer dem Körper?“ „Er ist… ich… fühle mich sicher.“ Pascal hob den Kopf, wirkte mit einem Mal peinigend unerschütterlich. „Diese Sicherheit ist erst dabei gekommen. Je mehr wir gewagt haben, desto sicherer fühlte ich mich. Sonst ist es dabei immer weggegangen. Aber egal was wir gemacht haben, ich konnte ihm vertrauen, das ist mehr als ich jemals zuvor hatte. Stell dir mal vor, dass du dich fesseln und knebeln und mit ner Augenbinde jemandem überlassen solltest. Kennst du wen, bei dem du ohne Bedenken zusagst?“ Kai nickte, errötete und senkte den Kopf, ihm fiel kein passender Fluch mehr ein, so dämlich kam er sich vor. „Scheiße.“ Pascal ließ den Kopf hängen. „Oh, natürlich kennst du wen. Tut mir leid. Aber dann kannst du ja verstehen, wie ich mich fühle.“ Einen Augenblick lang hatte Kai Mitleid mit Pascal, dann jedoch wurde ihm langsam klar, dass er in Wirklichkeit beleidigt war. Die Beziehung von ihm zu Jan war nicht mit dem Sex von Lukas und Pascal zu vergleichen. Eine einmalige Sache, in der Hitze eines Abends passiert und vermutlich, nein sehr sicher, nicht zu wiederholen.
Energisch stand er auf und stemmte die Hände in die Seiten. „Du solltest mit Lukas reden und nicht mit mir. Hast du seine Telefonnummer?“ Pascal schüttelte den Kopf. „Nein, ich will nicht. Bitte, das wird auch so schon schwer genug. Ich…“ Er vergrub sein Gesicht in den Händen „Scheiße, ich bin total verknallt.“ ‚Scheiße… verdammte…‘
„Oh, Kaffee, das ist ja supergummigut!“ Lolli, sein unpassendes Timing vollends auskostend, klatschte in die Hände, während er doch tatsächlich mit einem geblümten Morgenmantel bekleidet zu ihnen trat. Er nahm sich summend zwei Becher aus dem Schrank über der Spüle und vernichtete den restlichen Kaffee.
Leider verschwand er nicht wieder in sein Zimmer, sondern reichte seinem Besuch, wer auch immer das war, lediglich den einen Becher hinein, um sich dann zu ihnen zu setzen. Blind und taub für die offensichtlich gedrückte Stimmung strahlte er Pascal an und nahm sich eine Scheibe Toast.
„Und? Wilde Nacht gehabt?“ Pascal wurde rot und Kai tat es ihm nach, während er grummelnd „Ging so“, einwarf.
„Ach, ich hab euch mit Lukel im Club gesehen. Witzig, war ja ne Flirtparty, aber so richtig auf die Tafel habt ihr Süßen nicht geschaut, gell? Kai, deine Nummer war ziemlich oft dort. Armer Lukel, hat auf dich aufgepasst wie ein Schießhund.“ „Was?“ Lolli lachte auf. „Na, da wart ihr aber nett abgelenkt, gell? Flirtparty, Kai. Wenn auf dem Bildschirm deine Nummer aufleuchtet, dann musst du deine Nachrichten abholen. Warte mal, ich hab ein paar davon mitgebracht, wenn du sie schon nicht wolltest.“ „Du hast was?!“ „Hey, sind Gedichte von Fried dabei. Einen der Schreiber hab ich dann sogar abgeschleppt, zu genial der Abend. Wieso hast du mich eigentlich nicht beachtet? Ich hab dir auf der Tanzfläche zugewunken. Lag es an meinem Outfit?“ Er kicherte albern und wedelte mit den Armen. „Wir hatten gedacht, dass es der Lederabend ist und naja, vielleicht war es ganz gut, dass du mich nicht erkannt hast, Kaichen. Willste die Zettel sehen? Nicht? Na, ich geh erst mal duschen.“ Verwirrt und auf Lolli sauer, auch wenn es keinen wirklichen Grund gab, stand Kai auf und knurrte. „Ja… okay, aber ich will vorher noch mal aufs Bad.“ Pascal erhob sich hastig „Was dagegen, wenn ich auch eben…?“ „Nein, geh ruhig. Ich räum das noch weg.“ Geschäftig und seine Genervtheit raushängen lassend werkelte Kai lauter als nötig mit den Bechern in der Spüle.
„So sauer die Miene?“ Lolli hatte seinen langen, dünnen Körper auf einen der Klappstühle drapiert und spielte mit der Kordel seines geschmacklosen Morgenmantels. Kai schwieg ihn an, bis er ein wenig drastischer als erwartet hinzufügte „Bist du sauer, weil die zwei dich an ihrer Orgie im Bad nicht haben teilnehmen lassen?“ Kai fuhr herum „Du… hast…?“ „… das mitbekommen? Klar. Zum einen musste ich für kleine Schwule und konnte nicht, bis ihr endlich - endlich weg wart und zum anderen… naja, sie hatten nicht abgeschlossen.“ Kai holte entrüstet Luft, dann legte er den Kopf schief und grinste „Sie?!“ ‚Gott sei dank hat er mich nicht auch noch gesehen, oder doch?‘
„Dich hab ich nur gehört, als du fluchend später rausgekommen bist“, beruhigte Lolli Kais Sorgen.
Anklagend stellte er trotzdem fest „Du hast gespannert.“ Lolli errötete, was selten vorkam, dann zuckte er mit den Achseln und gab gedehnt zurück „Naaa jaaa, nicht direkt. Aber sie sind schon ein tolles Paar. Hätte nicht gedacht, dass ich das von Lukas und irgendwem einmal sagen würde. Für gewöhnlich schafft er es immer hervorragend, die Gefühle einfach wegzuficken.“ „Jetzt langts!“ Ärgerlich knallte Kai die Tasse, die er gerade zum dritten Mal gespült hatte, in das Waschwasser zurück. „Was soll das bitte heißen, verdammt?! Wieso fangen alle davon an?!“ Lolli kicherte und schüttelte den Kopf. „Alle? Wer alle? Vom Wegficken? Sag bloß, dass du das noch nie gehört hast, Kai.“ Er spreizte die Finger und betrachtete die Nägel, um wie nebenbei zu erklären. „Das funktioniert todsicher, wenn man wen neues kennen lernt, der einem einfach den Magen aus dem Körper stiehlt, wenn nicht gleich das Herz. Man ist wie gelähmt von nur einer Berührung und denkt: das ist er, der Märchenprinz… der… ›ein und alles Mann‹. Dummerweise hat er dir nur Herz und Magen genommen, nicht Gehirn und das erzählt dir gleich drauf. ›Okay, meine Prinzessin, nimm ihn mit, dann schnell ins Bett und zwar richtig, mach all die Sachen, die du zu sagen nicht wagen würdest, wenn er das übersteht und am Morgen kein Frosch ist, dann ist es passiert, dann hat er nicht nur Herz und Magen, sondern auch das Hirn gewonnen‹.“ Seufzend kramte Lolli seine Nagelfeile zwischen den Plastiktüten, Gummiringen und Tupperdosendeckeln aus einer Schublade hervor, dann beendete er seine Erzählung. „Glaub mir. Eine ordentliche Ladung Sex… so richtig, hat mir bislang noch immer Herz und Magen zurückgegeben.“ „Lolli, das ist… Scheiße. Das kann doch keiner glauben!“ Lollis Mundwinkel senkten sich beträchtlich, während er zu gleichmütig erwiderte „Glaub doch was du willst, Kai. Bei mir hat es funktioniert, sonst würde ich so einigen noch immer mit Blumen nachlaufen.“ „Du?“ Pascal kam näher und beobachtete wie die Nagelfeile über die ohnehin überpflegten Nägel von Kais Mitbewohner schabte.
„Ja, mein Häschen? Darf ich in die Dusche?“ Mit einem Augenaufschlag drehte Lolli sich zu Pascal um, aber sein Lächeln erlosch, als dieser weitersprach. „Was macht man, wenn es nicht funktioniert hat? Wie bekomm ich jetzt mein Hirn zurück?“ Es war ein seltenes Erlebnis und Kai genoss es. Sein Mitbewohner war sprachlos. Lolli klappte den Mund auf, dann wieder zu, um das noch einige Male zu wiederholen. Endlich antwortete er jede Zeile mit den Fingern betonend, die Pascal auf die Schulter tippten „Dazu würde ich, cosmopolitan wie ich manchmal bin, sagen ›You are in trouble, dear.‹ Tut mir leid, meine Expertise hört genau dort auf.“ „Bei Lukas, ja? Es geht um Lukas, Lolli! Verdammt noch mal, du kennst ihn doch! Was ist denn jetzt?!“ Wütend hielt Kai seinen Mitbewohner fest.
„Heyheyhey. Ich kann nur sagen, dass Lukas mich gerettet hat, ich ihn liebe, wirklich, aber nicht so, nie so, auch als wir im Bett waren, habe ich das nicht. Ich kann es verstehen, wenn jemand das tut, aber ich wüsste nicht, wie man an ihn, wirklich ihn innen drin, herankommt. Die einzige Möglichkeit wäre…“ „Wäre?“ Lauernd starrte Kai Lolli an.
„Seine Schwester. Die ist die einzige, mit der er ehrlich redet. So, ich bin weg und ich hab nichts gesagt.“ Kai schaffte es nicht mehr, vor Lolli im Bad zu sein, was ihm neben seiner im Kreis wandernden Gedanken eine schmerzende Blase bescherte. Pascal war, nachdem er sich noch einmal entschuldigt hatte, ziemlich schnell gegangen, er fehlte Kai auch nicht, im Gegenteil war alles einfacher zu überdenken, während sein Freund ihn nicht mit seiner süßen, verletzlichen Art verwirrte.
Pascals naive und zarte Erscheinung hatte Kai gründlich getäuscht. Nun fragte er sich sogar, wer von beiden, Pascal oder Lukas den Teufel denn mehr im Blut hatte. Zudem fragte er sich, wie und überhaupt ob er ihnen helfen sollte oder vielmehr konnte.
Sich in Lukas zu verlieben, war leicht. Mit ihm Sex zu wollen, sicherlich erst recht. Lukas war nichts anderes als Sex auf zwei Beinen und nicht gerade die schüchterne, zärtliche Variante davon. Kai hatte dieses leichte Gefühl von Gefahr, von etwas Dunklem an diesem Mann angezogen, wie eine Motte zum Licht und zugleich Angst gemacht, wie eben die Motte vor dem Verbrennen haben sollte. Aber Pascal schien ihn anders zu sehen.
‚Bei ihm fühle ich mich sicher… Sicher, so hab ich mich nie bei Lukas gefühlt. Ganz im Gegenteil.‘ Kai lag auf seinem Bett und starrte an die Zimmerdecke hoch. „Sicher.“ Er machte sich eine geistige Notiz, dass er, so schnell er konnte, einmal mit Lukas’ Schwester würde reden müssen, mehr fiel ihm nicht ein und er fühlte sich am anderen Morgen, als er sich für die Uni anzog, noch immer müde und ausgelaugt. Mit verstecktem Grinsen fragte er sich, wie wohl Pascal sich nach der Orgie fühlen würde, immerhin hatte Lukas ihn… errötend flüsterte Kai „Nee, nicht Lukas ihn, vielmehr hat Pascal den Lukas durchgenommen. Ob ich Lukel anrufen sollte?“ Sein Blick fiel ausgerechnet auf das Handy und Kais Laune erstarb. ‚Jan. Scheiße.‘
Und die Woche über sollte er auch unter Jans abgewendetem Gesicht in den letzten Kursen vor den Semesterferien leiden. Es war nicht sonderlich gut für ihre Konzentration, ihrer beider Konzentration. Kais Punktestand sank deutlich ab in der letzten Klausurenrunde, Jan fiel zweimal durch.
Da Kai vor den Ferien wegen der letzten Klausuren an den Wochenenden frei machen wollte, um dann in den Ferien mehr zu arbeiten, konnte er Lollis Aufruf, mit ihm und einigen Freunden, wie er sagte, zu Carl zu fahren, um dort auf eine Fete zu gehen, nicht viel entgegensetzen. Sie verabredeten sich für den Freitag Abend an der Uni, da Lolli zuvor noch für zwei Tage zu seiner Mutter fahren wollte und sie Kai dann einfach an der Uni aufgabeln wollten.
In der Sache Lukas und Pascal erreichte Kai erwartungsgemäß gar nichts. Lukas war am Telefon sehr zurückhaltend und ließ sich auch nicht zum Thema Pascal ansprechen. Pascal selber hatte auf einem Fortbildungsseminar in Frankfurt zu tun und war darüber hinaus auch einsilbig und wollte sich nicht zu Lukas äußern. Kais Vorschlag, sich einmal mit Lukas’ Schwester zu unterhalten, lehnte er schlankweg ab.
Von der kindischen Art der beiden genervt, meldete Kai sich die letzte Woche über dann nicht mehr bei ihnen und verplante sein Wochenende mit Lolli und seinen Freunden. Benni wollte auch mitkommen und den hatte Kai als sehr nett in Erinnerung und als sehr diskret. Da ihm in der WG durch Erinnerungen an das Wochenende die Konzentration zum Lernen fehlte, beschloss Kai, dass er für die letzte Klausur am Freitag den Donnerstagabend über in der Bibliothek der Uni lernen wollte.
Er hatte nicht bedacht, dass dies sehr offensichtlich für mehr Leute der Zufluchtsort, Treffpunkt oder einfach nur die warme Stube darstellte. Als er gegen zwei Uhr mit seinen Büchern und dem zerfledderten Skript unter dem Arm in den trockenen Raum voller Rascheln und Flüstern kam, waren fast alle Tische bereits besetzt.
An den hohen, schmalen Fensterscheiben ringsherum rannen kalte Regenstraßen herab, was ihn zögern ließ, auch wenn er sich eigentlich gleich wieder wegdrehen und auf den Nachhauseweg machen wollte. Einige hoben die Köpfe, um ihn anzusehen, von der Art, wie sie sich an den Tischen häuslich eingerichtet hatten, mit ausgezogenen Stiefeln, dampfenden Thermoskannen und durch Schreibmaterial fest abgesteckten Revieren auf den Pulten, konnte Kai sehen, dass sie nicht zum ersten Mal hier blieben, um noch zu büffeln.
Zu seinem Glück erhoben sich ganz hinten in der Ecke zwischen den Bänden über embryonale Entwicklung zwei Mädchen eines höheren Semesters, um zu ihrem letzten Kurs zu wandern. Er gewann den Wettlauf gegen einen Typen, der sich mit Zeitschriften zu sehr beladen hatte und breitete sich dermaßen über die kleine, zerschrammte Fläche des Pultes aus, dass niemand zu ihm trat, um ihm die Hälfte streitig zu machen.
Doch kaum hatte Kai sich über sein Skript gebeugt und begonnen, die Fragen aus den Klausuren der vorhergehenden Semester durchzuarbeiten, bemerkte er, wie groß seine Fehleinschätzung gewesen war. Die Bibliothek war keinesfalls ruhiger als die WG, eher im Gegenteil wurde um ihn her in einer gerade nervenden Lautstärke geflüstert, geraschelt und wenn er den Kopf hob, dann erwischte er nicht selten jemanden dabei, leeren Blickes in seine Richtung zu gaffen.
Verärgert schob er gerade seine Zettel zusammen, um aufzugeben und in seinem Zimmer Zuhause wie üblich noch ein wenig Nachtschicht einzulegen, als eine leise, heisere Stimme fragte „Ist hier noch frei?“ Die Stimme ließ Kai erschaudern. Deutlich spürte er, wie ihm Gänsehaut über die Arme kroch und seine Nackenhaare aufstellten. Unbewusst zog er die Ärmel seines dicken Pullovers zu den Händen hinunter, dann drehte er sich halb um und sah Jan an. „Ich… wollte gerade gehen.“ Im Geiste hörte er laut und deutlich und sehr verzweifelt Pascals Stimme sagen ›Und wie bekomme ich mein Hirn zurück?‹ und dachte selber als Antwort nur ‚Scheiße, verdammte. Verdammte Scheiße… verdammigte…Scheiße!‘ Dann stand er ohne einen weiteren Blick in Jans Gesicht auf und stopfte das Skript, die Bücher und seinen Schal ungeordnet in die Tasche, bevor er die Bibliothek fast fluchtartig verließ.
Kapitel 47
An den hohen Flügeltüren vor dem Eingang zur Uni wurde Kai erst klar, dass er sich schrecklich albern benahm und zudem, dass er genau das Gegenteil von dem tat, was er wollte. Er wollte und musste noch einmal mit Jan reden, ihn sich selbst vom Herzen und aus den Gedanken reden. Allein um, wie Pascal so schön gesagt hätte, sein Hirn und seinen Magen zurück zu bekommen.
„Scheiße.“ Ein Blick auf die Uhr, noch hatte Kai genug Zeit. Von sich selber genervt machte er kehrt und latschte zur Bibliothek zurück. Die trockene Luft, das Rascheln und Flüstern war das gleiche wie zuvor, die gleiche Atmosphäre, als sei in diesem Raum die Zeit stehen geblieben, doch als Kai auf den kleinen Tisch zuging, lagen dort nur einige Blätter, ein Buch und ein Kuli, von Jan keine Spur.
‚Ist das überhaupt sein Zeug? Seine Schrift ist es jedenfalls nicht. Scheiße! Scheiße, scheiße…‘ Im Geiste trat Kai sich selber dafür, dass er Jan nicht gebeten hatte, mit ihm zu reden, vielleicht wollte Jan das ja auch, vielleicht…
„Kai? Was machst du denn hier?“ Das aufgeregte Flüstern gehörte zu Tini. Ausgerechnet. Mühsam lächelnd drehte Kai sich zu ihr um, aber sie sah ihn nicht freundlich an, wie sonst meistens, sondern stemmte eine Faust in die Seite und zischte ihm zu „Das passt sich ja gut, ich muss ohnehin mit dir reden!“ Tini ramschte ihre Sachen in eine orangefarbene Umhängetasche, die Kai noch nicht an ihr kannte und griff sich die Jacke, bevor sie ihn am Arm fast schon abführte. Dabei warf sie einen Seitenblick in Richtung der Fensterbank in der Abteilung Genetik und senkte den Kopf, beschleunigte ihren Schritt.
Als Kai ebenfalls in diese Richtung blickte, sah er Bianca dort sitzen, im Schneidersitz auf einer der Bänke, neben sich zwei Bücher und auf ihrem Schoß das dicke Skript für die Mikrobiologie, wie es aussah. Bianca schien jedoch so vertieft zu sein, dass sie nicht einmal aufgeblickt hätte, wenn sie direkt an ihr vorbeigelatscht wären.
Kai war noch immer zu perplex von Tinis Attacke, um sich wirklich zu wehren, aber fing sich langsam, als sie vor die Bibliothek traten und sie etwas lauter vorschlug „In der Cafeteria, die hat noch offen.“ „Was ist denn los, verdammt?! Ich hab was vor, bin verabredet und ich muss…“ Tini drehte sich nur halb zu ihm um. „Jan“, sagte sie leise und warf ihm einen kleinen Blick zu. „Das ist los. Komm mit.“ ‚Scheiße, das war unfair. Das ist fies. Mit Jan zu kommen, wo sie doch wissen sollte, dass ich… Scheiße! Das weiß sie ja gerade nicht! Oder etwa doch? Scheißescheiße… Verdammt noch mal, und jetzt? Was mache ich jetzt, was sage ich ihr?‘ Verwirrt und verängstigt folgte Kai Tini in die Cafeteria mit ihren zerkratzten, hässlichen Plastikstühlen und den grundsätzlich fleckigen, kippeligen Tischen.
„Ich hol mir einen Kaffee, du auch?“ Willenlos nickend verkrümelte Kai sich an der Wand, wo zwischen einem angeschlossenen Kinderwagen und einem kleinen Jackenberg noch ein Tisch mit einer Eckbank frei war. Müde ließ er sich auf den Stuhl fallen und starrte auf die Kritzeleien auf der Tischplatte, bis Tinis schlanke Hand ihm einen der weißen Unikaffeebecher unter die Nase schob. Mit einem halben Lächeln bemerkte er, dass sie an seine Angewohnheit, mehr Milch als Kaffee zu nehmen, gedacht hatte.
Sie war natürlich nicht schonend und auch nicht diplomatisch wie erhofft, sondern kam gleich zum Punkt. „Silvester war Bianca ja mit Jan in den Bergen unterwegs. Weißt du noch, wie sie mir die SMS geschrieben hat? Dass sie mit Jan wieder was angefangen hat?“ Kai nickte und begann zu hoffen, dass Tini nun doch nur Ärger zwischen Bianca, ihr und Jan bereden wollte.
„Also, es stellt sich nun endlich, da die Grazie eine ganze Weile ja nicht mit mir reden wollte, was sie immer noch nicht will, nebenbei bemerkt, heraus, dass Jan gar nichts von ihr wollte, dass er sauer war, als er sie in seinem Bett vorgefunden hat, dass er noch immer sauer auf sie ist. Das kam ihr alles sehr komisch vor und rate mal was.“ Kai nippte an dem Kaffee und hob die Schultern. ‚Rate mal was? Du nervst mich… Moment mal! Jan ist sauer auf Bianca? Hab ich grad was nicht mitbekommen?!‘ Doch er kam zu keiner Frage, Tini quasselte gleich weiter.
„Jan will nichts von ihr, weil er schwul ist, wie er ihr erklärt hat. Naja, bi vermutlich eher, der spielt doch dauernd Fußball und so, aber er behauptet, dass er nicht mehr auf Frauen steht als auf Männer. Oder, wie hat er sich noch mal ausgedrückt? Er steht auf einen Mann, und das mehr als auf jede Frau zuvor, aber…“ Kai blendete Tini einen Moment lang aus, weil er Mühe hatte, nach dem Schock wieder zu Atem zu kommen. ‚Auf einen Mann mehr als… welchen Mann? Idiot! Auf dich! Volltrottel! Aber wieso redet er dann nicht mit mir, er will doch sonst immer über alles quatschen? Ach ja, da war was, ich hab aufgelegt, das Handy zerschmissen, hab ihm gesagt, dass ich ihn nicht mehr sehen will. War das, weil er schuld war? War ich schuld? Scheiße!‘ Vor Wut über sich selber stürzte Kai den Kaffee runter, obwohl er noch zu heiß war. Seine Zunge begann sich mit unangenehm schmerzendem Brennen zu bedanken und in seinem Kopf lachte sein Gewissen über diese gerechte Strafe.
Tinis Stimme gelangte wieder in sein Bewusstsein. „Sie hat mir gestern noch mal alles ins kleinste Detail erzählt, krass, oder? Hat mich nachts extra deswegen angerufen. Nun interessiert mich doch mal eines, mein Lieber. Du wusstest doch sicherlich davon, ihr seid ja in viel zu vielen Kursen zusammen und habt auch nicht selten zusammen gelernt, warum hast du nichts gesagt? Was sollte das denn? Aber naja, du verrätst ja eh nie was.“ Fassungslos starrte Kai Tini ins Gesicht. ‚Merkt die nichts, oder verarscht sie mich? Kann sie nicht mal jetzt eins und eins zusammenzählen? Scheiße, ist die blöd! Aber ich hab nicht zugehört, Mist. Nicken, verständnisvoll, ist immer gut.‘ Er grinste und hob die Schultern.
Mit einem Seufzen kramte sie daraufhin in der schrecklichen Umhängetasche und stellte verschnupft fest „Du willst mir noch immer nichts von dir erzählen, nicht wahr?“ „Und was willst du von mir?!“ „Sag Bianca, dass er schwul ist. Sie glaubt es mir nicht. Sie glaubt, dass Jan sie verarschen will und dass ich ihm dabei helfe. Ich kann nicht fassen, dass sie bei dir einfach so sagen kann, dass du schwul bist und es macht ihr nichts, aber bei Jan macht sie ’nen schrecklichen Aufriss! Und dann soll ausgerechnet ich mit ihm unter einer Decke stecken! Ich kann den doch gar nicht ab, verdammt noch mal!“ „Ich soll Bianca…? Spinnst du?! Warum?“ „Weil sie es mir nicht glaubt, verdammt!“ „Ach, mir aber schon, was? Mir auch gerade.“ Kai senkte den Kopf und erinnerte sich an Biancas beleidigende Art auf den Partys im letzten Sommer, an seine Furcht vor ihr und an seine Eifersucht. Ein schrecklicher Gegner. Und nun sollte er ausgerechnet zu ihr gehen?
Tini seufzte abgrundtief, dann flüsterte sie „Es ist nur so schwer, weil sie… ich dachte immer, dass sie meine Freundin ist und jetzt? Gerade jetzt, wenn ich eine Freundin brauche…“ Zu seinem Entsetzen bekam ihre Stimme den dünnen, resignierten Klang, als ob sie weinen wollte. Er kramte vorsichtshalber nach einem Taschentuch und reichte es ihr, weil sie auch gleich darauf betont leidend schnüffelte. Sie schmiegte sich gleich ein wenig dichter in seine Nähe, bevor sie flüsterte. „Da ist noch etwas. Jan hin, Jan her. Ist dir aufgefallen, dass Holger sich komisch benimmt?“ Kai brauchte einige Augenblicke, um sich von dem Themawechsel zu erholen, dann seufzte er leise und hob die Schultern. Er mochte Holger. Seit der mit ihm gesprochen hatte, um ihn dann in der Uni keinen Deut anders zu behandeln als zuvor, hatte er Holger direkt gern.
„Er ist so bissig und nervig geworden. Am Anfang der Uni konnten wir uns immer so prima unterhalten und jetzt? Immer zieht er sich zurück und dann will er auch nicht mehr mit weggehen, wenn wir uns verabreden wollen. Dann kommt er doch mit, um rumzumuffeln. Hat er irgendwas? Liegt es an mir?“ ‚Scheiße… Holger ist doch in Tini verknallt gewesen, ist er das vielleicht nicht mehr? Hat er die Schnauze voll von ihr? Ich schnall das nicht. Heteros sind kompliziert.‘
Kai sah sich um, ob Lauscher in der Nähe waren, dann murmelte er unsicher „Ich weiß nicht genau, aber er war mal in dich verschossen.“ „Was?! Holger? In mich?!“ Ihr Gesichtsausdruck nervte ihn mit einem Mal. Wieso musste Tini nur so ein Trampeltier sein?
„Ja. Ist das so schwer zu kapieren? Er war immer in deiner Nähe im letzten Semester, hat dir zum Geburtstag was tolles geschenkt, hat dir Klausuren kopiert, ohne Geld zu wollen und er hat dich immer abgepasst, wenn du essen gegangen bist.“ „Stimmt, die Orchidee war schon sehr… krass. Ist schon eingegangen, das ist mir vielleicht peinlich. Aber… Holger? Ich meine… naja, du kennst ihn ja auch. Er hat noch nie mit mir geredet.“ Kai hob die Schultern und sah sich noch einmal um, dann murmelte er. „Nach deiner Party hatte er den gleichen Weg wie ich. Ein Motorrad hat mich erschreckt. Holger hat nicht gelacht oder einen dummen Spruch gemacht, sondern ist mit mir bis zur WG gegangen, hat sich sogar noch mit mir an den Tisch gesetzt und hat mir dann erzählt, dass er schon lange weiß, dass ich schwul bin. Er hat sich weder davor, noch danach anders verhalten als sehr nett. Ich finde ihn… toll.“ Um besonders gemein zu sein, erinnerte er sie noch „Hast ihn doch auch im Fummelkurs gesehen, oder?“ Tinis Augen waren immer größer geworden, sie nickte leicht, dann fragte sie „Er wusste es und hat nichts gesagt?!“ ‚Ja. Wie das bei Männern nun mal so ist.‘ „Man kann ihm eben vertrauen.“ Man konnte Tini ansehen, dass sie, mit dem für sie üblichen Elan, über Holger nachdachte.
Jemand hinter ihnen öffnete die Tür zu der Cafeteria und ein kühler Lufthauch trug Regen-und Schneegeruch durch den Zigarettenqualm bis zu den hinteren Ecktischen vor. Tini hob den Kopf und ihre Augen wurden schmal. „Oh, für dich“, murmelte sie, gleich darauf trat jemand an den Tisch und Kai blinzelte seufzend, bevor er den Kopf hob und Jan ansah.
„Hi.“ „Ja, dann will ich mal gehen. Bis morgen, Kai.“ Tini ließ ihren Becher einfach stehen und ramschte ihre Tasche und Jacke mit einem Mal merkwürdig hektisch zusammen. Mit einer fast schon nebensächlichen Bewegung küsste sie ihn auf die Wange. Noch bevor Kai sich gefangen hatte, war sie weg.
Jan ließ sich langsam und müde wirkend auf ihrem Platz nieder, sah Kai jedoch nicht an. Seine Haltung, seine Bewegungen, alles an ihm wirkte schlapp, wie in slow motion gefilmt. Aber es gab Kai die Chance, sich zu sammeln, sogar ruhig zu werden. Endlich war sogar er es, der zuerst sprach.
„Ich bin eben noch mal zur Bibliothek zurück, um mit dir zu reden.“ Jan hob den Kopf und nickte leicht, sein Schweigen machte Kai verrückt.
„Auch wegen des Handys… ich meine… was… ob du…“ Unsicher brach er ab und drehte seinen Becher hin und her, dann, ganz unvermittelt begann Jan. Flach und leise, an die Tischplatte gerichtet, nicht wie er selbst, gespenstisch.
„Ich liebe dich, Kai. Und es ist schrecklich. Ätzend und scheiße… und… schwarz.“ Er blinzelte in Tinis Kaffeerest.
„Es beißt und frisst an mir. Allein der Gedanke, dass ein anderer dich berührt, es macht mich fertig.“ Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Ich werde eifersüchtig, das hasse ich. Ich hasse mich, seit ich dich liebe.“ Kai starrte Jan geschockt an und war sprachlos, sicherlich knallrot und mit einem Mal war ihm übel. ‚Liebe… Oh Gott! Scheiße, Jan. Musste das jetzt sein?‘ Schuldgefühle krochen ihm unerwünscht durch den Körper, ließen ihn frösteln. „Aber…du hast doch, du bist doch…Silvester war…“ „Du hast mich nicht ausreden lassen.“ „Du wolltest nicht am Telefon reden.“ „Du…“ „Ja, ich! Ich weiß! Ich hätte nicht so krass sein sollen, aber in dem Moment klangst du so fertig und ich wollte nicht am Telefon über all meine Gedanken reden, weil ich sie selber noch nicht klar bekommen habe. Außerdem stand ich in einem kleinen Krankenhaus direkt neben dem Kiosk.“ Kai schwieg, aber Jan sprach nicht weiter über diese Gedanken, stattdessen ruckelte er ungemütlich und murmelte „Können wir woanders hingehen?“ „Zu mir?“ „Ich fahre.“ Erst als Kai seine Jacke übergezogen hatte, bemerkte er, dass Bianca in den Raum getreten war und bereits auf sie zusteuerte. Er zuckte zusammen und sah zu Jan rüber, der blind und taub für die Umwelt die Becher aufnahm, um den Pfand zu kassieren.
Kaum war Jan vom Tisch fort, als Bianca zu Kai trat und ihn herausfordernd anstarrte. ‚Scheiße. Hab ich heute Sprechstunde hier, oder was?!‘ Als Kai sich weigerte, von allein mit dem Reden zu beginnen, fragte sie endlich leise und gefährlich klingend. „Warst es also schon immer du?“ „Immer?“ „Seit dem Sommer, seitdem Jan sich so komisch benimmt?“ „Er benimmt sich komisch?“ Kai kam sich im selben Moment, in dem er dies sagte schon äußerst dämlich vor und auch Bianca schien ihn so einzuschätzen.
„Hör auf, Kai! Dafür sind wir beide zu alt.“ Kai verschränkte die Arme und senkte den Blick, dann nickte er jedoch. „Ja.“ „Was ja?“ „Die Antwort auf deine Frage.“ ‚Bist du jetzt zufrieden, kann ich jetzt gehen?‘ Er wandte sich halb ab, der Tür zu, nebelfeiner Regen mit kleinen Schneeflöckchen trieb vorbei, nicht gerade einladend. Jedoch noch weit weniger eisig, als Biancas Miene.
Jan kam ihn jedoch retten. Er trat zu ihr und blickte sie herausfordernd an. „Hast mir das wohl nicht geglaubt, was?“ „Nein, ehrlich gesagt nicht.“ Als sie sich abwendeten, folgte Bianca ihnen, den Schal hoch über ihr Gesicht schlingend.
Kai fragte nicht, weil Jan ebenso wenig nachfragte und so kam es, dass sie in eisiges Schweigen gehüllt bis zum Wagen von Jan gegangen waren, bevor Jan offensichtlich klar wurde, dass Bianca nicht nur zufällig denselben Weg hatte. „Was?“ Gereizt sah er seine Ex an und Kai litt unter den Blicken, unter der Stimmung. Jan wirkte wie mit Sprengstoff geladen, man fürchtete um jeden noch so kleinen Funken.
Biancas Blicke schienen für Jan Funken genug zu sein. „Verdammt noch mal! Ich habe keinen Bock mehr auf diese Scheißtour! Du kannst es bitte sehr auch mal akzeptieren, etwas nicht zu bekommen! So verwöhnt kann ja wohl niemand sein!“ Mit Schwung schlug Jan auf das Wagendach. Bianca lehnte sich an, beeindruckend cool und entgegnete von Jans Ausbruch zumindest äußerlich unberührt. „Ich will dich nicht zurück, ich will einfach mal eine Erklärung, eine ehrliche.“ „Ich bin schwul! Punkt!“ brüllte Jan sie dermaßen laut an, dass Kai sich errötend umsah.
„Nein. Bist. Du. Nicht.“ Ihr Blick war nicht herausfordernd, sondern kühl und verdammt wissend.
„Scheiße!“ Kai bemerkte einige Leute, die von der Bahn auf die Uni zugingen und zupfte an Jans Jacke. „Lass uns in der WG weiter reden, bitte.“ Kaum saßen sie im Wagen, als ihm klar wurde, dass Bianca nun wirklich sehr störend mit ihnen fuhr. Aber Jan war in einer derart angespannten Verfassung, dass Kai es nicht mehr wagte, auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen. Als sie aus dem Wagen ausstiegen und die Treppen zur WG hochkletterten, war er beinahe erleichtert, dass Bianca dort war, sie schien Jans aufgestauten Ärger abzufangen.
Jan ließ sich auf die Eckbank hinter den Esstisch fallen und Bianca setze sich steif und an ihrem Mantel zupfend daneben. Ihre Blicke glitten suchender durch die Wohnung. Kai wuselte so nervös er nur konnte in die Küche, in sein Zimmer, wieder in die Küche. Endlich brach Bianca das Schweigen. „Er ist schwul, das war mir schon immer klar. Aber du? Darüber haben wir doch schon geredet, Jan. Das ist, da bin ich mir sehr sicher, eine Probierlaune.“ Kai wurde übel. Wie konnte sie so überheblich da sitzen und dermaßen vernichtend über Jans Gefühle urteilen? Zudem auch noch so dermaßen einleuchtend. Er selber dachte ja auch nicht selten in diese Richtung. Fußball, Mädchen, Kinder… Jan mochte zu viele Bestandteile eines Heterolebens.
Jan schienen Biancas Ausführungen nicht sonderlich zu beeindrucken. Er warf einen forschenden Blick auf Kai, dann stand er auf und umrundete den Tisch. Schleichend, wie sich anschleichend ging er auf Kai zu, der am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Jans kleines Lächeln wirkte bedrohlich, sein zwischen Kai und Bianca hin- und herhuschender Blick schuf ein unangenehmes Ziehen in Kais Magengrube. Doch als Jan dann zuschnappte, erschrak er trotz aller Ahnungen dennoch.
Jan umarmte ihn von hinten fest und presste das Gesicht gegen seine Haare, so dass Kai seinen Atem über den Kopf kriechen fühlte. Er bekam eine Gänsehaut, die sich bis in sein Inneres fortzusetzen schien, fast hätte er mit den Zähnen geklappert. Jans Gesicht, sein Mund strichen von den Haaren am Scheitel weiter herum, zum linken Ohr hin, sein Atem kroch Kai am Hals entlang und er erschauderte. Zugleich fuhren Jans kräftige Hände an seinen Seiten herum, um ihn zu umfassen.
Kai konnte sich nicht erwehren, sein Körper reagierte zu heftig, erleichtert, wie befreit nach der Zeit der Unwissenheit, nach der Zeit des Sehnens und sich Quälens. Kai ließ den Kopf zurückrollen und ergab sich Jans Händen, seinem Mund, der sich leicht nippend über seine Wange zu seinen Lippen tastete. Dann küssten sie sich, jedoch nicht wie Kai erwartet hätte leicht und zur Show gemacht. Jans Zunge nahm seinen Mund sofort fordernd und unerbittlich ein. Keine Frage lag darin, keinerlei Unsicherheit, nur Besitzanspruch, Gier schon fast. So schnell wie er angefangen hatte mit dem Küssen, hörte Jan auch auf, hinterließ Kai mit einer Sehnsucht nach mehr, viel mehr.
„Wenn es eine Probierlaune ist, dann eine, die mir verdammt noch mal gut schmeckt!“ Hitzig starrte er Bianca über Kais Kopf hinweg an. Kai sah dies, weil er noch immer den Kopf nach hinten gelehnt hatte. Allmählich senkte er seinen Blick wieder und seufzte leise. ‚Etwas probieren, das gut schmeckt, was ist wenn…?‘
Bianca dachte für ihn zu ende. „Das ist wie mit Süßstoff. Zuviel süß ergibt bitter und irgendwann…“ Sie erhob sich, und ihre Augen funkelten wütend, feurig, bewundernswert sicher. „Irgendwann wirst du davon kotzen müssen!“ Sie drehte sich sicher und leicht um, erleichtert beinahe. Vermutlich war es das, was sie schon immer über Kai gedacht hatte, schon immer einmal in sein Gesicht hatte sagen wollen. ‚Zuviel süß und es wird bitter, zuviel davon, dann muss man kotzen. Scheiße. Warum ist sie so? Was hab ich getan, dass sie…‘
Biancas letzter Blick, bevor sie durch die Tür in das Treppenhaus verschwand, erklärte ihm alles. Nicht Hass lag darin, keinerlei Trauer, keines dieser Gefühle, lediglich eine schmerzende Sicherheit, von der für sie typischen Überheblichkeit noch verstärkt. ‚Scheiße. Sie ist so, weil sie es erlebt hat. Weil sie weiß, wie viel süß zu bitter wird!‘
Jan murmelte einen unterdrückten Fluch, aber als Kai sich zu ihm umdrehte, war er nicht mit Biancas Drohrede beschäftigt, sondern legte seinen Fuß hoch und murrte „Tut immer noch weh manchmal. Scheiße.“ Mit einem Mal merkwürdig müde, ließ Kai sich in seinem Stuhl zurück fallen und seufzte. „Und jetzt? Haste es ihr gezeigt, was?“
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.