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Trost

Kapitel 48-49

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 48

Die Stimmung wurde nicht besser nachdem Bianca fort war, weil Jan dann erst so richtig mit dem Reden begann. Er sprach schnell und sah Kai fortwährend direkt ins Gesicht. Längst waren sie in Kais Zimmer gewechselt und hatten die Tür geschlossen, um Lolli und seine Freunde auszusperren.

Sie lagen nebeneinander auf Kais Bett, sahen sich an, oder vielmehr sah Jan Kai an, er selber versuchte mehr oder weniger den Blicken abwechselnd stand zu halten und ihnen auszuweichen. Er sprach auch wenig, hörte eigentlich mehr zu. Zuerst von der Fahrt nach Norwegen, auf der Jan es Bianca gesagt hatte, erklärt hatte. Das Prickeln, das Verlangen nach dem anderen Körper, nach einem anderen Mann, das ihn so dermaßen verwirrt hatte von Anfang an. Später erzählte Jan ihm auch, wie seine Zweifel immer wieder hochkamen, wie wenig Kontrolle er über sie hatte.

Erst nun erfuhr Kai das wirkliche Ausmaß von Jans Überlegungen. Die Zukunft, die Wünsche, die er als normal und selbstverständlich angesehen hatte bisher. Er hatte noch nie zuvor zweifeln müssen, dass er ein beliebtes Mitglied im Sportverein, ein guter Trainer für die Jugendfußballmannschaft und zudem auch noch ein guter Vater sein würde.

"Ich hab das noch nicht wirklich geplant, Kai. Ich hab nicht etwa gedacht, dass ich Kinder will. Das wäre ja auch ein wenig sehr... beknackt. Aber jetzt, wenn ich dich so ansehe, wenn ich so sehe, was ich fühle..." Kai konnte nicht ausweichen, als Jan sein Gesicht entlang streichelte. "Ich kann nicht aufhören zu denken, dass es nicht perfekt sein wird. Das kann es nicht werden, nicht mit dir, so sehr ich es will."

Kai schloss die Augen, schmiegte sich an die tastenden Finger, wollte sein Gehirn ausschalten, wollte die Ohren verschließen, aber Jans Stimme hallte noch lauter in seinem Kopf wieder, deutlicher. Er wusste genau, was Jan meinte mit dem 'perfekt' und wollte eigentlich keinerlei Erklärungen hören, aber dennoch fragte Jan viel zu sicher und endgültig "Ist dir klar, dass alles eines Tages daran kaputt gehen kann?"

Kai kniff die Augen noch fester zu, aber nickte endlich. Seine eigene Stimme kam ihm mit einem Mal unbekannt vor, fester und sicherer als er sie in Erinnerung hatte. "Es ist mir egal, Jan. Scheißegal!"

"Aber mir nicht. Ich hab Angst davor, dass ich dir..."

"Ich will es so!" 'Ich will dich, egal wann ich dich verlieren werde. Egal, scheißegal! Eine Frau, irgendeine, wird irgendwann kommen und dich fortnehmen, aber das zählt nicht. Das Jetzt zählt.' Er dachte es jedoch nur, sagte es nicht. Aber mit einem Mal war Jan nicht mehr energisch und unbequem genug, um sich von Kai fernzuhalten. Aus dem Streicheln wurde mehr. Sie redeten nicht weiter.

Als Kais Wecker am anderen Morgen los pfiff, fühlte er sich, als hätte er in der Nacht kaum geschlafen. Sein erster Gedanke war, dass er das auch nicht hatte, er wollte einfach nur weiterschlafen, nichts als die warme Decke um sich fühlen. Leider war sein zweiter Gedanke, dass er noch eine Klausur vor sich hatte, und zwar eine schwere, eine, für die er dank Jan nicht hatte lernen können. "Scheiße!"

"Guten Morgen."

"Klausur, heute... so eine Schei..."

"Reg dich ab. Ich hab dir 'nen Kaffee gekocht und fahr dich hin, wir haben noch genug Zeit."

Der Tag wurde wider Kais Erwartung angenehm. Die Klausur fiel im Schwierigkeitsgrad weit unter dem befürchteten Maß aus und Kai schaffte es, die Antwortbögen mit Jan zu tauschen und für ihn zu schreiben, damit auch er wenigstens bestand.

Im Anschluss schaffte er es, so schnell mit Jan im Auto zur WG zu verschwinden, dass Tini ihn nicht mehr erwischte. Bianca schrieb in einem anderen Hörsaal, aber schien es auch nicht auf eine weitere Konfrontation anzulegen.

Doch kaum hatte Kai den Schlüssel in der Wohnungstür, als auch schon das Chaos begann. Jan hatte nur seine Klamotten abholen wollen, die er zum Teil bei ihm vergessen hatte und zuckte ein wenig zurück, als Lolli mit einer knallengen Hose und sonst nichts bekleidet an der Tür vorbei in Richtung Bad rannte. "Ah! Cool, Kai ist da! Beeeeeeeeeeenni! Wir können dann gleich lohoooos!"

Kai riss die Augen auf und schloss sie dann ein-zwei Mal, leider verschwand die Vision nicht. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Da stand Lolli, lang, dünn, tuntig mit einer quietschblauen Lackhose bekleidet und schabte mit dem Rasierer die letzten Härchen von seiner Brust.

"Was wird das denn, wenn ich fragen darf?"

"Carl hat zwar ne große Wohnung, aber nur ein Bad, Maus. Wenn wir uns alle dort fertig machen, dann kommen wir nie los. Benni und ich haben uns hier schon mal aufgebrezelt. Ich hab ein paar Sachen auf dein Bett gelegt, kannst dir ja aussuchen, welche du anziehen willst, hm?"

Ein wenig verärgert latschte Kai in sein Zimmer, wo er etliche glänzende Lackteile über sein Bett verteilt erblickte. "Was soll das denn bitte?!"

"Es ist ein Lackabend in der Disse! Stell dich nicht so an. Das Zeug steht dir sicherlich ausgezeichnet und du zahlst keinen Eintritt, wenn du das anziehst!" Lolli lachte breit, sehr offensichtlich freute er sich schon.

Benni kam um die Ecke und Kai musste zweimal hinsehen, um ihn wiederzuerkennen, weil er so dünn geworden war. Seine Wangen und das Kinn wirkten richtig spitz und statt dem kleinen Bauch schien er nur noch Beckenknochen zu haben. Mit einem Mal ärgerte Kai sich, dass er ihn auf Tinis Party damals zu dick gefunden hatte, so fand er ihn auf jeden Fall zu mager. "Hallo, Kai. Geht's gut?"

"Ja, alles in Ordnung, und bei dir?" Kai konnte die leichte Sorge nicht aus der Stimme fernhalten, auch wenn er sich dachte, dass es ihn nichts anging, welche Probleme Benni gehabt haben mochte.

Benni nickte leicht. "Jetzt wieder, ein Glück."

Lolli kehrte zurück und warf Kai noch zwei Teile auf das Bett, ein T-Shirt mit Lackstreifen, von Netzteilen durchsetzt, leider in knallrot, weswegen es zu Kais Haaren sicherlich nicht in Frage kam, und ein Shirt mit Regenbogenfarben aus Lack einmal quer darüber. Er grinste breit und frohlockte "Ich hab die mal in einem kreativen Anfall genäht und endlich kann ich sie ausführen!" Er hopste einmal auf und nieder, was bei seiner Größe noch lustiger wirkte und Kai musste lachen.

"Ich komme mit." Kampfbereit starrte Jan Kai an und senkte den Blick gleich drauf, um die Klamotten zu inspizieren. "Aber da zahle ich lieber Eintritt, vielen Dank."

Seufzend stimmte Kai ihm zu und begann eine Sporttasche mit ein paar Sachen für eine Übernachtung zu packen. Da Jan gesagt hatte, dass er mitkommen wollte, fiel ihm überhaupt nicht ein zu sagen, dass er selber nicht fahren wollte. Außerdem war er neugierig auf Carls Wohnung.

Sie hatten sich gerade nach einer hitzigen Diskussion darum, dass es doch schweinelustig sei, sich in Lackklamotten tot zu schwitzen, dazu überreden lassen, wenigstens zwei Shirts mitzunehmen, als es an der Tür klingelte und Lolli mit einem fröhlichen "Oh, das wird Lukel sein. Herrlich!" den Flur entlang lief.

Jan hob den Kopf und Kai konnte die Blitze förmlich aus seinen Augen springen sehen. "Der auch? Gut, dass ich mitkomme."

Kai nickte betont desinteressiert, während er dachte, dass es schade für Passi war, dass er nicht da sein konnte. Anstelle von Lukas kam jedoch Tini in den Raum. "Hallo, stör ich?"

Jan blinzelte überrascht, aber schnappte sich Kais Tasche und ging damit in den Wohnraum, wo die anderen auf Lukas warteten.

Unsicher sah Kai ihm nach, dann blickte er Tini ins Gesicht. "Naja, wie man es nimmt. Wir wollten gerade losfahren."

Lolli ruinierte seine Rausschmissrede, indem er rüberrief "Party! Party, Party! Hey, willst du deine Freundin nicht auch mitnehmen? War das nicht die, die du hier hast pennen lassen?"

Kai senkte den Kopf eine Spur tiefer. 'Scheiße! Danke, Lolli! Vielen Dank!' Doch Tini kicherte leise und fragte, von seiner abweisenden Art wie immer vollkommen unbeeindruckt. "Ja? Dürfte ich? Ich muss mit dir reden, wegen Holger. Und ich..." sie fummelte unsicher an einer ärmellosen Frackweste aus Lack herum. "Ich muss mal Abstand haben und meine Gedanken ordnen."

Es klingelte erneut und dieses Mal kam wirklich Lukas zu ihnen hoch. Lolli stürmte zu Kai in das Zimmer, um die restlichen seiner Lackteile und Netzhemden einzusammeln und in eine Sporttasche zu stopfen. "Für späteren Gebrauch", wie er kichernd mitteilte. Tini stand ein wenig im Weg und wurde daher von Benni gefragt, ob sie wirklich mitkommen wollte. "... na, so allein unter... uns..."

"Schwulen?" Lukas kam durch die angelehnte Tür ins Wohnzimmer und streifte den bereits aggressiv starrenden Jan mit einem kleinen Blick. "Klar, komm mit, Tini. Meine Schwester wird auch dabei sein. Aber Vorsicht, sie hat sich mit ihrem Kerl gestritten und hat ein lesbisches Wochenende geplant." Er umarmte Tini und zwinkerte ihr ausgelassen zu.

Gleich darauf ging er mit zwei ausgreifenden Schritten auf Kai zu, griff ihm fest in die Haare und küsste ihn ausgiebig auf den Mund. "Na, Engelchen?" Er umarmte Kai und flüsterte bissig "Je wütender dein Macker schaut, desto mehr Spaß macht mir das." Damit ließ er ihn stehen und bat Benni und Jan, der bereits auf hundertachtzig zu sein schienen, ihm beim Einbau der Rückbank in den Bulli zu helfen.

Kai starrte ihnen hilflos nach und nickte nur, als Tini ihm sagte, dass sie ihre Tasche rasch packen und gleich wieder bei ihnen sein würde. Ihm begann unwohl zu werden bei dem Gedanken an dieses Wochenende. Besonders als er sah, wie sie fahren würden, nämlich alle zusammen in Lukas' Bulli. Lukas, Lolli und Benni saßen zu dritt vorn und bestimmten die Musik, das allein würde schon einmal anstrengend werden. Dann kreischte Lolli "Auf zu Tante Lena!" Und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Tante Lena stellte sich als Lukas' Schwester heraus, die Kai einmal als 'Der Dali' vorgestellt worden war. Der Dali passte auch besser als Tante Lena, denn sie trug ihre weißblond gefärbten Haare straff an den Kopf gekämmt, dazu schien sie ohnehin eine Ansammlung schwarz-weißer Kontraste zu sein. Schwarzer Rollkragenpullover, darüber ein weißes Männerhemd, dazu eine schwarze Hose und schwarz-weiße Schuhe. Insgesamt sah sie viel zu edel aus, um in dem Bulli zu fahren.

Sie winkte einmal, dann kletterte sie ihrem Bruder auf den Schoß, um ihn ausgiebig zu drücken und auf den Mund zu küssen, was Kai ein wenig befremdlich fand. Gleich drauf küsste sie jedoch nach kurzer Begrüßung alle anderen auch und schien sich auch in die zweite Reihe so vorarbeiten zu wollen.

Doch dann erblickte sie Tini und bestimmte resolut "Ich sitze bei der Frau! Wir müssen zusammenhalten!"

Gleich darauf wurden Jan und Kai auf die hinterste Rückbank geschoben, die keine Fenster mehr hatte, weil Lukas sie übersprayt hatte. In das Halbdunkel eingehüllt hörte Kai nur mit einem Ohr zu, wie die anderen sich unterhielten und lachten. Jan war gefährlich schweigsam und Kai hatte ein wenig Angst, ihn auch nur zu berühren, aber als sie auf die Autobahn rollten und die Musik zu Flower Power wechselte, was Lolli zum Juchzen brachte, schob Jan seine Finger in Kais Hand und drückte sie kurz.

Von der restlichen Fahrt bekam Kai nicht mehr viel mit, das Letzte was er wusste war, dass er und Jan nach einem Blick begonnen hatten rumzuknutschen. Gleich vom ersten vorsichtigen Berühren der Lippen an wurde ihm klar, wie sehr Jan ihm gefehlt hatte. Rebellisch dachte er 'Es ist mir scheißegal, Jan! Wirklich. Egal, wann es nicht mehr geht, solange du jetzt hier bist!'

Als der Bulli mit einem kleinen Quietschlaut hielt, hatte die Musik zu Trance gewechselt und Tini und Lena schienen bereits dickste Freundinnen zu sein. Arm in Arm verließen sie den Bulli und lachten darüber, wie desorientiert Kai und Jan hinter ihnen her stolperten.

Sie hatten vor einem Altbauhaus mit schönen verglasten Balkonen geparkt. Kai sah kurz an der Fassade hoch, um zu erkennen, dass im Dachgeschoss noch schönere Balkone aus der Dachschräge gezogen worden waren. Von einem der Fenster aus winkte Carl ihnen zu und lachte über sein rundes Gesicht.

Lolli quiekte aufgeregt und rannte die Treppen förmlich hinauf, sodass die anderen, insbesondere Benni und Lukas, die seine Taschen tragen mussten, ihm nicht folgen konnten. Kai selber ließ sich Zeit mit der Tasche, um Jan noch einmal sprechen zu können. "Wirst du dich mit Lukas vertragen?"

"Ich versuche es." Jans Gesichtsausdruck war jedoch entspannt und er schenkte Kai ein kleines Lächeln, während er ihm die Tasche reichte. "Wirklich. Wird schon."

Auf dem obersten Treppenabsatz wurden sie von einem lachenden Carl umarmt. "Lolli und Benni darf man keine Sekunde aus den Augen lassen! Ihr habt euch ja vermehrt wie die Kaninchen, meine Güte! Wo soll ich euch denn alle nur hintun?" rief er gespielt verzweifelt aus und drückte Kai und Jan an sich. "Ach, zwei echte Frauen!"

Lukas erschien hinter ihm und nahm Kai den Autoschlüssel ab. Er grinste und entgegnete. "Naja, echt. Der Dali ist mal wieder auf dem Trip."

"Och nö... Lenchen! Ich hab mich so auf ein Frauengespräch mit dir gefreut!"

Lukas' Schwester lachte und schob mit einem betont strengen Ausdruck im Gesicht Tini vor. "Deswegen haben wir sie mitgebracht. Eine echte Heterofrau. So."

Tini wurde rot und sah zu Boden. Lukas tätschelte im Vorbeigehen ihre Schulter. "Mach dir nix aus dem Dali, sie kommt schon wieder runter."

Zu Kais Verwirrung verkündete Jan: "Ich helfe Lukas mit den Schlafsäcken, bleibt ruhig hier!", und verschwand über das Treppenhaus nach unten, sodass Kai nichts weiter übrig blieb, als Jans Tasche zu nehmen und Carls Wohnung zu inspizieren.

Es handelte sich um die schönste Wohnung, die er bisher gesehen hatte. Der Dachstuhl war über der großen Diele ausgebaut worden, sodass man bis in die Spitze hochsehen konnte, wo zwei Oberlichter für freundliche Helligkeit sorgten. Der Fußboden war aus hellem Parkett. Die Möbel waren alle aus Massivholz und wirkten wie für genau diese Wohnung eingepasst, im Wohnzimmer zog sich ein maßgetischlertes Bücherregal einmal bis um die Fenster und die Flügeltür herum.

Carl wies auf seine zwei Sofas. "Das sind beides Schlafsofas, jeder kann sich eins aussuchen, die Mädels schlafen dann also in meinem Arbeitszimmer, ne?"

Magdalene nickte und wanderte nach einem erneuten Nicken in Tinis Richtung ab in den kleinen Raum, der neben dem Wohnzimmer lag. Staunend ging Kai in die Küche, auch hier Massivholz und maßgetischlerte Möbel, eine wunderschöne Sitzecke aus Korb im Wintergarten. In der Ecke lag eine dicke schwarze Perserkatze und gähnte gelangweilt.

"Ach ja, ignoriert Hexe, sie ist so alt, dass sie schon fast nicht mehr da ist. Hab sie von meiner Oma geerbt. Sollte wer allergisch sein, ich hab noch Zeug im Bad liegen, ansonsten darf jeder sie sehr gern mal bürsten!" rief Carl gut gelaunt und verkündete dann, dass er Kaffee und Kuchen in der Küche bereitstehen habe und sich rasch mal fertig machen würde, damit sie den Abend beginnen konnten.

Lolli trat zu Kai und half ihm, Becher aus dem Schrank zu fischen. "Geile Wohnung, ne? Er hat ne Weile mal mit einem superheißen Tischler geschlafen, das hat so seine Spuren hinterlassen." Kichernd gesellte er sich zu Benni, der auf der Bank neben Hexe saß und den Kuchen anstarrte.

"Ich glaub, ich will auch ein Stück essen, ich spritze mich eben nur, bin gleich zurück."

"Ja, Benni, iss du auch was, nur für mich, ja?" Begeistert drückte Lolli ihn.

Kai stellte Teller für alle hin und entgegnete auf Tinis Blick hin "Diabetes.", um die Sache zu erklären. Noch gut konnte er sich daran erinnern, wie er Benni und Lolli verdächtigt hatte.

Sie hatten sich gerade alle gemütlich niedergelassen, als Lukas und Jan zurückkehrten, jeder mit einigen Schlafsäcken bewaffnet. Verdächtig friedlich luden sie ihre Sachen ab und setzten sich in die Runde dazu. Jan ließ sich zu Kai auf der Bank nieder, während Lukas seine Schwester auf den Schoß nahm, um in ihrem Sessel sitzen zu können. Fasziniert betrachtete Kai die beiden Geschwister, die sich einträchtig ein Stück Eierlikörtorte teilten. Die Ähnlichkeit war eindeutig da, selbst mit Lenas gefärbtem Haar und dem Größenunterschied zwischen ihnen.

Nachdenklich fragte Kai sich, was gewesen wäre, wenn er noch eine Schwester oder einen Bruder gehabt hätte. Vor allen Dingen, ob seine Eltern dann vielleicht auch so zurückgelehnt mit einem schwulen Sohn umgegangen wären. Er warf einen Seitenblick zu Jan hin, der sich auf seinen Kaffee zu konzentrieren schien.

Schon bald wurde die Stimmung unter dem Einfluss von Baileys, Eierlikör und Carl sehr deutlich einer Entgleisung näher gebracht. Als es draußen dunkel war, kicherten Lolli und Carl bereits vollkommen hemmungslos am Boden im Wohnzimmer liegend über alles und jeden, während Lena und Tini sich durch die Lackklamotten von Lolli probierten, weil sie mitmachen wollten.

Endlich, als sie sich soweit zum Aufbruch bereit gemacht hatten, trug Kai ein normales Shirt und eine einfache schwarze Hose, Jan trug Jeans und ein schreckliches Shirt, aber alle anderen hatten sich in Lackteile gestürzt und waren auch deutlich betrunkener. Vor allem Tini schien voll in der neuen lustigen Partystimmung aufzugehen. Arm in Arm lief sie mit Magdalene und Lukas vor ihnen her und trug einen auffallend kurzen Schottenrock zu einer Lackweste. Magdalene hatte Lackshorts an und hohe Stiefel und sah generell klasse aus. Sie und Lukas waren ein wirklich hübsches Paar, konnten Köpfe verdrehen.

Lolli und Benni liefen ebenfalls Arm in Arm und kicherten mit Carl rum, der sich eine Lackmütze aufgesetzt hatte, um dem Motto zu dienen. Zuerst tranken sie noch in einer kleinen Bar etwas, wo sie sich mit Carls Freunden trafen, die zu weiten Teilen dermaßen nett waren, dass Kai sich fragte, ob er in der falschen Stadt lebte. Die Stimmung war super und es war eine reine Schwulenbar. Er durfte hemmungslos mit Jan schmusen, der dies ein wenig brummig geschehen ließ, vermutlich mit Blick auf Lukas sogar nicht wagte abzulehnen.

Kai hatte Tini, nachdem er ihr Outfit bemerkt hatte, nicht weiter beachtet, während sie von der Bar in einen Club überwechselten, in dem die laute Musik und zuckendes Licht, die schmusige Laune, in der Kai sich befunden hatte, zunichte machte. Doch gegen vier am Morgen, als sie beschlossen, die Party in einem Coffeeshop zu beenden, bemerkte er, dass Tini nicht nur bei ihnen war und sich über den Abend offensichtlich sehr gut mit Carl und einigen seiner Bekannten angefreundet hatte, sondern auch, dass sie sich mit Magdalene gestritten haben musste.

Magdalene war mit einigen Leuten am Tanzen und schien nicht nur betrunken, sondern auch bekifft zu sein. Sie kicherte in einem fort über die unmöglichsten Sachen und brauchte auf dem Weg zum Café ihren Bruder als Stütze. Auch Lukas hatte Kai den Abend über nicht gesehen und fragte sich nun, ob er ihm aus dem Weg gegangen war.

Doch zunächst sackte die Stimmung zwischen Tini und Lena auf den Gefrierpunkt ab, es schien sich irgendwie daran zu entzünden, dass Tini nicht wollte, dass Lena eine rauchte. Es entstand eine kleine Diskussion, aus der noch hervorging, dass es Tini ankotzte, wenn Lena auf Dali machte, wenn sie Alkohol trank, wenn sie in verrauchte, laute Diskos ging.

Vollkommen verständnislos schaltete Kai sich erst ein, als Tini sich abrupt erhob und Carl bat, ihr doch den Weg zu seiner Wohnung zu beschreiben, weil sie nicht mehr weiterfeiern wollte. "Carl, ich würde auch zurückgehen, bin müde und will schlafen." Jan schloss sich schweigend an. Nachdem Carl ihnen noch den Weg und den Trick bei seiner altmodischen Dusche erklärt hatte, verließen sie die Gruppe.

Sie waren noch nicht dazu gekommen, Tini nach dem Grund für diesen Streit zu fragen, als Lukas aus dem Café kam und seine Schwester an einem Handgelenkt gepackt hinter sich her zerrte. Sie blieben vor dem Gebäude stehen und begannen einen Streit, von dem Kai nichts verstehen konnte. Aber Lukas war sehr offensichtlich sauer, er entriss seiner Schwester sogar die Zigarette und warf sie erbost an die Wand.

Jans Hand auf seiner Schulter ließ Kai zusammenzucken. "Komm, Baby. Wir können morgen immer noch fragen, was los ist. Mir ist kalt und ich bin müde."

Tinis Seufzen brachte seine Gedanken zu ihr zurück. Er brauchte sie nicht ansprechen. Kaum waren sie in Carls Wohnung, und Jan im Bad verschwunden, als sie sich schon neben ihn auf das ausgezogene Sofa warf und losschimpfte. "Wie kann sie nur so schrecklich 'scheiß-egal' drauf sein?! Ist sie denn total bescheuert?! Wenn einem so etwas passiert, dann ist es vielleicht ein Schreck, klar. Ich würde auch ein wenig zucken. Man muss eine Entscheidung fällen, auch klar, aber sich einfach hängen lassen? Supertoll. So lange rumhängen und saufen, rauchen und irgendwelche Drogen werfen, bis das Problem sich von allein gelöst hat?"

Kai zog seine Schuhe aus und schaffte es erst nach einer Weile, die sie lamentiert hatte, den Redefluss zu stoppen. "Ich versteh nicht, worum es geht."

"Sie ist schwanger, darum geht es! Lässt sich erst anbumsen, dann lässt sie es schleifen, Regel nicht bekommen? Was soll's! So ungefähr! Hat sich mit ihrem Macker gestritten und nun will sie weder abtreiben noch will sie sich der Sache stellen. Stattdessen macht sie Party wie vorher und kümmert sich nicht drum. Sie hat sogar gesagt, dass es entweder von allein weggeht oder eben ein wirklich tolles Kind wird. Ganz erste Sahne!"

Kai holte verwirrt Luft, aber Jans Stimme kam ihm zuvor. "Das ist ihr Ding, Tini."

"Ach ja? Aber als zukünftiger Arzt hat man doch auch Verantwortung! Man kann doch nicht einfach..."

"Man kann den Leuten nicht ihre Wahl abnehmen. Wenn sie sich so scheiße aufführen will, wenn sie das Kind für die Dinge, die der Kerl getan haben mag, bestrafen will, dann ist das ihr Bier. Ich will jetzt schlafen, wenn es erlaubt ist."

Tini stand abrupt auf und stampfte wütend aus dem Zimmer. Kai starrte hinter ihr her und erschrak, als er Jans Hände auf seinen Schultern spürte. Jan küsste ihn und murmelte leise "Du riechst nach Rauch. Willst du nicht auch duschen und dann schlafen wir?"

"Ich glaube, ich rede nochmal mit Tini. Sie ist irgendwie schon wegen Holger so aufgedreht gewesen."

"Hast dich doch an sie gewöhnt, hm?"

"Vielleicht." Kai stand auf und nahm sich seine Schlafsachen mit zum Bad. Er sah Licht unter der Tür und klopfte an. Auf Tinis 'Herein' lugte er vorsichtig um die Ecke. Sie zog sich aus, war noch immer sauer und betrunken, wie er nun an ihren unsteten Bewegungen merken konnte. "Oh, ich wollte nicht..."

"Verdammt, komm schon rein und mach die Tür zu! Es wird kalt und du bist schwul. Wirst mir sehr sicher nichts wegstarren, oder?!" fuhr sie ihn an.

Kai schloss erschrocken die Tür hinter sich. Müde streckte er sich einmal und begann seine Zähne zu putzen. Aus dem Augenwinkel sah er wie sie ihre schwarze Wäsche von sich pellte und in die Dusche kletterte. Es überraschte ihn, dass ihren Körper anzusehen keinerlei Schamgefühle weckte in dem Augenblick. Er fühlte sich, als wäre es eine tägliche Normalität, dass sie sich ein Bad teilten.

Nackten Frauen hatte Kai noch nie wirklich viel Interesse entgegen gebracht, Tini machte mit einem Mal eine Ausnahme. Ihr Körper übte, seitdem er sie besser kannte, eine gewisse Faszination auf ihn aus. Allein die Wölbung der Brüste und der Umstand, dass sie bei ihrer dunklen Hautfarbe und den fast schwarzen Haaren helle Brustwarzen hatte, fand er interessant. Kai realisierte, dass er sie anstarrte. Zugleich wurde ihm bewusst, dass er dies nie tun würde, wenn er nicht voll wäre wie eine Ladung Seeleute.

Tini erwischte ihn beim Starren, als sie die Tür zur Dusche öffnete, um ihr Shampoo zu greifen. Ihre Reaktion war typisch für sie, wenn auch für keine andere Frau, da war sich Kai sicher. Sie grinste ihn an und winkte leicht. "Komm auch mit drunter."

"Was?! Spinnst du?"

"Das Wasser ist sonst kalt, wenn du nach mir duschen willst, Kai."

"Scheiße! Das ist unfair!" Aber er musste lachen über ihre Situation. Und er gab nach, viel zu schnell dazu noch. Rasch hatte er sich ausgezogen und stand vor ihr unter dem warmen Wasser. Sie reichte ihm ihre Shampooflasche und drehte sich von ihm weg. Mechanisch begann er auch noch ihre Haare einzuseifen, Wasserdampf und Rosenduft hüllten ihn ein. "Tini, das hier ist sehr..."

Sie lachte und nickte. "Sehr viel Alkohol zu verdanken? Ja. Ich weiß, Kai." Sie sah über die Schulter zu ihm zurück, dann spülte sie das Shampoo aus und drehte ihn von sich fort. "Ich weiß", wiederholte sie leiser. Gleich drauf verteilte sie von Lukas' Duschgel eine überreichliche Menge auf seinen Schultern und begann es mit kreisenden Bewegungen auf seinem Rücken zu verteilen. Eine Weile lang streichelte sie ihn und er ließ sie, dachte daran, dass es wirklich dem Alkohol zu verdanken war, dass sie ihm nun nicht nur auf den Hintern starrte, sondern auch fasste, und er ihren Busen angegafft hatte, als sei er im Zoo.

"Meinst du, dass Holger und ich zusammen passen, Kai?" Tinis Stimme war so leise, dass sie kaum gegen die prasselnde Dusche durchkam.

Kai hob die Schultern und drehte sich zu ihr um. "Ich weiß nicht. Aber das weiß man doch eh erst, wenn man es versucht, oder?"

"Und du und Jan?" Tini verzog den Mund und sah ihn direkt an.

Nervös stellte Kai das Wasser ab und starrte auf ihre Füße, die dicht voreinander standen. Ihre Zehennägel waren dunkelrot lackiert und der Anblick erschreckte ihn eine Sekunde lang, dann starrte er sich auf einem feinen Ring fest, den sie am zweiten linken Zeh trug, obwohl es in den dicken Stiefeln niemand hatte sehen können.

"Das ist wohl was anderes. Ich war auf den ersten Blick in ihn verknallt", gestand Kai endlich flüsternd. Er spürte, dass Tini und er selber es als Entschuldigung auffassten.

Ihre Hand an seiner Wange ließ ihn zusammenzucken. Tini zwang ihn, den Blick in ihre Augen zu heben. Eine Weile starrten sie sich an, dann lächelte sie. "Weißt du, wenn ich ein Kind will, darf ich mich dann bei dir melden?"

Kai hustete erschrocken. "Was?"

"Darüber hab ich vorhin nachgedacht, als Lena geschimpft hat, dass sie ausgerechnet von dem größten Arschloch schwanger sein muss, mit dem sie je im Bett war. Ich hab mich gefragt, wer es sein müsste, damit ich das Malheur nicht so schlimm fände." Ihre Finger strichen über seine Wange, dann klopfte sie mit den Fingerkuppen einmal gegen seine Schläfe. "Du müsstest es sein, Kai."

Kai wollte sich entziehen, aber dafür war die Dusche ein wenig zu eng und so konnte er nichts weiter tun, als die Arme verschränken und murren. "Ich hasse Kinder."

Tini lachte laut auf und versetzte. "Von dir will ich es haben und Jan muss es großziehen. Er wäre der perfekte Vater, glaube ich."

Mit einem Mal wurde Kai kalt. Es begann im Magen und er sah an Tinis Gesichtsausdruck, dass er so erschrocken aussah, wie er sich fühlte. Suchend sah sie ihn an, dann umarmte sie ihn einmal fest. "Entschuldige, Kai. Denk nicht darüber nach, ich rede betrunkenen Unsinn."

"Nein, du hast Recht. Das ist es ja." Hilflos lehnte Kai sich gegen sie. Mit einem Mal fühlte er sich sicher mit ihrem Körper, fühlte sich sicher in den Armen, denen er seit über einem Jahr so vehement ausgewichen war. Mit einem Lächeln machte er sich frei. "Nein", wiederhole er leise. "Du hast Recht." Spontan, ohne darüber nachzudenken, lehnte Kai sich dichter und küsste sie leicht. Er war überrascht, dass sie erschrak.

Tini erschauderte ein wenig, ein Zittern ging durch ihren Körper. Tonlos murmelte sie endlich "Muss mich abtrocknen, sonst hol ich mir den Tod." Kai öffnete die Duschtür für sie und starrte Lukas direkt ins Gesicht.

Kapitel 49

"Sittenpolizei! Sittenpolizei! Ah! Oh. Mein. Gott! Heteroalarm! In meinem Bade auch noch!" Lachend quetschte Carl sich ins Bad und die Stimmung schlug um in albernes Gekicher. Lukas bespritzte Carl mit Wasser, Carl kreischte fröhlich und goss ihm gleich einen Zahnputzbecher über. Die entstandene Schlacht wurde wenig später von Magdalena - klassisch mit schwarzem Männerschlafanzug bekleidet - beendet, die in der Tür erschien und einen Platz in der Oase verlangte.

Ein wenig genervt verzog Kai sich mit einem Handtuch um die Hüften in das Wohnzimmer rüber, um sich dort zu Ende anzuziehen. Tini folgte ihm hastig - ein wenig rot im Gesicht. Ihr Schlafanzug war nass geworden bei der Aktion und sie kramte fluchend in ihrer Tasche bis Carl ihr galant ein Langarmshirt von sich als Schlafgewand anbot.

Die Müdigkeit zog sehr bald schon auch Lolli und Carl, die sich im Bad albern bekämpft hatten, mit sich und schon bald schlief die Gesellschaft auf Sofas und Isomatten verteilt. Kai wäre eigentlich gern Teil des komatösen Schlafes gewesen, der alle ergriffen hatte, aber er konnte, nachdem er gegen sechs Uhr am Morgen aufgewacht war, nicht wieder einschlafen.

Missgelaunt saß er, nachdem er sich bis gegen sieben in seinem Schlafsack gequält hatte, am Küchentisch und nippte frisch gebrühten Kaffee. Er hatte sich zwar bereits angezogen, aber fror immer noch ein wenig. Ein Gefühl, das in den Gelenken saß. Müdigkeit, die ihn frösteln ließ, auch wenn er wusste, dass er nicht würde schlafen können.

Kai musste ein wenig weggedöst sein, denn er schreckte zusammen, als jemand ihn kräftig umarmte und kurz drückte. "Meinst du es gibt hier auch Tee?" Jan drückte Kai noch einmal leicht, dann ging er hinter ihm hin und her, Schranktüren klappten leise. Schließlich fand er das Gewünschte und honorierte das Vorhandensein eines Schnellkochers mit gemütlichem Brummen. Wenig später hatte er sich zu Kai an den Tisch gesetzt und pustete in seinen Teebecher, während er den Beutel auf und nieder dippte. "Was ist los, Baby?"

Kai ließ sich durch die Haare streicheln und lächelte ein wenig. "Was hast du mit Lukas besprochen?"

"Am Auto gestern?" Jan fischte den Teebeutel mit einem Löffel heraus und brachte ihn zu Carls kleiner Biomülltonne.

"Du kannst mir nicht weismachen, dass es nur so war. Was habt ihr besprochen? Es ging um mich, oder?"

Jan seufzte, dann nickte er leicht. "Ich hab ihn gebeten, dass er sich um dich kümmert, wenn ich das nicht kann... oder darf." Dem Nachsatz folgte ein kleiner schuldbewusster Blick, der Kai unpassend erröten ließ.

"Wie bitte?" Kai holte Luft, dann atmete er wieder aus und starrte seinen Freund an. Seine Gedanken drehten sich und er konnte nicht entscheiden, ob er es nett, romantisch oder psychopathisch finden sollte, was sein Freund ihm da gerade erzählte.

Jan zuckte mit den Achseln, dann meinte er "Das ist das, was Lukas will. Er will sich um dich kümmern. Da ich das aber zurzeit auch will und er sich bitte hinten anstellen soll, hab ich ihm gesagt, dass es mich freuen würde, wenn es sich um ihn handeln könnte, zu dem du läufst, sollte ich..."

"Ich werde nicht zu ihm laufen müssen, Jan! Wir sind doch..." 'Ja, was? Zusammen, aber wie sicher bin ich mir dabei? Er hat Recht.' Jan schien sein folgendes Schweigen als Zustimmung zu werten und ging zum Tagesprogramm über. Er schnappte sich die Müsliauswahl von Carl aus dem Regal und suchte einen akzeptablen Radiosender, während Kai begann, sich Waschzeug aus seinem Rucksack zusammenzusuchen, um sich abzulenken.

"Mist, ich hab den Rasierer vergessen. Das kam nur durch die verdammte Hektik bei der Abfahrt. Mist, verdammter!"

Lenas dunkle Stimme erschreckte ihn ein wenig. Ihre weißblonden Haare standen hier und dort vom Kopf ab und man sah ihr die Partymüdigkeit deutlich an. Noch immer mit ihrem schwarzen Seidenschlafanzug bekleidet wirkte sie dennoch edel, wenn auch auf eine morbide Art mit der rauchigen Stimme und dem zerknitterten Gesichtsausdruck. "Nimm meinen, aber keine Sprüche."

Sie warf ihm ihre Kulturtasche zu, dann nahm sie sich einen Becher und goss sich Kaffee ein. Die Sicherheit in ihren Bewegungen verriet, dass sie nicht zum ersten Mal bei Carl zu Besuch war. Schließlich sank sie seufzend zu Jan an den Tisch nieder, während Kai zum Nachdenken ins Bad flüchtete. Wie so oft, wenn Jan nebenbei etwas Unglaubliches tat, wollte er mit seinen Gedanken allein sein für einen Augenblick. Erst im Bad bemerkte er, dass Lena ihm einen pinkfarbenen Frauenrasierer geliehen hatte und schloss vorsichtshalber ab, um die Sache mit den Sprüchen nicht auch noch den anderen zu überlassen.

Gemütlich mit dem leisen Radiogedudel aus der Küche mitsummend, verteilte er Carls Rasiergel über sein Gesicht. Er hatte sich gerade begonnen, über die Wangen zu schaben, als es sachte an der Badezimmertür klopfte. Bennis Stimme drang zu ihm durch und seufzend schloss Kai ihm auf. "Wäre es in Ordnung, wenn ich eben dusche, oder macht es dir was aus?"

Nach kurzem Zögern nickte Kai. 'Immerhin hab ich schon mit Tini geduscht, vor mir muss man sich offensichtlich ausziehen. Na, wer will nochmal mit Kai duschen, wer hat noch nicht?' Mit einem kleinen Grinsen hob er den pinkfarbenen Rasierer, kam sich gleich ein gutes Stück schwuler vor als gerade eben noch und warf im Spiegel einen kleinen Blick auf Benni, der sich das Hemd über den Kopf zog.

Kai spürte, dass er zusammenzuckte und Bennis schiefes Grinsen zeigte ihm, dass der schwarzhaarige Junge es nicht nur gesehen sondern sehr offensichtlich auch erwartet hatte. Langsam drehte Kai sich um zu ihm, wollte ihn nicht indiskret fragen, aber wollte schon wissen, auch wenn Benni ihn zuvor eigentlich nicht interessiert hatte.

Er hatte Glück. Benni war nicht der Typ, der jemanden hängen ließ. Er strich sich einmal über den flachen Bauch, berührte die rote Narbe, die sich nicht direkt hässlich, aber erschreckend von der weißen Haut abgehoben darüber zog, mit den Fingerspitzen. "Ich hatte noch eine Bauchspeicheldrüsenentzündung, sie mussten es dieses Mal operieren, sonst wäre ich gestorben. Habe sechs Wochen im Krankenhaus und in der Reha gelegen. Ich... hab den Zucker deswegen, wegen der Entzündungen. Sie sagen, dass ich Glück hatte. Ich weiß nur, dass ich solche Schmerzen niemals wieder haben will." Er unterstrich dies passend mit einem Lächeln, seine Finger fuhren über die Brust weiter hoch zu einem kleinen schwarzen Amulett, in das ein silbernes Kreuz eingelassen war.

'Das tut mir Leid, das hat er nicht verdient.' Kai konnte nichts sagen, nur stumm nicken und auf das Kreuz starren.

"Ich bin aber so froh, dass sie mich hinbekommen haben. Da habe ich jetzt noch eine zweite Chance erhalten und die werde ich schlauer..." er zögerte und korrigierte sich langsam. "... bewusster nutzen. Immerhin hat man nur ein Leben, Kai. Das habe ich erst dort im Krankenhaus gemerkt. Eines nur, und es läuft ab. Was du jetzt nicht tust, wirst du nie machen. Ist es nicht dumm, dass einem das erst bewusst wird, wenn man dem Tod knapp entrinnt?"

Benni schien keine Antwort zu erwarten. Er stellte die Dusche an, zog seine schreckliche Schlafanzughose aus Frottee aus und beachtete Kai nicht weiter, der mit leicht geöffnetem Mund auf den Spiegel starrte. 'Wieso hast du mir das jetzt gesagt? Ich... würde ich etwas ändern? Würde ich mehr wagen? Muss ich?! Scheiße!' Hastig wendete er sich weiter ab und begann sich zu rasieren, beachtete den anderen nicht mehr.

Als Benni sich mit einem Handtuch abfrottierte, meinte er jedoch leise "Ich ziehe zu euch in die Stadt, Ende März beginnt mein neues Semester. Hat Lolli das schon erzählt?"

"Nein... aber ich habe in letzter Zeit nicht viel mit ihm geredet."

Benni strahlte Kai im Spiegel an. "Ich bin so froh, dass Lolli und Frank nicht mehr zusammen sind und ich jetzt auch noch in die Stadt ziehe. Meinst du, ich habe Chancen bei ihm?"

Kai schreckte zusammen und starrte erst in den Spiegel, dann drehte er sich um. "Chancen", wiederholte er dämlich. 'Scheiße! Das wusstest du doch schon länger, dass Benni auf Lolli abfahren kann.' "Ich weiß nicht genau, er hat dich ja gern", begann Kai langsam.

Doch das ausgerechnet schien Benni nicht so glücklich zu stimmen. "Ja. Ich weiß. Das ist das Schlimmste daran. Er hat mich gern... ziemlich lange schon so ein wenig gern. Das ist tödlich."

Mit einem Mal fiel Kai ausgerechnet etwas Gutes ein, das er erwidern konnte. "Du, Jan und ich... hatten uns auch lange gern, bevor wir zusammengekommen sind."

Es war das richtige gewesen, das fühlte Kai, konnte er es auch an Bennis Lächeln sehen.

Mit einer schnellen Bewegung umarmte Benni Kai von hinten und sagte nach einem Schmatzer auf seine Wange "Manchmal bist du doch ein kleiner Schatz. Auch wenn du immer versuchst, ein Arsch zu sein."

Kai wurde rot so gut er konnte, wobei er durch Lukas noch Unterstützung fand, der ins Bad wollte und sie Arm in Arm, beide halb nackt vor dem Spiegel vorfand. Lukas blickte von einem zum anderen, dann grummelte er aus unerfindlichen Gründen ziemlich schlecht gelaunt "Tuckenkuscheln? Wollen alle mal an Kai ran, oder was hab ich verpasst? Ich muss mal, geht woanders hin."

Kai ließ Benni los und keifte kriegerisch "Dann musst du aufhalten, ich bin noch nicht zu Ende rasiert!" Gemeinsam mit dem lachenden Benni schob er Lukas aus dem Bad und rasierte sich sehr in Ruhe und auch sehr zufrieden mit sich und seiner Umwelt zu Ende. Der Tag war mit einem Mal hell und schön, auch wenn kalter Regen gegen die Fenster klatschte und Lukas ihn mit gegrummelten Flüchen bedachte.

Als Kai nach dem Umziehen und Haare bändigen wieder in die Küche schlappte, um Lena ihre Sachen wiederzugeben, stolperte er in die nächste bizarre Szene dieses Tages. Jan hockte grummelig auf einem Küchenstuhl, Lena hielt ihm das eine Auge zu und Carl und sein zappeliger Freund Hanno hielten zwei Schachteln mit Müsli hoch.

"Was ist denn hier los?"

Lena ignorierte ihn und sagte resolut "Jetzt mit dem anderen Auge, mal sehen, ob er darauf auch so blind ist."

"Blind?" Kai stellte Lenas Kulturtasche auf den Tisch und setzte sich wieder zu seinem Kaffeebecher. Während er sich nachschenkte, wurde Jan befohlen, die Aufdrucke auf den Schachteln zu lesen. Kai legte den Kopf schief. 'Schokoflakes und das andere ist Erdbeer-Joghurt. Na und?' Umso mehr verwirrte und überraschte es ihn, dass es Jan nicht zu gelingen schien, die Schrift zu entziffern.

Lena befreite Jan jedoch gleich darauf, weil Carl lachend sang "Du bist ein blindes Huhn, gackgack, da musst du eines tun, gackgack..."

Carls Freund verlor offensichtlich das Interesse an der Aktion. Er stellte das Müsli ab und wandte sich dem Badezimmer zu, nachdem er Carl noch einmal fest an sich gedrückt hatte, was diesen prompt zu einer neuen Strophe inspirierte "Da kommt ein verzauberter Optiker her, der rettet dein Aug mit Stil und ... ähm ähm ... Gescherr..."

"Gackgack", beendete Lena grinsend und ging ins Wohnzimmer.

Jan verschränkte mürrisch die Arme. "Das ist nicht komisch, ich kann alles noch gut sehen, ich..."

Kai hob den Kopf und bemerkte spitz "Du bekommst immer Kopfschmerzen im Kino. Hör auf Carl. Ich hab es satt, dass du mich im Film allein sitzen lässt!" Über seine energische Art selber erschrocken blinzelte er und wollte sich erklären.

Aber Carl rief begeistert "Hey, wir gehen zusammen in meinen Laden runter. Du suchst dir ein Gestell aus und ich passe dir die Gläser an. Wenn du daheim bist, holst du dir ein Rezept und faxt es mir schnell zu. Ich bringe dir in zwei Wochen deine Brille mit allem drum und dran zu Lolli mit hin. Bist doch sicherlich privat versichert, gell?"

"Ja, bin ich, aber ist das nicht umständlich?" Jan schien nicht überzeugt, aber Carl pries seine Sonderangebote und den Freundschaftsbonus dermaßen an, dass er schließlich meinte "Na gut, dann aber gleich nach dem Frühstück, dann hab ich es hinter mir."

Kai wollte erst mit hingehen, aber sein Blick fiel auf Lukas' Schwester und ihm kamen Lollis Worte wieder in den Sinn. ''Die ist die Einzige, mit der er ehrlich redet.' Ich muss mit ihr reden, heute noch, das bin ich Pascal schuldig.' Laut verkündete er, dass er noch immer todmüde sei und in der Wohnung bleiben wollte.

Schon bald ergab sich eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Sache unter vier Augen zu besprechen, denn Lolli, Benni und Lukas zogen in die Stadt zum Einkaufen und Tini begleitete Jan und Carl in dessen Geschäft, um sich eine Sonnenbrille zu kaufen, die wohl auch im Angebot war. Carls Freund musste noch für drei Stunden im Laden aushelfen gehen, in dem er arbeitete.

Unsicher pirschte Kai sich an Lena heran, die auf dem Sofa lag und gelangweilt in einer Zeitschrift blätterte. "Darf ich dich mal was fragen?"

"Wenn es wegen des Kindes ist, das geht dich nichts an!" fauchte sie hinter der Zeitung hervor.

Kai zuckte erschrocken zurück, aber setzte sich seufzend auf den Fußboden. Die Sache mit ihrer Schwangerschaft hatte er bereits verdrängt. "Nein, es ist wegen Lukas."

Das schien sie zu interessieren. Eine sauber gezupfte Augenbraue wanderte hoch und sie schlug eine Ecke um, damit sie einen Blick auf ihn werfen konnte. "Schieß los."

"Er... wie sage ich das jetzt? Mein Freund ist in ihn verschossen."

"Na und?" Es klang deprimierend gelangweilt.

"Ich glaube, dass Lukas ihn auch mag, es sich nur nicht eingesteht." Intrigant überlegte Kai, ob er auf den Sex anspielen konnte.

Lena gähnte, bevor sie unbeeindruckt versetzte "Das glauben viele, mit denen er es getrieben hat. Warum denkst du, dass er deinen Freund mag? Wieso sollte Lukas sich nicht trauen, dazu zu stehen?"

Kai hob die Schultern, dann murmelte er "Lukas ist immer so selbstsicher, bei mir bildet er sich ein, dass... naja..." er spürte, dass er rot wurde, was ihm gerade bei Lena nicht sonderlich passte.

Sie hatte beschlossen, es schlimmer zu machen. "Er steht auf dich, weiß ich. Bist aber auch ein hübscher Kerl." Sie hob eine Hand und wedelte in seine Richtung, bevor sie sich eine weißblonde Haarsträhne hinter das Ohr schob. Fasziniert sah Kai, dass sie das Ohr entlang eine Tätowierung trug, eine winzige Echse, die sich an sie zu krallen schien.

"Aber ich nicht auf ihn, das weiß er wiederum auch", versuchte Kai von sich abzulenken.

Magdalena warf die Zeitschrift auf den Couchtisch und drehte sich auf die Seite. "Also, der Freund von dir steht auf Lukas und du willst wissen, ob Lukel auf den steht? Wer ist es denn, kenne ich ihn?"

Kai schüttelte unglücklich den Kopf. "Ein Schulfreund von mir, Lukas und er sind sich auf dem Silvesterfest von Tini begegnet und dann waren wir noch einmal zusammen aus."

"Ach, der! Naja. Also, Lukas erzählt mir vieles, fast alles möchte ich meinen, wie auch ich ihm vertraue. Das geht natürlich nur solange, wie keiner von uns anderen gegenüber indiskret wird. Dann wäre das Vertrauen weg. Verstehst du?"

"Ich will keine Intiminfos, ich will wissen, ob es eine Chance gibt, dass Passi an ihn rankommt!"

Magdalena rollte zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf "Herrgott, das ist dir jetzt aber wichtig, hm?"

"Ja. Er ist mir wichtig. Er hat so viel Scheiß erlebt, jetzt ist er einmal verliebt und dann? Ausgerechnet in Lukas! Und was ist passiert nachdem sie miteinander geschlafen haben?"

"Lukas ist weggerannt?"

"Ja."

"Na und? Was erwartest du? Er ist nun mal ein Mann. Männer haben Angst vor Gefühlen."

Frustriert ließ Kai sich zurücksinken, auf einen Schlafsack, der noch im Weg gelegen hatte. "Jan nicht", murmelte er dann leise. Er hätte nicht gedacht, dass Magdalena so wenig hilfreich war. 'Das war ein überflüssiges, anstrengendes Gespräch. Scheiße, der arme Passi.'

Doch sie drehte sich auf den Bauch und tätschelte sein Knie. "Ich werde mal horchen, ob sich was getan hat, an seiner Panik die Gefühle betreffend. Seit dem einen Kerl, mit dem er sich so viel vorgenommen hatte, bei dem so ziemlich alles dann schieflaufen musste, ist Lukas ein wenig vorsichtiger geworden, wie er seine Gefühle verteilt. Hat superlange daran zu knabbern gehabt."

"Echt? Ich hätte nicht gedacht, dass er..." '... Gefühle hat, wollte ich sagen. Natürlich hat er die. Das weiß ich doch am allerbesten!' Kai fiel ein, wie Lukas weggegangen war, nachdem er ihn so kühl abgewiesen hatte. "Naja, vielleicht."

Ein leises Lachen, dann streichelte Lena ihm einmal über den Kopf, während sie sich erhob. "Ich werde eine kleine Party feiern, in ein paar Wochen irgendwann. Habe einen Raclette gewonnen, das ich gern einweihen wollte. Du gibst mir deine Mailadresse, dann schicke ich dir eine Einladung. Bring deinen kleinen Freund dorthin mit und ich schau ihn mir mal an."

Ihre Finger kraulten schon fast und eigentlich mochte er es nicht, wie ein hübsches Tierchen behandelt zu werden, aber Kai war zu beschäftigt mit Plänen, um sich dem zu entziehen. "Und dann?"

Sie lächelte süß, sah ihm direkt in die Augen. Augen wie warmes Moos, nicht so hitzig wie bei ihrem Bruder. "Dann sage ich dir, ob ihr Chancen habt mit euren Kuppelplänen." Es klang freundlich und wie eine Drohung zugleich, aber Kai konnte nicht mehr nachfragen, was es genau war, weil Carl und Jan zurückkamen. Zudem tätschelte Magdalena ihm ziemlich dreist über den Hintern. "Hm, Kai. Du fasst dich herrlich an. Ich kann Tini verstehen. Du bist ja wirklich ein Traum von einer Schwuchtel."

Ärgerlich wendete Kai sich ab. "Ich steh nicht auf Tussis. Schon gar nicht auf welche, die mich anfummeln."

"Dein Problem. Ich bin eh nicht an mehr als am Schauen interessiert."

Im Hintergrund begrüßte Carl seinen Freund und sie tauschten eine irre Anzahl von Babynamen aus, die Kai schon fast Übelkeit bescherten. 'Die haben ja einen Vogel!' Er registrierte, dass Carls wirklich sportlicher, superschlanker Freund sehr offensichtlich auf seine Moppeligkeit zu stehen schien. Das glaubte er aber wirklich auch erst, seit er es gesehen hatte. Auch Jan machte ein betont leeres Gesicht.

Lena nahm ihre Zeitschrift wieder auf und fuhr mit ihrem Vortrag fort, während sie Modefotografien beäugte. "Du kennst die Frauen nicht, Kai, das merkt man."

"Frauen sind mir egal." Kai wollte aufstehen, aber sie sah ihn noch einmal über die Zeitung hinweg an, um ihn an ihrem Wissen teilhaben zu lassen.

"Frauen shoppen gern. Beim Shopping geht es auch nicht um den Einkauf, es geht um das Ansehen, das Anfassen und das Wissen, dass man etwas hätte haben können, wenn man aufgelegt gewesen wäre. Das ist ein Stück Macht. Nun..." Sie schlug die Zeitung zu und grinste ihn unverschämt an. "Wenn die Ware gefällt, schaut man gern noch ein wenig länger. Wenn der Preis zu hoch ist, dann erst recht. Was man sich nicht leisten kann, das will man sich dafür länger ansehen." Eine Hand legte sich zielsicher auf seinen Kopf und zupfte ihn am Ohr. "Wie dich. Niedlich und zu teuer. Übrigens, wenn du Ohrringe stechen lassen willst, dann sag mir Bescheid, ja?"

"Ich hasse Frauen!" Energisch rappelte Kai sich auf, um zu den anderen in den Flur zu gehen. Magdalena schlug ihm lachend mit der zusammengerollten Zeitung auf den Hintern, dann schaffte sie es sogar noch vor ihm zu Tini und Jan zu treten, die sich offensichtlich um Brillenmodelle stritten und darum, ob Jan ein Brillengesicht hatte oder nicht.

Da sie bei der Meierschen waren, folgte auf den Vormittag ein ordentliches Mittagessen in drei Gängen, das Carl in gemeinsamer Arbeit seinem Freund gekocht hatte. Dieser war in Ruhe betrachtet noch niedlicher als auf dem Foto, das Kai von ihm gesehen hatte. Ein eckiges, freches Gesicht machte ihn jünger als er war. Die tiefsitzende Cargojeans bot dank einem zu knappen orangefarbenen Shirt einen ausgezeichneten Ausblick auf seinen trainierten Bauch samt Tätowierung und gepierctem Bauchnabel.

Aber so merkwürdig es Kai erschien, war Hanno doch sehr eindeutig in Carl verschossen, denn im Anschluss an ein lustiges und von lautstarken Diskussionen und Gesängen begleitetes Essen, als sie gerade bei Vanilleeis mit heißen Himbeeren und Kaffee angelangt waren, krabbelte Hanno ein wenig wie eine verschlafene Katze auf Carls Schoß und schmuste sich an ihn heran, schnurrte fast schon unter Carls Fingern, die ihn nebenbei über den Rücken streichelten.

Kai musste lächeln und fühlte sich mit einem Mal wohl. Er hatte Jan, auch wenn dieser sich gerade hitzig mit Tini stritt, er hatte Lena auf Pascal aufmerksam gemacht und Carl besucht, womit er ein schon lange bestehendes Versprechen eingelöst hatte. Eigentlich, wenn er einen Schlussstrich zog, fehlte nur noch eines, oder einer vielmehr.

Kais Blick fiel genau in dem Augenblick auf Benni, als Lollis Handy piepste. Mit einem Freudenschrei wertete Lolli sogleich die Nachricht aus, die ihm irgendein Typ geschickt hatte mit der Frage nach einer Party. "Mensch, wie soll ich denn das alles schaffen, ihr lieben Leute! Schon wieder eine Party in Köln? Ach nee."

Übertrieben besorgt stütze Lolli sein Kinn in die Hand und alle lachten gerade über ihn, als Benni nach Blick auf die Nachricht eine Spur zu ernst bestimmte "An dem Wochenende bist du ohnehin bereits mit mir verabredet, Peter."

Allein der Umstand, dass er Lolli beim richtigen Namen nannte, verlieh der Aussage ein gewisses Gewicht. Lolli blinzelte dämlich und fragte nach "Bin ich?"

Nachsichtig nickte Benni. "Ja. Ich will dich meinen Eltern vorstellen."

Die darauffolgende Stille wurde zwar von dem Ende der CD noch betont, aber Kai fühlte, wie er den Atem anhielt. Alle starrten zwischen den Beiden hin und her und Kai dachte an die Aussage von Benni, dass er sein Leben nun bewusster leben wollte. Doch gerade als Carl Luft holte, um etwas fröhliches zum Ablenken verlauten zu lassen, bemerkte Hanno von seinem Schoß aus schläfrig "Das's guuut, Beeenni. Schwuler als Lolli geht nicht. Wenn ich es meinen Eltern sagen wollte, würde ich statt dem Bärchen auch ihn mitnehmen."

Carl, das Bärchen, wurde rot und nicht nur darüber mussten alle lachen. Nur Kai und Benni stimmten nicht so richtig mit ein, sondern sahen sich an. Mit einem kleinen Lächeln zwinkerte Benni Kai schließlich zu, dann drückte er Lolli einen dicken Kuss auf die Wange, als dieser lauthals verkündete, dass er natürlich immer die beste Wahl wäre, wenn es um einen Schwulenrepräsentanten ginge.

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