Stories
Stories, Gedichte und mehr
Trost 2
Kapitel 124-127
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
Inhaltsverzeichnis
124
Kai hatte es im ersten Schock noch nicht so recht gerafft, aber jetzt kamen Fragen auf ihn zu. Fragen von der Sorte, die man in Alpträumen vor Augen hatte und nicht beantworten konnte. Holgi-Baby hatte total Recht gehabt. Tini war megabescheuert. Es brauchte jemanden mit ausgeglichenem Hormonniveau, der sie aufhielt. Dringend. Und Tini-Mausi hatte auch Recht gehabt. Abstand zwischen ihr und Kai, das kam Kai mit einem Mal wie eine Überlebensnotwendigkeit vor.
Wenigstens verstand er nun, da er in der nächsten Nacht noch immer schockiert im Bett lag und Alpträume von Babysachen genoss, wieso sie so schrecklich unausgeglichen und zugleich aufdringlich gewesen war. Diese ganzen Besuche, diese merkwürdigen Blicke in sein Gesicht, diese komischen Fragen. Kai gähnte, blickte auf seinen Wecker. Ein Uhr in der Nacht. Es war dunkel im Zimmer, aber durch den Spalt vom offenen Fenster drang ausreichend graues Licht, dass er Jan erkennen konnte.
Kai legte den Kopf auf den Unterarm und betrachtete sein entspanntes Gesicht. Mit Blicken folgte er dem energischen Kinn zu den Lippen hoch. Schatten betonten den etwas sturen Ausdruck um den Mund noch weiter. Kai folgte den Wangenknochen bis zum Ohr, um das sich schon wieder, viel zu lang geworden, die dunklen wirren Haare legten.
Er schloss die Augen und wollte Jan vor sich sehen, wollte von seinem Freund träumen, nicht von den wilden Dingen, die ihm zum Thema Baby einfielen. Alles war diffus, aber irgendwie erschreckend. Erwartungen, gesellschaftliche Vorstellungen und Verantwortung, die von einem auf den anderen Moment wie ein Gebirge auf seiner Brust lag und das Atmen schwer machte. Warum, warum nur, konnte nicht Jan dieses Los mit so einem Ding treffen? Warum, verdammt noch einmal, musste das Schicksal ihn so sehr reinreißen wollen?
Kai öffnete gereizt die Augen, als ein Alptraumbild von ihm mit einem rosa Kinderwagen seine Abteilung für Stil und Stilbruch weckte. Seine Vernunft war noch immer in Ohnmacht gefallen und schien zum Glück nicht ansprechbar. Vernünftig konnte man über so eine Scheiße ja nun auch wirklich nicht mehr nachdenken.
Kai bewunderte Jans Geduld mit den ganzen Verwicklungen, die er doch dauernd mit sich brachte. Seine verrückten Freunde mit ihren Attacken auf Ruhe, Frieden, Intimsphäre und Nervenkostüm, seine, einen Hauch zu enge, Freundschaft mit Lukas, und dessen Art, das immer mal wieder auszunutzen, seine eigene unterkühlte, zickige und komplizierte Art. Jan war so geduldig, verstand ihn, gleich wie kompliziert es wurde. Und Jan selber war gelassen und vorbereitet, egal in welcher Beziehung, war er vollkommen ausgeglichen. Simpel und zugleich aufregend komplex. Schlicht zu begreifen und dann wieder geheimnisvoll. Wild und zugleich zärtlich und lieb.
Wie konnte ein Mensch nur so wundervoll sein? Mit einem schrägen Lächeln gab Kai es zu, Jan konnte außerdem auf recht flache und gern auch mal prollige Art männlich sein und im nächsten Moment war er wieder fürsorglich und bedacht. Er konnte innerhalb von Minuten vom Fußballproll zum intelligenten Partner mutieren. Kai bewunderte ihn.
Perfekt, Jan war schon immer so perfekt für ihn gewesen. Wie konnten die ganzen Tussen denken, dass es da was zu ändern gab? Auf der letzten Feier bei Thilo waren Bianca, Nadine und Franka sich doch einig gewesen. Kai hatte die Unterhaltung, beim Cocktail mischen, mitbekommen. Jans Fußballgeilheit, seine lockeren Sprüche, seine Art, mit Autos rum zu heizen, seine Art, alles diskutieren zu wollen. Seine schluderige Art in der Uni und dazu dann sein merkwürdig überausgeprägter Ordnungssinn in Haushaltsfragen. Seine Klamotten waren auch immer das Letzte. Was hatte er sich dabei gedacht, das unmögliche T-Shirt schon wieder anzuziehen? Und die Turnschuhe passten weder dazu, noch sollten die überhaupt noch getragen werden!
Kai grübelte, warum ihn das nicht störte, warum es ihn noch nie gestört hatte. 'Weil es nur seine Schale ist, weil es nur seine Schutzschicht ist. Ich bin aber tiefer mit ihm zusammen, darunter, wo er so ist, wie er wirklich ist. Wie ihn sonst keiner kennt.' Etwas störend wies ihn eine Statistikabteilung darauf hin, dass auch Bianca Jan dort kennen gelernt hatte. Durch das Plattdeutsch war es passiert. Jan war nur er selber, ohne Fußballschale, ohne Prollhülle und ohne die Mauer aus Machosprüchen, wenn er mit Kai zusammen war oder wenn er Plattdeutsch sprach. Das kam vermutlich daher, dass er sein Innerstes bei seinem Vater und seinen Großeltern nie schützen musste.
Lasse akzeptierte Jan wie er war. Gleich was passierte, solange Jan ehrlich war, akzeptierte Lasse das. Charlotte war ein anderes Thema. Kai war sich sicher, dass er Jans Mutter noch nie ohne ihre eigene Schutzhülle kennen gelernt hatte. Sie machte ihm deswegen etwas Angst.
Kai hatte sich auf Jans Gesicht festgestarrt und schreckte zusammen, als Jan eine Hand hob und ihm eine Haarsträhne aus der Stirn strich. "Na?" Nur ein raues Flüstern.
Kai lächelte leicht. "Selber na."
"Ich kann nicht schlafen, wenn du mich so anstarrst, Kai."
"Tut mir leid. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich diese Horrorbilder vor mir."
"Horrorbilder?" Jan stützte sich auf und schob sein Kissen dichter an Kais heran.
Kai rangelte sich zu Jan unter die Decke und schob lächelnd seine Zehen gegen Jans Fuß, der dagegen hielt und ihn mit einem Arm an sich raffte. Kai seufzte gepeinigt. "Babyalpträume."
Ein leises Lachen. "Mach dir keine Sorgen, Kai. Alles geht immer nur so schnell, wie das Leben es zu lässt. Genieß doch erst einmal, dass Tini reinen Tisch gemacht hat."
Kai seufzte. "Das kann ich nicht genießen. Meinst du nicht, dass die noch bescheuerter wird?"
"Vielleicht." Jans Finger nahmen den altbekannten Weg durch seine Haare auf und Kai döste davon beruhigt weg. Nach einem Augenblick vernahm er: "Ich lass dich und Tini jedenfalls nicht mehr allein als notwendig." "Was?!" Kai stützte sich auf. "Tini hat so eine Art, dich zu sehr haben zu wollen... wir werden noch mal eine Aussprache haben, wir zwei. Aber gestern hab ich mich gefreut, dass alles so gut gelaufen ist."
"Eh? Wo ist was gut gelaufen, bitte?"
"Hätte auch sein können, dass Holger sich bedroht fühlt, von Tini mit Bauch. Zumal der nicht sein Werk ist. Hätte sein können, dass du es weg haben wolltest, tot, und ihr ein schlechtes Gewissen machst. Aber Holger steht zu ihr und er mag Kinder, er kann sich locker machen. Er wird das hinbekommen." Jan blickte Kai mit einem derart warmen Ausdruck in den Augen an, dass Kai mulmig wurde. "Und du..., ich fand deine Reaktion total schön. Du machst dir Gedanken, machst dir Sorgen, aber mit keinem Gedanken, keinem Wort, hast du es weg gewünscht. Ich bewundere dich dafür, Kai."
"Das ist nicht bewundernswert, Jan. Das ist Schock."
Jan lachte und küsste ihn auf die Wange. "Mach dir keen Kopp, Kai. Das wird gut. Ihr vertraut einander. Ihr seid euch einig und deswegen wird es gut."
"Einig? Worüber?"
Jan lächelte und hatte natürlich wieder einmal, typisch für ihn, die wirklich wichtigen Dinge begriffen. Er rückte noch eine Idee dichter. "Die Verantwortung und dass sie geteilt wird. Und ich finde es total gut, dass du da gar nicht erst drüber nachdenken musst, dass du das Schicksal so annimmst, wie es dich überfahren hat."
Kai verschränkte die Arme und wandte sich ab. Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe, dann musste er Jan mit einem kleinen Nicken Recht geben und konnte sich mit einem Mal entspannen. "Du hast vermutlich wirklich Recht. Irgendwie bin ich mir sicher, dass Tini weiß, was sie zu tun hat. Ich weiß eben nur nicht, ob ich..., was ich..., tun muss", endete er lahm und gähnte.
Jan lachte leise und küsste ihn auf den Hals. "Du musst schlafen, Baby. Sonst bist du morgen vollkommen alle, wenn Tini hier zum Besprechen anrollt. Augen zu und Klappe halten jetzt. Ich hab morgen mit meiner C-Jugend ein Freundschaftsspiel. Meine Jungs sind noch sehr weit entfernt von fit."
Zu Kais großem Glück fuhr Tini in nur drei Tagen mit den Eltern zum Flughafen und von dort würde sie für zwei schöne Monate nach Kanada ausrücken. Weit, weit weg. Aber vorher wurde eine Krisensitzung zwischen ihr und Kai fällig. Sie fand bei Kai und Jan in der Wohnung statt, weil Renate nervte und Holger vorschlug, dass er Tini von dort dann am Nachmittag wieder abholen könne, wenn er von seinem Dienst in der Kaserne kam.
Jan ließ Tini in die Wohnung und die beiden redeten noch im Flur für eine Weile, aber als sie zu Kai an den Esstisch kam, wo dieser mit seinen Lehrbüchern hockte, verabschiedete Jan sich mit seiner großen Sporttasche zum Training und dem Spiel mit der C-Jugend. Er überließ Kai tatsächlich seinem Schicksal mit der wildgewordenen Hormonfregatte.
Tini trug an diesem Tag ein enges T-Shirt und rote Shorts und mit einem Mal konnte man doch den Bauch sehen, als hätte sie es seit dem Abend zuvor erlaubt. Ungemütlich ließ Kai sich ihr gegenüber nieder, um den Esstisch zwischen sie zu bringen, während sie ihren Kalender und einige Listen ausbreitete und dann die Küche enterte, um ihn zunächst noch eine ganze Weile zwischen Herd und Spüle hantierend von den ganzen Dingen voll zu quatschen, die sie kaufen würde, sobald sie zurück war.
Kai sah ihr tatenlos zu und blockte bei etwa jeder zweiten Sache ab mit Worten wie "Das ist noch zu früh.", "Das macht keinen Sinn, wer braucht denn so einen Scheiß?!" oder "Davon hab ich noch nie gehört, was für ein Ding?" Endlich war sie mit Essen vorbereiten fertig und stellte Teller und eine Schale auf den Tisch.
Und so saßen sie dann einander gegenüber am Esstisch. Tini mit einer gut vorbereiteten Liste mit Fragen und Dingen, die sie bedacht haben wollte. Kai dagegen mit Panik und schlechter Laune.
Die erste Frage war gleich ein Hammer: Wer sollte das jetzt wie erfahren? Tini informierte den ziemlich geschockten und verwunderten Kai darüber, dass es außer Lena, Holger, ihrem Bruder und Jan nur noch Bardo wusste. Kai starrte Tini über den Reissalat hinweg an, den sie nebenbei hergestellt hatte. "Wie bitte? Wieso denn er?"
"Das war eine Art Unfall." Wuselig zupfte sie an ihren Haaren. "Meine Frauenärztin hat ihre Praxis gleich um die Ecke von der Fröhlich-Apotheke, im Ärztehaus vor dem Theaterplatz. Ich bin da vor drei Wochen rausgelaufen gekommen und hatte meinen Mutterpass noch in der Hand, als plötzlich das Bambi vor mir steht. Der hat sofort gerafft, was das ist und dann musste ich ihn einweihen. War übrigens total süß, er hat sich sofort und ohne nachzufragen gefreut ohne Ende. Aber Kinder, viele Kinder, gehören für ihn zum Leben irgendwie dazu, logisch."
"Er weiß das schon seit drei Wochen?! Weiß der auch...?"
"Ja. Hab ich ihm neulich mal verraten, als wir uns hier getroffen haben. War so ein süßer Moment mit ihm. Er meinte, dass er mich verstehen kann, wenn ich mir ein Kind von dir wünsche." Schuldbewusst blinzelte Tini ihn an und stocherte in ihrem Salat herum.
"Scheiße!" Kai hatte auch keinen Appetit mehr. Das verdammte Bambi würde einen Einlauf bekommen, soviel war schon mal klar. "Okay. Du bist ja erst einmal weg." Er machte sich nicht die Mühe, seine Erleichterung darüber zu verbergen. Zudem hatte er die Hoffnung, dass er noch eine Schonfrist bekommen würde. War leider nicht so.
Tini klappte ihren Kalender auf und tippte auf die nächste Woche. "Vorher ist noch ein Untersuchungstermin wegen der Flugreise. Die Ärztin stellt mir vorsichtshalber ein genaues Attest aus, auch wenn wir mit einer Airline fliegen, die das nicht so wichtig findet. Aber man kann nie wissen."
Unglücklich hatte Kai Holger samt einem gefährlichen Blick aus schmalen Augen in Erinnerung und fragte nervös: "Muss ich etwa mit?"
Tini blickte ihn nachdenklich an, dann nickte sie. "Wäre total lieb von dir. Holger will nicht so tun als ob. Er holt mich vielleicht ab oder so, aber er will nicht mit rein, und Lena fährt mit Henrike zusammen auf dieses Musikfestival. Ich mag solche Sachen nicht so gern allein machen. Außerdem hilft es vielleicht, die Sache realer zu machen für dich." Aus dem Augenwinkel sah sie an den Kühlschrank rüber, wo sein Dienstplan hing. "Montag hast du Frühdienst im LPP, nicht wahr? Der Termin ist um halb sechs am Abend, das passt total gut. Ich hole dich vom LPP ab, und wir gehen zusammen rüber, ja?"
"Und dann? Holger hat mir ja irgendwie befohlen, überall dabei zu sein und bloß nichts Lena zu überlassen. Ich bin, ehrlich gesagt, total unbegeistert. Ich hab eh kaum Freizeit und jetzt kommt der Mist noch." Mies gelaunt stocherte er noch ein wenig zwischen Reis und Zucchini herum, dann schob er den Teller weg.
Tini war gnadenlos. Sie durchblätterte ihren Kalender und las voller Energie vor, was Kai bevorstand. "Also, Montag Ultraschalltermin, ich hol dich ab. Dann im July wieder ein regulärer Ultraschall und dazu noch so ein 3D-Ultraschall in der Spezialpraxis, wenn ich wieder da bin. Das ist bestimmt toll. Meine Ärztin meinte, dass man dann schon das Gesicht richtig sehen kann und so. Den Termin leg ich am besten auch auf Montagabend, wenn dir das recht ist."
Es war Kai nicht recht, aber was sollte er schon groß dazu sagen. Sie blätterte weiter. "Hm. Zur Hebamme musst du nicht mit hin, das ist schon in Ordnung."
"Wäre ja auch noch schöner." Verzweifelt starrte er Tini an. Die war nicht nur gnadenlos, sie war in dieser Sache auch gnadenlos gut organisiert und sortiert. Er bewunderte sie, wider Willen, als sie weiter aufzuzählen begann.
"Dann hab ich noch zwei Termine bei der Uni und bei der Familienkasse wegen des Urlaubssemesters nach der Prüfung und wegen Elterngeld. Ich bekomm ziemlich viel, weil ich trotz des Studiums durch die Spinningkurse gut verdient hab. Ich hab schon einen meiner Leute aus dem Sportkurs, der Jura studiert, befragt, und der meinte, dass es wichtig wäre, dass wir eine Sorgerechtserklärung abgeben. Das ist für dich wichtig, sonst hast du später weniger Rechte. Ich finde es auch wichtig." Sie hob den Blick, ihre Augen nahmen einen sturen Glanz an. "Das ist alles schon chaotisch genug. Ich will rechtlich Ordnung haben in der Sache, vor allem wegen meiner Eltern."
Schwindelig starrte Kai auf ihre Liste. "Sorgerechtserklärung?"
Sie lächelte. "Hm. Sorgerecht, für dich. Kostet nix, muss aber vor der Geburt gemacht werden. Du erkennst die Vaterschaft vor dem Staat an." Merkwürdig direkt starrte sie ihm in die Augen. "Für den Fall, dass du das willst, natürlich nur."
Kai erwiderte den Blick schweigend. Wollte er das? Von missglücktem Fick zu Vaterschaft erschien es ihm ein irgendwie derart großer Schritt, das konnte nicht passiert sein, nicht wirklich. Es war absurd. Das Wort Vaterschaft klang bitter, nach juristischen Dingen, nach Behörden. Nach Kosten, Streit und irgendwie klang es auch nach einem Schuldgeständnis.
Sein Gesichtsausdruck musste nicht sonderlich motivierend gewesen sein, Tini zog die Brauen zusammen und seufzte. Rasch tätschelte sie seine Finger einmal, zog sich aber wieder zu ihrer Liste zurück und machte energisch einen Haken. "Der eine Termin in der Uni ist Montag am Vormittag, da brauch ich dich eigentlich nicht, das kann ich allein machen. Die Papiere bringe ich bei Gelegenheit im Juli mal rum, dafür ist noch Zeit. Das Elterngeld beantragen wir auch in Ruhe, wenn ich wieder da bin. Da steig‘ ich noch nicht richtig durch. Ab Ende Juli bin ich in einem Vorbereitungskurs, zehn Stunden lang über alles labern, was man über die Geburt eigentlich nicht wissen will. Da gehe ich allein hin, aber es gibt einen Partnertermin."
Und Kai erkannte, dass er ein Limit hatte. "Oh nein! Oh mein Gott, nein!"
Tini sah kurz auf, dann lachte sie. "Krieg dich ein! Zu diesem Partnertermin geht Lena mit hin. Sie wird mich auch in die Klinik begleiten, wenn es soweit ist. Da wollen wir keinen Mann dabei haben, ist schon beschlossene Sache. Es sei denn, du willst auch..."
"Auf keinen Fall!"
Tini seufzte. "Ich wollte dich nur bitten, dass du mitgehst, falls sie wegen irgendwas nicht kann, oder doch nicht mit hin will. Sie hat manchmal so Phasen, in denen sie traurig ist, weil sie selber das nicht hinbekommen hat, mit den Schwangerschaften. Aber wenn es soweit ist, das hat sie mir geschworen, dann wird Frauenpower herrschen, dann ist sie dabei."
Ermattet wiederholte Kai "Wenn es soweit ist..., wann ist das denn?" Er klang in seinen eigenen Ohren selber auch wie 'Wann ist mein Leben zu Ende?' Tini blätterte in ihrem Kalender und hielt ihm die Seite hin. Am vierzehnten November hatte sie mit Druckbuchstaben 'Stichtag' reingemalt. Erleichtert atmete Kai einmal durch. "Das ist noch hin." Auf den scheiß Kurs ging er absichtlich nicht mehr ein.
Tini seufzte ebenfalls und sagte nach einer kleinen Atempause schließlich. "Ich kann nicht glauben, dass du es endlich weißt. Kannst du dir vorstellen, wie die letzten Wochen für mich gewesen sind?"
Kai sah kurz zu ihr rüber und nickte endlich. "Ja. Ich kann mir das vorstellen. Warum hast du nicht gleich was gesagt? Das war so beknackt."
"Weißt du doch. Ich hatte Angst vor dir und deiner Reaktion. Angst wie verrückt auch vor Holger und seiner Reaktion. Und dann vor diesem Berg an Gedanken, der mit einem Mal auf mich zugekommen ist. Verantwortung in großen Druckbuchstaben. Ich hab Schlafstörungen deswegen!"
Kai nickte und grinste schief. Wenigstens ging es ihr wie ihm.
Sie seufzte und klappte den Kalender zu. "Das ist noch nicht alles. Es ist mit einem Mal so ernst. Kein Spiel mehr, kein Traumgebilde, sondern echt. Mir ist immer noch fast jeden Morgen schlecht davon!"
"Die Übelkeit ist normal." Kai hatte den Morgen vor ihrem Besuch tatsächlich mit dem Physiologiebuch zum Thema Schwangerschaft zugebracht. Er hatte Jan durch und durch zu diesem Thema informiert und sich mit Fleiß und Kopfweh das notwendige medizinische Fachwissen angeeignet. Er gab es zu, er wollte sich vorbereitet wissen, fühlte sich wie vor einer großen Prüfung. Zugleich gab ihm das ganze Wissen den notwendigen Abstand. Er konnte nun davon wie von einer interessanten Krankheit denken, die er für die Examen hatte vorbereiten und auswendig lernen müssen. Übelkeit hing ganz offensichtlich eng mit Schwangerschaften zusammen. "Mir ist selber auch übel seit gestern."
Tini sah das pragmatischer. "Hättest du mal nicht so viel gesoffen mit Holger." Sie lachte einmal fröhlich auf. Dann wurde sie ernst und lehnte sich zu ihm rüber. "Ich bin so erleichtert, dass Jan nicht komplett ausgerastet ist. Ich weiß noch wie heute, wie er zu mir kam, als du ihm das mit dem Sex gepetzt hast."
"Was hat er dir gesagt?" Kai nippte hektisch von seinem Wasser, sein Magen erwog derweilen, sich eine Stressgastritis zuzulegen.
"Er hat mir gesagt, dass ich aufhören soll, dich an mich zu raffen, dass er jetzt mit dir zusammen ist, und ich das respektieren soll. Für den Fall, dass ich das nicht tue, die Grenze zwischen Freundschaft und mehr respektieren, hat er angekündigt, dass er in einen Fußballverein und eine Uni ungefähr achthundert Kilometer weit weg wechselt und dich dorthin mitnehmen wird, damit das ein Ende hat." Deprimiert starrte sie ihn an. "Und du wärst mit ihm weggezogen, ohne einen weiteren Gedanken, das weiß ich auch so."
Kai nickte. Das war selbstverständlich. Und es war erstaunlich, dass Jan damals schon so heftig gewesen war. Retrospektiv, mit einer schwangeren Tini vor Augen, war es natürlich angemessen gewesen. "Da kannste ja von Glück sagen, dass wir nicht gerade am Umziehen nach watweißichwohin sind, Tini. Wieso haste Holgi-Baby nicht das Kind als seines verkauft? Er ist doch total dafür und hätte sich gefreut wie ein Depp." 'Im Gegensatz zu mir.' Denn abgesehen von seinem ekstatisch fröhlichen Erziehungsgen freute Kai sich gar nicht.
"Eben drum! Ich hätte das nicht ertragen können. Holger hätte sich gefreut, hätte ein Fass aufgemacht, hätte es all seinen Freunden und seiner total süßen Mutter gesagt und er wäre genauso gewesen, wie er immer ist. So offen und offensichtlich dabei, so aufrichtig. Ich hätte mich damit endlos gequält und das konnte ich nicht ertragen. Den Gedanken, ihn auf eine solche Art zu betrügen, hätte ich nicht ertragen. Mir war so schon total ungut dabei, mit ihm zusammen zu sein. Ich hätte ihm viel, viel mehr vertrauen sollen, gleich darüber reden! Konnte ich zum Beispiel ahnen, dass er schon eine Tochter hat? Scheiße, er ist immer so total offen und ehrlich, und dann hat der Mann irgendwie tonnenweise Geheimnisse. Wusstest du, dass er schon mal Sex mit einem Mann hatte?"
"Holger?! Wie bitte?"
Sie lachte. "Hat er mir erzählt, als ich ihn vollkommen verständnislos gefragt hab, wieso er so cool mit euch umgeht."
"Wie kam das denn? Wenn einer 'ne Hete ist, dann doch Holgi-Baby, das ist sicher."
"War auf seinem ersten Schiff, da war er siebzehn und hatte Langeweile und Hormone. Einer der Arbeiter dort war schwul, zu dem haben die andern ihn in die Kabine gesteckt. Vermutlich um ihn zu ärgern, weil er der Neue war, der Jüngste an Bord. Aber das hat ihn nicht geärgert. Typisch Holger hatte er gleich den Vorteil gesehen. So musste er nur mit einem Mann die Kabine teilen, alle anderen waren wohl zu viert. Und der andere war total nett zu ihm, hat ihm viel beigebracht auf mütterliche Art irgendwie. Natürlich hat er ihn erst einmal total gründlich gegen allen möglichen Unsinn abgehärtet. Nicht persönlich. Holger meinte mal, dass der Typ seine Privatsphäre absolut nirgends berührt hätte, er hat Holger nie auch nur falsch angesehen.
Aber er hat auf Landgang dauernd mit Männern rumgeknutscht, hatte seine Seite der Kajüte mit Bildern von nackten Männern gepflastert und so weiter. Seitdem ist Holger wohl cool, was das angeht. Und der Typ hat ihn in einen Club oder Puff oder so mitgenommen wo es Männer und Mädels und wohl auch alles dazwischen gab. Das war in Indonesien irgendwo. Da waren die Mädels wohl nicht so dolle und da hat Holger es kurzerhand mit einem hübschen Kerl getan."
Kai lachte auf. Das war in der Tat irgendwie typisch Holger. Pragmatisch und zugleich echt cool, gewagt und nebenbei. Erstaunlich, dass er Tini von dieser Jugendsünde erzählt hatte.
Sie grinste. "War wohl in dem Moment eine gute Idee gewesen, aber Holger war sich hinterher noch mehr sicher, dass er eher auf Frauen abfahren kann. Hat was mit Chemie zu tun, meinte er. In der Zeit hatte Holger zwar immer nur die eine Freundin daheim, eine Sandkastenliebe oder so, aber unterwegs hatte er reichlich Sex nebenher, nachdem mit ihr Schluss war. Hättest du gedacht, dass er schon die totale Erfahrung hat?"
Das Thema war Kai nicht geheuer. Er stand mühsam auf und räumte den Tisch ab. "Nein."
"Tja. So eine Seemann-Geschichte. Immer ein paar Wochen unterwegs, dann endlich ein Hafen und dann sofort ab in die Discos und Kneipen und Mädels flachlegen. Das war wohl das normale Freizeitprogramm. Er hat mir das alles erzählt, als er mir damit sagen wollte, dass es ihm sehr recht ist, wenn wir mit dem Sex noch warten, bis er mir einen aktuellen HIV-Test zeigen kann, weil ich doch so Latexallergie hab. Wir tun das deswegen ohne. Er hat mir auch gesagt, dass das Vergangenheit ist, schon lange. Da hat er nicht gelogen, er vögelt nicht rum. Da bin ich sicher. Trotz dem Ding und dir und so hält er voll zu mir. Seit wir meine blöde Hysterie wegbekommen haben, wir zwei, bin ich nur noch mit ihm ins Bett." Sie gähnte. "Reicht mir auch echt hin. Nach einem Wochenende mit Holger bin ich immer..."
"Danke, kein Interesse, Tini! Wie kommt der von der Seefahrt zum Medizinstudium?" Kai richtete den Rest Essen auf einen Teller für Jan an und schrieb einen kleinen Zettel 'kalt essen!' dazu, damit sein Freund den Salat nicht in die Mikrowelle warf.
Tini räumte ihre Gläser in die Spülmaschine. "Er ist gut vier Jahre zur See gefahren, hat die Ausbildung auf See gemacht, aber es war irgendwie nichts für ihn. Er hat das gemacht, weil sein Vater das so toll fand und es vielleicht auch verklärt dargestellt hatte. Im Herzen ist er, laut seiner Mutter, Landratte. Er hat auch das Kapitänspatent dann nicht machen wollen. Stattdessen hat er das Abitur nachgemacht, nachdem er genug Geld gespart hatte dafür. Er wollte schon immer Arzt werden, aber seine Mutter ist Witwe eines ziemlich früh verstorbenen Seemannes und hat kaum Geld über. Deswegen hat er erst einmal die Jahre beim Bund gearbeitet, als Sanitätsoffizier und jetzt studiert er endlich. Holger ist..., mir wird schlecht, wenn ich darüber nachdenke, wie zielstrebig und sicher er ist."
Kai runzelte die Stirn. "Mir auch. Warum kann er nicht der Verursacher von dem Ding sein? Scheiße, er wäre echt perfekt dafür. Nur damit ich Bescheid weiß, wem willst du es noch sagen, bevor du fährst? Renate weiß es, oder?"
Tini kicherte ein wenig rum und stand auf. "Nö. Die denkt, dass es von Holger ist und will jetzt dauernd, dass wir heiraten. Jetzt ist sie mit einem Mal voll für ihn. Ich lasse sie in dem Glauben. Erst mal."
"Mir recht." Vor allen Dingen, weil er mit Renate sonst echt Ärger auf der Hochzeit von Jörg haben würde. "Wer noch? Deine Eltern, wenn ihr weit, weit weg seid, klar?"
Sie seufzte. "Die werden sowas von ausrasten. Seit ich denken kann, labert meine Mutter mich voll von wegen Chancen nicht verbauen und so fort. Die haben sich mein Leben komplett anders vorgestellt. Karriere in der Uni, später die Praxis übernehmen. Nachdem Torben ohne Studium abgehauen ist, ist das sogar noch schlimmer geworden. Meine guten Schulnoten waren voll Schuld daran. Zuhause heißt es immer, dass ich mit meiner Intelligenz eine Verantwortung habe, was daraus zu machen. Kinder gehören für meine Eltern eher in das Resort 'nichts draus machen'." Missmutig kickte sie mit den Füßen gegen das Tischbein. "Außerdem können die Holger voll nicht ab. Der ist für die 'so eine dumme Phase' bei mir."
"Der war ja auch nicht schuld."
"Nein. Aber in ihren Augen wird von nun an Holger schuld sein, dass mein Leben nicht so läuft, wie die das geplant haben. Ich werde dich mal vorstellen müssen. Besser, wenn wir zurück sind." Das hatte Kai befürchtet. Sie riss ihn aus der milden Panik in eine tiefe und kaum beherrschbare Hysterie, als sie gleich darauf locker fragte "Und deine Eltern?"
Hastig setzte Kai sich hin. "Das mach ich selber und allein und irgendwann... viel später! Nach der Prüfung oder so, vielleicht nie. Mal sehen." "Kai! Deine Eltern sind voll niedlich! Ich lad die zur Taufe ein, das ist ja wohl klar!" "Eh? Taufe?" Tini verzog den Mund und nickte stur. "Das Ding wird getauft, damit basta!"
Und damit kam das Thema „Name“ auf. Kai lehnte es komplett ab, darüber nachzudenken. "Ich will den Schock erstmal verarbeiten, okay?! Hör auf, mich fertig zu machen!" Und Tini ließ sich abspeisen und verkündete, dass sie und 'das Ding' nun mal zum Sport fahren würden. Auf dem Weg dorthin wollte sie die frohe Botschaft noch unter das Volk bringen und bei Lena vorbei schauen.
Die restliche Stadt, alle Leute, die es nichts anging, zu informieren, war kein Problem. Es dauerte genau fünf Sekunden, nachdem Tini Lena erlaubt hatte, mit Lukas darüber zu reden, als auch schon bei Kai das Telefon klingelte und Lukas ihm seelische und moralische Unterstützung anbot, und sich zeitgleich total über Kai kaputt lachte. Kai litt eisig schweigend. Schließlich schaffte er es, das Thema zu wechseln und nahm noch einmal die Entschuldigung für Noppis Zickenterror an. Er lehnte eine Einladung ins Stroboskop ab, weil er in Ruhe mit Jan allein sein und mit ihm schlafen und überhaupt niemanden mehr sehen und hören wollte. Und sich von niemandem auslachen lassen. Schon gerade nicht von diesen miesen Tucken, die seine Freunde zu sein vorgaben.
125
Jan war zwar froh, dass er wieder zurück in der Stadt und bei seinem Freund war, aber das hinderte ihn nicht daran, vom Sport zu einem Treffen mit Thilo und von dort zu einer Studentenfeier mit Matze zu driften. So hatte Kai den Abend ganz und gar für sich samt seiner Hysterie, für die Telefonanrufe von diversen Leuten und seine beginnende Stressgastritis.
Er trank ein Glas Cola, um wach zu bleiben, bis Jan wieder da war, was sein Magen nicht so doll fand und redete mit einem total durchgeknallten Lolli darüber, dass er Schwangere auch unheimlich, nicht sonderlich stylisch und auf keinen Fall geil finden würde. Dann beteuerte er, dass es jetzt keine Probleme zwischen ihm und Holger geben würde und auch keine Schlägerei, dass Jan bereits einen Kombi fahren würde, und er nicht gedachte, das Ding da mitfahren zu lassen, und schließlich, dass es nicht notwendig werden würde, eine stylische, silbergraue Babywiege neben das Monsterbett zu stellen, weil Ding auch keinen Einzug in ihr Schlafzimmer finden würde. Er versicherte, dass er aktuell noch nicht vorhabe, suizidal aus dem Fenster zu springen. Er lehnte eine Einladung zum Betrinken in freier schwuler Welt gereizt ab und verbot Lolli dann, mit anderen darüber zu reden, was natürlich illusorisch war. Lolli würde sicherlich gleich im Stroboskop Frank dem Friseur davon erzählen und somit würde dann die ganze Welt es mit dazu erdachten intimen Details aufgetischt bekommen.
Lena war die nächste und kommentierte, dass es kein Wunder sei, dass bei Kai jetzt das Telefon besetzt war. "Als Tini mit mir vorhin geredet hat, Kai, waren Lukas und Lolli grad da. Die haben vielleicht geguckt! Ich hab für eine halbe Stunde nicht aufhören können, mich zu bepissen!"
Kai seufzte und rieb sich über den Nasenrücken. Immerhin lachte Lena nicht nur über ihn. Ihre fröhliche Stimme schabte an seinen sowieso schon lädierte Nerven, während sie ihm berichtete, wie nervös Tini gewesen war, weil sie es nicht gewagt hatte, mit Kai darüber zu reden. "Weißt schon, bevor es sicher war... man weiß ja, dass es die ersten Wochen auch oft eine Fehlgeburt geben kann. Dann hätte sie sich umsonst gestresst mit dir."
Kai schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand hinter ihm. Schmerzen waberten hinter seiner Stirn, ihm wurde leicht übel. Er blendete Lenas Bericht über die Reaktionen von Lolli und ihrem Bruder aus und dachte darüber nach, dass er tatsächlich über einen guten Ausgang der Schwangerschaft froh sein würde. Einfach weil er nicht wollte, dass Tini leiden musste. Dann auch noch seinetwegen? Das 'Was wäre wenn' hätte zwischen ihnen gestanden, vermutlich mehr noch als ein lebender Beweis das konnte.
Lenas Stimme wurde lauter, er hörte ihr gepeinigt wieder zu, um einen Abschied irgendwie dazwischen zu bekommen. "Schwanger! Ich konnte es selber kaum glauben! Ich finde das aber total geil! Da hat sie schon Holger an der Hand, der ja nun der totale Hengst ist, und von wem ist sie schwanger? Von Priscilla Kai Hellmann! Hab ich gelacht!"
Kai spürte eine unangenehme Hitze in seinem Gesicht, die zum Teil davon kam, dass er sich schämte, aber zu weiten Teilen auch, dass er sich über sie ärgerte.
"Hier, aber wo wir schon miteinander reden", unterbrach sie seine Versuche, sie abzuwürgen. "Wie wäre es, wenn wir mit Benni noch mal Nacktfotos machen, wenn das Baby da ist. Es ist doch nix so geil wie ein geiler nackter Mann mit einem Baby, oder?"
Kai fielen einige deutlich geilere Dinge ein, aber er machte nur ein leidendes 'Hmpf'.
"Die Bilder von dir sind ohnehin so was von geil geworden, du schaust pissig ohne Ende, passt fast zu der aktuellen Situation. Lukas holt sich heute noch täglich einen runter, wenn er dich auf dem Bild in der blauen Wäsche sieht... der macht sich einen Duschvorhang daraus, davon kannste jetzt ausgehen. Ich auch, wo wir dabei sind."
Kai schwieg sie an, weil ihm kein passend unfreundlicher Konter einfiel und nahm sich vor, Benni noch einmal zur Sau zu machen. Sie war immer noch nicht fertig mit ihm. "Tini ist ja leider erst einmal in Kanada, Zuckerschnute, aber dann freu ich mich schon sehr auf unser schwul-lesbisch-heterosexuelles Einkaufen für das Baby. Ich muss Lolli unbedingt noch einmal bitten, sich abzuregen und seinen Geschmackssinn auch für Babysachen weiter zu entwickeln und nicht nur Kindermöbel. Dann kommt er mit und berät uns. Das wird endgeil! Lolli hat sich vielleicht gegruselt! Auweia, eine Wurzelbehandlung wäre nichts dagegen für ihn! Hab ich gelacht!"
"Ja. Das sagtest du bereits. Ich muss..."
"Und Lukas..."
"… jetzt wirklich..."
"… kommt dich bestimmt besuchen, um dir die Hand zu halten. Oder andere Teile von dir, mein Schatz. Ist doch Ehrensache. Du hast ihm beigestanden, als er die Schlappschwanznummer mit seinem Lieblingskörperteil überstehen musste. Haha! Stehen! Ich lach mich..."
"Darauf kann ich verzichten. Ich hab zu tun. Tschüß!" Hastig legte Kai auf, während sie noch wild in den Hörer lachte.
Dann telefonierte Kai mit Benni darüber, dass das Baby in der Tat das von ihm sei. Ja, tatsächlich. Renate hatte einfach etwas Falsches angenommen. Dann sagte er Benni, dass er ihn noch immer hassen würde wegen der Fotosache, und dass er ihn noch mehr hassen würde, sollte Renate durch ihn erfahren, von wem das Baby wirklich war. Er ertrug einen von Selbstmitleid durchtränkten Sermon über das Thema missverstandener Künstler und Lollis Fickbeziehung mit Frank, die wohl zum Abschied zwischen den beiden aufgeflammt war. Dann musste er Benni sagen, dass es nicht notwendig sei, ihm oder Tini schwachsinnige, beruhigende Tees oder einen total niedlichen Fotoband mit Babybildern zu schicken, dass er auf keinen Fall Fotos von sich mit einem Baby wollte und schon gerade keine von Tini mit Bauch. Mit wütender Energie räumte er seine Bücher um.
Nachdem die Lehrbücher für das Physikum auf den Schreibtisch, sowie seine Skripte und Fachbücher ins Regal zurückgewandert waren, telefonierte Kai mit Pascal, der vorsichtig fragte, was Kais Eltern dazu gesagt hätten, dass sie Großeltern würden. Scheiße, nach nur zwei Stunden wusste offenkundig schon die ganze Stadt Bescheid! Kai nahm Pascal umgehend das Versprechen ab, Zuhause bloß die Klappe zu halten und drohte ihm diverse schmerzhafte Dinge an für den Fall, dass seine Eltern von der Schwangerschaft erfahren sollten.
Passi wechselte hastig das Thema. Er konnte nicht zur Einweihungsfeier kommen, weil er in der Woche auf Fortbildung war. Es tat Kai leid, aber das zu hören, verschaffte ihm ein Gefühl der Erleichterung. Dann fragte er uninteressiert nach Passis Verliebtheit und bekam einen langatmigen, total miesgelaunten Vortrag darüber, dass tatsächlich und wirklich offiziell alle Männer scheiße seien und nur seinen Körper und Sex wollten und, und, und...
Kai blickte auf die Uhr und wollte auch Sex, mit Jan. Scheiße, der war noch immer auf der Feier in einer der Unis in der Umgebung! Pascal lamentierte darüber, dass er nach Berlin fahren würde, um die Meiersche zu trösten und sich selber. Augenscheinlich hatte Hanno einen neuen Selbstmordversuch auf seinen ersten Tag mit Freigang gelegt, gleich nach einem Gespräch, in dem ihm Carl gesagt hatte, dass Hanno sich von nun an ja selber versorgen könne und er mal mehr auf Abstand gehen wollte. Hanno hatte dazu Valium geschluckt ohne Ende.
Als nächstes machte Kai einen Kontrollanruf bei Jan und erreichte ihn mit Holger im Wagen auf dem Weg zu einer Studentenparty. Sie redeten kurz über den Abend, den Jan noch mit seinen Freunden verbringen wollte. Kai schimpfte genervt herum, dass alle Welt ihn quälen würde. Jan konterte trocken, dass er sich das redlich verdient habe. Darauf bog Kai hastig ab und berichtete Jan von Hannos neustem Suizidversuch. "Carl tut mir so leid, aber es ist auch total ätzend und macht mich sauer, dass er jetzt in so einer bescheuerten Nummer drin hängt. Da schluckt der Kerl wohl irgendwie eine Wochenpackung Valium auf Ex."
Jan schnaubte nur wenig beeindruckt. "Valium, ja? Na, dann hat er das vermutlich gleich noch in der Klinik gemacht, oder?"
"Wieso?" Kai wanderte ins Badezimmer, kramte in ihrem Spiegelschrank und brachte eine neue Kondompackung in ihr Schlafzimmer hinüber. "Ist doch schrecklich, wenn der dauernd versucht, sein Leben zu beenden, anstelle die guten Seiten zu sehen."
"Kai. Sei nicht naiv. Der hat das Valium geschluckt, weil er weiß, dass es ihn nur schlafen legt, nicht umbringt. Er hat das gemacht, um Carl an sich zu binden. Sterben will der nicht, nicht wirklich, der will betüdelt werden. Vermutlich macht Carl das jetzt mit seinem Mitleid eher noch schlimmer... wer dauernd Mitleid bekommt, kann seinen Selbstwert nicht gut aufbauen."
"Kann man sich mit Valium gar nicht umlegen?"
"Vielleicht, wenn man sehr sehr viel nimmt, es mit viel Alkohol und noch anderen Substanzen mischt und sich dann nicht finden lässt. In der Klinik Valium zu schlucken bringt einem einen Schlauch in den Hals und dann vielleicht die Geschlossene für ein paar Tage, wenn die ein Bett frei haben. So. Ich bin an der Uni, die anderen wollen rein, sehen wir uns nachher bei uns, oder musst du mit Lolli schwul Party machen?"
"Wir sehen uns nachher." Im Hintergrund grölte Matze rum und Kai konnte Holgers gelassene Antwort hören, rasch legten sie auf.
Kai wählte nach kurzer Überlegung die Nummer der Meierschen. Er fragte nicht mitleidig rum oder wuselte um das Thema, sondern sagte mit knappen Worten "Wir feiern die Einweihungsfeier, ich erwarte dich hier. Ohne dich habe ich niemanden, der Lolli bändigen kann."
"Maus, ich muss..."
"Der scheiß Hanno soll aufhören, dich an der Leine rumzuführen! Er ist erst mal wieder in der Geschlossenen, oder etwa nicht?!"
"Er ist echt fertig."
"Nein. Er macht dich fertig, Carl. Das geht mir auf den Sack!"
Entrüstet und mit schriller Stimme rief Carl "Er hat einen Selbstmordversuch unternommen, das ist..."
"Mit Valium! Ich hab grad mit Jan darüber geredet. Jeder Idiot weiß, dass man davon nicht stirbt. Schon gerade nicht, wenn man das in der Klinik macht und sich dann innerhalb von einer halben Stunde den Magen auspumpen lassen kann. Scheiße, Carl! Hör auf, so verdammt naiv zu sein!" Er übertrieb, das war Kai klar, aber es nervte ihn irgendwie, dass die süße Meiersche unter Hanno zu leiden hatte, das hatte er nicht verdient.
Am anderen Ende herrschte kurz Schweigen, dann seufzte Carl leise auf und sagte mit dünner Stimme. "Ich... tausche mit Anne das Wochenende und komme zu euch, okay?"
Mit fester Stimme erwiderte Kai darauf. "Du kannst hier Jan in den Schritt sabbern und mal wieder du selbst werden, verdammt noch einmal!"
"Ja. Mach ich dann wohl. Bis dann."
Kai musste sich danach erst einmal abregen, auch wenn es ihn erleichterte, dass die Meiersche von der Babygeschichte offenkundig noch keinen Wind bekommen hatte. Kai legte zur Beruhigung Wäsche und begann gerade zu bügeln, als das Handy klingelte. Es war Bardo. Aha. Mies gelaunt blaffte Kai "Ja?!"
Bardo schwieg kurz, dann sagte er leise "Tini hat mir befohlen, ihr das zu überlassen, Kai. Ich musste es versprechen, schwören."
Kai rieb sich kurz die Augen, dann zog er beim Bügeleisen den Stecker und legte sich auf sein Bett. "Ich weiß."
"Tut mir leid, dass du jetzt noch mehr Stress hast."
Bardos dunkle Stimme zu hören tat Kai so gut. Es gab keine miese Missgelauntheit, keine blöden Sprüche. Bardo wusste sofort, wo das Problem lag. Sein Magen beruhigte sich und das Erziehungsgen begrüßte das Bambi als alten Freund.
Bardo schien zu lächeln. "Ich bin aber froh, dass du es jetzt weißt. Ich mag Verschweigen nicht. Kann das auch voll nicht."
Kai seufzte noch einmal und gönnte sich eine kleine Zickigkeit. "Eigentlich hattest du das ganz gut drauf in der letzten Zeit."
Bardo schwieg einen Moment lang, dann fragte er leise "Und? Hast du jetzt Angst?"
"Wovor?"
"Verantwortung oder so?" Die Unsicherheit in Bardos Stimme wich einem Lächeln, das man deutlich durch das Telefon hören konnte. "Ich freu mich übrigens. Ich freu mich total, das ist krass romantisch und wundervoll."
"Krass romantisch und wundervoll? So einen Scheiß kannst auch nur du sagen, Bambi." Grinsend sah Kai ihn vor sich mit seinen schrecklichen T-Shirts.
Bardo schwieg einen Augenblick lang, dann murmelte er leise "Kann ich... mal wieder...", er brach ab.
Kai lauschte in das unsichere Schweigen hinein und schloss gepeinigt die Augen. Es hatte nicht aufgehört und Bardo war noch immer so bescheuert. Er seufzte einmal auf, dann erkundigte er sich mit ruhiger Stimme "Wie schaut das Auge aus?"
"Schon wieder gut. War nach zwei Tagen nur noch ein kleiner blauer Fleck und die Lippe ist schon total okay. Ein Glück, ich hab doch Freitag das Vorspielen."
"Viel Glück damit."
"Danke." Sie schwiegen wieder beide und lauschten, endlich seufzte Bardo leise und sagte "Du fehlst mir."
"Hm."
"Total."
Kai lächelte und ließ Bardo das hören, als er antwortete "Du baust bestimmt bald neuen Mist, Bambi, dann sehen wir uns wieder. Mach‘s gut, ich muss los!" Er legte auf und blieb noch einen Moment lang auf dem Rücken auf seinem Bett liegen und grinste die Zimmerdecke an. Das Bambi. Hoffentlich hörte das mit seiner Verknalltheit bald auf, und sie konnten einander wieder unbefangen in die Augen sehen. Seufzend legte Kai das Handy auf den Nachttisch und strich mit zwei Fingern darüber. "Fehlst mir auch", flüsterte er leise, dann schwang er sich aus dem Bett und zog sich seine schwarzen Ausgehklamotten für blöde Partys an.
Kai drückte auf dem Handy Tini weg, die ihn sicherlich bescheuert volllabern wollte und rief Jan noch einmal an. Laute Musik im Hintergrund zeigte an, dass Jan tatsächlich schon auf der Party war. Er war begeistert von Kais Idee, noch nach zu kommen. "Wir sind in der Pädagogischen, Kai. Holger, Tini und 'das Ding' sind auch schon da! Die anderen auch. Willst du nüchtern bleiben?"
Kai zögerte, dann fragte er zurück. "Willst du nachher Sex, richtigen meine ich?"
Jan lachte, dann erwiderte er "Unbedingt."
"Ich bleib nüchtern."
"Dann nimm die Seekuh."
Daraufhin schaukelte Kai sich mit dem Mercedes von Jans Mutter zur Pädagogischen rüber und fand sogar einen vernünftigen Parkplatz. Die Partys dort waren zwar sehr frauenlastig, durch das Studienfach allein, aber die Atmosphäre war lockerer als auf Medizinerpartys. Außerdem lösten sie sich deutlich früher auf als andere, so dass Kai die Hoffnung hatte, Jan recht bald nach Hause schleifen zu können.
Kai wühlte sich durch die Grüppchen, die im düsteren Flur vor der Cafeteria herumstanden und besorgte sich eine Cola an der Theke. Nach einer Runde um die Tanzfläche, fand er Jan wie immer von Freunden und Mädchen umringt in einer Ecke neben einer Bierbar, wo einige Tische zusammengeschoben worden waren und als Sitzgelegenheiten dienten. Kai lächelte einmal kurz in die Runde, und wurde von Tini umarmt und abgeknutscht. Auf die Art zog sie ihn in die Runde hinein. Seufzend ließ er sie kurz machen, dann schob er sie zu Holger zurück. Er nickte Matze und Thilo zu. Jan beachtete er nicht weiter, so wie immer, wenn sie sich in der Uni sahen.
Erst einmal redete Tini eine Weile lang auf ihn ein, aber Kai wehrte ihre aufgeregte Erzählung von irgendwelchen Sachen, die sie in Kanada machen wollte, recht bald wieder ab. Jan alberte erst mit Bianca und Renate herum. Vielmehr alberten Bianca und Jan, Thilo und Renate standen etwas hilflos daneben und schauten zu. Später stand Jan mit Holger und Tini in einer Ecke zusammen. An Holgers Blicken konnte Kai sehen, dass es mal wieder um bescheuerte Hochzeitspläne ging. Tini starrte Jan extrem sauer an. Als Kai dazu trat, wurde es eher schlimmer. Jan startete so richtig durch, um ihn und Tini und dann auch gleich Holger zu quälen. Er schaffte es, Andeutungen über fette Bräute zu machen, weil Kai gerade zu solch einer Hochzeit eingeladen war, ohne Tini zu outen. Aber es war stressig. Kai hasste seinen Freund an und schwieg mit verschränkten Armen.
Genervt ließ Kai sich schließlich von einigen Leuten wegdrängen und schob sich in den Hintergrund an die Tische zurück. Dort ließ er sich nieder und lehnte sich an die Wand an. Die Cola war schon warm, als er endlich wieder einen Schluck trank. Er hasste Partys. So eine Zeitverschwendung. Viele Leute eng an eng, verschwitzte Körper, sie schrieen sich gegenseitig ins Ohr. Die Pärchen sahen sich in die Augen und dachten die ganze Zeit nur darüber nach, wann sie endlich abhauen konnten. Die Singles waren auf der Jagd nach dem passenden Partner und alle zusammen bildeten eine wabernde Masse, die Kai als Hindernis zwischen sich und seinem schönen Abend mit Jan ansah.
Ein dunkelhaariges Mädchen driftete in seine Nähe und sprach ihn an. Genervt und mit schmalen Augen nickte Kai zu ihrer Feststellung, dass die Musik nicht so doll war, schüttelte den Kopf auf ihre Frage, ob er wüsste, was das für ein Lied sei und schwieg dann ein paar Minuten mit ihr, bevor sie davon trabte.
Jan tauchte mit einem Mal neben Kai auf und lachte. "Na? Soziopathennummer? Was biste denn so mucksch, Kai? Wolltest du doch nicht feiern?"
Kai schüttelte den Kopf und lehnte sich dichter an seinen Freund. In kurzer Version berichtete er von seinem Telefonabend. Jan lachte sich kaputt über Lenas Indiskretion, Bennis Selbstmitleid und Lollis Hysterie. Der hatte die ja auch nicht abbekommen. Er nickte Kais Entscheidung zu Carls Wochenende entschieden ab. "Distanz sollte er sich wirklich mal zulegen. Er kann ja nicht für immer der Hol- und Bringedienst von diesem Hanno sein. Das ist für sie beide nicht gesund." Zu Bardos Verschwiegenheit kommentierte er noch "Das Bambi wusste echt Bescheid? Hätte ich nicht gedacht, dass der so gut dicht halten kann."
Unglücklich seufzte Kai und starrte auf die Tanzfläche. Ein langsames Lied brachte einige Pärchen zusammen, es wurde hier und dort schon mal geknutscht. Die Stimmung schien Jan zu inspirieren. Er kletterte zu Kai auf den Tisch und nahm ihm die Cola weg. Mit einem frechen Grinsen ließ Jan sich rittlings auf Kais Beinen nieder. "Na, Baby? Soll ich dich mal ablenken von dem ganzen Stress?" Seine Finger gruben sich in Kais Schultern, um dann streichelnd über die Arme hinab zu wandern.
Kai sah sich unsicher um, doch dann überrollte die Libido singend seine noch immer ohnmächtige Vernunft und sein Sexgen brachte ihn dazu, eine Hand um Jans Hintern herum und an der Jeansnaht in der Mitte zwischen seine Beine streichen zu lassen. Kai gab sich geschlagen und erwiderte das Grinsen. "Ist dir gelungen."
Jan sah ihm hitzig in die Augen, im nächsten Moment presste sich sein heißer und etwas verschwitzter Körper gegen Kai und die folgenden Minuten verschwammen in der Knutscherei, die Kai nicht unterbrechen konnte und Jan nicht wollte.
Kai schob seinen zweiten Arm um Jans Schultern herum bis auf den Nacken, um seinen Kopf mehr zu sich herabzuziehen. Das hatte ihm so sehr gefehlt. Jan, sein Geruch, das Gefühl seines Atems auf dem Gesicht, die Blicke und leisen Geräusche, mit denen er Kai zeigte, dass er ihn genau richtig berührte, und seine leisen Anweisungen, wenn er etwas anders haben wollte. Auch jetzt. Jan küsste Kais Wange entlang und schob seine Hüften in einem sicherlich unbewusst erotischen Tanz auf Kais Schoß zurecht, dann befahl er atemlos "Fass mehr zu, das ist nett."
Kai kniff ihn grinsend einmal in den Hintern. Nett war eine Umschreibung für geil. Ihm wurde auch schon ganz anders und in seiner Hose wurde es eng. Aber leider waren sie auf der Party, so dunkel war diese Ecke dann doch wieder nicht. Sachte schob er Jan ein wenig auf Abstand und küsste ihn noch einmal tastend über den offenen Mund, aber verabschiedete sich dann seufzend von der Nähe.
Jan atmete einmal tief durch, dann schob er sein Gesicht auf Kais Schulter und flüsterte ihm ans Ohr "Scheiß Tini. Ich bin so rattig, weil wir noch kein richtiges Wiedersehen feiern konnten, Baby."
"Und was machst du dann hier?!" Kritisch schob Kai Jans Finger von seinem Hosenstall weg.
"Ich warte, bis ich es nicht mehr aushalten kann. Außerdem hatte ich Holger versprochen, dass wir noch eine Runde feiern. Jetzt erst Recht. Er will sich heute auch schon mal von Tini verabschieden und die hatten auch noch keine Zeit, um Versöhnungssex zu haben. Wir leiden also zusammen." Jan ließ sich zur Seite rutschen und lehnte sich neben Kai an die Wand. Gemeinsam blickten sie zu Holger und Tini rüber, die auf einem der Tische gegenüber saßen. Vielmehr saß Holger auf dem Tisch, Tini eher auf seinem Schoß. Eine kräftige Hand hatte sich am Rücken unter ihr Top geschoben, mit der anderen umfing er ihren Hintern. Die beiden knutschten ebenfalls rum wie irre.
"Und was machen die hier?"
"Gerüchten vorbeugen, vermute ich mal. Wenn Tini wieder da ist, wird die dick sein. Dann weiß jeder, dass sie sich hat schwängern lassen. Holger möchte es gern so halten, dass die Mehrheit im Bekanntenkreis denkt, dass es von ihm ist."
"Ehrlich? Warum?"
"Ist doch einfacher. Psychologisch gesehen und außerdem spart es nervige Erklärungen, warum Tini überhaupt was mit dir hatte. Darüber will sie nicht mit jedem Hans und Franz reden müssen."
Das war auch wieder wahr. Kai schob vom Thema ablenkend und seinen eigenen Plänen folgend die Finger vorn in Jans Hose. Er küsste ihn nicht wieder, aber strich mit den Fingerspitzen eben gerade unter der Knopfleiste entlang, wo es in Folge rasch enger wurde, obgleich die Jeans eher großzügig an Jan herumgeschludert hatte. Mit einem Lächeln neckte Kai seinen Freund und fuhr ein kleines Weilchen fort, ihn scharf zu machen, um es dann abzubrechen und zum Schein tanzen zu gehen.
Jan folgte ihm mit dunklen Blicken, aber tat erst einmal so, als müsste er sich dringend mit Matze unterhalten, der bei der Knutscherei die Flucht ergriffen hatte. Bianca gesellte sich zu ihnen und sie begannen eine wilde Diskussion, in der es sicherlich um die Machbarkeit eines Lebens mit Lernen, Leistungssport und Dauerfeiern ging.
Kai tanzte eine überraschend angenehme Runde mit einer bereits leicht angtüdelten Renate rum, die gutgelaunt davon berichtete, dass sie Tini und Holger schon zum Heiraten bringen würde, das sollte er mal sehen. Dann wanderte er zu Tini und Holger und warnte die beiden vor Renates Plänen. Sie verabschiedeten sich gerade, um ihren eigenen privaten Plänen bei Holger in der Wohnung zu folgen, als auch Bianca ihren Thilo abführte.
Matze hatte sich erfolgreich an die Dunkelhaarige heran gemacht, die Kai hatte abblitzen lassen, für den war auf jeden Fall gesorgt. Somit kümmerte Kai sich dann doch wieder um seinen Freund, den er mit Blicken mal hier und mal dort ermunterte, sich auf die Jagd nach ihm zu machen, um ihm dann doch wieder zu entkommen, bis Jan ihn mit unbarmherzigen Griff am Handgelenk von der Tanzfläche und nach draußen zerrte.
Am Auto angelangt entkam Kai erneut und ließ sich seufzend in den Sitz gleiten. Er hatte unter einem Baum in einer dunklen Seitenstraße geparkt und beobachtete wie Jan beim Herumgehen einige Blätter von der Windschutzscheibe pflückte, bevor er einstieg.
Kai hatte eigentlich vor, Jan nur noch einmal rasch zu küssen, aber Jans Hand mogelte sich, kaum war er eingestiegen, zwischen Kais Beine den Sitz hinunter, um ihn im nächsten Moment samt Sitz mit einem Ruck zurück zu setzen. Grinsend kletterte Jan dann zu Kai rüber und zerrte seine Jeans auf.
Kai kam gar nicht so schnell dazu, sich einen Protest zu überlegen. Er blinzelte gerade noch von Jans Überfall erschrocken vor sich hin, als sich Jans Finger unter sein T-Shirt schoben und seine Lippen sich auch schon über seinen Bauch hinunter tasteten und ihn für kurze Zeit umfingen. Erschaudernd spürte Kai Jans Zunge auf sich nach, doch der tauchte gleich wieder auf, um Kai zu küssen. Wehrlos musste Kai zulassen, dass Jan ihm bewies, dass man im Auto Sex haben konnte, wenn man es sich nur in den sturen, notgeilen Kopf gesetzt hatte. Sie stürzten sich in eine wilde Knutscherei, die Kai auf keinen Fall beenden wollte, solange Jans Finger sich so herrlich sicher und fest auf ihm bewegten. Er war ohnehin total geil gewesen, hatte durch den Stress aber noch gar nicht so recht über Sex nachdenken können, so dass er seinem Freund vollkommen hilflos ausgeliefert war.
Und Jan ließ nicht locker, bis Kai aufstöhnend den Höhepunkt erreichte und keuchend einen Augenblick brauchte, um sich zu sammeln, bevor er an die Rückfahrt denken konnte. Jan selber verschob mit einem knappen Kopfschütteln jede weitere Aktion auf später. Er kletterte auf den Beifahrersitz und rückte seine Jeans zurecht, bevor Kai sich auf ihn stürzen konnte.
Stattdessen ließ Jan sich friedlich grinsend von Kai nach Hause kutschieren, parkte nicht einmal den Wagen neu, den Kai ziemlich schief in die Lücke gesetzt hatte und schmuste mit ihm, obwohl sie die Oma von rechtsunten im Hausflur trafen, die augenscheinlich Leon erwartet hatte, um ihm einen Vortrag über nächtliches Nutzen der Garage zu halten.
Jan flüsterte Kai ins Ohr "Die ist nur auf Leon so sackig. Wenn ich nachts heim komme, dann sagt sie nie was, hört wohl auch nichts. Bei den anderen auch nicht. Nur Leon. Was die wohl gegen ihn hat?"
Kai hatte da so seine Vermutungen, denn Leon war intrigant und manipulierte sicherlich auch die Alten von Rechtsunten, aber er zuckte nur mit den Schultern, schloss ihre Wohnung auf und zerrte Jan zu ihrer noch leicht nach Lack riechenden monströsen Liebeswiese hin. Dort befreiten sie sich gegenseitig sehr hastig und eher unromantisch von den Klamotten, weil Jan mit einem Mal nicht mehr nach verspieltem Necken war. Als sich ihre Klamotten auf einem wilden Haufen zwischen Bett und Schreibtisch wiederfanden, warf Kai sich auf seinen Freund und rächte sich ausgiebig für die Nummer im Auto. Jan war begeistert. In der Nacht feierten sie endlich ihr Wiedersehen nach der Trennung und dem Schock, und es wurde sowohl für Jan als auch für Kai ausreichend anstrengend, um sich dann mal eine kleine Pause gönnen zu wollen.
Die war auch notwendig. Sie bekamen echt zu tun. Jan musste seine letzten Fußballspiele überstehen und die Wohnungseinweihungsfeier vorbereiten, was sich hauptsächlich in der Beschaffung der Getränke und deren Kühlung niederschlug, sowie in dem Verteilen von Weinflaschen zur Bestechung der Nachbarn. Kai musste arbeiten und er musste zu Tinis Frauenärztin mit, um den verdammten Ultraschall über sich ergehen zu lassen.
126
Tini holte Kai vom LPP ab und hakte sich unternehmungslustig und fröhlich bei ihm unter. Sie erzählte ihm von den für Kanada geplanten Unternehmungen und lenkte ihn so ausreichend ab, bis sie in die Praxis traten. Diese lag in einem noch recht neuen Ärztehaus, in dem im Erdgeschoss ein Fitnessstudio für Rückenkranke mit angeschlossener Physiotherapiepraxis untergebracht war.
Zwei zu heftig geschminkte Tanten in Poloshirts begrüßten Tini und wiesen sie nach einer Runde Blutdruckmessen und sehr neugierigen Blicken auf Kai zum Wartezimmer. Es war mit dunklem Holzfußboden zu hellen Kunstledersitzen ausgezeichnet eingerichtet, aber ein Blick auf drei dicke Frauen, die seufzend in bonbonfarbenen Katalogen blätterten und sich ihre Bäuche zeigten, machten Kai leichte Panik.
Die eine Frau trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck 'Boy or Girl?' einmal quer über den Bauch, es zeigte zudem Fußabdrücken überall darum. Die andere trug eine trutschige Bluse, die schon deutlich spannte. Die dritte sah einfach nur fett aus, unglaublich umfangreich. Sie balancierte einen Becher Wasser auf ihrem Bauch und machte den Eindruck einer Bombe kurz vor der Detonation. Kai hielt die Luft an und dachte an Felix' Konzentrationsübungen.
Tini schob ihn munter hinein und hockte sich zappelig hin, um auch in einem der bonbonfarbenen Dinger zu versinken. Leidend ließ Kai sich auf der Stuhlkante nieder. Neben ihm saß auf der einen Seite Tini und blätterte summend in der Zeitschrift für junge Mütter, auf seiner anderen Seite hockte die Frau kurz vorm Platzen, die sicherlich jeden Augenblick Drillinge bekommen musste. Ungemütlich rückte Kai zu Tini auf, und sie lehnte sich glücklich an ihn an. Wie immer, typisch. Ihm gegenüber laberten die zwei Frauen über den Horror der Entbindung bei ihren Freundinnen, bis eine von beiden endlich aufgerufen wurde und davon schwankte.
Kai wollte weg und lehnte sich dichter zu Tini, um flüstern zu können. Wenn er sie ganz doll bat, vielleicht ließ sie ihn ja gehen. "Tini?"
"Hm? Schau mal, ist das nicht total süß?" Tini tippte auf ein Bild von einer Wiege mit geblümten Gardinen. "Oder das hier? Oh, ich hoffe, dass es ein Mädchen wird, das ist ja total niedlich!" Der Preis war gar nicht niedlich und das Teil selber, was auch immer es war, schien gemacht, um jedem normalen Mann in einen Angstherpes ausbrechen zu lassen.
"Tini! Hör auf mit dem Scheiß!" Er hatte unbeabsichtigt laut gesprochen und die Frau ihnen gegenüber hmpfte leise und verschränkte die Hände vor ihrem Bauch, als wollte sie dem ungeborenen Kind schon die Ohren zuhalten. Gereizt klappte Kai seinen Mund zu. Dann machte die Else auf Angriff und sprach Tini an. "Schwanger?"
Tini stieg auf die Frage ein und erzählte total fröhlich drauf los. Ja, in diesem herrlichen Zustand, noch alles total frisch und früh, aber so schrecklich toll und aufregend.
"Ach, es ist das erste, nicht wahr? Ach, was für eine schöne Zeit."
Kai fand das ganz und gar nicht und verschränkte die Arme. Seelenvoll seufzend ergingen Tini und die dicke Frau sich in Berichten über die ersten Zeichen für Schwangerschaften. Schien alles grauenhaft zu sein und dennoch erwünscht. Schmerzende Busen, juckende Haut, schreckliche Übelkeit. Ach ja, wie herrlich... und dieses Ziehen im Unterleib immer. Tini lehnte sich noch eine Idee an Kai heran und nickte freudig grinsend "Aber ist es das nicht alles wert?"
"Ach ja, eigentlich schon. Ich hab nur mit dicken Füßen zu kämpfen. Und man wird ja überhaupt so schrecklich schnell dick. Na, Sie wohl nicht." Es klang neidisch.
"Ich war immer sehr schlank. Mache eben viel Sport."
"Ja. Man sieht ja noch gar nichts. Nur an den glänzenden Augen, meine Liebe."
"Doch, endlich hab ich mal Busen und ich passe schon nicht mehr in meine Jeans." Begeistert rieb Tini sich den Bauch und Kai rückte von ihr ab.
Die andere hmpfte wieder etwas "Ach, ist der Freund nicht so begeistert? Sie sind ja auch mächtig jung." Sie witterte offensichtlich eine Story.
Kai starrte sie böse an. Nein, er war nicht begeistert. Ganz und gar nicht! Aber das ging die Schnatze ja wohl gar nichts an! Doch etwas anderes nahm ihm die Konzentration für weitere Gedanken. In der Tür zum stilvoll getäfelten Flur erschien...
"Jan?!"
Tini sah sich um, ihre Mundwinkel senkten sich beträchtlich. "Wir warten noch."
Jan nickte und blickte zwischen ihr und Kai hin und her. "Na, dann komm ich ja richtig." Er streifte Tini mit einem kurzen Blick, der ihr offenbar stumm kommunizieren sollte, dass sie zu dicht an Kai saß, denn sie rückte etwas von ihm ab und setzte sich gerade hin. Dann wurde die zukünftige Drillingsmutter aufgerufen und erhob sich ächzend, um aus dem Raum zu wackeln. Jan ließ sich gleich auf dem freien Stuhl neben Kai nieder und grinste ihn an.
Noch während Kai im Schock zwischen Tini und seinem Freund hin und her starrte, kam Holger um die Ecke und winkte optimistisch in die Runde. "Na, Süße, ich wollte dich abholen kommen." Tini sagte etwas, aber Kai hörte das nicht. Er starrte Holger an, denn der trug eine dunkelblaue Uniform, die Mütze locker unter einen Arm geklemmt. Holger grinste in den Raum und rief "Hey, Jan! Auch hier? Wollen wir nachher gleich zusammen zum Fußball fahren?"
"Alter, das passt total gut! Der Wagen musste grad zur Inspektion, die brauchen doch bis morgen, kannst du mich zum Unisport mitnehmen?"
Holger küsste Tini auf den Mund, tätschelte Kai im Vorbeigehen die Schulter und lehnte sich neben Jan an die Wand an. "Klar, immer doch. Ich hol dich einfach viertel vor, okay? Dann bringst du die Bälle wieder mit, Jan?" Sie verfielen in eine Unterhaltung über das bevorstehende Unisportturnier.
Kai folgte Holger kurz mit Blicken und blinzelte. Scheiße, sah der geil aus! Die Uniform betonte das strenge Gesicht wie auch die blauen Augen noch mehr. Die Schultern wirkten noch einmal so kräftig und der Schnitt der Jacke lenkte den Blick irgendwie die Körpermitte entlang. Seine schiere Größe allein machte, dass er bedrohlich und zugleich sicher aussah. Kai lehnte sich zu Tini rüber, während Jan und Holger sich in Diskussionen um Preise für Wageninspektionen ergingen. "Hey. Ist das die normale Uniform?"
Tini grinste ihn an, dann flüsterte sie. "Hmhm. Die Ausgehuniformen sind weiß bei der Marine. Geil oder? Wenn er die an hat, bin ich immer noch einmal so scharf auf ihn. Ich glaub fast, dass er Fußball gleich erst mal vergessen kann. Ich spüre es förmlich."
Die Mutti ihnen gegenüber runzelte derweilen die Stirn und zupfte ihre Bluse gerade. "Und wer ist jetzt der Vater?" fragte sich schließlich ihrer Neugierde erliegend und gänzlich ohne Raffinesse.
Jan und Tini wiesen gleichzeitig auf Kai in ihrer Mitte und sagten nahezu im gleichen, etwas beleidigenden Tonfall "Er."
Holger lehnte an der Wand und sagte mit betrübtem Blick zu der Frau ihm gegenüber "Leider."
Kai sank zusammen und kniff die Augen. Dann sah er zu seinem Freund. "Was machst du denn eigentlich hier?!"
Jan grinste ihn an. "Ich hab doch gesagt, dass ich dich nicht mit dem Hormonschiff allein lasse. Außerdem werde ich dich nach Hause begleiten, wenn du gleich im Schock bist. Eigentlich wollte ich Tini überreden, mich mit rein zu lassen. So einen Ultraschall wollte ich schon immer mal sehen."
Tini lehnte sich an Kai vorbei. "Wir haben eine Abmachung, Jan! Du bleibst hier draußen. Da liegt eine Autozeitung. Sei brav, lies die und halt die Klappe! Holger kann sich gern mit dir über Fußball unterhalten und so."
"Da liegt eine Weiberzeitung. Lass Kais Hand los und halt selber die Klappe" konterte Jan sofort, aber nahm die Zeitung auf und ließ sich mit neugierigem Blick auf einen Testbericht für Sportwagen wieder neben Kai nieder. Er raschelte ein wenig, dann lehnte er sich an Kai vorbei. "Tini? Darf ich wirklich nicht mit?"
Sie verschränkte die Arm und lehnte sich auch vor. "Jan! Nein! Wenn ich geahnt hätte, dass du dich jetzt so... so..."
"Was? Hätte dir das nicht klar sein können? Es geht um Kai!"
Wütend blickte Kai zwischen ihnen hin und her. "Das tut es nicht. Es geht um das 'Ding'!"
Die Frau gegenüber machte 'Tststs' und mischte sich erneut ein "Wir haben unser erstes damals das Knöpfelchen genannt und dieses ist unser Butzi, das klingt viel netter. Sie sollten sich einen liebevolleren Namen wählen. Kennen sie nicht den wunderschönen Spruch 'Wenn aus Liebe Leben wird, bekommt das Glück einen Namen'?" Aufmunternd blickte sie von Kai zu Tini und versuchte Jans intensiven Blick zu ignorieren. Holger wagte sie augenscheinlich nicht einmal anzusehen.
Der lehnte sich sofort an Kai vorbei und nickte taktlos rüber. "Siehste?! Das meinte ich. Hormone! Pass bloß auf, Kai!"
Kai wurde schlecht. So eine Scheiße! Der Spruch ging gar nicht, totaler Hirnriss! Was war das für ein Alptraum, in den Tini ihn reingerissen hatte?
Jan kicherte los und blickte wieder zu der etwas pikierten Tante. "Aus Liebe wurde Leben, haste gehört, Kai?! Ich lach mich schlapp! Bei euch war es eher so etwas wie 'Aus Fick wurde Ding'!" Prustend hing er vorn über.
Tini lehnte sich wieder an Kai vorbei, dessen Hand sie gegriffen und viel zu fest gedrückt hatte. "Sei bloß still, Jan! Jetzt reicht es aber!"
Holger verpasste Jan einen warnenden Klaps auf die Schulter, aber Jan war noch nicht durch mit dem Thema. Er blickte die Frau ihm gegenüber an und frage "Was wird denn aus Unfall? Ich meine..."
Kai hob seine freie Hand und schlug Jan gegen den Hinterkopf. Seine Abteilung für Galgenhumor lachte sich über Jan kaputt, das Erziehungsgen brachte ihn dazu zu zischen "Entschuldige dich!"
Jan holte Luft und blickte die entrüstete Frau ihm gegenüber stur an, aber Kai stieß ihm den Ellenbogen in die Seite "Nicht bei der, bei Tini!"
Tini starrte von Kai zu Jan und fragte zischelnd "Wieso das denn jetzt?"
Genervt befreite Kai seine Hand und sah sie kurz an. "Die Frau hat Recht. Hat sie doch, oder? Für dich ist es Liebe und Glück und Tralala und so weiter. Kannst nix dafür, dass ich das scheiße fand und nie geil finden werde. Also stimmt der Mist doch für dich. Du bist voll happy und freust dich und damit hat sich das. Die Nummer ist doch sowieso gelaufen jetzt. Jan hat kein Recht, dir das kaputt zu machen auf immer und ewig, bloß weil er eifersüchtig ist."
Holger nickte, aber schwieg weise nach einer Abwägung des Feindes, der zwischen Tini und der anderen Tante unter Umständen auch noch Jan enthalten konnte.
Tini blickte zu der Frau rüber, die sie mit offenem Mund anstarrte, dann zuckte sie mit den Achseln und meinte leise "Du hast Recht. Ich freu mich und ich freu mich und kann nicht aufhören damit. Für mich bekommt meine Liebe zu dir damit ein eigenes Leben und irgendwann sicherlich auch einen Namen. Danke." Sie küsste ihn sachte auf die Wange. "Hm. Knöpfelchen ist total niedlich", informierte sie die etwas geschockte Frau gegenüber dann.
Kai starrte sie sauer an. "Sag mal geht’s noch?! So ein Scheiß! Mann, du kannst dich bald nicht mehr mit Hormonen rausreden, Tini! Leg jetzt sofort diesen rosa Kram weg, hör auf so dämlich niedlich zu allem zu sagen, und wenn dieser Name für das 'Ding' irgendwie sowas ekeliges, peinlich hirnverbranntes wird, dann..."
"Nein, Kai. 'Ding' ist total gut. Dabei lassen wir es erst mal." Hastig tätschelte sie seinen Handrücken und Holger zeigte Kai wenig versteckt das Daumen-Hoch-Zeichen. Augenscheinlich hatte Kai seine erste Bewährungsprobe im Schwangerenbändigen überstanden. Tini legte sogar die Bonbonzeitung mit den Horrorpreisen für Babykram auf den kleinen Tisch zurück.
Im nächsten Moment wurde sie aufgerufen und erhob sich. Sie zog Kai an der Hand mit sich. "Los geht es. Jan! Du bleibst hier!" Dem Ton nach hätte sie sich auch an einen Hund wenden können. Rasch zog sie Holger am Revers zu sich und küsste ihn. Reaktionsschnell umfing er sie und drückte sie einmal. "Bis gleich, Süße."
Grummelig stand Jan auf "Ist ja gut. Ich warte hier, Baby." Und damit zog er Kai an sich und küsste ihn eine tüchtige Runde auf den Mund, bevor Kai sich wehren konnte.
Das letzte was Kai noch hörte, war der laute Knall, mit dem die Frau gegenüber ihre Zeitschrift auf den Boden fallen ließ. Eine Autozeitschrift mit Kinderautositzen im Test. Interessiert fragte Jan darauf "Sind Sie durch damit? Das schaut aktueller aus als diese hier. Holger, der neue Geländewagentest ist da auch drin."
Und so kam es, dass Kai und Tini beide mit rotem Gesicht und voll am Rumkichern in den abgedunkelten Behandlungsraum hinein stolperten. Drinnen saß eine ältere Ärztin mit flachsblonden kurzen Haaren, die ein rundes Gesicht umrahmten. Sie blickte die beiden über den Rahmen ihrer Lesebrille an und hob die Brauen. Dann lächelte sie. "Na, Tini? Ist das der Papa? So unglücklich schaut er gar nicht aus. Hm, ist wirklich hübsch." Ärgerlich bemerkte Kai, dass er nicht als Person anwesend zu sein schien, sondern nur als eine Art Erzeugerobjekt. Die Ärztin sah nur Tini an während sie sprach, er wurde lediglich nebenbei gemustert, während Tini kurz von den Eltern grüßte und berichtete, dass sie sich wohl fühlte und alles soweit gut sei.
"Wollen wir gleich mal nachsehen?" Die Ärztin drehte das Licht noch weiter runter und Tini warf sich neben dem summenden Ultraschallgerät auf die Liege und öffnete ihre Hosenknöpfe.
Endlich an Kai gewandt meinte die Ärztin "Nehmen Sie hier auf dem Hocker Platz, dann können Sie alles gut sehen."
Kai verschränkte die Arme, aber ließ sich auf dem Rollhocker an Tinis Kopfende nieder, während sich die Ärztin einen Papierlatz in Tinis Unterhose klemmte und das Gel und den Ultraschallkopf nahm. Das Gel war das gleiche, das Jan und er immer für den Sex nahmen, wenn Jan welches vom Krankenhaus mitbrachte. Von dieser Erkenntnis überrascht passte Kai einen Augenblick lang nicht auf und grinste statt dessen in erotische Erinnerungen versunken dämlich vor sich hin.
Tini verstand seinen Gesichtsausdruck falsch. Sie flüsterte ehrfürchtig "Toll, oder?"
Nervös hob Kai den Blick auf den Bildschirm und fühlte sein Herz aussetzen. Tatsächlich. Er blickte zu Tinis Bauch und dann wieder zum Bildschirm. Da war das Ding und zuckte irgendwie verdammt munter herum. Das kleine Mistbalg machte sich jetzt schon über ihn lustig, auweia. Jan hatte Recht. Tini hatte Recht. Es wurde real, wenn man es sehen musste.
Die Ärztin lachte mitleidlos und drehte den Schallkopf, stellte vom Gesicht ein Profil dar. Sie sah vom Bildschirm kurz zu Kai rüber und grinste "Na? Ist doch schon ganz niedlich, ganz der Papa muss ich sagen." Tini und sie lachten beide rum, Kai wurde komisch. Die Ärztin stellte dann irgendwelche Messungen und Berechnungen an und verkündete, dass alles super liefe. Das fand Kai nicht. Dann schaltete sie auf Dopplerschall und stellte sich zischend und fauchend die Gefäße und das Herz dar. Das Geräusch, der Herzschlag, machte Kai Übelkeit und er begann schwarze Flecken vor den Augen zu sehen. Felix' Atemübung kam ihm in den Sinn. Zum Glück stellte die Ärztin den Modus wieder zurück und machte ein paar Bilder für Tini und den 'Papa', die sie ausdruckte.
Kai hatte nicht den Mut zu sagen, dass er einen Namen hatte und auf den scheiße Papatitel verzichten konnte, und Tini war zu glücklich mit den Bildern, als dass sie ihn in Schutz nehmen konnte. Als das Licht anging, war Kai noch immer übel, er hatte Herzrhythmusstörungen und kalte Hände. Mit einem Mal war er froh, dass Jan gleich da sein würde und Holger, um sie heim zu fahren. Er wollte sich verkriechen, oder vielleicht auch übergeben, sein Körper war da noch unentschlossen. Wie im Autopilot nahm er die ausgedruckten Bilder an und ließ sich von Tini vor die Tür bitten, weil die Ärztin noch einen Abstrich von der Scheide machen wollte. Hastig wankte er mitsamt der Bilder in das Wartezimmer zurück.
Jan sah ihm entgegen, Holger ebenfalls von seinem ehemaligen Sitzplatz, genau wie die mittlerweile sehr nervöse Frau ihnen gegenüber. "Oh. Sind das die Bilder? Zeig mal her!" Voller Freude drehte Jan die Ausdrucke, versuchte etwas darauf zu sehen und tauschte sich fachmännisch mit Holger aus. Kai schwieg und starrte auf den geschmackvollen dunklen Fußboden. Er war im Schock. Diese scheiß Tini hatte ihn gelinkt und ihm ein 'Ding' angehängt! Und niemand kam und rief 'April, April', so wie in seinem letzten Traum.
Tini kam zu ihnen gehopst, stolperte Holger in die Arme und nahm Jan die Bilder ab, um sie noch einmal betrachten zu können. Freudig nickte sie der noch immer geschockten Frau zu, dann rief sie enthusiastisch "Nächstes Mal können wir vielleicht schon sehen, was es wird und einen Namen suchen!"
Giftig starrte Kai sie an und verkündete "Ich muss mich jetzt erst mal mit Alkohol und Antidepressiva beruhigen! Wenn mich die Tante da drin noch einmal 'der Papa' nennt, werd ich zum Mörder! Ich komm nie wieder mit! Bin ich froh, dass du erst mal weg bist. Scheiße!"
Holger blinzelte überrascht, dann grinste er "Nanu. War was, Tini?"
Sie schüttelte den Kopf und riss ein Bild von der Ultraschallserie ab und reichte es Kai zurück. "Nur normaler Schock, glaube ich."
Jan grinste nur blöde und verkündete "Siehste, dann ist es ja man nur gut, dass ich gekommen bin. War was?"
Kai verschränkte die Arme, so dass Jan das Bild von Tini nahm und beäugte. Die Frau ihnen gegenüber starrte auch schon wieder so dämlich und das reizte Kai zusätzlich. "Nein!" fauchte er endlich gereizt. "War nix, nur so ein Balg, das rumspringt und mich auslacht."
Darauf musste er sich von Holger auslachen lassen, während Jan der anderen Schwangeren die Autozeitung zurück gab und sie in eine spontane Unterhaltung über Kinderautositze verstrickte.
Tini zog sich derweilen ihre Strickjacke über und seufzte die Bilder an "Ist doch alles gut, Kai. 'Ding' ist gesund und das ist die Hauptsache." Sie nickte der Frau zu und ging Arm in Arm mit Holger aus der Praxis raus. Jan und Kai folgten ihr. Kai im Schock, Jan mit einem Ultraschallbild in den Fingern und blöde grinsend.
Den Weg zurück schlug Jan ihnen Babynamen vor. Lauter merkwürdige friesische Namen, von denen noch keine Sau gehört hatte und die Kai auch allesamt nicht gefielen. Tini schien sich leider irgendwie dafür erwärmen zu können.
Kai war verdammt froh, als sein Bericht über das Ultraschallgel der Ärztin Jan endlich wieder auf den normalen Weg brachte und zudem zu weitaus besseren Themen als ausgerechnet Babynamen. Da sie ihr Wiedersehen am Vortag so ausgiebig gefeiert hatten, bat Jan sich jedoch noch einen Tag Blümchensex aus. Kai wollte seinen Schock wegkuscheln lassen und stimmte ihm voll und ganz zu. Eigentlich waren sie sich beim Plan für den Abend dann ja einig. Erst kuscheln und für Jan dann Fußball und Party, für Kai dann schlafen und den Schock überwinden. Ihnen beiden kam bei diesen Plänen indirekt Henri in die Quere.
Felix lehnte schon in der Tür zu Leons Wohnung und blickte Kai entgegen. "Ah. Das passt gut. Ich hab grad noch eine Stunde Zeit."
Jan gab Felix die Hand, stürzte sich freudig lächelnd in eine Unterhaltung über Therapieformen und lud ihn zu ihrer Einweihungsfeier ein. Felix wiegte den Kopf. "Mal sehen. Vermutlich sind Leon und ich weg in der Woche. Er hat die Woche darauf den Eingriff und will vorher noch mal etwas ausspannen." Aufgeräumt blickte er zu Kai, der noch immer sauer und schockiert in der Tür lehnte. "Heute machen wir nur den letzten Teil, Kai. Jan nimmt die Sicherungen raus und wir sehen mal, wie du dich in der dunklen Garage schlägst."
Kai drehte das Ultraschallbild in den Fingern und blickte seufzend darauf. Es wäre schon besser, wenn er als Tinis Wunschvater für 'das Ding' wenigstens psychisch stabil genug war und sich nicht schämen musste. "Okay."
Jan nickte auch und blickte auf die Uhr. "Ich hab noch knapp zwei Stunden Zeit, dann bin ich zum Fußballspielen in der Uni verabredet."
Diese zwei Stunden hätte Kai viel lieber mit Jan allein verbracht, aber es war ihm nicht vergönnt. Stattdessen verkündete Felix. "Ich ruf Henri gleich mal an, ob er frei ist. Das war letztes Mal sehr gut mit euch beiden. Wir treffen uns in der Garage."
Kai schaffte es nicht mehr zu protestieren und so fand er sich einige Minuten später in der Garage wieder, in der Jan dann auf Felix' Befehl hin die Lichter ausstellte. Es wurde duster um Kai herum und erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass er das verdammte Ultraschallbild noch in den Fingern hielt.
Er seufzte und blickte in die Dunkelheit um sich her, aber dachte an die Aufnahmen auf dem Bildschirm. Tini und er hatten echt Scheiße gebaut! So richtige Scheiße, und es war nicht mehr zu leugnen, es war nicht weg zu wünschen oder als Alptraum abzutun. Das Ding, das aus der idiotischen Idee mit der Schocktherapie und unter Whiskeyeinfluss entstanden war, bewegte sich, es hatte ein eigenes, schlagendes Herz und es hatte ein Schicksal. Wütend über seine unsicher kippelnden Gefühle kniff Kai die Augen zu. Das Bild in seinen Fingern fühlte sich glatt und warm an, er schob es vorsichtig in seine Gesäßtasche, um es nicht mit schwitzigen Fingern zu ruinieren. Sicherlich wollte Tini das wieder haben.
Dann hörte Kai, wie ein Motorrad oben bei der Einfahrt angelassen wurde. Er hatte keine Angst. Er wusste, dass es Felix war oder Jan und ging auf die Helligkeit im Tor oben zu. Auch als das Motorrad an ihm vorbei fuhr, um in der Dunkelheit zu verschwinden, auch als es zurückkehrte, hatte er keine echte Angst mehr. Er atmete normal. Zügig, mit den Händen in den Hosentaschen und in Gedanken bei dem Bildschirm vom Ultraschall, bei dem zappelnden Ding und bei Tinis ehrfurchtsvoller Stimme. 'Toll, nicht?' Kai schüttelte den Kopf. 'Nein! Es war scheiße!' Es war absolute Scheiße, wie der Sex damals schon gewesen war. Er hatte es getan, wegen der Motorräder und das hatte er jetzt davon!
Kai kam oben an und hob überrascht den Kopf. Ja, in der Tat. Das hatte er davon. In Gedanken bei dem zappelden Ding und bei dem Miniaturherzen hatte er Felix, das Motorrad und die Dunkelheit gut ignoriert.
Hochgradig beeindruckt von seinem Therapieerfolg befahl Felix Kai nun wieder, in die Dunkelheit zurück zu gehen. Der finstere Rachen des Garagentors tat sich vor ihm auf. Schräg rechts darüber nestelte die Oma von Rechtsunten an ihren Blumen und starrte ihn und die anderen an. Kai verschränkte die Arme und ging zügig los. Er dachte an Felix' Atemübung und die Beruhigungsfiguren und brauchte kaum zu stocken, während er in die Dunkelheit und den scharfen Benzingeruch in der Garage eintauchte.
Als er unten angekommen war, pflückte er das Ultraschallbild aus seiner Gesäßtasche und drehte es in den Fingern. Das kleine Biest kam offensichtlich nach Tini und gab ihm schon jetzt Kraft auf eine Art, die ihm zugleich Angst machte. Dennoch hielt er das Bild an die kleine Notlampe beim Treppenaufgang in den Hausflur. "Danke, du Ding."
127
Das Licht flackerte überall in der Garage an und Henri kam mit Jan gemeinsam über die Treppen runter, hastig ließ Kai das Ultraschallbild verschwinden. "Henri? Muss das sein?" Das Sexgen rieb sich die Hände und freute sich unbändig. Die Vernunft war seit der Tiniaktion noch nicht wieder zum Leben erwacht.
Henri grinste Kai optimistisch an. "Wauwau will zuschaun, Kai. Und ich hab dir extra einen Termin freigehalten. Hey, das ist auf einem Montag nicht leicht für mich, da hab ich eigentlich immer viel zu tun."
Jan lachte in sich hinein und befahl Kai "Komm schon! Ich will Henris... Technik mal sehen und dich nackt dazu, das ist doch..."
Kai verschränkte die Arme. "Ich will das nicht. Es ist nicht angenehm, und ich bin echt schon fertig genug, und du weißt weswegen, Jan!" Leider musste Jan darüber noch mehr lachen.
Henri hob den Kopf. "Das hilft gerade gar nicht. Komm schon, Kai." Seine Finger gruben sich in Kais Schulter und er lächelte. "Ich massier dir nur die Schultern und lass dich ansonsten in Frieden. Nur zur Entspannung, versprochen."
Kai hmpfte und ließ sich in die Wohnung bugsieren. Jan folgte ihnen auf seinem Handy herum tippend, der Abend schien schon wieder zu viele Verlockungen zu enthalten. Diverse Partys wurden angekündigt, das Semesterende machte sich in fast allen Fachbereichen bemerkbar. Sie gingen zu ihrem Monsterbett ins Schlafzimmer durch, und Kai warf sein T-Shirt von sich, aber ließ die Hose an.
Das ließ Henri natürlich nicht zu. "Hosen runter, so wird das nix mit Entspannung, Kai."
Seufzend gehorchte Kai und warf seine Jeans auf Jans Seite vom Bett rüber. Jan ließ sich neben Kai auf der Bettkante nieder, aber Henri schickte ihn fort. "Da bist du gleich im Weg, Wauwau. Lass mich mal mein..."
Giftig starrte Kai ihn an. "Sag. Es. Nicht!" Jan musste schon wieder so doof lachen.
"Was ist denn an dem Wort 'Ding' so komisch?" Henri warf seine Lotion auf das Bett und entzündete eine mitgebrachte Kerze in einem kleinen Messingtopf, den er auf Kais Nachttisch platzierte. Ein schwerer Duft durchzog fast sofort das Schlafzimmer.
Kai rollte zu seiner Jeans herum und fischte das Ultraschallbild aus der Hosentasche. "Das."
Jan kicherte rum, während Henri das Bild in den Fingern drehte und anstarrte und nix raffte. "Was ist das?"
Jan lehnte sich dichter und tippte auf das Bild. "Schau, das ist der Kopf, da ist der Bauch und hier ist das Rückgrat ein wenig zu sehen."
Henri hob den Kopf und lachte los. "Scheiße! Kai! Herzlichen Glückwunsch. Ihr zwei macht ja voran. Aber... bist du nicht ein Mann?"
Jan lachte sich dermaßen kaputt, dass er vom Bett fiel und am Boden japsend liegen blieb, während Kai überlegte, wen er zuerst erwürgen wollte.
Henri lachte leise mit und legte das Bild auf Kais Nachttisch zurück, dann drehte er ihn an der Schulter weiter. "Dann mal auf den Bauch. Entspann dich ein wenig, etwas Zeit hab ich noch. Von wem ist denn das Bild?" Er trat sich die Turnschuhe von den Füßen und warf seinen Pullover von sich. Es war wirklich pervers, wie wohl sich Henri nackt fühlte.
"Tini. Die ist schwanger." Grummelig machte Kai sich lang und schloss die Augen.
"Wer ist das? Ach, ist das die wilde Freundin von Lena? Ja, ich erinnere mich gut an die. Die Schocktherapie mit dir hat also voll reingehauen? Aha." Vollkommen nebensächlich akzeptierte Henri diese Neuigkeit.
"Was weißt du denn schon wieder über die Geschichte?!"
Henris Finger griffen einige Male schmerzhaft fest zu, dann sagte er mit leicht strafendem Unterton "Kann ich nicht sagen."
Kai blinzelte. Hatte Tini mit diesem Henri? Auweia. Na warte, das würden sie aber mal besprechen, sie beide. Im nächsten Moment schon ärgerte Kai sich darüber, dass er so beknackt semi-spießig über Tini nachdenken musste. Sein Amt für besondere Erkundigungen stellte hingegen fest, dass er es sicherlich als pure Neugierde an anderer Leute Sexleben würde verkaufen können, während die Libido, die Henri bereits sachte hervorgelockt hatte, wegen der Gedanken an Tini vollkommen abgeturnt wieder verschwand.
Seufzend streckte Kai sich und schloss ergeben die Augen. "Ich frag sie selber, keine Sorge."
Danach ging Henri dazu über, mit Jan über die Muskeln zu quatschen und welche wo verliefen. Er hatte ein erstaunlich fundiertes Anatomiewissen. Kai war total beeindruckt, aber Henri wechselte rasch zu esoterischen Lehren hinüber. Er zeigte Jan welche Bahnen, Punkte und Leitungen er auf welche Weise ansprach mit seinen Berührungen, benannte Energiepunkte und begann mit einer Rede über den Austausch und Ausgleich von Kräften. Jan verglich dies mit seinen neuroanatomischen Kenntnissen. Kai war in diesem Moment nur noch ein interessantes Objekt für sie beide. Er döste vom Thema Neuroanatomie, das er eigentlich gern vergessen würde, bis er es laut Lehrplan wieder hervorkramen musste, ermattet und gelangweilt weg.
Im Hintergrund berichtete Henri murmelnd, dass er im Herbst bei einer Physiotherapie-Schule anfangen würde. "Mit der erotischen Massagegeschichte kann man nur so und so lange Geld verdienen und so sehr es mir Spaß bereitet, irgendwann mag ich den Sex dann doch lieber wieder mehr privat und für mich haben."
Jan war fasziniert. "Du hast echt dauernd Sex mit fremden Leuten?"
"Jein sollte ich jetzt sagen. Meist mache ich Massagen, oft eben Intimmassagen."
"Auch mit Männern?" Jan war auf Kais andere Seite gekrabbelt und hatte sich im Schneidersitz auf dem Bett niedergelassen und seinen Neuroanatomieatlas auf dem Schoss.
Henris Hände schoben sich gerade sehr angenehm an Kais Schulterblättern entlang, der davon eingelullt vor sich hin döste. Die etwas kratzige Stimme erzählte "Viel auch mit Männern, ja. Ich habe auch einige Heteromänner. Verheiratete oder liierte, die sich nicht trauen, ihre Frau um so eine Nummer zu bitten. Viele wollen vielleicht auch vor sich selber nicht dazu stehen, wie geil das ist."
Jan seufzte, dann gab er zu: "Das hat mich auch Überwindung gekostet."
"So sehr nach Überwindung hat das damals aber nicht ausgesehen, Jan", erinnerte Kai ihn, bevor er sich hätte abhalten können, weil er noch immer über das alberne Auslachen von vorher sauer war. Hastig kniff er die Augen z: "Entschuldigung."
Doch Jan lehnte sich dichter und sagte leise: "Nein... nein, darüber haben wir nie gesprochen, nicht? Es war Überwindung in der Nacht... total. Zugleich wollte ich dich so sehr... spüren, näher, mehr. Wärst das nicht du bei mir im Bett gewesen, ich hätte es vermutlich nicht gemacht." Seine Stimme wurde heiser, zusammen mit Henris Berührungen schuf es ein komisches Gefühl in Kais Kopf und Körper. Jan seufzte leise. "Wir waren zu hektisch damals, zu nervös. Ich wollte es wissen, aber auch irgendwie hinter mich bringen. Mit mehr Ruhe und mehr Informationen vorher, wäre das sicherlich besser geworden."
Henri nahm sich Lotion nach und strich sie auf Kais Armen entlang. "Informationen?"
Jan atmete einmal au: "Ja. Na ja. Sagen wir mal so, mit mehr Gleitgel."
Henri lachte etwas mitleidig. "Was habt ihr genommen?"
Kai hob den Kopf, als er sich erinnerte. "Die abgelaufene Apres Sun Lotion von deiner Mutter, Jan. War nicht so doll, oder?"
"Die war irgendwie mit kühlenden Beisätzen, hat ziemlich gebritzelt, das weiß ich noch."
"Das war sicherlich eine, wie sagt man? Interessante Erfahrung. Und ihr habt sie zusammen gemacht, das macht sie wertvoll." Henris Art, das Thema einfach als interessanten Inhalt für eine Unterhaltung während der Massage hin zu nehmen, nahm der Erinnerung den peinlichen Aspekt. Mit einem Mal fühlte Kai sich wohl bei dem Gedanken, dass Jan und er eben blöde Fehler gemacht hatten. Mit einem Mal machte Henri aus ihren ersten Schritten eine romantische Aktion.
Jan nahm die Romantik sogleich wieder fort. "Ja, war wohl insgesamt als interessant zu bezeichnen, wurde ab einer Weile aber auch endgeil obendrein, das weiß ich noch. Ich erinnere mich an diesen einen Augenblick noch ganz klar."
"Den Augenblick?" Kai stützte sich auf und sah seinen Freund an. Von seiner anderen Seite aus ließ Henri seine Handflächen ruhig und warm auf seinem unteren Rücken verweilen. Jan nickte leicht, aber Henri antwortete.
"Der Moment, in dem man spürt, dass es mehr ist als nur Mechanik, dass es etwas größeres und schöneres ist, als pures Reiben oder Reizen. Für mich ist das immer wieder eine Offenbarung, wenn ich mit einem Partner zusammen sein kann, mit dem ich mich wirklich verbunden fühle, tief innen."
Jan verzog den Mund, dann entgegnete er realistischer "Nö... bei mir war es nicht so etwas grandioses, das kam später. Bei diesem ersten Mal war es für mich eher der Schock, dass mein Körper nicht auf das steht, von dem ich ausgegangen war, dass er es will. Mein Körper wollte etwas anderes, er wollte Kai. Auf eine Art, die mir total unheimlich war. Ich war total verwirrt von mir selber, von diesem... neuen Gefühl." Jan warf sich auf das Bett und zupfte Kai an den Locken, dann flüsterte er "Und ich war verknallt ohne Ende, das ist immer schlimmer geworden in dieser Nacht."
Kai spürte wie er rot wurde. Er konnte sich schlecht rühren, daher musste er Jans Blick und Gesichtsausdruck nicht sehen, aber schämte sich trotzdem so allmählich für diese Offenheit. Zugleich war er total glücklich in diesem Moment, dass Jan so zu seinen Gefühlen stand, so warm über die Erinnerung an diese doch holperigen, ersten Zeiten zusammen sprach.
Henris kräftige Finger wanderten seine Wirbelsäule hinunter in Richtung Poansatz, wo er verweilte. Dankbarerweise umging er das Thema Gefühle zu Gunsten vom Thema Sex. "Irgendwie ist es schon lustig, dass man sich zu solchen Dingen wie Analsex und wie er geht, noch so sehr informieren kann, es wird nicht besser beim ersten Mal. Man bleibt nervös, man macht Fehler."
"Und selber? Du hast doch sicherlich voll die Erfahrung mittlerweile. Gibt es etwas, das du nicht tust, Henri?" Geschickt lenkte Jan die Sexplage wieder von ihrem Privatleben ab.
Henri lachte leise. "Es gibt so vieles, das ich nicht gemacht habe, vieles, das ich vermutlich nie machen werde. Beruflich bin ich sehr zurückhaltend. Es ist schon Sex, es ist intim. Ich mache es aber nur mit den Händen."
Kai hob den Kopf. "Du schläfst also nie mit... äh... Kunden?"
Henri lachte. "Nie. Hin und wieder bekomme ich das Angebot, oder welche wollen mich unbedingt dazu überreden, aber das behalte ich mir vor für den Menschen, mit dem ich mich wirklich verbinden will."
Komischerweise half diese Ansicht der Dinge Kai auch dabei, Henri besser aushalten zu können. Die kleine, blonde Sexplage wurde dann aber dem Ruf wieder gerecht und versetzte Kai tatsächlich irgendwie leicht und nebensächlich in den unwillig erregten Zustand, den er beim letzten Mal auch erlitten hatte. So nach und nach fühlte er sich wieder unangenehm angeturnt und versteifte sich. Dieser verdammte Henri wusste echt, was er zu tun hatte.
Nach einer Weile kehrte Henri seine Berührungen um und strich nur noch sachte, wärmend über Kais Schultern, bis dieser vollkommen benommen im Bett lag. Jan war irgendwann an seinen Computer gewandert und sah nach seinen Mails. Wegen der bevorstehenden Feier und sehr wahrscheinlich auch wegen seinem Outing durch Thilo hatte er sich vermehrt mit seinen Schulfreunden ausgetauscht. Sicherlich oft in Form von Mails, in denen wer vorsichtig nachfragte, ob Jan tatsächlich schwul geworden sei. Henri streichelte Kai den Stress irgendwie weg und er wurde schwer und müde davon, und so war er auch ganz glücklich, als Jan, eine Weile nachdem Henri sich verabschiedet hatte, auch mit Holger zu seinem Fußball abtrabte.
Kai war gerade so richtig schön am weg dösen, als das Telefon klingelte. Genervt blickte Kai auf die Nummer und erwartete einen hysterischen Lolli oder eine total nervige Tini. Aber es war ein peinlich berührter und grummeliger Jörg. Kai blinzelte erstaunt an die Zimmerdecke. "Guten Abend, Jörg." Er konnte sich selber anhören, dass er nicht glauben konnte, dass sein Cousin und er miteinander telefonierten.
Jörg schnaubte, aber fragte ohne Einleitung "Was hast du für Erinnerungen an unsere Kindheit? Hast du was Gutes behalten von damals?"
Verwirrt starrte Kai an die Decke hoch und Jörg unterbrach ihn hastig, indem er erklärte "Imkes Freunde machen eine Hochzeitszeitung und haben Fotos von dir gefunden, von uns. Wir beide auf der peinlichen Hollywoodschaukel, als ich noch das Karnickel hatte, das uns immer vollgepisst hat. Wir beide bei Martina und Norbert im Garten, als ihr noch diese geile Wippe hattet, die man so lose schrauben konnte, dass die im Kreis rum ist, weißte das noch?"
Kai lachte. "Ja, das Teil war echt lustig. Das weiß ich noch. Bin ja auch oft genug da runtergefallen." Er hob den Kopf. "Ich erinnere mich noch an den Nachmittag nach der Einschulung, als wir beide unsere Schultüten ausgekippt und bewertet und vernichtet haben."
"Boah, mir war übel! Das weiß ich auch noch." Jörg lachte. "Beide gleich am zweiten Schultag krank. Das ist eine gute Geschichte, die sag ich denen." Er seufzte leise auf. "Übrigens, danke, dass du eine Tussnelda mitbringst. Die Hochzeit wird auch so ätzend genug für mich mit der fetten Braut und so. Meine scheiß Kollegen lachen sich seit Wochen tot."
Sozial gestimmt nickte Kai dazu. Wie man sich damit fühlte, konnte er nun echt nachempfinden. "Dafür nicht. Renate mag gern tanzen und steht auf Hochzeiten, war ihre Idee."
"Ich hab dir voll zugetraut, dass du mir die Hochzeit zur Hölle machst mit dem perversen Arsch, den du neulich dabei hattest. Der soll laut Norbert ja der totale Bringer sein. Norbert steht auf deinen... Freund, das muss man gehört haben, um es zu glauben. Vater ist im Schock deswegen. Spielt der echt Fußball?"
Kai grinste. Ein schockierter Onkel Rolf war nicht zu verachten. Dessen träge, lahmarschige Art hatte Kai immer schon genervt. "Jan spielt an vier Tagen in der Woche. Der Verein bezahlt ihn sogar dafür. Außerdem ist er seit dem letzten Sommer Trainer für die C-Jugend."
"Ich werd verrückt. Ein Schwuchtelfußballer? Was sagen die anderen im Team denn dazu?"
Kai kniff die Augen zusammen. Gerade hatte er Jörg beinahe sympathisch finden wollen. Er hörte seiner eigenen Stimme die Kälte an, als er ihm eine Abfuhr verpasste. "Jan ist ein verdammt guter Stürmer und Trainer. Was er privat tut und lässt, geht das Team nichts an und interessiert sie auch nicht. Und dich auch nicht, Jörg! Wenn auf der Hochzeit bescheuerte Witze gemacht werden von dir oder deinen Feuerwehrtypen, dann kann ich bei Renate übrigens für nichts garantieren. Auf so etwas reagiert die allergisch." Kai war sich nicht sicher, ob das so war, aber Renate konnte fies streng werden, das wusste er.
Jörg wiegelte sofort ab. "Hey, ist ja gut. Imke ist auch hyperallergisch bei so etwas und die ist wirklich gefährlich. Seit der letzten Hormonkrise macht die mich echt fertig. Jetzt ist es raus, dass es ein Mädchen wird, und sie will sofort alles im Kinderzimmer in so einem Schweinerosa streichen. Ich muss bald kotzen, aber ich komm nicht gegen sie an. Ich sage dir, Kai, du weißt nicht, wie gut du es hast, dass dir diese Scheiße mit der Schwangerensache erspart bleibt."
Kai drehte das Ultraschallbild in den Fingern und verdrehte die Augen. "Ja, da hab ich unheimlich Glück", meinte er trocken und bedankte sich bei Jörg für die Unterhaltung, um ihn los zu werden, gab ihm das Recht, diesen Kindheitsmist in die Hochzeitszeitung reinzunehmen und ließ dann sogar in sozialer Stimmung Hella und Rolf grüßen, auch wenn die beiden ihm eigentlich nicht wichtig waren.
Als er aufgelegt hatte, blieb er mit geschlossenen Augen liegen und versuchte sich an seine Kindheit zu erinnern. Mal wieder fiel ihm auf, dass alles, was er in seinen Erinnerungen sah, noch immer von dem schockierenden Tag im Oktober überschattet war. Von der Erinnerung an den Tag, an dem sein Vater ausgerastet war, weil er Pascal geküsst hatte. Kai schlief mit dem Ultraschallbild in den Fingern ein, was ihm in der Nacht einen peinlich blöden Spruch von Jan einbrachte. Da er am nächsten Tag frei hatte, verschlief er gemeinsam mit einem durchgefeierten Jan, der am nächsten Vormittag auch immer noch einen leichten Kater und Muskelkater hatte und verkündete, dass dieser Unisport noch einmal sein Tod sein würde.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.