zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Trost 2

Kapitel 177-181

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

177

Die Fahrt über feilte er an Reden für seine Eltern. Für seine Mutter vielmehr. An seinen Vater wagte er bei dieser Neuigkeit nicht einmal zu denken. Nervös eierte er auf der Landstraße entlang und überlegte, ob er Ding als Unfall, Überfall, Glücksfall oder doch eher Freundschaftsdienst für Tini oder vielleicht Schicksalsschlag verkaufen sollte. Alkohol war auch eine Idee. Durfte er alles darauf schieben?

Vor dem Haus seiner Eltern parkte er ungefähr vier Mal ein, bevor die Seekuh gerade stand. Müde betrachtete er den Zwerg Norbert im Vorgarten. Der schob eine Ladung Petunien, die in üppigem Rot über den Rand seiner Karre wucherten und Kai an Tini denken ließen. Seufzend stieg er aus und streckte sich.

Im nächsten Moment passierten zwei Dinge gleichzeitig. Seine Mutter erschien in der Tür, mit altem T-Shirt zu Gartenshorts und geblümten Holzclogs und hinter Kai tauchte Tini mit Holgers Geländewagen in der Straße auf. Sie parkte schwungvoll hinter Kai am Straßenrand, halb auf dem Bürgersteig und hangelte sich aus dem Wagen auf die Straße runter. Ihr Bauch sah noch umfangreicher aus, weil sie die Strickjacke abgelegt hatte.

Kai blickte zwischen seiner Mutter und Tini hin und her und blinzelte dumm. Dann entschied er sich für eine Verschiebung der Probleme und ging die Stufen zu seiner Mutter hinauf. "Bestanden", begrüßte er sie und blickte ihr nervös ins Gesicht.

Sie lächelte und schwenkte den Sahnelöffel. "Natürlich! Jan auch?"

Kai nickte stumm.

Forschend blickte sie ihn an und dann zu Tini rüber. "Geht es dir gut?"

Er nickte erneut, fühlte Panik aufsteigen, die Worte, die eigentlich so leicht sein sollten, blieben weg. Hastig winkte er Tini. "Gibt es Kuchen? Kann Tini bleiben?"

"Natürlich. Es gibt Kirschstreusel mit Baiser, ich hab den gerade fertig bekommen. Habe nicht so früh mit dir gerechnet... mit euch, meine ich." Verwirrt haderte seine Mutter zwischen Neugierde und Erziehung. Dann reichte sie Tini die Hand: "Geht es dir gut, Tini?"

Energisch nickte Tini und grinste froh: "Sehr gut, danke. Ich habe auch bestanden."

"Herzlichen Glückwunsch." Sich offensichtlich nicht sicher, wie sie nachfragen sollte, blickte Martina von Kai zu Tini. Dann gab sie sich einen Ruck: "Ich muss noch die Sahne schlagen. Kommt mit durch."

"Ich wasche mir rasch die Hände, Mama!", rief Kai ihr nach, seine Finger gruben sich in Tinis Oberarm.

Sie flüsterte ihm lauter als notwendig zu: "Was soll das?!"

"Was?! Das ist ja wohl mein Text!"

Wütend starrte er sie an und nickte in Richtung Flur, wo die schmale Tür mit Aufschrift 'WC' die frisch gestrichene Flurtapete unterbrach.

Tini stockte, blinzelte, dann sagte sie falsch fröhlich: "Ich wasch auch rasch die Finger, war so heiß im Wagen!"

"Wir essen gleich auf der Terrasse!", rief Kais Mutter, genauso falsch fröhlich zurück und runzelte verwirrt die Stirn.

Kai stopfte Tini vor sich her in das kleine Gäste-Bad unter der Treppe. Die Schräge von der Treppe im Nacken starrte er sie im Spiegel an. Tini hatte rote Wangen, aber grinste unbesorgt zurück. Kai drehte das Wasser voll auf und zischte im Schutz des Rauschens: "Was machst du hier?"

"Ich helfe dir!"

"Bist du verrückt geworden?!"

"Nein! Denk nach!"

"Ich kann nicht! Hab schon zwei Herzinfarkte gehabt und sterbe gleich!"

"Mann, krieg dich ein, Kai! Wenn sie es sehen, glauben sie es auch!" Bezeichnend umfing sie ihren Bauch.

Hastig versuchte Kai zurück zu weichen und stieß sich an der Schräge den Kopf: "Das wird auch ohne dich scheiße genug, verdammt!"

Sie stellte das Wasser aus und trocknete sich die Finger ab: "Alles wird gut, Kai. Vertrau mir."

Sie ließ ihn nicht wieder zu Wort kommen, sondern ging mit raschen Schritten voran in Richtung der Küche, wo der Handmixer dröhnte.

Kai folgte ihr mit wackeligen Knien. Im Vorbeigehen warf er einen Blick in den Flurspiegel. Es lag vielleicht an der dämmrigen Beleuchtung im Flur, aber er sah nicht gut aus. Eher so, als hätte er eine akute Lebensmittelvergiftung. Der leichte Grünton seines Gesichts biss sich außerdem mit dem Hellgrün der Regenjacken an den Garderobehaken. Mit etwas Verspätung wurde Kai klar, dass seine Eltern Jacken im Partnerlook dort hängen hatten, nagelneue mit Preisschildern daran.

Etwas angewidert und vorübergehend nicht mehr um die Unterhaltung besorgt trat er in die Küche, wo seine Mutter mit ihrem uralten Geizhals die Sahne aus der Rührschüssel in eine Kristallschale schob. Statt mit Entschuldigungen und Ausflüchten zu beginnen, maulte er seine Mutter an: "Mama, ihr habt Partnerlook gekauft?! Echt jetzt?!"

Sie blinzelte ihn an, dann lachte sie und schüttelte den Kopf: "Nein, keine Sorge, Schatz. Das sind die Jacken von Hella. Sie hat zwei Größen gekauft, weil ihre Diät nicht so gut läuft. Ich sollte sagen, welche besser passt und dann hat sie beide hier vergessen."

Erleichtert nahm Kai die Kristallschale entgegen. Im nächsten Moment wurde ihm klar, dass er sich selber mit der Ablenkung ein wenig ausgetrickst hatte, der Moment des Geständnisses war vorbei gerauscht. Mist!

Tini erhielt einen Tortenheber und die Kanne Milch, Martina sah sie beide an, dann fragte sie mit einem knappen Nicken in Richtung der rotgeringelten Boje vor Tinis Körper: "Ich wusste gar nicht, dass du schwanger bist. Wann ist es denn soweit?"

Tini holte Luft, Kai kam ihr zuvor: "Vierzehnter November."

Tini schloss den Mund wieder und nickte: "November erst. Noch etwas hin", bestätigte sie.

Martinas Blick glitt von Kai zu Tini zurück: "Ah, war nicht geplant, oder?"

Kai kam Tini wieder zuvor: "Nein. Unfall!"

Martinas Blick huschte zu seinem sicherlich knallroten Gesicht, dann zu Tini zurück. Unsicher blinzelte sie ihn an, dann fragte sie Tini zögerlich: "Mädchen oder Junge?"

Tini begann: "Es wird..."

"Junge!" Gereizt kniff Kai die Augen, als er seine Mutter zusammenzucken sah. Die Schale wog mit einem Mal viel in seiner Hand, als er den Blick hob und seine Mutter direkt ansah: "Es ist so..., es..., er mein ich..., ist von mir. Ihr werdet also doch Großeltern." Hilflos blinzelte er seine Mutter an und wich vorsichtshalber einen halben Schritt zurück.

Im nächsten Moment war Kai sehr froh, dass er die Kristallschale hielt und nicht sie. Seine Mutter ließ Geizhals und Rührschüssel mit unnatürlich lautem Scheppern zu Boden fallen: "Was?!"

Tini und Kai starrten sie an, sie starrte mit weißem Gesicht zurück: "Was?"

"Was?!"

"Was was?"

Tini musste hysterisch kichern und Kai boxte ihr herzlos in die Rippen.

Zugleich begannen sie alle drei hektisch zu reden: "Es war ein Unfall..."

"Es war meine Schuld..."

"Bist du verrückt geworden?!"

Kai holte Luft, aber Tini kam ihm dieses Mal zuvor: "Nein, nein. Es war... ein Versuch zwischen uns. Ich hab ihn darum gebeten, wir haben nicht... "

"... aufgepasst", vollendete Kai mit unruhigem Seitenblick auf Tini.

"Wann hattest du vor, mir das zu beichten?!"

"Heute?", unsicher blickte Kai zwischen Tini und seiner Mutter hin und her.

Tini sprang ein: "Die bestandene Prüfung war eben ein guter Termin." Ihr Lächeln wirkte mit einem Mal verzweifelt und krampfhaft.

Martina erwiderte das Lächeln nicht, sondern wandte sich an Kai zurück: "Du wolltest mal eben von einem Kind berichten?! Mal eben?!"

"Mama...", Kai suchte nach Worten, fand keine und brach wieder ab. Seine Mutter presste die Lippen zusammen, am Hals konnte er ihren Puls sehen. Ein schneller, harter Rhythmus. Sie starrten einander an, und er hob unsicher die Schultern, konnte nichts zu seiner Verteidigung hinzufügen.

Einige Atemzüge sagte niemand etwas, nur die Küchenuhr tickte unnatürlich langsam im Hintergrund weiter. In der Flasche Apfelsaft auf der Fensterbank ersoff eine der späten Wespen. Kai konnte ihr gut nachempfinden, wie sie sich gerade fühlte. Das Atmen wurde ihm schwer.

Tini brach den Bann, als sie aus der Spüle einen Lappen nahm und erstaunlich beweglich begann, die verspritzte Sahne aufzuwischen. Hastig, um etwas zu tun zu haben, rettete Kai der Wespe das Leben, indem er sie samt etwas Saft in die Spüle kippte. Ein leiser erstickter Laut brachte ihn zum Zusammenzucken. Kai fuhr herum und starrte seine Mutter an, die eine Hand an ihren Mund gepresst hielt. Wie in Zeitlupe sah er zu seinem Entsetzen, dass sich ihre Augen mit Tränen zu füllen begannen.

"Mama...", begann er noch einmal hilflos, aber sie zuckte nur zusammen, sah einmal orientierungslos im Kreis herum, dann schob sie sich an ihm und Tini vorbei. Mit leiser, flacher Stimme stieß sie hervor: "Ich muss mich umziehen. So kann ich vor euch doch nicht am Kaffeetisch sitzen!" Sie stürzte aus der Küche. Eine gefühlte Ewigkeit später knallte die elterliche Schlafzimmertür.

Betreten sahen Kai und Tini sich an. Sie hoben beide zugleich die Schultern, in zugleich hilfloser Geste: "Das", meinte Tini endlich und nahm die Sahneschale und die Milchkanne erneut auf: "Das war ein wenig unerwartet." Abrupt knallte sie Kanne und Schale wieder auf den Tisch: "Verdammt noch mal! Warum?! Warum, zum Kuckuck? Ich versteh es nicht mehr!"

Erschrocken blinzelte Kai und sah zwischen der offensichtlich wütenden Tini und dem leeren Flur hin und her. Sollte er seiner Mutter folgen? Wollte er wissen, warum Tini jetzt sauer war? Hatte er eine Wahl? Er brauchte nicht zu fragen. Natürlich hatte er keine Wahl.

Tini ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen und schob mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht. Ihr Kinn wirkte nicht mehr so spitz, fiel Kai mit einem Mal auf, ihre Augen strahlten, sie wirkte nicht mehr so nervös und hektisch. Erstaunlich, aber es schien, als bekäme es ihr gut, schwanger zu sein: "Ich bin es leid, Kai! Ich mag echt nicht mehr die Einzige sein, die sich auf Kaspar..."

"Ari!" Er hatte schärfer verbessert als gewünscht und sie zuckte kurz zusammen.

Seufzend nickte sie: "Ari", gestand sie ihm dann zu: "Ich bin es leid, die Einzige zu sein, die sich auf ihn freut. Dass du erst einmal sauer bist, oder ..., nicht so doll froh, das war mir klar. Meine Eltern, klar. Holger wollte lieber eigene Kinder, klar. Seine Mutter war etwas genervt, weil schon die letzte Freundin in Sachen Kindern Stress gemacht hatte. Ja, klar. Aber... aber deine Mutter? Das ist gemein..,. das ist so...", unstet holte sie Luft: "... unendlich unfair und gemein."

"Tini." Kai blinzelte aus dem Fenster und stockte. Sein Vater kreuzte mit einer Rolle Draht in den Händen sein Blickfeld. Hastig setzte Kai sich zu Tini an den Tisch und reichte ihr ein Küchentuch: "Hör mal. Ich freu mich... auf komische Art."

"Wie?" Tini tupfte ihre Augen und putzte sich die Nase.

"Na ja. Es ist stressig, es kostet Geld, es... ist mir unheimlich..."

"Du hasst es, Kai. Gib es doch zu."

"Nein! Ich bin nicht in Ekstase, okay, aber..., aber irgendwie ist Ari mein Kumpel. Wir werden miteinander klar kommen. Ehrlich. Außerdem freut Jan sich wie blöde."

"Dein Kumpel?!" Sie starrte ihn an, als sei er verrückt geworden.

Kai senkte den Blick auf das geblümte Wachstuch: "Er hat mir geholfen, mich von dieser Panik bei Dunkelheit und Motorrädern zu befreien. Wegen ihm wollte ich... stark sein."

Mit riesenhaften dunklen Augen blickte Tini ihn an, dann legte sie die Finger über Kais Unterarm: "Oh mein Gott! Das ist so..."

Sie sahen sich kurz in die Augen, aber Kai senkte den Blick und entzog ihr den Arm hastig: "Blöd, ich weiß."

"Nein! Das ist doch nicht blöd! Das ist toll! Du machst immer, dass ich mich so, so gut fühle!" Sie lachte leise und schüttelte den Kopf.

"Ja, was auch immer. Was machen wir jetzt?"

"Wir werden alles durchstehen, nicht? Zusammen, oder?", Tini blinzelte ihn gefühlsduselig an.

Wieder blickte Kai einer Frau in Augen, die sich mit Tränen füllten: "Was bleibt mir auch über, Tini! Wir sitzen drin."

"Aber gemeinsam, Kai, das ist mir wichtig. Danke, dass du zu mir hältst."

Hastig nickte er, tätschelte ihre Schulter, reichte ihr ein weiteres Küchentuch und stand auf: "Ich muss mit meiner Mutter reden."

Tini erhob sich ebenfalls, wischte sich die Augen und nahm zum dritten Mal Sahneschale und Milchkanne auf. "Ich geh in den Garten", sagte sie bestimmt.

Kai stand schon vor der Schlafzimmertür und hob die Hand, um anzuklopfen, als Tini auf dem Weg durch die Terrassentür noch hinzusetzte: "Dann übernehme ich gleich deinen Vater, er hat gerade die Autos vor der Tür entdeckt." Rasch lief sie davon, der Perlenvorhang vor der Terrassentür klimperte passend energisch und Kai starrte verzweifelt hinter ihr her, fragte sich, ob sein Leben gleich zu Ende sein würde, und ob er sich einfach rasch zur Vordertür raus stehlen und die Flucht ergreifen sollte.

Stattdessen klopfte er an die Schlafzimmertür, öffnete sie einen Spalt und blickte vorsichtig um die Ecke. Seine Mutter hockte auf dem Bett, einen Shortsanzug in der einen und ein Taschentuch in der anderen Hand.

"Mama?"

Sie hob den Blick und schnüffelte leicht: "Das war ernst eben, ja?". Sie blinzelte zum Fenster raus und meinte: "Ich fühl mich, als ob eben nicht die paar Momente, sondern gleich zehn Jahre vergangen wären." Sie senkte den Blick auf ihre eigenen Hände: "Großmutter...". Nur ein ungläubiges Flüstern.

Kai nickte und trat unsicher dichter. Sie nahm ihm die Entscheidung, wie er an die Sache herangehen sollte, nebensächlich ab. Energisch stand sie auf und trat in das angrenzende Badezimmer. Sie ließ die Tür auf, so dass er sie gut hören konnte.

"Ich hab gewusst, dass du mir etwas verheimlichst, Kai. Es war meine Hoffnung, dass es mit Geld zu tun hat."

"Geld?"

"Natürlich Geld, das ist doch meist das Problem." Sie blickte, in BH und Unterhose bekleidet, um die Ecke. Die Unterwäsche passte zu ihr, sportlich geschnitten. Kai musterte unwillkürlich ihren Bauch mit der kleinen Gallen-OP-Narbe und der etwas größeren Narbe von der Gebärmutterentfernung gleich nach seiner Geburt. Der restliche Bauch bestand aus einem Muskelrelief, wie er es bei einer Frau in ihrem Alter kaum erwarten würde. Aber seine Mutter war verdammt fit, schon immer gewesen. Sie wandte sich ab und hangelte sich in den hellblauen Shortsanzug.

"Du bist immer sehr gut gekleidet. Die Bücher für das Studium sind nicht gerade billig. Du musste dauernd zum Friseur, wegen der Locken, und dein Shampoo, und die anderen Sachen, die du im Bad stehen hast, sind auch nicht gerade billig. Ich dachte, dass du uns einen Job verheimlichst, der dir das Geld dafür eingebracht hat."

Kai riss die Augen auf und er ließ sich kraftlos auf das Bett fallen: "Scheiße!"

Seine Mutter tauchte erneut in der Tür auf. In einer Hand hielt sie ihre Wimperntusche: "Wie bitte?!"

"Ich mein, tut mir leid, ich..., du hast Recht."

"Wie bitte?!" Sie trat wieder zurück und begann mit geübten Bewegungen, ihre Wimpern zu tuschen. "Was willst du mir damit sagen, Kai Hellmann?"

Kai atmete tief ein, dann wieder aus und hob endlich den Kopf: "Ich arbeite als Bartender in einem Café, das am Abend auch Cocktails ausschenkt."

"Hm. Das wusste ich doch." Mit energischen Bewegungen bürstete sie ihre Haare noch stürmischer zurecht.

"Der Job ist gut bezahlt, das Trinkgeld stimmt, der Chef ist nett. Aber...", Kai zögerte.

"Aber?", Kais Mutter legte die Bürste fort und nahm weitere Schminksachen auf.

"Er hat mich gebeten als Fotomodel für die neuen Cocktailkarten zur Verfügung zu stehen. Dafür hab ich ziemlich viel Geld bekommen."

"So? Sind die Bilder gut geworden?" Der Stolz in ihrer Stimme ließ ihn überrascht aufblicken und sie fügte an "Du bist schon immer so hübsch gewesen, Kai. Aber in letzter Zeit, seit du dir sicherer bist, ist es noch deutlicher, du strahlst richtig."

"Na ja. Die Bilder sind gut geworden, sind jetzt auch auf den Karten und anderen Sachen vorn drauf." Er sah sie angespannt an. "Ich musste für die Bilder nackt sein, das war das Problem."

Seine Mutter verharrte mit einem kleinen blauen Pinsel in der Hand vor dem Spiegel. "Nackt?"

"Man kann nichts sehen, ich meine von... du weißt schon."

Sie hob die Augenbrauen, dann pinselte sie ihre Lider hellblau an. "Hast du uns die Bilder mitgebracht?" Sie lachte leise. "Du bist doch sonst immer so schamhaft, Kai. Ich weiß noch, wie wir mal am FKK-Strand baden wollten, da warst du so zehn. Hast dich nicht mal aus dem Auto bewegen lassen. Kann mir gar nicht vorstellen, dass du so etwas mitgemacht hast."

"Hm. Beim Shooting war ich ziemlich angetrunken und Leon hat mir nachher für die Bilder so viel Geld geboten, dass ich nicht nein sagen konnte. Ist auch besser so, wegen..., na ja, wegen Ari."

"Ari?"

"Das Baby. Es wird ein Junge, wir haben uns darauf geeinigt, dass er Ari heißen soll. Kurzform von Ariel, nicht so kitschig und es passt gut zu...",Er zögert: "... zu Hellmann."

"Wie?"

"Tini ist mit ihrem Freund am Zusammenziehen. Holger, den kennt ihr von meinem Umzug. Aber sie will, dass Ari meinen Nachnamen trägt."

"Warum?", seine Mutter trat zu ihm und zog ihre schwarzen Sandalen unter dem Bett hervor. Noch vornüber gebeugt sagte sie mit einem Mal: "Sag es nicht! Sie will sicher gehen, dass du dich nicht aus der Verantwortung ziehst." Sie richtete sich auf, ihre Augen blitzten angriffslustig: "So haben wir dich nicht erzogen!"

Kai senkte den Kopf: "Nein. Natürlich nicht. Ich steh dazu, ich werde ihn mit hüten und so. Ich hab vor ein paar Wochen beim Amt die Vaterschaft anerkannt."

Martina schnaubte einmal, dann meinte sie brüsk: "Und jetzt? Brauchst du doch Geld?"

"Nein. Nein!"

"So?"

"Echt, Mama. Es ist durchgerechnet. Mit dem Job in der Bar kommen wir lang. Tini arbeitet auch und verdient nicht schlecht. Ihre Eltern sind leider... ". Er hob die Schultern. Es war schwierig, das nett zu formulieren.

Martina ließ sich neben ihn auf dem Bett nieder: "So. Ihre Eltern sind sauer, nicht wahr? Das kann ich mir gut vorstellen! Nicht verhüten! So haben wir dich auch nicht erzogen, Kai!"

Fast erwartete er, dass er am Ohr gezogen wurde. "War so eine Moment-Geschichte. Tini ist sehr energisch und war in mich verknallt und...", unsicher endete er: "... außerdem spielte Whiskey-Cola eine ziemlich große Rolle."

"Mit der musst du aufpassen, Kai. Deinen Namen, hiermit herein schneien, die Art, wie du jetzt schaust." Sie stand auf und blickte auf ihn hinunte: "Das wird nicht leicht, sag ich dir." Sie schüttelte den Kopf. "Kaum zu glauben, aber damit hab ich nicht gerechnet. Ein Junge, sagst du?"

"Hm. Sieh es doch so. Jetzt kannst du Hella mächtig einen verpassen!"

Martina hob die Hand an ihre Stirn. "Das hätte ich fast vergessen, Kai! Das Baby ist da. Die kleine Maus heißt Laura. Sie ist so niedlich, für ein Kind von Jörg, aber war ein ganz schöner Brummer. Die arme Imke hatte wohl gut zu tun, die zur Welt zu bringen."

Kai stand auch auf und wandte sich der Tür zu: "Oh Gott, keine Details bitte. Mir reicht Tini schon mit ihren ganzen Geschichten. Sie hat mich gezwungen, zu ihren Hebammen zu gehen. Die Hölle!"

"Und?"

"Na ja. Am Ende hat sie sich für einen schwulen Geburtshelfer entschieden."

"So etwas gibt es?"

Kai erzählte von den Hebammen der letzten Wochen und von ihrem Geburtshelfer Markus, während er mit seiner Mutter durch die Küche in Richtung Terrasse ging. Er brachte seine Mutter tatsächlich ein wenig zum Lächeln. Lachen konnte sie nach dem Schrecken wohl leider noch immer nicht.

Aber ein Lachen ließ ihn und seine Mutter aus ihrer Unterhaltung aufschrecken. Es war das von Norbert. Kai und seine Mutter wechselten einen Blick, dann stürmten sie zugleich zur Terrassentür, so dass Kai stocken und zurück treten musste, um seiner Mutter den Vortritt zu lassen.

Sie starrte Norbert an, der mitten auf dem Rasen stand, Tini anstrahlte und das hellblaue Babybuch in der Hand hielt. In der anderen Hand hatte er eine Reihe Ultraschallbilder ausgeklappt, mit denen er seiner Frau zuwinkte.

"Schatz, hast du das gehört? Wir werden doch Großeltern!" Er strahlte Tini noch einmal an: "Und nicht nur das, nein! Es wird ein Junge!" Er grinste und stieß mit dem Zeigefinger in die Luft: "Und! Und, er wird unseren Namen tragen." Wieder lachte er: "Das will ich gleich mal meinem lieben Freund Horst erzählen. Der wird grün! Grün sag ich dir!"

Ein festes Klopfen auf Kais Schulter. "Gut gemacht, Junge. Ich hol uns gleich einmal den teuren Schnaps aus dem Keller." Schon stiefelte Norbert zur Küche.

Martina folgte ihm: "Nolle? Ist alles in Ordnung mit dir?"

Was er antwortete, konnte Kai nicht mehr verstehen. Verwirrt starrte er von der Tür zu Tini zurück, die grinsend auf dem Rasen stand: "Wie hast du das gemacht?"

"Es war leicht. Er hat mir die perfekte Vorlage geliefert. Als er den Bauch gesehen hat, hat er sofort davon angefangen zu lamentieren, dass er neidisch sei, dass Jörgi jetzt die nächste Generation angesetzt habe und Horst ihn damit aufzieht, dass er nichts wird beitragen können. Da konnte ich ihn beruhigen und ein wenig erfreuen, wie man sieht."

"Ein wenig? Ein wenig?! So froh ist Norbert sonst nur, wenn Deutschland die Fußballweltmeisterschaft gewinnt, Tini!" Verwirrt ließ Kai sich auf seinen Stammplatz am Kaffeetisch plumpsen.

Sie lachte und ließ sich neben ihm nieder: "Endlich ist mal wer nicht sauer auf mich. Kai, ehrlich, das habe ich mir langsam auch mal verdient. Sie scheinen es gut aufzufassen. Deine Ma hat sich auch beruhigt, nicht?"

Das hatte sie. Augenscheinlich fest entschlossen, ihrem Mann nicht die Freude und den Triumph zu ruinieren, lächelte Martina und goss Kaffee und Sahne in Tassen, verteilte Kuchenstücke und knirschte derart hörbar mit den Zähnen, dass Kai ungemütlich auf dem Stuhl ruckelte.

Es war dennoch merkwürdig, so zusammen zu sitzen. Norbert blöde grinsend und Martina gefährlich still. Beide beäugten Tini. Er froh. Sie strafend. Endlich, nach einem Wiederbelebungskaffee, blinzelte sie dann schließlich zaghaft die Ultraschallbilder an und schaffte nach zwei weiteren Tassen starken Kaffee schließlich doch ein Lächeln und die Mitteilung, dass sie den gewählten Namen nett fand.

Norbert war wie ausgetauscht. Er und Tini plauderten ohne Unterbrechung über Kinderwagen, Kindermöbel, Farben und Lacke mit Ökosiegel und Tinis Pläne vom Umzug in das renovierungsbedürftige Haus. Und schwuppdiwupp hatte Norbert schon seine Dienste beim Renovieren angeboten. Außerdem hatte er Martina mit eingebunden, als der verwilderte Garten zur Sprache kam.

178

Kai hockte geschockt am Gartentisch seiner Eltern, ließ sich für die bestandene Prüfung nebenbei und für die Erzeugung des Sohns vorneweg beglückwünschen und musste dann, nachdem Norbert seinen Schwager informiert hatte, ganz akut mit Jörg telefonieren. Jörg rief ihn gar auf dem Handy persönlich an dafür.

"Alter, geht's noch?!"

Kai blinzelte das Handy an, fragte sich, seit wann Jörg seine Nummer hatte und meinte dann unbestimmt. "Was meinst du?"

"Na, deinen Nachwuchs! Biste jetzt doch keine Tucke, oder was?"

"Doch, doch. Bin ich, keine Sorge."

"Und wie konnte das dann passieren?" Jörg schien fassungslos. Im Hintergrund sah Kai, wie sein Vater kichernd den Bauch von Tini berührte und sich von Ari kicken ließ. Er schüttelte den Kopf, um die Fata Morgana loszuwerden, aber sein blöde und glücklich grinsender Vater war noch immer da, als er wieder rüber sah.

In der Zwischenzeit hatte Jörg sich zum Thema Hölle mit Kindern und besonders mit eigenen Kindern ausgelassen. Laura gab wohl vor allem nachts ihr Bestes. "Die letzten Nächte hat Butzi uns etwa zwei Stunden schlafen lassen. Mehr war nicht drin. Hat wohl Bauchweh, oder was auch immer. Imke schläft jetzt mit Butzi im Kinderzimmer, damit ich auf der Arbeit nicht umfalle." Er stöhnte.

"Aber?", Kai besah sich Tinis Bauch, froh, dass der noch Ruhe gab.

"Was aber?"

"Na, gibt es auch was Gutes?"

"Ne. Echt nicht. Süß isse, wenn sie denn mal schläft. Aber ansonsten. Ne. Imkes Titten haben zwei Nummern zugelegt, hm, das ist noch...",

"Too much information, Jörg." Kai schüttelte sich.

"Ich darf eh nicht dran, tun noch weh wegen Milcheinschuss oder so. Ekelig, sag ich dir."

"Ich muss wirklich...".

"Aber wie ist das möglich, Kai? Ausgerechnet du, ein Kind?"

"Unfall."

"Echt jetzt. Dass du mit einer Tussi was getan haben sollst, ist mir ja fast zu viel, aber dass du vergisst, dir eine Tüte über zu ziehen, oder ist es gerissen? Ich dachte, dass ihr Schwulen immer total auf Habacht seid von wegen der ganzen Pesten, die man sich so...".

"Weiß ich nicht, Filmriss, ich war voll...".

"Moment mal! Wie haste denn dann überhaupt...m ich mein, wenn ich nach so viel Alkohol, dass ich nicht mehr denken kann noch..."

Verzweifelt starrte Kai um sich, aber schaffte es nicht, seinen Cousin von der Fährte zu bringen. "Echt, Jörg, ich muss jetzt...".

"Nein echt? Filmriss? Ist es echt von dir? Ist das sicher?"

"Hm. Todsicher." Kai rieb sich die Stirn, Kopfschmerzen begannen hinter den Augen zu lauern.

"Ein Junge sagst du?".

"Ja."

"Werdet ihr ihn taufen lassen?"

"Hm? Warum?" Die Frage war unerwartet. Nervös sah Kai, dass Tini auf ihn zu kam. Vermutlich, hoffentlich, wollte sie fahren.

"Dann könnten wir das zusammen machen. So viel älter ist Butzi nicht, oder? Spart Geld und die Verwandtschaft kann schön rumsäuseln. Wir stecken allen noch die Kontonummer für ihren Fondsparplan zu, dann müssen wir nicht so viel Scheiß wegwerfen."

"Hm." Kai blinzelte. Das war der alte ätzende und zugleich pragmatische Jörg. Die Idee war nicht verkehrt, Imke und Tini würden das dann außerdem unter sich ausmachen und ihn außen vor lassen.

Jörg war schon in Fahrt und laberte von der Planung. "Wir machen das im Glockenspieler an der Kirche, wie die Hochzeit. Etwas Hochzeitssuppe, Kaffee und Kuchen und gut ist. Gleich im März nach Immis Geburtstag vermutlich. Sie wollte das gern vor Ostern durch bringen, dann wäre Butzi ein halbes Jahr alt. Später geht nicht, weil sie dann wohl nicht mehr in ihr Taufkleid reinpasst."

Das war Kai zu viel der Planung. "Ich reich dich mal weiter."

"Nein! Warte! Ich reich auch weiter!" Und im Nu hatte Kai die Unterhaltung mit Jörg in eine Mutti-Konferenz zwischen Imke und Tini verwandelt und konnte sich in aller Ruhe von seinen Eltern mit Kirschkuchen vollstopfen und zu Jans Noten in der Prüfung ausfragen lassen.

Endlich erhielt er von seiner Mutter noch das Prüfungsgeschenk. Sie überreichte ihm tatsächlich ein nagelneues Stethoskop.

"Jetzt bist du ja bald in den klinischen Kursen, Kai, da brauchst du eins. Ist der Klassiker. Ich habe es in Knallblau genommen, deiner Augen wegen. Schau, hier sind deine Initialen eingraviert, dann kommt es nicht weg. Ist das in Ordnung?"

Natürlich war das in Ordnung. Mehr als das. Dankbar umarmte Kai seine Mutter. Das Geld, das er für die Reise bekam, war ebenfalls total in Ordnung. Außerdem konnte er schlankweg und lügenfrei verkünden, dass er verreiste und keine Tuppersachen mit Essen brauchen konnte. Dagegen konnte seine Mutter nichts ausrichten und Tini erhielt all die Tupperdosen und Gefrierbeutel mit Obst und Gemüse mit. Somit war Kai frei und hatte nichts, was er die Treppen in den dritten Stock hochschleppen musste, von seinen eigenen, müden Knochen einmal abgesehen.

Tini und Imke hatten sich auf eine gemeinsame Taufe im nächsten Jahr geeinigt. Tini war zu ihrem Holgi abgeschoben und Kai hatte sich Nachrichten mit Jan ausgetauscht. Die meisten betrafen seinen Wunsch, nach Hause zu kommen und Jans Wunsch, er möge auf der einen oder anderen Party erscheinen.

Endlich war Kai bei den Eltern entlassen. Sie telefonierten noch mit diversen Verwandten und Norbert betrachtete die eingescannten Ultraschallbilder und konnte nicht aufhören stolz rum zu tönen, dass er Großvater würde. In seinem Kopf hatte er aus der Nummer mit Tini eine Aktion nur für sich, als Geschenk zum Vatertag, werden lassen. Kai war extrem verwirrt von seinem Vater, aber insgeheim war er Ari noch einmal dankbar. Ganz klar war der schon jetzt sein totaler Kumpel. Wer Norbert für ihn rumkriegte, der bekam von Kai Respekt und Liebe. Das hatte Ari mit links geschafft, genau wie Jan.

Die Fahrt zurück verbrachte Kai im Gespräch mit Jan. Sein Freund hatte natürlich Pläne für die Nacht, hatte seine große Sporttasche als ihr Reisegepäck für die Woche Spanien vorgesehen, seine zwei Shorts, eine Badehose und eine Handvoll T-Shirts hinein geworfen und er wies Kai an, die Tasche nicht wesentlich voller werden zu lassen und außerdem sofort Meldung zu machen, wenn er in der Wohnung ankam.

Kai gedachte die Tasche viel zu voll zu stopfen und sich heimlich ins Bett zu verkrümeln, sobald er konnte. Der Flug ging derart früh am nächsten Morgen, dass sie gegen drei in der Nacht schon am Flughafen sein mussten. Besorgt sah Kai bereits total verkaterte und schlafentzügige Tage für seinen Urlaub in naher Zukunft und ärgerte sich, dass er Jan überhaupt angerufen hatte, als dieser ihm erzählte, dass Beachparty am Badesee sei. "Titten und Ärsche, Baby! Auf geht das, wir werden uns jetzt mal gepflegt feiern lassen. Physikum gibt es nie wieder!"

"Allerdings! Aber ich hab noch lange keinen Bock, zu so einer scheiß Party zu gehen. Ich will nicht!"

Doch das ließ Jan nicht gelten und tauchte statt einer Antwort in eine der spontanen Partys auf dem Weg zu einer weiteren Party ab, vermutlich bei Bianca, deren Stimme schrill im Hintergrund zu hören war. Kai legte hastig auf, als Jan kurz nach Alkohol fragte und abgelenkt war.

In ihrer Wohnung war es still. Nur Bardo hing an Jans Laptop ab, vermutlich in einem schwulen Chat oder Porno, wenn Kai das Tempo, mit dem das Bambi den Bildschirm schwärzte, als einen Hinweis werten konnte.

"Na, Bambi?", Kai beugte sich über die Sofalehne und küsste Bardo auf die Wange: "Alles okay?"

Bardo blinzelte ihn an, dann grinste er blöde: "Jetzt schon. Wie war es bei deinen Eltern?"

Kai berichtete wie seine Mutter und sein Vater reagiert hatten. Dann erzählte er von der jetzt schon geplanten Doppeltaufe. Bardo fand das wundervoll und herrlich und war mal wieder derart optimistisch, dass es Kai den Magen umdrehte. Auch er fand die Idee, das alte Forsthaus zu renovieren ganz wunderbar, romantisch und bot seine Hilfe an.

Kai blickte ihn an, dann lächelte er, als ihm einfiel, wie er das Bambi glücklich machen konnte. "Renovieren musst du nicht, aber hast du Lust Taufpate zu werden? Taufe muss sein, sagt Tini. Sie und Imke haben schon alles andere so durchgeplant, dann bist du mein Beitrag zu der Sache." Bambi blinzelte, dann zog er die Unterlippe zwischen seine Zähne und kniete sich auf das Sofa, um Kai über die Lehne hinweg anzuhimmeln. "Ehrlich? Willst du das wirklich?"

"Hm. Dann musst du ihn immer am Wochenende für lau einhüten, wenn ich mal keinen Bock hab oder so", versuchte Kai den Umstand zu vertuschen, dass Bardo in seinen Augen der beste Patenonkel war, den Ari-Ding je haben konnte.

Bambi freute sich passend und peinlich, so dass Kai hastig in das Schlafzimmer einbog, um sich dem Packen zu stellen. Er starrte in die noch recht leere Sporttasche und sah, dass Jan nur zwei Strandlaken eingepackt hatte. Unsicher erwog er, noch ein drittes dazu zu legen, aber ließ es dann sein. Bardo war ihm zum Schlafzimmer gefolgt und grinste noch immer so dämlich glücklich vor sich hin. Zeit, ihn auf den Boden der Realität zurück zu holen.

Kai riss den Kleiderschrank auf und starrte planlos hinein. "Hm. Eigentlich kannst du doch mit zum Renovieren, Bambi. Je mehr Freiwillige kommen, desto weniger muss ich dabei tun."

"Sieh es doch als Chance, etwas mit deinem Vater unternehmen zu können." Bardo lehnte in ihrer Schlafzimmertür und himmelte Kai weiterhin peinlich an.

"Chance?", Kai sah sich um, erwischte Bardo beim Starren auf Hintern Höhe und warf ihm einen bösen Blick zu, bevor er rasch eine lange Jeans, eine Shorts und seine Badehose in die Tasche warf.

Nachdenklich tappte er durch den Flur, öffnete den Schrank in seinem Zimmer und blickte den Stapel sauber gebügelter T-Shirts an. Dann fragte er, um von sich abzulenken: "Haste von deinem komischen Retter noch mal gehört?"

Mit strahlenden Augen berichtete Bardo, dass Jeremiah ein voll netter Typ sei und ihn zum Paddeln eingeladen hätte. Die Tour würde am Wochenende starten, einen ganzen Tag mit abendlichem Grillen.

"Hm. Will der dich verkuppeln oder so?"

"Keine Ahnung. Vielleicht will er nur, dass ich nette Leute kennen lerne. In meinem Alter, hat er gesagt." Klang wie eine Beleidigung, Kai gegenüber, der sich allerdings, auch ohne dumme Sprüche, zu müde, verschwitzt und zehn Jahre älter als nötig fühlte.

"Habt ihr euch noch einmal getroffen?"

"Nee, gechattet."

"Aha? Wo denn?"

"Er ist der totale Computerprofi, hat mir einfach ein kleines Programm auf mein Handy gepackt, damit tauschen wir Nachrichten aus. Ich kenn mich bei sowas ja nicht so aus...". Sorglos outete Bardo sich als Totalausfall in Sachen Technik und grinste.

"Wie alt ist er denn eigentlich?" Der Typ hatte in Kais Erinnerung irgendwie alterslos und schwer einzuschätzen gewirkt.

"Ende Zwanzig irgendwo. Er meinte, dass er bald dreißig wird, als wir über runde Geburtstage geredet haben."

"Runde Geburtstage?"

"Hm. Meine Mutter wird Fünfzig, da bereiten wir Kinder schon total viel vor."

"Oh Gott, keine Details."

"Ich wollte dich ja einladen in mein neues Zimmer, aber daraus wird erst einmal nichts."

"Genau. Ich fahre nämlich morgen, heute Nacht vielmehr, in den Urlaub und du hast Schule. Deswegen hau jetzt bitte ab, lass mich Panik schieben und packen und lern irgendwas fürs Leben oder so."

Noch einmal sah Kai nach, ob er auch wirklich seinen Ausweis und Führerschein im Portemonnaie hatte. Idiotisch, wo sollten sie sonst sein? Matt schleppte er sich zur Küche rüber und mixte sich einen Gin und Tonic mit viel Eis.

Bardo kicherte. "Ich lerne bei euch viel mehr als in der Schule. Nee, ich meinte, dass ich noch zwei neue Fenster brauche. Die werden irgendwann jetzt eingebaut, bis dahin ist das Zimmer nicht bewohnbar. Der Maler hat Schimmel gefunden, überall in den Fensterrahmen. Kommt bestimmt, weil das Zimmer länger leer stand. Meine Schwester war ja kaum noch da. Jetzt meint Mama, dass ich da nicht rein kann, weil ich sonst krank werde. Ich wünsch dir viel Spaß am Strand, Kai! Erhol dich gut." Zögernd wanderte er in den Flur nach vorn.

"Halt!", Kai folgte ihm: "Du musst natürlich die Blumen auf dem Balkon gießen und die Post rein bringen! Jeden zweiten Tag oder so reicht."

"Hm."

"Und auf Jans Laptop in peinlichen Chats rumhängen kannste hier auch viel besser. Aber die Pornos wieder löschen, sonst kriegen wir Ärger miteinander!"

Bardo bekam rote Ohren, aber nickte und stimmte kommentarlos zu.

"Verlier den Schlüssel zur Wohnung nicht. Lass niemanden rein, während wir nicht da sind. Vor allem die wilde Anna nicht und schon gerade nicht Lolli, klar?!"

"Ja. Klar." Bardo grinste und Kai schraubte frustriert an seinem Muttimodus, während das Bambi sorglos sommerglücklich davon trabte.

Kai hatte sein Handy in der Hand und sah die Liste durch, die ihm Jan als Packliste zugeschickt hatte mit dem Kommentar, dass Kai nur diese und ausschließlich diese Dinge und nicht mehr einpacken dürfe, weil sie einen Billigflug mit Gepäckbegrenzung hatten, als es wieder an der Tür klingelte.

Kai öffnete mit dem Summer und schaute dann nach unten, ob er einem Paketboten entgegen gehen sollte, wurde aber von gerade dem Anblick begrüßt, den er sich für seine Abwesenheit als Horrorszenario ausgemalt hatte. Lolli in hellblauem Shirt und weißer Shorts als endpeinlichem Matrosenlook und einer Sonnenbrille, die dank ihrer Größe vermutlich die eigene Postleitzahl brauchte.

"Mauhauuuus, juhu! Meine Güte, ihr wohnt aber schrecklich unbequem. Kann dein Millionärslover nicht mal einen Fahrstuhl einbauen lassen?" Ächzend zerrte Lolli seinen Rollkoffer mit britischer Flagge drauf die letzten Stufen hoch.

Kai beäugte seinen Freund tatenlos und mit Unwohlsein. "Lolli, wir fahren morgen in den Urlaub. Heute Nacht vielmehr."

"Herrlich! Das passt sich hervorragend. Dann hüte ich die Wohnung ein." Lolli grinste unverschämt und stellte seine Reisetasche kurz ab, um Kai in seine langen Arme zu schließen und auf die Wangen zu küssen, bevor er mit Koffer und Reisetasche bewaffnet zu Kais Zimmer durchwanderte, wo er das Gepäck parkte und sich kritisch einmal umsah.

"Lolli! Ich hab Bardo gerade gesagt, dass er dich unter keinen Umständen reinlassen soll! Du bist der letzte Mensch, den ich hier haben wollte, wenn ich nicht da bin!"

Taub gegen Beleidigungen grinste Lolli und ging mit schwingenden Hüften an Kai vorüber zum Bad. "Siehst du, Schatz. Alles wird gut. Ich bin schon da, das Bambi braucht nicht mehr ausgeschimpft zu werden von der guten Mutti Kai." Leger legte Lolli seine Sonnenbrille auf der Badablage vor den Spiegel und wuschelte sich durch die Haare. "Schick schaust du aus, ist wer gestorben?"

Kai blickte an seiner leicht zerknitterten Anzughose herunter. "Nee, heute war Prüfung."

"Prüfung? Welche Prüfung?" Lolli blickte auf seine Fingernägel, fand nichts auszusetzen und warf einen Blick auf Kais Fingernägel. Im nächsten Moment zerrte er Kai zu sich und schob ihn auf den Klositz. "Maniküre gibt es auch umsonst, Schatz."

Seufzend hielt Kai still und versetzte auf die Frage: "Heute war die Prüfung, Lolli. Das Physikum." Kai versuchte seine Finger zu entziehen, aber schaffte es nicht, bis Lolli ihn losließ, um in seiner Tasche zu kramen.

"Ah? Bestanden?"

"Natürlich." Arrogant lächelte Kai.

Lolli hob eine Braue, dann lächelte er breit. "Eins gemacht, du süße Intelligenzbestie?"

Kai erwiderte dies mit hoheitsvollem Nicken. "Natürlich", stimmte er erneut zu.

"Gut, dann musst du einen ausgeben! Juhuuu! Party!" Lolli lachte froh und riss die Arme kurz in die Luft und knutschte Kai noch einmal auf die Wange, bevor er auf ihre Dachterrasse durchtrabte. "Außerdem mach ich dir rasch die Nägel! So kannst du nicht rumlaufen mit den abgekauten Dingern!"

Kai atmete einmal tief ein und aus, dann lächelte er zähneknirschend, ganz wie seine Mutter den Nachmittag über und gab gegen Lollis penetrante Fröhlichkeit auf. "Kaffee?"

"Immer, Schatz."

Kai wischte sich Lipgloss von der Wange und stapfte in die Küche weiter, Lolli streifte seine Sandalen von den Füßen und streckte sich auf einer Sonnenliege aus. Von Kais Unhöflichkeit komplett unbeeindruckt schwatzte er durch die Tür rufend über seine Umzugspläne. "Wie stehen die Dinge bei euch, ihr kleinen Hasen?!"

"Gut. Morgen sind wir in Spanien. Was machst du überhaupt hier?" Kai maß das Pulver für einen Blümchenkaffee ab und warf dann einen schnellen Blick auf ihre Milchvorräte. Noch ein halber Liter, das haute gut hin. Da mussten sie vor der Fahrt nichts wegschütten und Lolli nichts schenken, der konnte gut und gern auch einmal einkaufen gehen.

Lolli kam zu ihm und warf sich einmal lang über den Küchentresen, bevor er seine Nagelpflegeserie auf dem Tresen aufbaute. "Ich bin ja raus bei Geoffrey, wegen der Sache mit dem Positivsein und mir nix sagen und so. Aber wir haben uns jetzt ein paar Mal getroffen und geredet und wollen es wieder versuchen."

"So? Bist du dafür nicht in der falschen Wohnung? Wo wir dabei sind, bist du nicht im falschen Land?" Kai kippte einen Rest Schokokekse vom Lernen auf einen Teller. Ergeben ließ er sich auf einen der Barhocker neben Lolli nieder und hielt seine Hand in die auffordernde Kralle von Lolli. Der sprühte süßlich riechendes Zeug auf die Finger und fiel über die Kekse her.

"Muss einwirken." Methodisch begann Lolli die Schokolade von einer Waffelrolle zu fräsen. "Geoffrey hatte mein Zimmer untervermietet an so einen Totalausfall. Kam auf dem Papier ganz seriös rüber der Typ, Praktikum bei einer Versicherung, da brauchte er für ein paar Tage eine Wohnung. Jetzt stellt sich heraus, dass der ihm die Bude leer geräumt hat. Als Geoffrey von seiner letzten Kette kam, waren sogar die Medikamente im abgeschlossenen Schrank weg. Seine HIV-Sachen, sind wohl total teuer. Außerdem hat der Typ eine Party gefeiert und dabei ist die Wohnung komplett zerschlagen worden. Jetzt ist Geoffrey die Wohnung gekündigt worden, weil er keine Untermieter nehmen durfte." Lolli fegte die Kekskrümel auf den Fußboden und schnappte sich Kais Hand, um mit einem Rosa Ding seine Fingernägel zu bearbeiten.

Mit der freien Hand versuchte Kai, einen Keks zu erhaschen, aber kam nicht an den Teller ran. "Ach, was wärst du denn gewesen?"

"Lebenspartner, das ist erlaubt." Lolli warf sich selber noch einen Keks ein, polierte mit einem hellblauen Teil auf Kais Nägeln rum und führte dann mit einer Überzahl Worten aus, dass Geoffrey bei einem Kollegen untergekommen sei, bis die Versicherung ihm den Schadensersatz berechnet hatte. Lolli musste wegen seiner Abschlussarbeit noch einen Termin in der Uni hinter sich bringen und hatte dafür ein paar Tage frei und die Chance genutzt, aus dem Chaos in London heraus zu kommen.

"Ich hab da so einen Verehrer, Terry, steinreich und irgendwie mein Fan. Superhäßlich, der Typ, aber er hat einen tollen Geschmack in Sachen Kunst und Einrichtung. Außerdem das Geld für den guten Geschmack." Lolli war beim dritten Keks angekommen, aber brachte nun auch Kais Fingernägel mit unter, die er routiniert zu bearbeiten begann." Jedenfalls hat der eine Reihe Häuser und hat mir ein Hinterhaus angeboten. Wohnung oben und Werkstatt darunter. Miete ist mikroskopisch, stand aber eine Weile leer, so dass ich das mal renovieren muss. Ich darf Geoffrey da mit unterbringen."

"Und? Biste nicht immer noch im falschen Land?" Gähnend streckte Kai sich und überlegte, ob er sich umziehen sollte, verwarf den Gedanken dann wieder, weil er fest plante, gleich nach der notwendigen Dusche schlafen zu gehen, es lohnte sich nicht, sich noch öfter umzuziehen.

Lolli schüttelte den Kopf. "Nein. Ich wollte Abstand, wollte in Ruhe mal nachdenken über all das Chaos. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Geoffrey wirklich liebe. Irgendwie war es lustig mit ihm, leicht und wir haben uns wegen seines Jobs nur an einigen Wochenenden gesehen, oder mal ein paar Tage, nie länger. Nie regelmäßig."

"Hm. Na und?"

"Ich weiß nicht, ob wir nicht nur Freunde waren, die das tun. Ich bin jetzt in einer Selbsthilfegruppe, Angehörige von Menschen mit HIV. Die haben mir meine Angst genommen, aber Sex? Ich mag noch immer nicht daran denken."

"Dann seid ihr Freunde, Lolli, die das nicht mehr tun." Genervt von seiner Beteiligung in dieser Unterhaltung verschränkte Kai die Arme.

Lolli seufzte. "Hm." Er wedelte mit einer Hand und ging schwingend zum Kühlschrank. "Was meinst du, ist der Prosecco schon kalt genug?"

Kai grinste, hilflos gegen Lollis Stimmung. "Hat dich die Temperatur je aufgehalten?"

Lolli lachte. "Hach, ist das schön hier, Maus! Ich freu mich, dass du da warst, werde die Wohnung sauber hinterlassen, ja?"

"Nein, vermutlich nicht, aber bleib ruhig. Ich lad Bardos neusten Freund dann auf einen Kaffee ein, der hat einen Ordnungszwang oder so, der wird das schon wieder richten." Und dann saßen Kai und Lolli für eine gute Stunde auf der Dachterrasse. Lolli soff Prosecco und Kai rührte in dem Kaffee, den er Lolli gebraut hatte und blickte zur Uhr rüber. Abend. Eigentlich Zeit, um panisch letzte Sachen im Drogeriemarkt zu holen.

Lolli ließ ihn nicht entkommen. Kai wurde in sämtliche gesetzliche Grundlagen und medizinischen Details eingeweiht, die es über HIV zu sagen gab und bekam dazu noch Lollis teils sehr merkwürdige Rückschlüsse für das eigene Leben präsentiert.

So kam es, dass Kai noch immer mit ungepacktem Koffer und dank Prosecco und Kaffee sowohl träge angetrunken aber auch wacher als gewollt auf dem Balkon hockte, als Jan von den ersten Partys zurückkehrte.

Jan hatte anässlich der Prüfung einem Haarschnitt zugestimmt, sogar bei Frank, weswegen der Schnitt perfekt war. Jan sah unglaublich scharf aus in Anzughose und weißem T-Shirt mit offenem weißen Oberhemd darüber, was seine Sommerbräune so richtig zeigte. Noch in der Wohnungstür tat Jan Kai einen riesen Gefallen und zog sich Hemd und T-Shirt über den Kopf. "Hey, Baby! Hast du fertig gepackt?"

Kai starrte auf seinen gebräunten Bauch mit leicht golden schimmernden Haaren am Bauchnabel. Dann riss er sich zusammen und hob die Schultern, gähnte herzhaft, deutete auf die Badezimmertür, hinter der Lolli verschwunden war und berichtete von ihrem Zwangs-Wohnungssitter. Nebenbei pirschte er sich an Jan heran, um ihn näher betrachten zu können. Scheiße, musste sein Freund immer so scharf sein, wenn er selber müde, genervt und ohne ausreichend freie Zeit da stand? Es war nicht fair.

Lolli kam im nächsten Moment um die Ecke, und begann Jan über HIV zu informieren. Kai stöhnte auf und ging packen. Viel bekam er wirklich nicht in der Tasche unter. Musste alles auch noch einmal umpacken. Er fand dabei eine Monatsration Kondome unter Jans Handtuch und ausreichend Gleitgel für dieselbe Zeit und schämte sich bei dem Gedanken, dass jemand ihre Tasche durchleuchten und all das genau sehen würde. Zur selben Zeit machte ihm der Gedanke, im Urlaub die sicherlich notwendigen Utensilien einkaufen zu gehen, noch mehr Stress.

Gleich darauf trat Jan betont ruhig in das Schlafzimmer und schob die Tür zu. Im nächsten Moment murrte er: "Das ist nicht fair, Baby! Was macht Lolli hier? Ich dachte, dass wir in aller Ruhe Sex haben, dann noch etwas Party machen und zum Flughafen rüber fahren. Und nun?"

Kai hob die Schultern: "Mir egal."

Jan fasste seine passive Haltung als Anmache und Kampfansage auf. Mit schmalen Augen befahl er: "Fein. Beachparty! Wir schließen unsere Taschen vorher am Bahnhof ein."

"Wir fahren mit der Bahn zum Flughafen?"

"Klaro. Haste gesehen, was ein Parkplatz dort kostet? Komm jetzt."

"Komm jetzt?" Kai hob die Brauen. "Hör mal, ich bin fertig, Jan! Ich war bei meinen Eltern und die haben..."

Er lachte. "Baby, ich weiß! Ich hab schon mit Tini geschnackt. Sie hat mir gestanden, dass sie die Nummer für dich ein wenig realistisch gestalten geht. Ich hab ihr das erlaubt. Kannst du dir vorstellen, dass sie mich um Erlaubnis fragt?"

"Oh ja. Das kann ich allerdings. Mich hat sie nur leider nicht gefragt. Aber kannst du dir vorstellen, dass Norbert sich total freut?"

Jan blinzelte, dann grinste er. "Tut er? Echt?"

"Hm. Der totale Übergroßvater. Ist sofort auf den Dachboden und hat meine alte Krippe runtergeholt und abgestaubt. Manno, war das peinlich. Tini musste sofort Babyfotos anschauen und er will ihr beim Renovieren von diesem abgefuckten Haus helfen." Verdrossen pfefferte Kai ein schmutziges T-Shirt aus der Lernphase unten in seinen Schrank.

Jan stöhnte. "Dann werden sie jetzt auf jeden Fall dort wohnen? Ich hatte Holger vorhin schon fast so weit, dass er sich die Sache noch einmal überlegt."

"Tja, was Tini will, Tini auch bekommt."

"Hm... Baby, was ist denn mit den Dingen, die ich so will?" Es klang wie anschleichen und machte Kai zur selben Zeit Angst und an.

Leider stürmte Lolli gleich darauf ins Zimmer und reichte das Telefon an Jan weiter, der nicht an sein Handy gegangen war. Seine Kumpel vom Sport und die Lerngruppe klagten an, dass Jan dringend jetzt sofort auf die eine oder andere Party gehen musste.

Kai musste mit. "Beachparty, Baby!" Er durfte sich eine noch gerade akzeptable Shorts und ein frisches T-Shirt anziehen, dann war die Schonzeit vorbei. Jan schnappte die vollgestopfte Sporttasche, schob ihre Flugtickets in die Seitentasche, überprüfte, dass Kai seinen Personalausweis im Portemonnaie hatte und schleifte ihn ins Bad. Dort warf Jan seine und Kais Toilettensachen in eine Plastiktüte und stopfte sie an der Ecke zwischen die Hosen von Kai, dann verabschiedete er Lolli und verschleppte einen mies gelaunten und müden Kai zum Bahnhof, wo sie ihre Tasche einschlossen. Und dann folgte der verheerende Beachparty-Anteil ihres Urlaubs.

179

Beachparty, Baby! In der Tat. Genervt und durch und durch freudlos ließ Kai es über sich ergehen. Aber es war wie es war, und er musste natürlich da durch. Jan voller Wonne mittendrin, fröhlich, unbesorgt und ganz intensiv dabei, eine fantastisch gute Zeit zu verleben. Kai fühlte sich außen vor, war das objektiv betrachtet auch und betrank sich eher systematisch und ohne Vergnügen, dafür aber mit recht gutem Erfolg mit zu warmem Gin und billigem Tonicwasser. Thilo leistete ihm dabei Gesellschaft, besoff sich jedoch wieder mit Weißwein. Einem teuren, den er zu diesem Zweck auf die Feier geschummelt hatte.

Endlich hockte Kai neben einem komplett besoffenen Thilo, einer depressiv angetrunkenen Nadine und dem nur leicht angetrunkenen Holger auf einem Baumstamm an einem leeren Feuerkorb. Sein eigener Pegel war bei dreiviertelvoll angekommen. Mühsam stemmte er sich hoch und sah seine drei Mit-Baumstamm-Hocker an: "Noch was trinken?"

Holger hob seine Bierflasche: "Eins geht noch." Thilo hob die Flasche Wein, schielte auf den Flüssigkeitsstand darin und schüttelte den Kopf. Nadine aus Mitleid auf Getränkewünsche anzusprechen, erwies sich als Fehler. Sie bestellte bei Kai einen teuren Cocktail, für den er sich an einem Extrastand anstellen musste. Als er ihr das Glas in die Hand drückte, rückte sie auch noch zu ihm auf: "Was soll ich jetzt nur machen?"

"Hm?" Kai nippte von seinem Glas und hob unbestimmt die Schultern. 'Mir doch egal', wollte die Abteilung 'Smalltalk' fauchen, aber die Höflichkeit und die noch nicht betrunkenen Teile seiner Erziehung verboten es. Nadine war die einzige in ihrem Freundeskreis an der Uni, die durchgefallen war. Das war in sich schon ziemlich scheiße, ihre Depression war verständlich, auch wenn Kai fand, dass sich diese Pleite schon seit dem ersten Semester angekündigt hatte. Niemand hatte derart viele Testate nachholen müssen wie Nadine, niemand derart wenig Raffung bewiesen, als es zu den komplexeren Kursen kam. Kai hatte die Erleuchtung nach ein paar Schlucken zu warmem Alkohol. "Was meint denn Tini?" nuschelte er und nippte noch mal von seinem Gebräu.

Es war gut. Tini meinte was, wie immer total viel und psychologisch. Damit trat er ein Lamenti der Optionen los, das wie eine Lawine samt eben zurückgehaltenem Tränenmeer über ihn hinweg rauschte. Nadine schien den Nachmittag über nicht nur mit Tini sondern wirklich mit jedem geredet zu haben, von der Uroma bis zum Neffen im Kindergartenalter, und jeder hatte ihr einen Rat gegeben. Forschend betrachtete Kai ihr verschwitztes Gesicht. Die Augen waren glasig, die war genau so voll wie sie alle hier auf dem Baumstamm. Er versuchte diskret etwas abzurücken, aber Nadines feuchtwarme Finger gruben sich in seinen Ärmel und sie begann über Studiengänge in Österreich zu labern.

Die Erlösung kam unerwartet von Seiten zweier Mädchen, die Nadine unbedingt umarmen und knuddeln mussten. Daraufhin brach sie tatsächlich in Tränen aus und musste ihre verschmierten Augen retten gehen. Aufatmend sah Kai ihr nach.

Verlangend blickte er dann zu Jan rüber, der mit einigen anderen, leider auch Matze und Bianca, im Sand vor dem DJ-Pult rumtanzte. Jan war ziemlich voll, sonst würde er niemals tanzen, aber konnte noch ganze Sätze sprechen, das war immerhin etwas. Kai selber konnte zwar noch halbwegs nüchtern aussehen, aber ganze Sätze? Er versuchte es. "Holger... wasn mitn Renovieren?" Genervt schüttelte er den Kopf.

Holger blinzelte träge besoffen und glücklich. "Das wird, Alter. Wird schon laufen."

Ein Mädchen aus dem Jahrgang unter ihnen baggerte Thilo an, bekam einen pissigen Katzenblick und zog von dannen. Nadine, von diesem Intermezzo glücklicherweise animiert, baggerte endpeinlich gleich hinterher. Thilo ließ sie, arrogant pissig, abtropfen, aber Nadine hakte nach und wurde nach zwei bos drei weiteren, recht masochistischen, Baggerversuchen dann doch großzügig rangelassen. Kai und Holger beobachteten einen Moment lang, wie die zwei zu knutschen begannen und schüttelten die Köpfe.

"Mein Vater macht mit", verkündete Kai nach kurzer Konzentrationspause, um die Unterhaltung wieder aufzunehmen.

Holger war leider ausgestiegen und hob die Brauen und Schultern. "Mit? Wobei?"

"Renovieren!" Genervt verschränkte Kai die Arme.

"Echt? Norbert?" Na klar kannte Holger den Namen von Kais Vater und war mit ihm seit dem Umzug auch schon per Du.

"Hm. Freut sich... freut sich voll..." Heimlich goss Kai den Rest von seinem Gin und Tonic hinter den Baumstamm. Neben ihm stöhnte Nadine leise auf, der scheiß Thilo schien beim Knutschen der Bringer zu sein... oder war ihr etwa schlecht? Misstrauisch rutschte Kai noch etwas von den beiden weg.

Dann blinzelte er Holger an, weil er den Faden ihrer Unterhaltung vergessen hatte. "Was... worüber..." Kai ballte die Hände zu Fäusten, dann erinnerte er sich. "Norbert freut sich voll", grummelte er.

"Auf das Renovieren?" Misstrauisch blickte Holger Kai an. "Alter, bist du voll oder was?"

"Nee... doch, bin ich, aber nee, auf Ding... auf Ding freut der sich!" Kai schüttelte erneut den Kopf und hob sein lauwarmes Glas, erinnerte sich, dass es leer war und ließ es wieder sinken. Der DJ startete einen der größten Sommerhits, alle kreischten und hopsten im Sand herum. "Ich fasse das noch nich..." meinte Kai schließlich wage. "Mein Alter steht auf... steht voll auf... den Unfall mit Ding, aber so richtig und so voll..."

Jan lachte ihm im nächsten Moment ans Ohr. "So voll, Kai?" Übermütig umarmte er Kai und knutschte ihn auf die Wange, dann quetschte er sich neben Holger und zog Kai auf seinen Schoß. Jans Haut war warm gegen Kais ausgekühlten Arm, als er ihn zurecht rückte, um ihm von der Seite ins Gesicht zu sehen.

"Jupp, mein Baby hat die Lampen an." Wonnig grinste Jan und drückte Kai einmal derb. Dann sagte er wissend nickend zu Holger "Wenn Kai voll ist, kann man ihm das nicht ansehen, geil, oder?"

Holger nickte beeindruckt. "Geil, Alter", stimmte er zu und stieß mit Jan kurz an.

Jan kippte sein Bier und schob Holger die Flasche zu. "Wir sind nur eine Woche lang weg und Kais Handy wird nicht beantwortet, alles klar?"

"Hm." Holger leerte sein Bier. "Klar, habt ihr euch verdient, aber für Tini kann ich nicht garantieren."

Jan winkte ab. "Macht nix, die hab ich ausgetrickst. Keine Sorge." Er blickte Kai in die Augen und grinste. "Wirste sehen. Wir zwei..." Er drückte ihn kurz. "... wir haben Pause."

"Ihr zwei habt ein Problem. Kai ist voll, so darf der nicht ins Flugzeug", konterte Holger und stand auf, um wenig hilfreich anzubieten "Noch ein Bierchen?"

Jan betrachtete Kai mit gerunzelter Stirn, dann schüttelte er den Kopf. "Nee, besser mal Wasser oder so für uns beide. Eine Flasche reicht."

Als Holger das gewünschte bei Jan ablieferte, reichte dieser Kai die Flasche und befahl. "Trink! Antikater."

Gehorsam nippte Kai. "Könnenir geeehn?" plädierte er dann passend zu seinen Erfahrungen hoffnungslos und blinzelte Jan an.

Der blickte auf seine Uhr, dann zu Thilo rüber, dessen Hand unter Nadines T-Shirt gewandert war. Das schien ihn zu inspirieren. "Wir müssen erst in einer Stunde los. So lang werden wir Zwei mal rumknutschen gehen."

Holger lachte und ging abwinkend zu einer anderen Gruppe Leute. Kai stemmte seine freie Faust in die Seite: "Runknusche?! Hier?!"

Jan sah ihn treuherzig an und lächelte. War das gemein. Kai blinzelte hilflos in seine Augen und war verloren. Dämlich grinsend erwiderte er den Blick und ließ aus Versehen die Wasserflasche fallen. Im nächsten Moment zog Jan ihn hoch und gegen sich. Einen Arm um die Schultern geschlungen führte er Kai den Strand am See entlang vom Feuer, der lauten Musik und den anderen weg.

Es wurde dunkel um sie her, aber überall saßen Pärchen rum und taten genau das, was Jan vorhatte. Knutschen... oder mehr. Vielleicht. Misstrauisch blinzelte Kai einigen verdächtigen Geräuschen nach. Er erinnerte sich, dass Lolli davon gesprochen hatte, dass man an den Teichen prima Sex haben konnte, wenn man auf naturnahe Erfahrungen stand.

"Jan?"

"Hm? Wo haste denn jetzt das Wasser gelassen, Baby?"

Kai rührte mit der Hand in der Luft und hob die Schultern. "Wech..."

Jan blieb an einer freien Stelle in einer kleinen Senke am See stehen und zog Kai neben sich in den feuchten Sand runter: "Jahaaan... meine Hose wird ganz...", Kai fehlte das passende Wort. Jan umfing mit einer Hand sein Kinn und drehte sein Gesicht. Gleich drauf fehlten Kai nicht nur die Worte sondern alle passenden Gedanken, weil Jan umgehend mit wildem Zungenküssen begann. Dafür war man nie zu besoffen. Das stellte Kai erleichtert fest und ließ sich rittlings auf Jans Schoß ziehen, um die Hände unter sein T-Shirt zu schieben.

Ihre Zungen berührten sich. Jan schmeckte nach Bier und Salz, gewohnt und zugleich rasch erregend. Die leise Musik, vermischt mit den Stimmen umher, der Geruch nach Wald und Seewasser, nach Sonnenmilch und Alkohol und das Gefühl von Jans warmem Körper unter seinem, als sie sich in den Sand sinken ließen, Jans Finger, die sich in Kais Hintern krallten, als die Knutscherei leidenschaftlicher wurde.

Sommer, genau wie Kai ihn sich erträumt hatte, gewünscht und herbeigesehnt. Mit einem Mal war er glücklich, dass er nicht allein im Bett lag, sondern mit nassem Sand bedeckt irgendwo an den Teichen war, die er nachts niemals hatte besuchen wollen. Er war glücklich, dass Jan ihn motiviert hatte, außerdem war er mit einem Mal, endlich, glücklich über die bestandene Prüfung.

Er blickte Jan an und grinste blöde. "Ischin sooo froh", flüsterte er leise.

Jan sah ihn aufmerksam an, seine Finger streichelten Kai über die Schultern und den Nacken. "Froh? Worüber genau?"

"Alles, dich, mich, dasch noch Sommer is!" Er holte Luft und küsste Jan noch einmal, bevor er fortfuhr "Dass wir frei sind, voner... scheiß Prüfung." Kai grinste blöde. " Und Ari is..., ist mein Kumpel."

"Kumpel?"

"Hmm." Kai küsste Jan träge am Hals entlang. "Norbert schteht voll drauf." Und Kai wollte nicht mehr reden, sondern streichelte Jan über den Bauch hinunter, über die Hüfte auf den Hintern.

Jan verstand ihn sofort. Er war selber für Sex zu blau, das spürte Kai, aber Jan ließ ihn nicht hängen. Kai, der von Alkohol höchstens seine Zurückhaltung verlor, leider nie eine einmal aufgebaute Geilheit oder Erektion, durfte ohne schlechtes Gewissen genießen. Ohne Umschweife schob Jan Kais Shorts mit einem ungeduldigen Ruck herunter. "Warte, Baby, ich hab genau was wir brauchen... was du brauchst."

Kai konnte das Grinsen in Jans Stimme hören. Er küsste von seinem eigenen heftigen Verlangen hilflos überrollt Jans Hals entlang, während der in seiner Hosentasche kramte. Gleich drauf berührte Jans Hand Kais Penis mit etwas kühlem, feuchtem und Kai schreckte zusammen.

"Sonnenmilch, Miniflasche von Nadine."

"Hö?" Kai bewegte sich instinktiv in den wärmer werdenden, feuchten Griff von Jans Fingern.

"Sollte ich für sie aufbewahren, weil sie keine Taschen am Kleid hat. Komm schon, Baby. Ich bin zu voll, aber du bist so geil, zeigs mir!"

"Was..." Hilflos stöhnte Kai auf, als Jan fester zu griff, die Finger der anderen Hand zerrten ihm die Shorts noch weiter von den Hüften. Im nächsten Moment zog Jan Kai das T-Shirt über den Kopf, seine Zunge streifte nacheinander über die Brustwarzen, dann verteilte Jan einen kleinen Biss am Hals. Kai bewegte sich rascher, leichter Schwindel begann ihn zu nerven, zugleich war er so kurz davor. Gleich... Er senkte seinen Kopf an Jans Halsbeuge und stöhnte leise auf.

Jans Stimme, rau, intim, direkt an seinem Ohr, feuert ihn an. "Nimm dir, was du willst, Baby! Komm schon!" Es spornte ihn an. Gedanken an Mücken oder andere Leute in der Nähe verschwammen, als Jans Finger seinen Hintern neckten, massierten. Kai legte eine Hand über Jans Finger an seinem Penis und änderte den Winkel noch etwas, dann wurde alles egal. Kai kam rasch und heftig, Jan erstickte sein Aufstöhnen mit einem tiefen Kuss.

"Geil, Baby! Das wird ein so geiler Urlaub!" Derb kniff Jan Kai in den Po und unterbrach die Nachwehen von Kais Höhepunkt. Hinter seiner Stirn begann ein Kater zu lauern, einige Stunden zu früh.

Der Sex war geil gewesen, die Reue kam leider schnell und gnadenlos. Weder Kai noch Jan hatten Taschentücher, so dass Jan seine Finger und Kais T-Shirt zum Abwischen nahm, sein eigenes Shirt zog er sich dafür aus, um es Kai zu leihen. Das bedingte, dass Kai am Morgen gegen halb zwei Uhr ziemlich angetrunken mit einem halbnacktem, kichernden Jan dabei im echt ekeligen Bahnhofsklo seine Sachen wechseln musste, wenig drauf wankte er weiterhin ganz und gar nicht so nüchtern wie er aussah durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen. Sie verstreuten beide überall Sand vom Badesee und Kai verschlief den allerersten Flug seines Lebens nahezu komplett.

180

In Spanien angekommen war gerade Frühstückszeit. Kais Kater war mit dabei, in der Größe eines bengalischen Tigers. Jan hatte seinen Alkohol natürlich bereits ausreichend abgearbeitet und war gut drauf. Wie immer nach einer Party. Mit kleinen Augen taperte Kai hinter seinem Freund her, der routiniert ihre Tasche vom Band holte, den Weg rasend schnell von spanischen Schildern ablas und sich dann in Richtung Mietwagenschalter wandte.

Der Wagenschlüssel war rasch überreicht und der dazugehörige Mietwagen stand in einem Parkhaus gleich neben dem Flughafen. Er war knallrot, mikroskopisch klein und an der einen Seite ziemlich verbeult. Die Tasche musste auf den Rücksitz, weil der Kofferraum mehr ein Minihohlraum war, in den vielleicht eine Handtasche passte. Aber der Wagen hatte eine Klimaanlage, was sich als überlebensnotwendig herausstellte. Schon am Morgen war es affenartig heiß und Kai sehnte sich nach einer Dusche. Jan machte Handyfotos von den Beulen und dem Kilometerstand, bevor er los fuhr und Kai bewunderte seine Umsicht in diesen Dingen.

Sie rollten gerade durch den morgendlichen Stau um den Flughafen, als Lukas Jan eine Nachricht schickte, dass sie erst in einigen Stunden da sein würden. Knapp ordnete Lukas an, dass Kai und Jan den Wohnungsschlüssel beim Nachbarn abholen und sich schon einmal einrichten sollten. Außerdem lud er sie aus der Ferne schon zum Abendessen ein, ohne nach ihren Plänen zu fragen.

Sie diskutierten auf der weiteren Fahrt, ob es ein entspannter Urlaub werden konnte. Mit dem Exfreund, dem Mallorcaschreck immerhin. Kai war dank Kater aber noch nicht in der Lage, vernünftig in Panik zu verfallen. Er war zu müde, um sich Sorgen zu machen, ein direkt angenehmes Gefühl. Er ließ sich von Jan einfach mitschleifen. Zum Fastfood-Laden in der Nähe des Flughafens, wo sie eine Art fleischhaltigen, essbaren Müll und schlechten Kaffee frühstückten. Zum Supermarkt, einer deutschen Kette, wo sie wenige Lebensmittel, einiges an Bier und viel billigen Rotwein und Gin und Tonicwasser aus dem Angebot erstanden und dann per Navi in Jans Handy zur Wohnanlage, in der Lukas das Haus mit den drei Appartements hatte.

Das Haus klebte wie alle anderen an der kleinen Straße an den Berghang heran gesetzt. Die ganze Reihe runter sah Kai Häuser von genau derselben Bauart. Zwei oder drei Etagen, kleine Balkone zur Straße. Alle mit sorgfältig gepflegten Wegen und Beeten mit Kakteen vor den Türen. Alle mit bunten Fensterläden und strahlend weißem Anstrich. Die Farbe blendete förmlich in der grellen Mittagssonne. An den Hausecken rankten krass pink und orange blühende Pflanzen. Leider gab es keine Garage, der Mietwagen würde schön in der Sonne durchbacken.

Kai und Jan erhielten vom Nachbarn, einem unrasierten, gut gebräunten älteren Herrn in Shorts und Unterhemd unten im ersten Haus den Schlüssel und den Auftrag, die grüne Wohnung oben links zu wählen. Gleich drauf hatten sie sich die Stufen hochgeschleppt und stellten überrascht fest, dass sie nicht nur großzügig geschnitten, angenehm kühl und passend zu Lukas' gutem Geschmack eingerichtet war. Die Wohnung war auch luxuriöser als gedacht. Sie verfügte über eine komplett eingerichtete Küche mit übergroßem Kühlschrank, eine gemütliche Couch im Wohnzimmer vis-a-vis mit ausladendem Fernseher. Der Blick vom vorderen Balkon reichte über den kleinen Ort hinweg bis zum Meer, das ungemein einladend in der Sonne glitzerte.

Ein Blick auf den Nachbarbalkon zeigte ihnen, dass Lukas die Wohnung oben rechts nicht vermietet hatte. Sie waren im Obergeschoss allein. Die anderen Häuser konnte man nicht so recht einsehen, aber der Garten lag verlassen und ruhig da.

Nach kurzem Auspacken ließen sie sich auf dem nach hinten gelegenen Balkon in gemütliche Korbstühle sinken und Kai überlegte, was wichtiger war. Essen, Schlafen oder duschen. Vom Balkon aus konnte Kai im kleinen Garten einen Zitronenbaum, eine Palme und im Schatten darunter aufgestellte Holzliegen sehen. Der Pool war rechteckig und tiefblau, gerade für ein paar Schwimmzüge ausreichend. Die Tätigkeitenliste erweiterte sich: Essen, Schlafen, Duschen oder Schwimmen gehen?

Der Blick zur Seite zeigte Kai identische Gärten die ganze Straße entlang. Nach hinten trennte eine von grell blühenden Ranken überdeckte Mauer die Gärten von den nächsten Grundstücken. Direkt im Schatten vor der Mauer stand ein gemauerter Grill. Lukas' kreative Handschrift zeigte sich in kakelbunten Mosaiken auf den noch freien Teilen der Mauer und entlang einer gemauerten Bank im Schatten.

Es war auf angenehme Art ruhig in der Straße. Grillen zirpten, der Pool gluckerte und die Palmen im Innenhof raschelten. Sonst war es nahezu ausgestorben und roch nach... Urlaub. Chlor, Zitronen und irgendwo grillte schon jemand. Verblüfft stellte Kai fest, dass er den Urlaub nicht nur brauchte, sondern auch bereit dafür war. Er musste auch gar nicht rumstressen und entscheiden, Jan nahm ihm das ab.

Jan lernte bei einer kurzen Erkundung erst einmal die Nachbarn und die nähere Umgebung kennen, während Kai träge an einer Aspirinbrause nippte und seinen Eltern kurz mitteilte, dass er lebend angekommen war.

Der kurze Anruf, von Jans Handy, da er seins nicht finden konnte, stellte sich als Fehler heraus. Norbert ging ran. Ungewöhnlich.

"Kai! Ich habe deine alte Wiege und den Hochstuhl vom Dachboden geholt und schleif beides gerade ab. Welche Farbe soll ich die Möbel lackieren? Rot, wie bei dir?"

"Hu?" Kai blinzelte verwirrt. Sein Vater klang so fröhlich. Das kannte er gar nicht von ihm. Nicht, wenn sie miteinander sprachen und niemand im Fußball Meister geworden war.

Norbert redete weiter. "Tini hat mir Bilder von dem Haus geschickt, das sie mieten werden. Da ist noch so viel zu tun, aber das bekommen wir hin! Ich hab ihr schon gesagt, dass ich gern renoviere und ihr Holger kann sicherlich auch mit anpacken!"

"Ah?" Nervös fragte Kai sich gerade, ob er auch mit anpacken musste, als Norbert schon weiter sprach. "Wir reden einfach darüber, wenn du wieder da bist. Dann erhol dich man. Ich mach hier weiter. Deine Mutter..." Norbert zögerte und sprach in der gewohnten, etwas knurrigen Art weiter: "Deine Mutter wird das schon verkraften und eines Tages wird sie froh sein, mein Junge."

Kai riss die Augen auf und starrte auf den kleinen Balkontisch. 'Mein Junge?!'. Kai hustete leise, dann sagte er: "Hoffen wir es. Danke, Norbert."

Gleich darauf legte Norbert nach üblich knappem Abschied auf. Matt und besorgt über die neue Atmosphäre zwischen ihm und Norbert schleppte Kai sich in ihr Schlafzimmer rüber. Im Spiegel neben der Zimmertür starrte er sich in sein eigenes verschwitztes, rotes, verkatertes Gesicht. Dann grinste er mit einem Mal und musste leise lachen. "Ari ist sowas von mein Kumpel", flüsterte er sich selber zu.

Unten im Haus klappte eine Tür. Jan kam von der Erkundung offenbar zurück, um Bericht zu erstatten. Wegen der Nebensaison schienen etliche andere Häuser in der Straße leerstehend, andere Mieter in Lukas' Haus gab es nicht. Die Fenster waren mit Holzläden verschlossen. Aber auf dem Balkon nebenan saßen zwei Frauen zusammen, nippten Getränke mit Eiswürfeln und fädelten Perlenketten auf. Mit ihnen begann Jan nach kurzer Blitzdusche von Balkon zu Balkon sofort über günstige Tapas-Bars, den Strand und die Touri-Ziele der Gegend zu labern.

Kai ging nach kurzer Pause ebenfalls duschen und packte dann seine und Jans T-Shirts aus, um sie ordentlich auf Bügel zu hängen. Knitterige Wäsche mochte er ganz und gar nicht, auch im Urlaub nicht. Dann wusch er im Waschbecken die Sachen aus, die sie sich in der Nacht-Sex-Aktion versaut hatten. Fair war fair, immerhin war er auf Jans Kosten gekommen.

Als Kai die T-Shirts im Bad ausspülte und über der Duschstange drapierte, erschien Jan in der Tür. "Baby, hier in der Wohnanlage sind alle schwul, geil, oder?" Er lachte: "Bin schon zwei Mal angebaggert worden, die werden sich nass machen, wenn sie dich dann erst zu Gesicht bekommen. Wird das geil! Wir sind schon morgen bei den Tanten nebenan zum Grillen eingeladen. Blöd nur, die sind sicherlich vegan oder so."

"Geil? Das ist nervig. Ich will in Ruhe am Strand liegen und lesen und nicht..."

Jan grinste dämlich. Kai starrte ihn an, dann drehte er sich zum Waschbecken zurück. "Wieso schaust du so?"

Eine kräftige Hand strich Kai über die Schultern. "Na, der Strand, auf den freu ich mich ja noch viel mehr." Die Hand fuhr den Rücken entlang zu Kais Hüfte hinunter.

Gestresst sah Kai ihn im Spiegel an. "Was?"

Oh Gott, das Grinsen kannte er. Jan war happy und seine Augen funkelten. Außerdem war er kurz davor, Kai ganz furchtbar anstrengende Sachen abzuverlangen. Kai spürte deutlich, wie ihn der Blick allein erregte. Dennoch starrte er pissig mit schmalen Augen zurück und wrang das T-Shirt noch einmal mit Vehemenz aus.

"Na, FKK, Baby. Der nächste Strand ist FKK, dafür sind die Schirme da total günstig. Da brauchen wir keinen mitschleppen, sondern mieten einfach für die Woche. Das machen hier alle so. Und dann schau ich dir auf den Arsch... wird das geil!" Im nächsten Moment bemerkte Kai, dass er noch immer nur das kleine Duschhandtuch trug. Jan grub seine Finger in den Stoff und zog das Handtuch mit einem kleinen Ruck runter. "Auf geht das jetzt, ich creme dich besser mal mit Sonnenmilch ein. Ganz besonders hier haste doch kaum Sonne bekommen, nicht?" Die Finger strichen Kais Hintern entlang zur Pofalte und Kai schloss die Augen. Er war eben noch von der Hitze genervt und erschöpft gewesen, nun war er schon unangenehm geil. Mit einem kleinen Seufzen drehte er sich zu Jan um und zog ihn gegen sich.

Jan küsste ihn, aber zog an seiner Hand. "Jetzt bin ich dran, du hattest vorhin schon deinen Spaß. Komm... komm... Ich will auf dir rumaalen, der ganzen Länge nach."

"Jahaaan... ich hab Kaahaaater...". Aber Kai ließ sich auf das Bett bugsieren und verhinderte im nächsten Moment pfeilschnell und bedacht mit einem Handtuch, dass Jan das Bettzeug am ersten Tag ruinierte, aber konnte nicht verhindern, dass er sich tatsächlich aalen wollte, mit und auf Kai und viel zu viel Sonnenmilch.

"Jan! Du Ferkel! Das Bettzeug!" Protestierend schob Kai an der Schulter seines Freundes, aus dem ein unverrückbarer und zugleich glitschiger Gegenstand geworden war. Jan lachte und angelte mit einer Hand erneut nach der Sonnenmilch, mit der anderen hielt er Kai fest, der sich versuchte zu befreien. "Oh, genau so, Kai! Geil... hast du den Hüftschwung nur so drauf, weil Renate mit dir Tanzen geübt hat? Oh ja, die Tanzstunden solltet ihr..."

"Jan! Oh Gott..." Kai vergaß den Kater, als Jan seine Hand umfing und mit den Lippen an seinen Fingern entlang strich. Jan hob den Blick in Kais Augen. "Mach mir das besser mal mit den Fingern Kai, dann können wir den Analsex auf heute Abend schieben, wenn du nicht mehr so einen Kater hast. Muss mich eh erst vorbereiten."

Kai fügte sich fast sofort, was aber dazu führte, dass er sich erneut abduschen musste. Jan war dazu ebenfalls hochgradig duschpflichtig. Dann cremte Jan Kai noch einmal sehr intensiv mit Sonnenmilch ein, was irgendwie zur zweiten Runde Sex zur Feier des Urlaubs führte und zur dritten Dusche in ebensovielen Stunden für Kai. Danach cremte Kai sich hastig selber und ohne Hilfe ein und sie konnten tatsächlich an den Strand gehen.

Es war ein Fußweg von zwanzig Minuten, stetig bergab, aber an einer Straße mit lauter kleinen Cafés und Läden entlang. Überall war Mittagsruhe, obwohl es schon fortgeschrittener Nachmittag war. Am Strand war es auch leer. Der am nächsten gelegene Strand war tatsächlich als FKK-Bereich ausgezeichnet. Kai rollte genervt mit den Augen, aber fügte sich dann in das Dekret des Schicksals und Jans Bettelblick.

Nach etwa einer halben Stunde hatte er sich an das Freiluftgefühl gewöhnt und auch daran, dass er sich andere nackte Körper ansehen musste, auch wenn er nicht wollte. Die meisten am Strand waren unglücklicher Weise entweder im Rentenalter oder Familien mit kleinen Kindern dabei.

Jan war großzügig und verhandelte wie geplant und versprochen mit einem Typen, der Schirme vermietete, dass sie einen für die ganze Woche bekamen. Liegen gab es aber keine. Dafür pilgerte alle paar Minuten ein nerviger Typ mit Getränken in einer Kühltasche an ihnen vorbei und starrte Jan auf den Hintern, was Kai zu Eifersucht und miesen Gedanken brachte, bis Jan ihm zuflüsterte, dass er es scheiße fand, wie der Typ Kai auf den Hintern starrte.

Als sie nach drei Stunden wieder zur Wohnung hochgekeucht kamen, Jan gut drauf, samt Tüten mit Einkäufen aus den Läden auf dem Weg, und Kai, mit neuem Krimi vom Supermarkt, außerdem aber auch mit leichtem Sonnenbrand auf Nasenrücken und leider auch Hintern, stand der Bulli neben ihrem Mietwagen.

Lukas und Noppi hatten in der Erdgeschosswohnung schon ausgepackt und wirkten frisch geduscht. Außerdem hatten sie einen Salat vorbereitet und Wäsche hing duftend auf der Leine seitlich ihrer Terrasse, sie mussten sich knapp verpasst haben. Es folgte ein vollkommen angenehmer Grillabend im Garten beim Pool mit etwas Rotwein und Bier für Kai und Jan, viel Rotwein und einem Joint für Noppi und Lukas und verhältnismäßig frühem Zubettgehen, weil Kai noch immer kaputt war vom Lernen und Feiern und all dem Sex und Lukas und Noppi in Frankreich die letzte Nacht durchgefahren waren.

Am Morgen war Kai noch immer geschafft, wurde in der Dusche aber von Jan zu Frühstückssex im Stehen überrumpelt, gefolgt von Frühstück im Bett, das aus Milchkaffee für Kai und Tee für Jan sowie süßen Semmeln vom Bäcker für beide bestand. Dann folgte ein intensives Befreien des Bettes von Krümeln, schwören, dass sie nie wieder darin Essen würden und eine kleine Runde durch den Pool, um frisch zu werden. Danach musste Kai mit zum Bäcker, weil die Kuchen alle so unglaublich geil aussahen.

Noppi kam ihnen entgegen getrabt. Er trug sorglos und verdient seinen trainierten Oberkörper in engem Top und die trainierten Beine in Surfershorts zur Schau, außerdem einen Satz neuer Ohrringe. Kai sah mit Freude, dass er die albernen Teddys abgelegt hatte, bemerkte dann aber, dass Noppi Ohrringe in Form von zwei hüpfenden Penissen trug und konnte nicht mehr an sich halten. "Was ist das denn?! Haste die von Lolli geschenkt bekommen, oder was?"

Jan lief ihnen mit dem eben gekauften Kuchen davon, um noch mal schnell auf dem Handy nach Fußballergebnissen zu sehen. Noppi blieb am nächsten Laden stehen und sah sich im Spiegelbild in der Scheibe an. "Die Ohrringe meinst du?" Er lachte. "Meine Schwester schenkt mir die immer zum Geburtstag oder anderen Anlässen. In diesem Fall zum neuen Freund. Sie meinte, dass es gefeiert werden musste."

Kai blinzelte, dann grinste er. "Ah. Und wenn du auf der Arbeit bist? Lässt du die dann auch?" Sie wandten sich wieder zum Gehen.

Noppi hob die Schultern. "Vermutlich mach ich dann wieder die Regenbogenfahnen rein, mein Chef und die Kolleginnen finden das in Ordnung und die Patienten merken das fast nie." Er lachte. "Vermutlich kann ich auch die Pimmelchen drin lassen, achtet eh keiner drauf."

"Blargh." Kai schüttelte sich und sie mussten beide lachen.

"Und? Gefällt es dir? Im Urlaub hier?" Freudig blickte Noppi die Häuser entlang und warf einen Blick zurück zum Meer.

"Wem würde das nicht gefallen?"

"Ich meinte erster Urlaub mit Jan, oder? Aufregend."

Kai blickte Jan hinterher, der war fast schon am Haus oben angekommen. In dem Moment, in dem Kai ihm auf den Hintern starrte, drehte Jan sich kurz um, erwischte ihn dabei und hob grinsend die Hand, bevor er um die Ecke verschwand.

"Nee. Wir sind öfter schon mal ein Wochenende zusammen weg gewesen. Seine Eltern haben ein Ferienhaus an der Nordsee. Fühlt sich hier nicht anders an. Außer... irgendwie besser. Das ist aber eher, weil wir die Prüfung bestanden haben vorher. Da ist man natürlich gut drauf, denke ich."

"Ah, herzlichen Glückwunsch. Stimmt ja auch, ihr seid schon länger zusammen. Irgendwie ist das mit Lukas noch alles so neu und aufregend für mich. Und ich vergesse immer, dass ihr schon zusammen wohnt." Noppi hopste einmal. "Ich kann immer noch nicht glauben, wie gut das mit uns geht. Er ist so... ich war so... war so nervös, Kai... ich war so so nervös!"

Kai starrte seinen Namensvetter an. Niedlich war der, das war es. Diese Ehrlichkeit war wundervoll, erfrischend irgendwie. Er begann gerade zu lächeln, als Noppi weiter redete. "Ach, übrigens kann man es bei uns im Bad hören, wenn ihr im Bad Sex habt. Ist Jan immer so wild?"

Kai lief sofort rot an und starrte auf den Boden. Er nahm das zurück. Scheiß Noppi mit seiner scheiß unbesorgten Indiskretion.

Noppi lachte. "Lass man, lass man, Kai. Es ist total geil, dass das mit euch so gut läuft. Auch das zu hören, ist für Lukas nicht schlecht. Er ist Jan gegenüber noch immer sehr misstrauisch, hat Angst, dass der dich enttäuscht oder so."

"Hm. Nee. Jan macht sich eigentlich gut als Freund. Lukas als Exfreund mittlerweile auch."

"Ja. Ich mag, wie ihr zwei zusammen seid." Sie kamen am Haus an und Noppi schloss auf.

"Wie wir sind?"

"Hm. So richtig nett zueinander, gute Freunde eben, vertraut... aber ohne Sex dabei. Das strahlt ihr nicht ab. Da muss ich nicht eifersüchtig werden, oder?"

"Nee, brauchst du wirklich nicht. Aber stimmt. Wir sind Freunde." Und das war wahr. Erleichtert wurde Kai klar, dass Noppi und er genau in diesem Moment den Frieden im Urlaub ausgehandelt hatten. Nebenbei, aber es war eine wichtige Unterhaltung gewesen.

Noppi sah das wohl auch so. "Komm auf einen Kaffee mit rein zu uns. Jan wollte eh Fußball schauen, richtig?"

Neugierig folgte Kai Noppi in die untere Wohnung. Die war genau so nett eingerichtet, mit einer schönen Küche, die allerdings älter aussah als ihre. Die Wohnung war deutlich größer. Gerade blickte Kai in ein leerstehendes Schlafzimmer mit Doppelbett, als Noppi sich dichter lehnte "Ein Glück hat Carlchen abgesagt. Ich bin total froh, mal mit Luki allein zu sein. Mann, der hat so viele Freunde in der Stadt."

"Stimmt. Und alle wollen immer was von ihm, nicht?"

"Hm. Jedes Wochenende ist er unterwegs und hilft hier und dort beim Renovieren, malt Leuten Bilder, baut Möbel auf, spielt den Fahrdienst zu Konzerten, geht auf Partys, damit es dort geiler ist, irgendwie ist Lukas wirklich dieser Klischee-Menschen-Mensch. Ekelig direkt, dass ich gern mal für mich bin."

Kai lachte. "Ich auch. Das braucht er bestimmt. Stell dir mal vor, ihr wärt beide so, dann hättet ihr gar keine Zeit mehr miteinander." Er sah sich um, dann gab er zu. "Ich bin auch froh, dass Carl nicht kommt, aber eher wegen Pascal."

"Pascal? Ach so, ja. Dein Schulfreund."

Kai nickte. "Nach der Nummer neulich bin ich immer noch sauer auf ihn." Mit Noppi konnte er ehrlich über seine Abneigung gegen Pascal reden. Der war auf seiner Seite in dieser Sache. Und er konnte auf das Gezicke von Passi und Carls überschwängliche Art gerade eher verzichten. Noppis süße Indiskretion und Lukas' pragmatische Freundschaft waren hingegen genau richtig. Als Lukas Kai mit einem kurzen Kuss auf die Wange begrüßte, fühlte Kai, wie die Sorgen um einen Urlaub mit Exfreund sich auflösten und verschwanden.

181

Locker und unbeschwert blieb es. Es war vor allem das Motto für das Miteinander mit seinem Exfreund, vor dem Kai sich ein wenig gefürchtet hatte. Es gab keine Sprüche, keine Andeutungen oder komische Momente und es gab nicht einmal am FKK-Strand irgendwelche Peinlichkeiten. Das lag im Großen und Ganzen daran, dass Noppi eifersüchtig wachte, stets bereit für eine unter Umständen notwendige Krise und sich für Zickenauftritte sicherlich nicht zu schade war. Aber vor allem auch daran, dass sie einander kaum sahen.

Lukas und Noppi schliefen stets sehr lang, weswegen sie am Morgen nie im Garten zu sehen waren. Dafür sorgten sie meist für Mittagessen in Form von Salat, von dem Kai und Jan nicht selten parasitär mitessen durften, damit die Reste nicht schlecht wurden. Die Zwei gingen an den Strand runter, wenn Kai und Jan wegen Hitze mittags wieder nach Hause kamen und fanden sich zum gemeinsamen Abendessen ein, meist vor dem Grill, nachdem Kai und Jan den halben Nachmittag mit Sex und Rumgammeln und die andere Hälfte mit wilden Aktivitäten oder touristischen Ausflügen verbracht hatten.

Vor dem Abendessen hatten Lukas und Noppi mit Sport zu tun, Jan mit Fernsehen und Kai mit seinen Krimis. Die musste er auch nicht mehr kaufen, die Nachbarin von Lukas hatte eine wahre Kollektion in ihrer Ferienwohnung. Kai musste nur hin und wieder etwas mit ihr und ihrer Lebensgefährtin über vegane Ernährung reden, im Austausch erhielt er die neusten Bücher kostenlos. Viel mehr als er lesen konnte, auch wenn er ein beachtliches Tempo hatte.

Die Nachbarin oder ihre Lebensgefährtin arbeiteten für einen Verlag, was vermutlich ihre Leseleidenschaft erklärte. Ansonsten waren die beiden Frauen den Vormittag über mit Perlenketten beschäftigt, am Nachmittag halfen sie in einem Kitschladen an der Strandpromenade aus, wo eben diese Ketten verkauft wurden. Die Woche ging nicht dahin, ohne dass Kai eine Kette für seine Mutter und einen Schlüsselanhänger von den beiden Frauen kaufte.

Ihre Kartenrunde mit Lukas, Noppi, dem Architekten aus der Wohnung zwei Häuser weiter oder den Perlentanten am Abend bei Rotwein und dem einen oder anderen Joint war ebenfalls harmonisch. Lukas, der Architekt und Jan redeten über Geldanlagen, Autos und Hausrenovierungen... was dazu führte, dass Lukas auch noch seine Hilfe bei Tinis Haus anbot. Die Perlentanten und Kai sprachen über Bücher. Kai und Noppi philosophierten über Pflegeprodukte, die neusten Kinofilme und tauschten sich über ihre Meinung zu Lukas Körper aus, weil dieser nahezu pausenlos am Trainieren war, um seinen Rücken zu stärken. Die Stimmung war fabelhaft.

Kai konnte es kaum fassen, aber die gesamte Woche blieb so harmonisch. Vor allem die Abende in ihrer Wohnung waren frei von störenden wilden Partys. Die geräumige Wohnküche mit gemütlicher Couch vor überdimensioniertem Fernseher lockte Jan zu Fußballspielen der anlaufenden Fußballsaison mit Bier in der einen und Tapasteller in der anderen Hand. Auf dem Balkon oder der Terrasse von Lukas unten konnte Kai derweilen gemütlich mit Noppi und Lukas Karten spielen, Rotwein trinken und einfach genießen, dass niemand etwas von ihm wollte.

Die Ausnahme bildete natürlich Jan, der Sex wollte und zwar dauernd und immer, außerdem überall. Kai konnte wirklich mit Sicherheit sagen, dass er noch nie so viel Sex gehabt hatte wie in dieser einen Woche. Als Unterlage dafür nutzten sie alle möglichen Möbel. Das Bett natürlich meist, aber auch die Couch, die Korbstühle auf dem Balkon, die Waschmaschine und sogar den Küchentresen. Im Bad hatten sie nach Noppis Kommentar dazu nur noch Sex, wenn die beiden anderen nicht im Haus waren. Sie kamen verdammt nahe an einen Totalverbrauch der Kondome und mussten Gleitgel in dem Tourisupermarkt nachkaufen. Jan musste das tun, weil ihm nichts peinlich war und er das Zeug auch wirklich verschwendete.

Einer der Gründe für die Ruhe im Urlaub war nicht nur die Einvernehmlichkeit mit Lukas und Noppi, es war der Umstand, dass Jan Kais Handy aus der Reisetasche entfernt und in der Wohnung versteckt hatte, bevor sie gefahren waren. Kai erinnerte sich allerdings erst am vierten Urlaubstag daran, dass er das Handy schon länger nicht mehr gesehen hatte. Nach kurzem Schreckmoment, als er es nicht finden konnte, dann kurzem Streit mit Jan, über die Bevormundung, musste Kai zugeben, dass ihm die Ruhe vor Tini auch wirklich gut getan hatte. Das, und der Blowjob, den Jan ihm zur Entschuldigung auf der Stelle, gleich dort in ihrer Küche, verpasste, versöhnten ihn ungemein mit dem Arrangement.

Kai musste jedenfalls von Herzen zustimmen, als Jan zum Abschied zu Lukas sagte, dass er gern und jederzeit wieder in diesem Haus Urlaub machen wollte.

Noppi war letzte Geschenke kaufen gegangen, Jan packte ihre Tasche und Lukas und Kai hockten mit Rotwein auf der Terrasse vor dem Pool. Lukas nur in Shorts und seinen geilen Körper gehüllt, Kai mit dreckiger Shorts und letztem sauberen T-Shirt bekleidet. Kai gähnte, blickte kurz hoch zu ihrem Balkon, wo Jan die getrockneten Strandlaken einsammelte. Er stellte seinen einen Fuß gegen Lukas Stuhllehne und streckte sich. "Danke, Lukas."

"Hm? Wofür, Engel?" Lukas stellte das Rotweinglas ab und umfing Kais Fuß, um ihn locker zu massieren.

"Den Urlaub. Dass wir hier sein durften, Jan und ich."

"Der Wauwau ist ein sehr angenehmer Mieter, Kai. Du wirst mir immer willkommen sein."

Kai blickte Lukas in die Augen. "Ja. Und Noppi ist ein Glück nicht zu eifersüchtig."

"Nicht sehr." Lukas strich Kais Spann mit dem Daumen entlang. "Nicht mehr", korrigierte er dann leise.

"Hm? War er das mal zu sehr?" Instinktiv sah Kai sich nach Noppi um, aber der war noch unterwegs.

"Ja. Natürlich. Du bist mir wichtig, das weiß jeder, der mich kennt. Er hat dich als Sprungbrett in die Beziehung mit mir genutzt, aber dann wäre er dich gern los gewesen." Lukas grinste. "Hat unterschätzt, wie sehr ich noch an dir hänge, Kai."

"Du hängst an mir?"

"Hm. Klar. Aber keine Sorge, nicht als Freund oder Exfreund, nicht mit Sex vor Augen... außerdem weiß ich jetzt ja genau, wie ausreichend du davon bekommst."

Kai wurde rot. "Noppi meinte schon, dass man das im Bad hören kann..."

Lukas lachte. "Nein, ich meinte, dass man es dir super ansehen kann, wenn du so herrlich entspannt und ausgefickt auf einen Rotwein runterkommst, so wie jetzt."

Kai genoss die Hitze in seinem Gesicht und angelte nach seinem Rotweinglas. "Scheiß Indiskretion, Noppi hat dich angesteckt."

"Alles gut. Es tut mir gut, dich so glücklich zu sehen. Du darfst jederzeit wieder mit deinem Wauwau hier Urlaub machen, Kai."

"Danke. Das werden wir bestimmt." Das war irgendwie sicher. Doch dann hob Kai den Kopf. "Und was ist mit Ding? Ari mein ich. Der ist bald da, was ist, wenn der mal mitkommen muss."

"Wenn er schwimmen kann, vorher nicht! Sonst ist der Pool eine Todesfalle, Kai!" Der Blick von Lukas zum Pool und zu Kai zurück war nicht lustig oder entspannt.

"Klar, klar... glaub eh nicht, dass ich je mit dem Urlaub machen werde. Auf keinen Fall!" Und es war das erste Mal in diesem Urlaub, dass jemand das Ding erwähnte. Erstaunt hob Kai den Kopf. "Danke, Lukas!"

"Hm? Ist doch nur eine Fußmassage. Ich mach das gern, du bist sogar an den Füßen wunderschön."

"Nein... ich meine, danke auch dafür, du machst das voll gut, aber ich meine, danke dass du oder Noppi nie von dem Ding angefangen habt."

"Warum sollten wir, Engelchen? Oder, wie Lolita sagen würde: ist doch unsexy ohne Ende, so ein Ding." Im nächsten Moment rief Noppi von vorn aus der Wohnung, dass er 'wieder dahaaa' sei und in Sekundenschnelle ließ Lukas Kais Fuß los, um so seine entspannte Art zuvor Lügen zu strafen. Gleich drauf kam Jan zu ihnen samt ihrer Lebensmittel. Da Lukas und Noppi noch länger bleiben wollten, sollten sie die Reste verbrauchen.

Der Rückflug ging leider wieder spät am Abend. Die Zeit zwischen Auto-Abgabe und Abflug verbrachten sie mit einem langatmigen touristischen Kulturtag in der Stadt, so dass Kai nach einem langweiligen und unbequemen Flug und ermüdender Bahnfahrt im Nachtsternverkehr geschafft in ihre Wohnung wankte. Zu seiner Freude war Lolli fort. Leider hatte er ein für ihn typisches mittleres Chaos hinterlassen und das Bad nicht geputzt. Noch beim Umkleiden für das Bett schrieb Kai ihm eine wütende Nachricht. Dann fand er den recht vollen Kühlschrank vor und sah es als Miete für die Urlaubswoche. Er erhielt natürlich keine Antwort von Lolli und verfluchte, dass er chaotische Freunde hatte, als Jan ihn am nächsten Tag nicht nur zum Wäschewaschen, sondern auch zum Aufräumen und Putzen zwang.

Kaum war der Urlaub vorbei, wollten alle was von Kai. Er überlegte gar, ob er sein Handy nicht dauerhaft verlieren sollte. Leon schickte Anfragen zu Arbeitsschichten, die Kai nicht passten. Seine Eltern wollten über das Ding diskutieren, Benni, die Meiersche und Lolli über den Urlaub und das Einvernehmen mit Lukas und Noppi, über den FKK-Strand, den Sex im Urlaub und den Sex von Lukas und Noppi im Urlaub, beides Themen, die Kai nicht besprechen wollte. Pascal schickte eine Nachricht, dass er was Dringendes besprechen müsste. Dann ging es nur um die Frage, ob Kai ihm sein arschteures Designsofa abkaufen wollte, weil für ihn ein Umzug nach Berlin anzustehen schien.

Tini wollte als nächstes auch etwas von Kai, typisch für Tini natürlich nicht nur per Handy. Sie hatte es natürlich mit Nachrichten und Fotos voll gerammscht, die Kai alle löschte. Aber sie erreichte ihn gleich am Morgen nach seiner Rückkehr, noch bevor er so richtig wach war. Kryptisch sagte sie ihm am Telefon, dass sie ihn bräuchte. Dringend bräuchte. Das beeindruckte Kai nicht, aber sie legte auf, bevor er ihr verbieten konnte, gleich vorbei zu kommen.

Entsprechend misstrauisch starrte er ihr entgegen, als sie für ihren Umfang erstaunlich flink die Treppen zu ihnen hinauf lief. "Hey. Du siehst super aus! Der Urlaub war gut, ja?" Sie warf ihren roten Messenger-Rucksack in den Flur und küsste ihn rasch auf die Wange.

"Hm." Kai blickte seine Putzhandschuhe und den Eimer mit Kloputzmittel an, nahm den Kuss auf die Wange gnädig an, aber verschränkte sofort die Arme. "Was willst du? Ich putze."

"Deine Unterstützung. Ich muss Olli vom Bahnhof abholen. Dafür helfe ich dir auch rasch, es ist noch etwas Zeit."

Mehr sagte sie nicht, sondern putzte mit dem für sie üblichen Elan die Küche und schwenkte den Staubsauger, während Kai mit dem Bettzeug und dem Badschrubben kämpfte. Sie blickte nach einer knappen Stunde aber bereits auf die Uhr und zerrte an seiner Hand. "Oh mein Gott! Wir kommen zu spät!"

Zu spät kamen sie tatsächlich, weil Kai sich natürlich noch umziehen musste, bevor er sich abführen ließ. Aber nicht nur sie waren spät dran. Der Zug hatte eine kräftige Verspätung, die Kai und Tini gemeinsam in einem billigen Dekoladen am Bahnhof verbrachten. Kai leeren Hirns in Erinnerungen an den Sex in Spanien verstrickt, als er eine Dekoschale mit Muscheln und Sand sah, Tini pausenlos labernd, wie das Haus zu renovieren sei und dass sie vor Olli so viel Schiss habe.

Kai nahm nach einer Weile an, dass es sich bei Olli um einen Handwerker für das scheiß Haus handeln musste. Norbert kam in jedem zweiten Satz von Tini vor und verpasste Kai jedes Mal Schrecksekunden, bis ihm erneut klar war, dass es nur um ihn im Zusammenhang mit Kreissäge, Bohrhammer oder Zaunfarbe ging.

Endlich wurde der Zug angesagt und Tini schleppte Kai am Handgelenk zerrend auf den Bahnsteig. "Oh Gott, bin ich nervös", meinte sie leise und drückte Kais Hand, dann winkte sie hektisch, bevor Kai dazu kam, noch einmal zu fragen, wer zur Hölle Olli war.

Es kam kein Mann auf sie zu, sondern eine hochgewachsene Frau von stabiler Statur, die Kai spontan irgendwie bekannt vorkam. Er konnte nicht sagen, woher und war deswegen nervös. Ihr Gang war brüsk, als ob sie es gewohnt war, lange Strecken hinter sich zu bringen. Sie trug ein dunkelblaues Jeanskleid zu braunen Wanderschuhen mit offenbar selbstgestrickten Socken, was den derben Look noch verstärkte. In der Hand trug sie einen altmodischen, abgeschabten Lederkoffer. Sie wirkte undefiniert mittleren Alters, mit zarten Lachfältchen und zwei Falten auf der Stirn, aber einer sehr energischen, fast jugendlichen Art, sich zu bewegen. Ihre Haare waren so hell, dass sie fast weiß wirkten und zu einem Kurzhaarschnitt traktiert, der Kais Friseur vermutlich in einen Lustmord treiben würde. Sie war irgendwie schneller gelaufen als Kai es verfolgen konnte. Mit einem Mal stand sie vor ihm, funkelnde graue Augen betrachteten sein Gesicht, während sie Tinis Hand schüttelte und deren Wortschwall über sich ergehen ließ.

Als Tini eine Atempause einlegte, lächelte sie, reichte Kai den Koffer und sagte mit rauer Stimme "Ich bin Olli. Ich habe schon viel von dir gehört, Kai." Hierbei warf sie einen kleinen Seitenblick auf Tini. "Aber du bist wirklich noch hübscher, als ich es mir vorgestellt hab."

"Ich hätte dir längst Bilder schicken sollen, Olli. Tut mir so leid!" Tini begann dann ohne Umwege, diese Olli untergehakt, von dem Haus zu labern. "Wir können erst einmal zur Pension fahren, wenn du magst."

"Nein. Ich bin nicht müde. Wir fahren lieber gleich zu deinem Projekt hin, Tini, damit ich mir ein richtiges Bild machen kann, in was du uns da reingeritten hast." Olli war offensichtlich kein wirklicher Fan von Tini und servierte sie auch pausenlos ab, wenn Tini dazwischen quasseln wollte.

Kai trottete hinter den beiden Frauen her. Tini pausenlos um Verzeihung bittend, diese Olli lächelnd und auf angenehm sichere Art schweigend, wenn sie Tini nicht kurz und knapp in die Parade fuhr. Gleichzeitig grübelte Kai, wer sie sein konnte. Für eine Tante von Tini war da zu wenig Ähnlichkeit, eine Freundin der Eltern? Eine Patentante? Wieso wusste die schon viel über ihn, er aber buchstäblich nichts von ihr?

Ihm kam aber nur der Job des Kofferträgers zu, Tini schwang sich in ihren Kleinwagen, von dem sie traurig meinte, dass er jetzt verkauft würde. "Ohne das Geld meiner Eltern muss mein Kleiner weg. Wir teilen uns Holgers Wagen dann in Zukunft."

"Hm." Ollis Blick huschte vom Beifahrerfenster aus über die Häuser.

Kai lehnte sich etwas vor. "Könnt ihr mich da vorn bitte absetzen?"

"Nein, nein! Du musst mit zum Haus, Kai. Du bist noch gar nicht dort gewesen!"

Und schon rauschte Tini an seiner Straße vorbei und direkt am Wald entlang weiter. Sie bogen nach einer kurzen Strecke auf einen unbefestigten Waldweg ab, der allerdings nur einmal um die Kurve führte, dann öffnete sich der Wald ein wenig zu einer verwilderten Wiese. In der Mitte stand ein Haus mit altmodischem hohem Dach, teils blickte Fachwerk durch den Putz, am Giebel hoch oben hängte eine Schützenscheibe mit Hirsch drauf. Die Fenster waren staubig oder vielleicht auch blind, die grüne Haustür blätterte ab. Am Dachrand hing ein Teil der rostigen Regenrinne in trägem Bogen hinab. Es war schlimmer als in Kais Alpträumen.

Schweigend stieg Olli aus dem Wagen aus, stemmte die Hände in die Hüften und blickte sich die Misere an. Dann ging sie beherzt auf das Monstrum zu.

Tini wies wild plappernd auf den neu gelegten Internetanschluss hin, während Kai mühsam beherrscht versuchte, durch ein Fenster zu spähen. Tini erwähnte, dass sie das Dach erneuern würden, während Kai Olli hinterherblickte, die mit forschem Schritt in den Garten vordrang, ohne auf Fragen zu antworten.

Endlich trat Tini zu Kai. "Und?"

Kai lehnte sich zurück und sah zum Schornstein hoch. "Es ist noch schlimmer als auf den Fotos, Tini. Wie konnte Holger dich das nur machen lassen?"

Ollis Stimme kam vom anderen Eck des Hauses zu ihnen zurück. "Das frage ich mich auch. Der Jung muss wirklich verliebt sein. All das... ein Baby von einem anderen, ein Haus, das vermutlich bald zusammen fällt... es war sonst nie seine Art."

In dem Moment fuhr der erwähnte Junge mit seinem Geländewagen vor und sprang heraus. Erleichtert lächelte Kai ihm kurz zu. Holger nickte einmal in seine Richtung, dann trat er zu Olli, über einen Kopf größer und etwa doppelt so breit und blickte auf sie herunter. Merkwürdig unsicher und betreten meinte er endlich "Ich weiß, was du sagen willst."

Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete ihn, man sah den Humor in ihren Augen blitzen, dann winkte sie ab. "Ich hab alles schon gesagt. Ich habe mich entschieden und dabei bleib ich."

Erleichterung schien ihn zu durchfluten. "Danke... wirklich, danke!"

Sie lachte. "Was solls, ein wenig mehr von diesem Unsinn werden wir schon durchstehen. Wir haben alles andere ja auch geschafft, Junge!"

Holger grinste blöde, dann sah er sich zu Kai um: "Ihr habt euch schon kennengelernt, nicht wahr?"

"Hm." Kai wollte nicht sagen, dass er noch immer keinen Schimmer hatte.

Holger schlug sich die Hände reibend vor: "Wollen wir heute Abend zur Feier der Entscheidung alle zusammen essen gehen?" Er lachte. "Noch haben wir ja kein Geld verschwendet!"

"Alle zusammen?" Misstrauisch blinzelte Kai Holger an. Der nickte und verpasste ihm den Todesstoß. "Ich schick Jan mal eine Nachricht. Lass uns in diesen Griechen auf der Ecke bei euch gehen. Da werden wir wenigstens satt."

Kurz spielte Kai mit dem Gedanken, einfach Arbeit vorzuschieben, dann verwarf er das und nickte ergeben. "Passt schon. Jan ist beim Training, danach hat er immer Hunger. Ich schleppe ihn einfach gegen sieben dort vorbei?"

Holger drehte sich zu der Frau um. "Ist dir das Recht, Mama?"

Und Kai starrte verblüfft von der Frau zu Holger. "Mama?"

Holger blinzelte, dann sah er strafend zu Tini. "Hast du sie doch nicht vorgestellt?!"

"Ich dachte, dass Kai weiß, wer deine Mutter ist."

Kai stemmte eine Hand in die Hüfte: "Was? Woher das denn?!" Und ihm fiel ein, woher er diese Olli kannte. Vom gerahmten Bild in Holgers Wohnung.

Holger trat zu seiner Mutter und wies mit einer Hand zwischen ihnen hin und her: "Olli, das ist Kai. Von ihm ist Ari, auch wenn er das nicht wollte. Kai, Olli Matthiesen, meine Mutter."

Lesemodus deaktivieren (?)