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Bring mir dein Lachen bei

Akt 4 - Non-Replica

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Wovon ich am nächsten Morgen wach werde, kann ich gar nicht sagen. Ich schlage einfach irgendwann wie von selbst die Augen auf ... und frage mich für eine Sekunde, wo ich bin, auch wenn es mir sofort klar wird. Gähnend ziehe ich die Decke etwas enger um mich, drehe mich auf dem Sofa herum, so dass ich in den Raum sehen kann, verspüre das Bedürfnis, die Augen wieder zu schließen und weiter zu schlafen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich auf einem so engen Sofa so gut schlafen kann!

Fast zwinge ich mich dazu, die Augen geöffnet zu halten. Ich lausche auf Geräusche, nehme aber nicht wirklich welche wahr, außer ein paar dumpfen Automotoren. Dabei lasse ich meine Augen über die modernen Möbel gleiten.

Wie spät es wohl ist?

Noch eine ganze Weile bleibe ich liegen, ohne wirklich etwas nennen zu können, über das ich nachdenke. Schließlich stehe ich auf, weil mich mein Körper zum Bad schickt. Leise auf dem Weg zum Flur gehe ich die Kurzführung von gestern durch.

Kurz entschlossen öffne ich die erste der beiden mir fremden Türen.

Dass es nicht das Bad ist, erkenne ich sofort, doch aus irgendeinem Grund schaffe ich es nicht, wie Tür sofort wieder zu schließen. Stattdessen spähe ich in das dunkle Zimmer hinein, welches kleiner und leerer ist als Marcels. Nur die wichtigsten Möbel, an den Wänden Poster, deren Bilder ich nicht erkennen kann, in der Ecke eine große Topfpflanze, dichte, blaue Vorhänge … Den Blick zum Bett gleiten lassend, bin ich mir fast sicher, eine Person darauf zu erkennen. Sie bewegt sich nicht.

Augenblicklich wird mir klar, was ich hier eigentlich tue. Schnell ziehe ich die Tür wieder zu, so leise wie möglich.

Bin ich jetzt vollkommen dämlich?

Ich drehe mich herum, öffne die gegenüberliegende Tür - und lande zum Glück tatsächlich in einem weißgefliesten Bad. Schnell trete ich ein, schließe die Tür wieder hinter mir und begebe mich direkt zur Toilette.

Mich erleichtert, stehe ich schließlich gähnend vor dem Spiegel. Ich sehe das dunkle Zimmer vor mir und könnte mich gerade selbst treten. Bin ich denn blöd, die Tür nicht einfach sofort wieder zu schließen?

Aber wenigstens hat er mich nicht bemerkt.

Ich beschließe, den Gedanken zu beenden und werfe einen Blick herum. Nun erst fällt mir ein, dass ich gar kein Badzeug dabei habe. Den fahlen Geschmack bei diesem Gedanken noch stärker im Mund spürend, greife ich kurz entschlossen nach der Mundspülung. Das wird sie schon nicht stören. Dabei fällt mein Blick auf die Uhr. Kurz nach Zehn ... So lange hab ich auch schon lange nicht mehr geschlafen ...

Als ich bereit bin, das Bad wieder zu verlassen, bin ich nicht wirklich sicher, was ich nun tun soll.

Zurück ins Wohnzimmer? In die Küche? In Marcels Zimmer?

Zögernd verlasse ich das Bad, bin schon fast auf dem Weg zu meinem Schlafplatz zurück, als ich durch die halb geöffnete Küchentür eine Bewegung wahrnehme. Den Blick gewendet, entdecke ich Marcel. Meine Entscheidung somit um einiges erleichtert, schlage ich sofort einen anderen Weg ein. Marcel scheint mich zunächst gar nicht zu bemerken, verschwindet wieder hinter seiner Zeitung und reagiert auch nicht, als ich die Küche betrete.

„Guten Morgen.“

Die Zeitung raschelt, als er zusammenzuckt. Erschrocken guckt er darüber hinweg, sieht mich, lächelt kurz und erwidert meinen Blick. Dann verschwindet er erneut hinter der Zeitung.

Unschlüssig bleibe ich stehe, betrachte den braunen Haarschopf, der so früh am Morgen nicht in alle Richtungen absteht, sondern verwuschelt am Kopf hinabhängt. Es lässt ihn verändert wirken, es sieht gut aus ...

Ich verkneife mir diese Worte nur deshalb, weil diese morgenmufflige Art, sich hinter der Zeitung zu verstecken, mir die Lust dazu nimmt. Stattdessen entscheide ich mich, mich zu setzen. Die Zeitung sinkt ein wenig hinab, Marcel sieht mich an. Er runzelt die Stirn, was mich dies ebenfalls tun lässt ... dann guckt er wieder auf seine Buchstaben.

„Irgendwas Interessantes dabei?“, versuche ich tatsächlich, Konversation zu treiben… ein Kopfschütteln ist darauf allerdings die einzige Antwort.

Verblüfft sehe ich ihn an… und so sitze ich da, die nächsten Minuten, etwas unschlüssig, was ich tun soll.

Ich bin nicht gerade eine Person, die sich gerne selbst einlädt, weshalb ich nicht nach dem Brot auf dem Tisch greife oder nach der Kaffeekanne. Ich komme mir doof vor, wegen Marcels komischer Art.

Wieder sehe ich das Stückchen an, das ich hinter der Zeitung von ihm erkennen kann. Irgendwie wirkt er blass.

„Sag mal ...“, bringe ich schließlich heraus und ich glaube, es klingt nicht so gezwungen, wie ich mich gerade fühle. „ ...du bist aber nicht gerade gesprächig morgens. Das hätt’ ich gar nicht von dir erwartet.“

Ich versuche zu grinsen und als die Zeitung verschwindet, sehe ich das erste Grinsen von Marcel an diesem Morgen.

Zum ersten Mal fällt mir das Grübchen neben seinem linken Mundwinkel dabei auf.

„Das liegt wahrscheinlich daran-“

„-dass ich hinter dir stehe.“

Mehr die plötzliche Stimme als die Worte lassen mich herumfahren ... und im nächsten Moment springe ich vom Stuhl. Der Tisch wackelt, als ich dagegen stoße und irgendwas fällt um.

Dann erfüllt ein doppeltes Lachen die Küche, das sehr ähnlich klingt, auch wenn das von dem Marcel in der Tür lauter und schallender ist. Irritiert sehe ich herum.

„Nicht im ernst, oder?“, sehe ich hin und her, her und hin.

„Doch!“ Der Marcel in der Tür grinst mich noch immer breit an, deutet dann auf den Sitzenden. „Das ist Melvin, mein kleiner Bruder!“

„Nur um sieben Minuten“, wird nun aufgestanden und mir die Hand hingestreckt.

Ich ergreife sie noch vollkommen irritiert, in das fremde und doch bekannte Gesicht blickend.

„Hallo“, lächelt er mich freundlich mit diesem kleinen Grübchen an. „Schön dich kennenzulernen.“

Ich nicke nur, noch viel zu erstarrt, um etwas zu sagen. Dann ziehe ich meine Hand zurück, sehe wieder Marcel an.

„Nimm’s mir nicht übel!“, grinst dieser mich an, hält eine Tüte hoch. „Ich war Brötchen holen und hab ihn gebeten, meine Rolle einzunehmen, falls ihr aufeinander trefft. Hat er’s gut gemacht?“

„Er hat nicht gesprochen“, sage ich, meine Stimme wiedergefunden. „Das hat mich irritiert.“

„Manche sagen, wir klingen unterschiedlich ... und ich wollte doch den Schein wahren ...“, kommt es neben mir.

Tatsächlich fällt mir auf, dass seine Stimme ein wenig heller ist. Obwohl ich bezweifle, dass mir der Unterschied ohne direkten Vergleich aufgefallen wäre. Ich habe ja auch nicht bemerkt, dass Melvins Haare mit ein paar helle Strähnen durchzogen sind, die Marcel nicht hat.

„So, nun lasst uns aber frühstücken!“, tritt Marcel richtig in die Küche. „Kaffee, nicht wahr?“, werde ich angesehen.

„Richtig.“

„Mit Milch? Zucker?“

„Nur Milch“, antworte ich knapp. Mein Blick liegt noch immer auf Melvin, der nun nach der Milch greift und sie mir reicht. Er lächelt, als ich sie entgegen nehme, und wieder fällt mir das Grübchen auf.

Marcel setzt sich neben mich, nachdem er meine Tasse mit Kaffee gefüllt hat.

„Brötchen?“

„Danke“, greife ich in die Tüte, nun ihn ansehend.

Sie sehen sich wirklich so wahnsinnig ähnlich. Obwohl da irgendwas anders ist …

Marcels Blick verlässt mich und er sieht seinen Bruder an.

„Du bist doch gleich mit deiner Süßen verabredet, oder?“

„Ja.“ Melvin faltet nun endlich die Zeitung zusammen, legt sie zur Seite. „Caro sagt, heute ist ne Menge Küssen angesagt.“ Ich sehe ihn bei diesen Worten das Gesicht grinsend verziehen, etwas, das Marcel auch ständig macht ... aber irgendwie anders.

„Ah! Ich beneide dich!“, zwinkert Marcel, über den Tisch nach irgendwas greifend.

„Lass das bloß nicht Jeanette hören, sonst reißt sie dir den Kopf ab.“

„Dann nehm ich halt deinen.“

„Das wagst du nicht!“

„Ich könnte es versuchen …“

„Das glaub ich dir sogar!“ Melvin lacht Marcel an, dann mich. Seine Augen strahlen dabei. „Er starrt uns noch immer an.“

„Du hast Recht. Mann, ich glaub’s nicht, hab ich’s doch tatsächlich geschafft?“

„Was?“

„Ihn zu überraschen. Ich hatte ja schon daran gezweifelt, dass das bei ihm überhaupt geht ...“

„Das gestern war nichts?“

„Doch, einigermaßen, aber er ist ne harte Nuss ...“

„Sieht gar nicht so aus.“

„Stimmt. Gef-“

„Hört auf über mich zu reden, als sei ich nicht hier!“, fahre ich sie an, als es mir zu viel wird, zwischen ihnen hin und her zu sehen und doch auf das gleiche Gesicht zu blicken.

Ich greife nach der Tasse Kaffee und führe sie zum Mund. Meine Augen liegen auf Melvin, auf seinen Haaren, die das Offensichtlichste sind, was die beiden auf den ersten Blick voneinander unterscheidet.

„Entschuldige“, sagt dieser schließlich und klingt ehrlich dabei.

Seine Augen sehen mich freundlich an und ich frage mich für eine Sekunde, ob ich mir einbilde, dass sie eine etwas andere Form haben. Dann nicke ich und sehe weg.

„Irritiert es dich so sehr, mich zwei Mal zu sehen?“, fragt Marcel.

„Schon. Ihr seid euch wirklich sehr ähnlich.“

„Aber nur vom Aussehen. Eigentlich sind wir sehr unterschiedlich ...“ Marcel greift nach der Brötchentüte. „Mel hasst es, Sport zu gucken und studiert im Bereich Musical-Show ... nur um zwei Punkte zu nennen.“

„Musical-Show?“, frage ich fast ein wenig überrascht, nachdem ich es wirklich realisiert habe und in meinem Kopf das Bild eines nicht unbedingt eleganten, hektischen Marcels, der mir beim ersten Treffen Kaffee über die Hände gekippt hat, aufgetaucht ist.

„Ja“, kommt es fast etwas zaghaft, ohne weitere Aussagekraft.

„Kannst du dir mich tanzend und singend vorstellen?“, grinst Marcel mich an.

„Nicht mal ansatzweise“, schüttle ich den Kopf.

„Dann musst du ihn mal sehen, du wirst begeistert sein!“

„Marcel, übertreib nicht.“

„Tu ich nicht! Ich schwör’s!“ Marcel hebt lachend die Hände. „Wann habt ihr die nächste Vorstellung?“

„Übernächsten Samstag.“

„Da hörst du’s! Nimm dir an dem Tag nichts vor!“

„Ihr habt Auftritte?“

„Nur sehr klein, aber ja ... Ab dem zweiten Semester findet so was regelmäßig statt, damit wir Praxiserfahrung sammeln ...“

Nickend sehe ich Melvin an, der daraufhin leicht rot wird.

„Seit wann studierst du?“

„Seit knapp zwei Jahren.“

„Und wie kommt man auf Musical-Show?“

Der Rotschimmer scheint etwas mehr zu werden. „Das fragt irgendwie jeder…“

„Wirklich? Tut mir leid!“, hebe ich sofort die Hände.

„Kein Problem.“ Melvin lächelt aber er antwortet mir nicht.

„Magst du Musicals?“, unterbricht Marcel dann auch ziemlich schnell die Situation.

„Ich war erst in einem und das ist lange her. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal mehr, wie es hieß …“

„Dann wird es Zeit, dass du mal wieder eines siehst!“, nickt Marcel eindringlich, bevor er plötzlich auf die Uhr deutet. „Sag mal Mel, musst du nicht los? Es ist schon zehn vor.“

„Oh Mist!“, springt er hektisch auf. „Du hast Recht!“

Damit ist Melvin auch schon aus der Küche verschwunden und man hört ihn im Zimmer nebenan. Mir wird wieder bewusst, dass ich dieses ja bereits gesehen habe. Plötzlich ist es mir hoch peinlich.

Ich sehe Marcel an, um den Gedanken loszuwerden. Er grinst immer noch oder mal wieder breit vor sich hin. Bei ihm erkennt man kein Grübchen.

Ich will gerade etwas sagen, als Melvin wieder hereinkommt. Er streckt mir die Hand hin.

„Tschüss“, lächelt er mit vor Hektik roten Wangen. „Ich würde mich freuen, wenn du zu unserem Auftritt kommst.“

„Ich werde es versuchen.“

„Schön!“ Damit entzieht sich seine warme Hand mir.

Er wirft Marcel noch einen Gruß zu und lässt Sekunden später die Wohnungstür ins Schloss fallen.

Etwas verdattert schüttle ich den Kopf. „Wider Erwarten seid ihr doch beide nicht von der ruhigen Sorte.“

„Das täuscht. So ist er nur, wenn er in Hektik oder nervös ist. Normalerweise ist Mel der Ruhepol von uns beiden ...“ Marcel beißt in sein Brötchen und sieht mich erwartungsvoll an. „Und? Was machen wir beiden hübschen noch so?“

„Ich weiß nicht. Ich sollte wahrscheinlich irgendwann nach Hause, sonst flippt Tobias aus ...“

„Hast du ihn endlich angerufen?“

„Nein“, fällt mir in dem Moment auch ein, dass ich gestern tatsächlich nicht auf das mehrmalige Klingeln reagiert habe. Ob er mir am Ende eine SMS geschrieben hat?

„Das ist schon ziemlich fies, wo er doch so eifersüchtig ist ...“

„Ich tu aber nichts, also muss er nicht eifersüchtig sein.“

„Stimmt schon ... aber damit er einen Frieden hat ... soll ich dich gleich nach Hause fahren?“

„Es reicht, wenn du mich zum Bahnhof fährst“

„Ach, das ist doch Quatsch! Wieso solltest du den Zug zahlen, wenn ich dich fahren kann?“

„Und wieso solltest du Spritkosten zahlen, wenn ich mit dem Zug fahren kann?“, kontere ich.

„Mist! Eins zu Null für dich!“, schnipst er in die Finger. „Aber egal, ich fahr dich trotzdem, ich will dich nicht gleich schon wieder los sein ...“

„Wie du meinst“, greife ich resignierend nach dem Marmeladenglas. „Tu, was du nicht lassen kannst.“

„Mach ich sowieso ...“

„Ich weiß.“

Die Fahrt vergeht überraschend schnell, was wohl daran liegt, dass wir uns die gesamte Zeit unterhalten.

Erst erzählt Marcel mir davon, wie sie früher immer Streiche gespielt haben, wie sie Lehrer, Mitschüler und Freunde mit ihrer Ähnlichkeit überforderten.

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, in ein Gesicht zu sehen, das wie meines ist…“, sage ich, versuchend, mir das irgendwie vorzustellen.

„So komisch ist das gar nicht. Man kennt es ja nicht anders … und außerdem sieht man sich so ja selbst nie richtig …“

„Was meinst du?“

„Naja …“ Er klappt den Spiegel am Beifahrersitz herunter, deutet darauf. „Sie hinein … So wie du dich da siehst, so siehst nur du dich … Das ist auch der Grund, warum einem Fotos von sich selbst nie gefallen, weil man sich so nie sieht, weil es fremd ist.“

Ich sehe für einen Moment mein Spiegelbild an, dann wieder Marcel.

„Und deswegen ist es anders, Melvin zu sehen?“

„Ein bisschen zumindest. Ich sehe natürlich auch, wie ähnlich wir uns sind, aber dennoch sieht er auf gewisse Weise ganz anders aus als ich … oder als mein Spiegelbild …“

„Das ist komisch“, gebe ich zu. „Ich hab über die Sache nie so nachgedacht.“

„Brauchtest du ja auch schließlich nicht.“

„Hat es dich jemals gestört?“

„Was?“

„Dass du einen Zwilling hast.“

„Nein, mich eigentlich nie.“ Er lächelt, ein wenig traurig. „Aber es gab schwierige Zeiten …“

Ich zögere bevor ich frage, was er damit meint. Doch ich erhalte nur ein paar Worte als Antwort und schließlich die Aussage, dass ich dazu besser Melvin fragen sollte. Sofort will ich mich entschuldigen, woraufhin er aber sogleich den Kopf schüttelt. Und dann wechseln wir das Thema.

Vor dem Wohnblock angekommen, zieht Marcel etwas aus dem Handschuhfach heraus. Er kritzelt etwas auf einen Fetzen Papier und hält ihn mir dann hin.

„Was ist das?“

„Unsere Nummer“, drückt er mir den Zettel in die Hand. „Ich würd dir ja auch meine Handynummer geben, aber das bringt nicht wirklich was. Ich hab’s eigentlich nie dabei …“

„Wie ungewöhnlich.“ Ich grinse, stecke den Zettel weg und ergreife einen leeren, den Marcel mir reicht. „Ich hätte gedacht, dass du so ein Freak bist, der immer die neusten Klingeltöne will.“

„Das war einmal. Mittlerweile find ich die Dinger nervig. Das kann aber auch daran liegen, weil ich immer den Pager der Taxizentrale mit mir herumtragen muss, falls es wirklich mal zu viel zu tun gibt …“

„Kommt das oft vor?“

„Gott sei dank nicht.“ Er deutet auf den noch immer leeren Zettel. „Bekomm ich deine Nummer?“

„Ich ratschlage noch, ob ich das wirklich tun sollte“, grinse ich, natürlich ohne es wirklich so zu meinen.

„Denk dran, ich weiß, wo du wohnst!“ Er zeigt aus dem Fenster, lacht ein bedrohlich, ironisches Lachen.

„Oh Mist, ich vergaß! Ich sollte umziehen!“

„Oder mir deine Nummer geben, damit ich mich vorher ankündigen kann.“

„Okay, du hast gewonnen.“

Als ich einige Minuten später die Wohnungstür aufschließe, bin ich irgendwie froh festzustellen, dass Tobias nicht da ist. Die Treppe hinaufgegangen, habe ich nämlich endlich die SMS gelesen, welche er mir in der Nacht geschrieben hat. Es würde Streit geben, das versprach sie ziemlich eindeutig. Er ist sauer, sehr sogar ... auch wenn ich nicht verstehe, wo eigentlich sein großes Problem liegt.

Nun wie gesagt froh, erstmal in meiner leeren Wohnung anzukommen, gehe ich zunächst ins Arbeitszimmer und krame mein Adressbuch hervor. Ich kritzle Namen und Telefonnummer von Marcel hinein.

Als nächstes beschließe ich, duschen zu gehen, da noch immer der Kneipengeruch aus Zigaretten und Bier an meiner Kleidung und an mir zu kleben scheint ... etwas, das ich ehrlich gesagt nicht wirklich gewohnt bin.

Meine Klamotten in die Wäschetrommel gesteckt, schlüpfe ich also unter das strömende Wasser.

Die zunehmende Wärme genießend, kommen mir wieder die zwei gleichen Gesichter in den Sinn. Ehrlich gesagt habe ich noch nie eineiige Zwillinge gesehen, außer vielleicht mal im Fernsehen. Es ist schon interessant, wie die Natur zwei so ähnliche Menschen erschaffen kann ... und dennoch, bereits in wenigen Minuten kann man minimale Unterschiede zwischen ihnen sehen. Vielleicht habe ich durch meine Arbeit in der Künstlerbuchsparte unseres Verlages aber auch einfach einen Blick für Kleinigkeiten ... ich weiß es nicht. Wahrscheinlich fallen einem noch mehr Dinge auf, je länger man sie beide kennt. Allein ihr Charakter wird sich unterscheiden und man kann ja auch nicht dieselbe Mimik haben, wie ein anderer Mensch, oder? Und ob Melvin wirklich so ruhig ist, wie Marcel gesagt hat? Das kann ich mir gar nicht wirklich vorstellen ... muss man im Musicalbereich nicht eher eine lebendige, offene Art mitbringen?

Kopfschüttelnd drehe ich das Wasser aus. Wieso denke ich eigentlich über so etwas nach? Ich kenne die beiden noch gar nicht wirklich und dennoch wirbeln sie in meinem Kopf herum. Das ist sonst gar nicht meine Art.

Mich abtrocknend, beginne ich zu frösteln. Schnell verlasse ich deshalb das Bad und gehe ins Schlafzimmer, mir ein paar bequeme Sachen aus dem Schrank holend. Dabei fällt mir wieder ein, wie Marcel nach einer lockeren Jacke gefragt hat … Habe ich denn wirklich nur so steife Klamotten? Ist mir nie so vorgekommen. Außerdem kann ja nicht jeder nur immer in Jeans und bunten Pullis herumlaufen, oder?

Schon wieder nicht ganz verstehend, weshalb ich eigentlich jetzt darüber nachdenke, bringe ich das Handtuch zurück ins Bad und statte dann der Küche einen Besuch ab, um die Kaffeemaschine anzustellen. Gähnend lehne ich mich gegen die Arbeitsplatte und schaue der braunen Flüssigkeit beim Durchlaufen zu. Erst nach einigen Minuten fällt mir der Zettel auf, der mitten auf dem Tisch liegt.

Bin kurz ein paar Sachen von Zuhause holen.

Nimm dir bitte für heute nichts vor.

Wir müssen reden!

Ein paar mal lese ich die Zeilen, bevor ich den Zettel zerknülle und in den Müll werfe.

Reden. Wusste ich’s doch, er will mir schon wieder eine Predigt halten. Ich verstehe einfach nicht, was das bringen soll ... Er wird mir sagen, wie traurig er gestern war, wird mir sagen, dass er mich vermisst hat, und fragen, ob irgendwas passiert ist, obwohl ich ihm schon ein paar Mal versichert habe, dass Marcel nicht mal schwul ist. Tobias wird wahrscheinlich wieder anfangen zu schreien, weil ich nicht auf ihn eingehe, und er wird schließlich sich entschuldigend bei mir ankommen ...

Ist das nicht völlig unnötig? Es ist immer das gleiche, seit ich mit ihm zusammen bin. Warum begreift er denn nicht, dass ich einfach nicht der Typ dafür bin? Ich habe keine Lust darauf, meine Gefühle bloßzulegen ... und ich habe auch kein Interesse daran, dass er es ständig tut. Warum lernt er das nicht endlich?

ENDE Akt 4

Non-Replica:

Dabei handelt es sich um eine Produktion bzw. Aufführung, welche sich nicht in allen Punkten am Original orientiert, also wenn zum Beispiel die Lieder in anderer Reihenfolge gespielt werden und somit Nachproduktion und Original nicht vollkommen gleich sind. Wahrscheinlich ist hier klar, was ich mit dem Titel bezeichne: Marcel und Melvin, denn sie sind sich so gleich ... und sind es doch wieder nicht ;-)

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