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Wege
Teil 5 - Abwärts
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Informationen
- Story: Wege
- Autor: Lichtreiter
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Der Beifall wollte nicht enden. Eine so lange Applausordnung hatten sie gar nicht eingeplant, also wiederholten sie einfach den letzten Teil, bei dem alle noch einmal auf die Bühne gingen.
Mic hatte Richard längst neben Babs entdeckt, die beiden waren schließlich mit die ersten, die von ihren Stühlen aufgesprungen waren und nun begeistert klatschten.
Die Premiere war überstanden und das Stück schien gut anzukommen, allerdings hatten sie heute, bei der Premiere, auch eher ein ihnen gewogenes Publikum. Viele Eltern, Verwandte, Freunde der Darsteller und natürlich ein großer Teil des Kollegiums und Schüler füllten die Aula. Da waren die Schüler wohl noch die kritischsten Gäste.
Endlich hinter der Bühne fielen sich alle erst mal um den Hals. Sie strahlten, besonders Paul.
„Na, was hab ich gesagt? Wir kriegen das hin.“
Mic musste ihm zustimmen. Die Änderungen zwei Wochen vor der Premiere hatten ihm ganz schön Kopfweh bereitet, aber alles fügte sich ohne Holpern ganz selbstverständlich in die Handlung ein. Zwischenzeitlich hatte Mic der Verdacht beschlichen, dass die Truppe ohne sein Beisein schon vorher entsprechend geprobt hatte. Als er danach gefragt hatte, hatte er dann auch keine eindeutige Antwort erhalten, und Mic hatte es dabei belassen.
Im Foyer der Aula gab es eine kleine Premierenfeier, auf die Mic jetzt eigentlich keine große Lust hatte. Die letzten beiden Wochen waren anstrengend gewesen, sein Gras-Konsum war entsprechend gestiegen und am nächsten Tag war wieder Schule. Sehen lassen musste er sich aber natürlich trotzdem.
Der Schulleiter fiel dann auch sofort über ihn her und gratulierte ihm. Dann war da noch eine Frau vom Lokalsender, die ihm ein paar Fragen stellte und jemand von der Lokalzeitung. Als das endlich überstanden war, mischten sich nach und nach auch die umgezogenen und abgeschminkten Darsteller unter die Besucher. Mic hielt Ausschau nach Babs und fand sie in munterer Diskussion mit Richard.
Die beiden verstanden sich bestens, seit sie in der letzten Woche einen Abend zu viert zusammen gekocht und gegessen hatten. Und Richard? Der war schon zu etwas wie einem Freund geworden.
„Wo ist denn Heather?“, begrüßte er Babs. „Hi, Richard.“
„SOFIA ist krank. Grippe. Und in meinem Hals kratzt es auch schon verdächtig, aber das hier wollte ich mir nicht entgehen lassen. War echt toll.“
Wie zur Bestätigung nieste sie ein paar Mal hintereinander heftig.
„Steck mich bloß nicht an! And get the machine that goes 'Ping'!“ Richard war einen Schritt zurückgewichen.
Die beiden letzten Wochen waren wie im Flug vergangen. Mic hatte sprichwörtlich keine Zeit gehabt, irgendwelchen düsteren Gedanken nachzuhängen. Da waren die Theaterproben, die erste Kostümprobe, die gründlich schiefgegangen war, weil sich ein Kleid dauernd in den Holzpaletten verheddert hatte. Dann war ein Stuhlbein in eine Lücke zwischen zwei Balken gerutscht und dabei zerbrochen. Lauter kleine Katastrophen in letzter Minute und trotzdem hatten sie es gut hinbekommen.
Unerwartete Hilfe hatten sie durch Richard erhalten, der erstaunlich gut mit der Nähmaschine umzugehen wusste und bei den letzten Änderungen an den Kostümen geholfen hatte. Nach dem gemeinsamen Pizza-Essen hatten sie ein paar Mal telefoniert und Richard hatte seine Hilfe angeboten. Seitdem hatten sie sich fast täglich gesehen, manchmal abends noch zusammen gekocht und gegessen. Richards sorglose Art tat Mic richtig gut, fand Babs.
„Bei dir ist in letzter Zeit alles immer irgendwie schwer und bedrückend. Schneid dir da mal eine Scheibe ab“, hatte sie ihm geraten und Mic hatte ihr widerwillig Recht geben müssen, auch wenn er Richards Spleen, ständig irgendwelche Zitate von Monty Python zum Besten zu geben, bisweilen nervig fand. Besonders dann, wenn sie so gar nicht passten.
„Mic? Bekomm ich mal eine Antwort?“
Richard sah ihn erwartungsvoll an.
„Ehm … was?“
„Du träumst mal wieder, hm? Ob du auch Hunger hast, wollte ich wissen. Wir könnten noch was essen gehen.“
„Ohne mich.“ Babs machte ein langes Gesicht und zog die Mundwinkel nach unten. „Ich mach mir einen Tee und kriech ins Bett. Ich fühl mich echt nicht so besonders …“
Mic sah auf die Uhr.
„Was essen gehen? Wo denn bitte? Es ist schon nach 11.“
„Dann auf, auf. Wir holen eine Pizza und essen bei dir“, beschloss Richard.
„Fragst du mich auch mal?“, grummelte Mic.
„Ja, aber bis du mal antwortest …“
Damit zog er Mic hinter sich her zum Ausgang.
Das wurde allmählich zur Gewohnheit, stellte Mic fest und nahm sich vor, etwas dagegen zu unternehmen. Aber nicht heute.
“Tell me why?
I don't like Mondays
I wanna shoot the whole day down, down, down, shoot it all down …”
(I Don’t Like Mondays, Boomtown Rats/ Bob Geldof)
Mic wuselte sich aus seiner Decke auf dem Sofa. Das Einschlafen dort vor dem Fernseher war inzwischen zu einer Gewohnheit geworden. Genervt stellte er den Radiowecker ab, er wusste auch so, dass heute Montag war. 6:40 Uhr. Kaffeemaschine an und unter die Dusche. Zigarette und bloß nicht zu lange nach draußen schauen. Novembernebel. Mic hasste den November fast noch mehr als Sonntage. Und Montage natürlich. Er zog sich irgendwas an und machte sich widerwillig auf den Weg zur Schule.
Den ganzen Tag in der Schule wünschte er sich nichts mehr als einfach seine Ruhe, aber erst mal musste er einen relativ hektischen Tag irgendwie durchstehen. Sein LK hatte Probleme mit dem Sachthema, an dem sie grad dran waren. Sprachliche Relativität, Sapir und Whorf. Es ging darum, welche Auswirkungen die eigene Muttersprache, besonders die grammatikalische Struktur, auf das Denken einer Sprachgruppe hat. Das war ein Thema, das er selbst einmal ungeheuer spannend gefunden hatte, aber die meisten schien es dann doch eher zu langweilen. Und eigentlich langweilte es ihn jetzt auch. Nun, da mussten sie eben alle durch. Ein paar aus dem Kurs hatten sich bei den Klausuren auf die Sachthemen eingeschossen, außerdem standen linguistische Theorien auf dem Lehrplan. Und er hatte auch weder Lust noch Energie, jetzt noch ein anderes Thema vorzubereiten.
In der Pause wollte eine Kollegin von ihm wissen, was in letzter Zeit mit ihm los sei. Er sei so anders als sonst, das sei nicht nur ihr aufgefallen. Genervt entzog er sich dem Gespräch, indem er auf die Toilette floh.
Die Bandprobe für den Nachmittag sagte er ab und stellte den Kids frei, alleine zu proben. Das hatten sie die letzten beiden Male schließlich auch hinbekommen. Mic verließ die Schule dann zwar einigermaßen deprimiert, aber er war froh, wieder seine Ruhe zu haben. Bald waren Weihnachtsferien, da würde er sich mal nicht zur Schule quälen müssen.
Endlich zu Hause baute er sich als erstes fast automatisch einen Joint, legte sich aufs Sofa, stellte den Fernseher an und ließ einfach die Zeit verstreichen. Es klingelte an der Haustür, aber er hatte keine Lust, jemanden zu sehen. Auch das Telefon ignorierte er. Mic zog sich die Decke über den Kopf, wollte einfach nur seine Ruhe.
Schließlich klopfte und klingelte es an seiner Wohnungstür.
„Mic, ich klingel so lange, bis du endlich aufmachst! Ich weiß, dass du zu Hause bist!“, rief es von der anderen Seite.
Mic rührte sich nicht. Was wollte denn Richard hier?
Ungerührt schrillte die Türklingel weiter.
„Mach endlich auf, du Idiot!“
Sich irgendwann dann doch ergebend schlurfte Mic zur Tür und öffnete.
„Was ist denn passiert?“
Richard stürmte in die Wohnung, die Augenbrauen zusammengezogen, was ihm einen fast wütenden Ausdruck verlieh. Er sah sich um, machte eine Geste in die Runde.
„Was passiert ist? Das hier ist passiert. Seit drei Wochen vergräbst du dich jetzt schon.“
Mic starrte ihn verständnislos an.
„Mach mal die Augen auf, Mic. Wann hast du zum letzten Mal aufgeräumt? Es ist grad mal 4 Uhr nachmittags und du bist zugekifft bis zum Anschlag. Weißt du eigentlich, dass Babs sich richtig Sorgen um dich macht?“
„Und warum bist DU dann hier?“
„Weil ich mir auch so langsam Sorgen mach. Und Babs lässt du ja wohl nicht rein zu dir. Hier …“
Richard holte einen Müllsack aus der Küche, drückte ihn Mic in die Hand. „Jetzt wird aufgeräumt. Wie alt sind denn diese Pizzareste hier? Und hast du schon mal gehört, dass man Aschenbecher ausleeren kann? Dann fallen die Kippen nicht auf den Tisch und auf den Boden. Mic, hier STINKT es.“
Richard zog die Vorhänge zurück, öffnete Fenster und Balkontüren. Kalte, neblige Novemberluft strömte in die Wohnung.
„Es zieht. Soll ich mir hier den Tod holen?“
Aber Richard begann energisch Müll in den Sack zu befördern, den Mic immer noch festhielt.
„Das ist immer noch meine Wohnung. Tob deinen Helfertrieb woanders aus, ja?“, maulte Mic, aber Richard kümmerte sich nicht darum, machte stattdessen Musik an.
„Was ist denn das für ein Geschepper?“
„Musik. Captain Planet. Hab ich mitgebracht. Das Bad könntest du auch mal wieder putzen. Ist ja total verdreckt. Und sieh zu, dass du was von dem Wäscheberg da in die Maschine stopfst.“
Mic stöhnte, ließ sich wieder aufs Sofa fallen, von dem Richard ihn wieder hochzerrte.
„Nix da. Setz deinen süßen Hintern in Bewegung. Na los!“
Damit schob er ihn ins Bad und knallte ihm den Wäschekorb vor die Nase.
„Ich mein‘s ernst. Los, fang an.“
Mic starrte Richard an, dann den überquellenden Wäschekorb. Wie betäubt begann er, die Waschmaschine zu füllen.
Eine ganze Weile arbeiteten sie still nebeneinander her.
Langsam wurde Mics Kopf ein wenig klarer. Als würde er aufwachen, sah er plötzlich, wie er seine Wohnung hatte verkommen lassen. Berge von schmutzigem Geschirr in der Küche, sich allmählich verflüssigende Lebensmittel im Kühlschrank. Mic brauchte zwei Stunden, um die Küche in einen Zustand zu bringen, in dem man die Küche wieder als solche bezeichnen konnte.
Richard hatte inzwischen das Wohnzimmer aufgeräumt und sogar gewischt und wollte sich scheinbar gerade daran machen, das Klo zu putzen. Mic nahm ihm die Bürste aus der Hand.
„Lass mal, das mach ich.“
Das war ihm dann doch zu peinlich, das Klo war wirklich ziemlich verdreckt. Als Mic endlich im Bad fertig war, fand er Richard im Schlafzimmer, das Mic eigentlich nur noch betreten hatte, um Wäsche aus dem Schrank zu holen. Jetzt stand Richard vor dem geöffneten Schrank und fragte ihn nach Bettwäsche. Das Bett war schon abgezogen, die alte Bettwäsche lag auf dem Boden daneben.
Schweigend holte Mic frische Wäsche aus der Kommode.
Mit spitzen Fingern zeigte Richard auf etwas, das am Spiegel klebte.
„Ist es das, wonach es aussieht? Könntest du es wohl bitte entfernen?“
Mic holte Küchenrolle und zupfte das eingetrocknete Kondom von der Spiegelwand, warf es in den Müll und begann vor lauter Wut auf sich selbst zu zittern. Er saß auf dem Sofa und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Ihm war gerade aufgegangen, dass sein Leben ihm völlig entglitten war. Alles war außer Kontrolle geraten seit jenem Freitag, als er Jörn kennengelernt hatte, und er hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen konnte. Er fühlte sich leer und irgendwie verzweifelt. Genau dieses Gefühl hatte er die letzten Wochen versucht auszuschalten, wurde ihm jetzt klar. Und am liebsten hätte er es auch jetzt wieder ausgeschaltet. In seine Wut mischte sich Traurigkeit, aber immerhin konnte er endlich weinen, als Richard sich einfach wortlos neben ihn setzte und ihn an sich zog.
Als Mic sich langsam beruhigte, tupfte Richard doch tatsächlich mit einem Papiertaschentuch Mics Gesicht trocken, was Mic noch halb unter Tränen zum Lachen brachte.
Auch Richard lachte nun.
„Na? Besser? Mach so ´nen Scheiß nicht nochmal, hörst du? Ruf mich an und wenn ich kann, bin ich da. Aber vergrab dich nicht mehr so. Dummer Junge …“
„Sagtest du dummer Junge?“
„Ja, du hast richtig gehört.“
Richard hielt Mic noch immer im Arm und machte auch keinerlei Anstalten, ihn loszulassen.
„Ehm … Richard …“
„Hm?“
„Du … ehm … du hältst mich noch immer fest.“
„Ich weiß. Stört es dich? Ich hatte den Eindruck, das tut dir grad gut. In dem Fall … mach dir einfach keinen Kopf darum, ja?“
Mic ließ seinen Kopf also einfach auf Richards Schulter sinken. Er hatte ja recht, es tat gut, so gehalten zu werden.
„Hast du etwa die ganze Zeit immer nur hier auf dem Sofa geschlafen?“
„Hm … ja.“
Mic hörte Richard seufzen.
„Wird Zeit, dass du das in Ordnung bringst.“
„Das wird schon wieder gehen. Danke, dass du das Bett bezogen hast. Überhaupt Danke. Für all das heute …“
„Mic? Ich meinte das mit Jörn.“
„Was ist denn da in Ordnung zu bringen?“
„Ich weiß es nicht, aber ich finde, du solltest mit ihm reden. Sei es, um wieder was anzufangen oder um es abzuschließen.“
Wahrscheinlich hatte Richard Recht. Die ganze Zeit hatte er krampfhaft versucht, nicht an Jörn zu denken, und was war dabei rausgekommen? Auch jedes Mal, wenn Babs versucht hatte, ihn darauf anzusprechen, hatte er es irgendwie geschafft, auszuweichen. Babs hatte er ohnehin kaum noch gesehen. Er hatte einfach die Tür nicht mehr geöffnet und war nicht mehr ans Telefon gegangen. Zwei Mal hatte sie ihn im Hausflur erwischt und beide Male hatte er sie dort stehen lassen.
Die Türklingel unterbrach seine Gedanken.
„Ich mach jetzt nicht auf“, grummelte Mic, doch Richard stand auf.
„Ich aber. Ich hab mir erlaubt, Pasta und Salat für uns zu bestellen. Oder wann hast du das letzte Mal was Richtiges gegessen?“
Mic hörte, wie Richard an der Tür redete, dann kamen Geräusche aus der Küche. Er fröstelte, seit Richards Arm nicht mehr warm und schwer auf seiner Schulter lag. Schließlich brachte Richard Teller und Besteck ins Wohnzimmer und setzte sich dann wieder zu Mic, der sich am liebsten sofort wieder angelehnt hätte.
„Lark's tongues! Otter's noses! Ozelot spleens! Guten Appetit.“
Sie aßen schweigend und Mic fühlte sich ein wenig verwirrt. Verstohlen musterte er Richard immer wieder von der Seite. Er hatte sich so gut in seinem Arm gefühlt …
Nachdem Richard abgeräumt hatte, kam er mit dem Telefon ins Wohnzimmer.
„Ruf ihn an. Jörn ist heute zu Hause. Ich geh derweil in die Küche und mach die Tür hinter mir zu.“
Mic saß überrumpelt da und starrte das Telefon an. Was bitte sollte er denn sagen? Da hörte er auch schon Jörns Stimme. Richard hatte offensichtlich vorsorglich schon mal gewählt. Wenn er nicht wie ein kompletter Volltrottel dastehen wollte, sollte er wohl besser jetzt etwas sagen. Schnell nahm er den Hörer ans Ohr.
„Hi, hier ist Mic. Du hattest gesagt, wenn ich mit dir reden will, soll ich dich anrufen. Gilt das noch?“
Jörn schien kein bisschen überrascht, dass Mic sich jetzt nach fünf Wochen endlich mal meldete.
„Ja, ich schätze das gilt noch, aber dazu würd ich dich gern sehen, ok?“
„Ja klar, wir können uns auch treffen. Außer am Donnerstag hab ich abends Zeit. Sag mir wann und wo?“
„Morgen? Bei dir? So um acht? Cafe oder so fänd ich jetzt blöd …“
„Ok. Bis morgen dann.“
Das war ja kurz und schmerzlos gewesen. Mic hatte den Verdacht, dass Richard da schon Vorarbeit geleistet hatte.
Als Mic in die Küche kam, räumte Richard grad die Spülmaschine aus.
Richard grinste Mic an.
„Na das ging ja schnell. Räumst du weg? Ich weiß nicht so genau, wo der ganze Kram hinkommt.“
Mic begann tatsächlich, Geschirr und Besteck wegzuräumen.
„Jörn kommt morgen her, dann reden wir. Du hattest mit Jörn gesprochen, oder? Hörte sich nämlich ganz so an, als hätte er meinen Anruf erwartet.“
Richard ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen.
„Ja, hab ich. Alleine scheint ihr das ja nicht auf die Reihe zu bekommen.“
„Ach stimmt ja, ich bin ja dein Hobby. Ich vergaß“, gab Mic leicht angesäuert zurück. Warum war er sauer? Er wusste es grad selbst nicht so genau, aber irgendwas störte ihn.
„Sieh an, der Herr können also auch Sarkasmus. Was ist los?“
Mic suchte nach Worten.
„Ich weiß auch nicht. Vielleicht will ich ja einfach nicht dein Hobby sein.“
Das kam aggressiver raus, als er es gewollt hatte.
Richard zündete zwei Zigaretten an, stand auf und schob Mic eine davon zwischen die Lippen.
„Das bist du auch nicht. Ich brauch auch Klarheit für mich darüber, was jetzt mit dir und Jörn wird“, sagte er dann leise.
„Für dich???“
„Ja, für mich. Findest du das wirklich so abwegig?“
Jetzt sah Richard ihm fest in die Augen. Mic versuchte, eine Spur von der sonst bei ihm vorherrschenden Albernheit zu entdecken. Fast erwartete er, dass Richard anfangen würde zu lachen, um dann irgendein unpassendes Zitat rauszuhauen. Aber es war nichts davon spürbar. Seine Augen waren irgendwie dunkler als sonst, nicht dieses helle Grün. Da war eher etwas Zartes, etwas Verletzliches in seinem Blick. Er schien das wirklich ernst zu meinen. Gebannt betrachtete Mic dieses neue Etwas in Richards Augen.
„Du meinst …“
Aber Richard unterbrach ihn.
„Ich hätte das nicht sagen sollen. Also … denkst du, du kommst klar bis morgen?“ Und dann doch wieder grinsend: „Vielleicht schaffst du es ja morgen früh, zwei gleiche Socken anzuziehen.“
Mic blickte auf seine Füße. Er hatte tatsächlich eine schwarze und eine dunkelblaue Socke an. Dann wieder ein Blick in Richards Augen, die ihn nun wieder hell und eher spöttisch anfunkelten. Enttäuscht suchte er nach dem Ausdruck von eben, der ihn so gefesselt hatte.
Mic legte die Zigarette weg und ohne wirklich zu begreifen, was er da überhaupt tat, zog er Richard näher zu sich und berührte seinen Mund mit seinen Lippen.
Sanft löste Richard Mics Umarmung.
„Bitte nicht. Nicht jetzt und nicht so.“
„Aber …“
Richard legte ihm ganz zart einen Finger auf den Mund, eine Berührung, die Mic eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagte.
„Es ist nicht so, dass ich das nicht wollte, aber find erst mal raus, was du willst. Bitte.“
Fast flehend klang Richards Stimme jetzt und Mic verstand zumindest, dass das für Richard jetzt wichtig zu sein schien.
„Darf ich dich morgen anrufen?“, fragte Mic leise und Richard lächelte.
„Ruf mich an, wann immer du möchtest. Gute Nacht, Mic. Geh mal wieder in dein Bett zum Schlafen, ja?“
Mic nickte. „Mache ich. Gute Nacht. Bis morgen.“
Mic fühlte sich seltsam verloren, als Richard die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte. Er hatte versucht, Richard zu küssen, und wäre in diesem Moment zu allem bereit gewesen, nur um diese Leere in sich zu füllen. Aber war es wirklich nur das? Ihm war, als könne er noch immer Richards Finger auf seinen Lippen spüren. Richard hatte Recht. Er sollte herausfinden, was er eigentlich wollte.
Mic ging ins Bad und dann legte er sich zum ersten Mal seit Wochen in sein Bett. Der Gedanke, dass Richard es für ihn frisch bezogen hatte, ließ ihn schmunzeln. Er kuschelte sich in die Decke, schloss die Augen und dachte noch eine Weile an Richards Blick, an die Verletzbarkeit, die er in seinen plötzlich so dunklen, grünen Augen erkannt zu haben glaubte. Da war auf einmal nichts mehr von dem sorglosen, immer gut gelaunten Richard gewesen, den er kannte. Mic war, als hätte er eine Schicht tiefer geschaut, als hätte er zum ersten Mal etwas gesehen, was Richard viel mehr ausmachte, als immer nur jedermanns Sonnenschein zu sein. Mit diesen Gedanken schlief er schließlich ein.
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