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Murat Kokosnuss
Teil 5 - Von Vater zu Sohn
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Informationen
- Story: Murat Kokosnuss
- Autor: Lone_Eagle
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Mir schlotterten die Knie und mir war hundeübel, als ich mit hängenden Schultern neben Papa zum Parkplatz trabte. Ich wusste, was folgen würde: irgendwie musste Papa Wind von der Sache bekommen haben, fragt sich nur wie, beziehungsweise durch wen.
Auch Papa sagte kein Wort, selbst die üblichen Schimpftiraden gegen die anderen Verkehrsteilnehmer, die „alle keine Ahnung vom Autofahren haben“ blieben dieses Mal aus. Still und leise saßen wir nebeneinander und blickten in den trüben Wolkenhimmel.
Erst als wir Linz hinter uns gelassen hatten und langsam in die Abgeschiedenheit des oberösterreichischen Mühlviertels eindrangen, verflüchtigte sich die tomatenähnliche Farbe auch langsam aus seinem Gesicht.
Nervös nestelte ich an meiner Trainingsjacke herum und mir fiel das Herz in die Hose, als Papa plötzlich rechts ranfuhr und den Motor ausschaltete.
„Murats Vater stand Anfang der Woche bei uns auf der Matte“, brach der sein Schweigen, nicht jedoch ohne weiterhin stur geradeaus zu blicken. Es fiel ihm scheinbar verdammt schwer, Gespräche dieser Art zu führen. Deswegen ging ich auch schon seit jeher lieber zu Mama, wenn mich irgendwo der Schuh drückte… Moment, was sagte er? Anfang der Woche? Ich verstand gar nichts mehr – den Eklat um Bernhard hatte es ja erst zwei Tage davor gegeben.
Warum dann schon Anfang der Woche?
„Was wollte er denn?“, fragte ich scheinheilig, wohl nur um meine Haut zu retten und wagte nicht, zu ihm rüber zu sehen.
„Der Typ ist verrückt – er hat herumgeschrien, dass ich die Hälfte nicht verstanden habe, nur so viel: er meinte, nun… du und Murat, dass ihr…es ist so verrückt… er meinte…“
Ich wollte ihm das nicht weiter antun – er tat mir richtig leid, wie er sich abmühte, ein Vater-Sohn-Gespräch mit mir zu führen.
„Es stimmt“, sagte ich leise. „Egal was, oder wie er es gesagt hat – es stimmt! Sei mir nicht böse deswegen Papa, ich bin… schwul…!“
Endlich war es heraußen.
Ich begann zu weinen, wieder einmal. Vor meinem Vater.
Wie ich bereits erwähnte, hatte ich großes Glück mit meinen Eltern. Mein Vater war immer für uns da, immer für mich und Lisa grade gestanden, wenn es darauf ankam. Aber wenn es um Gefühlsregungen ging, war es meine Mutter, die einen tröstete oder in den Arm nahm.
Papa war da eher immer unbeholfen – bis zu diesem Zeitpunkt: er zog mich zu sich rüber und nahm mich in die Arme was mich total überwältigte.
„Es tut mir so leid“, schniefte ich, „dass ich dich so enttäusche…“
„Rede doch keinen Schmarrn“, antwortete er, und diesen Ton in seiner Stimme werde ich nie vergessen. Nie klang er sanftmütiger und allein durch diese Worte erkannte ich, dass ich wohl immer ein Zuhause bei ihm hätte.
„Es ist so wie es ist. Natürlich wünscht sich jeder Vater, naja, du weißt schon… dass sein Name irgendwann weitergegeben wird. Aber du bist mein Sohn und ich werde dich in allem unterstützen, was immer auch auf dich zukommt! Und wenn dich jemand deswegen fertigmacht – dann mach ich denjenigen fertig!“
Ich war ihm so dankbar, fühlte mich aber auch irgendwie schuldig, dass ich es ihm nicht schon viel eher erzählt hatte.
„Lass uns fahren!“, meinte er nach einer Weile und startete seinen Nissan.
„Und das mit dem Namen, also, so wie ich deine sture Schwester kenne, nimmt sie niemals den Namen eines anderen Mannes an. Also bestehen ja da noch Chancen, dass mein Name überlebt!“
Ich wollte lachen – denn im Grunde war es ja auch total witzig, aber nachdem dieses Gespräch besser verlief als erwartet, musste ich plötzlich wieder an Murat denken.
Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, wie ein ähnliches Gespräch zwischen ihm und seinem Vater gerade ablief – wahrscheinlich war es auch gar kein Gespräch, denn schon am Bahnhof hatte Herr Korkusuz seinen Sohn gar nicht zu Wort kommen lassen.
Zu Hause angekommen, wollte ich mich sofort in mein Zimmer zurückziehen, doch Mama nahm mich sofort in ihre Arme. Bis heute weiß ich nicht, ob sie zuvor bei meinem Vater Überzeugungsarbeit geleistet hatte – aber im Grunde war es mir egal: meine Familie wusste nun endlich, dass ich schwul war. Und das fühlte sich trotz allem gar nicht so schlecht an.
Als wir schließlich beim Mittagessen saßen, wollte ich Papa nochmals darüber ansprechen, was Herr Korkusuz denn genau gesagt hatte, doch Papa erzählte dasselbe wie zuvor: dass er ihn nur in Wortfetzen verstanden habe und dass es ihm schließlich zu bunt wurde und er ihm die Türe vor der Nase zuknallte.
Was mich allerdings nach wie vor ins Grübeln brachte, war der Zeitpunkt seines Besuchs: hatte Bernhard ihn angerufen, gleich am ersten Abend, als ich und Murat uns das Bett teilten? War ihm das zuzutrauen? Aber wieso sollte er so abgebrüht und gemein sein?
Ich musste es wissen, also beschloss ich nach dem Essen zu Murat zu gehen, auch wenn mir bei der Sache alles andere als wohl war, vor allem wenn ich an seinen ältesten Bruder Metin dachte, der ja wohl ganz nach seinem Vater kommen durfte.
„Geh mit ihm“, forderte Mama meinen Vater auf, der es sich gerade mit seiner halb-gestohlenen Krone am Sofa gemütlich machen wollte. Ohne zu knurren – was er sonst für gewöhnlich immer tat, wenn sie gleich nach dem Essen etwas von ihm wollte – erhob er sich und begleitete mich zur Tür hinaus.
Wiederum war ich ihm sehr dankbar.
Das Haustor war leider verschlossen, also blieb uns nichts anderes über, als zu klingeln, zweimal, dreimal.
Endlich öffnete sich das Fenster.
„Murat nix da!“, meinte seine Mutter. Einen Satz, den ich erst wenige Wochen zuvor gehört hatte - kurz vor unserem ersten, gemeinsamen Kuss.
Ich wusste, dass sie log, denn hinter ihr war lautes Schreien zu vernehmen: die eine Stimme war eindeutig Murats Vater zuzuordnen, die anderen wohl seinen älteren Brüdern. So sehr ich mich auch anstrengte – aber ich konnte nicht das Geringste von Murat selbst hören.
„Besser, wenn nix mehr kommen!“ schloss sie das Fenster.
Ich stand wie angewurzelt da, starrte zur Erde und atmete schwer: vor allem tat es mir in diesem Moment natürlich um Murat leid – wie gerne hätte ich ihn da oben verteidigt, egal wessen Preis ich dafür hätte zahlen müssen.
„Na komm, gehen wir heim“, riss mich Papa aus meinen Gedanken. „Vielleicht sollten wir es morgen wieder versuchen. Die beruhigen sich schon wieder.“ Aber so ganz glaubte er wahrscheinlich selber nicht an seine Worte – ich schon gar nicht: schließlich hatte Murat ja bereits einmal angedeutet, was passieren würde, sollte es nochmals vorkommen.
Ach, meine Familie war einfach großartig, dennoch war ich irgendwie froh, als ich endlich allein in meinem Zimmer sein konnte, wo ich kurz darauf – so traurig meine Gedanken auch waren – einschlief.
Als ich gegen Abend munter wurde – und einen Augenblick lang dachte, alles wäre nur ein Traum gewesen, beschloss ich aufgrund meines erfolglosen Versuches Murat zu besuchen eben zu Bernhard zu gehen. Ich wollte um jeden Preis wissen, ob er es war, der Murat und mir so übel mitgespielt hatte. Natürlich hatte ich auch bereits mehrmals versucht, Murat anzurufen doch leider gab es `keinen Anschluss unter dieser Nummer´. Was mir regelrecht die Kehl durchschnürte war schließlich die Tatsache, dass selbst sein Facebook-Profil gelöscht worden war. Was tat ihm seine Familie da bloß an? Und an allem war Bernhard schuld! Er musste es einfach getan haben!
Ich schlich aus dem Haus, um meine Eltern nicht zu stören, die an Sonntagen wie immer vor dem Fernseher versuchten, den Tatort-Mord schneller aufzuklären, als die ermittelnden Kommissare.
Ich war nicht nervös, als ich bei Bernhard klingelte – denn in mir kroch eine Wut hoch, die mich nur schwer davon abhalten konnte, nicht sofort die Tür einzutreten. Seine Mutter öffnete und führte mich freundlich seinem Zimmer.
Ich klopfte und trat ohne Abzuwarten ein. Bernhard saß mit dem Rücken zu mir an seinem Schreibtisch und ich hatte irgendwie den Eindruck, dass er meinen Besuch bereits erwartet hatte.
„Warum hast du das getan?“, brüllte ich ihn an und es versetzte mich noch mehr in Rage, als er sich immer noch nicht umdrehte.
„Was getan?“
„Hör endlich auf mit deinen kranken Spielchen, du weißt genau was ich meine!“
Endlich drehte er sich um – er blickte mich an, nicht spöttisch wie einige Tage zuvor, sondern eher traurig.
„DU warst es doch, der Murats Vater erzählt hat. Gib es doch zu! Das hast du doch auch vor versammelter Mannschaft schon ganz gut hinbekommen!“
Hatte der Typ Nerven - immer noch starrte er mich an, als ob er keinen Schimmer hätte, wovon ich gerade erzählte.
„Ich weiß leider überhaupt nicht, was du meinst“, sagte er leise und stand plötzlich dicht vor mir.
Meiner Wut wuchs mehr und mehr.
„Sie werden ihn wegschicken, verstehst du? Du hast doch überhaupt keine Ahnung, was du da angerichtet hast. Du hast nicht nur mir, du hast auch ihm alles kaputt gemacht, du Arschloch du!“
Ich war drauf und dran ihm eine zu kleben, als er mich plötzlich am Hals packte – und mich auf den Mund küsste. Ich stieß ihn von mir weg, er stolperte und blieb bedröppelt auf dem Boden sitzen. Er kämpfte sichtbar gegen die Tränen an, doch das war mir egal – Mitleid konnte der bei mir damit nicht erwecken.
„Du hast sie ja nicht alle“, zischte ich ihm entgegen, ehe ich mich dazu entschied, wieder heimzufahren. Schließlich war ja scheinbar doch nichts aus ihm rauszubekommen, auch wenn ich jetzt tatsächlich zur Einsicht kam, dass er in mich verliebt sein musste – und zwar schon eine ganze Weile. Bevor er mir schon fast anfing leid zu tun kam ich allerdings zu mir – dass mit Murat würde ich ihm nie verzeihen.
Genauso leise wie ich mich aus dem Haus geschlichen hatte, schlich ich mich wieder in mein Zimmer zurück. Da ich am Nachmittag ein ganzes Stück geschlafen hatte, fiel es mir jetzt natürlich wieder schwer bei dem ganzen Kummer einzuschlafen.
Kurz vor zwei Uhr früh schien mich dann plötzlich doch Schlaf zu überkommen, doch kurz bevor ich wegbüselte, hörte ich plötzlich ein kurzes `Klack´ an meinem Fenster. Dem Versuch es zu ignorieren folgte ein weiteres `Klack´, also beschloss ich, dem ganzen auf den Grund zu gehen.
„Autsch!“, das kleine Steinchen traf mich genau ins Gesicht, als ich das Fenster öffnete.
„Entschuldigung!“, hörte ich es leise flüsternd aus dem Garten vor meinem Fenster zu mir hoch dringen.
Es war Murat, der unter meinem Fenster stand und mich durch ein schüchternes Winken aufforderte, doch zu ihm runterzukommen.
Einerseits freute ich mich, dass er gekommen war – andererseits hatte ich bereits beim Runtergehen eine Heidenangst, denn ich wusste insgeheim warum er gekommen war.
Behutsam schloss ich die Hintertür auf, um ja keinen zu wecken – und stand schließlich dicht vor Murat. Seinem Gesicht war anzuerkennen, dass er wohl den ganzen Tag geweint hatte, was mir auch wieder sofort die Tränen in die Augen trieb.
Ich strich ihm sanft über sein Gesicht, unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen – und als ich merkte, dass er wieder weinte, nahm ich ihn still in die Arme. Es war schön und traurig zugleich, ihn in meinen Armen zu spüren.
„Es tut mir so leid, mein lieber Maxi“, versuchte er ein Schluchzen zu unterdrücken. „Ich hab´s total versaut!“
„Du kannst doch nichts dafür“, versuchte ich ihn zu trösten, doch er schüttelte nur traurig den Kopf, löste sich aus meiner Umarmung und blickte mich traurig an.
Ich verstand nur Bahnhof.
„Am Nachmittag, bevor wir nach Bologna aufgebrochen sind“, stammelte er, „da hab ich dir doch noch auf Facebook geschrieben, wie wichtig du mir bist, wie sehr ich dich brauche. Mit einem Haufen Herzerl…“
„Ja?“
„Ich habe in meiner Vorfreude total vergessen, mich auszuloggen – mein Bruder muss es wohl schon kurz nach unserer Abreise bemerkt haben. Es tut mir so leid…“
Nun war es heraußen – nicht Bernhard, den ich die ganze Zeit verdächtigt hatte war schuld, Murat hatte einfach nicht aufgepasst. Ich wurde zornig – nicht auf Murat, sondern auf die ganze Umgebung. Warum bloß musste jemand aufpassen, wenn er jemanden so etwas Liebes sagt? Sollte nicht jeder das Recht dazu haben, jemanden offen und ehrlich seine Gefühle anzuvertrauen?
Lange durfte ich allerdings nicht wütend sein, denn das kleine Häufchen Elend vor mir konnte nun wirklich nichts dafür.
„Du bist doch nicht schuld“, meinte ich, „ach…es ist alles so beschissen!“
Wieder nahm ich ihn in meine Arme und küsste ihn sanft auf die Backe. Er ließ es geschehen, auch wenn er meinen Kuss nicht erwiderte. Was musste er bloß für Angst haben?
„Maxi“, flüsterte er mit belegter Stimme und konnte mich vor Traurigkeit kaum ansehen.
„Ich darf dich nicht mehr sehen. Ich habe mich aus dem Haus geschlichen, um…ich denke, sie würden mich umbringen, wenn sie wüssten, dass ich hier bei dir bin…!“
„Um?“, brachte ich nur kurz über die Lippen, denn ich wusste genau was er mir sagen wollte.
„Sie schicken mich zu meiner Tante in die Türkei – irgendwann nächste Woche, sie haben mir nicht mal den genauen Tag gesagt, damit ich ja nichts dagegen unternehmen kann…“
Ich stand nur da und wähnte mich im falschen Film und der Satz, den er folgen ließ fühlte sich an wie ein Stich ins Herz.
„Lebwohl mein lieber Maxi, ich werde dich nicht wiedersehen!“
Er fiel mir um den Hals, küsste mich – immer und immer wieder, während sich unsere Tränen vereinten.
Leider löste er sich dann doch von mir. Er blickte mich an und versuchte zu lächeln, auch wenn es ihm nur kurz gelang.
„Ich werde dich nie vergessen. Ich hab dich so lieb, mein Maxi!“
Bevor ich noch irgendetwas antworten konnte, ihm etwa zu sagen, wie sehr ich ihn liebte, war er bereits wieder in der Dunkelheit verschwunden – genauso klammheimlich, wie er aufgetaucht war.
Ich sank zur Erde, legte mich auf den Rücken und blickte rauf in den sternelosen Himmel, während mir die Tränen nur so übers Gesicht liefen – ehe ich nach einer Weile die Stimme meiner Mutter hörte.
Sanft wie immer, nahm sie mich in den Arm und führte mich behutsam in mein Zimmer zurück.
Ich will nichts beschönigen – aber die nächsten Tage waren furchtbar: weder bekam ich einen Bissen runter, noch konnte ich schlafen. Ich lag wie in Trance in meinem Bett und alles was ich vor mir sehen konnte, war Murat. Auch wenn sich meine Familie rührend um mich kümmerte – sogar Lisa hatte ihren Italienurlaub abgebrochen um mir beizustehen – ich wollte niemanden sehen, nichts wissen von dieser Welt.
In meinen Tagträumen malte ich mir aus, wie ich zur Korkusuz-Wohnung rüberging, und Murat tapfer aus seinem Gefängnis befreite. Ein anderes Mal sah ich mich in einem Flugzeug sitzen, dass mich zu Murat in die Türkei brachte, wo er mich – seine ganze Verwandtschaft im Schlepptau – bereits am Flughafen überschwänglich begrüßte.
Wie gesagt, ich hatte zu nichts Lust: selbst die Gedanken an unsere gemeinsamen Nächte in Bologna, bei denen ich normal augenblicklich zu wichsen begonnen hätte, versetzten mich nicht in Erregung, sondern nur in tiefe Traurigkeit. Wäre nicht meine Familie gewesen – wer weiß, vielleicht hätte ich mir sogar etwas angetan.
Nach knapp einer Woche war ich zumindest soweit, wieder das Haus zu verlassen. Ich fuhr all die vertrauten Wege ab, die mir plötzlich fremd und kalt vorkamen.
Natürlich bog ich auch mehr als einmal in Murats Straße ein, doch nie habe ich etwas von ihm oder seiner Familie gesehen. Erst gegen Ende der Ferien traf ich zufällig Metin, der gerade ins Haus wollte.
Er drohte mir, beide Beine zu brechen, sollte ich mich noch einmal vor seinem Haus blicken lassen. Was ich von da an auch sein ließ.
Eine meiner Runden führte mich auch zu Bernhard, den ich seit jenem Abend nicht mehr gesehen hatte – da im Sommer kein Training stattfand, hatte sich auch keine Gelegenheit gegeben, nochmals über die ganze Angelegenheit zu reden. Egal was er in Bologna auch gesagt hatte – dafür, was ich ihm nachher vorgeworfen hatte musste ich mich entschuldigen.
„Ich wollte schon längst zu dir kommen“, begrüßte er mich. „Ich habe gehört was passiert ist – und es tut mir ehrlich leid!“
Er schien es echt ehrlich zu meinen, während ich dastand und wieder mal nicht wusste, was ich hätte antworten sollen.
„Glaub mir, ich verstehe, was du gerade durchmachst. Mir geht´s seit zwei Jahren so, nur dass derjenige, den ich liebe, mich wie Luft behandelt. Ich habe es auch allerdings nicht anders verdient“, senkte er traurig seinen Blick.
„Warum hast du nie was gesagt?“, kam es mir endlich über die Lippen. „Ich meine, du musst dann ja schon in mich verliebt gewesen sein, bevor Murat hier ankam!“
Bernhard zuckte mit den Achseln.
„Ich schätze, dass ich mir einfach nicht eingestehen wollte, dass ich mehr als nur Freundschaft für dich empfinde. Und als dann Murat kam und ich nur zusehen konnte, wie ihr zusammen gekommen seid… das hat mich einfach fertiggemacht. Aber die Art und Weise, wie ich darauf reagiert habe… es tut mir so unendlich leid! Ich bin schuld, dass er weg ist!“
„Bist du nicht!“, sagte ich sanft, denn er tat mir nun wirklich leid – endlich hatte er reinen Tisch gemacht.
Also erklärte ich ihm, was wirklich der Grund dafür war, warum Murat mich nicht mehr sehen durfte.
Er war erleichtert, aber auch erschüttert darüber, wie wir beide auseinandergerissen wurden.
Ich entschuldigte mich und verließ sein Haus. Nein, wir beide sind nie zusammengekommen – aber ich habe ihm verziehen und wir sind heute noch Freunde.
Natürlich habe ich meine Nachprüfungen im Herbst nicht geschafft. Mein Vater brummte nur kurz, dass „ein Jahr zu wiederholen“ auch gar nicht so eine große Katastrophe wäre, was sich vor dem Sommer noch anders angehört hatte.
Nicht, dass ich das später ausgenutzt hätte – aber es tat echt gut, dass mein Vater auch mal Fünfe grade sein ließ.
Zwei Jahre später hatte ich die Matura dann endlich in der Tasche und begann nach der lästigen Pflicht des Zivildienstes in Wien mit meinem Sportstudium, welches ich auch pünktlich abschloss.
Obwohl ich damals dachte, ich würde mich nie wieder verlieben, hatte ich während meiner Studienzeit doch die eine oder andere Beziehung. Manche verlief ganz schön, die andere weniger.
Doch nie wieder empfand ich das, was ich in diesen wenigen Sommerwochen für meinen Murat empfand und wenn ich an ihn denke, empfinde ich auch heute noch eine Spur von Traurigkeit in meinem Herz.
Dann packe ich meine Sachen zusammen und fliege in die Türkei ans Meer. Ich weiß, dass es einem mittelgroßen Zufall bedürfe, ihm dort zu begegnen – aber zumindest fühle ich mich ihm in seinem Land näher als in meinem.
An manchen Abenden genehmige ich mir dann eine Flasche Rotwein, setzte mich auf den Balkon meines Apartments und blicke aufs Meer hinaus – und wenn ich mich anstrenge, dann kann ich ihn genau vor mir sehen: wie er zum selben Zeitpunkt in einem kleinen Fischerdorf sitzt und genauso sehnsüchtig Richtung Horizont starrt, umgeben von seiner Frau und seinen Kindern.
Zumeist lächelt er dann – es ist genau dieses Lächeln jener Sommertage, mit dem er mein Herz verzaubert hat. Für immer. Und dann fühlt es sich so an, als wären wir nie getrennt worden, ich und mein Murat Kokosnuss. Zumindest für einen kurzen Moment.
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