Stories
Stories, Gedichte und mehr
Article 29
Kapitel 3 - Die erste Wache
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Article 29
- Autor: Marcel
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Abenteuer, Historisch
3. Kapitel - Die erste Wache
Tanzen machte Stephen zwar riesig Spaß, Susan war auch eine gute Tänzerin und eine nette Person, mit der man sich gut unterhalten konnte, aber er sehnte sich danach, sein Gespräch mit William weiter zu führen. Immer wieder musste er einen ungeduldigen Blick auf die Bürotür des Bürgermeisters werfen.
»Irgendwann müssen die doch fertig sein«, dachte sich Stephen. Als er einen Blick auf Susan warf, sah diese in erwartungsvoll an. Irgendwas musste sie gefragt haben, aber er hatte einfach nicht zugehört.
»Entschuldigung, ich war mit meinen Gedanken kurz woanders.«
»Kurz ist ein wenig euphemistisch, oder, Mr. Bennett? Mir scheint ständig viel angebrachter«, äußerte Susan mit einem leicht sarkastischen Unterton, woraufhin Stephen knallrot wurde.
Kurz darauf öffnete sich auch die besagte Tür und die Offiziere der Phaeton kamen hinter dem Hafenadmiral hinaus. Stephen freute sich, dass er nun bald wieder zu Will hinüber konnte und seine Mundwinkel zogen sich wie automatisch nach oben.
»Ah, die Besprechung ist zu Ende, wie ich sehe. Dann kann ich ja meine Pausenfüllerfunktion bald beenden.«
»Aber Miss Hanley...«, stammelte Stephen und wusste nicht so recht, was er sagen sollte.
»Ist schon in Ordnung, Mr. Bennett! Trotz Ihrer geistigen Abwesenheit sind Sie ein hervorragender Tänzer und es hat mir sehr viel Freude gemacht, einmal völlig unbelastet mit jemand Begabtem zu tanzen. Aber sie scheinen mit dem gut aussehenden, jungen Leutnant mindestens gut befreundet zu sein, und auf ihrem Boot haben Sie sicher wenig Gelegenheit, privat und ungestört zu reden.«
Stephen musste lachen.
»Schiff, Miss Hanley. Sagen Sie niemals Boot in Gegenwart eines Navy-Offiziers. Sie haben in der Tat vollkommen Recht, dass ich mit Leutnant Andrews befreundet bin und wir gern noch ungestört reden würden. Darf ich dann Ihr Einverständnis voraussetzen, mich entschuldigen zu dürfen?«
Auch Susan musste nun lachen.
»Sie dürfen, Mr. Bennett! Und ich würde mich freuen, wenn Sie mir einmal schreiben würden oder mich besuchen würden, wenn Sie das nächste Mal hier auf - es heißt Reede, oder? - liegen.«
»Ja, ganz Recht, Miss Hanley. Ihre Einladung ehrt mich. Sie werden sicher von mir hören. Ihr Diener, Miss Hanley!«
Stephen verbeugte sich und drehte sich um. Jetzt konnte er auf einmal William nicht mehr erblicken. Er schaute sich suchend um.
»Na, hast du es doch wieder geschafft?«, grinste ihn Christian an. »Ich möchte mal wissen, wie du es immer schaffst, die hübschesten Tänzerinnen zu ergattern.«
»Mhm... das ist mein blendendes Aussehen und mein umwerfender Charme«, kicherte Stephen. »Sag mal, hast du Leutnant Andrews gesehen?«
»Der stand grad bei Leutnant Salesbury. Der wird wissen, wo er hin ist. Was willst du denn von ihm?«
»Wir waren gerade in einem Gespräch, als Stevenson uns unterbrochen hatte.«
»Aha. Naja, ich werde dann mal zu meiner Tanzpartnerin zurück. Sie wollte sich nur etwas frisch machen.«
»Ja, Chris, viel Spaß!«
Stephen machte sich auf den Weg zu Leutnant Salesbury. Er hob zwei Finger zum Gruß an die Schläfe.
»Entschuldigen Sie, Sir! Haben Sie wohl Leutnant Andrews gesehen?«
»Ah, Mr. Bennett! Ich wollte Sie oder Mr. Picken gerade suchen. Wir haben gerade neue Befehle erhalten. Würden Sie bitte den anderen Midshipmen mitteilen, dass wir in einer halben Stunde aufbrechen wollen?«
»Aye, Sir!«
»Und Leutnant Andrews ist an die frische Luft gegangen, er fühlte sich nicht wohl.«
Stephen schaute den Leutnant besorgt an. Hoffentlich fehlte William nichts Ernstes. Aber leider konnte er ihn jetzt nicht suchen. Er musste den Befehl ausführen und die anderen Midshipmen zusammen suchen.
Zwanzig Minuten später kehrte Stephen mit den anderen fünf Midshipmen und den zwei Servants zu Leutnant Salesbury zurück.
»Ah, das ging ja schneller als ich dachte, Mr. Bennett! Melden Sie sich mit ihren Kameraden an Bord zurück. Ich werde inzwischen Leutnant Andrews einsammeln.«
»Ist etwas nicht in Ordnung mit ihm? Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
Die Besorgnis stand Stephen geradezu ins Gesicht geschrieben. Der Leutnant schaute ihn nur kurz an und schüttelte mit dem Kopf.
»Danke, Mr. Bennett. Er wird nur im Park sein. Ich denke, das schaffe ich durchaus allein!«
Stephen ärgerte sich über den sarkastischen Kommentar. Aber was wollte er tun? Abgesehen von einem »Aye, Sir!« wäre alles unangebracht. So machte er sich mit den anderen auf, zum Schiff zurück zu kehren. Als Stephen hinausgehen wollte, eilte ein Diener heran und gab ihm noch einen Brief. Stephen schaute den Mann verwundert an, aber der war auch schon verschwunden, bevor er mehr fragen konnte. Er steckte ihn in eine Tasche seines Uniformrocks und eilte hinaus, damit ihm niemand nachsagen konnte, dass er trödele.
Zurück an Bord der Phaeton meldete Oliver Picken sie beim Master, der ja noch Wache hatte, zurück, und dann ging es hinunter ins unterste Deck, um aus der guten Uniform in eine normale Tagesuniform zu schlüpfen. Stephen war kaum angezogen, als er auch schon die Bootsmannsmaate das »Alle Mann« Signal pfeifen hörte. Die Kabinentüren aller Deckoffiziere sprangen auf und genauso wie die Mannschaften stürzten alle in größter Eile an Deck. Stephen sprang gerade den Niedergang hinauf als das Signal sich zu Anker auf wandelte.
»Nun beeilen Sie sich schon, Mr. Bennett!«, brüllte Leutnant O' Connor hinüber.
»Aye, Sir!«
Schon stand er neben dem Leutnant auf der Lee-Seite des Achterdecks, die Luv-Seite war dem Kapitän vorbehalten, der leicht verärgert in die Runde schaute. Stephen fragte sich, welche Befehle sie bekommen haben, dass sie so schnell aufbrechen müssen. Aber es war ein ungeschriebenes Gesetz in der Navy, dass man schnellstmöglich Segel setzen muss, solange der Wind fürs Auslaufen günstig ist.
»Mr. Picken, Fockmast vorbereiten! Mr. Summer, Besanmast vorbereiten! Mr. North, Hauptmast vorbereiten! Mr. Lloyd, Mr. Reed, Anker auf!«
Die Kommandos des ersten Leutnants wurden mit vielfältigem »Aye, aye« quittiert, und die angesprochenen Midshipmen eilten an die ihre Stationen.
Der Master eilte aufs Achterdeck und nickte Stephen zu. Der eilte auf eine seitliche Position, so dass er an den Masten vorbei nach vorn sehen konnte. Der Master stellte sich zwischen den ersten Leutnant und den Steuermann, so dass er ein Auge auf ihn und den Rudergänger werfen konnte und trotzdem die Kommandos des Ersten richtig hörte.
Konzentriert blickte Stephen auf das noch schlaf hängende Ankertau. Kurze Zeit darauf spannte es sich.
»Setzt Besan-Segel! Fock-Rahen backbrassen!«
Das Schiff bewegte sich langsam. Stephen konzentrierte sich auf die Ankertaue.
Als der Anker unter dem Schiff war, brüllte Stephen seine Meldung und die Kommandos des Masters hallten vielfach wiederholt durch die Pfeifen der Bootsmannsmaate über das Deck. Der Besan wurde herumgeholt, das Fock-Mars-Segel gesetzt.
»Das Schiff kommt herum!«, meldete Stephen, als sich die Phaeton genau wie beabsichtigt unter dem Winddruck auf den Segeln drehte.
»Hol ein Anker! Mr. Bennett, machen Sie weiter!«
»Aye, aye, Sir!«
Stephen wartete auf die »Anker frei!«-Meldung, die ihm zeigte, dass der Anker aus dem Grund losgebrochen war. Stephen lies dann die Klüver setzen. Auf seine Kommandos eilten die Matrosen am Bugspriet und Fockmast los, um die dreieckigen Segeln zu setzen.
Die Konzentration lies Schweißperlen auf Stephens Stirn treten. Er spürte die Blicke des Kapitäns, ersten Leutnants und Masters auf sich. »Nur keinen Fehler machen«, sagte er sich
»Ruder hart backbord!«
Es schien aber alles gut zu gehen, das Schiff bewegte sich langsam rückwärts und drehte auf den richtigen Bug. Jetzt hatte er es. Das Schiff lag wie befohlen am Wind.
»Stütz! Ruder mittschiffs, Fock-Segel rundbrassen! Holt ein Klüver und Besan!«
Der Steuermann bestätigte und der Rudergänger drehte an seinem Steuerrad, das Segel am Fockmast schwenkte sich in den Wind, die nicht mehr benötigten Segel verschwanden und die Drehung stoppte.
»Bramsegel und Marssegel, Mr. Bennett! Voll und bei!«, rief der Kapitän hinüber.
»Aye, Sir!«
Auf Stephens Rufe hin eilten die Mannschaften die Wanten der drei Masten hinaus um zuerst die unteren Marssegel, oberen Marssegel und zuletzt die Bramsegel zu setzen. Der Wind drückte in die Segel und die Phaeton nahm schnell Fahrt auf und jagte von der Reede in die offene See hinaus.
»Das haben Sie gut gemacht, Mr. Bennett! Mr. O'Connor, lassen Sie die Freiwache wegtreten. Um acht Glasen der Vormittagswache werde ich der Mannschaft unsere neuen Befehle mitteilen!«
Pfeifen schrillten und diesmal erlösten sie die wachfreie Mannschaft von der Arbeit und Menschenströme begaben sich unter Deck, um die Hängematten aufzuhängen und schlafen zu gehen. Nur die Wache blieb an Deck.
»Mr. Bennett, ich bin mit ihren Fortschritten überaus zufrieden, wenn Sie weiter so machen, können Sie sicher bald das Leutnantsexamen ablegen«, lobte der erste Leutnant.
»Danke sehr, Sir!«
Stephen strahlte über das ganze Gesicht. Zwar war er der zweitälteste Midshipman, aber die Phaeton hatte insgesamt eine sehr junge Crew, 30 Jahre alte Midshipmen waren in der Navy keine Seltenheit. Das Lob von Leutnant O' Connor tat dem Selbstbewusstsein des blonden 19jährigen gut.
»Sie können auch wegtreten.«
»Aye, Sir!«
Und Stephen verschwand unter Deck. Schnell waschen, ausziehen und in die Koje.
Aber obwohl Navy-Offiziere als erstes lernen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu schlafen, blieb er wach. Viel zu viel schoss ihm durch den Kopf.
»Was hatte William auf einmal? Wieso war er auf einmal verschwunden? Und wo war er beim Ankermanöver?« All diese Fragen schossen Stephen durch den Kopf. Dazu kam noch seine Freude über das Lob von Leutnant O' Connor und die Hoffnung auf das Leutnantsexamen und seine erste Kommission als Offizier.
Irgendwann übermannte Stephen dann aber doch die Müdigkeit und er fiel in einen tiefen Schlaf.
Stephen öffnete die Augen, irgendetwas war an seiner Schulter. Er blickte in das Gesicht des 10jährigen Matthew Cole, dem Steward der Midshipmen.
»Was gibt es, Cole?«
»Die Empfehlung von Mr. Salesbury. Sie mögen an Deck kommen, Sir!«
»Ich komme sofort.«
Widerwillig schwang Stephen sich aus seiner Hängematte, rollte sie zusammen und verstaute sie. Schnell wusch er sich mit der Schüssel Salzwasser. Fix in die glatt geschnittene, hellbeige Hose und das weiße Hemd. Im Gehen band er sich noch eben die Halsbinde und zog die Uniformjacke über. Er wand sich an den schlafenden Matrosen vorbei, die überall auf dem Deck dicht an dicht in ihren Hängematten schliefen. Als er über die Treppen des Niedergangs die zwei Decks hinauf lief, konnte er schon erkennen, dass es noch finsterste Nacht sein musste. Mehr als zwei Stunden hatte er sicher nicht geschlafen.
Leutnant Salesbury und Oliver Picken standen auf dem Achterdeck neben dem Steuermann. Stephen lief hinüber und meldete sich bei ihm.
»Mr. Bennett, Sie werden die nächste Wache übernehmen!«
»Sir?«
Stephen schaute den Zweiten ein wenig ungläubig an.
»Leutnant Andrews kann seine Wache nicht antreten. Und Mr. Reed kann ich keine Wache gehen lassen.«
Das war klar. Jonathan Reed war gerade erst zum Midshipman ernannt worden, da konnte er nicht sofort als Vertreter die Wache übernehmen, und nach Oliver Picken war er nun mal der dienstälteste. Und Oliver hat ja noch Wache und zwei hintereinander geht nun wirklich nicht. Aber Moment... Leutnant Andrews kann seine Wache nicht antreten? Geschockt sah Stephen Leutnant Salesbury an.
»Was... was ist dem mit dem Leutnant?«
»Was interessieren Sie sich in letzter Zeit so für Mr. Andrews?«
Was sollte er ihm denn jetzt darauf antworten? Stephen schoss das Blut in den Kopf. Gott sei Dank war es noch dunkel und man konnte es ihm nicht so ansehen. Aber die Antwort blieb ihm erspart. Der Posten der Seesoldaten schlug mit vier Doppelschlägen an die Schiffsglocke und signalisierte das Ende der Hundewache. 04:00 Uhr war es also. Dann hatte er in der Tat 2 ½ Stunden geschlafen.
»Ist ja auch nicht wichtig. Er fühlt sich nur Unwohl, der Schiffsarzt sieht gerade nach ihm. Können Sie jetzt übernehmen?«, zischte Salesbury.
Stephen war sehr besorgt. Aber was wollte er jetzt tun? Er hatte Wache und konnte ganz sicher nicht unter Deck gehen. Er musste seine Sorge also um vier Stunden verschieben, bis sein Dienst beendet war.
»Oh, natürlich Sir!«
»Gut. Wir liegen auf Westsüdwest, Bram- und Marssegel gesetzt. Es weht ein steifer Ostwind. Keine Vorkommnisse.«
»Aye, verstanden Sir! Ich übernehme!«
Damit war Stephen jetzt erstmalig auch wachhabender Offizier auf der Phaeton selbst. Irgendwie verunsicherte es ihn, dass sich in den letzten Wochen so vieles für ihn verändert hat. Und er sorgte sich um Will. Aber da konnte er jetzt nicht dran denken. Erst einmal musste er sich um das Schiff kümmern.
»Mr. Reed?«
Stephen sah sich um, wo denn sein Midshipman der Wache steckte. Sein Midshipman der Wache. Irgendwie brachte der Gedanke ein Lächeln auf Stephens Gesicht. Jetzt hatte er schon einen Stellvertreter. Bald würde er wohl vom Kapitän für das Leutnantsexamen vorgeschlagen, wenn er jetzt keine all zu großen Fehler macht.
»Mr. Reed? Hätten Sie wohl die Güte, zu mir zu kommen!«
Jetzt benutzte er schon die gleichen sarkastischen Sprüche, mit denen auch seine Vorgesetzen ihn beglückten. »Das muss wohl am Job liegen«, dachte sich Stephen und schmunzelte. »Aber ich kann ihn ja schließlich nicht anschreien, wie jemanden von der Mannschaft.«
Stephen sandte den jungen Jonathan erst einmal los, alles zu kontrollieren. Ob die Ausgucke und Posten richtig besetzt sind, alle Leinen richtig festgemacht sind usw. usw.
Er selbst genoss die Ruhe auf dem Achterdeck. Es war eine wunderschöne, klare Nacht. Er nahm den Zweispitz vom Kopf und strich mit den Fingern durch seine blonden Haare, die er zu einem Nackenzopf zusammen gebunden hatte. Stephen lief zum Besanmast und lehnte sich mit dem Rücken an und seufzte. Sein Leben könnte so perfekt sein. Endlich schien es mit seiner Karriere als Seeoffizier aufwärts zu gehen, da kamen ihm diese lächerlichen Gefühle für William in die Quere. Aber eigentlich störten sie Stephen inzwischen nicht mehr. Im Gegenteil. Immer, wenn der junge Leutnant in seiner Nähe war, fühlte er sich gut. Was er allerdings überhaupt nicht verstand, ist, was auf einmal mit ihm los war. Ein wenig besorgt dachte er, dass Will jetzt wohl grad in seiner Kabine lag und es ihm schlecht ging.
Da zerriss ein kurzer Aufschrei aus Richtung des Hauptmastes die nächtliche Stille und unterbrach Stephen in seinen Gedanken.
»Was zum Teufel ist los? Ist irgendetwas passiert?«, schoss es ihm sofort durch den Kopf und er rannte zum Hauptmast, um nachzusehen. Dort sah er zwei Männer, wovon einer mit einem Tauende auf den anderen Einschlug.
»Halt da! Was ist hier los?«, rief Stephen verärgert.
»Dieser Kerl hat sich geweigert, meinen Befehl auszuführen. Da habe ich ihm mit dem Starter nachgeholfen!«
Stephen seufzte. Maat Robinson. Natürlich, wer auch sonst. Er blickte auf das Häufchen Elend, das vor dem Maat auf dem Boden lag. Der Junge, um die 17 Jahre alt, hatte nur noch Fetzen eines Hemdes am Körper, die Haut war an mehrere Stellen aufgeplatzt und das Blut sickerte aus den Wunden. Stephen regte sich innerlich fürchterlich über Robinson auf, aber nach außen blieb er ganz ruhig.
»Zuerst einmal, Mr. Robinson, reden Sie mich mit Sir an. Das ist auch ein Befehl! Ich werde es nicht noch einmal sagen! Haben Sie verstanden?«
»Aye, aye, SIR!«
Die Stimme des Maaten klang so verächtlich wie sein Blick auf den jungen Midshipman es ausdrückte.
»Zum Zweiten: Wenn ein Mann auf diesem Schiff einen rechtmäßigen Befehl nicht ausführt, so gehört er vor ein Kriegsgericht. Und wenn dieses Kriegsgericht entscheidet, dass er dafür an der Rahnock zu hängen hat, dann sei es so. Aber es ist nicht Ihre Aufgabe auf diesem Schiff. Ich werde Sie dem Kapitän melden. Und jetzt sagen Sie mir erst einmal, welchen Befehl er nicht ausgeführt haben soll?«
Stephen sah aus den Augenwinkeln, dass sich die halbe Wache um den Hauptmast versammelt hatte.
»Mr. Fonderoy, notieren Sie die Namen der Herumstehenden zur Bestrafung und schicken Sie die Männer wieder an die Arbeit. Ich werde Sie selbst ebenfalls melden!«
Sichtlich peinlich war es dem Korporal der Seesoldaten, dass er auch bei den Gaffern gestanden hatte. Schnellstens löste er die kleine Versammlung auf. Stephen konnte ein solches Einreißen der Disziplin nicht tolerieren und außerdem schränkte er so den Tratsch auf dem Schiff ein wenig ein. Nirgendwo wird soviel getuschelt, wie an Bord eines Kriegsschiffes. Stephen war nicht nur leicht gereizt, er war mittlerweile stinksauer.
»Und nun wieder zu Ihnen, Mr. Robinson, ich warte auf die Antwort auf meine Frage!«
»Er sollte den Großmast aufentern und den Ausguck verstärken. Aber er hatte wohl Angst vor der Höhe in der Nacht, Sir.«, schnaubte er verächtlich.
»Ist das wahr?«
»Sir, nein. Er hat mir befohlen, ich solle ihm etwas von meiner Käseration abgeben, die ich mir aufgespart habe. Er habe Hunger gehabt, Sir!«
Der junge Matrose lag immer noch wimmernd auf dem Boden.
»Das ist eine infame Lüge! Dieser Hund!«
Und Robinson trat mit dem Fuß nach dem Matrosen.
»Mr. Fonteroy, festnehmen!«, brüllte Stephen. Der Korporal machte sich mit zwei Seesoldaten auch sofort auf den Weg.
Robinson grinste gehässig.
»Sir? Darf ich fragen, wen ich festnehmen soll?«
Der Korporal sah Stephen leicht verwirrt an.
»Maat Stephenson. Er steht unter Arrest wegen Verstoßes gegen den 22. und 23. Kriegsartikel seiner Majestät. Erstens habe ich befohlen, mich mit Sir anzureden und zweitens habe ich befohlen, dass der Matrose … wie war der Name?«
»Redemann, Vollmatrose Daniel Redemann, Toppgast, Sir!«
»dass der Matrose Redemann nicht weiter misshandelt werden soll!«
Robinson war weiß wie eine Wand. Das Urteil für Befehlsverweigerung und Anzetteln einer Schlägerei an Bord eines Kriegsschiffes kann schlimmstenfalls Tod durch Hängen sein.
»Sir! Das können Sie nicht tun! Bitte!«
Jetzt wimmerte dieser Kerl auch noch um Gnade. Robinson widerte Stephen richtig an.
»Nun bringen Sie ihn schon weg!«
»Aye, Sir! Und Redemann? Ich meine, er ist ja auch der Befehlsverweigerung beschuldigt worden.«
»Ja, aber ich denke... Mitchell, was wollen Sie? Ich habe doch gerade gesagt, alle sollen auf die Posten!«
»Entschuldigung, Sir! Zwei Glasen. Ich möchte nur den Ausguck ablösen, Sir!«
Der ältere Seemann drehte nervös seine Kopfbedeckung in den Händen. Ein total geladener Offizier war ihm nicht ganz geheuer. Stephen guckte ihn kurz verwirrt an und nickte dann.
»Ja, natürlich. Entern Sie auf. Moment. Der Ausguck müsste doch eigentlich alles mitbekommen haben, er soll sich sofort bei mir melden!«
Wenige Sekunden später stand der Matrose vor ihm und bestätigte die Version des jungen Matrosen.
»So, jetzt bringen Sie ihn endlich weg. Und Redemann bringen Sie sofort zum Schiffsarzt!«
»Aye, aye, Sir!«
»Und jetzt will ich alle wieder auf ihren Posten sehen!«
Stephen rauschte stocksauer wieder zurück in Richtung Steuerrad. Eine großartige erste Wache. Die halbe Wache zur Bestrafung zu melden und einen Maat in Ketten. Jetzt fehlte eigentlich nur noch ein französisches Linienschiff, um sein Glück zu vervollkommnen. Er korrigierte fix ein paar Kleinigkeiten beim Kurs des Schiffes. Aber jetzt lief wieder alles vollkommen ruhig. Als die Schiffsglocke mit drei Schlägen 05:30 Uhr anzeigte, lies Stephen die Landratten wecken, die ja keine Wache hatten. Und schon war es mit der Ruhe vorbei, als sie begannen, das Deck mit Sandsteinen zu schrubben, damit es auch immer schön weiß und sauber war.
Den Rest der Wache erlebte Stephen auch nichts Spannendes mehr und um sieben Glasen lies er »Alle Mann« und »Hängematten weg« pfeifen und das normale Bordleben begann wieder.
»Guten Morgen, Mr. Bennett!«
Stephen drehte sich um und erblickte den Master, der sich gerade den Schlaf aus den Augen rieb.
»Guten Morgen, Sir!«
»Und? Haben Sie soweit eine ruhige Wache?«
Stephen berichtete kurz, was geschehen war.
»Ja, dieser Robinson ist mir schon öfters unangenehm aufgefallen. Gehörte aber zur entfernten Verwandtschaft des Vorgängers von Mr. O' Connor. Ansonsten wäre er nie Maat geworden. Aber jetzt wird er es ja wohl auch nicht mehr lange bleiben, dem Schiff kann es nur gut tun.«
Der Steward brachte dem Master und Stephen eine Tasse Tee aus der Offiziersmesse, die beide dankbar tranken und sich aufwärmten. Der Master sah sich noch ein wenig um, kontrollierte den Kurs, die Windverhältnis und stapfte zufrieden zu Stephen zurück.
»Wenigstens ist es kein stürmisches Wetter!«
Und dann erschien auch der Kapitän auf dem Achterdeck. Die beiden Offiziere gingen zur Lee-Seite, damit der Kapitän die dem Wind zugewandte Seite für sich allein hatte. Der war aber ziemlich vergnügt und ging gleich hinüber und begrüßte die beiden Offiziere. Auch ihm musste Stephen die Vorkommnisse der Nacht noch einmal ausführlich berichten.
»Ich werde mich gleich mit diesem Fall beschäftigen, dann können wir die Bestrafung noch heute vornehmen. Ich dulde so etwas nicht auf meinem Schiff. Sie haben ganz richtig gehandelt. Auch, dass Sie die Gaffer weggejagt haben. Wenn Sie selbst so ein Schiff kommandieren, Mr. Bennett, werden Sie sehen, wie wichtig es ist, keine brutalen Schläger an Bord zu haben, die die Stimmung in der Mannschaft auf den Nullpunkt bringen, aber wie wichtig es auch ist, den Trödlern und Neugierigen den Weg zu zeigen. Ich bin mit Ihrer Entwicklung sehr zufrieden, wenn ich mich daran erinnere, wie Sie an Bord kamen, als kleiner, verschüchterter Junge«, grinste der Kapitän. »Aber, da hier ja alles bestens ist, werde ich mich meinem Frühstück und dann meiner Arbeit widmen.«
Und schon eilte er wieder unter Deck und lies einen knallrot angelaufen Stephen zurück. Und wenige Minuten später schlenderte seine Ablösung auf Stephen zu. Fast gleichzeitig läutete es acht Glasen und Stephens Wache war beendet. Ein kurzes Gespräch mit dem neuen Wachhabenden und dann eilte Stephen erst einmal unter Deck, um sein Frühstück einzunehmen, sich zu waschen und zu rasieren. Und dann wollte er auch möglichst bald William besuchen.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.