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Angel of Darkness

Tyr Dieanell - The last royal Beast

Chapter 6

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Tyr versuchte sich heimlich in sein Zimmer zurückzuziehen und war sich voll bewusst, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt war. Doch er brauchte jetzt einfach nur Ruhe. Die vergangenen Stunden mit Callan hatten ihn sehr geschlaucht. Zudem würde die Sonne bald wieder aufgehen und obendrein gab es auch noch einen Fall zu bearbeiten.

Gerade deshalb stöhnte er sehr gequält auf, als ihm Daireans Stimme aus dem Hinterhalt entgegen schlug und es ihn gleichzeitig überraschte wie störte, dass sie sich wie eine besorgte Ehefrau anhörte.

„Rieche ich Blut an dir, unseres Blut. Bist du deshalb zwei Nächte verschollen gewesen, weil du dich ausgetobt hast?“

Er grollte während er sich zu seiner Cousine wandte und musste schmunzeln. Sie wollte streng aussehen mit den Armen in die Hüfte gestemmt und den funkelnden Augen. Doch das kleine Baby was vor ihr Brust gewickelt war und an ihrem Haar zog, schmälerte den gefährlichen Eindruck. Eine Frau mit einem Baby war für ihn kein Angst einflößender Anblick und er war zu alt, um sich tadeln zu lassen. Sie war schließlich nicht seine Mutter und selbst diese hatte ihn nur selten zurechtgewiesen. Sie traute es sich nicht, denn immerhin war er eine perfekte „Inkarnation“ und sie ihm in jedem Punkt weit unterlegen.

Zudem war er ein freier Mann, der hingehen konnte wohin er wollte, ohne jemandem Rechenschaft abzulegen. Geschweige denn, dass er nicht machen konnte, was er wollte. Er war das Gesetz, zur Hölle. Wenn er heute wollte, dass die Menschheit doch nicht mehr schützenswert sei, dann könnte er deren Ausrottung durchaus befehlen und es gäbe nicht viele, die sich gegen dieses Urteil stellen würden. Obwohl es durchaus ein paar kluge Köpfe gäbe, die dann einfach eine Menschenfarm erschaffen würden, um Nahrung zu halten.

Allerdings beruhigte ihn der Gedanke, alles Erdenkliche tun zu können, herzlich wenig, denn es gab eine einzige Sache, die ihn so gar nicht walten ließ wie er wollte. Diese, Namens Callan, wies ihn in ungeahnte Schranken und das war Tag für Tag, Stunde um Stunde, einfach unerträglicher. So dass er gleichzeitig zerstören wollen würde was ihn fesselte, aber genauso sehr, sich einfach treiben lassen wollen würde. 'Scheiß Gefühle', knurrte er in sich. Für was sollten die überhaupt gut sein. Sie waren lästig und sie waren alles andere als hilfreich.

„Sag schon, was ist geschehen?“ holte ihn Dairean wieder aus seinen Gedanken, dabei bemerkte er, dass sie nicht nur einen besorgten Ausdruck im Gesicht hatte, sondern auch einen hoffnungsvollen. Diesen konnte er sich jedoch nicht wirklich erklären, allerdings würde er ganz sicher nicht fragen, wenn er es leichter haben konnte.

„Hör auf damit Tyr, ich werde dir kaum eine Antwort geben können, was passiert ist. Ich war im Gegensatz zu dir nicht dabei?“, schrie sie ihm entgegen. Sie wollte nicht, dass er ihre Absichten erfuhr oder sogar ihre Schlüsse lesen konnte, die sie für sich selbst gezogen hatte. Noch nie hat es sie so gestört wie eben, dass er so frech war, sich einfach in anderer Köpfe rein zu klinken. Wobei sie doch sicher war, dass er das – so zerstreut wie er doch laut Vico sein soll – nicht mehr konnte.

„Es ist dennoch sehr interessant in deinem Kopf. Warum sollte ich dich nicht lesen können? Es geht so leicht wie immer? Ah, verstehe, Vico konnte meine Gedanken hören. Du wolltest mich also versuchen zu lesen. Und hast du es geschafft?“

Das fiese Grinsen brachte Dairean schon beinahe einen physischen Schmerz, denn er wusste genau, dass sie ihn nicht lesen konnte.

„… Das dachte ich mir schon. Du, Vico, oder sonst wer wird niemals in der Lage sein, in meinen Geist zu schlüpfen. Dazu seit ihr einfach zu jung.“, lächelte Tyr weiterhin überlegen.

„Allerdings kann ich deine gedanklichen Überlegungen durchaus wahrnehmen. Wie Vico es sagte, du schreist sie geradezu heraus.“

Diese Provokation jedoch sorgte augenblicklich für wahre Schmerzen bei ihr, die seine geistige Anwesenheit in ihrem Kopf nun einmal verursachte. Sein Zorn prallte ungebremst in ihre Nervenbahnen und ließ alle Schmerzsensoren Amok laufen. Sie fiel auf der Stelle zu Boden und krümmte sich vor unerträglicher Pein, selbst ihr frisch geborenes Kind begann kläglich zu schreien. Nie wieder würde sie den Fehler begehen ihn zu verstimmen, jedenfalls nicht, wenn sie ihn gerade in sich hatte.

„Diese Strafe hast du mehr als verdient und das weißt du auch. Was das andere angeht, werde ich es in Erwägung ziehen und mich in seinem Umfeld umschauen.“

Damit ließ er Dairean allein zurück, die sich nur sehr langsam erholte. Ihr Baby jedoch, brauchte weitaus länger als sie, um sich wieder zu beruhigen.


Callan starrte noch sehr, sehr lange das Fenster an und war sich nicht sicher, ob er zwischen Traum oder Realität schwankte. Zum einen war er absolut überzeugt, dass der Mann, der aus dem Fenster entfloh wirklich und ernsthaft echt war. Anderseits war es unmöglich, dass aus einem Mann eine überdimensionale Fledermaus wurde. Oder etwa nicht?

Und da begann auch schon das Problem des Zweifels, hatte er tatsächlich lederne Schwingen wie bei Fledermäusen gesehen, oder hatte er nicht? Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde und er konnte es sich auch nur eingebildet haben. Eine Licht- und Schattenreflektion, die seinen Augen und vor allem seiner Fantasie einen Streich spielte. Und selbst wenn er welche gesehen haben wollte, hieß es noch nicht, dass die Wandlung zu einer kompletten Fledermaus mutierte. „Verdammt, scheiß Hollywoodfilme.“, knurrte er, die hatten ihn wohl schon vollkommen verdorben. Es gab keine Vampire und schon gar keine, die zu Tieren werden konnten. Vielleicht träumte er einfach auch nur. Ein ungewöhnlicher Traum, aber was war schon gewöhnlich.

Dieser Gedanke beruhigte ihn. Er verdrängte auch die Einsicht, dass es kein Traum sein konnte, wenn man sich in seinem Traum schlafen legte, doch für den Moment verdrängte er all das. Es durfte nicht sein, was es nicht gab.

Allerdings hatte sich nichts verändert, als er wieder am helllichten Tag aufwachte. Alles was er sich einredete geträumt zu haben, war auch in Realität so, wie eben die vollgekotzte Bettwäsche in der Badewanne. Sogar das offene Fenster war vorhanden. So sehr Callan auch versuchte, diese Nacht aus seinen Gedanken zu drängen und es einfach als Humbug abzutun, beschäftigten ihn viele Fragen rund um den mysteriösen Mann. Und das wochenlang, ohne eine Antwort zu finden. Er fand den Mann, trotz der düsteren Aura und der Gefahr verdammt anziehend und spürte immer mehr, wie er sich allmählich in diesen zu verlieben drohte. Es verging keine Stunde in der er nicht an ihn dachte und auch kein Tag verging, an dem er sich nicht sogar nach ihm sehnte.

Umso frustrierter wurde er jede weitere Woche, die er nichts mehr von ihm hörte. Seine Alarmglocken, dass er verfolgt oder beobachtet wurde, blieben auch aus. So dass langsam tatsächlich die Möglichkeit bestünde, all das nur geträumt zu haben. Schließlich hatte er die städtischen Archive, das Telefonbuch und auch das Internet durchforstet, in der Hoffnung irgendwelche Hinweise auf einen „Tyr“ zu bekommen. Doch es gab nichts. Rein theoretisch dürfte dieser Kerl nicht existieren und wenn er es nicht tat, konnte das Ganze nichts weiter als eine lächerliche Illusion sein. Oder?

Sogar die zwei Mordopfer die er gesehen hatte, erschienen nie nur ansatzweise in der lokalen Zeitung. Auch in den Nachrichten gab es keine Berichte über ungewöhnliche Vorkommnisse, wie eine ausgesaugte Frau und, oder, einen kopflosen Mann. Alles lief so weiter, als sei nichts passiert und daraufhin begann Callan dieses Erlebnis zu verschütten.

Daraufhin begann sich sein Leben durchaus wieder zu normalisieren. Er nahm sich wieder alle erdenkliche Zeit für sein Studium, da seine Gebühren nachträglich und sogar vorsorglich bezahlt wurden. Er hatte also wieder jede Menge Zeit für die Lernerei und machte gute Fortschritte in der ihm empfohlenen Lerngruppe.

Alle Gedanken rund um sein mystisches Zusammentreffen waren nur noch ein stummes Summen in den Tiefen seines Unterbewusstseins und beschäftigten ihn gar nicht mehr. Das einzige, was ihm nun nur noch Bauchschmerzen bereitete, war das versprochene Essen bei seinen Eltern, welchem er immer noch aus dem Wege ging. Doch er hatte diesem ungewöhnlichen Deal mit seiner Mutter zugestimmt und würde es hinter sich bringen müssen, so unwohl allein der Gedanke daran ihn machte. Doch trotz des Unbehagens in ihm, war das Essen ein kleiner Preis für sein gerettetes Studium. Zudem konnte er nicht ewig davor weglaufen und irgendwann würden auch seine Ausreden nicht mehr ziehen.

Seine Mutter war durchaus verständnisvoll und geduldig, doch dumm war sie nicht. Dabei hatte er schon all seinen Mut aufgebraucht, den er zusammenkratzen musste, um die Telefonnummer seiner Eltern zu wählen. Doch er hatte es getan. Zunächst hatte er damals seinen brummigen Vater an der Strippe gehabt, der scheinbar nichts lieber tat, als ihn sofort an Darlean weiterzugeben. Callan hatte das Desinteresse nicht mehr sehr geschmerzt, wollte er sein Problem ja sowieso lieber mit seiner Mutter besprechen.

Sie machte ihm keine Vorhaltungen, verstand ihn und versprach sich auch sofort um die Angelegenheit zu kümmern. Dafür jedoch, wollte sie einen Familienabend zu dritt. Sie vermisste ihn und wollte ihre zwei Liebsten einfach mal wieder um sich haben. Im Grunde verstand Callan diesen Wunsch durchaus, doch gefallen musste es ihm dennoch nicht, seinem Vater unter die Augen zu treten. Doch er hatte das Geld gebraucht und den einen Abend würde er überleben. Zwar nicht unverletzt in seinem Selbstbewusstsein, aber es würde weiter gehen. Wie immer. Er musste nur noch genügend Kraft und Mut aufbringen, es wirklich anzugehen. Immerhin wollte er es sich nicht auch noch mit seiner Mom verscherzen. Und so kam es, dass er an einem Freitagabend vor der Treppe seines Elternhauses stand. In anständiger Bekleidung und einem kleinen Blumenstrauß für seine Mutter.

Als die Tür dann unvermittelt aufging, versetzte es ihm einen halben Schreck. Doch seine Mutter strahlte wie ein Sonnenschein und kam auf ihn zu, um ihn in eine liebevolle, mütterliche, wie sehnsüchtige Umarmung zu ziehen. Dabei war es schon eine schmerzende Umarmung. Wer behauptete, Frauen hätten keine Kraft, kannte seine Mutter nicht. Sah sie zierlich und zerbrechlich aus, so hatte sie ordentlich Kraft. Jedenfalls genug, um ihm, während des an die Brust quetschen, das Genick brechen zu können. Er war eigentlich zu alt für diese Bemutterung, doch die herzliche Variante war allemal besser als die unterkühlte Alternative seines alten Herrn, der sich nicht einmal die Mühe machte vom Sessel aufzublicken, als Callan das Wohnzimmer betrat.

Sofort fühlte er sich wieder zu Hause, aber gleichzeitig unwillkommen. Das große Wohnzimmer, mit der gesamten Fensterfront, mit Blick auf einen wunderschönen Garten, ließen alte Kindheitserinnerungen aufflammen. Wie er zu Ostern mit seinem Vater Ostereier suchte, oder wie sein Vater, voller Stolz, zu Weihnachten, ein exklusives Mountain Bike für ihn, auf der Terrasse, hinter runter gezogenen Jalousien, versteckt hatte. Oder sogar die tollen Sommererinnerungen mit Freunden, Verwandten, dem Pool und dem Grill fielen ihm ein. Doch nun hatte, die sonst so heimelige Atmosphäre, mit den dunklen, antiken Möbelstücken und den roten, samt-bezogenen Garnituren eine fröstelnde Kühle an sich, die ihn eigentlich zum fliehen animierte.

Doch dann geißelte er sich selbst und dachte daran, dass ein Abendessen ihn schon nicht umbringen würde. Wobei er, sofort dass seine Alarmglocken wieder begannen zu schrillen, sich dann doch nicht so sicher war. Es überraschte ihn, dass es ausgerechnet jetzt wieder geschah, nachdem wochenlang Ruhe herrschte. Was ihn jedoch noch viel mehr verwirrte, war, dass sein Vater im selben Moment, wie er es spüren konnte, aufsprang. Callan hatte ihn noch nie so alarmiert gesehen, wie in diesem Moment und selbst seine Mutter schien ein wenig von ihrer Gelassenheit eingebüßt zu haben.

„Was ist los?“ ,sprach Callan seine Sorge aus und so schnell wie alles kam, verschwand es auch wieder. Sein ungutes Gefühl versiegte, sein Vater setzte sich wieder und war erneut betont kühl zu ihm und seine Mutter strahlte wieder. Als ob vorher nichts geschehen war. Das jedoch reichte aus, um Callans Gedanken wieder rund um Tyr walten zu lassen, so dass er sehr wenig vom Abendessen an sich mitbekam. Und sogar noch viel weniger von der gedrückten Stimmung an für sich. Weder sein Vater noch seine Mutter waren ganz bei der Sache und schielten immer mal wieder skeptisch zueinander und dann besorgt zu ihm. Doch er bekam es nicht mit.

Nach dem gemeinsamen Abend und als Abräumhilfe, verabschiedete er sich und war überrascht darüber, dass sich sogar sein Vater von ihm verabschiedete. Erst bei sich zu Hause fiel ihm auf, dass es diesmal zu keinem Streit kam. Sein Vater hatte keine Spitzen geworfen, dass er sein Leben nicht ernst nahm oder zu faul war. Keine Anekdoten darüber, dass er viel mehr erreichen würde, wenn er sich ein wenig an seinem alten Vater orientieren würde. Die häufigen Erklärungsversuche seinem Vater zu verklickern, dass er nun mal nicht er war und sein eigenes Leben bewältigen müsse, hatte es auch nicht gegeben. Im Großen und Ganzen war es ein ziemlich normaler Abend gewesen. Sieht man davon ab, dass es eigentlich ziemlich stillschweigend von statten ging. Es war jedoch allemal besser, als die dauerhaften Streitigkeiten.

Allerdings fragte sich Callan auch, ob das mit dem merkwürdigen Zwischenfall zu tun hatte. Es war eindeutig, dass auch seine Eltern reagiert hatten. Nur war die Frage, ob sie es bewusst taten und womöglich wussten, was ihre Empfindungen bedeuteten. Wenn das der Fall wäre, würden sie ihm das eine oder andere noch zu erklären haben.


„Du bist ja so schnell zurück?“, empfing ihn Vico.

„Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig?“, antwortete Tyr harsch und ging an ihm vorbei, weiter in sein Büro. Dort blieb er vor dem Bild seiner Mutter stehen und versank in Grübeleien.

Er war Callan die letzten Wochen mit einem erheblich höheren Abstand gefolgt, so weit wie er sich selbst sicher war, dass er ihn nicht wahrnehmen konnte. Seine Sehkraft gestattete ihm, auch in kilometerweiter Entfernung, ihn relativ genau zu erkennen, sofern seine Sicht nichts beeinträchtigte. Ansonsten half ihm durchaus sein Geruchssinn, niemand roch annähernd so betörend nach Kirschwasser wie er.

Bemerkenswert war nur, dass je weiter er von ihm weg war, desto vernünftiger wurde er selbst. Als ob der Schleier der Magie sich so langsam legen würde. Was immer sie verband, hielt sich fast wie eine Symbiose. Je näher sie aneinandergerieten, desto mehr vermengten sie sich. Und je mehr sie sich vermengten, desto schwieriger wurde es für ihn, bei klarem Verstand zu bleiben. Der ihm bereits so schon mehr als genug fehlte, schließlich tanzte Callan in jeder erdenklichen Form in ihm herum. Abstand war also keine schlechte Idee, wobei sich so seine Sehnsucht schier ins Unerträgliche katapultierte. Tyr wollte bei ihm sein, ganz nah und verflucht, auch endlich in ihm. Ihn schmecken, erleben und in die höchsten Gefilde befördern und gemeinsam in einer tiefen Umarmung einschlummern. Grotesk, dass er so empfinden konnte, doch er tat es und dagegen half einfach absolut nichts. Kein Heilmittel, keine Entfernung. Nichts.

Seinen Schlaf konnte er längst nicht mehr als ruhig bezeichnen. Er wachte des öfteren nachts auf und ihm war kalt im Schritt. Wenn er dem dann nachging, stellte sich heraus, dass er einen feuchten Traum gehabt hatte, wie ihn nur Teenager haben sollten. Und es wurde immer schlimmer. Mittlerweile lief er auch in der Nacht schon mit einer schmerzenden Erektion umher, die sofort da war, wenn seine Gedanken ganz unbewusst und automatisch zu Callan glitten. Die Versuchung, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen und ihn endlich ein für alle Mal zu nehmen, war extrem verlockend, doch es ging nicht.

Der Fall, den er sich aufgeladen hatte, war verstrickter als er es sich dachte. Dazu kam noch, dass das Ratsjägerteam Dingo irgendwie spurlos verschwunden war. Für gewöhnlich gab es diese Probleme nicht, da er genau wusste wo seine Leute waren. Doch seitdem er Callan über den Weg gelaufen war, war irgendwie alles anders. Sogar er selbst, obwohl er seinen Geist weitestgehend wieder unter Kontrolle hatte. Vico und Dairean hatten bestätigt seine Gedanken nun nicht mehr so offen empfangen zu können.

Es wäre alles gar nicht so tragisch, wenn der amoklaufende Vampie, den er geköpft hatte, nicht genauso nicht existierend war, wie die Frau. Er hatte versucht herauszufinden, wer sie waren und welchen Risikograd ihr Verschwinden hatte, doch scheinbar existierten die zwei überhaupt nicht. Das war oberflächlich betrachtet natürlich gar kein Problem, denn so war ihr Tod bedauernswert, aber unwichtig. Viel interessanter jedoch war, die damit verbundene Frage: Wer spielte da mit ihnen? Wer machte sich denn bitte die Mühe, eine Existenz zu streichen und diese dann trotzdem so öffentlich zu deponieren?

Die einzige Überlegung die blieb, war die, dass die Polizei so nur noch hartnäckiger ermitteln würde und somit schlafende Hunde wecken könnte, wo eigentlich keine hätten sein sollen.

In jedem Fall hatte Tyr unweigerlich Respekt für seinen Gegenspieler, immerhin war der irgendwie wie ein unsichtbarer Reiter. Es gab nichts, aber auch wirklich keinen Ansatz, nach wem er suchen musste. Dabei war Vicos Ansatz vielleicht nicht der Schlechteste. Tyr wollte es zwar nicht glauben, doch irgendwie schien Callan in dem Ganzen stärker drin zu hängen, als ihm womöglich bewusst war.

Immerhin war er ihm heute bis zu einem Haus gefolgt, indem er extrem widersprüchliche Schwingungen aufgefangen hatte. Es lag starke – ihm sehr vertraute – Magie in der Luft und sogar ein dezenter Hauch von Gefahr. Die Magie war im Grunde nebensächlich, die konnte er immer noch später analysieren. Doch dass Gefahr für ihn als Vampir von diesem Haus ausging und er es als Urvampir sogar bedenklich fand, bedeutete nichts Gutes. Nur wie passte Callan in dieses Puzzle?

Es war schon ziemlich verwirrend gewesen, als er ihn aus der Ferne zunächst in einem Anzug aus dem Wohnhaus gehen gesehen hatte. Er sah zwar unverschämt gut darin aus, so dass sein Glied tropfend Notiz von ihm verlangte, doch dass er dann auch noch Blumen mit sich trug, verstörte ihn. Tyr hatte sofort an ein Date gedacht und es hatte sich ein Stich durch sein Inneres gezogen. Wie konnte er einfach zu einer Verabredung gehen, während er vor Verlangen nach ihm verging und dabei beinahe wahnsinnig wurde. Seine Wut schwoll sogar an und sein Instinkt wollte Callan an sich reißen und sich ungehemmt in ihn stoßen. Alles in ihm schrie „Mein!!!“, und so war es unmöglich dem Drang zu widerstehen, genau zu wissen wohin er ging.

Natürlich hätte er es auch so getan, immerhin wollte er Daireans Vermutungen bestätigen oder abstreiten können und dazu musste er mehr von dessen Umfeld wissen. Doch als Callan dann von einer Frau in eine sehr intime Umarmung gezogen wurde, brannten bei ihm die letzten Sicherungen durch und er musste einfach wissen, was in dem Haus vor sich ging. Blöderweise hatten sich alle anderen Instinkte scheinbar abgestellt, denn er bemerkte die Gefahr erst, als er fast im Garten gelandet wäre. Noch rechtzeitig hatte er sich zurückgehalten zu landen, indem er einen kräftigen Flügelschlag tat, und sich für einen kurzen Moment auf dem Dach niederließ. Bis er einsah, besser das Feld zu räumen, nicht nur weil er Callan plötzlich wieder sehr deutlich spüren konnte und so für nichts mehr hätte garantieren können. Seine Selbstbeherrschung war hinüber und er musste sich langsam um eine Alternative kümmern.

Nur wie machte man das heutzutage? Er wusste zwar, dass es Clubs gab und dass die Sexualität freizügiger war, obwohl sie nie wirklich verschlossen war. Im Mittelalter konnte man es sogar mitten auf der Straße treiben. Genug Willige gab es und keiner störte sich daran. Schwierig wurde es nur, wenn man ernstere Absichten hatte, oder in der gehobener Gesellschaft zugegen war. Nichts ging um das Werben und das war nahezu lästig, obgleich er es nie brauchte. Wie schön es doch war, einen mentalen Befehl auszusenden und dann zu genießen.

Doch wie ging man heutzutage auf Menschen zu, ohne sich zu verraten? Vor allem ohne Erfahrung. Vor Jahrhunderten war das ja kein Problem, die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Er hatte einen besonderen Charme und konnte sie ja sogleich manipulieren. Doch heute, nicht dass er sie minder manipulieren würde können. Allerdings waren die Sterblichen offener für die mystische Welt und würden mitunter viel resistenter gegen das Löschen bzw. Umformen ihrer Erinnerungen sein. Er konnte nicht noch einen zweiten Menschen gebrauchen, den er, wie Callan, nicht wirklich beeinflussen konnte. Und abgesehen, davon wollte er eigentlich nur einen einzigen haben.

„Es ist ein wahres Trauerspiel mit dir, Großer.“, unterbrach ihn eine spöttische Stimme. Sofort drehte Tyr sich um und musterte den Mann, der gelassen im Türrahmen stand. Besser gesagt lehnte. Sofort trat ein Leuchten in Tyrs Augen, als er den attraktiven Vampie mit den strohblonden, langen Haaren, die diesem bis zur Brust gingen, wirklich erkannte. Er hatte ihn zwar durchaus schon gesehen, aber es dauerte ein paar Sekunden bis seine Gedanken soweit gelichtet waren, dass er die Neuigkeit aufnehmen konnte. Milan hatte nichts von seiner Anziehung verloren, die Tyr stets an ihm bewundert hatte. Er trug eine dunkelblaue, fast schon schwarze, enganliegende Anzughose, die seine langen, schlanken Beine bewusst betonte. Dazu einen schwarzen, dünnen Rollkragenpullover, der seinem wunderschönen Hals schmeichelte und das starke, maskuline und dennoch feminin sinnlich wirkende Gesicht hervorhob. Darüber trug er eine passende, enganliegende, dünne Jacke zur Hose und allein der Anblick ließ Tyrs Hoden sich erwartungsvoll ziehen.

Er war ein guter Freund aus jüngeren Zeiten. Damals war Milan noch zu jung gewesen, um an die Liebe zu glauben. Sie teilten sich in so mancher Nacht ein gemeinsames Bett und so manch andere Nacht dieselbe Beute. Für Tyr war es nie mehr als eine ungewöhnliche Freundschaft, da er solche Empfindungen wie Gefühle nicht besaß. Dachte er zu mindestens immer. Schließlich wurde er eines Besseren belehrt.

Während Milan dann irgendwann einfach ging, blieb Tyr zurück. Er mochte den Ort an dem er lebte und verstand den Vorwärtsdrang von Milan sehr gut. Egal wie sehr man liebt und wie wenig andere ihn lesen konnten, merkte jeder – vor allem ein Vampie/r – irgendwann wenn es fruchtlos bleibt. Aber keiner machte dem jeweils anderen jemals einen Vorwurf daraus.

Er war vor etwas mehr als achthundert Jahren auf Milan aufmerksam geworden, als sich eine Horde Männer über ihn hermachten. Einerseits wurde er geschlagen, anderseits vergingen sie sich an ihm. Noch heute wunderte es Tyr nicht, dass er für Männer einen Reiz besaß. Zudem waren die anderen ziemlich betrunken, wenn es auch keine Ausrede sein durfte. Doch für den jungen Milan war es ein Schock, als die Männer ihn auf besondere Weise demütigten. Schuld war nicht nur sein spezielles Aussehen, sondern auch sein gewandelter Geschmack. Milan gehörte zu jenen Opfern, die während der Streifzüge von Vampiren einfach so gut wie gewandelt wurden, da sie mehr als viermal gebissen wurden.

Bei ihm war es schon fast zu spät. Tyr hatte ihn – sich der Anziehung selbst nicht entziehen können – vor den Rat gezerrt und die anderen Mitglieder vor vollendete Tatsachen gestellt, indem er einfach darlegte, dass dieser junge Mann zu einem ihrer gemacht werden sollte. Da er jedoch so viel Vernunft noch hatte es nicht selbst zu tun, verlangte er nach einem Freiwilligen, der sich seiner annahm. Glücklicherweise tat Vico das auch sofort, weswegen er ihm gegenüber immer noch Dankbarkeit fühlte, so wie er es mit Blick auf Milan spürte.

Vico hatte ihn dann gewandelt und ihn in allem unterwiesen. Nachdem Milan dann mit seiner neuen Natur zurechtkam, liefen sie sich immer häufiger über den Weg. Zunächst von Tyr als reiner Zufall abgetan, da sie im gleichen Schloss hausten. Änderte sich das über die Jahre hinweg bis er dem Werben dann nachgab und mit ihm auch dann ziemlich schnell ins Bett ging. Immerhin war er auch nur ein Mann und Milan ein Kaliber, was man nicht wirklich von der Bettkante stieß.

Es war neu, jemanden nicht zu kontrollieren, um all die sexuellen Gelüste gestillt zu bekommen, die man wollte. Der Junge war sogar sehr unterhaltsam mit seiner noch kindlichen Art. Er erzählte von der Welt, die er als Mensch erlebte und schwärmte von seinen neuen Fähigkeiten als Vampie. Sprach großzügig von Gefühlen und Liebe und doch glaubte Tyr ihm nicht. Dafür war er einfach zu jung und noch zu sehr Mensch. Er wusste, dass es nur Dankbarkeit und Verpflichtung ihm gegenüber sein konnte – sein Lebensretter gewesen zu sein – so jedenfalls sah es Tyr noch immer. Obwohl sich eine Überzeugung durch handfeste Fakten mittlerweile ja durchaus geändert hatte.

„Wie lange ist es her? Sechshundert Jahre mein Freund.“, schenkte Tyr ihm ein gutmütiges Lächeln.

„Nicht so ganz. Nur fünfhundertzwanzig.“, antwortete er und gab dem Wunsch nach, Tyr zu umarmen. Er seufzte erleichtert auf, als Tyr diese Geste erwiderte. Und stöhnte sehnsüchtig auf, als er sich sogar auf seinen Kuss einließ. Doch es fühlte sich anders an. Milan konnte spüren, dass Tyr jemand anderen wollte. Es schmerzte, sogar schlimmer, als zu seinem Weggang. Damals tröstete ihn der Gedanke, dass ein Vollblutvampir eben keine so menschlichen Emotionen besaß wie die Vampies. Doch das war wohl weitverbreiteter Irrglaube.

Er hatte es nicht glauben wollen, als er die Gerüchte über seinen royal blood Dämon hörte, der debil grinsend ein bisschen durch den Wind sei. Sofort kontaktierte er Vico, der ihm zu allem Ärgernis durchaus bestätigte, dass Tyr gerade nicht er selbst war. Augenblicklich kehrte er Paris den Rücken und wollte sich selbst überzeugen. Natürlich würde er ihm beistehen, bei was auch immer, doch im Moment zweifelte er, ob er die richtige Entscheidung traf.

Fünfhundertzwanzig Jahre waren noch immer nicht genug um zu vergessen. War er in der Lage seine eigenen Wünsche zu verbannen oder würde alles nur noch viel schlimmer werden?

„Lass uns feiern gehen!“, ertönte da Tyrs fröhliche Stimme und ließ Milans inneren Zweifel vorerst verstummen. Zusammen – Arm in Arm – verließen sie das Anwesen und machten sich zusammen auf den Weg in das Nachtleben.

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