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Alright my boys
Teil 1
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Informationen
- Story: Alright my boys
- Autor: Mohan
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Konventionen werden zur Last,
wenn sie der Ehrlichkeit im Wege steh'n,
zeig die Gefühle, die du für den Ander'n hast,
wenn auch die Spießer die Köpfe dreh'n.
(Eugen Balanskat, Die Skeptiker)
»Das ist ja sittliche Entartung.«, diese Worte meines besten Freundes Paul klangen noch in meinem Ohr, als er mich erwischte, wie ich Dirk küsste. Dabei waren wir besonders vorsichtig gewesen und hatten extra eine abgelegene Stelle in der Nähe des Schulhofs aufgesucht. Denn wir waren noch nicht geoutet und hatten auch nicht vor, daran etwas zu ändern, zumindest vorerst nicht. Dazu schien uns unsere Umgebung viel zu konservativ, als dass sie verstehen würden, dass Schwule nichts Abartiges seien. Ich hatte zudem viel zu viel Angst in meiner Klasse noch mehr zum Außenseiter zu werden. Da ich nicht der Masse hinterher laufe, gelte ich als Sonderling, der von den meisten nicht beachtet wird.
Da ich auch noch ziemlich schüchtern bin und recht lange brauche, bis ich überhaupt mal jemanden anspreche, habe ich nur wenige Freunde. Und die will ich nicht durch ein Outing verlieren. Obwohl ich schon glaube, dass es die meisten positiv aufnehmen würden, traute ich mich bisher nicht. Ich bin einfach zu schüchtern, irgendwie fehlt mir auch das nötige Selbstbewusstsein zu sagen: Hey ich bin schwul und was ihr davon haltet, ist mir egal. Es ist mein Leben und ich lebe es so, wie ich will.
Bevor ich jetzt weiter schreibe, einige Worte zu mir. Also ich heiße Martin und bin, wie ihr euch sicher denken könnt, schwul. War ja auch nicht schwer zu erraten, so wie die Geschichte hier losging. Außer meinem Freund weis es noch niemand, was ich zunächst auch mal so lassen wollte. Ich bin wie schon erwähnt viel zu schüchtern und habe viel zu viel Angst vor einem Coming Out, das nach hinten losgeht. Außerdem sah ich nicht ein, warum ich zugeben sollte, dass ich auf Jungs stehe. Eine Hete muss ja auch nicht sagen: »Hey Leute, ich stehe auf Mädchen.«
Jetzt wieder zurück zu meinem Steckbrief, damit ihr wisst, mit wem ihr es zu tun habt. Ich bin 16 Jahre und etwa 1,86 m groß und habe blondes, kurzes Haar und grüne Augen. Obwohl ich keinen Sport betreibe, bin ich doch ziemlich schlank. Also ich bin mit meinem Körper ziemlich zufrieden. Beim Sport halte ich es da wie der frühere britische Premierminister mit »No sports«, ich bin einfach viel zu faul dazu. Allerdings auf das Rauchen verzichte ich dann lieber. Habe es zwar mal probiert wie wohl so ziemlich jeder Jugendliche. Hat mir aber nicht geschmeckt und am nächsten Morgen war mir kotzübel. Also ließ ich es lieber sein, spart ja auch jede Menge Geld und soviel Taschengeld habe ich auch nicht.
Wenn ich schon beim Vorstellen bin, kurz einige Sätze zu meinem Herzblatt Dirk. Er geht in meine Parallelklasse und ist ebenfalls 16. Von der Körpergröße ist er etwas kleiner, 1,80 m und hat hellbraune, mittellange Haare und wunderschöne dunkelbraune Augen. Sein Körper ist besser durchtrainiert, da er Fußball spielt. Er versuchte schon öfter mich dazu zu überreden, auch mitzugehen. Aber das ist einfach nichts für mich, zwanzig Männer, die einem Ball hinterher rennen und zwei, die vor einem Netz stehen und verhindern, dass er darin landet. Ne, das ist nichts für mich. Auch die Aussicht, nackte Jungs in der Dusche beobachten zu können, war nicht verlockend. Ich habe ja jetzt meinen Schatz und den gebe ich nicht mehr her. Also keine Abenteuer mit anderen Jungs.
Dirk und ich sind uns bei einer Skifreizeit näher gekommen. »Was macht der denn bei einer Skifreizeit, wo er doch Sport nicht ausstehen kann?«, wird sich der Leser jetzt fragen. Tja die Skifreizeit war Pflichtprogramm in der Schule und ich musste wohl oder übel mit. Naja ich habe es einigermaßen überstanden. An dieser Freizeit nahm die ganze Jahrgangsstufe teil und eines Abends saßen wir noch so gemütlich zusammen. Irgendwie kam ich mit Dirk ins Gespräch, er war mir zwar schon vorher aufgefallen und ich fand ihn sympathisch, war wohl auch schon ein klein bisschen in ihn verliebt. Aber ich hätte mich nie getraut, ihn einfach so anzusprechen. Jetzt aber war die Stimmung gelöst, ich hatte schon ein Bier getrunken, als ich ihn einfach mal ansprach. Ich hatte mich einfach zu ihm gesetzt, denn ich hatte mir vorgenommen, ihn auf dieser Freizeit endlich mal anzusprechen. Irgendetwas Positives musste ich dieser Skifreizeit doch abgewinnen.
Es stellte sich schnell heraus, dass Dirk und ich viele gemeinsame Interessen hatten. Das Gespräch wurde recht lang und intensiv. Als wir nur noch alleine waren, kamen wir auf das Thema Freundin zu sprechen und er sagte mir, dass er keine hätte und auch keine wollte. Weiterhin sagte er mir, dass er mich ziemlich nett fände. Ich schwebte auf Wolke sieben, der Junge meiner Träume erzählte mir, dass er keine Freundin wolle und mich ganz toll findet. Ich wurde mutiger und sagte ihm, dass ich ihn auch sehr sympathisch fände und mir auch nichts aus Mädchen mache. Ich ging noch einen Schritt weiter und sagte, dass ich mich in ihn verliebt hätte. Ich konnte ihm zuerst nicht in die Augen sehen, weil ich Angst hatte, er würde nicht das Gleiche für mich empfinden wie ich für ihn oder mich sogar ablehnen. Was soll denn das jetzt, Dirk hat doch gesagt, dass er mich sympathisch findet? Ja aber wie ich schon erwähnt hatte, bin ich nicht nur außerordentlich schüchtern, auch Selbstbewusstsein ist ein Fremdwort für mich.
Nach einer Pause, die mir unendlich lange vorkam, antwortete mir Dirk, dass es ihm genauso erginge wie mir. Wir kamen uns näher und unsere Münder vereinigten sich zu einem erst zaghaften, dann richtig leidenschaftlichen Kuss. Darauf hatte ich mich schon immer gefreut, einmal meinen Traum Dirk zu küssen. Jetzt war es endlich wahr geworden, ich durfte ihn in meinen Arm nehmen und küssen. Mehr ist aber nicht mehr passiert, erstens waren wir viel zu müde und zweitens wollten wir doch etwas vorsichtig sein. Denn wir wollten nicht, dass irgendwer etwas von unserem kleinen Geheimnis mitbekam. Schade war, dass wir in verschiedenen Zimmern schliefen. Sonst wäre damals vielleicht schon mehr passiert. Was, das bleibt der (schmutzigen) Fantasie der Leser überlassen.
Nun, seit diesem Abend sind wir ein Paar und glücklich. Nur weis keiner von unserer Beziehung. In der eher konservativen Umgebung unserer Schule und unseres Ortes schien uns dies auch besser so. Doch jetzt war es raus, mein bester Freund Paul war hinter unser kleines Geheimnis gekommen. Leider war seine Reaktion nicht so, wie ich eigentlich erwartet hätte. Da hatte ich mich wohl geirrt. Ich hoffte jetzt nur mal, dass er das Ganze nicht in der ganzen Klasse rumposaunt.
Mir war es eigentlich egal, ich habe sowieso kaum Freunde in der Klasse und gelte ohnehin als Außenseiter. Sollen sie doch von mir denken, was sie wollen, ich mache, was ich will. Aber es ging hier nicht nur um mich, auch Dirk war im Spiel. Ich wollte nicht, dass er meinetwegen als Außenseiter abgestempelt wird. Denn im Gegensatz zu mir hatte er viele Kontakte zu seinen Klassenkameraden. Außerdem wollten wir selbst entscheiden, ob und wann wir uns outen. Dafür war es nun zu spät, wir konnten nur hoffen, dass Paul sich schnell von dem »Schock« erholt und nicht allen erzählt, was für »widerwärtige« Dinge wir da getrieben hätten. Es klingelte, die Pause war nun (leider) zu Ende und wir gingen in unsere Klassenzimmer zurück.
»Das wird schon irgendwie gutgehen, mein Schatz«, raunte mir Dirk noch ins Ohr. »Dein Wort in Gottes Ohr«, klang ich nicht besonders zuversichtlich.
Naja, ob Gott damit ein Problem hat? Eigentlich glaube ich dies nicht. Er sieht ja angeblich alles und hat, so behaupten gläubige Menschen, alles auf der Erde erschaffen. D.h. nach dieser Theorie, er muss wohl auch die Schwulen erschaffen haben. Folglich dürfte er wohl auch kein Problem mit Homosexualität haben.
Wo ich schon am philosophieren bin (was ich hin und wieder gerne mache), zu einem anderen »Standardargument« von Schwulenhassern. Homosexualität soll angeblich wider der Natur sein. Ich glaube wohl nicht, denn Schwule sind ja ein Bestandteil der der Menschheit. Diese wiederum ist ein Bestandteil der Natur, also können Schwule eigentlich gar nicht widernatürlich sein. Warum es allerdings Homosexualität gibt, konnte bisher nicht erklärt werden. Also ist Schwulsein keineswegs irgendetwas »wider der Natur«, wie reaktionäre Christen, Nazis und sonstige konservative Menschen uns immer wieder einreden wollen.
Da war wieder mein Problem, mit meinem Schwulsein kam ich klar, es gehört einfach zu mir. Wahrscheinlich würde ich wohl auch dazu stehen, wenn mich jemand danach fragen würde. Aber irgendwie habe ich auch Angst abgelehnt zu werden, wenn es jemand weis, dass ich schwul bin. Und dies, obwohl ich mich eigentlich nicht von der Meinung anderer abhängig mache, und mein Leben so lebe, wie ich es will. Ich kann es einfach nicht erklären, es ist halt so. Ich lasse mich aber gerne aufklären, wer etwas weis, kann mir ja schreiben.
Nach diesem kurzen Gedankenausflug zurück in die Realität und die hieß Unterricht. Ich wollte Paul nicht vor dem Unterricht über den Weg laufen und wartete bis niemand mehr im Hof war, bevor ich in das Schulgebäude zurückging. Ich hoffte mal, dass er es trotz seines Entsetzens nicht gleich herumgetratscht hatte. Als ich den Klassenraum betrat, war es eigentlich wie immer, niemand nahm von mir Notiz. Paul hatte mein kleines Geheimnis wohl für sich behalten, Glück gehabt. Schnell ging ich zu meinem Platz, der sich neben dem von Paul befand. Er ignorierte mich allerdings, als ich mich hinsetzte.
»Ich muss mit dir reden, über das was du vorhin gesehen hast«, flüsterte ich ihm zu.
»Lass mich in Ruhe!«, kam es leicht gereizt als Antwort zurück. »Und lass ja deine Finger bei dir!«
Als ob ich jemals an ihm rumgefummelt hatte. Paul war zwar mein bester Freund, aber nicht unbedingt jemand, indem ich mich verlieben würde. Dazu fehlte ihm das Gewisse etwas.
»Trotzdem ich muss mit dir reden, immerhin sind wir beste Freunde und können über alles reden«, antwortete ich.
»Lass mich du Schwuchtel, mit unserer Freundschaft ist es aus«, antwortete Paul sichtlich genervt und schon etwas lauter. Ich hoffe nur mal, dass es keiner mitgekriegt hat, dass ich schwul bin, das wäre das Ende.
»Aber, ich dachte ...«, startete ich einen neuen Versuch, kam aber nicht weit, denn unser Deutschlehrer Herr Weiler betrat just in diesem Moment das Klassenzimmer.
»Guten Morgen, meine Herrschaften, wie ich sehe, freut ihr euch schon auf das Thema des heutigen Unterrichts, 'Der Schimmelreiter' von Theodor Storm. Ich hoffe, ihr habt alle das Buch gelesen«, begrüßte uns Herr Weiler schwungvoll wie immer. Uuääh, deutsch, das hat mir in meiner Lage jetzt gerade noch gefehlt. Es war schon immer eines meiner Hassfächer. Zum Lesen von Romanen hatte ich einfach keine Lust, sie interessierten mich auch nicht besonders.
Ich wollte vielmehr noch einen Versuch starten, um ein Gespräch mit Paul zu beginnen, als ich gerade noch wahrnahm, wie unser Lehrer sagte: »Na wer von euch fasst mir mal kurz den Inhalt vom Schimmelreiter zusammen?« Ich sah einige ihre Hände in die Höhe strecken, ich dagegen machte mich in solchen Situationen immer besonders klein, in der Hoffnung übersehen zu werden.
»Ach ich glaube, Martin übernimmt das sicher ganz gerne, nicht wahr?« Scheiße jetzt auch das noch. Nicht genug, dass sich Paul mir gegenüber ablehnend benahm, es reichte einfach nicht. Jetzt sollte ich auch noch eine Zusammenfassung abliefern von einem Buch, das ich wie immer nicht gelesen hatte. Leider hatte ich auch vergessen, im Internet nach einer Zusammenfassung zu suchen. Shit happens, der Tag ging also beschissen weiter.
»Ääh, also im Schimmelreiter geht es um, äh, äh ich meine Theodor Storm behandelt in diesem Buch die Geschichte von ääh ...«, stammelte ich vor mich hin. Paul neben mir grinste schadenfroh, er als »Deutschfan« wusste bestimmt Bescheid, aber einer Schwuchtel wollte er wohl nicht helfen.
Bis gestern hätte er mir, wie er es früher immer getan hatte, geholfen, wenn ich mal nicht weiter wusste. Er sagte mir immer leise vor, was ich sagen sollte. Im Gegenzug half ich ihm in Mathe und Physik, wo ich besonders gut war. Doch seit meinem unfreiwilligen Outing war er verstimmt und half mir nicht. Mein Nichtwissen flog auf und ich bekam eine Sechs. Der Rest des Unterrichts verlief ohne weitere Vorkommnisse, ich begab mich wieder in Gedanken. Warum kommt Paul nicht damit klar, dass ich schwul bin? Ist das so etwas Schlimmes? Ich hätte ihn für toleranter gehalten. Ich überlegte mir noch, wie ich mit ihm reden könne. Vielleicht würde er mich dann verstehen.
Leider dauerte die Deutschstunde etwas länger und kaum war Herr Weiler aus dem Zimmer, kam auch schon unsere Religionslehrerin Frau Reuther herein. Noch so ein Fach, mit dem ich mich nicht anfreunden konnte. Nicht dass es nicht einige interessante Aspekte bei Religionen geben würde, aber dadurch, dass einfach nur der Pflichtkatalog und die Ansichten der Amtskirche scheinbar unreflektiert abgespult wurden, war dieser Unterricht nichts für mich. Nur ließ mich Frau Reuther in Ruhe, ich bekam meist die Note, die ich in der Arbeit geschrieben hatte.
»Heute behandeln wir das Thema Liebe. Was finden wir dazu in der Bibel und welche Ausdrucksformen gibt es«, eröffnete meine Religionslehrerin ihren Unterricht. Na super, das Thema passt ja wie die Faust aufs Auge, hoffentlich bringt nicht irgendwer das Thema Homosexualität ins Spiel. Hoffentlich hält Paul dann seinen Mund, aber ich bin mir da nicht so sicher.
Zunächst zitierte Frau Reuther einige Passagen aus der Bibel, fragt mich aber nicht welche, ich habe nicht aufgepasst. Ich hatte vielmehr Angst, dass mein kleines Geheimnis auffliegt. Unaufhaltsam bewegte sich der Unterricht in eine gefährliche Richtung, wir kamen bei den Ausdrucksformen der Liebe an. Da kam natürlich auch das Thema Sexualität zur Sprache.
»Gott hat sie geschaffen, damit Mann und Frau gemeinsam Kinder zeugen können. Dies ist der einzige Zweck von Sexualität, daher ist Sex vor der Ehe auch nicht erlaubt«, kam es aus der Ecke der »Vorzeigechristen«. Rennen jeden Sonntag brav in die Kirche, haben aber die meiner Meinung nach wahren Werte der Lehre Jesu wie Toleranz und Nächstenliebe nicht verstanden. Es wundert mich eigentlich immer wieder, welch konservative, eher schon reaktionäre Ansichten junge Menschen haben können.
Aber es ging noch weiter mit dem gesammelten Schwachsinn. Normalerweise hätte ich mich darüber amüsiert, aber jetzt, wo Paul wusste, dass ich schwul war, wurde es so langsam gefährlich.
»Besonders diese widerlichen Homosexuellen, die sich jetzt überall in die Öffentlichkeit drängeln, leben einfach ihren Trieb aus, das kann nicht im Sinne Gottes sein. Schließlich können sie keine Kinder zeugen.«
»Richtig, ich finde diese Schwuchteln auch widerlich, die gehören doch alle von ihrer Krankheit geheilt. Dann nimmt Gott sie wieder in seine Mitte auf«, kam es als Bestätigung.
»Leute wisst ihr, warum unser lieber Martin vorhin beim Weiler so abwesend war?«, warf Paul jetzt ein. Scheiße jetzt ist es aus, gleich weiß es die ganze Klasse. Ich vergrub meinen Kopf in meinen Händen, ich wollte meine Klassenkameraden nicht in die Augen sehen. »Martin hat weniger an Schimmelreiter gedacht als wohl vielmehr an Pimmelreiter. Er ist nämlich einer dieser ekelhaften Schwanzlutscher.«
»Sieh an, sieh an, das habe ich mir doch fast schon gedacht«, kam es von Oberidiot Christoph. Auch andere fingen an über mich herzuziehen.
Wie ich es befürchtet hatte, schien sich niemand hinter mich zu stellen. Ich fühlte mich ziemlich allein. Aber ich wollte mich nicht demütigen lassen und unterdrückte meine Tränen, die sich schon gebildet hatten. Nein, meine Fassung wollte ich nicht verlieren, ich wollte nicht als Jammerlappen dastehen.
Ich weis nicht, woher ich den Mut nahm, aber irgendwie verspürte ich einen starken Drang mich zu verteidigen. Ja verteidigen, rechtfertigen wollte ich mich nicht. Warum auch, ich habe ja nichts Schlimmes getan. Eine Hete muss sich ja auch nicht dafür rechtfertigen, dass sie eine Frau liebt. Nur ich als Schwuler soll das? Nein, dazu sah ich keinerlei Anlass.
Ich ging vielmehr zum Angriff über, ich wollte diese lächerlichen Argumente gegen Schwule entkräften. Ein großer Kämpfer in eigener Sache war ich eigentlich nie, hier fehlt mir einfach das Selbstbewusstsein. Aber wenn es irgendwo eine Ungerechtigkeit gibt, dann stehe ich auf. Und eine Ungerechtigkeit stand hier im Raum. Diese haltlosen Vorurteile gegen Schwule konnte ich einfach nicht so stehen lassen. Meine Kämpfernatur war geweckt, ich hatte meine Angst überwunden. Jetzt wo es alle wussten, war mir egal, was passierte. Ein Außenseiter war ich ohnehin, dann bin ich eben ab jetzt noch zusätzlich ein schwuler Außenseiter.
»Was ist denn so schlimm daran, dass zwei Menschen sich lieben? Warum spielt denn dabei das Geschlecht so eine wichtige Rolle? Sollte es nicht vielmehr wichtiger sein, dass man sich überhaupt verlieben kann?«, ging ich in die Offensive.
»Ihr Schwuchteln könnt doch keine Kinder kriegen«, kam ein Standardargument von Christoph.
»Gott hat die Mann und Frau geschaffen, damit sie sich fortpflanzen. 'Seid fruchtbar und vermehret euch.' steht auch schon in der Heiligen Schrift«, legte Mario nach. Bei soviel geistigem Sondermüll kam ich so langsam in Fahrt.
»Amen«, sagte ich mit dem Tonfall eines Priesters. »Dann schläfst du also auch nicht mit deiner Freundin, du willst ja noch kein Kind haben. Oh entschuldige, du hast ja gar keine.« Christoph wollte gerade etwas antworten, aber ich würgte ihn gleich ab und fuhr weiter. »Warum darf ich mich nicht in einen Jungen verlieben? Was ist daran so schlimm, wenn zwei sich lieben?«
»Es ist wider die Natur, Schwule können sich nicht fortpflanzen.«
»Das hast du gerade schon einmal gesagt, durch wiederholen wird dein Argument nicht besser. Auch in der Tierwelt wurde Homosexualität entdeckt, sie ist also durchaus im Sinne der Natur und kein Ausdruck unser angeblich so verdorbenen Zeit.«
»Aber es ist eine Sünde, Gott hat schon in der Bibel Schwule bestraft. Aber Gott ist auch gerecht, wer von seinem widernatürlichen Treiben ablässt, den nimmt er wieder als seinen Sohn an. Es gibt da so Therapien, wo man von seinen widernatürlichen Trieben geheilt werden kann«, gab sich Mario noch immer nicht geschlagen.
»Also lass mal Gott aus dem Spiel, der kann sich hier ja nicht verteidigen, wenn du ihm die falschen Worte in den Mund legst.«
»Das, das ist Blasphemie«, unterbrach mich Mario ziemlich barsch.
»Also wer hier mehr blasphemisch ist, ich oder du, der einfach etwas sagt und frech behauptet, Gott hätte es gesagt oder es sei sein Wille, das weis ich nicht. Aber das ist hier ja auch nicht das Thema, hier geht es darum, dass ihr einfach nicht tolerieren könnt oder wollt, dass Schwulsein nichts Schlimmes ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass hauptsächlich Jungen und Männer Probleme mit Schwulen haben.«
You say I'm a problem
But the problem isn't me
It's you and your narrow minded sexuality
Given by the law, by the church and their holy hypocrisy
You don't like when two men kiss, but child pornography...
(Jochen, Across The Border)
Jetzt hatte ich langsam genug von dem Schwachsinn, jetzt wollte ich noch einen drauflegen und sehen wie Christoph, Mario und Co. jetzt reagieren. Nur eins machte mich stutzig, Paul blieb die ganze Zeit still. Ich muss unbedingt in der Pause mit ihm reden. Doch jetzt zu meinen »lieben« Klassenkameraden aus der Idiotenecke.
»Manche Leute behaupten, Männer haben nur deswegen ein Problem mit Schwulen, weil sie entweder ihre Männlichkeit gefährdet sehen oder selbst schwul sind. Ein 'richtiger' Mann benehme sich nicht nur proletenhaft, säuft und schaut Fußball, sondern er hat eine Frau, die ihm den Haushalt macht, kocht und wäscht. Denn das sind ja angeblich alles keine Tätigkeiten für einen 'richtigen' Mann.« Ich war selbst von mir überrascht, was ich da so zusammenredete.
»Ich bin keine widerwärtige Schwuchtel, ich bin ein richtiger Mann«, kam es ziemlich heftig von Christoph. »Wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, dass ich was gegen Schwanzlutscher hätte, bloß, weil ich angeblich selbst so einer sei? Allein der Gedanke daran, einfach widerlich. Wenn ich einmal eine Freundin habe, helfe ich selbstverständlich im Haushalt mit. Außerdem bin ich ein echter Mann, das brauche ich doch nicht extra beweisen, mir liegen die Mädels zu Füßen. Ich könnte jede haben. Frauen lieben halt echte Männer wie mich.«
»Wers glaubt wird selig. Amen«, war mein einziger Kommentar dazu. Auch Mario wehrte sich heftigst gegen meine »Vorwürfe«.
Bevor sie aber noch richtig explodierten, wechselte ich das Thema und kam wieder auf die Frage zurück, warum wir nicht einfach tolerieren können, dass sich auch zwei Jungen oder auch zwei Mädchen ineinander verlieben können. Das Wichtigste sei doch die Liebe. Und beides sind ja urchristliche Werte, Toleranz und Nächstenliebe. Ich schaute in die Klasse und einige schienen über meine Worte nachzudenken, jedenfalls schauten sie mich nicht mehr so abwertend an. Bei einigen konnte ich auch Zustimmung ausmachen. Ich war also doch nicht ganz alleine. Ob ich damit recht lag, das musste sich noch zeigen.
Doch zunächst ergriff Frau Reuther das Wort, sie hatte die ganze Zeit nur zugehört. Sie hatte wohl auch weder mit so einer heftigen Reaktion noch damit gerechnet, dass ich schwul bin. »Das war ja sehr beeindruckend, was du da eben gesagt hast, Martin. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut«, fing sie an. Ich erwartete jetzt, dass sie auch in den Kanon der lächerlichen Vorurteile gegen Schwule einsteigt, dem war aber überraschenderweise nicht so. Da hatte ich meine Relilehrerin wohl falsch eingeschätzt. »Jetzt sind wir zwar vom ursprünglichen Thema etwas abgekommen, aber ich fand es sehr interessant, was du gesagt hast. So habe ich das Thema Homosexualität noch gar nicht betrachtet«, fuhr Frau Reuther fort.
»Jetzt hat diese Schwuchtel schon Frau Reuther angesteckt. Also für mich bleibt das abartig und gehört behandelt«, kam es wieder von Christoph. Naja es hätte mich auch gewundert, wenn da was anderes gekommen wäre. »Das wichtigste ist doch die Liebe, ach ist er nicht süß unser kleiner Schwanzlutscher hier? Du willst wissen, warum ich etwas gegen Schwuchteln habe? Es ist eine Krankheit. Basta. Und die muss bekämpft werden, bevor noch andere angesteckt werden.« Weiter kam er nicht, die Pausenklingel beendete die Stunde. Frau Reuther gab uns noch Hausaufgaben, bevor sie aus dem Klassenzimmer ging.
Jetzt war ich gespannt, wie viele sich der Meinung von Christoph und Co. anschlossen und wie viele mit Schwulen keine Probleme hatten. Ich war ziemlich nervös und schaute auf mein Schulheft. Meinen Klassenkameraden wollte ich nicht in die Augen sehen. Nachdem es eine kurze Weile ruhig war, erwartete ich schon, dass sie auf mich losgingen. Doch auch hier wurde ich positiv überrascht.
»Das war richtig toll.« »Du hast viel Mut bewiesen.« »Mensch das hätte ich dir gar nicht zugetraut.« »Du hast richtig Charakter bewiesen.«, bekam ich als Kommentare zu hören. Einige kamen zu mir und gratulierten mir zu meinem »Vortrag«. So viel Lob war ich als chronischer Außenseiter, den niemand beachtet, gar nicht gewohnt. Hatte mein unfreiwilliges Coming Out doch einen positiven Nebeneffekt.
Die meisten hatten also mit meinem Schwulsein doch keine Probleme, wie ich befürchtet hatte. Einige Mädchen waren zwar traurig, dass sie nun nicht mit mir gehen können, aber sie können trotzdem damit leben.
Viele hatten bisher einfach nicht den Mut gehabt, eine andere Meinung zu haben als die »Leithammel« aus der Idiotenecke. Ich hätte ihnen aber heute gezeigt, dass man durchaus seine eigene Meinung vertreten kann. Außerdem hatten sie sich noch nie so richtig Gedanken über Schwule gemacht.
Eigentlich wollte ich ja mit Paul reden, doch er hatte sich rasch auf den Pausenhof verzogen. Also nichts wie ebenfalls in den Hof, ich musste ihn finden und mit ihm reden. Doch vorher wollte ich noch zu Dirk, ich wollte ihm unbedingt berichten, was bei mir vorgefallen war. Als ich in den Schulhof trat, sah ich ihn auch schon, meinen Sonnenschein. Er strahlte mich an, sein Lächeln war einfach umwerfend. Ich schmolz dahin und schenkte ihm ebenfalls mein zauberhaftestes Lächeln.
»Hi«, begrüßte ich ihn. »Ebenfalls«, antwortete er, »Wie ich sehe, lebst du noch. Es ist also doch gut gegangen mit Paul.«
»Du hattest ja recht, wie fast immer«, lächelte ich meinen Schatz an. »Aber es wäre es fast in die Hose gegangen.«
»Was ist denn passiert?«, wollte Dirk jetzt wissen. »Komm lass uns an einer ruhigeren Stelle weiterreden, es muss ja nicht jeder mitbekommen, dass wir schwul sind. Auch wenn es jetzt gut gegangen ist, hier laufen noch zu viel Idioten herum.«
Wir gingen in eine ruhige Ecke des Schulhofs, niemand nahm von uns Notiz, also hatten Christoph, Mario und Co. noch nicht angefangen, es überall herum zu erzählen, was für »widerwärtige Gestalten« sich da auf unserer ach so noblen Bildungsanstalt herumtreiben. Ich befürchtete aber, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Als wir in der ruhigeren Ecke waren, berichtete ich Dirk, was eben im Reliunterricht alles passiert war.
»Ich sagte dir ja, das geht schon gut«, wollte Dirk meine Zweifel zerstreuen.
»Aber ich weis immer noch nicht, ob Paul jetzt damit klar kommt. Und die Idiotencrew wird sicher nicht lange still halten.«
»Nun sieh doch nicht alles gleich so negativ. Bis jetzt lief es doch ganz gut. Und Idioten, die damit nicht klarkommen, gibt es wohl immer«, versuchte Dirk mich aufzumuntern. Dabei grinste er mich frech an.
Dies bewirkte, dass sich meine eben noch negative Stimmung weiter aufhellte. Dirk schaffte es immer wieder, mich aus meinen grüblerischen Phasen herauszuziehen. Manchmal wüsste ich gar nicht mehr, was ich ohne ihn machen würde.
Beinahe hätte ich ihn geküsst, aber ich konnte mich noch zurückhalten. Hier in aller Öffentlichkeit wollte ich meine wahren Gefühle für Dirk noch nicht zeigen. Wer weis, was dann im Schulhof los gewesen wäre. Schaut euch mal dieses widerwärtige Treiben an. Was haben diese Schwanzlutscher an unserer anständigen Schule verloren? Oder vielleicht hätte es auch positive Reaktionen gegeben. Ich wollte es aber nicht unbedingt ausprobieren, unsere Klassenidioten würden wohl schon früh genug für den »Skandal« sorgen.
»Das mit Paul renkt sich auch wieder ein, lass ihm einfach Zeit. Vielleicht fühlt er sich einfach überrumpelt. Wenn er wirklich dein bester Freund ist, dann wird er weiterhin zu dir halten. Also, Kopf hoch mein Großer, das wird schon wieder.«
»Naja ich will es mal hoffen« Ich verabschiedete mich von meinem Schatz und sah mich nach Paul um. Er saß alleine etwas abseits. Gut, dann konnte ich ja ungestört mit ihm reden.
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