Stories
Stories, Gedichte und mehr
Dämonenjäger
Teil 10
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Dämonenjäger
- Autor: Mondstaub
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Fantasy und Mystery, Historisch
Inhaltsverzeichnis
- Team 2, irgendwo in Schleswig-Holstein, Deutschland, Anno Domini 2017
- Team 2, Köln, Deutschland, Anno Domini 2017
- Team 1, irgendwo in Sachsen, Deutschland, Anno Domini 2017
- Team 1 und 2, Köln, Deutschland, Anno Domini 2017
- Team 3, Bangkok, Thailand, Anno Domini 2017
- Bangkok, Thailand, Anno Domini 2014
Team 2, irgendwo in Schleswig-Holstein, Deutschland, Anno Domini 2017
Das Frühstück im Hotel konnte nicht wirklich überzeugen und auch die Unterkunft selber war gerade so akzeptabel. Aber so kurzfristig waren eben nur noch ein paar Zimmer in einem Billighotel zu bekommen gewesen.
Am frühen Vormittag machte sich das Team dann auf in Richtung des Gutshofes Heidkoppel. Etwa zwei Kilometer vor ihrem Ziel bog Lucas auf den Wirtschaftsweg eines kleinen Wäldchens an der rechten Straßenseite ab.
„Hier gibt es überall noch kleinere zusammenhängende Waldstücke, die meisten in Privatbesitz, einige sogar Staatsforst. Dieses hier gehört zum Gut Heidkoppel. Ich schlage vor, wir wandern ein wenig und führen unseren Hund aus. Tut mir leid, Robin, aber hier in Schleswig-Holstein ist Leinenpflicht. Das heißt, du bekommst dein Halsband mit der Steuermarke und ich nehme die Leine. Laß dich nicht sehen, denn der Jagdschutzberechtigte darf einen wildernden Hund schießen, wenn der sich nicht bei seinem Halter befindet.“
Robin verteilte wütende Blicke, suchte aber das entsprechende Halsband aus seinem Rucksack, den er dann an Leon weiterreichte. Kevin sah ihm mit gemischten Gefühlen zu.
„Wenn du etwas Wichtiges hast, kannst du dich wandeln und uns über dein Halsband erreichen. Aber bleib dabei um Himmels willen in Deckung.“
Robin grummelte etwas Unverständliches, während er sich auszog und Lucas ihm das Halsband anlegte. Nach der Wandlung trottete Robin in das Unterholz und machte sich auf den Weg zum Gutshof. Die restlichen vier jungen Männer stiegen wieder in ihren Wagen und Lucas fuhr zurück zur Hauptstraße, um auf öffentlichen Wegen zum Gutshof zu gelangen.
Die Einfahrt lag direkt an der Hauptstraße und bestand aus einem sogenannten Torgebäude. Das waren zwei kleine Häuschen, verbunden mit einem steinernen Torbogen. Dazwischen zwei schmiedeeiserne Torhälften, die einladend offen standen.
Lucas fuhr bis zu einem kleinen Parkplatz, auf dem sich ein Hinweisschild über den Gutshof befand.
„Das Ding steht unter Denkmalschutz und die zerstörten Gebäudeteile sind nach dem letzten Brand komplett neu restauriert worden. Soviel ich weiß, hat das damals ganz schön Stunk gegeben, denn das Land hat wohl außergewöhnlich viele Zuschüsse gezahlt. Dafür mussten die Besitzer allerdings das Grundstück für die Öffentlichkeit zugänglich machen.“
„Ein Glück für uns, da können wir uns erst einmal ungestört…“
Kevin unterbrach sich und angelte nach seinem Handy.
„Was? Wo? Wir kommen sofort!“
„Das war Robin. Wir müssen zu einer alten Scheune, dicht am Waldrand.“
Leon orientierte sich kurz und deutete mit der Hand am Haupthaus vorbei, in Richtung der im Hintergrund erkennbaren Bäume. Alle vier rannten los.
Robin hatte sich inzwischen wieder in einen Wolf gewandelt und war zurück zur Scheune geschlichen. Ursprünglich hatte er dem Gebäude nur einen Besuch abgestattet, weil er leichten Brandgeruch wahrgenommen hatte, doch dann eilte er sofort zurück ins Unterholz, um in seiner menschlichen Gestalt den Notruf abzusetzen. Das Halsband enthielt nicht nur einen GPS-Sender-Empfänger und ein Aufzeichnungsgerät seiner Vitalfunktionen, sondern auch einen kleinen Transceiver, der auf Kevins Handy programmiert war.
Durch eine kleine Lücke in der Holzverkleidung konnte Robin hören und teilweise auch sehen, was in der Scheune vor sich ging.
Auf der Tenne stand ein Traktor mit einem leeren Plattenwagen. An diesen Plattenwagen waren zwei halbnackte junge Männer gefesselt worden. Beide trugen lediglich ihre Unterhosen und sahen panikartig hin und her.
Vor ihnen standen zwei ältere Männer. Der eine von ihnen, so um die vierzig, hielt ein Jagdgewehr in seinen Händen, der andere, deutlich älter, hielt in seiner rechten Hand eine brennende Fackel. Aufgebracht musterte er einen der jungen Männer.
„Nein, es interessiert mich nicht, dass du schwul bist. Meinetwegen könnt ihr hier tun und lassen, was ihr wollt. Was ich wissen will, ist etwas anderes. Der Fluch lastet schwer auf unserer Familie. Alle Mitglieder unserer Familie, die sich zu anderen Männern hingezogen gefühlt haben, haben großes Unglück über uns gebracht. Fast alle hundert Jahre ist dieser Hof hier abgebrannt, von Hagelstürmen vernichtet worden oder sogar teilweise im Boden versunken. Ich will wissen, ob du auch den Fluch geerbt hast, genau wie dein Großonkel.“
„Großvater! Was soll das?! Was für eine schwachsinnige Geschichte. Das sind doch Märchen aus dem Mittelalter.“
Der jüngere der beiden Männer fuhr herum und funkelte den Jungen an.
„Hauke, rede nicht so mit deinem Großvater. Du solltest dich doch noch an den letzten Brand erinnern, in dem mein Onkel und meine Großeltern ums Leben kamen. Das war kein Zufall!“
„Dad! Warum sind wir denn hier gefesselt? Wir haben nichts verbrochen. Wenn es um mich geht, dann lass wenigstens Marvin frei. Er hat damit doch gar nichts zu tun.“
Der alte Mann schüttelte den Kopf.
„Nein. Auch er könnte ein potentieller Brandstifter sein. Alle, die mit einem Mann ins Bett steigen, könnten es sein.“
Der weißblonde Junge drehte seinen Kopf so, dass er den anderen ansehen konnte.
„Tut mir Leid, Marvin, dass es dazu gekommen ist. Ich hatte gehofft, dass du meine Familie unter anderen Umständen kennen lernen könntest.“
Der zweite Junge, mit goldblonden Haaren, grinste etwas unsicher.
„Ich weiß nicht genau, was hier abgeht, aber ich wünschte, ich könnte dir helfen.“
„Genug geredet. Kommen wir zum Test. Ich weiß von meinem Bruder, dass diese Brandstifter immun gegen Feuer sind und genau das will ich ausprobieren.“
Langsam näherte sich der alte Mann mit seiner Fackel dem Gesicht von Hauke. Der Junge drehte seinen Kopf um der Hitze zu entkommen, doch schon rötete sich die eine Seite, ohne dass die Wirkung der Fackel beeinträchtigt wurde.
„Das reicht dann jetzt wohl!“
Die beiden älteren Männer fuhren erstaunt herum und auch die beiden Jungen drehten ihre Köpfe, als vom Eingang der Scheune eine laute Stimme ertönte.
Nebeneinander traten Kevin, Lucas, Christian und Leon durch das breite Tor und gingen langsam auf die Gruppe am Plattenwagen zu.
Der Mann mit dem Jagdgewehr hob es leicht an und Kevin gab ein Zeichen zum Halten.
„An Ihrer Stelle würde ich das sein lassen. Sie haben nur zwei Schuss und wir sind zu viert. Außerdem möchten Sie doch sicherlich nicht zu den ganzen Gesetzesübertretungen auch noch einen Mord hinzufügen.“
Zögernd wurde das Jagdgewehr wieder gesenkt und nun trat Christian vor. Mit ein paar Schritten erreichte er den alten Mann, griff mit der bloßen Hand in den brennenden Kopf der Fackel und löschte sie.
„Nennen Sie mich nie wieder einen Brandstifter“, knurrte Christian, während der alte Mann ihn entsetzt anstarrte. Auch die beiden gefesselten Jungen sahen ihm vollkommen erstaunt zu, bis Leon vor ihnen auftauchte und sie befreite.
„Ihr zieht euch besser was an.“
Schnell verschwanden die beiden auf den Heuboden, während sich unten Schweigen breit machte. Plötzlich wandte sich der jüngere der beiden Männer an Lucas.
„Ich glaube, ich kenne Sie. Gehören Sie nicht zur Familie der Ravensbergs?“
Lucas verbeugte sich elegant.
„Allerdings. Lucas von Lanz-Ravensberg. Und Sie sind Daniel Raue-Berger, der Vater von Hauke, nehme ich an.“
Der Mann seufzte und legte sein Gewehr auf dem Plattenwagen ab. Mit einem leichten Lächeln sah er darauf herab.
„Es ist ohnehin nicht geladen. Ich bin nicht so verrückt, dass ich es zu einem Unfall kommen lassen würde. Mein Vater hingegen hat andere Ansichten.“
Der alte Mann drehte sich zu seinem Sohn und nun erst konnten alle erkennen, dass seine linke Gesichtshälfte von Brandnarben übersät war.
Die beiden Jungen kamen vom Heuboden herunter und sahen sich unsicher um. Kevin wandte sich an den alten Mann.
„Ich schlage vor, wir unterhalten uns zunächst ein wenig. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, besteht im Moment für Sie und Ihr Hab und Gut keinerlei Gefahr.“
Der alte Mann straffte sich ein wenig, warf seinem Sohn einen undefinierbaren Blick zu, deutete dann aber hinaus aus der Scheune.
„Folgen Sie mir bitte zum Haus.“
Dann drehte er sich zu den beiden Jungen, die sich unsicher ansahen.
„Ihr Beiden natürlich auch.“
Im Haus führte sie der alte Mann in ein elegant eingerichtetes Zimmer direkt neben dem Vestibül. Lucas vermutete, dass es das ehemalige Empfangszimmer war.
„Nehmen Sie bitte Platz. Ich möchte mich nun für alle noch einmal vorstellen. Mein Name ist Dietrich Raue-Berger und ich bin der Eigentümer von Gut Heidkoppel. Hier neben mir mein Sohn Daniel und dessen Sohn Hauke.“
Dietrich Raue-Berger warf seinem Enkel einen fragenden Blick zu, bis dieser reagierte.
„Oh, dies ist Marvin Olsdorff, mein Freund. So, wie in ‚fester Freund‘.“
Marvin sah Hauke von der Seite an, als wäre ihm die Bezeichnung als ‚fester Freund‘ etwas peinlich.
Lucas sah die beiden Jungen an, dann deutete er auf sein Team.
„Kevin Böttcher, Christian Lundquist und Leon Freiberger. Herr Raue-Berger, wir wurden gerade Zeuge einer mehr als außergewöhnlichen Aktion Ihrerseits. Möchten Sie darüber reden?“
Durchdringend musterte der Gutsherr nun Christian, während er zögernd antwortete.
„Ich nehme an, Sie werden einen Teil schon wissen. So wie der junge Mann die Fackel gelöscht hat, sind Sie wohl deswegen hier hergekommen, auch wenn ich nicht weiß, warum Sie ausgerechnet jetzt erschienen sind.“
Kevin sah zu dem alten Mann und hatte den Eindruck, dass dieser nun müde und erschöpft war. Möglicherweise war er sogar froh, dass ihn jemand von einer unüberlegten Tat zurückgehalten hatte.
„Herr Raue-Berger, wir sind ursprünglich hergekommen, um etwas über Ihren verstorbenen Sohn zu erfahren, hauptsächlich, wie er gestorben ist.“
Kurz lachte der alte Mann auf, sah hinüber zu seinem verbliebenen Sohn.
„Wenn das so ist, werde ich wohl etwas weiter ausholen müssen.“
Mit einem Blick auf Lucas sagte er dann leise
„Unsere Familie ist, wie einige andere hier aus der Gegend, weit über 600 Jahre alt. Sie hat dieses Gut hier im Zuge der Landerwerbung nach dem Aussterben der Schleswiger Herzöge bekommen.“
Marvin flüsterte so laut, dass alle ihn hören konnten
„Das war 1386.“
Der Gutsherr nickte zustimmend, genau wie Lucas.
„Richtig. Seitdem wird Gut Heidkoppel mehr oder weniger konstant von der Familie Raue bewirtschaftet. Der Doppelname stammt erst aus dem 19. Jahrhundert. Aber worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist ein roter Faden, der sich durch die Geschichte meiner Familie zieht. Die Chronik berichtet, dass fast alle hundert Jahre einmal ein Unglück diese Familie oder den Gutshof getroffen haben. Der Hof ist in 600 Jahren fünf Mal abgebrannt, drei Mal von schweren Hagelstürmen getroffen worden, wie es sie hier noch nie gegeben hatte und sogar zwei Mal ist ein Gebäude im Erdboden halb versunken, obwohl es dort nie Hohlräume gegeben hat.“
Dietrich Raue-Berger hob die Hand, als Hauke etwas sagen wollte.
„Ich kann mir denken, was du fragen willst. Was hat das alles mit mir zu tun? Das ist nicht so einfach zu erklären. Die Chronik erwähnt, dass in den meisten dieser Fälle ein göttliches Strafgericht über die Familie gekommen sei, denn wieder einmal habe ein Mitglied der Familie gegen die Worte des Herrn gesündigt. Es wird, bis auf das erste Mal, nie beschrieben, wie diese Sünde aussieht. Dieses erste Mal berichtete von einem Sohn der Familie, der als Ritter mit einem Freund zu einem heiligen Krieg aufgebrochen war. Zwei Jahre später kehrte er alleine wieder. Sein Freund war im Kampf gefallen, als Strafe für ihr gottloses Tun miteinander. Der Sohn der Familie blieb zu Hause und nur wenige Tage später ging das Haupthaus in Flammen auf.“
Kevin sah Lucas erstaunt an. Sie mussten unbedingt das Archiv des Ordens bemühen.
„Merkwürdig war nur, dass es zu dieser Zeit kaum mehr Ritter gab und schon gar keine heiligen Kriege. Jedes Mal nach einem dieser Unglücke nahm die Chronik Bezug auf diese eine Sünde, die dieser erste Ritter begangen haben soll. Hauke, du wirst natürlich gemerkt haben, worauf die Chronik anspielt. Ich persönlich sehe darin keine Sünde, aber der Zusammenhang mit diesen Ereignissen legt nahe, was passiert war. Jedes Mal, wenn in unserer Familie sich jemand einem anderen Mann zugewandt hat, geschah etwas Fürchterliches.“
Hauke sah fragend zu Marvin, doch der zuckte nur mit den Schultern.
„Der letzte in der Reihe war mein Bruder Christoph. Mir wurde schon früher als ihm selber klar, wo seine Vorlieben lagen und mein Großvater hatte damals große Bedenken, denn auch er hatte unsere Chronik gut studiert. Außerdem war er damals auch noch der Ansicht, dass es sich tatsächlich um eine Sünde handelte. Wir waren froh, dass die Jahre vergingen, ohne dass irgendetwas passiert war. Christoph brachte einen Partner mit nach Hause, was mein Großvater Gott sei Dank nicht mehr erlebte. Ein halbes Jahr vor dem Brand ist Jens dann bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Christoph hat sich komplett von der Außenwelt zurückgezogen und dann eines Nachts, ist er schreiend über den Hof gelaufen.“
Hauke sah nun seinen Vater fragend an.
„Wir waren damals bei Tante Meike. Es war der Tag, als Torben geboren wurde.“
„Ja. Meine zweite Tochter hat ihr erstes Kind bekommen und es waren fast alle dort, bis auf meine Eltern und mich. Wir wollten erst am nächsten Tag fahren. Christoph rannte mitten in der Nacht schreiend aus dem Haupthaus hinüber in die alte Markise, einen Anbau direkt am Haupthaus. Durch den Lärm geweckt, folgte ich ihm, aber als ich bei der Markise ankam, schlugen bereits die ersten Flammen aus dem Dach. Das Tor stand sperrangelweit offen und der Anblick darin wird mich wohl ewig verfolgen. Mitten in dem großen Raum stand Christoph, schon vollständig von Flammen umgeben, doch sie schienen ihm nichts anzuhaben. Völlig stumm stand er da und starrte nach oben. Dann hob er eine Hand und eine Flammenkugel schoss nach oben in das bereits brennende Gebälk. Dann sah er zu mir herüber. ‚Nun bin ich es also, der die Prophezeiung erfüllt.‘ Dann stürzte das Dach ein und Christoph wurde von einem Balken getroffen. Als er zu Boden ging, sah ich noch, wie die Flammen nun auch ihn erreichten. Dann bekam ich ebenfalls etwas von dem herabstürzenden Holz ab und konnte mich noch aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich retten. Als die Feuerwehr endlich eintraf, waren die Markise und eine Scheune vollkommen abgebrannt. Beim Haupthaus war der direkt angrenzende Flügel zerstört worden. Leider hatten dort meine Eltern geschlafen. Sie waren ebenfalls gestorben.“
Schweigend saßen die Zuhörer da und sahen sich einen Moment an. Langsam stand Christian auf und ging auf Hauke zu.
„Gib mir bitte deine Hand.“
Hauke sah ihn nachdenklich an, dann nickte er und erhob sich. Fast vorsichtig reichte er Christian seine Hand. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann schüttelte Christian seinen Kopf.
„Du bist kein Elementar.“
Wortlos setzte er sich wieder neben Leon. Hauke sah verblüfft zu Christian, dann zu Marvin und zum Schluß zu seinem Großvater. Der senkte seinen Kopf.
„Heißen sie so? Ja, es passt wohl. Hauke, es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders. Als ich euch da oben auf dem Heuboden gesehen habe, wurde mir klar, dass ich meine Familie vor dem Fluch beschützen musste. Nicht vor eurer Beziehung, die ist eure Sache, aber vor dieser schrecklichen Fähigkeit.“
Christian schüttelte den Kopf.
„Sie ist nicht schrecklich. Man muss nur lernen, damit umgehen zu können. Jemand, der nie gelernt hat, sie zu beherrschen, ist natürlich gefährlich für sich und alle anderen.“
Dietrich Raue-Berger nickte langsam.
„Und was wird nun geschehen?“
Kevin erhob sich.
„Nichts. In ein paar Tagen werden wohl noch einmal zwei Herren erscheinen, die sich für ihre Chronik interessieren, wenn ihnen das recht ist.“
Der alte Mann nickte.
„Das ist wohl das Mindeste, was ich tun kann.“
Nach einer kurzen Verabschiedung wandte sich Kevin noch einmal an Hauke und Marvin.
„Können wir euch beide draußen noch einmal alleine sprechen? Irgendwo, wo man uns nicht sehen kann?“
Die beiden wunderten sich etwas, doch sie stimmten zu. Christian und Lucas diskutierten unterwegs etwas und Leon beobachtete die beiden Jungen aufmerksam, dann grinste er leicht.
Hinter der Scheune wandte sich Lucas an Hauke.
„Was wäre, wenn du doch eine Begabung…“
Hauke deutet auf Christian.
„Aber er hat doch gesagt, ich wäre nicht so ein… Elementar?“
„Richtig, aber es gibt nicht nur Elementare.“
„Was? Es gibt noch andere… ähhh… Talente?“
„Es sind Begabungen, aber richtig, ja. Chris kann an dir nur erkennen, ob du ein Elementar bist. Ich kann dir sagen, welche Begabung du tatsächlich hast.“
„Das ist ja – Moment mal. Welche ich tatsächlich habe? Ich habe also eine? Nur eine andere als Elementar?“
Jetzt meldete sich auch Marvin. Er schüttelte so stark den Kopf, dass seine goldblonde Mähne herumflog.
„Das ist doch alles Schwachsinn. So was gibt es nur in Fantasy-Filmen. Wollt ihr uns nun endgültig verarschen?“
„Nein, wollen wir nicht.“
Lucas sah sich um. In etwa fünf Metern Entfernung lagen ein paar Bretter, möglicherweise um die Rückseite des Gebäudes zu reparieren.
„Sieh einfach auf die Bretter dort drüben und denk an gar nichts.“
Hauke musterte Lucas misstrauisch, sah aber hinüber zu dem kleinen Stapel. Marvin kam näher, wurde aber von Leon aufgehalten.
Lucas stand jetzt hinter Hauke und berührte ihn mit beiden Händen jeweils an der Schläfe. Hauke schrie auf, seine Arme zuckten hoch und aus jeder Hand schoss ein grüner Blitz auf die Bretter zu, die in alle Richtungen auseinanderflogen und in Flammen aufgingen. Chris löschte sofort das Feuer.
Hauke fuhr herum und starrte erst entsetzt auf seine Hände, dann auf Lucas. Langsam drehte er sich herum zu Marvin.
Auch der starrte nun Hauke an ohne ein Wort zu sagen. Dann drehte er sich um.
„Marvin! Warte!“
Marvin blieb stehen, drehte sich aber nicht wieder um, sondern schüttelte nur den Kopf. Er stand nur da, mit dem Rücken zu Hauke und allen anderen. Kevin ging zu ihm hinüber und legte eine Hand auf seine Schulter.
„Weißt du, warum die Begabten dieser Familie sich selbst getötet haben?“
Marvin schüttelte wortlos den Kopf, dann seufzte er.
„Weil sie einsam waren? Haukes Großonkel hat seinen Partner verloren. Hat er es deshalb getan? So, wie der erste aus der Familie?“
Kevin nickte. Marvin hatte sehr gut zugehört.
„Möchtest du, dass Hauke das Gleiche passiert?“
„Nein! Aber wie kann ich ihm helfen? Ich nehme ja an, ihr werdet ihn mitnehmen oder so was.“
„Nicht, wenn er nicht will. Er kann gerne hier mit dir zusammen bleiben.“
„Marvin! Ich will dich nicht verlassen. Wir können hier bleiben, wenn du es willst.“
Marvin schüttelte den Kopf.
„Wenn irgendwann etwas passiert, bin ich ebenfalls daran schuld. Wir wissen nicht, was alles noch kommt.“
Plötzlich trat Leon an Marvin heran und musterte ihn herausfordernd.
„Was machst du, wenn ich jetzt deinen Freund anmache?“
Ohne zu Zögern fuhr Marvin herum. Seine Gestalt schien sich zu strecken und er sah plötzlich erheblich beeindruckender aus als vorher.
„Dann hau‘ ich dir auf die Schnauze.“
„Leon!“ „Marvin!“
Chris und Hauke reagierten gleichzeitig, doch Kevin und Lucas sahen sich nur verblüfft an.
Langsam ging Lucas auf den wutentbrannten Marvin zu und legte ihm unauffällig eine Hand in den Nacken. Wortlos nickte er Kevin zu.
„Lass deine Wut nicht an Leon aus. Die Bretter sind dein Feind.“
Bevor Marvin antworten konnte zuckte ein Schmerz durch seinen Schädel und genau wie bei Hauke zuckten zwei grüne Blitze aus seinen Händen und verwandelten die Überreste der Bretter in kleine Aschehäufchen.
„Was… was war das?“
Marvin starrte nun mit schmerzendem Schädel auf seine schmerzenden Hände.
Chris schüttelte nur den Kopf und sah von Lucas zu Kevin.
„Doktor Berg wird euch in den Arsch treten“, murmelte er leise, doch die beiden hatten ihn verstanden.
Team 2, Köln, Deutschland, Anno Domini 2017
Noch am gleichen Tag fuhr das Team Zwei zurück nach Köln. Das Team Eins von Michael war bereits wieder unterwegs und Tobias war mit seinem Team ja schon am frühen Morgen zum Flugplatz aufgebrochen. Lediglich Max hielt noch die Stellung. Kevin verfasste einen ausführlichen Bericht und wartete auf die Rückmeldung aus dem Stab. Die kam bereits am nächsten Vormittag.
Zunächst aber wurde Max am frühen Morgen von einem Anblick überrascht, mit dem er nicht gerechnet hatte. Als er das Badezimmer betrat, war die Badewanne besetzt. Sie wurde eigentlich selten benutzt, höchstens einmal von Lucas zur Entspannung, aber sonst wurde die Dusche bevorzugt.
Heute Morgen jedoch war die Wanne gleich doppelt belegt. In dem halb hohen Wasser stand ein ausgewachsener Wolf und neben ihm kniete ein pudelnackter Leon, der ihn von oben bis unten shampoonierte.
„Was macht ihr denn da?“
„Ich wasch mir grad ‚nen Wolf“, grinste Leon, während Robin ziemlich laut knurrte. Max trat näher und sah Leon zu.
„Was ist denn das für ein Zeug?“
„Hundeshampoo. Gehört Robin.“
Max lachte. Das hätte er nun nicht vermutet, dass Robin so etwas besaß. Interessiert sah er zu, wie Leon aus der Badewanne stieg und den Stöpsel zog. Dann griff Leon zur Handbrause. Robin wurde vom Shampoo befreit und sprang danach mit einem Satz aus der Badewanne. Max entfernte sich rasch.
„Vorsicht.“
„Wieso? Ich…“
Leon erfuhr dann auch gleich, was Max gemeint hatte, als Robin sich schüttelte. Max hatte seinen zweiten Lacher am Morgen.
„Wie bekommst du ihn denn trocken?“
Leon sah Max erstaunt an, doch er wurde von Robin unterbrochen, der sich gewandelt hatte.
„Das passiert automatisch nach der Wandlung. Aber wo wir gerade dabei sind, wie wär’s mit einer Dusche für diesen hübschen Körper?“
Mit einem Blick zu Max fügte er hinzu.
„Du siehst auch ziemlich schmutzig aus, heute Morgen.“
„Das einzig schmutzige sind deine Gedanken. Komm Leon, ab unter die Dusche mit dem Kerl. Wir werden ihn schon sauber kriegen.“
Während des Frühstücks kontrollierte Max die Eingänge auf seinem Tablet. Leise pfiff er durch die Zähne. Kevin runzelte die Stirn.
„Kannst du nicht wenigstens bis nach dem Frühstück warten?“
Max grinste Kevin an und wenige Sekunden später meldete sich Kevins Tablet mit einer neuen Nachricht. Es dauerte nur wenige weitere Sekunden, bis Kevin neugierig sein Tablet zu sich heranzog und die Nachricht öffnete. Aufseufzend lehnte er sich zurück.
„Die Antwort kommt direkt vom Exekutivrat. Man hat die Ethikkommission bemüht und beschlossen, bei den beiden älteren Mitgliedern des Hauses Raue-Berger die Erinnerung an diesen Tag zu löschen. Die beiden jungen Herren werden gefragt, ob sie an einer Ausbildung teilnehmen wollen. Wenn ja, werden sie wohl im nächsten Durchgang die Schule besuchen, wenn nein, bekommen sie einen Block und es wird ebenfalls ihre Erinnerung an diesen Tag gelöscht. Eine Kopie der Chronik geht an das Geschichtsarchiv des Exekutivrates.“
Lucas sah Kevin schweigend an. Er wusste, dass Kevin mit solch erbarmungslosen Maßnahmen nicht immer einverstanden war, doch ihm war auch klar, dass es keine Alternativen dazu gab, wollte man nicht auch nur die kleinste Information nach außen dringen lassen.
Christian lehnte sich zurück.
„Okay, was bleibt für uns zu tun?“
„Erst einmal nicht viel. Wir müssen abwarten, was die Befragung der Jungs bringt und dann habe ich darum gebeten, eine Kopie der Chronik zu bekommen. Mir ist da nämlich in der Erzählung was aufgefallen.“
Leon sah von seinem Kakao hoch.
„Die Familie ist 600 Jahre alt. Gut alle hundert Jahre geht bei denen die Bude in Flammen auf. Gibt es eine Vererbung der Begabung? Außerdem, wenn die alle schwul waren, warum ist die Familie noch nicht ausgestorben?“
Verblüfft sahen alle zu Leon, lediglich Kevin lachte.
„Chris, du musst wohl ein wenig auf ihn aufpassen. Nicht, dass ihr nach der Offiziersausbildung bei Intelligence in einem Büro für Analysen landet und den ganzen Tag am Schreibtisch Auswertungen betreibt.“
Chris hob erstaunt die Augenbrauen, während Leon entsetzt hochsah.
„Was? Das ist möglich? Ich will aber viel lieber…“
Der erste der vor Lachen losplatzte war Max.
„Leon! Aufwachen! Analyse und Lagebeurteilung ist Aufgabe des Logistik-Corps. Ihr werdet wahrscheinlich weiterhin irgendwelchen Dämonen in den Hintern treten.“
Leon atmete sichtlich erleichtert aus.
Team 1
Am Morgen des Tages davor lief Michael schon zu früher Stunde nervös im Lagezimmer auf und ab, während ein grummelnder Max versuchte, die Ergebnisse der nächtlichen Recherche zusammenzufassen.
Kyan hatte ihm am späten Abend noch die ganze Geschichte mit dem Fuchs-Wandler erzählt und Max war einigermaßen erstaunt.
„Heißt das, dass hier rund um uns herum jede Menge Tiere gar keine sind?“
„Nein, ganz im Gegenteil. Einige der Menschen sind keine, zumindest nicht das, was du darunter verstehen würdest. Um sich zu wandeln bedarf es eines Bewusstseins, also einer Art Selbsterkenntnis, wer man wirklich ist. Wenn du das nicht hast, kannst du dich nämlich nicht zurückverwandeln. Es ist ja auch das Bewusstsein des Menschen, das in die Tierform mitgenommen wird und nicht umgekehrt.“
„Aber wenn ich es richtig verstanden habe, könnten Wandler in jeder beliebigen Tierform auftreten. Also als Säugetiere, richtig?“
„Ja, die Ordnung wird mitgenommen. Warum das so ist, keine Ahnung. Es gibt da wilde Spekulationen, aber bevor nicht das Gegenteil entdeckt wird, gehen wir davon aus. Genauso ist es mit der Masse-Regel. Niemand weiß, warum es so ist, aber zahllose Versuche haben es bewiesen. Einige Wandler mussten sogar Diäten machen um ihr Gewicht zu verändern und dann wurde die Tierform immer wieder neu vermessen.“
„Obwohl, macht ja Sinn. Ein 80 kg schwerer Elefant ist ja irgendwie nicht überzeugend.“
Kyan lachte.
„Nicht wirklich. Aber da sind wir auch schon bei der schwierigsten Frage. Warum gibt es überhaupt Gestaltwandler? Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, dass außer den Wölfen, keiner von uns eine Halbform hat?“
Max stutzte.
„Jetzt, wo du es sagst. Aber was ist denn an den Wölfen so besonders?“
„Darüber wird auch nur spekuliert, aber wenn man die Wandler Europas mit denen anderer Gebiete vergleicht, ergibt sich ein merkwürdiges Bild.“
Kyan drehte sich auf den Bauch um sich zu konzentrieren, doch Max fuhr mit einem Finger an dessen Wirbelsäule herab, bis zum Steißbein.
„Wirbeltiere?“
„Nein, das ist schon der Stamm, aber keine Ablenkungen bitte. Es gibt drei unterschiedliche Arten von Wandlern. Die häufigste ist der einfache Tierwandler. Mensch in Tier und wieder zurück. Dann gibt es zwei weitere Arten, die beide eine Zwischenform haben. Die eine Art hat eine magische Zwischenform und eine biologische Tiergestalt, dazu zählt zum Beispiel der Werwolf. Die zweite Art hat sowohl eine magische Zwischenform, als auch eine magische Endform. Sie verwandeln sich nicht in ein biologisches Tier, sondern in eine magische Tiergestalt. Dabei sind die Zwischenform und die Tierform magisch begabt, denn sonst könnten sie nicht existieren.“
„Das habe ich jetzt nicht verstanden.“
„Ganz einfach. Robin ist der Mensch, der Wolf ist seine Tiergestalt und der Werwolf seine Halbform. Die wird magisch erzeugt, denn sonst hätte er weder die Größe, noch die Kraft.“
„Moment. Die Werwölfe sind aber doch eine eigene Community. Sie können sich alle in eine Halbform wandeln, auch wenn sie nicht schwul sind. Wie manifestiert sich denn da das Mana?“
Kyan lachte leise.
„Gar nicht. Es ist nur latent vorhanden. Die Halbform ist genetisch bedingt. Schwul oder nicht, jeder geborene Werwolf kann es.“
„Und was ist mit diesen magischen Tiergestalten? Wie manifestieren die sich denn?“
Kyan seufzte und drehte sich wieder auf den Rücken, was Max dazu veranlasste, mit einem Finger auf der Vorderseite herunterzufahren.
„Die wandeln sich über ihre Halbform in eine Sagengestalt.“
„WAS!?“
„Na, alles was so durch die Sagenwelt gehüpft ist. Hydra, Zentauren, Minotaurus, so was eben.“
„Ein Minotaurus? Nicht wirklich oder?“
„Doch. Hier ist die magische Tiergestalt das Ende der Wandlung. Ein Minotaurus ist übrigens über zweieinhalb Meter groß und wiegt über 200 kg.“
„Hmmm…“
Max spielte nun etwas gedankenverloren mit seinem Finger und umkreiste Kyans inzwischen deutlich gewachsene Erektion. Etwas erstaunt sah Kyan an sich hinunter und dann zu Max.
„Bevor du auf dumme Gedanken kommst, die Sagengestalten haben genau das gleiche Problem, das alle Halbformen haben. Sie besitzen keine sichtbaren Geschlechtsorgane.“
„Was?“
Max zuckte automatisch etwas zurück, was Kyan insgeheim bedauerte.
„Alle Halbformen und Sagengestalten sind geschlechtslos. Frag‘ mich nicht, warum. Vielleicht hat es was mit dem Kampf zu tun oder es soll keine Möglichkeit der Fortpflanzung geben, was ich aber nicht für sehr wahrscheinlich halte.“
„Was aber Sinn machen würde. Stell dir vor, ein ganzes Volk von Minotauren“, murmelte Max, während sein Finger wieder auf eine erweiterte Erkundungstour ging.
Michael hatte die beiden bereits morgens um sieben aus dem Bett geschmissen, weil er unbedingt die Ergebnisse der Recherche haben wollte und Max war in entsprechender Laune.
„Ich hab‘ alles, was das Programm gefunden hat, auf dein Tablet überspielt. Bis jetzt hast nur du die Ergebnisse, aber die kannst du bei Bedarf ja teilen. Ich geh erst mal eine Stunde Dauerduschen.“
Michael brummte geistesabwesend eine Zustimmung, während er schon die ersten Daten durchsah.
Nach dem Frühstück gab es ein erstes Briefing in der Einsatzzentrale.
„So Leute. Ich bin der Meinung, wir haben ihn gefunden. Der einzige, auf den die Beschreibung und auch die äußeren Umstände passen, ist ein Kriminalhauptkommissar Christoph Petersen aus Hamburg. Der Grund, warum er in Erscheinung getreten ist, ist allerdings weniger schön. Hauptkommissar Petersen ist nämlich vor zwei Jahren spurlos verschwunden. Die Polizei fahndet ebenfalls noch immer nach ihm.“
Rafael schüttelte den Kopf.
„Na, toll. Wenn die ihn schon nicht gefunden haben, wie sollen wir ihn denn finden?“
„Ich habe Max damit beauftragt, die polizeilichen Ermittlungsergebnisse ausfindig zu machen. Das ist wohl etwas komplizierter, aber nicht unmöglich. Wir werden wohl heute Mittag ein Ergebnis vorliegen haben. Bis dahin ist erst einmal Pause.“
Es dauerte nicht einmal bis zum Mittag, bis Michael die Ergebnisse vorliegen hatte. Erstaunt rief er sein Team wieder zusammen.
„Dieser Christoph Petersen oder Harms, scheint doch nicht so weltfremd gewesen zu sein, wie uns Herr Gerber weismachen wollte. Er hat fast 30 Jahre lang eine Akte in seinem Büro gehabt über den Todesfall Torsten Fiedler. 30 Jahre lang hat er privat Ermittlungen angestellt um Peter Heines zu finden und ihn mit dem Tod von Torsten Fiedler in Verbindung zu bringen.“
Felix erschauerte.
„Bisschen nachtragend, der Typ.“
Daniel schüttelte den Kopf.
„Ich würde eher sagen, er hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“
Michael und Rafael nickten.
„Wie auch immer. Vor zwei Jahren ist irgendetwas geschehen. Er hat überraschend Urlaub genommen und ist danach nicht mehr zurückgekehrt. Die Ermittlungen der Polizei führten bis zu seinem Urlaubsort und sind dann im Sande verlaufen. Und ich kann euch auch sagen, warum.“
Sowohl Rafael, als auch Daniel, Felix und Kyan sahen Michael erwartungsvoll an.
„Diese Akte, die er über Torsten Fiedler angelegt hat, enthält lediglich den Todesfall und die Ermittlungen darum herum. Nicht ein einziges Mal ist der Name Peter Heines dort erwähnt oder auch der Grund, warum Kommissar Petersen an diesem Fall so stark interessiert war.“
„Nun ja, Tarnung ist alles.“
„Vielleicht, aber unser Problem ist ein anderes. Seine Urlaubsadresse war ein Hotel in Ratingen.“
Direkt nach dem Mittagessen ging es wieder nach Ratingen. Diesmal stand das ganze Team vor der Tür von Herrn Kunze, als Rafael klingelte. Es wurde auch sofort geöffnet und Herr Kunze sah seine Besucher an.
„Ich habe schon mit Ihnen gerechnet.“
Michael, Daniel und Felix wurden kurz vorgestellt, während sie Herr Kunze hineinbat.
„Wenn Sie uns erwartet haben, dann nehme ich an, dass Sie uns nicht alles erzählt haben.“
Rafael hatte wieder die Gesprächsführung übernommen, während die anderen nur aufmerksam zuhörten.
Oberstudienrat Kunze seufzte schwer.
„Im Gegensatz zu Christoph war und bin ich immer noch der Ansicht, dass alles was geschehen ist, längst der Vergangenheit angehört. Wir alle haben ein neues Leben begonnen und diese kurze Episode hinter uns gelassen. Ich zum Beispiel, habe mir hier ein neues Leben aufgebaut und bin damit vollauf zufrieden. Doch ich hätte es besser wissen müssen.“
„Christoph Harms war hier.“
Rafaels Stimme wurde hart. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Ja. Schon das zweite Mal. Das erste Mal ist wohl etwa fünfzehn Jahre her. Er wollte von mir wissen, ob Peter irgendetwas über seine privaten Verhältnisse erzählt hat. Schließlich war ich ja mit ihm ein Jahr lang auf der Offiziersschule zusammen. Doch alles, was ich ihm sagen konnte, hatte er bereits selber herausgefunden.“
Oberstudienrat Kunze rutschte etwas unbehaglich in seinem Sessel hin und her.
„Dann, vor etwa zwei Jahren tauchte er plötzlich wieder hier auf. Er erzählte mir, dass er einige vielversprechende Spuren hatte, aber nicht wusste, welche die richtige war. Er sagte, er müsse sich beeilen, denn er habe nicht mehr viel Zeit.“
Kyan sah Michael Kunze fragend an.
„Er war krank, richtig?“
„Ja. Leberkrebs. Sein Arzt hat ihm wohl nur noch ein paar Monate gegeben und die wollte er nicht vergeuden. Er legte mir einen Zettel mit drei Adressen vor, die alle einen Peter Heines betrafen. Bei einer von ihnen, erinnerte ich mich, dass Peter einmal damit geprahlt hatte, seine Großeltern würden ein Haus besitzen, aber das sei in Sachsen und somit unerreichbar.“
Rafael streckte sich ein wenig.
„Heute ja wohl nicht mehr. Können sie sich an die Adresse erinnern?“
„Ja. Es ist eine kleine Ortschaft, etwa 20 km östlich von Bautzen.“
Herr Kunze stand auf, ging zu einem Schreibtisch und nahm einen kleinen Zettel und einen Stift.
„Hier. Ich hoffe, Sie haben mehr Glück als Christoph. Mehr kann ich ihnen nun wirklich nicht sagen. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich hoffe, dass Sie keine weiteren Fragen mehr haben. Die Erinnerung an diese lange vergangene Zeit ist immer noch etwas schmerzhaft.“
Das Team erhob sich und Rafael bedankte sich für die Information. An der Tür wandte sich Herr Kunze noch einmal an Kyan.
„Ach, eines noch. Fynn hat sich wohl dazu entschlossen, dem Gestaltwandler-Korps beizutreten, sobald es möglich ist. Ich sehe allerdings zunächst seine schulische Ausbildung im Vordergrund. Ich hätte gerne ebenfalls Informationen darüber, was denn nun dort in dieser Hinsicht geplant ist.“
„Wie bereits gesagt, wir sind da gerade in der Umstellung. Ich bin nicht auf dem neuesten Stand, aber sobald ich etwas weiß, werde ich Sie informieren. Bestimmt.“
Im Wagen sah Rafael auf die Adresse und programmierte das Navi. Dann pfiff er durch die Zähne.
„Siebeneinhalb Stunden. Das wird sportlich. Michael, versuch mal bitte, dort in der Gegend ein Hotel zu kriegen.“
Michael nickte wortlos, während er schon sein Handy zückte und Rafael sich auf den Straßenverkehr konzentrierte. Hinten im Wagen waren Kyan, Daniel und Felix lebhaft in ein Gespräch verwickelt.
„Was spricht denn dagegen? Bei uns klappt das ja auch. Gleichzeitig eine fachliche Ausbildung und das Abitur.“
„Wir brauchen aber kein Abitur. Zumindest kein Latein. Außerdem ist der fachliche Teil viel kürzer. Für die Offiziersprüfung gibt es lediglich vier vorgegebene Prüfungsfächer in Gestaltwandel, Theorie und Praxis, in Intelligence, Allgemeiner Truppenkunde und Aufbau und Struktur der heutigen Organisation. Dazu noch zwei freiwillige Fächer aus den Bereichen Militärkunde und Magietheorie. Aber das wird normalerweise an der Offiziersschule unterrichtet, nicht am Grundlehrgang im Gestaltwandler-Korps. Dort gibt es bis jetzt lediglich einen halbjährigen Einweisungslehrgang in Gestaltwandel, Geschichte, Organisationsstruktur, Normen und Werte und Sport.“
Felix zuckte mit den Schultern.
„Na und? Bei uns sind im Moment ja auch nur 4 Stunden Magietheorie und 4 Stunden Fachmagie zusätzlich zum normalen Stundenplan dran. Und Latein kann man locker durch eine andere Fremdsprache ersetzen. Ersetzt einfach die Fachmagie durch Gestaltwandel und ihr habt einen Plan. Magietheorie ist dann nachher nicht mehr so schwer. In den zwei Jahren kann man sogar sämtliche Magieschulen abhandeln, denn ihr habt ja keine Schwerpunkte.“
Kyan ließ sich nachdenklich in seinen Sitz zurücksinken. Schnell machte er sich einige Notizen auf seinem Handy. Er hatte ja die ganze Fahrt über noch Zeit, über die Vorschläge nachzudenken.
Team 1, irgendwo in Sachsen, Deutschland, Anno Domini 2017
Mit dem Hotel hatte Team 1 erheblich mehr Glück, als Team 2 zuvor in Schleswig-Holstein. Die Zimmer waren gut, der Service nett und das Frühstück hervorragend. Der einzige Nachteil bestand darin, dass sie noch zwanzig Kilometer bis zu ihrem Ziel fahren mussten, denn das einzige Hotel am Platz war ausgebucht und einen Bungalow wollte Michael nun nicht unbedingt für einen einzelnen Tag anmieten.
Als sie an der Adresse ankamen, hielten sie vor einem Einfamilienhaus in einer dörflichen Siedlung. Ringsum überall fast die gleichen Häuser, die Michael noch in die früher DDR-Zeit schätzte, wenn nicht gar noch von vor dem Krieg.
Die fünf waren ausgestiegen und standen etwas zögerlich vor dem Haus. Am Gebäude selbst war nichts Auffälliges zu erkennen und auch drinnen schien sich nichts zu rühren. In diesem Moment trat aus dem Haus gegenüber eine ältere Frau und sah sie aufmerksam an.
„Wollen Sie zu Herrn Heines?“
„Ja, allerdings. Wir haben eine Nachricht für ihn.“
Die Frau bedachte Rafael mit einem merkwürdigen Blick, doch dann schien ihre Neugier zu siegen.
„Tatsächlich? Also, der Herr Heines ist ja nur äußerst selten hier. Ist vielleicht auch besser so, ein ganz ungehobelter Kerl. Aber vielleicht können Sie mir ja…“
Für die folgenden Vorkommnisse hatte Michael in dem abschließenden Bericht die volle Verantwortung übernommen.
Niemand hatte daran gedacht, das in Frage kommende Haus weiter zu beobachten. Alle konzentrierten sich auf die Frau gegenüber und so wurden sie erst darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmte, als ein leises Scheppern ertönte. Michael fuhr herum und erkannte einen älteren Mann, der schräg hinten an einem Gartentor stand und zu ihnen hinüberstarrte.
„Da ist ja der Herr Heines.“
Noch bevor jemand reagierend konnte, fuhr der alte Mann herum und rannte in Richtung des nahe gelegenen Waldrandes. Michael fluchte ausgiebig.
„Verdammt. Ausrüstung schnappen, hinterher!“
Verdutzt sah die Frau zu, wie fünf junge Männer jeweils einen Rucksack aus ihrem Auto zerrten und dann ebenfalls in Richtung Waldrand sprinteten. Nur ein paar Meter im Wald hielt Michael an sah sich um.
„Er ist weg. So eine… Kyan, kannst du ihn einholen?“
Wortlos begann Kyan sich zu entkleiden und stopfte seine Sachen in seinen Rucksack. Daniel half ihm mit dem Halsband. Sofort machte sich Kyan auf den Weg, während der Rest sich ebenfalls umzog.
Obwohl der Wald im Sommer nicht besonders dicht war, war es hier deutlich kühler als in der Sonne. Die Büsche und Sträucher waren trocken und raschelten jedes Mal, wenn sich der einsame Luchs langsam hindurchschlich. Kyan musste sich darauf konzentrieren, nicht zu viel Geräusche zu machen, um sein Opfer nicht aufmerksam zu machen. Doch der erheblich ungeübtere Mann in einiger Entfernung vor ihm war nicht zu überhören. Kyan hörte jetzt deutlich, wie die Schritte des Mannes auf festeren Boden trafen und er wandte sich sofort in diese Richtung. Der Wald öffnete sich zu einer kleinen Lichtung und ohne sich auch nur umzudrehen, lief das Opfer mit entschlossenen schnellen Schritten quer über die Lichtung in Richtung des gegenüberliegenden Waldrandes. Kyan überlegte einen Moment, dann schlich er am Waldrand entlang, um so zu der Stelle zu gelangen, wo sein Opfer verschwunden war. Etwas unwillig schüttelte er seinen Kopf, denn das Halsband mit dem Sender störte ihn ein wenig, besonders in seiner Form als Luchs, denn da war das Halsband ein wenig zu groß. Kyan hielt kurz vor einem kleinen Bach und sah sich um. Als er mit einem Satz über den Bach sprang, hörte er ein leises Klicken in einiger Entfernung. Er wusste, was es war, doch es war bereits zu spät. Dann ertönte der laute Knall eines Schusses. Der Luchs überschlug sich und blieb zwischen ein paar halbhohen Büschen reglos liegen.
Der Schuss hallte laut durch den Wald und die vier Magier des Einsatzteams sahen sich erschreckt an.
„Was war das?“
„Ein Schuss. Was ist mit Kyan?“
Michael zog hektisch sein Handy heraus und rief die Daten des Halsbandes ab.
„Scheiße. Sieht so aus, als ob er bewusstlos ist. Außerdem geht der Kreislauf gerade runter. Ich glaube, der Schuss hat ihn getroffen. Wir müssen los.“
Ohne viel Rücksicht auf die Geräusche die sie machten, stürmten die vier los zu der Position die das GPS anzeigte.
Thomas Mertens hatte die ganze Nacht auf dem Hochsitz zugebracht und starrte missmutig auf das Jagdgewehr, dass ihm sein Vater mitgegeben hatte. Er wusste, dass er sich so einiger Gesetzesbrüche schuldig gemacht hatte und auch noch mehr schuldig machen würde, wenn er das tat, was sein Vater am vergangenen Abend von ihm verlangt hatte.
„Es wird verdammt Zeit, dass wir was unternehmen. Dieses ganze Gequatsche geht mir auf den Geist. Tierschutz hin oder her. Hier geht es um unser Überleben. Ich lass mir nicht jede Woche die besten Mutterschafe von diesen Viechern reißen. Ich weiß gar nicht, wie die auf die bekloppte Idee gekommen sind, ausgerechnet hier Wölfe auszusetzen.“
„Aber das ist schon Jahre her. Wir sind erst seit einer Saison hier. Hier ist ein Wolfsreservat, die Wölfe haben hier ihr Jagdgebiet.“
„Bist du bescheuert? Das hier ist bestes Weidegebiet für Schafe. Wir haben das Gelände für ‘n Appel und ein Ei gepachtet. Das gehört uns und nicht so ein paar bescheuerten Wölfen. Auf meinem Land bestimme ich, wer jagt und wer nicht.“
Wortlos kramt Gerhard Mertens in einer großen Truhe und zog dann ein Jagdgewehr und eine Packung Patronen hervor.
„Hier. Damit kannst du dich nützlich machen. Geh einfach rüber an den Südbach und sieh zu, dass du so ein Vieh erwischt.“
Entsetzt starrte Thomas seinen Vater an.
„Was? Ich soll ohne Waffenbesitzkarte und Jagdschein nachts durch den Wald schleichen? Wenn der alte Dengler mich erwischt, sitz ich im Knast. Und wenn ich mit ‚nem toten Wolf erwischt werde, dauert das ziemlich lange.“
„Dann lass dich eben nicht erwischen. Das ist doch ohnehin unsere Eigenjagd. Gegenüber vom Südbach ist ein Hochsitz. Und heute Abend ist Hauptversammlung der Jägervereinigung. Ich glaube nicht, dass da jemand heute Nacht auf Jagd geht.“
Thomas schüttelte vehement den Kopf. Sein Vater hatte den Jagdschein und nicht er. Das konnte nur Ärger geben. Sein Vater seufzte, dann setzte er ein hinterhältiges Grinsen auf.
„Wenn du nicht gehst, war’s das erstmal mit dem Wagen. Dann kannst du die 90 Kilometer zu Fuß in die Großstadt marschieren. Außerdem - glaub‘ mal nicht, ich wüsste nicht, wo du da immer hin gehst.“
Thomas erbleichte sichtlich, doch sein Vater fuhr unerbittlich fort.
„Tja, auch ich hab‘ meine Informationen. Wenn du einen Wolf erlegst, kannst du meinetwegen wieder zu deinen kleinen Arschfickerfreunden fahren, aber erst dann. Und komm ja nicht auf die Idee, so einen Typen hier anzuschleppen. Dem zieh ich das Fell dann auch über die Ohren.“
Thomas starrte mit brennenden Ohren erst auf seinen Vater, dann auf die Waffe. Wortlos nahm er das Jagdgewehr und die Munition und stampfte nach draußen. Grinsend sah ihm sein Vater nach.
„Braves Burschi.“
Thomas Mertens hatte den ersten Teil der Nacht damit zugebracht, die Lichtung zu beobachten, doch nicht ein einziger Wolf hatte sich blicken lassen. Irgendwann war er dann eingeschlafen und die schon etwas höher stehende Sonne hatte ihn geweckt. Im Licht des Tages ästen noch ein paar Rehe auf der Lichtung, doch nichts weiter tat sich. Thomas überlegte ernsthaft, ob er überhaupt noch nach Hause zurückkehren sollte. Doch was würde er dann machen? Er hatte kein Geld und keine Arbeit. Seit kurz nach seinem Abitur vor zwei Jahren seine Mutter gestorben war, herrschte Ausnahmezustand zu Hause. Sein Vater hatte den gut gehenden Bauernhof verkaufen müssen, um die Rechnungen für die ganzen Quacksalber zu bezahlen, zu denen er seine Mutter geschleppt hatte. Geholfen hatte es jedenfalls nichts. Sie waren fast pleite und Thomas konnte seinen Traum von einem Studium so gut wie beerdigen. Fast körperlich hatte ihn der Alte dazu gezwungen, mit ihm hier in die tiefste Pampa zu ziehen und eine Schafzucht zu eröffnen.
Das Land hatte ihm ein Bekannter des guten Freundes eines Bekannten verpachtet und fast alle Einwohner des angrenzenden kleinen Dorfes schüttelten fassungslos den Kopf. Wie konnte man eine Schafzucht direkt neben einem Wolfsreservat eröffnen. Gerhard Mertens war schon nach kurzer Zeit das Gespött der Gegend.
Thomas hingegen zog es in die fast 90 Kilometer entfernte Großstadt und dort speziell in ein kleines Etablissement mit dem sinnreichen Namen ‚Pink Mouse‘. Die Leuchtreklame über der Tür zeigte eine Mickymaus mit pinkfarbener Hose, die eine Regenbogenflagge schwenkte.
Es gab etliche der Männer darin, die Thomas offen hinterherstarrten, doch er war sehr zurückhaltend. Nur wenige Male war er mit jemandem mitgegangen und auch nie mehr als einmal mit demselben.
Mit seinem Vater konnte er darüber nicht reden. Schon immer hatte Gerhard Mertens seine Meinung lautstark kundgetan. Er war im Prinzip gegen alles: Ausländer, Arbeitslose, Drogendealer, Schwule. Es gab nichts, worüber er nicht herzog. Thomas hatte schon manchmal gedacht, dass sein Vater vor 80 Jahren wohl eine steile Karriere vor sich gehabt hätte.
Eine unscheinbare Bewegung am gegenüberliegenden Waldrand riss Thomas aus seinen Betrachtungen. Da schlich etwas durch das Unterholz und für einen Hasen oder einen Dachs war es deutlich zu groß. Thomas hob das Gewehr und zielte in die ungefähre Richtung. Über den Lauf konnte er etwas Großes erkennen, das dicht am Boden schlich. Also doch. Das konnte nichts anderes als ein Wolf sein. Als sich ein großer Körper im Sprung über den Bach bewegte drückte Thomas ab. Noch während der Schuss brach, erkannte er, dass er einen fatalen Fehler gemacht hatte. Das war kein Wolf! Wie zum Henker kam denn ein Luchs hier in die Gegend? Schnell kletterte er den Hochsitz hinunter und rannte hinüber zu der Stelle, wo er den Luchs vermutete.
Als sich Thomas durch die Büsche arbeitete, erstarrte er plötzlich mit weit aufgerissenen Augen. Hier war kein Luchs, doch am Boden lag ein splitternackter junger Mann mit rotblonden Locken. Was Thomas am meisten erschreckte, war jedoch die kleine runde Wunde im rechten Brustkorb des Mannes. Hatte er etwa auf einen Menschen Geschossen? Thomas schüttelte verzweifelt den Kopf. Nein! Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein!
Entschlossen beugte er sich nieder und untersuchte den jungen Mann, der auf dem Rücken lag. Trotz der ernsten Situation kam er nicht umhin, den Körper und das wunderschöne Gesicht zu bewundern. Um den Hals trug der Mann ein breites Band mit einem kleinen schwarzen Kasten. Solche Dinger trugen doch sonst einige Wölfe aus dem Reservat… Schnell riss er sich zusammen und ging alles durch, was er im Erste-Hilfe-Unterricht gelernt hatte. Vitalfunktionen. Atmung. Doch etwas zögernd legte Thomas dem Mann beide Hände auf Brust und Bauch. Fast unmerklich spürte er dann aber das Heben und Senken des Brustkorbes. Er atmete, Gott sei Dank. Dann untersuchte Thomas das nur leicht blutende Einschussloch. Er hatte kein Verbandszeug, also würde er da erst einmal nicht helfen können. Etwas hilflos sah er sich um. Er würde den Rettungsdienst alarmieren müssen, was allerdings die Frage aufwerfen würde, warum er hier am frühen Vormittag einen nackten Mann mit einer Schusswunde gefunden hatte.
Ganz in seine Gedanken versunken, bemerkte er erst viel zu spät die vier Männer, die ihn in einem lockeren Halbkreis umringten. Hektisch fuhr er hoch, bereit zu fliehen, doch zwei der Männer, ein großer Blonder und ein kleinerer Dunkelhaariger nahmen ihn links und rechts an den Armen und hielten ihn fest. Der zweite Blonde, fast ein Zwilling des ersten, sah besorgt auf den Mann am Boden.
„Daniel?“
Der vierte Mann, ebenfalls dunkelblond, bückte sich und legte dem Mann am Boden eine Hand auf die Stirn.
Thomas sah erstaunt zu und dann betrachtete er die vier näher. Sie trugen alle schwarze Bekleidung, Hosen und Jacken im militärischen Schnitt und dazu Kampfstiefel. Thomas dachte im ersten Moment an eine rechtsradikale Gruppierung, doch dazu passten die halblangen Haare nicht so ganz.
„Er lebt, aber er ist bewusstlos. Er könnte die Wunde schließen mit einer Wandlung, aber dazu muss er erst einmal sein Bewusstsein wiedererlangen.“
Der einzelne große Blonde, anscheinend der Anführer, nickte langsam, dann wandte er sich zu Thomas.
„So, wer bist du und was machst du hier?“
Thomas sah sich panikartig um, doch die beiden Männer links und rechts hielten ihn fest. In seiner Aufregung begann Thomas zu stottern, wie er es als kleines Kind getan hatte.
„Ich… ich… mein N-Name ist T-Thomas.“
Dann brach alles in einem Wortschwall aus ihm heraus.
„Ich wollte das alles nicht. Ich habe doch nur da oben auf einen Wolf gewartet, also, ich meine einen Wolf hier, der unsere Schafe… und dann war da am Waldrand eine Bewegung und ich dachte… ich wusste doch nicht, oh mein Gott, wird er denn wieder… was passiert hier? Wer seid ihr eigentlich?“
Michael sah auf den deutlich verwirrten jungen Mann vor ihm herab. In seinen abgerissenen Sachen sah er nun nicht gerade besonders gut aus und die wirr abstehenden dunkelblonden Haare hatten wohl auch schon lange keinen Friseur gesehen.
Wenn Michael dem Gestammel alles richtig entnommen hatte, dann hatte er Junge irgendwo hier gesessen und auf einen Wolf gewartet um ihn zu Schießen. In einem Wolfsreservat? Selbst außerhalb war das schon sehr fraglich. Dann hatte er wohl etwas Entsprechendes gesehen und dabei wohl Kyan in seiner Luchsgestalt erwischt. Durch die Verletzung und die Bewusstlosigkeit war Kyan in seine Menschengestalt zurückgefallen, die dieser dämliche Typ dann gefunden hatte.
Alle fuhren herum, als von Kyan leise stöhnende Geräusche ertönten.
„Was – was ist passiert?“
Daniel kniete noch immer neben Kyan und sprach leise mit ihm.
„Jemand hat auf dich Geschossen. Wahrscheinlich irrtümlich, aber trotzdem… Die einzige Möglichkeit, dich im Moment zu heilen ist eine erneute Wandlung.“
Kyan stöhnte etwas, aber er nickte schwach.
„Das wird kein Problem. Aber ich möchte nachher noch mit dem Deppen reden.“
Michael zog erstaunt seine Augenbrauen hoch, nickte aber. Dann wandte er sich an Thomas.
„So, du Jagdexperte. Was jetzt gleich passiert, solltest du tunlichst für dich behalten. Aber davon abgesehen, denke ich, dass dir ohnehin niemand glauben wird.“
Thomas war schon etwas verwirrt der Unterhaltung zwischen den beiden Männern am Boden gefolgt, doch die letzte Bemerkung konnte er genauswenig deuten.
Umso erstaunter sah er nun, wie sich der Mann neben seinem ‚Jagdopfer‘ erhob und ein paar Schritte zurücktrat. Dann erfolgte etwas Unglaubliches. Der Körper des Mannes am Boden wand und streckte sich, Arme und Beine verschoben sich wie in einem schlechten Horrorfilm und nachdem sich der Kopf verwandelt hatte und ein Fell gewachsen war, lag ein ausgewachsener Luchs auf dem Waldboden. Er war nicht nur ausgewachsen, sondern außergewöhnlich groß für einen Luchs.
Thomas starrte vollkommen ungläubig auf das riesige Tier, das sich jetzt drehte und bequem auf den Bauch legte. Der Anführer der Gruppe ging hinüber und fuhr dem Luchs mit einer Hand über den Kopf und dann über das Rückenfell. Der Luchs streckte sich und gähnte mit aufgerissener Schnauze. Thomas zitterte am ganzen Körper und wäre wohl in sich zusammengesunken, wenn ihn die beiden links und rechts nicht gehalten hätten. Langsam beruhigte er sich etwas und sah nun fasziniert hinüber zu dem eindrucksvollen Luchs.
Michael fuhr fort, Kyan zu streicheln und betrachtete ihn kritisch. Von der Schusswunde war nichts mehr zu erkennen. Die Wandlung in die Tiergestalt war immer eine perfekte, doch eine Wunde des Tieres führte immer zu einer Wunde des Menschen.
„Siehst wieder gut aus. Fühlst du dich besser?“
Kyan nickte deutlich und der Möchtegernjäger zwischen Rafael und Felix erbleichte. Kyan bemerkte es und stand auf. Langsam näherte er sich dem jungen Mann und setzte sich vor ihm hin. Dann sah er nach oben. Das Gesicht zeigte Angst, Unglauben, Neugier und etwas, was Kyan nicht genau interpretieren konnte.
Der Luchs erhob sich wieder und ging zu der Stelle, an der seine verletzte Menschenform gelegen hatte. Dann wandelte er sich ein zweites Mal und Thomas schnappte unwillkürlich nach Luft, als der junge Mann wieder in seiner vollen Pracht nackt dastand. Kyan sah ihn erstaunt an, dann lächelte er etwas kryptisch. Kurz bückte er sich und hob etwas auf. Der Anblick der nackten gebückten Gestalt trieb Thomas die Schweißperlen auf die Stirn. Daniel sah ihn erstaunt an und schüttelte dann den Kopf.
Kyan trat nun direkt vor Thomas und hielt die rechte Hand auf.
„Ich glaube, das gehört dir.“
Thomas starrte auf die Handfläche, auf der das leicht verdellte Geschoss lag, das Kyan getroffen hatte. Thomas würgte etwas.
„Na gut, dann erzähl mir doch wenigstens, warum du mich umbringen wolltest.“
Team 2
Das Telefongespräch dauerte etwas länger und Kevins Gesicht verdüsterte sich immer mehr.
„Ihr habt WAS!?“
Man konnte die Antwort nicht verstehen, doch Kevin war immer noch deutlich verärgert. Wütend trennte er die Verbindung und sah sich von vier fragenden Augenpaaren umringt. Kevin seufzte theatralisch.
„Kaum lässt man die mal alleine los…“
Sein Blick wanderte zu Robin.
„Jemand hat Kyan anGeschossen.“
Robin fuhr hoch.
„Was? Wir müssen sofort…“
Kevin unterbrach ihn augenblicklich.
„Wir müssen gar nichts, es ist ihr Auftrag und sie entscheiden, wie er durchgeführt wird. Wir werden erst dann eingreifen, wenn sie uns anfordern oder sich eine andere Lage ergibt. Außerdem hat sich wohl etwas Merkwürdiges ergeben. Die Jungs werden den Schützen mitbringen.“
„Wie, mitbringen? Hierher, in unsere Zentrale? Ist es ein Magier?“
Lucas war etwas verwirrt.
„Ja. Kyan hat darauf bestanden. Und nein, kein Magier. Daniel hat wohl behauptet, er sei taub wie eine Nuss. Aber Michael hat etwas sehr Außergewöhnliches festgestellt. Der Junge ist unbewusst thaumaturgisch begabt.“
Christian sah erstaunt auf.
„Ich dachte, er ist kein Magier, wie kann er da thaumaturgisch begabt sein?“
Kevin grinste nun schwach und sah zu Lucas.
„Kannst du dich noch an den Unterricht in Magietheorie erinnern?“
Lucas machte dicke Backen.
„Erinnere mich bitte nicht daran. Das war eines der schwersten Fächer, die ich in meinem Leben je hatte.“
„Genau. Mir ging das ja auch nicht viel besser. Und jetzt stell dir mal jemanden vor, der nur aus dem Anblick einer Anwendung heraus die dazugehörige Formel entwickelt. Und zwar im Kopf.“
Die drei Magier starrten Kevin vollkommen erstaunt an, während Robin etwas entspannter war. Er hatte Magietheorie nur am Rande gehabt, soweit es die Gestaltwandler betraf.
Leon runzelte nachdenklich die Stirn.
„Also kann jemand, der nicht magisch begabt ist, trotzdem Zaubersprüche entwerfen? Wenn der wirklich so gut ist, gibt es ja vielleicht demnächst neue Sprüche.“
Kevin zuckte zusammen und angelte hektisch nach seinem Handy.
Team 1
Die etwas zusammenhanglosen Äußerungen von Thomas setzte Kyan zu einem sinnvollen Bericht zusammen, während er den schwarzen Overall überstreifte, den Daniel aus seinem Rucksack geholt hatte. Thomas verfolgte jede Bewegung von Kyan und Daniel grinste in sich hinein, während Rafael und Felix Thomas inzwischen zwar losgelassen hatten, aber noch immer dicht neben ihm standen.
Michael sah auf die Uhr.
„Wir müssen weiter. Wir haben unsere Zielperson verloren und müssen versuchen auf andere Weise sein neues Versteck zu finden. Ich nehme nicht an, dass er zu dem Haus zurückkehrt.“
Dann wandte er sich direkt an Kyan.
„Was ist mit dir? Hast du mit dem ‚Jagdeleven‘ noch was zu klären?“
Kyan nickte wortlos und sah sich Thomas nun etwas genauer an. Er war nur ein paar Zentimeter kleiner als Kyan aber wohl etwas schwerer. Seiner Statur und seinen Händen nach zu urteilen schien er viel körperlich zu arbeiten. Die dunkelblonden Haare waren ungekämmt und hatten wahrscheinlich schon länger keinen Friseur mehr gesehen. Die Sachen die er trug, blaue Jeans und ein dunkelgrünes T-Shirt, sahen schon stark getragen aus. Was Kyan am meisten erstaunte, waren seine himmelblauen strahlenden Augen, die ihn keinen Moment loszulassen schienen. Kyan ahnte, was das bedeutete, doch er wusste nicht, ob er sich darauf einlassen wollte. Langsam drehte er sich zu Michael.
„Es ist etwas kompliziert. Das Tier sieht ihn als Jäger, der einen Erfolg gehabt hat. Es ist eine Art Respekt vor der Fähigkeit, die der Jäger gezeigt hat. Mein Mensch möchte ihm am liebsten in den Hintern treten, denn ich habe nur überlebt, weil er eben nicht ein so guter Jäger ist.“
Thomas verzog schmerzlich sein Gesicht und wollte etwas sagen, als er unverhofft von dem großen blonden jungen Mann an seiner rechten Seite angesprochen wurde.
„Sag mal, du wohnst doch hier in der Gegend oder?“
Thomas nickte überrascht.
„Gut, dann kennst du nicht zufällig jemanden mit Namen Peter Heines?“
Thomas war etwas verwirrt wegen des plötzlichen Themenwechsels, doch nach kurzem Nachdenken schüttelte er langsam den Kopf.
„Nein. Einen Peter Heines gibt es hier nicht, glaube ich. Bei uns im Dorf garantiert nicht und von denen außerhalb heißt keiner Heines.“
Rafael stutzte.
„Wieso weißt du das so genau?“
„Weil ich seit einem Jahr hier die Zeitungen austrage.“
„Oh, okay. Dann müssen wir uns tatsächlich etwas anderes…“
Rafael wurde von Daniel unterbrochen, dem eine andere Möglichkeit durch den Kopf Geschossen war.
„Aber kennst du vielleicht jemanden, der hier in der Gegend unangenehm aufgefallen ist? Grobes, unhöfliches Auftreten, plötzliche Gewaltausbrüche, lebt sehr wahrscheinlich alleine, zurückgezogen. Er ist 53 Jahre alt, sieht aber älter aus. Etwa mittelgroß, dunkle, schon etwas dünner gewordene Haare.“
Thomas brauchte nicht lange zu überlegen.
„Oh, das klingt nach dem alten Rudloff. Wie der mit Vornamen heißt weiß ich nicht, aber der Rest stimmt ziemlich genau.“
Alle fünf jungen Männer drehten sich nun direkt zu Thomas. Michael lächelte mit etwas gezwungener Freundlichkeit.
„Und wo wohnt dieser Herr - Rudloff?“
„Hm, genau weiß ich das auch nicht, aber er soll sich hier im Wald auf seinem Privatgrundstück eine Blockhütte gebaut haben. Die ist nur auf einem der Wirtschaftswege erreichbar.“
Inzwischen hatte Felix sein Handy für eine Abfrage genutzt.
„Wir haben ihn. Rudloff ist der Mädchenname seiner Mutter.“
Michael nickte und sah dann unentschlossen zu Thomas.
„Kannst du uns zeigen, wo diese Hütte ist?“
Sie lagen alle sechs im dichten Unterholz und Michael beobachtete das Blockhaus mit einem Feldstecher. Thomas lag dicht neben Kyan und war sich seiner Gefühle überhaupt nicht sicher. Okay, in Kyan hatte er sich auf den ersten Blick verknallt, aber das schien ja in Anbetracht der Umstände nicht in Frage zu kommen. Die beiden blonden Riesen, von denen er jetzt wusste, dass sie Michael und Rafael hießen, waren eine Klasse für sich. Doch auch Daniel und Felix waren sehr nett, wobei Felix etwas zurückhaltender war.
Thomas war sich immer noch nicht sicher, was die fünf eigentlich hier wollten. Gut, sie suchten nach dem alten Rudloff, aber sie hatten nicht erklärt, warum. Genauso wenig konnte er sich erklären, warum er sie überhaupt hierher geführt hatte. Sie sahen nicht gerade nach irgendwelchen Angehörigen einer offiziellen Truppe aus. Eher schon wie Söldner oder so etwas. Thomas schüttelte unbewusst den Kopf. Dazu waren sie deutlich zu jung und außerdem waren sie unbewaffnet, soviel wie er erkennen konnte. Der einzige mit einer Waffe war er, denn das Jagdgewehr konnte er ja schließlich nicht zurücklassen.
Kyan war ein gänzlich anderer Fall. Thomas fragte sich immer noch, ob er nicht irgendeiner Illusion aufgesessen war, doch alles schien äußerst real um ihn herum zu sein. Unbewusst tastete er nach dem Geschoß in seiner Hosentasche. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Michael Kyan ein Zeichen gab. Der legte nun seinen Overall ab und Thomas konnte sehen, wie er sich wieder in einen Luchs verwandelte. Thomas machte die Verwandlung weniger zu schaffen, als der Anblick des nackten Menschen. Er zuckte zusammen, als Daniel ihm eine Hand auf die Schulter legte.
„Du magst ihn, nicht wahr? Dein Schicksal ist nur, dass du ihn verletzt hast. Aber vielleicht hast du dir ja doch was Hübsches Geschossen.“
Irritiert sah Thomas Daniel an, der leicht lächelte. Was sollte denn das jetzt? Hatte der bemerkt, dass er in Kyan verknallt war? Und wenn ja, hatte er etwa nichts dagegen? Und wieder wurde Thomas aus seinen Gedanken gerissen, als Michael ihm ein kleines Bündel hinhielt.
„Hier. Das ist ein Headset. Einfach aufsetzen und den Empfänger in die Hosentasche stecken. Wir werden uns jetzt trennen und sehen, ob er zu Hause ist. Du bleibst hier und rührst dich nicht vom Fleck, verstanden? Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.“
Thomas nickte erstaunt und nahm das kleine Bündel. Nach kurzer Entwirrung setzte er das Headset auf und steckte, wie angeordnet, den kleinen schwarzen Block, den er als Empfänger identifizierte, in die Hosentasche. In dem Kopfhörer erklang deutlich die Stimme von Michael.
„Team 1 und 2 von Teamleader, Radio-check.“
„Team 1, klar.“
Das war die Stimme von Rafael.
„Team 2, klar.“
Das war Felix.
„Hunter, Radio-check.“
Thomas war im ersten Moment verwirrt, bis er realisierte, dass ihm Michael den Decknamen Hunter zugelegt hatte. Sehr witzig.
„Hunter, klar.“
„Team 1, Südseite. Team 2, Westseite. Hunter, Stellung halten.“
Es kamen keine Bestätigungen, deshalb hielt auch Thomas den Mund.
Die beiden Teams bewegten sich noch, als sich plötzlich die Tür des Blockhauses öffnete und der alte Rudloff heraustrat. In seinen Händen hielt er ein ziemlich gefährlich aussehendes Sturmgewehr.
„Ich weiß, dass ihr hier seid! Mich kriegt ihr nicht lebend. Ich nehm‘ euch alle mit!“
Mit einer schnellen Handbewegung riss er eine Handgranate von seinem Gürtel und warf sie in Richtung eines kleinen Busches neben dem Haus. Er selbst trat einen Schritt zurück in den Eingang, bis die Granate explodiert war. Dann kam er sofort wieder heraus und schickte mit dem Sturmgewehr einen Feuerstoß in den Busch.
„Teamleader von Team 2. Ein Verletzter.“
Das war Felix, also schien Daniel verletzt zu sein.
Thomas riss erstaunt die Augen auf, als Rafael und Michael um die Ecke des Blockhauses kamen. Michael umgab ein deutlich sichtbares orangefarbenes Leuchten, während es bei Rafael eher gelb war. Der alte Rudloff lachte, als er die beiden sah.
„Hab‘ ich es mir gedacht. Aber wie steht es damit?“
Der alte Mann zog nun eine kleine Flasche aus seiner Hosentasche und warf sie in Richtung von Rafael. Die Flasche prallte an ihm ab, doch dabei zersplitterte sie und ein Flammenball hüllte Rafael ein. Mit einem lauten Fluch zog er sich sofort aus den Flammen zurück.
Auf der anderen Seite war nun Felix aus dem zerstörten Busch getreten und auch ihn umgab ein gelbes Leuchten. Der alte Rudloff langte nach einer zweiten Flasche, doch Felix war schneller. Ein grüner Blitz brach aus seiner rechten Hand hervor und eilte auf den alten Mann zu, nur um kurz vor ihm von einer rötlichen Wand zerstreut zu werden.
„Ist das alles was ihr könnt?“
Ein Feuerstoß aus der Waffe traf Felix, doch der wurde lediglich durch den Aufprall zu Boden gerissen. Thomas konnte beobachten, wie die platten Geschosse vor Felix zu Boden fielen. Fieberhaft überlegte Thomas. Das gelbe Glühen schien Geschosse abzuhalten, das rötliche wohl irgendwelche Blitze. Michael, Rafael und Felix waren in Gelb und Orange gehüllt, also hielten sie wohl den Geschossen stand, aber nicht Feuer oder so was. Wenn Rot Energie abhielt und Orange Geschosse, dürften die Rollen ja klar verteilt sein.
Thomas nahm entschlossen das Gewehr und zielte. Auf dem Boden liegend hatte er noch nie Geschossen, aber es war einen Versuch wert. Thomas überlegte kurz, was er alles aus verschiedenen Fernsehserien gelernt hatte.
„Team 1 und 2 von Sniper. Deckung.“
Vollkommen verblüfft sah er die sofortige Reaktion von Michael, Rafael und Felix, die sich flach auf den Boden warfen. Der alte Mann schien zu bemerken, was vor sich ging und seine Reaktion war hervorragend, aber leider kontraproduktiv. Die rötliche Barriere um ihn herum wechselte die Farbe auf Orange und die Kugel prallte ab, doch der Energieblitz von Felix traf ihn mitten auf der Brust und er brach auf der Stelle zusammen.
Felix und Rafael kamen sofort vom Boden hoch und sahen nach ihrer Zielperson. Rafael schüttelte nur den Kopf und Felix stürmte wieder hinüber hinter das Gebüsch, wo Daniel lag. Michael ging langsam hinüber zu Thomas, der das Gewehr wieder abgelegt hatte.
„Woher hast du es gewusst?“
„Ich habe es nicht gewusst. Ich habe beobachtet und Schlüsse gezogen. Aber sag mal, gibt es keine Möglichkeit diese… diese Mauern gleichzeitig gegen Geschosse und Blitze zu erzeugen?“
Michael sah Thomas einen Moment lang sprachlos an, dann nickte er langsam.
„Doch gibt es. Lucien und ich haben so etwas Mal entworfen, aber wir haben nie geglaubt, dass wir so eine Barriere, so heißt das Ding übrigens, jemals brauchen würden.“
„Teamleader von Team 2. Wir brauchen wohl einen Arzt.“
Knapp fünfzehn Minuten später stand Thomas mit offenem Mund auf dem Rückeplatz neben dem Wirtschaftsweg, auf dem ein schwarzer Hubschrauber niedergegangen war. Ein gutes Dutzend Leute war herausgesprungen und hatte begonnen, alle Hinweise auf die Vorgänge der letzten halben Stunde systematisch zu beseitigen. Der Hubschrauber war genauso schwarz wie die Bekleidung der Leute, ohne jegliche Abzeichen.
Mit dem Hubschrauber war auch der Arzt erschienen. Hier war Thomas dann auch an seiner Belastungsgrenze angekommen. Der Arzt war ein dunkelhaariger junger Mann in der gleichen schwarzen Bekleidung wie alle anderen, begleitet von einem sehr großen, kräftigen blonden jungen Mann. Das erste Erstaunliche für Thomas war die Begrüßung. Michael nahm den kleinen schwarzhaarigen in die Arme, hob ihn etwas vom Boden ab, wirbelte ihn einmal herum und gab ihm dann einen Kuss. Einen Kuss!
„Hallo, Timo. Euch hatte ich nicht erwartet. Habt ihr das Bataillon gewechselt?“
„Nein, es gibt neuerdings eine Sonderbereitschaft. So lange auch nur ein Team der SMU draußen ist, gibt es Extraschichten für ein Response-Team. Sollten alle drei Teams gleichzeitig draußen sein, gibt es drei Response-Teams zeitgleich und einsatznah.“
„Was? Nicht wirklich oder?“
„Jep. Aber wo ist der Patient?“
„Hier drüben. Er heißt Daniel und ist Astralmagier, sein Partner Felix ist bei ihm.“
Jetzt wandte sich Michael auch dem Begleiter von Timo zu.
„Hallo Alexander. Es sind immer die miesen Situationen, wo wir uns in letzter Zeit begegnen.“
Auch Alexander bekam einen Kuss und Thomas war endgültig verwirrt.
„Wir können ja mal vorbeikommen und uns unter entspannteren Bedingungen vergnügen.“
Thomas atmete tief durch. War das jetzt das, was er dachte oder interpretierte er mehr seine eigenen Wünsche in die Aussagen aller möglichen Leute?
Michael legte ihm eine Hand auf die Schulter und er zuckte zusammen.
„Ganz ruhig. Komm bitte mit, ich möchte dir etwas zeigen.“
Sanft führte ihn Michael hinüber zu der Stelle, wo Daniel versorgt wurde. Thomas sah erstaunt, dass man Daniel komplett entkleidet hatte. Vollkommen nackt lag er auf mehreren Decken. Es gab nur wenige Wunden von Granatsplittern, doch das Holz des Busches hatte in Armen, Brustkorb und Bauch einige Splitter hinterlassen. Dieses waren nun mit einzelnen Kompressen abgedeckt worden um den Blutverlust zu verhindern.
Timo sah sich um und winkte grüßend Rafael zu, der in einiger Entfernung stand, dann kniete er sich neben Daniel him. Vorsichtig löste er eine der Kompressen auf der linken Brustseite in Höhe des Herzens. Dann fuhr er mit der flachen Hand langsam über die Wunde. Thomas sah, wie die Hand in einen leichten rötlichen Schimmer getaucht war.
„Er hat Glück gehabt. Ein paar Zentimeter weiter und es wäre auf der Stelle aus gewesen.“
Das Glühen veränderte seine Farbe in Violett und Thomas sah mit immer größer werdendem Entsetzen, wie sich die Wunde langsam schloss. Auch eine zweite Wunde wurde so geschlossen, dann eine dritte. Timo schien erschöpft zu sein und seine Hand zitterte leicht.
Zu Thomas‘ Erstaunen legte nun Timo seine Jacke ab und darunter war er nackt. Trotz seiner kleinen Statur sah er durchtrainiert aus und Thomas schüttelte nur den Kopf über seine Gedanken. Alexander legte Timo eine Hand auf den Rücken und der junge Mann arbeitete weiter. Nach den nächsten drei Wunden schien Timo immer noch ziemlich frisch zu sein, doch Alexander sah müde aus. Auch Michael hatte es bemerkt. Suchend sah er sich um.
„Rafael. Nächster.“
Wortlos trat Rafael zu Timo und legte ihm die Hand auf die Schulter. Thomas erkannte, was sie machten. Alexander und Rafael waren so etwas wie Wechselakkus. Über das, was Timo dort machte, wollte Thomas gar nicht nachdenken, zumindest jetzt nicht.
Der Hubschrauber war wieder weg und das Blockhaus lag friedlich im mittäglichen Sonnenschein. Thomas sah auf die Uhr und konnte kaum glauben, dass nicht einmal drei Stunden vergangen waren, seit er den ersten Schuss abgegeben hatte.
„Nun, was glaubst du, was das hier alles war?“
Thomas fuhr herum und blickte in Michaels müdes Gesicht.
„Ich habe keine Ahnung. Ich habe nur Angst davor, dass ich jeden Moment aufwache und das alles hier war nur ein böser Traum.“
„Ein böser Traum?“
„Ja. Nein! Ein merkwürdiger Traum. Einer mit, ja mit was eigentlich? Mit verwandelten Luchsen…“
Ein schneller Blick traf Kyan.
„… mit Blitze werfenden Zauberern, mit geheimen Hubschraubern und natürlich mit einem – einem…“
„Es nennt sich Heiler. Außerdem nicht zu vergessen, dass alle diese Leute in hübschen jungen Männern stecken, die dir manchmal eine ansehnliche Beule in deine Hose gezaubert haben.“
Thomas starrte Michael entsetzt an, dann sah er mit brennenden Ohren zu Boden.
„Ja“, flüsterte er, „das auch.“
Michael lachte leise, dann deutete er hinüber zu Felix, der Daniel gar nicht mehr loslassen wollte und ihn mit vielen kleinen Küssen bedachte. Etwas weiter weg stand Rafael mit Kyan, wobei sich Kyan an Rafael anschmiegte und seinen Kopf auf dessen Brust gelegt hatte.
Thomas sah von einem Paar zum anderen.
„Sind sie wirklich – ich meine…“
„Du solltest lernen, in ganzen Sätzen zu reden. Ja, sie sind schwul, genauso wie du und ich. Wobei zu bemerken ist, dass Rafael mein Partner ist. Kyan ist im Moment etwas daneben, denn das war sein erster richtiger Einsatz. Geh hin und lenk ihn etwas ab.“
„Was? Ich? Ich hab ihn doch beinahe…“
Michael unterbrach Thomas schnell.
„Aber nur beinahe. Wie du vorhin gesehen hast, kommt der Tod, oder zumindest beinahe der Tod, schnell und unerwartet. Wir lernen, damit zu leben. Aber dieses Lernen dauert etwas. Geh‘ zu ihm. Ich weiß, dass er sich freuen würde.“
Zögernd ging Thomas hinüber. Rafael sah ihn kommen und flüsterte etwas zu Kyan. Der hob seinen Kopf und drehte sich um. Thomas sah etwas schüchtern zu Boden.
„Ich… ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.“
Kyan sah Thomas erstaunt an, dann löste er sich langsam von Rafael und ging auf Thomas zu. Plötzlich fiel er ihm um den Hals und flüsterte: „Und ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.“
Vor dem langgestreckten Wohnhaus neben den ausgedehnten Stallungen und den großen Pferchen hielt Rafael Michael noch einmal kurz zurück.
„Und du bist sicher, dass das alles so richtig ist, was wir hier machen? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals davon gehört oder gelesen hätte, dass ein ganz normaler Mensch ein Mitglied der Organisation geworden ist.“
Michael beugte sich vor und gab Rafael einen Kuss.
„Lass das mal nicht Max hören. Aber ich weiß, was du meinst. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass nichts im Leben rein zufällig passiert. Du hast nicht die Bemerkungen über die Barrieren mitbekommen und die Schlüsse, die er daraus gezogen hat. Er hat mich später, nachdem alles wieder ruhig war, auch noch nach den Blitzen gefragt. Ich habe ihm die Systematik der Zauber erklärt und den Aufbau. Seine Antwort war mehr als überraschend.“
„Hm?“
„Wenn alle Zauber aus diesen vier variablen Komponenten bestehen, lassen sie sich doch mathematisch als Formel darstellen.“
„Wie bitte?“
„Dann hab‘ ich ihm die Formel für eine Energiebarriere erklärt. Nur erzählt, nichts schriftlich, worauf er kurz überlegt hat und dann hat er, zwar mit zwei kleinen Fehlern, daraus die Formel für eine physische Barriere abgeleitet.“
„Nicht wirklich.“
„Genauso hab‘ ich auch geguckt. Aber das Beste kommt noch. Nach einer kurzen Denkpause hat er dann gesagt: Wie werden eigentlich Zauber erstellt, wenn man keine höhere Mathematik kann? Soviel ich weiß, ist die Integralrechnung doch erst im 16. Jahrhundert erfunden worden.“
Rafael grinste plötzlich.
„Theoretische Thaumaturgie. Dazu braucht man nicht begabt zu sein. Man muss nur die mathematischen Grundlagen kennen und sie weiterentwickeln. Oder aber ihre Vorgänger.“
Michaels Aufmerksamkeit wurde wieder auf das Wohnhaus gerichtet, aus dem jetzt laute Stimmen herüberklangen.
„Ich hab‘ dir doch gesagt, du sollst keinen von deinen perversen Kumpels mit herbringen. Der Kerl soll verschwinden, sonst hetz‘ ich die Hunde auf ihn.“
Michael nickte Rafael zu.
„Es geht los. Wir müssen auf jeden Fall in Deckung bleiben. Ich will nicht, dass er mehr von uns sieht, als unbedingt notwendig.“
Leise schlichen sie an das geöffnete Fenster heran, aus dem die Stimmen kamen. Nun hörte man auch Thomas.
„Keine Angst, wir verschwinden schon. Ich pack‘ nur noch meine Sachen.“
„Was?! Auf gar keinen Fall. Du bleibst gefälligst hier. Das wär‘ ja noch schöner. Glaubst du etwa, die Arbeit macht sich hier von alleine?“
„Nein, aber bisher hab‘ ich die Arbeit gemacht und du hast hier gesessen und eine Flasche nach der anderen leer gemacht. Nicht mehr mit mir.“
Thomas drehte sich um, doch Kyan, der neben ihm stand, beobachtete weiter Gerhard Mertens. Der hatte sich leicht schwankend vom Küchentisch erhoben und ging auf seinen Sohn zu. Hart packte er ihn am Oberarm und riss ihn herum.
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Du gehst nirgendwo hin! Und mit deinen kleinen schwulen Arschfickerfreunden ist jetzt auch Schluss. So was gehört ausgerottet.“
Überraschend ließ er Thomas los und wandte sich zum Küchentisch, auf dem das Jagdgewehr lag. Behände nahm er das Gewehr auf und brachte es gegen Kyan in Anschlag. Doch statt eines Schusses ertönte nur ein leises ‚Klick‘. Thomas fuhr herum und starrte seinen Vater wutentbrannt an.
„Du hättest ihn tatsächlich erschossen?! Einen Menschen erschossen nur weil er…, weil er anders ist als du? Du bist ein Untier!“
Mit einer einzigen Bewegung riss Thomas seinem Vater das Gewehr aus der Hand und warf es zu Boden. Dann packte er ihn am Arm und zerrte den leicht Schwankenden hinaus auf den Hof, hinüber zu einer der Scheunen.
„Ich werde dich jetzt in der Futterkammer einsperren und meine Sachen holen. Dann werde ich dich wieder freilassen, aber glaub mal nicht, dass du mich dann noch einmal wiedersiehst.“
Der alte Mertens wehrte sich nach Kräften, doch Thomas war den Angriffen des halb Betrunkenen mehr als gewachsen. Nachdem er in seinem Zimmer alles zusammengesucht hatte, was er mitnehmen wollte, ging er wieder zurück zur Futterkammer. Dort fand er seinen Vater zu seiner Überraschung laut schnarchend auf einem der Futtersäcke.
Kyan schüttelte verständnislos den Kopf.
„So hatte ich mir das nicht vorgestellt.“
Thomas seufzte.
„Ich auch nicht.“
Team 1 und 2, Köln, Deutschland, Anno Domini 2017
Als Rafael den 8-Sitzer durch das Tor steuerte, staunte Thomas nicht schlecht. Der kleine Park in dem die Villa lag war recht hübsch, nur das Haus selber fand er nicht besonders ansprechend. Beim Aussteigen zögerte Thomas etwas, denn er wusste nicht, was ihn erwartete. Das heißt, er wusste schon, dass ihn noch eine Gruppe von Magiern erwartete, doch das machte ihn nur noch nervöser.
„Na los, die werden schon nicht beißen, zumindest nicht alle.“
Thomas zuckte zusammen, denn Kyan hatte ihm auf der Fahrt hierher erklärt, dass es noch einen zweiten Gestaltwandler gab, einen Wolf. Ausgerechnet ein Wolf! Thomas war sich nicht sicher, ob er ihm gegenübertreten wollte.
Vor dem Haus hatte sich eine kleine Gruppe von Personen versammelt und sah den Ankömmlingen entgegen. Der Auffälligste war für Thomas zunächst ein wahrhaft riesiger Typ mit hellroten Haaren und breiten Schultern. Bevor er sich die anderen näher betrachten konnte, wurde er von Michael nach vorne geschoben.
„So, Leute, das ist Thomas. Er ist noch ein Bisschen unsicher, was den Umgang mit uns betrifft, aber ich hoffe, das legt sich. Also, Thomas, das ist Kevin, unser Chef.“
Thomas sah Kevin vortreten und spürte sofort dessen selbstbewusste Ausstrahlung. Kein Wunder, dass er hier der Chef war. Kevin begrüßte Thomas mit einem kurzen Handschlag und deutete kurz auf jeden einzelnen der Gruppe.
„Lucas, Max, Robin, Christian und Leon.“
Kevin lachte, als er Thomas‘ verwirrtes Gesicht sah.
„Keine Angst, du wirst sie noch alle genauer kennenlernen. Lasst uns aber erst mal reingehen.“
Drinnen schleppten die anderen seiner Gruppe erst einmal ihre Sachen auf die Zimmer, während Thomas seine wenigen Klamotten im Flur abstellen konnte. Dann führte Kevin alle hinüber in die Einsatzzentrale, wo Thomas sich erstaunt umsah.
„Ich möchte die Vorstellung so kurz wie möglich hinter mich bringen, deshalb bitte die Tische mal wieder an die Wand.“
Wenige Augenblicke später war die Mitte des Raumes freigeräumt.
„Wir machen es wie beim letzten Mal, nur dass wir diesmal jemanden haben, der nicht magisch begabt ist, deshalb beginnen wir mit Max.“
Max trat vor und verbeugte sich wie auf einer Theaterbühne.
„Max ist die einzige weitere Person ohne jegliche magische Begabung, dafür ist er IT-Spezialist und Analytiker.“
„Michael und Rafael kennst du bereits, ebenso wie Daniel und Felix.“
Thomas nickte freundlich.
„Michael hat ja bereits erklärt, dass ein Paar immer aus einem Kampfmagier und einem weiteren anderen Magier besteht. Ich selbst bin Kampfmagier und Lucas ist Astralmagier. Christian ist Elementar und Leon sein Kampfmagier.“
Thomas lächelte die aufgerufenen an und war ein wenig stolz auf sich, dass er alles behalten hatte, was Michael über die einzelnen Magieschulen gesagt hatte. Nun blieb sein Blick auf dem übrig gebliebenen jungen Mann hängen, der neben Kyan stand. Das musste der Wolf sein. Irgendwie hatte Thomas ihn sich anders vorgestellt. Nicht gerade als einen jungen Mann mit einem schüchternen Lächeln und einer etwas verstrubbelten halblangen Frisur.
„Und das neben Kyan ist Robin, unser zweiter Gestaltwandler.“
Bevor Kevin noch mehr sagen konnte, trat Robin vor und sah Thomas von oben bis unten an.
„So, du bist also der, der gerne auf Wölfe schießt.“
Thomas erbleichte und sah sich unsicher um. Dann sah er zurück zu Robin, der ihn weiterhin musterte, doch ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund.
„Kyan hat mir verraten, dass ihr zu Hause eine Schafherde habt. Hast du schon einmal einen Wolf in einem Schafspferch erlebt?“
Thomas schüttelte stumm den Kopf. Was wird das?
Robin nickte, als seine Vermutung bestätigt wurde.
„Möchtest du mal einen sehen?“
Wieder sah sich Thomas unsicher um, doch die anderen zeigten fast alle ausdruckslose Gesichter, bis auf Daniel, der leicht lächelte. Als Thomas wieder nach vorne sah, bemerkte er, wie Robin langsam seine Kleidung ablegte. Nach den Schuhen und Strümpfen folgten T-Shirt und Jeans. Thomas starrte nun etwas hilflos auf Robins Boxershorts in den sich langsam eine Beule bildete.
Auch bei Thomas regte sich etwas und er versuchte verzweifelt es zu unterdrücken, doch es war sinnlos. Robin grinste und deutete nun auf die deutlich sichtbare Beule bei Thomas.
„Wenn du einen Wolf magst, warum willst du ihn dann töten? Das hier wäre doch viel schöner.“
Damit zog er nun auch seine Boxershorts herunter und Thomas schluckte schwer. Dann begann die Verwandlung. Ähnlich wie bei Kyan verschoben sich die Gliedmaßen und der Kopf veränderte sich. Doch dann stand ein ausgewachsener großer Wolf vor ihm und lächelte ihn an. Lächelte? Thomas war verwirrt. Wölfe können nicht lächeln. Auf einmal spürte Thomas eine feuchte Berührung an seiner rechten Hand. Während er auf Robin geachtet hatte, hatte sich Kyan ebenfalls gewandelt und leckte nun an seiner Hand. Thomas war sich unsicher, was er tun sollte. Kyan stupste ihn von hinten an, so dass er auf den vor ihm stehenden Wolf zuging. Langsam und vorsichtig ließ Thomas sich nieder und streckte die Hand aus, zog sie dann aber wieder zurück.
„Er wird dich nicht beißen. Er hat sein Bewusstsein behalten und kann dich auch verstehen, wenn du etwas sagst. Frag ihn und er wird dir eine Antwort geben.“
Dankbar nickte Thomas zu Max und dann sah er Robin an.
„Darf ich dich berühren?“
Der Wolf nickte würdevoll.
Thomas streckte seine Hand aus und strich dem Wolf langsam über den Hals, dann weiter herunter über den Körper. Der Wolf hatte die Augen geschlossen und legte sich nun auf die Seite. Mutiger geworden fuhr Thomas über die ganze Länge des Wolfskörpers bis hinten zum Schweif.
Ein Stupser in den Rücken erinnerte ihn an den zweiten Gestaltwandler. Der Luchs stand hinter ihm und starrte ihn aus goldgesprenkelten Augen an. Dann legte er sich ebenfalls auf die Seite ab, in die Lücke zwischen den Vorder- und Hinterbeinen des Wolfes, so dass er mit seinem Rücken den Bauch des Wolfes berührte.
Thomas war nun völlig fasziniert von diesem Anblick. Mit beiden Händen streichelt er nun den Wolf und den Luchs, bis beide gleichzeitig aufsprangen. Thomas zuckte etwas zurück, dann erhob er sich ebenfalls.
Abwartend, was nun passieren sollte, sah er in die Runde, doch dann spürte er wieder ein leichtes Stupsen an seinem Hinterteil. Der Wolf stand nun hinter ihm und wollte ihm ein Zeichen geben, doch Thomas wusste nicht genau was er von ihm wollte. Der Luchs ging dicht an Thomas vorbei in Richtung Tür und sah sich dann nach ihm um. Ein zweiter Stupser von hinten erleuchtete Thomas, dass er sie wohl irgendwohin begleiten sollte. Langsam folgte er dem Luchs. Hinter sich hörte er nur eine leise Stimme.
„Eigentlich könnte er seine Sachen doch gleich hierlassen.“
„Leon!“
Neugierig folgte Thomas dem Luchs, nein, es war Kyan, wie er sich jetzt sagte, die Treppe nach oben. Dort ging es kurz den Gang entlang und dann in ein großes Schlafzimmer. Hinter ihm drückte Robin die Tür ins Schloss.
Thomas blieb verwundert stehen. Wolf und Luchs setzten sich jetzt vor ihm hin und sahen ihn irgendwie erwartungsvoll an. Als Thomas sich nicht rührte, kam Robin nach vorne und zerrte mit seiner Pfote etwas an Thomas‘ Jeans. Plötzlich verstand er. Langsam, wie auch Robin zuvor, begann er sich zu entkleiden. Die beiden Gestaltwandler sahen den nackten Menschen einen Moment an und sprangen dann auf das große Bett. Thomas zögerte. So gerne er ihnen auch folgen wollte, sie hatten ihre Tierform und er war sich nicht sicher, was passieren würde.
Zu seiner Erleichterung begannen nun beide sich zu wandeln und er ging hinüber zu dem Bett und sah auf sie herab. Plötzlich kamen sie hoch und zogen ihn zwischen sich.
„Nun, wie fühlst du dich jetzt?“
Thomas brauchte nicht zu überlegen.
„Wie im Himmel.“
Robin lachte und strich ihm mit einer Hand über die Brust.
„Ich würde eher sagen, du bist in der Gestaltwandlerhölle und wir sind die Bestrafung für deine Sünde.“
Doch noch bevor Thomas etwas sagen konnte, verschloss ihm Kyan seinen Mund mit einem Kuss.
„Wir haben die Genehmigung des Exekutivrates. Thomas wird das nächste Jahr zusammen mit den anderen Schülern in Haus Birkenstein verbringen.“
Michael sah nach vorne zu Kevin.
„Ist er dafür nicht ein Bisschen zu alt?“
„Er soll ja auch nicht in eine magische Ausbildung oder sich einen Partner suchen. Er ist nur zu Studienzwecken dort. Sie werden ihm dort eine Einweisung geben in die Geschichte des Ordens und die Entwicklungsgeschichte der Thaumaturgie. Sein Stundenplan wird, soweit ich Doktor Berg verstanden habe, zusammen mit den anderen aus Sport, Nahkampfausbildung, Dämonologie und Thaumaturgie bestehen. Er alleine bekommt noch, wie erwähnt, Ordensgeschichte, Entwicklungsgeschichte der Thaumaturgie und psychische Konditionierung.“
Kevin sah ins Auditorium.
„Und bevor jemand fragt, das ist die Ausbildung, die wir zusammen mit praktischer Kampfausbildung hatten. Da er nicht magisch begabt ist, wird ihm ein mentaler Block verpasst, der unbewusst funktioniert und gegen geistige Angriffe schützt. Wenn alles klappt, wird er den sogar bewusst steuern können.“
Robin sah nachdenklich auf sein Tablet, dann hoch zu Kevin.
„Ist das neu?“
„Ja. Die Versuche laufen schon eine ganze Weile, allerdings sind sie ursprünglich für einen anderen Personenkreis gedacht. Die meisten Gestaltwandler sind nämlich ebenso anfällig gegen psychische Beeinflussungen wie normale Menschen. Lediglich die Werwölfe sind in ihrer Halbform immun. Deshalb wurde an einer psychischen Konditionierung gearbeitet, um das Problem in den Griff zu kriegen. Thomas wird der erste sein, an dem es ausprobiert wird.“
Thomas wand sich etwas auf seinem Stuhl.
„Und ich werde danach wieder hierher zurückkommen?“
„Ja. Der Rat hat zugestimmt. Du wirst wieder hierher zurückkehren. Deine Aufgabe wird dann sein, die Magier im Einsatz zu beobachten und eventuelle Veränderungen der eingesetzten Zauber zu dokumentieren und zu bewerten.“
Thomas war verblüfft.
„Wie soll das denn gehen?“
Michael drehte sich zu ihm.
„Kannst du dich noch erinnern, wie du mal was über zwei Barrieren und die Kombination der beiden gesagt hast?“
Thomas nickte.
„Siehst du, es funktioniert, denn wir haben es schon einmal vorgeführt. Aber wir hätten gerne dafür eine Formel, die nicht drei DIN-A-4-Seiten lang ist.“
Thomas schwieg nachdenklich, während Felix ein anderes Problem wälzte.
„Wenn er denn an der Schule ist, wird er auch die Schuluniform tragen?“
Kevin grinste.
„Selbstverständlich.“
Felix wirkte etwas verwirrt.
„Und welche Farbe?“
Kevins Grinsen wurde stärker.
„Er bekommt ein Regenbogen-T-Shirt.“
Team 3, Bangkok, Thailand, Anno Domini 2017
Der Flug selber dauerte elf Stunden und nicht nur Lucien war zum Ende hin tödlich gelangweilt. Immerhin hatten es Lucien und Tobias geschafft, während des Fluges Mitglied im Miles High Club zu werden und nicht nur Prasong schüttelte sprachlos den Kopf, auch einer der netten Flugbegleiter warf den beiden einen amüsierten Blick zu.
Nach der Ankunft am Suvarnabhumi-Airport sahen sich Lucien, Tobias und Florian die futuristische Architektur an, während Prasong auf seine Uhr deutete.
„Wir müssen noch die Uhr umstellen. Durch die andere Zeitzone haben wir fünf Stunden verloren.“
Lucien und Tobias sahen sich an. Tobias nickte nur und begann an seiner Uhr zu stellen, während Lucien etwas ratlos aussah.
„Wieso? Wir sind doch schon elf Stunden geflogen.“
„Ja, aber von West nach Ost. Wir sind sozusagen der Erddrehung hinterhergeflogen. Thailand liegt insgesamt sieben Zeitzonen vom Nullmeridian in Greenwich entfernt. Deutschland nur eine. Abzüglich der Sommerzeit macht das eine Gesamtdifferenz von fünf Stunden. Kapiert?“
Lucien sah nur noch verwirrter aus, doch Tobias zeigte stumm auf eine der öffentlichen Uhren im Terminal.
„Ein Uhr dreiundzwanzig. Wir haben bereits einen neuen Tag.“
Prasong nickte und sah sich suchend um.
„Nach den Infos der SMU hier werden wir erwartet. Wir müssen Richtung Ausgang zum Meeting Point.“
Wortlos folgten die drei anderen Prasong, der sie durch die riesige Haupthalle lotste.
Am Meeting Point standen trotz der späten Stunde noch einige Personen, unübersehbar waren allerdings die beiden jungen Männer, von denen einer ein Schild mit der Aufschrift Digisoft Development Cologne hochhielt.
Etwas erstaunt bemerkte Lucien, dass derjenige mit dem Schild ein großgewachsener Europäer zu sein schien, während der andere ein für ihn typisch asiatisches Aussehen hatten.
Zu seiner Erleichterung wurden sie auf Englisch begrüßt und nachdem jeder seine Hand gegeben hatte, entstand eine etwas peinliche Pause, weil Prasong noch etwas auf thailändisch tuschelte. Dann drehte sich Prasong plötzlich zu Lucien.
„Äh, Lucien, wie alt seid ihr beide?“
„Huh? Toby ist neunzehn, ich bin einundzwanzig, warum?“
Florian grinste ihn an, während Prasong wieder mit seinem Gegenüber sprach.
„Weil hier das Alter eine wichtige kulturelle Rolle spielt. Kannst du dich noch daran erinnern, was Prasong darüber erzählt hat?“
Lucien war zwar etwas abgelenkt gewesen, aber er konnte sich dunkel erinnern. Während Tobias und Prasong sich einfach zusammengekuschelt hatten, erkundete Lucien Florians Brustwarzen und hörte Prasongs Stimme im Hintergrund.
„Das Alter ist wichtig. Es wird schon benötigt, um die korrekte Anrede auszuwählen. In der Schule reicht es zum Beispiel schon, wenn dein gegenüber in der nächsthöheren Klasse ist. Alle älteren werden im Prinzip mit Pi angeredet. Also bei dir Pi Tobias. Das Ganze klingt schon in Deutsch nicht besonders gut, geschweige denn in Thai, denn dort sind die Namen ja erheblich länger. Prasong ist ja eigentlich auch nur eine Kurzform. Deshalb hat sich bei Kindern und Jugendlichen der Spitzname durchgesetzt. Irgendein Ereignis oder auch plötzliche Selbsterkenntnis führt zu einem Spitznamen, den die meisten ihr Leben lang behalten. Sie werden damit von Freunden, der Familie, manchmal sogar in der Schule angesprochen. Bei dir würde ich wahrscheinlich Tob wählen. Oder für mich korrekterweise P’Tob, denn du bist ja älter als ich.“
Tobias überlegte einen Moment.
„Und wie wird ein jüngerer angesprochen?“
„Mit Nong. Wenn du genau hinhörst, mit einem offenen ‚o‘. Nong.“
„Dann bist du also Nong Song.“
Prasong sah Tobias belustigt an.
„Möchtest du gerne Thai lernen?“
Lucien wurde aus seinen Erinnerungen gerissen, als die beiden Jungen ihm gegenüber ihn förmlich mit einem Wai begrüßten. Er konnte gerade noch seine Hände vor die Brust bekommen um nicht unhöflich zu erscheinen. Von der Begrüßung selber verstand er kein Wort, lediglich die Phrase P’Luc bekam er mit. Mit erhobenen Augenbrauen sah er zu Prasong.
„Du bist der Älteste von uns allen. Die Höflichkeit gebietet, dich entscheiden zu lassen, was als Nächstes passieren soll.“
„Okay. Ich habe Hunger und bin Müde. Reicht das?“
Prasong lächelte.
„Vollkommen. Du hättest es auch in Englisch sagen können. Das ist nämlich auch hier die Einsatzsprache. Thai wird nur intern gebraucht. Also dann los.“
Nach dem Besuch in einem Restaurant das erstaunlicherweise nicht von Touristen überlaufen war – zumindest nicht um diese Uhrzeit – wurden die vier Besucher zu einem Hotel gebracht. Gegen halb vier konnten sich Lucien und seine ruhmreiche Truppe dann endlich zur Ruhe begeben.
Florian fluchte lange und ausgiebig, als um neun Uhr bereits wieder das Telefon klingelte und der Weckdienst seine Arbeit versah. Prasong schüttelte den Kopf.
„Du brauchst gar nicht rumzuzicken. Zehn Uhr Frühstück. Elf Uhr der Termin beim zuständigen Divisionskommandeur. Danach Mittagessen und dann beginnt unsere Arbeit mit der hiesigen SMU. Also du oder ich?“
Florian musterte Prasong müde und etwas irritiert.
„Das Bad. Obwohl… wir haben eine ganze Stunde Zeit.“
Florian ruckte hoch und grinste.
„Na dann, auf ins Bad.“
Zum Frühstück waren alle pünktlich erschienen und auch ein Paar ihrer Gastgeber leistete ihnen Gesellschaft. Zur allgemeinen Überraschung war es wieder das Paar mit dem hellblonden, großgewachsenen jungen Mann, dessen Partner gut zehn Zentimeter kleiner und schwarzhaarig war, ohne allerdings die klassischen asiatischen Gesichtszüge zu besitzen.
„Wir möchten uns noch einmal offiziell vorstellen, denn heute Nacht ging es ja ein wenig hektisch zu. Mein Name ist Rodriguez Batista. Ich komme von den Philippinen und mein Partner heißt Peter Cunningham und stammt aus Singapur.“
Lucien musterte die beiden nachdenklich. Sie trugen beide kurzärmelige weiße Hemden und keinerlei weitere Unterscheidungszeichen. Schließlich fielen Lucien die dann die farbigen Silikonarmbänder auf, die jeder ihrer Gastgeber trug. Peter hatte ein blaues, Rodriguez ein rotes. Lucien grinste; das könnte man bei ihnen auch einführen, war deutlich unauffälliger als andauernd in den gleichen farbigen Shirts rumzulaufen.
„Philippinen? Singapur?“
Die beiden einheimischen jungen Männer mussten Lachen.
„Die Division Südostasien besteht fast zu zwei Dritteln aus Leuten von Indonesien, den Philippinen und aus Thailand, dann folgen Vietnam und noch sieben weitere Staaten aus dem Umkreis.“
Lucien nickte langsam, während er versuchte, sich das Ganze geographisch vorzustellen.
„Da haben wir das etwas komplizierter. Das sind ein paar mehr in Westeuropa…“
Peter lächelte ihn an und nickte ebenfalls.
„Der Division Westeuropa sind 32 Staaten angeschlossen, von Deutschland als größtem Anteil, bis Andorra mit einem Begabten.“
Tobias lachte.
„Da hat aber jemand seine Hausaufgaben gemacht. Ich muss zugeben, wir haben bis jetzt nicht viel über die anderen Divisionen erfahren. Es hat sich auch niemand besonders darum gekümmert. Wir wurden erst mit unserem Auftrag sozusagen mit der Nase darauf gestoßen.“
„Wir mussten schon immer die gesamte Verteilung der Divisionen lernen. In der Offiziersausbildung gab es sogar Militärtheorie und praktische Waffenausbildung.“
Tobias und Florian sahen interessiert herüber.
„Wozu denn das?“
„Das ist der politischen Lage geschuldet. Wir müssen manchmal in Gebieten operieren, in denen noch kriegsähnliche Zustände herrschen. Dann gehen wir tatsächlich als militärische Truppe in den Einsatz, wobei der eigentliche Einsatz der Dämonenjagd natürlich wieder extra abgeschirmt erfolgt.“
In dem kurzen Schweigen, das nun folgte, lehnte sich Peter zurück und sah, wie es schien, etwas kritisch von einem zum anderen.
„Ihr habt doch sicherlich auch Gestaltwandler in eurer Einheit oder?“
Lucien und Tobias sahen sich kurz an.
„Ja, natürlich. Zwei Stück, warum?“
„Oh, schon gut. Wir müssen los, der Kommandeur wartet.“
Etwas hastig standen Peter und Rodriguez auf und der Rest folgte sofort. Eine kurze Fahrt mit einem Kleinbus brachte sie an den Stadtrand von Bangkok.
Ein Hochhaus in einem Gewerbegebiet beherbergte den Divisionsstab und das Team 3 wurde ohne weitere Umstände in einem Fahrstuhl bis in die oberste Etage gebracht. Der Weg führte durch ein paar Gänge mit Büros an den Seiten, bis sie vor einer großen Tür aus Holzimitat zu stehen kamen. Das Schild konnte Lucien nicht lesen, aber er bewunderte die geschwungenen thailändischen Schriftzeichen.
In dem Raum standen lediglich zwei große Schreibtische nebeneinander und vor diesen warteten zwei Männer im mittleren Alter in geschäftsmäßigen Anzügen. Lucien überlegte, ob das bei höheren Offizieren vielleicht sogar vorgeschrieben war.
Ihre Gastgeber waren nicht mit eingetreten und so blieb es an Prasong, mit einer kurzen Bemerkung die vorgeschriebenen Höflichkeiten einzuleiten. Der Wai klappte sogar fast simultan und auch die beiden Männer erwiderten den Gruß.
„Meine Herren, ich bin Generalmajor Sattanamphorn und dies ist mein Partner Generalmajor Nguyen. Wir sind die Divisionskommandeure der Division Südostasien, die bei uns noch die Zusatzbezeichnung Magic Tigers trägt.“
Lucien wusste, dass es als Ältesten an ihm lag, seine Begleiter vorzustellen, was er auch ohne Schwierigkeiten absolvierte. Die Generäle baten ihre Gäste nun zu einer Sitzecke und ohne große Einleitung ging es sofort zum Thema.
„Sie möchten also die Unterstützung unserer Special Mission Unit haben, um einen Ihrer Magier wiederzufinden, der Ihrer Überwachung entkommen ist.“
Lucien spürte den Unwillen und auch das Missfallen über diese Angelegenheit. Deshalb holte er etwas aus und begann mit der Gründung ihrer SMU, den Aufträgen und den Schwierigkeiten, die sich bis dahin ergeben hatten.
Etwas ungläubig schüttelten beide Männer den Kopf.
„Das ist für uns alles sehr schwer zu verstehen. Deutschland gilt auch hier bei uns immer noch als das Vorbild von Pünktlichkeit, Ordnung und Fleiß. Aber wir freuen uns, dass Sie dabei sind, begangene Fehler zu korrigieren. Wussten Sie eigentlich, dass dies das erste offizielle Hilfeersuchen aus Deutschland seit über 120 Jahren ist?“
Die jungen Herren aus Deutschland sahen sich erstaunt an. Florian rechnete schnell nach.
„Das muss ja noch zur Zeit Kaiser Wilhelms des II. gewesen sein.“
Die beiden Generäle lächelten.
„Ganz richtig.“
Dann sahen beide zu Prasong.
„Übrigens, einer der beiden Dolmetscher, die damals mit nach Deutschland gegangen sind, hieß Jarunsuk Sriwonklang.“
Prasong erstarrte förmlich und Florian musste ihn erst anstoßen, bis er leise murmelte.
„Sriwonklang ist der Mädchenname meiner Mutter.“
In der entstehenden Stille hörte man laut und deutlich ein Klopfen an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, traten die beiden draußen wartenden Personen ein.
Lucien musste sich beherrschen, nicht wieder irgendetwas Unpassendes zu sagen, denn die beiden jungen Männer sahen in seinen Augen äußerst hübsch aus, auch wenn diese Einschätzung wohl eher dem großen Konsum an Boy Love Serien auf YouTube geschuldet war.
„Meine Herren, ich möchte Ihnen nun die Leiter unserer Special Mission Unit vorstellen. Suriwongse Chantaphasouk, genannt Flame und Nongchai Tanasugarn, genannt Maew.“
Die Gäste waren aufgestanden und es erfolgte ein förmlicher Wai, danach weniger förmliches Händeschütteln.
Lucien stand etwas verblüfft vor dem jungen Mann, der sich mit Maew vorgestellt hatte. Er war, soweit sich sagen ließ, genauso groß wie Lucien, hatte die gleichen kastanienroten Haare und braunen Augen. Seine Gesichtszüge mit der ausgeprägten Nase und dem breiten Mund sahen fast europäisch aus. Lediglich die mandelförmigen Augen gaben ihm ein eindeutig asiatisches Aussehen.
Auch Flame sah Lucien und seinen Partner etwas erstaunt an, doch dann grinste er.
„Hoffentlich verwechseln wir die beiden nicht.“
Tobias lächelte ebenfalls leicht.
„Ja, das wäre tragisch, nicht wahr?“
Flame war fast genauso groß wie er, doch dann unterschieden sie sich deutlich mit ihren dunkelblonden und schwarzen Haaren. Flame grinste weiter und Tobias ahnte, dass es hier ebenso locker zuging wie bei ihnen zu Hause.
Ein lautes Räuspern unterbrach die kurze Unterhaltung.
„Wenn Sie dann soweit sind, möchte ich Sie bitten, unsere Gäste mit allen Mitgliedern der SMU bekannt zu machen und sie bei Ihrer Einheit unterzubringen.“
Mit einer kleinen Drehung zu Lucien.
„Ich hoffe, Sie werden Erfolg mit Ihrer Mission haben.“
„Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Wir werden zweifellos Erfolg haben.“
Mit einem simultanen Wai endete der Termin bei den Divisionskommandeuren. Draußen vor der Tür drehte sich Flame um und sah Prasong fragend an.
„Soviel ich weiß, gibt es in Deutschland keine Spitznamen, aber hier sind sie sehr praktisch. Du hast doch einen oder?“
Prasong wurde etwas aus seinen Gedanken gerissen, aber er sah kurz zu Lucien, Tobias und Florian.
„Das ist ganz einfach. Mein Name ist Song, Lucien wird wohl zu Luc werden und Florian zu Flo. Bei Tobias würde ich sagen – Top.“
Flame hob die Augenbrauen und Prasong lächelte leicht.
„Ja, das ist nicht nur eine Kurzform für seinen Namen.“
Tobias warf Prasong einen vernichtenden Blick zu, lächelte aber dann, während er nach links blickte. Ob er Lucien oder Maew betrachtete, war nicht ganz klar.
„Okay, dann wollen wir los. Pete und Rod warten unten im Auto.“
Die Fahrt dauerte eine ganze Weile und führte sie hinaus aus der Stadt. Über eine große Hängebrücke ging es in nordwestliche Richtung, dann weiter in Richtung Westen. Florian erhaschte einen kurzen Blick auf eine riesenhafte Statue in einem großen Park.
Nach weiteren drei Stunden Fahrt erreichten sie ein Gebiet, das etwas hügeliger war und bei dem der spärliche Bewuchs der Ebene mehr immergrünen Pflanzen und Bäumen gewichen war.
„Wir befinden uns an der Grenze zum Erawan-Nationalpark. Hier haben wir unseren Stützpunkt. Unsere äußere Tarnung ist etwas kompliziert, denn wir sind gleichzeitig die Park-Ranger des Nationalparks.“
Die Besucher aus Europa staunten nicht schlecht, denn das Hauptquartier der Park-Ranger war eine Ansammlung von Holzgebäuden, die von einem großen Palisadenzaun umgeben war. Vor dem Tor stand eine Doppelwache in hellbraunen Uniformen und mit Pistolen bewaffnet. Sie grüßten militärisch, als der Wagen durch das Tor fuhr.
„Wie euch vielleicht aufgefallen ist, besteht unsere SMU lediglich aus acht Mann. Wir haben ein Team aus zwei Bannmagiern und einem Astralmagier, falls wir ein Tor schließen müssen. Ich bin ein Gestaltwandler und Maew ist mein Partner.“
Alle Besucher sahen Flame nun neugierig an und eine unausgesprochene Frage schwebte fast förmlich durch den Kleinbus. Flame grinste leicht.
„Ich bin ein Ying Long.“
Prasong brach in einen Hustenanfall aus und Lucien starrte ihn verblüfft an. Er kannte sich genug mit asiatischer Mythologie aus um zu wissen, was ‚Long‘ bedeutete.
„Ein WAS?“
Tobias und Florian waren vollkommen ahnungslos, bis Flame es wiederholte.
„Ein Ying Long. Ein sprechender Drache. Und Maew ist mein Reiter.“
Bangkok, Thailand, Anno Domini 2014
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Lehrer, aber mir ist wieder einmal übel. Ich müsste wohl mal nach Draußen.“
Irritiert unterbrach der Lehrer seine Ausführungen an der Tafel und drehte sich zur Klasse herum.
„Das ist jetzt schon das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen. Du solltest wirklich einmal zum Arzt gehen, Flame.“
„Ja, Herr Lehrer. Vielen Dank.“
Nach einer kurzen Verbeugung und einem dankbaren Wai schnappte sich Flame seine bereits gepackte Tasche und schlich mit schmerzhaft verzogenem Gesicht zur Tür.
Sein Banknachbar sah ihm nachdenklich hinterher. Es war tatsächlich das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen und jedes Mal erstaunlicherweise, nachdem Flame eine Nachricht auf seinem Handy bekommen hatte. Wo wollte er wirklich hin?
„Herr Lehrer, ich glaube mir wird auch schlecht. Vielleicht ist ja was im Essen gewesen heute.“
Alarmiert drehte sich der Lehrer ein zweites Mal um und musterte die Klasse. In der hintersten Reihe hob noch jemand die Hand.
„Ich glaube, ich auch.“
„Bei dir glaube ich eher, es ist die Unwissenheit in Mathematik die dir Bauchschmerzen macht.“
Dann sah der Lehrer wieder zur vorderen Bank.
„Du kannst auch gehen, Maew. Am besten gehst du zur Schulschwester.“
„Danke, Herr Lehrer.“
Ohne seine Sachen mitzunehmen, ging Maew nach einem knappen Wai jetzt ebenfalls zur Tür. Draußen sah er sich um. Auf dem Gang war niemand mehr, aber unten im Innenhof der Schule sah er Flame schnell auf das Schultor zueilen. Maew rannte die Treppe hinunter, nur um zu sehen, wie Flame nach links abbog. So schnell er es riskieren konnte ohne aufzufallen, rannte er Maew hinterher.
Am Tor angekommen sah er nur noch, wie Flames kleine, schlanke Gestalt in einen Kleintransporter mit getönten Scheiben einstieg. Was ging hier vor?
Maew und Flame kannten sich schon seit der siebten Klasse. Ihre Eltern wohnten in dem gleichen Viertel und sie absolvierten meist den Schulweg gemeinsam. Doch seit dem letzten halben Jahr benahm sich Flame ziemlich seltsam.
Während die Tür des Transporters geschlossen wurde, konnte Maew einen kurzen Blick in das Innere werfen. Drinnen saßen mehrere junge Männer, die Flame freundlich begrüßten. Maew spürte plötzlich einen Stich von Eifersucht. Dann schüttelte er sich. Warum? Sicher, Flame war sein bester Freund, aber es war schließlich seine Sache, mit wem er seine Zeit verbrachte. Maew konnte sich nicht erinnern, dass Flame im letzten halben Jahr über irgendwelche anderen Freunde mit ihm gesprochen hatte.
Schnell winkte Maew eines der Motorradtaxis heran und kam sich reichlich dämlich vor, als er den Satz sprach, der in fast jedem zweiten Film zu einem Lacherfolg führte.
„Folgen Sie diesem Wagen.“
Nach einer ziemlich schnellen Fahrt durch Bangkok endete die Reise in einem heruntergekommenen Vorort neben einer leeren Fabrikhalle. Maew bezahlte das Taxi mit seinem letzten Geld und fragte sich, wie er wohl wieder zurückkommen sollte. Unsicher sah er sich um, seine Schuluniform mit dem weißen Hemd und der dunkelblauen kurzen Hose wirkte in dieser Gegend etwas deplatziert.
Erst jetzt hörte er den Lärm aus der Halle. Es klang wie das tiefe Tuten einer Schiffssirene, dem ein helles Fauchen, ähnlich einer entzündeten Gasflamme folgte. Dann war kurze Zeit Ruhe bis ein Schrei ertönte.
Maew hielt jetzt nichts mehr. Neugierig öffnete er die Stahltür, die in einen kleinen Bürotrakt führte. Nach einigen leeren Büros gelangte Maew in den ehemaligen Umkleideraum der Angestellten. An den Wänden waren noch etliche Spinde und in der Mitte stand eine einsame Holzbank. Darum herum hatten sich sechs junge Männer, alle nur wenige Jahre älter als Maew, versammelt. Maew traute seinen Augen kaum. Sie trugen eine schwarze Panzerung, als ob sie einem Science-Fiction-Film entsprungen wären. Soweit er erkennen konnte, waren es elastische Anzüge mit aufgesetzten Platten.
Alle sechs drehten sich zu Maew um und sahen ihn erstaunt an. Dann fiel Maews Blick auf die Bank. Dort lag, fein säuberlich zusammengefaltet, eine Schuluniform mit Flames Nummer. Maew fuhr herum.
„Wo ist Flame!? Was habt ihr mit ihm gemacht?“
Einer der Fremden kam langsam auf Maew zu und erhob die Hände.
„Wir haben nichts mit ihm gemacht. Es geht ihm gut.“
„Und was ist das da?“
Mit zitternden Händen deutete Maew auf Flames Sachen.
„Ich kann dir alles erklären…“
In dem Moment trat ein weiterer der Männer nach vorne, stellte sich neben den Sprecher und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Lass‘ ihn. Er kann ruhig nach hinten.“
„Wenn du meinst…“
Der neu hinzu gekommene Mann nickte und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf eine weitere Stahltür, die anscheinend in die alte Werkshalle führte.
Maew kam sich allmählich etwas merkwürdig vor, doch entschlossen ging er hinüber, riss die Tür auf und betrat die Halle. Hinter ihm fiel die Tür wieder laut ins Schloss, aber das nahm Maew schon gar nicht mehr wahr. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt dem Wesen, das mitten in der Halle stand und neugierig auf ihn herabsah.
Maew machte instinktiv einen Schritt zurück, doch da wurde er von der geschlossenen Tür aufgehalten. Seine Arme hingen bewegungslos herab und er konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Vor ihm in der Halle stand ein wohl über vier Meter hoher, gut zehn Meter langer, rot geschuppter Drache. Er schien direkt einer der alten Sagen entsprungen zu sein und Maew glaubte erst an ein Modell, doch dann senkte sich langsam der Kopf des Drachen und war fast in Augenhöhe mit Maew.
Maew hob seinen Kopf und sah dem Drachen in die Augen. Es waren keine geschlitzten Pupillen wie er erwartet hatte, sondern einfarbige braune Augen mit kleinen goldenen Sprenkeln.
‚Genau wie bei Flame. ‘ durchfuhr es Maew.
Es hatte einige Momente gegeben, in denen sie sich in die Augen gesehen hatten. Erst vor wenigen Tagen, als Flame bei ihm übernachtete hatte, war so ein Moment gewesen. Sie hatten auf dem Bett herumgetobt und als Flame ruhig unter ihm liegen geblieben war, waren ihre Gesichter so nahe, dass sie sich in die Augen sehen konnten und ihre Münder waren so nah, dass Maew ihn beinahe…, doch dann kam Maews kleine Schwester hereingestürmt und sie mussten sich schnell wieder trennen. Warum hätte er ihn auch küssen sollen. Maew wusste, er war nicht schwul. Er hatte schließlich eine Freundin.
Warum ihm das alles jetzt durch den Kopf schoss, wusste er ebenso wenig, aber dieser Drache vor ihm schien so real zu sein wie nur irgendetwas. Plötzlich erhob sich das riesige Ungeheuer vor ihm und sein Kopf reichte fast bis zur Hallendecke. Erst jetzt traute sich Maew, den Drachen genauer zu betrachten. Der langgestreckte, schlangenartige Rumpf mit dem federähnlichen Schwanz und den vier kurzen Beinen entsprach ganz der Tradition der asiatischen Mythologie, nicht jedoch der Kopf. Die Schnauze war kürzer und er hatte weder einen Bart noch Hörner. Lediglich zwei große Ohren standen senkrecht hoch. Ganz automatisch ruckte Maews Blick nach unten auf die Krallen des Drachen. Der Drache hatte sechs Zehen, kein Drache hatte sechs Zehen!
Maew versuchte, noch weiter zurückzuweichen, aber er stand immer noch mit dem Rücken zu der geschlossenen Tür. Dann weiteten sich seine Augen vor Erstaunen. Der Drache schien zu schrumpfen! Langsam, aber unaufhörlich, wurde er kleiner. Als er eine Größe von etwa zwei Metern erreicht hatte, änderte sich sein Erscheinungsbild komplett. Während der Körper geschrumpft war, waren die Hinterbeine länger geworden und er stand jetzt aufrecht. Er sah jetzt fast so aus wie ein Mensch mit dem Kopf eines Drachen, Krallen anstatt von Händen und mit einem bis auf den Boden reichenden Schwanz, komplett bedeckt von roten Schuppen.
Doch auch dieses Bild veränderte sich langsam. Der Schwanz wurde kleiner und verschwand ganz. Die lange Schnauze wurde kürzer und die roten Schuppen schienen zu verblassen. Innerhalb von etwa 30 Sekunden war der Drachen gänzlich verschwunden und zurück blieb ein splitternackter junger Mann, der Maew erstaunt ansah.
„Maew! Was machst du denn hier?“
„Flame?“
Maew röchelte etwas. In seine Netzhaut brannte sich förmlich der Anblick der nackten Gestalt ein, dann wurde es schwarz um Maew.
„Warum hast du ihn reingeschickt?“
„Weil ich seine Aura gelesen habe. Ich glaube, dass es sehr interessant werden könnte, denn sie ist weiß und ungeprägt.“
„Was? Magie ohne Bindung? Das ist gefährlich.“
„Nein, ich denke, nicht. Vielleicht ist das ja gerade die Bindung.“
„Sprich nicht in Rätseln. Wir müssen… oh, er wird wieder wach.“
Maew hatte Kopfschmerzen und fühlte sich etwas desorientiert. Langsam richtete er sich auf. Er bemerkte, dass er auf der Bank gelegen hatte, die in dem Umkleideraum stand. Ruckartig sah er sich um.
„Ich bin hier.“
Flame stand, wieder ordnungsgemäß in seine Schuluniform gekleidet, neben den sechs jungen Männern, die jetzt Jeans und T-Shirt trugen und gerade ein paar große Segeltuchtaschen verschlossen. Maew schüttelte sich etwas, dann stürzten die letzten Erinnerungen auf ihn ein. Mit aufgerissenen Augen sah er Flame an.
„Du! Du warst ein… ein Drache.“
Statt in Gelächter auszubrechen, wie Maew es fast erwartet hatte, nickte Flame nur stumm.
„Ja. Ist ja nicht so schlimm oder?“
„Nicht so schlimm!?“
Maew quiekte fast.
„Ich bin tausend Tode gestorben. Was ist hier los? Wer sind die?“
„Ich erkläre es dir auf dem Rückweg. Wir müssen hier weg.“
Flame kam langsam auf ihn zu, nahm seinen Arm und zog ihn in Richtung Ausgang. Maew schüttelte die Hand ab.
„Ich will jetzt wissen, was hier los ist!“
Etwas genervt sah sich Flame zu den anderen Sechs um, die schon etwas ungeduldig waren.
„Ist in Ordnung. Schickt bitte einen Abholer. Bis dann.“
Als sie hinausgingen, gab jeder der sechs Flame einen Kuss auf die Wange. Maew sah ihnen mit offenem Mund hinterher. Schon wieder ein Stich von Eifersucht. Hey, das war sein Freund! Moment, Freund ja, aber nicht Boyfriend. Wütend über sich selber fuhr Maew herum.
„Was sollte denn das? Bist du jetzt auch noch schwul?“
Flame setzte sich auf die Bank und sah seinen Freund resigniert an.
„Nein, ich bin nicht jetzt auch noch schwul, ich bin es schon die ganze Zeit.“
„Du bist was!? Du hast mir die ganze Zeit etwas vorgelogen?“
Flame fuhr von der Bank hoch.
„Ich habe dir nie etwas vorgelogen. Ich habe nie behauptet, ich wäre etwas Anderes. Ich habe nie eine Freundin gehabt und ich habe auch nie etwas gesagt, als mich die Jungs in der Schule damit aufgezogen haben, ob ich dann wohl lieber einen festen Freund hätte.“
Maew senkte den Kopf. Es stimmte, Als alle anderen eine Freundin hatten, war Flame nie mit einem Mädchen länger als einen Tag gesehen worden. Und der Joke mit dem Boyfriend hatte sich mit der Zeit auch abgenutzt.
„Und was hat das jetzt mit diesem… diesem Drachen zu tun?“
„Ganz einfach. Ich bin ein Gestaltwandler.“
Maew starrte seinen Freund erbost an.
„Na klar. Ganz einfach. Du bist ein Gestaltwandler. Noch was? Ach ja, ein schwuler Gestaltwandler!“
Flame sah zu ihm herüber und seufzte.
„Ob du es glaubst oder nicht, aber das Eine ist mit dem Anderen unmittelbar verbunden.“
„Hä?“
„Wenn du mir ein paar Minuten zuhörst, ohne mich zu unterbrechen, werde ich es dir erklären.“
Flame klopfte mit der Hand auf die Bank neben sich und Maew setzte sich zögernd hin.
„Als ich Dreizehn war, hatte ich meinen ersten feuchten Traum…“
Flame hob seine Hand, weil Maew angesetzt hatte zu sprechen. Maew schloss seinen Mund wieder und nickte dann.
„Also, mit Dreizehn. Ich habe bei diesen Träumen immer nur einen Inhalt gehabt. Ich habe von Drachen geträumt. Irgendwann begann ich nachts aufzuwachen und ich hatte mich verändert. Mal waren es lange Ohren, Krallen an meinen Händen oder einmal sogar ein langer Schwanz. Ein Drachenschweif, du Depp.“
Flame war etwas verärgert, als Maew bei dem Wort Schwanz anfing zu grinsen.
„Du hast mir nie etwas davon erzählt.“
„Nein. Hast du mir von deinem ersten Mal erzählt? Oder an was du damals gedacht hast?“
Maew lief rot an. Nein, ganz gewiss nicht. Es war in der Nacht, nachdem sie vom Sport gekommen waren und zusammen geduscht und sich den Rücken gewaschen hatten. Nachts träumte Maew dann, wie er Flame abseifte. Nicht den Rücken, sondern die Vorderseite. Bis zum Bauchnabel war er gekommen, als er völlig verschwitzt aus seinem Traum hochschreckte und bemerkte, was dieser verursacht hatte. Nie im Leben würde er Flame davon erzählen!
Flame wertete das Schweigen als Zustimmung.
„Na also. In dem Jahr darauf bekam ich Post. Von einer Selbstverteidigungsschule. Ich hätte sie ignoriert, wenn nicht das Logo der Schule genau der Drache gewesen wäre, von dem ich immer geträumt hatte. Dort wurde mir tatsächlich auch gezeigt wie eine richtige Verwandlung und eine Rückverwandlung bewusst erfolgen. Außerdem wurde ich gefragt, ob ich für eine bestimmte Institution arbeiten möchte, die Verwendung für einen Drachen hätte.“
Jetzt hielt es Maew nicht mehr aus.
„Welche Institution braucht denn Drachen?“
Die Formulierung zeigte Flame, dass Maew es anscheinend akzeptiert hatte, dass es Drachen wirklich geben könnte.
„Nun, zum Beispiel jemand, der Dämonen bekämpfen möchte.“
„Ja, klar. Erst Drachen, jetzt Dämonen. Hast du sie eigentlich nicht mehr alle? Was willst du mir hier eigentlich erzählen?“
Flame fluchte innerlich. Das war ja nach hinten losgegangen.
„Okay, dann anders.“
Flame erhob sich und begann sein Hemd aufzuknöpfen.
„Was wird das?“
Maews Stimme klang ein wenig hektisch.
„Ich werde es dir noch einmal demonstrieren.“
Maew starrte Flame wortlos an, als dieser sein Hemd auszog, Schuhe und Strümpfe abstreifte und die kurze blaue Hose herunterzog. Als Flame sich ohne zu Zögern die Unterhose herunterzog, senkte Maew seinen Blick.
„Du kannst mich ruhig ansehen. Du hast mich schon öfter nackt gesehen.“
Ja, dachte Maew, aber wir sind hier nicht unter der Dusche.
Trotzdem hob er den Kopf und war sofort fasziniert von der schlanken sportlichen Gestalt mit der hellbraunen Haut, den braunen Augen und den… Maew wurde sich schlagartig bewusst, dass er gerade eine steinharte Erektion hatte, die sich in der engen kurzen Hose auf keinen Fall verbergen ließ. Flame hatte sie ebenfalls bemerkt, versuchte aber, sich nicht ablenken zu lassen.
Wie beim ersten Mal, konnte Maew verfolgen, wie sich der Körper seines Freundes veränderte und nach kurzer Zeit ein zwei Meter großer roter Drache, aufrecht vor ihm stand. Der Drache winkte mit einer Hand. Oder Kralle? Oder Tatze? Maew stand zögernd auf und trat näher. Sein Arm wurde vorsichtig von einer der Krallen ergriffen und seine Hand wurde auf den Körper des Drachen gelegt, kurz unterhalb des Halses.
Maew spürte die Schuppen des Drachen. Sie waren nicht etwa hart, wie aus Metall, sondern etwas nachgiebig, so wie Hartgummi. Am meistens aber erstaunte Maew, dass der Körper warm war, anscheinend wärmer als ein menschlicher Körper. Fasziniert fuhr Maew mit der Hand etwas tiefer und spürte den langsamen Schlag eines Herzens. Mutiger geworden fuhr Maew an dem Körper entlang, dann auf dem Rücken entlang, fast bis hinunter zur Schwanzspitze.
Dann näherte er sich wieder dem Hals, fuhr hinauf zum Kopf und strich dann sanft über die Nüstern. Dann folgte ein tiefer Blick in die braunen Augen. Vorsichtig wurde Maew von den großen Krallen ergriffen und neben den Drachenkörper geschoben. Die Schnauze öffnete sich und mit einem Fauchen entwich ein gebündelter Flammenstrahl, der auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes einen einsamen Blechspind traf.
Maew war zunächst zusammengezuckt, ging dann aber vorsichtig hinüber zu den Überresten des Spindes. Alles was er fand, war eine kleine Pfütze flüssigen Metalls, das gerade knisternd abkühlte.
Als er sich umdrehte, hatte sich die Schnauze wieder geschlossen, aber die Lefzen waren hochgezogen, so dass er die großen Reißzähne sehen konnte.
‚Können Drachen lächeln?‘, schoss es ihm durch den Kopf.
Langsam trat er wieder näher und ganz impulsiv legte er dem Drachen seinen Kopf auf die Brust um dem Herzschlag zu lauschen. Er bemerkte, wie der Drachen sich langsam verwandelte, aber er ließ nicht los. Da Maew etwas größer als Flame war, lag Maews Kopf jetzt auf Flames Schultern. Sanft strich Flame Maew über die Haare. Als Maew seinen Kopf hob, sah er an Flame herunter und er bewunderte jeden Zentimeter an seinem Gegenüber. Auch die Zentimeter, die jetzt gerade ziemlich ersichtlich abstanden. Maew sah Flame ins Gesicht, dann wieder in die braunen Augen. Langsam und vorsichtig fanden sie sich zu einem scheuen Kuss.
„Ich… ich verstehe das nicht. Ich bin nicht schwul.“
Impulsiv stieß Maew Flame leicht von sich. Dieser sah seinen Freund nachdenklich an. Maew war fast einen halben Kopf größer als Flame und hatte eine hellere Haut. In seinen Gesichtszügen mischten sich die ausgeprägte Nase und der breitere Mund eines Europäers mit den asiatischen mandelförmigen Augen und kastanienroten glatten Haaren.
Seufzend griff Flame nach seinen Sachen und begann sich wieder anzuziehen. Maew war schon immer etwas merkwürdig gewesen. Er hatte einen hohen Verschleiß an Freundinnen, die fast monatsweise wechselten und doch hatte er sich wiederholt bei Übernachtungen kommentarlos an Flame angekuschelt, als er glaubte, dass dieser schon schlafen würde. In der Schule nach dem Sport war Maew nie komplett nackt unter der Dusche, ganz im Gegensatz von zu Hause, wo er schon öfter zusammen mit Flame unter einer Dusche gestanden und sie sich gegenseitig den Rücken geschrubbt hatten.
„Wir müssen los, der Abholer wird schon warten. Ich erklär es dir wirklich unterwegs.“
„Und wenn ich es gar nicht wissen will? Ich will ins Bett und morgen früh aufwachen und hab das alles nur geträumt.“
„Du hast das alles nicht geträumt. Soll ich es dir etwa noch einmal vorführen?“
„Brauchst du noch mal einen Grund, um dich nackt zu zeigen? Was willst du damit bezwecken? Ich bin nicht schwul, ich habe eine Freundin.“
„So wie die anderen drei in diesem Jahr?“
Maew hatte sich schon zur Tür gewandt, als er erbost herumfuhr.
„Was geht dich das an? Lass dich von einem von deinen Freunden von vorhin ficken. Aber lass mich damit zufrieden. Ich will jetzt nur noch nach Hause!“
Wütend stürmte Maew zur Tür hinaus. Flame sah ihm traurig nach, schüttelte nur den Kopf und sammelte seine restlichen Sachen zusammen.
Draußen stand bereits ein unauffälliger Wagen mit getönten Scheiben. Flame kontrollierte das Nummernschild, dann bedeutete er Maew, hinten einzusteigen. Als er sich neben ihn setzte sah Maew demonstrativ aus dem Fenster. Während der ganzen Rückfahrt sprachen die Beiden kein Wort miteinander.
Am nächsten Morgen wartete Flame vergeblich auf eine Begleitung auf seinem Schulweg. Im Klassenraum sah er, dass Maew bereits dort war und einen ihrer Klassenkameraden die Hausaufgaben abschreiben ließ. Ebenso hatte Maew seinen Platz neben Flame mit Duen getauscht. So ging es ein paar Tage lang, bis Maew überraschend zum Direktor gerufen wurde.
„Ah, Tanasugarn. Sehr gut, nimm Platz.“
Höflich grüßte Maew den Direktor und auch den Besucher, der auf einem der beiden Stühle vor dem Schreibtisch des Direktors saß. Etwas eingeschüchtert nahm Maew auf dem zweiten Stuhl Platz. Unauffällig musterte er den Besucher, einen etwa dreißigjährigen Mann in einem geschäftsmäßigen Anzug.
„Direktor Prachuab, dies ist der Schüler von dem ich Ihnen berichtet habe. Er heißt Nongchai Tanasugarn, wird aber Maew gerufen. Er ist unser bester Schüler in diesem Abschlussjahrgang und könnte Sie mit seinen Leistungen vielleicht erleuchten.“
Überrascht sah Maew seinen Direktor an. Wie sollte er jemanden erleuchten können?
Bei dem Gesicht, das Maew gerade machte, lachten beide Männer laut auf.
„Ich werde es erklären. Ich bin Direktor Prachuab und der Pädagogische Direktor einer Privaten Oberschule in Nong Khaem. Die Schule existiert erst seit drei Jahren und wir haben das Problem, dass in den letzten zwei Jahren die Prüfungsergebnisse der Abschlussklassen nicht besonders gut waren. Eigentlich sind wir eine Sportschule, das heißt, bei uns liegt der Schwerpunkt in der sportlichen Ausbildung, aber natürlich darf dabei das akademische Wissen nicht vernachlässigt werden. Wir möchten nun wissen, ob die Wissensvermittlung an unserer Schule vielleicht nicht so gut ist, wie sie sein sollte. Aus diesem Grund bitten wir gerade mehrere Schulen um einige Schüler, die für zwei Wochen bei uns am Unterricht teilnehmen und uns dann sagen können, ob sie das verstanden haben, was wir ihnen vermitteln wollten.“
Der Ausdruck auf Maews Gesicht wurde nicht besser, doch der Direktor nickte.
„Ja, es ist tatsächlich so. Sogar das Bildungsministerium hat zugestimmt. Wie wäre es, für zwei Wochen die Schule zu wechseln? Deine Leistungen würden wohl kaum beeinträchtigt, wie ich das sehe. Es ist noch genug Zeit vor den Prüfungen.“
Maew dachte kurz nach, dann lächelte er etwas gezwungen.
„Ich bedanke mich für die Ehre und stimme zu. Wann soll es losgehen?“
Die beiden Männer erhoben sich und Maew ebenfalls. Direktor Prachuab nickte Maew freundlich zu.
„Wir werden eine schriftliche Nachricht mit allen Erklärungen und Angaben an deine Eltern schicken. Wenn nichts dagegen spricht kann es schon am nächsten Montag losgehen.“
Der Brief kam tatsächlich schon am nächsten Tag und Maews Vater war sichtlich stolz, dass sein Sohn für eine solch wichtige Aufgabe ausgewählt worden war. Nach einem kurzen Gespräch reichte er Maew den Umschlag mit den genauen Daten.
Als Maew auf seinem Zimmer war, nahm er den Brief aus dem Umschlag und erstarrte. Der einzelne Bogen hatte den Kopf dieser privaten Schule in Nong Khaem und daneben war ein großes Wappen. Es zeigte einen asiatischen Drachen mit roten Schuppen, jedoch ohne Hörner und Bart, dafür mit sechs Zehen.
Das ganze Wochenende verbrachte Maew, aufgewühlt und ratlos, fast nur auf seinem Zimmer.
‚Das ist alles nur ein Zufall. Nein, niemals. Solche Zufälle gibt es nicht. Soll ich rüber zu Flame? Nein, ich will ihn nicht mehr sehen. Soll er rummachen, mit wem er will. Obwohl, er sieht recht gut aus. Hallo? Geht’s noch? Das ist ein Junge! Warum ausgerechnet ich? Werde ich etwa verfolgt? Flame hat das angezettelt. Nein, das trau ich ihm nicht zu. Das ist alles nur ein Zufall…‘
Maews Gedanken drehten sich wie wild im Kreis. Am Montagmorgen fragte ihn seine Mutter, ob er ernsthaft krank sei.
„Nein, nein. Mir geht es gut. Ich bin nur etwas nervös.“
„Das legt sich wieder. Ach übrigens, Flame war vorhin hier und hat nach dir gefragt.“
„Was!? Was hast du ihm gesagt?“
„Na, ich habe ihm von deinem Auftrag erzählt und er schien irgendwie erschrocken zu sein. Er wollte heute Abend noch einmal vorbeikommen.“
Maew gab nur ein leichtes Knurren als Antwort, dann machte er sich auf den Weg.
Bei der Privatschule angekommen, sah er sich auf dem Schulgelände mit vielen neugierigen Blicken konfrontiert. Aufgrund der anwesenden Schüler schloss er, dass es eine All-Boys-School war und es schienen nur die obersten drei Jahrgänge vertreten zu sein.
Als er sich im Sekretariat meldete, wurde er zum Direktor hereingebeten. Der Direktor saß hinter seinem Schreibtisch und vor dem Schreibtisch stand bereits ein weiterer Besucher.
„Flame!“, entfuhr es Maew
Dann drehte er sich zum Direktor und verbeugte sich mit einem entschuldigenden Wai.
„Entschuldigen Sie bitte, aber ich war überrascht.“
Nach einem kurzen Zögern und einem weiteren Blick auf Flame fuhr er fort.
„Entschuldigen Sie nochmals, aber - warum bin ich hier. Die Sache mit der Prüfung ist anscheinend nur ein Vorwand gewesen.“
„Ebenfalls einen guten Morgen.“
Maew wurde rot und verbeugt sich nochmals tief.
„Nein, die Sache mit der Prüfung ist real, wir möchten wirklich unsere Methodik überprüfen. Aber da ist tatsächlich noch etwas anderes. Du hast dem Tian Long nicht geglaubt und ihm nicht zugehört. Darum möchten wir hier noch einmal die Gelegenheit wahrnehmen, alles in Ruhe zu erklären.“
Maew öffnete den Mund für eine Antwort, dann stoppte er und sein Kopf fuhr zu Flame herum. Der Direktor hatte vom Tian Long gesprochen. Dieses chinesische Wort bedeutete Himmelsdrachen. Und er hatte anscheinend Flame damit gemeint, denn niemand sonst war im Raum.
„Bevor es aber dazu kommt, haben wir noch ein anderes Problem zu lösen. Ich sage es gleich frei heraus: Alle hier auf dem Gelände lebenden und studierenden Schüler sind schwul. Alle, ausnahmslos. Es ist einer der Gründe, warum sie hier sind. Wenn du ein Problem damit hast, geben wir dir die Möglichkeit, darüber zu sprechen oder wir brechen das Ganze hier ab.“
‚Ich wusste es! Ich wusste es. Es war ein Trick dabei. Sie haben mich hergelockt um… ja, um was eigentlich? Mich zu verführen? Mich zu überreden etwas zu tun, was ich gar nicht will? Ja, was denn? Flame, dieser gemeine… warum siehst du mich so traurig an? Bitte, sei nicht traurig. Ich mag es, wenn du lächelst, wenn du bei mir bist…‘
Nur ein kurzes Zögern, dann hatte Maew Flame umarmt und wieder, wie beim letzten Mal, seinen Kopf auf dessen Schulter gelegt. Doch jetzt weinte Maew bittere Tränen.
„Bitte, Flame, sei nicht traurig. Ich mag es, wenn du lächelst, wenn du bei mir bist…“
Der Direktor hatte sich schweigend erhoben und den Raum verlassen. Flame strich seinem Freund beruhigend über den Rücken.
„Es ist gut, Maew. Ich bin bei dir.“
„Warum?“, schluchzte Maew,
„Warum ausgerechnet ich? Bitte, sag es mir.“
Flame schloss die Augen und war kurz davor, ebenfalls in Tränen auszubrechen.
„Ich kann es dir nicht sagen“, flüsterte er.
„Ich weiß nur, dass ich dich mag, mehr als alles andere auf der Welt. Ich weiß es, seit wir uns das erste Mal sahen. Ich konnte es erst nicht richtig begreifen, doch dann fühlte ich mich immer mehr zu dir hingezogen. Und gleichzeitig musste ich den Abstand wahren, weil ich nicht wusste was du fühlst oder wie du reagierst. Jedes Mal, wenn du mit einer neuen Freundin aufgetaucht bist gab es mir einen Stich ins Herz.“
Maew hatte aufgehört zu weinen und löste sich ganz langsam und zögernd von Flame. Mit einem Handrücken versuchte er die Tränen wegzuwischen, doch Flame hob beide Hände und fuhr mit den Daumen den Tränenspuren nach. Maew lächelte leicht und senkte dann den Kopf.
„Wir haben so viel gemeinsam unternommen und doch habe ich mich immer geweigert in dir mehr zu sehen als einen Freund. Es war für mich unendlich schwierig, zusammen mit dir zu duschen oder auch nur an den Strand zu gehen. Immer wieder habe ich mir eingeredet, es wäre alles ganz normal. Doch letzte Woche, als ich mit Saeng zusammen war, da wollte ich es wissen. Wir haben uns geküsst und es wurde stürmischer und … und plötzlich habe ich dein Gesicht vor mir gesehen anstatt ihres.“
Maews Stimme war zum Ende hin immer leiser geworden. Flame sah zu ihm auf und auch er lächelte jetzt. Sanft berührte er Maews Wange mit einer Hand.
„Möchtest du es jetzt noch einmal versuchen?“
Maew sah ihn an, dann beugte er sich herunter und sie küssten sich, zart und vorsichtig, dann etwas leidenschaftlicher. Als sie sich trennten, sah Maew, dass jetzt auch Flame einige Tränen herabliefen. Und dann liefen wie im Film einige Szenen aus Maews Leben vor seinem inneren Auge ab. Er, bei seiner Einschulung zusammen mit Flame. Szenen am Strand, beim Sport, bei Videospielen. Flames unendlich trauriges Gesicht, als Maew ihm seine erste Freundin vorstellte. Flames strahlendes Lächeln, als er ihm zum Geburtstag einen großen lenkbaren Papierdrachen geschenkt hatte. Wie in einem Puzzle fielen die letzten Teile an ihren Platz und Maew wusste, was er zu tun hatte. Entschlossen beugte er sich wieder vor und flüsterte Flame ins Ohr
„Suriwongse Chantaphasouk, ich liebe dich.“
Dann küssten sie sich ein zweites Mal. Da Maew diesmal Flames Kopf in seinen Händen hielt bemerkte er eine Veränderung an den Ohren. Sie fingen langsam an zu wachsen und wurden spitzer. Verdutzt fuhr er zurück.
„Was…?“
„Verdammt, nicht jetzt. Einen Moment bitte.“
Maew ließ die Arme hängen und betrachtete Flame erstaunt, als dieser die Augen schloss und sich konzentrierte. Langsam nahmen die Ohren wieder die ursprüngliche Form an.
„Es tut mir leid, aber das passiert manchmal, wenn ich starken Gefühlen ausgesetzt bin und mich nicht beherrschen kann“, und mit einem kurzen Blick auf Maew „oder will. Aber komm, ich bin auch hier, um dir einige andere Sachen zu zeigen und zu erklären.“
„Ich bin hier, weil ich freigestellt worden bin. Musst du nicht zu unserer Schule?“
Flame senkte lächelnd seinen Kopf.
„Ich bin zufälligerweise ebenfalls ausgewählt worden, an dieser Überprüfung der Methodik teilzunehmen.“
Maew sah ihn merkwürdig an, folgte ihm aber nach Draußen.
Draußen vor dem Gebäude nahm Flame Maew einfach an der Hand und sie gingen über das Schulgelände. Maew war es erst unheimlich peinlich, aber es waren im Moment keine anderen Personen zu sehen und so gewöhnte er sich daran. Als sie zum Ballspielplatz kamen, sah Maew einige Jungen im weißen Sportzeug Basketball spielen. Die Hälfte der Spieler hatte die Oberteile ausgezogen um die Mannschaft zu kennzeichnen. Maews Blick wanderte über die nackten Oberkörper und zum ersten Mal konnte er ohne Schuldgefühle andere Jungen beobachten und bewundern. Plötzlich spürte er einen leichten Schlag am Hinterkopf.
„Au, was war das denn?“
Flame grinste ihn an.
„Typisch, kaum hast du dich an den Gedanken gewöhnt, schon schaust du anderen Kerlen hinterher.”
„Hey, ich schau nicht hinterher, ich…“
Maew wurde von einem leisen Ruf unterbrochen und er sah wieder nach vorne. Die Jungen hatten aufgehört zu spielen und sich alle herumgedreht. Simultan verbeugten sie sich und grüßten das neu angekommene Paar mit einem ehrfürchtigen Wai.
„Hört auf damit. Ich habe euch gesagt, dass ihr das nicht sollt.“
Ein hochgewachsener Junge, größer noch als Maew, mit deutlich koreanischen Gesichtszügen, sah kurz über seine Mannschaftskameraden hinweg, dann wandte er sich an Flame.
„Wir wissen es, P’Flame, doch trotzdem, du bist der Tian Long. Unser Leben kann von dir abhängen.“
Erstaunt hatte Maew der kurzen Unterhaltung gelauscht. Was bedeutete das denn jetzt wieder?
Der große Koreaner deutete ansatzweise auf die Hände von Maew und Flame, die sich ganz automatisch wiedergefunden hatten.
„Und du hast jemanden gefunden, P’Flame, wie es den Anschein hat. Wird er auch der Eine sein?“
Maew wurde immer verwirrter und Flame lief jetzt tatsächlich rot an.
„Wir wissen es noch nicht Jun. Lass uns erst einmal zu uns selbst finden.“
Entschlossen zog er jetzt Maew weiter mit sich in Richtung eines großen Unterrichtsgebäudes.
„Was sollte das alles bedeuten? Wieso hängt ihr Leben von dir ab? Und wer ist der Eine?“
„Einen Moment noch, ich werde dir alle Fragen beantworten, versprochen, aber warte, bis wir erst mit jemandem gesprochen haben, der die Grundlagen besser erklären kann als ich.“
Maew zögerte erst, doch dann ließ er sich mitziehen. Sie kamen zu einem der Unterrichtsräume und Flame sah auf seine Uhr. Er zuckte die Schultern, dann klopfte er leise. Aus dem Raum kam gedämpft eine Stimme.
„Ihr könnt ruhig hereinkommen.“
Flame öffnete die Tür und zog Maew mit sich, dann schloss er leise wieder die Tür. Maew sah sich um. Es war ein Meditationsraum ohne Tische und Bänke, lediglich Matten waren auf dem Boden ausgelegt. Dort saßen schon etwa ein Dutzend Schüler mit untergeschlagen Beinen und sahen interessiert auf die Neuankömmlinge. Auf dem Platz des Lehrers saß ein buddhistischer Mönch in seiner typischen orangefarbigen Tracht. Maew zuckte zusammen und völlig automatisch verbeugte er sich zum Wai mit den Händen vor dem Gesicht. Flame hatte auf die Reaktion gewartet und so erfolgte die Verbeugung simultan.
„Wir haben euch beide erwartet. Es ist gut, dass ihr einen Weg gefunden habt, der euch die Ruhe verschafft um zu hören und zu lernen.“
Leise suchten sich Maew und Flame einen Platz zwischen den anderen Schülern. Der Mönch schloss die Augen, dann begann er zu erzählen.
„Seit die Menschen denken können, versuchen sie, ihren Mitmenschen wegen ihres eigenen Vorteils oder um der Boshaftigkeit willen, einen Schaden zuzufügen. Denn Gier, Hass und Verblendung sind die Dinge, die Leid unter den Menschen hervorrufen. Es wurden Gesetze geschaffen, von göttlicher oder weltlicher Autorität, um die größten Fehler zu verhindern. Das Zusammenleben der Menschen musste geregelt werden um nicht im Chaos zu versinken. Ein erster Versuch um zu rechter Erkenntnis zu kommen und dadurch zu rechtem Handeln hinzuführen.“
„Die Taten der Menschen, die zu einer Verschlechterung des Zusammenlebens führen, erzeugen nicht nur Leid, sondern es entsteht so etwas, was in der westlichen Welt ein negatives Energieniveau genannt wird. Hierbei geht man davon aus, dass neben unserer Welt noch unendlich viele andere Welten alle auf einem anderen Energieniveau existieren. Wenn man diese Energieniveaus angleichen könnte, so könnte man sich theoretisch von einer Parallelwelt in die andere begeben. Wir befinden uns zu unserem Glück hinter einer Barriere, die uns von den anderen Welten abschirmt. Diese Barriere kann jedoch mit Gewalt durchbrochen werden, wenn das ‚Böse‘ direkt angerufen oder aufgefordert wird zu erscheinen. Dies kann vielfältig geschehen: Beschwörungen, Versuche in schwarzer Magie, Blutrituale und ähnliche Vorgehen sind eine Möglichkeit, die Barriere kurzfristig zu durchbrechen.“
Maew beugte sich zu Flame hinüber und flüsterte fast unhörbar
„Wer sollte denn so etwas tun?“
Der Mönch verstummte und drehte sein Gesicht mit den immer noch geschlossenen Augen direkt zu Maew.
„Es sind diejenigen, die aus Gier, Hass oder Verblendung handeln, wie die Lehre es sagt. Es sind diejenigen, die um ihren eigene Vorteil willen ihre Umgebung in tiefes Leid stürzen und sich selbst in den Mittelpunkt ihres Handelns gestellt haben.“
Maew erschrak und verbeugte sich bis zum Boden wegen seiner ungehörigen Unterbrechung.
„Wenn diese Vorgehensweisen aus einer tiefen Überzeugung heraus geschehen, werden die negativen Energien kanalisiert. Eine Gruppe Jugendlicher, die die Geister während einer Party anruft, ist normalerweise keine ernsthafte Bedrohung. Doch ist an einigen Stellen die Barriere so schwach, dass schon eine negative Grundstimmung ausreicht, ein Tor zwischen den Welten zu öffnen. Die Energie von schlechten Taten, wie immer sie auch aussehen, reicht schon aus und schwächt die Barriere zwischen den Welten. Es ist die Stimmung, der Antrieb der Menschen, die dieses Energieniveau regelt. Taten die zu Hass, Angst oder Furcht führen haben ein negatives Vorzeichen, positive Taten führen zu Freude, Liebe oder Zufriedenheit. Und lass es euch gesagt sein, böse Taten sind einfach, denn sie sind erst einmal nur auf euch selbst zentriert. Gute Taten betreffen immer die Menschen um euch herum. Es ist wie mit einer Kugel auf einer ebenen Fläche. Tust du nichts Relevantes, bewegt sie sich nicht. Neigst du dich dem Bösen neigt sich die Fläche und die Kugel rollt unaufhaltsam in den Abgrund. Willst du das Energieniveau wieder Anheben mit guten Taten, so musst du bildlich gesprochen die Kugel entgegen der Abwärtsneigung mühselig wieder hinaufrollen.“
Als der Mönch geendet hatte, wurde Maew aus seinen Gedanken gerissen. Vor seinem geistigen Auge rollte gerade eine weiße Billardkugel eine schräge Fläche hinab und nahm dabei immer mehr Fahrt auf.
„Komm, wir werden der Klasse folgen und auch am nächsten Unterricht teilnehmen.“
Immer noch von der philosophischen Betrachtung eingenommen folgte Maew seinem Freund – oder war er jetzt sein Boyfriend? – in den nächsten Klassenraum. Als sie sich in die letzte Reihe setzten, bemerkte Maew die neugierigen Blicke die ihnen von fast allen Schülern zugeworfen wurden. So langsam wurde es unheimlich. Dem Aussehen der Schüler nach schätzte Maew, dass dies Matthayom 4, also die drittletzte Jahrgangsstufe war, mit den 15 - 16jährigen.
Den Unterricht hier übernahm der Direktor persönlich. Er setzte sich vorne auf den Tisch um einen besseren Überblick zu haben.
„Wir haben heute zwei Gäste. Sie sind hier bei uns, weil wir in den nächsten Stunden eines der für mich interessantesten Themen behandeln werden, weil es uns zeigt, welchen Platz wir einnehmen in unserer Gesellschaft und wie wir handeln.“
„Die Besiedlung des asiatischen Raumes durch die frühen Menschen reicht viel weiter zurück als beispielsweise die von Nord-Europa. Man geht davon aus, dass sich Menschen in dem Raum, in dem wir jetzt leben, vor etwa 30.000 Jahren niedergelassen haben. Zunächst noch in kleinen Dörfern, dann in größeren Ansiedlungen und vor etwa zweitausend Jahren gab es schon die ersten ausgedehnten Reiche. Doch das ist nicht unser heutiges zentrales Thema. Wie ihr erfahren habt, ist das Zusammenleben der Menschen vom Leid geprägt, ausgelöst durch Gier, Hass und Verblendung. Diese Geistesgifte führten und führen auch heute noch zu unendlichem Leid.“
Als der Direktor sich umsah, merkte er wie alle der Schüler bereitwillig nickten. Die Grundlagen der buddhistischen Lehre waren einem jeden wohl bekannt.
„Zusätzlich zu der Welt in der wir leben, gibt es aber noch andere Welten. Von uns getrennt, doch am gleichen Ort, neben uns herlaufend und doch nie erreichend.“
Der Direktor machte wieder eine dramatische Pause und die Schüler nickten. Anscheinend hatten sie den Vortrag schon einmal gehört. Maew hatte den Eindruck, als ob das alles für ihn vorbereitet worden war.
„Der Vorhang zu einer dieser Welten zerreißt immer dann und dort, wo das Leid am größten ist. Dort, wo die Dämonen unser Leid spüren, oder sogar eingeladen werden, um Tod und Verderben zu bringen, wird ein Übergang geöffnet zwischen den Welten und die Dämonen bringen unendliches Leid über die Menschen.“
Maew überlegt, ob er den Begriff der Dämonen wörtlich nehmen sollte, als der Direktor fortfuhr.
„Um nicht alle Menschen durch die Dämonen in Furcht zu versetzen, wurde übereingekommen, sie zurückzuschicken in die Welt, von der sie stammen. Dazu muss das Tor geschlossen werden aus dem sie gekommen sind. Da sie dieses verteidigen, sind wir gezwungen zu töten, um größeres Leid zu vermeiden.“
Maew stellte sich gerade die verzweifelte Frage wie denn, bitteschön, eine Horde Fünfzehnjähriger Dämonen töten wollten.
„Der Erwachte gab uns den Hinweis und den Auftrag. Wir folgen dem Edlen achtfachen Pfad mit unseren Gedanken und Taten und vermeiden so das zukünftige Leid.“
Maew glaubte, sich verhört zu haben. Bezog sich der Direktor etwa tatsächlich auf Siddharta Gautama? Das war völlig unmöglich!
„Wir, die wir anscheinend mit einem Makel geboren wurden, denn viele betrachten unsere Liebe als sexuelles Fehlverhalten, wurden auch mit einer einmaligen Gabe geboren. Die Nutzung der Kraft des Geistes ist uns gegeben worden und wir nutzen diese Gabe verantwortungsvoll zum Wohle aller.“
Der Hinweis auf die Homosexualität war eindeutig, aber wieso alle? Etwa die ganze Klasse? Und auch der Direktor? Und was war diese Gabe der Kraft des Geistes?
Maew hatte nicht gemerkt, dass er leise vor sich hingemurmelt hatte und Flame beugte sich zu ihm herüber.
„Du erinnerst dich? Der Direktor hat ganz am Anfang gesagt, alle hier sind schwul und das hat er auch so gemeint. Das zweite erfahren wir nachher beim Sportunterricht.“
„So hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine Gemeinschaft zusammengefunden, die zusammengeschweißt wurde durch das Band der Liebe, die im Geheimen agierte um jeden Dämon zu täuschen und das Leid unter den Menschen gering zu halten. Diese Gemeinschaft hat im Laufe der Zeit verschiedene Formen annehmen müssen, hat sich in Klöstern versteckt und in den tiefsten Dschungeln. Schon früh gab es Kontakte zu anderen Gemeinschaften, die mit einer ähnlichen inneren Überzeugung und erstaunlicher Weise den völlig gleichen Mitteln, ebenfalls gegen die Dämonen kämpften und kämpfen. Heute ist unsere Gemeinschaft einer größeren Organisation angeschlossen, die die ganze Welt umspannt und doch fast wie auf verlorenem Posten kämpft. Unsere Ausrüstung ist besser geworden und die Ausbildung und das Erscheinungsbild sind das einer modernen Armee. Trotz allem müssen wir uns im Klaren darüber sein, das wir nicht hier wären und einer größeren Sache dienen könnten, wenn wir nicht so lieben würden, wie wir es tun.“
Maew ließ die Worte an sich vorüberziehen. Eine militärische Gemeinschaft aus schwulen Jugendlichen die eine besondere Gabe besitzen.
Flame schien seine Gedanken zu erahnen, sagte aber nichts. Als der Direktor gegangen war, machten sie sich auf zur Sporthalle.
„Wir brauchen uns nicht umzuziehen, wir werden nur ein wenig zusehen.“
Die Halle war riesig. Maew schätzte, dass hier locker ein Baseballfeld hätte Platz finden können. Hier war eine andere Klasse versammelt als die, die sie gerade verlassen hatten. Maew erkannte den großen Koreaner von heute Morgen und auch ein paar andere Gesichter vom Basketballplatz. Insgesamt waren es 12 Jungen die nebeneinander paarweise in der Halle standen, alle mit dem Blick zur gleichen Stirnwand. Gekleidet waren sie in eine kurze weiße Sporthose und in Sporthemden in unterschiedlichen Farben, wobei hier rot ganz klar dominierte.
Maew sah interessiert hinüber, konnte sich aber keinen Reim auf die Vorgänge machen.
„Was passiert hier?“
“Um es kurz zu machen, die Begabung von der der Direktor gesprochen hatte umfasst die Beherrschung von Zauberei.“
Maew warf Flame einen vernichtenden Blick zu, dann ging er mit schnellen Schritten zu der Großen Doppeltür und warf sie lautstark hinter sich zu.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.