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Die Söhne des Pharao

Teil 4

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Informationen

 

Netermest war, nur begleitet von den vier Mann seiner Leibwache, beim Tempel der Sachmet eingetroffen. So spät am Tag war nur noch wenig Betrieb und der Vorhof des Tempels war fast leer. Netermest wandte sich dem Innenhof zu und die Wachposten dort grüßten mit senkrecht gestellten Speeren.

Der Innenhof war als kleiner Garten ausgestaltet, mit einigen Teichen und einer Anzahl unterschiedlichster Bäume und Büsche. Schnell huschte ein junger Mann die Stufen zum Allerheiligsten empor und nur wenige Augenblicke später kam eine ältere Frau in einem langen, wallenden, weißen Leinengewand die Treppe herunter. Ihre Brust bedeckte ein Pektoral aus Karneolen, darüber an einer goldenen Kette eine kleine Statue der löwenköpfigen Göttin.

Prinz Netermest verbeugte sich ehrfürchtig, während die Hohepriesterin Nekhti aufmerksam die Beschriftung seines Brustpanzers studierte.

„Was führt den Sohn von Ober- und Unterägypten in den Tempel der Löwenhäuptigen?“

Netermest sah auf und lächelte entschuldigend.

„Lediglich eine bescheidene Bitte, Ehrwürdige.“

Die Hohepriesterin sah ihn etwas spöttisch an, lächelte aber ebenso.

„Das letzte Mal, dass ein so hoher Herr geruhte, die Göttin Sachmet aufzusuchen, war es auch nur eine einfache Bitte, die dazu führte, dass gleich drei Götter bemüht wurden, um einen Sterblichen mit den Segnungen der Sachmet aus den Fängen des Anubis zu befreien und dem Urteil der Maat Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.“

Unwillkürlich grinste Netermest wegen der blumigen Formulierung, doch er kannte die Geschichte des Arztes Sekhet und man hatte ihn von dem scharfen Verstand der Hohepriesterin berichtet.

„Dieses Mal, ehrwürdige Hohepriesterin Nekhti, handelt es sich tatsächlich um eine einfache Bitte. Ich suche einen Arzt, der mich und meine Truppen begleitet. Die Schwierigkeit besteht darin, dass er sich mit Giften auskennen sollte. Ich habe es vermieden, öffentlich nach einem solchen Arzt herumzufragen, um nicht unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen.“

Die Hohepriesterin ließ ein leises Lachen ertönen.

„Das nennt ihr eine einfache Bitte, Prinz Netermest? Es gibt nur wenige Ärzte, die sich nach ihrer Ausbildung auf Gifte spezialisieren, denn sie sind nicht besonders beliebt bei den Patienten. So manch einer fürchtet, dass solch ein Arzt auch heimlich Gift verkauft oder es gar durch Bestechung anwendet. Was natürlich kein anständiger Arzt machen würde.“

Netermest nickte freundlich und ahnte, dass da noch etwas kommen würde. Tatsächlich legte die Hohepriesterin ihren Kopf etwas schräg, als würde sie nachdenken. Sie hatte ihren Entschluss jedoch bereits gefasst.

„Allerdings haben wir hier jemanden zur Ausbildung, der schon mit einer sehr umfangreichen Kenntnis der pflanzlichen und tierischen Gifte hergekommen ist. Seine grundlegende Ausbildung als Arzt ist abgeschlossen. Es würde nun eine weitere Ausbildung bei einem Spezialisten erfolgen, jedoch hat der junge Mann sich bisher nicht entscheiden können. Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne mit ihm reden.“

Prinz Netermest nickte erfreut.

„Das würde ich tatsächlich gerne einmal machen. Wo kann ich den jungen Mann finden?“

„Oh, im Moment befindet er sich im Allerheiligsten und betet zur Göttin, dass sie ihn erleuchten möge, welchem Pfad er von nun an folgen soll. Insgeheim hatten wir schon befürchtet, dass er nicht erhört werden würde, doch mit eurem Erscheinen scheint es ja doch geklappt zu haben.“

Netermest sah der Hohepriesterin erstaunt hinterher, als sie die Treppen zum Allerheiligsten emporstieg. Geduldig wartete er. Es dauerte dann auch eine ganze Weile, bis die Hohepriesterin in Begleitung eines jungen Mannes wieder erschien. Netermest fielen zwei Dinge sofort auf. Zum einen war der junge Mann mindestens einen Kopf größer als die Hohepriesterin und zum anderen war er schwarz wie die Nacht.

„Dies ist Nataki. Seine Mutter ist in seiner Heimat eine sogenannte Weise Frau. Sie kennt sich mit Pflanzen und Tieren aus und kennt Heilmittel und auch Gifte. Sie hat ihn hierher zu uns gesandt, damit er noch mehr lernen kann als in seiner Heimat, um dann dort eines Tages ein guter Arzt zu sein. Aber im Moment ist er etwas des Lernens müde, so wie es aussieht. Vielleicht ist er ja bei euch besser aufgehoben.“

Prinz Netermest betrachtete den jungen Arzt immer noch und dann stellte er die Frage, die sich ihm schon vom ersten Moment an aufgedrängt hatte.

„Nataki, wie alt bist du?“

„Neunzehn, Hoheit.“

Die Hohepriesterin lachte wegen Netermests erstauntem Gesicht.

„Er ist mit Vierzehn zu uns gekommen und hat seitdem im Haus des Lebens studiert. Keine Angst, er weiß schon, was er tut. Hm, zumindest was seine Arbeit als Arzt betrifft.“

Netermest nickte langsam. So, als hätte er diese oder eine ähnliche Antwort erwartet. Dann sah er die Hohepriesterin an.

„Ich danke der Göttin für die großzügige Gunst, die sie gewährt hat.“

„Netermest, sei gewiss, dass nichts den Göttern verborgen bleibt.“

Netermest erschauerte ein wenig und sah dann hinüber zu Nataki, dem das Gespräch wohl irgendwie etwas peinlich gewesen war.

„Komm mit. Dann kann ich dich heute Abend gleich noch vorstellen.“


Nataki begleitete Prinz Netermest auch gleich vom Tempel zu seiner neuen Arbeitsstätte.

„Deine Sachen werden morgen früh von einem Diener abgeholt. Ich möchte dich allerdings schon heute Abend dabei haben, wenn wir die Aktionen für den morgigen Tag besprechen. Ich werde dir schon mal einen Überblick geben, worum es sich handelt.“

Der Prinz war absichtlich zu Fuß unterwegs, damit er auf dem Rückweg genug Zeit hatte, die groben Zusammenhänge zu erklären und die weiteren Aktionen, die beabsichtigt waren. Wie erwartet kam dann auch eine Frage von dem ansonsten schweigsamen Arzt.

„Aber Herr, wofür benötigt ihr denn einen Arzt? Dies sind doch alles Aufgaben für Soldaten.“

„Nicht unbedingt. Zum einen ist da die Sache mit dem Gift. Wenn welches auftaucht, möchte ich gerne wissen, was es ist, woher es kommt, wie es hergestellt und wie es verwendet wird. Ich will nicht nur die Attentäter haben, sondern jeden, der mit ihnen zusammenarbeitet. Und dann ist da natürlich noch die eigentliche Aufgabe eines Arztes. Soldaten sind nicht unverwundbar. Ich habe mich an viele von ihnen bereits gewöhnt und möchte sie nicht so schnell verlieren.“

Nataki bedachte den Prinzen mit einem überraschten Blick, sagte aber nichts weiter. Als sie zum abgesetzten Südflügel kamen, sah man deutlich die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Die beiden Wachen vor dem Eingang waren geblieben. Feldwebel Umani hatte sie zu Zwecken der Repräsentation mit ihren Löwenfellen ausgestattet und sie trugen zu den kurzen Speeren und dem gefleckten Schild jeder noch eine Axt. An der Mauer über dem Tor hatten Handwerker auf der Innenseite eine Plattform errichtet, so dass jetzt zwei Bogenschützen die Torwache von oben unterstützen konnte. Das Pförtnerhaus direkt neben dem Tor war von einer ganzen Gruppe Infanteristen besetzt und innerhalb der Mauer liefen nun mehrere Paare von Bogenschützen Patrouille.

„Das ist ja eine Festung“, entfuhr es Nataki unwillkürlich und Netermest nickte.

„Ja. Ich möchte kein Risiko mehr eingehen. Wenn das alles erledigt ist, werde ich die Wache auf die normale Stärke zurücknehmen können.“

Netermest sah in den Himmel, der nun schon in die Dämmerung übergegangen war. Dann entdeckte er Huni, auf dem Weg zum Vorratslager.

„Huni! Habt Ihr schon gegessen?“

„Nein, Herr. Wir haben auf Euch gewartet.“

„Sehr gut. Mach alles fertig, wir werden wieder draußen am Teich essen. Der gleiche Kreis wie heute Nachmittag.“

„Ja, Herr. Wenn Ihr im Teich essen wollt, haben Gemni und Nebamun eine kleine Überraschung vorbereitet.“

Erstaunt nickte der Prinz. Was hatten die beiden denn nun ausgeheckt? Kurze Zeit später waren fast alle im Teich versammelt, während Huni, Meketre, Simi und Pachred noch fehlten. Netermest nutzte die Zeit, um ihren neuen Arzt vorzustellen.

„Also, dies ist Nataki. Er ist Arzt und wird uns ab heute dauerhaft bei unseren Unternehmungen begleiten. Seid ein wenig nachsichtig mit ihm, aber ich glaube, es wird nicht lange dauern, bis er sich an unsere kleine Gemeinschaft gewöhnt hat.“

Netermest hat den jungen Mann beobachtet, als der mit einem völlig erstaunten Gesicht zusah, wie sich die einzelnen Mitglieder des Haushaltes und wie er zu erkennen glaubte, auch einige Soldaten, sich ihrer Kleidung entledigten und in den Teich stiegen.

„Du bist auch aufgefordert, Nataki.“

Mit einem vergewissernden Blick zu Prinz Netermest legte der Arzt nun auch Leinenschurz und Lendentuch ab und stieg in das angenehm warme Wasser. Dabei bekam er nicht mit, dass er von Einigen im Wasser mit interessierten Blicken gemustert wurde.

Doch dann erschienen die vier fehlenden jungen Herrn, unbekleidet, aber dafür schwer beladen.

„Ich möchte alle im Wasser bitten, keine großen Bewegungen zu machen. Auf den Vorschlag von Gemni und Leutnant Nebamun hin, haben wir für den Teich etwas vorbereitet.“

Jeder der vier trug ein großes Boot aus Schilf, dass sie aufschwimmen ließen, als sie langsam hinunter ins Wasser gingen.

„In jedem Boot befinden sich drei Schalen mit den Teilen des Abendessens. Sie können jederzeit hin und her geschoben werden, denn in jeder der Schalen ist etwas Unterschiedliches. Ich bitte nur, vorsichtig zu sein, damit nicht eines der Boote kentert.“

Netermest zog eines der Boote heran und betrachtete die Schalen mit dem Essen. Dann zog er vorsichtig Huni zu sich und gab ihm einen lang anhaltenden Kuss. Amüsiert registrierte Netermest, dass Nataki sie mit großen Augen anstarrte.

„Das habt Ihr gut gemacht, Huni. Ihr alle.“

Huni wirkte etwas verlegen, doch dann bewegte er sich langsam hinüber zu Haran, der am Rand saß und Sethnacht fütterte.

Zögernd bediente sich Nataki von dem vorbeitreibenden Essen und beobachtete die anderen Leute im Teich. Ziemlich schnell bemerkte er, dass sich Paare gebildet hatten und selbst der Prinz hatte jemanden an seiner Seite, mit dem er sich leise unterhielt. Die meisten dieser Leute, nein, alle, waren etwa in seinem Alter, einige wahrscheinlich sogar noch jünger. Und das waren die berüchtigten ‚Krieger des Mahes‘ von denen er jetzt schon einige Male gehört hatte?

Nataki schüttelte ungläubig den Kopf und brachte das Boot vor ihm etwas zum Schwanken.

„Ein bisschen vorsichtiger bitte, wir sind noch hungrig.“

Nataki sah auf und bemerkte einen hellhäutigen, rothaarigen jungen Mann in Begleitung eines der Jungen, die die Boote gebracht hatten.

„Ich bin Userhet und dies ist Simi. Du bist der neue Arzt, wenn ich das richtig verstanden habe.“

„Ja, das bin ich.“

Userhet und Simi wechselten einen erstaunten Blick. Er schien etwas wortkarg zu sein, der neue Arzt oder vielleicht etwas schüchtern?

„Und was ist dein erster Eindruck von dem Prinzen und seiner kleinen Truppe?“

„Zu jung“, platzte es aus Nataki hervor und er bemerkte, wie sich die Gesichter der beiden vor ihm verdüsterten. Etwas hektisch versuchte Nataki jetzt seine Äußerung abzumildern.

„Also nicht wirklich zu jung, sondern der Ruf der ihnen vorauseilt. Der ist älter. Nein, also, ich meine, man stellt sie sich irgendwie älter, so wie Veteranen…“

Nataki hatte sich endgültig verhaspelt und schwieg nun, den Blick starr auf das Wasser gerichtet. Dann hörte er die Stimme von Userhet.

„Na, wenn man uns nicht mit unserem Ruf in Verbindung bringt, haben wir ja alles richtig gemacht.“

Verwirrt hob Nataki nun den Kopf.

„Es gibt einige Dinge, die im Verborgenen erledigt werden müssen. Da ist es besser, nicht sofort erkannt zu werden. Der Prinz ist da das genaue Gegenteil. Er zieht die Aufmerksamkeit auf sich, so dass einige von uns in seinem Schatten arbeiten können.“

Nataki nickte langsam. Er glaubte zu verstehen, wie der Prinz und seine Truppe arbeiteten. Dann fiel ihm ein, dass er ja nun auch zu dieser Truppe gehören sollte. Unsicher sah er sich nun weiter um. Es gab da noch etwas, was ihn brennend interessieren würde, aber er wagte es nicht, danach zu fragen.

Userhet und Simi beobachteten den jungen Nubier, wie er aufmerksam die einzelnen Paare musterte, die sich an den Rändern des Teichs nun zusammengefunden hatten.

Gemni und Pachred kicherten etwas albern, wagten aber nicht herumzutoben, denn die Boote mit dem Abendessen schwammen immer noch ziellos umher. Netermest und Nebamun waren in ein ernsthaftes Gespräch vertieft, während Huni, auf dem gemauerten Rand des Teiches sitzend, Sethnacht knuddelte wobei ihm Haran lächelnd zusah.

Simut und Meketre hatten sich eines der Boote gegriffen und fütterten sich gegenseitig mit ein paar Kleinigkeiten.

Nataki sah nun wieder zu Userhet und Simi.

„Und ihr beide? Ich nehme an, ihr gehört auch zusammen.“

„Ist es so offensichtlich? Dass die Krieger des Mahes ihren Ruf auch der Göttin Bastet zu verdanken haben? Übrigens, wundere dich nicht, wenn mal einige der Paare wechseln. Zuneigung und Neugier sind manchmal ein starker Antrieb. Aber eigentlich sind sie so, wie die Katzen aus dem Tempel der Göttin. Sie kehren immer wieder zu dem zurück, zu dem sie gehören.“

Jetzt war Nataki vollends verwirrt. Er versuchte, die ganzen Informationen erst einmal zu entwirren und wurde durch die vier jungen Herren abgelenkt, die jetzt die Boote wieder ans Ufer brachten. Es schienen die jüngsten aus dem Haushalt zu sein und Nataki hielt sie für Diener, doch er war sich nicht ganz sicher.

Im Wasser brach danach eine kleine Verfolgungsjagd aus und Nataki erkannte nach einem kurzen Moment des Beobachtens, dass hier wohl jeder jeden jagte. Und derjenige, der gefangen wurde, hatte auch anscheinend keine Scheu, sich von den Jägern überall berühren zu lassen.

Lediglich der Prinz und sein Begleiter waren immer noch in ein Gespräch vertieft, das nun aber zu Ende gegangen war. Prinz Netermest sah sich um und grinste leicht.

„So, ihr könnt das nachher auf euren Zimmern ausmachen, wer gewonnen hat. Ich will noch ein paar Worte zum morgigen Tag sagen.“

Sofort erstarb das Toben und alle sammelten sich um den Prinzen.

„Sofort nach dem Frühstück wird mich Gemni in die Halle der Schreiber begleiten.“

Gemni sah erstaunt den Prinzen an und dann zu Pachred, der aber nur mit den Schultern zuckte.

„Wir brauchen einen zweiten Schreiber. Morgen wird sich das wohl am deutlichsten zeigen, denn wir werden versuchen, so viel Vernehmungen wie möglich gleichzeitig machen.“

Gemni sah nicht besonders glücklich aus. Wozu einen weiteren Schreiber? Und dann auch noch aus der Schule des Palastes. Da saßen doch nur die verwöhnten Knaben der Beamten und Angestellten des Palastes.

„Als erste ist dann Frau Nebet dran. Dorthin werden mich Nebamun, Gemni und Huni begleiten. Gleichzeitig wird Simut diesen Kapitän Tarewan vernehmen. Dazu bekommt er den neuen Schreiber und er kann sich von Kapitän Sendji begleiten lassen. So sind wir einigermaßen sicher, dass er nicht irgendwelchen Unsinn erzählt.“

Simut legte seine Stirn in Falten, nickte dann aber nur.

„Userhet und Simi werden diesen Attentäter namens Hanai vernehmen.“

Jetzt sahen alle etwas erstaunt zu Netermest, der leicht lächelte.

„Userhet, wie war das mit diesem Hanai?“

Userhet seufzte und zog Simi an sich.

„Als wir mit den Bogenschützen vor dem Haus des Herrn Sethnacht ankamen, war nicht viel zu hören. Eine Dienerin öffnete und wir gingen in den Hauptraum, wo dem Herrn gerade das Abendessen serviert wurde. Als er uns sah, ließ der Diener alles fallen und rannte zum Hinterausgang. Dort hat ihn dann einer der Bogenschützen erwischt. Hanai ist sechzehn Jahre alt und hat als Attentäter so viel Ahnung wie ein Krokodil vom Ziegen hüten.“

Simi kicherte und Nebamun schüttelte den Kopf.

„Und wieso bist du dir sicher, dass du den richtigen erwischt hast?“

„Weil er es zugegeben hat. Er hat den Kontrakt angenommen. Eigentlich war der Auftrag für seinen Vater Hanai vorgesehen. Der war ebenfalls Diener im Haus des Sethnacht, ist aber vor etwa zwei Dekaden spurlos verschwunden. Als dann der Zuträger mit dem Auftrag kam, hat ihn Hanai der Jüngere einfach angenommen. Er hat gesagt, dass er geglaubt habe, so schwer kann das gar nicht sein.“

„Was für ein Idiot. Wenn er das zu Protokoll gibt, ist er genauso tot wie die anderen.“

Prinz Netermest nickte nachdenklich zu Nebamuns Kommentar.

„Deshalb will ich ja, dass Userhet hingeht. Hanai kennt ihn schon und wird hoffentlich noch mehr aussagen, besonders über den Zuträger. Falls er mitmacht, ist sein Protokoll dann leider irgendwie verschwunden. Ach so, nehmt den Arzt mit. Hanai hat ja noch die Wunde von dem Pfeil.“

Der Prinz sah sich noch einmal im Teich um und lächelte dann.

„Das war’s erst mal für heute. Ihr könnt noch so lange bleiben, wie ihr wollt.“

Der Prinz erhob sich und mit ihm Nebamun. Beide gingen zusammen in Richtung der Unterkünfte. Nataki sah ihnen bewundernd nach. Vor ihm tobten wieder ein paar der Jüngeren durch das Wasser und einer von ihnen stieß beim rückwärtsgehen mit Nataki zusammen. Erstaunt drehte sich Simi um und musterte Nataki.

„Möchtest du mitmachen?“

Erst zögerte Nataki, doch dann nickte er und Simi schubste ihn schon kurz darauf in die Mitte.

„Fang dir einen!“

Der erste, den Nataki zu fassen bekam, war Meketre. Doch der war so geschickt, dass er sich sofort wieder befreien konnte. Jetzt stürzte sich Pachred auf ihn und der hielt ihn überall fest, wo er auch nur zugreifen konnte. Nataki musste sich bald mehrerer Hände erwehren und er lachte dabei.

„Also gut. Damit niemand mehr so neugierig sein muss.“

Langsam watete Nataki hinüber in den flachen Teil des Teiches, so dass er bald nur noch bis zu den Knien im Wasser stand. Simi brachte den Anblick auf den Punkt.

„Ich nehme an, du betest jeden Tag zur Göttin Bastet und dankst ihr?“

Nataki war es etwas peinlich, doch er lachte mit den anderen. Dann sah er, wie alle miteinander tuschelten. Simi sah nun wieder hinüber.

„Wie ich vorhin gesagt habe, fang dir einen. Er wird die ganze Nacht bei dir bleiben. Wenn du es willst.“

Nataki war mehr als überrascht. Das Angebot war sehr eindeutig und dennoch. Waren sie nicht alle zu zweit hier? Er zögerte. Wie konnte er jemanden auswählen, wenn… Seine Gedanken wurden durch zwei junge Männer unterbrochen, die sich ihm jetzt näherten. Als sie den flachen Teil erreicht hatten, bemerkte Nataki, dass sie ebenso von dem Gedanken an eine gemeinsame Nacht erfreut waren, wie er. Sein interessiert gesenkter Blick verriet ihnen schon seine Antwort und wortlos nahmen sie ihn an den Händen und führten ihn zur Unterkunft.


Nataki war etwas verwirrt, als er am nächsten Morgen zwischen zwei jungen Männern erwachte. Dann kam die Erinnerung an die letzte Nacht wieder und er fragte sich, ob er das wirklich alles erlebt hatte. Es war ziemlich stürmisch gewesen, zumindest in seinen Augen.

„He, Pach, ich glaube, er hat noch nicht genug von der Nacht.“

Vollkommen aus seinen Gedanken gerissen, starrte Nataki nach links, wo er nun den Schreiber Gemni erkannte, der sich am Abend noch höflich vorgestellt hatte. Mit einem schnellen Blick nach rechts erkannte Nataki den Diener Pachred und dann sickerte langsam in sein Bewusstsein ein, was Gemni gerade gesagt hatte. Verlegen sah er an sich herab und bemerkte, dass die Erinnerung an die Nacht nicht ohne Folgen geblieben war.

„Oh nein, wir müssen aufstehen. Der Prinz hat doch angeordnet, dass du ihn heute Morgen in die Halle der Schreiber begleiten sollst.“

„Mist, das hätte ich beinahe vergessen. Hoffentlich ist er noch beim Frühstück.“

Schnell kleidete sich Gemni an und eilte in die große Halle. Prinz Netermest saß tatsächlich noch zusammen mit Nebamun beim Frühstück. Beide sahen ihm lächelnd entgegen.

„Nun, war es eine dunkle Nacht?“

Gemni verstand zunächst die Anspielung nicht, doch dann lächelte er.

„Oh ja, es war eine dunkle, stürmische Nacht.“

„Dann solltest du dich noch etwas stärken. Aber beeil dich, wir wollen erst noch in die Halle der Schreiber.“

Schnell schnappte sich Gemni etwas Brot und einen süßen Kuchen, dann folgte er dem Prinzen auf dem Weg zur Halle der Schreiber. Gemni selber hatte Lesen und Schreiben im Tempel gelernt und kannte die Halle des Palastes nicht, aber hier würde es wahrscheinlich nicht anders aussehen als bei den Priestern des Thot.

Trotz der frühen Stunde war der alte Ahmose schon mitten in seinem Element. Gemni hörte schon draußen das Pfeifen eines Rohrstocks, der den Rücken eines glücklosen Schülers traf.

Prinz Netermest ließ seine Wachen vor der Halle und trat nur gefolgt von Gemni ein. Sofort legte sich ein ehrfürchtiges Schweigen über die Schüler und der alte Ahmose verbeugte sich tief und gichtig.

„Prinz Netermest! Was führt euch in die unwürdigen Hallen der niederen Studien, Hoheit?“

„Erhebe dich Ahmose. Auch ich bin erschienen, wie schon Tage zuvor der ehrenwerte Herr Kutari, um dir einen deiner Schüler abzunehmen.“

Ahmose erbleichte sichtlich und sah sich hektisch in der Halle um. Eine fast wellenförmige Bewegung lief durch die Reihen der Schüler, die immer noch nach vorne gebeugt über ihren Papyri saßen.

„Aber Hoheit, ich habe niemanden hier, der euren Ansprüchen gerecht werden könnte.“

Netermest schüttelte den Kopf und sah sich um. Es waren fast dreißig Jungen und junge Männer im Raum, da musste etwas dabei sein.

„Ich benötige jemanden, der beide Schriften sauber und hauptsächlich fehlerfrei beherrscht. Und er muss geduldig sein, denn es gibt wohl viele Abschriften zu fertigen.“

Ahmose sah sich immer noch etwas zweifelnd in der Halle um und der Prinz wurde ein wenig ungeduldig.

„Wer sind deine zehn, nein, deine sechs ältesten Schüler?“

Ahmose rief sechs Jungen auf, die sich zögernd erhoben. Der Prinz sah vom einen zum anderen und zuckte dann mit den Schultern. Unsicher sah er sich zu Gemni um.

„Darf ich einen Versuch machen, Herr?“

„Natürlich.“

Gemni räusperte sich.

„Alle sechs hierher nach vorne zu mir.“

Mit fragenden Blicken zu Ahmose kamen die sechs Jungen nach vorne. Gemni hakte schon im Geiste drei davon ab, aber er wollte das Ergebnis sehen.

„Jeder von euch nimmt einen kleinen Papyrus und schreibt mit, was ich gleich diktiere. Ich möchte, dass ihr zunächst in der schnellen Schrift mitschreibt und dann alles in die Heiligen Zeichen umsetzt.“

Verblüfft hockten sich die Jungen hin und zückten ihre Schreibinstrumente.

„An den ehrwürdigen Tjati beider Reiche. Wir haben heute einen hethitischen Krieger mit schweren Wunden aufgefunden. Er führte Silber und Wein aus Keftiu mit sich. Wir werden seine Spur bis nach Dachla weiterverfolgen und die Spürhunde darauf ansetzen. Dies sind die Worte des Sohnes von Ober- und Unterägypten.“

Prinz Netermest grinste in sich hinein. Das waren deutlich andere Begriffe, als üblicherweise bei den Lehrstücken verwendet wurden. Und sein Titel war als göttliches Zeichen überhaupt nicht umsetzbar, sondern nur so, wie er auf seiner Rüstung stand.

Gemni hatte bemerkt, dass am Ende einer der Jungen hochgeschielt und auf die Rüstung des Prinzen geblickt hatte. Er würde ihn sich merken. Eine ganze Zeit später sammelte er die kleinen Papyri ein und verglich die Zeichen.

Zwei der Werke konnte er gleich aussortieren. Die Schreiber hatten nicht einmal in der schnellen Schrift gewusst, wie sie ihnen unbekannte Begriffe umsetzen sollten. Ein weiterer Papyrus strotzte vor Rechtschreibfehlern, dass kaum erkennbar wurde, was gemeint war. Die restlichen drei hatten die schnelle Schrift ganz gut in die heiligen Zeichen übertragen, doch bei einem mangelte es deutlich an künstlerischem Können. Lediglich ein Einziger hatte den Titel des Prinzen korrekt wiedergegeben. Gemni vermutete stark, dass es derjenige war, der aufgesehen hatte.

Gemni hielt den Papyrus hoch.

„Von wem ist dieser hier?“

Zögernd erhob sich der junge Mann, den Gemni beobachtet hatte.

„Wie heißt du?“

„Mein Name ist Userib, Herr.“

Gemni betrachtete Userib nun genauer. Da Kutari erst vor wenigen Tagen die ältesten Schüler abgezogen hatte, konnte dieser nicht älter als sechzehn oder siebzehn sein. Etwa einen halben Kopf kleiner als Gemni, war er schlank, fast mager. Die schwarzen Haare standen etwas struppig ab.

„Ich bin kein Herr. Ich bin der Schreiber Gemni des Prinzen Netermest.“

Dann drehte er sich zum Prinzen um.

„Ich schlage vor, Herr, wir nehmen den Schreiber Userib.“

Der alte Ahmose schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

„Aber Herr, das könnt ihr nicht machen. Wir haben hier die Söhne einflussreicher Adliger und Beamter. Sein Vater ist nur ein einfacher Arbeiter.“

„Ach so? Und warum ist er hier in der Schule des Großen Hauses?“

„Äh, also… sein Vater arbeitet im Großen Haus. In einer geheimen Anlage unseres göttlichen Herrschers. Etwas Genaues weiß ich auch nicht.“

Netermest stutzte, dann fiel ihm etwas ein, was ihm Prinz Amenhotep während seiner kurzen Ausbildung zum Soldaten gezeigt hatte. Lächelnd drehte er sich zu Userib.

„Buddelst du gerne im Sand?“

Ringsum brandete Gelächter auf, denn die Frage hätte einem Dreijährigen zugestanden, dann gab es noch einmal Gelächter als Userib sich ebenfalls lächelnd dem Prinzen zuwandte. Er hatte die Anspielung sofort verstanden.

„Ja, Herr. Sehr gerne sogar.“

„Sehr gut. Dann folge mir. Ahmose, die Schüler dieser Halle sind wahrlich eine ganz besondere Mischung.“

Mit einem vollkommen verwirrten Gesichtsausdruck sah der Lehrer dem Prinzen hinterher.

Prinz Netermest, flankiert von seiner Leibwache und gefolgt von Gemni und Userib, eilte zurück zum Südflügel. Dort waren inzwischen auch alle anderen schon einsatzbereit. Begleitet von der gesamten Leibwache zogen nun alle, geführt von Prinz Netermest, hinüber zum Tempel der Maat und dem Haus der beiden Wahrheiten. Vor dem Gefängnis wurden sie zur Überraschung einiger von Kutaris Verwalter Teremun begrüßt, doch Netermest schien ihn erwartet zu haben.

„So, wir machen es wie besprochen, aber mit einigen kleinen Änderungen. Ich möchte, wie gesagt, so viele Vernehmungen wie möglich gleichzeitig machen. Also werden mich nur Gemni und Huni begleiten. Simut und Meketre vernehmen Kapitän Tarewan. Ich hoffe, dass Kapitän Sendji noch rechtzeitig eintrifft. Userhet, Simi und Nataki kümmern sich um unseren Nachwuchsattentäter. Herr Teremun wird zusammen mit Haran diesen Getreidelieferanten befragen und Nebamun, Pachred und Userib kümmern sich um den Eselshändler.“

Gemni wunderte sich ein wenig über die spontanen Änderungen, doch dann erkannte er, dass der Prinz jeder Gruppe einen des Schreibens kundigen zugeteilt hatte.

Netermest sah sich etwas ungeduldig um, doch da kam Kapitän Sendji schon mit eiligen Schritten näher.

„Sehr gut, dann los.“

Im Inneren der Gefängnisanlage wurden sie vom Hauptmann der Wache begrüßt und Prinz Netermest erklärte ihm das geplante Vorgehen. Eifrig zeigte der Hauptmann den einzelnen Gruppen die Zellen, in denen die Gefangenen untergebracht waren.

Es waren hauptsächlich kleine, dunkle Löcher, versehen mit einer massiven Holztür, die ebenso wenig Licht einließ, wie die hoch angebrachten Lüftungsschlitze.

Netermests Augen mussten sich erst an das Halbdunkel gewöhnen, als er die kleine Zelle betrat. Huni und Gemni warteten außer Sichtweite vor der offenen Tür. Gemni hatte sich hingehockt und seine Binse war einsatzbereit.

Von dem dreckigen Haufen alter Binsen rappelte sich eine Gestalt mühsam auf und sah nun ebenso überrascht zu den Besuchern.

„Nun, alte Frau, erkennst du mich?“

Die alte Nebet zuckte zusammen und stieß einen Schrei aus.

„Ein Geist! Das Ba kommt über mich!“

„Rede keinen Unsinn. Warum sollte mein Ba über dich kommen? Ich bin nicht tot. Oder hast du das vielleicht geglaubt? Weil du es selbst angeordnet hast?“

Trotz der geringen Beleuchtung konnte Netermest erkennen, wie die Frau zitterte. Sie schien immer noch zu glauben, sie habe einen Geist vor sich. Das könnte man vielleicht ausnutzen.

„Solltest du dann auch Angst vor weiteren Geistern haben? Vor Herrn Unnacht vielleicht oder vor Herrn Dunmarit.“

Die alte Frau stieß einen weiteren Schrei aus und wich bis an die Wand zurück.

„Weiche von mir! Ich habe nichts getan. Ich habe nur die Befehle meines Herrn befolgt!“

„Deines Herrn? Sein Ba ruht in der ewigen Finsternis und wird niemals die Gefilde der Binsen erreichen. Genauso wenig, wie es keinen Körper mehr gibt, in den es zurückkehren kann. Wie kann er da Befehle geben?“

„Es war bei seinem letzten Besuch. Er hat mir genau erklärt, wer sterben muss, damit unsere Geheimnisse für immer gewahrt bleiben.“

Netermest überlegte einen Moment, wie viel er von seinem Wissen offenbaren sollte.

„Eure Geheimnisse? Etwas das der Zwillinge oder das von deinem Sohn?“

Die alte Frau schrie schon wieder auf.

„Peribsen! Was ist mit ihm geschehen?“

„Dein Sohn lebt – noch. Und wenn du willst, dass er weiterhin am Leben bleibt, so sprich.“

Zitternd sank die Frau zu Boden. Sie mochte in ihrem Leben hart und grausam gewesen sein, doch wenn es um Geister der Verstorbenen ging, war sie so abergläubisch wie fast jeder Bewohner von Khemet seit Beginn der rituellen Bestattungen.

Das Leben ihres Sohnes war ihr besonders wichtig, denn wer sollte nach ihrem Tod für die ordnungsgemäße Pflege und die Versorgung ihres Grabes sorgen? Nur die regelmäßigen Gaben erlaubten dem Ba zum Körper zurückzukehren, um sich dort mit ihm wieder kurz zu vereinigen.

„Er hat es so gewollt. Bestimmte Leute müssen sterben, um uns unser Leben im Jenseits zu garantieren.“

„Das ist doch Unsinn. Als er verurteilt wurde, war ich noch im Palast des Flusspferds.“

Die alte Frau kicherte leise.

„Es kommt nicht darauf an, wo jemand ist. Ein guter Attentäter findet immer sein Ziel.“

Gemni atmete leise zischend aus. Sie hatte tatsächlich zugegeben, Attentäter auf einen königlichen Prinzen angesetzt zu haben. Nun ertönte wieder Netermests Stimme.

„Die Attentäter stammen nicht von deinem Haushalt. Woher sind sie?“

Wieder das leise Kichern.

„Oh, sie waren gute Diener. Sie haben mir und dem Fürsten viel Reichtum eingebracht. Doch nun werde ich wohl nichts davon mitnehmen können.“

Dann kam ein kurzes Zögern.

„Mein Haushalt war nicht klein. Sie sind aus Abedju mit mir gekommen.“

„Das mag wohl sein, aber sie gehörten nicht zum Haushalt, obwohl die Sklavenlisten hier es verzeichnet hatten. Ich weiß es besser.“

Misstrauisch sah die alte Frau den jungen Mann an, der so selbstbewusst vor ihr stand.

„Nichts wisst ihr“, spuckte sie ihm fast vor die Füße.

Ohne Aufforderung trat nun Huni durch die offene Tür. Durch die Bewegung darauf Aufmerksam geworden, starrte ihn Frau Nebet fast ebenso entsetzt an, wie zuvor den Prinzen.

„DU!“, kreischte sie.

„Du widerliches, kleines, undankbares Insekt! Zu nichts warst du zu gebrauchen, nicht einmal für…“

Hastig unterbrach sie sich, doch Netermest wusste, was sie hatte sagen wollen.

„Nicht einmal für das Bordell? Es war nicht schwer, herauszufinden, was du Abedju treibst, alte Frau.“

„Alte Frau?“, kreischte sie auf.

„Mich hat er geliebt, nicht diese angemalte Hethiterin mit ihren flachen Titten. Zu mir ist er gekommen die ganzen Jahre.“

Netermest musste sich beherrschen, um sich nicht die Gefühle ansehen zu lassen, die durch ihn rasten. Also auch mit ihr hatte Fürst Wawerhet eine Beziehung gehabt, doch sie schien seine Absichten längst nicht so gut durchschaut zu haben wie die beiden anderen Frauen.

„Du glaubst, er hat dich geliebt? Wahrscheinlich nur so lange, wie du ihm Silber und Gold übergeben konntest. Aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig, denn er lauert nun in der ewigen Finsternis, wo du ihm bald Gesellschaft leisten kannst. Dein Sohn wird ein leichtes Leben haben, denn ihm bleibt die Sorge um ein Grab erspart.“

Erbleichend realisierte die alte Frau, was der Prinz soeben zu ihr gesagt hatte. Wenn sie starb, würde niemand für sie sorgen müssen, denn ihr Körper würde, wenn sie Glück hatte, an die Krokodile verfüttert. Mit einem Aufschrei sank sie in sich zusammen und schlug rhythmisch mit dem Kopf auf den Boden.

„Komm, Huni. Wir sind hier fertig.“


Bei Simut verlief die Vernehmung nicht so problemlos. Kapitän Tarewan, mit dem nachgemachten Siegel konfrontiert, schwieg zunächst beharrlich.

Simut saß an einem kleinen Tisch, auf dem er seine Schreibutensilien ausgebreitet hatte. Kapitän Sendji saß auf einem weiteren Stuhl neben ihm, während Meketre hinter den beiden an eine Wand gelehnt stand. Tarewan hatte man vor dem Tisch auf einen kleinen Hocker gepresst, so dass er zu Simut aufsehen musste.

„Nun Kapitän Tarewan, Eure Geschäfte scheinen nicht schlecht gegangen zu sein. Vor vier Jahren erst hat Euch der ehemalige Fürst Wawerhet angeheuert, in seinem Namen und auf seine Rechnung den Fluss zu befahren und Geschäfte zu tätigen. Die Abrechnung aus dem letzten Jahr zeigt einen Gewinn von 300 Deben Gold. Das ist eine gewaltige Summe.“

Das wettergegerbte Gesicht von Tarewan zeigte erste Emotionen und sein Blick eilte hektisch hin und her. Er suchte offensichtlich nach den richtigen Worten.

„Ich… ich habe einfach Glück gehabt mit meinen Geschäften. War rechtzeitig mit den richtigen Waren am richtigen Ort.“

„Ohne Zweifel. Aber die Frage stellt sich, woher hattet Ihr die Ware? Sehen wir einmal nach. Also: Felle und Leder aus Nubien, Barren von Kupfer, Zedernholz und Öl aus Syrien. Das sind alles Waren, die auf weiten Wegen mit den Handelskarawanen des göttlichen Pharao in unser Land gekommen sind. Sie sind zunächst Eigentum unseres göttlichen Herrschers und lagern zunächst in den Depots des Großen Hauses oder der Tempel.“

Diesmal erbleichte Tarewan erkennbar, selbst unter dem Braun seiner Haut.

„Äh, Fürst Wawerhet hat mir die Waren vermittelt. Ich brauchte sie nur abzuholen.“

„Schwachsinn“, brummte jetzt Kapitän Sendji.

Keiner der drei hatte sich Tarewan vorgestellt und so wusste der nicht, was er von dem Einwurf zu halten hatte.

„Die Lager haben einen eigenen Transportdienst, der auf Anweisung sämtliche Waren dorthin bringt, wo sie hin sollen. Hätte der Fürst Waren erworben, wären sie ihm angeliefert worden. Nur so ist eine ordnungsgemäße Buchführung und Nachverfolgung aller Waren der königlichen Speicher und Silos durchführbar. Wenn du das Rollsiegel aus Theben für einen gefälschten Auftrag genutzt hast, hättest du in jedem Lager die für Theben bereitgestellten Waren aufnehmen und davonfahren können.“

Tarewan schüttelte den Kopf und schnaubte höhnisch.

„Und wenn dann der richtige Transporter gekommen wäre, wäre die Sache aufgeflogen.“

Simut schüttelte ebenfalls den Kopf. Meketre hatte die ganze Zeit stumm zugehört. Er kannte die Geschichte in groben Zügen und wusste, dass der Kapitän mit seinem Schiff auch das Getreide vom Landgut des Fürsten ins Delta gebracht hatte. Dort war es ausgeladen worden, und dann? War er von dort mit den Waren zurückgefahren? Meketre zappelte etwas nervös, wusste aber nicht, wie er sich verhalten sollte.

„Was ist? Willst du etwas sagen?“

Meketre nickte schüchtern.

„Dann sag es. Wir sind für jede Idee dankbar.“

Meketre lächelte erst einmal Simut dankbar zu, dann sah er zu Tarewan, der ihn misstrauisch musterte.

„Nun, wenn er Getreide ins Delta gebracht hat, muss er mit etwas anderem zurückgekommen sein. Wer hat die oberste Aufsicht über die königlichen Speicher in den jeweiligen Gauen?“

Sendji sah erstaunt zu Meketre, während Simut nachdenklich nickte.

„Der jeweilige Gaufürst. Es wird wohl Zeit, dass wir dem östlichen Harpunengau einen Besuch abstatten. Wir werden uns schon mal erkundigen, wer die Beamten sind, die der Nomarch dort eingesetzt hat. Oder möchtest du schon mal etwas dazu sagen?“

Die letzte Frage war an Tarewan gerichtet, der bei Erwähnung des östlichen Harpunengaus immer blasser geworden war. Dennoch schüttelte er stumpf den Kopf.

„Nun, wenn du nicht sagen willst, woher deine Waren stammen, dann kannst du uns aber sicher sagen, wer sie dir abgekauft hat.“

Simut wusste, dass die Händler eine Bestätigung der Herkunft brauchten, wenn sie Waren aus den königlichen Lagern ankaufen wollten.

„Alles nur ehrbare Kaufleute, alle aus Theben.“

Und dann rasselte Tarewan ein gutes Dutzend Namen so schnell herunter, dass Simut kaum folgen konnte, doch Meketre hatte aufgepasst.

„Welcher Mahet? Der Karawanenführer und Eselshändler?“

Tarewan erschrak sichtlich, doch dann nickte er.

„Ja, ein sehr guter Käufer. Hat immer mit den besten Waren aus dem Sinai bezahlt.“

Kapitän Sendji versuchte sich gerade die Handelsrouten bildlich vorzustellen. Felle und Leder aus Nubien und Kupfer von der Insel im Norden, gegen wertvolle Edelsteine und Halbedelsteine aus dem Sinai. Das war ein wirklich lohnendes Geschäft, besonders wenn man noch den Zoll umging. Nun, Kupfer war auch ziemlich wertvoll, denn mit ihm wurden die Waffen hergestellt…

„Wo hast du das Kupfer abgeladen? Bestimmt nicht in Theben verkauft.“

Tarewan sah nun ratlos von einem zum anderen. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er etwas verschwieg. Simut seufzte leise.

„Nun gut, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Meketre, hol‘ die Knechte der Wahrheit.“

Die Knechte der Wahrheit gehörten zum Tempel der Maat und waren dafür zuständig, verstockten Angeklagten oder auch Zeugen die Wahrheit zu entlocken. Sie waren dabei nicht zimperlich und so manches Mal gellten laute Schreie durch die Halle der beiden Wahrheiten.

„Nein, warte!“

Tarewan war aufgesprungen und sah sich gehetzt um.

„Ich erzähle alles, wenn mein Leben verschont wird.“

„Das kann nur die Göttin entscheiden, aber wir werden dem Hohenpriester deine Worte mitteilen. Mehr können wir für dich nicht tun.“

Tarewan sank zurück auf den Hocker und starrte zu Boden.

„Also gut. Ja, ich habe mit einem gefälschten Bordbuch Waren aus dem östlichen Harpunengau abgeholt, die ich dann in Theben zu höchsten Preisen verkaufen konnte. Dann musste ich Getreide vom Landgut des Fürsten Wawerhet wieder in den Harpunengau bringen und dort eine halbe Tagesreise südlich der Hauptstadt Tjeku an einer gut versteckten Stelle am Ufer entladen. Dorthin habe ich auch öfter eine kleine Ladung von Kupfer und anderen Metallen gebracht.“

Simut legte vorsichtig seine Binse ab und sah grimmig hinüber zu dem ehemaligen Kapitän. Dann schüttelte er den Kopf.

„Du hast den königlichen Herrscher bestohlen und dann mit diesen Waren sogar in das Land eingedrungene feindliche Truppen versorgt. Das erste ist schon schwerwiegend genug, doch das zweite ist Hochverrat.“

Tarewan schluckte schwer. Er kannte die Strafe für Hochverrat.


Userhet, Simi und Nataki bot sich ein gänzlich anderes Bild, als sie die Zelle von Hanai, dem Attentäter betraten.

Der junge Mann lag bäuchlings auf einem dünnen Binsenlager. Bekleidet nur mit einem nicht mehr sauberen Lendentuch und einem blutigen Verband um den Oberkörper. Als Userhet näher trat, bemerkte er, dass Hanai weinte. Er gab Simi einen leichten Schubs und der Junge ging nach vorne, um sich dann neben Hanai niederzuknien. Nach einem leisen Getuschel stand Simi verwirrt auf.

„Wir sollen ihn hier liegen und sterben lassen.“

„So schnell geht das mit dem Sterben nicht. Und ich hätte vorher noch gerne ein paar Antworten auf meine Fragen. Nataki, sieh mal bitte nach ihm.“

Überrascht von der Antwort drehte der verhinderte Attentäter seinen Kopf und zuckte zusammen, als der Schmerz durch seine Schulter schoss. Nataki ging zu ihm hin und kniete sich nieder. Mit Simis Hilfe richtete er Hanai auf und entfernte mit schnellen Handgriffen den alten Verband. Ungehalten wegen des schwachen Lichts in der kleinen Zelle wandte sich Nataki an Userhet.

„Ich kann hier drinnen nichts sehen. Wir bringen ihn besser nach draußen.“

Userhet nickte und so packten Simi und Nataki Hanai unter den Armen, zogen ihn mit schmerzhaft verzogenem Gesicht hoch und führten ihn in den Gang, dann in den Vorraum des Gefängnisses. Einige der Wachen warfen ihnen einen kurzen Blick zu, kümmerten sich dann aber nicht weiter um sie. Nataki führte die kleine Gruppe zu einer Bank schräg unterhalb eines kleinen Fensters, durch das genügend Licht einfiel. Hanai durfte sich setzen und Nataki untersuchte weiter die Schusswunde.

„Du hast Glück gehabt.“

„Glück?“

„Dass der Schütze nur einen Jagdpfeil verwendet hat. Wäre es ein Kriegspfeil gewesen, wäre die Wunde nicht so glatt und so klein.“

Hanai sah mit einem undefinierbaren Blick hinüber zu Userhet, denn er wusste, wer den Pfeil abgeschossen hatte. Dann senkte er den Kopf.

„Ihr hättet besser zielen sollen, Herr.“

Mit wenigen kurzen Schritten stand Userhet neben Hanai, fasste dem Jungen unter das Kinn und zog den Kopf wieder hoch, so dass er ihn anblicken konnte.

„Wünsche dir das nicht. Du weißt nicht, welches Schicksal die Götter dir vorherbestimmt haben, also versuche nicht, ihm zu entkommen. Mein Herr, Prinz Netermest, wünscht noch etwas von dir zu erfahren. Wenn die Antworten zu seiner Zufriedenheit ausfallen, könnte das auch Auswirkungen auf deine Anklage haben.“

„Ein… ein Prinz?“

Userhet nickte, zog sich einen Hocker heran und setzte sich neben Hanai.

„Du weißt gar nicht, worum es ging, bei ‚deinem‘ Auftrag.“

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung und die Betonung ließ deutlich erkennen, dass der Auftrag definitiv nicht für den jüngeren Hanai gedacht gewesen war. Zögernd schüttelte Hanai leicht den Kopf, um die Wunde nicht zu belasten, um die Nataki sich gerade kümmerte.

„Nein, Herr. Der Zuträger ist vor ein paar Tagen gekommen und wollte meinen Vater sprechen. Doch mein Vater ist bereits seit zwei Dekaden spurlos verschwunden. Ich konnte ihn überzeugen, dass mein Vater bald wiederkommt, deshalb hat er mir den Auftrag hinterlassen.“

„Ist das nicht sehr ungewöhnlich, dass ein solcher Auftrag über eine dritte Person abgewickelt wird? Normalerweise sind Attentäter damit sehr vorsichtig.“

Hanai zuckte bei dem Wort ‚Attentäter‘ sichtlich zusammen, aber er nickte dazu.

„Ja, Herr. Aber es war ja auch nicht der sonst übliche Zuträger. Dieser hier war deutlich älter und besser gekleidet. Man hätte ihn ohne weiteres für einen Beamten halten können. Doch ich weiß, dass diese Leute sich gut tarnen können.“

Aber nicht als Beamter. Wenn er damit erwischt wurde, war er auf jeden Fall tot. Das ist das Risiko nicht wert.‘

„Würdest du den Mann wiedererkennen?“

Hanai nickte nach einigem Nachdenken.

„Ja, Herr. Als er mich den Auftrag wiederholen ließ, beleuchtete ihn eine der Fackeln vor dem Haus von der Seite. Er hatte eine lange Narbe auf der rechten Seite, von der Stirn bis fast zum Mund. Ich würde ihn auf jeden Fall wiedererkennen.“

Sehr unprofessionell. Wer war dieser Dilettant?‘

„Nun etwas anderes. Du hast den Auftrag angenommen, den ehrenwerten Dunmarit, den Obersten Aufseher der Schatzhäuser unseres Herrschers, umzubringen. Wann und wie hast du gedacht, diesen Auftrag auszuführen?“

Trotz der mangelhaften Beleuchtung konnte Userhet erkennen, wie der Junge leicht rot anlief. Es war anscheinend tatsächlich so, wie er gedacht hatte. Hanai hatte als Attentäter keine Ahnung und wohl auch keinerlei Erfahrung.

„Ich.. nun, also… zunächst wollte ich ja warten, ob mein Vater nicht vielleicht doch noch wiederkommt. Als dann der Termin näher rückte, habe ich… also da habe ich gedacht, es wäre vielleicht besser zu verschwinden. Doch an dem Abend kamen dann plötzlich die Soldaten und ich war nicht schnell genug.“

Diesmal nickte Userhet schweigend. Wie hätte sein Vater es formuliert? Der Junge hatte weder die Mittel, noch die Gelegenheit, die Tat durchzuführen. Er wäre nicht einmal bis hinter die Eingangspforte gekommen und den ehrenwerten Dunmarit hätte er mit Sicherheit niemals zu Gesicht bekommen. Abgesehen davon bezweifelte Userhet, dass Hanai mit einer Schlinge umgehen konnte. Dazu bedurfte es jahrelanger Übung.

„Dann fasse ich mal zusammen. Du hattest nie die Absicht, den ehrenwerten Dunmarit umzubringen und du hast auch kein… Moment, was ist mit der Bezahlung?“

„Oh, die sollte nach der Arbeit an einer verabredeten Stelle erfolgen.“

Userhet und Simi sahen sich verblüfft an. War der Junge wirklich so naiv? Wenn er Glück gehabt hätte, wäre niemand dort gewesen, wenn er Pech gehabt hätte, hätte er dort wahrscheinlich das spitze Ende eines Dolches kennengelernt.

„Also, noch mal. Du hattest nie die Absicht, den ehrenwerten Dunmarit umzubringen und du hast auch keine Bezahlung dafür entgegengenommen. Du kennst den Zuträger nicht, kannst ihn aber beschreiben und würdest ihn auch wiedererkennen.“

Hanai nickte zustimmend, während Userhet nun zu Nataki aufsah, der dem Jungen einen neuen Verband verpasste.

„Die Wunde ist tief, aber nicht entzündet. Es wird eine Weile dauern, bis sie ausheilt, aber danach wird er wohl keine Einschränkungen haben. Ich habe etwas für die Wundheilung und etwas gegen die Schmerzen aufgetragen. Er sollte sich möglichst wenig bewegen.“

Userhet überlegte einen Moment. Musste er für seine nächste Entscheidung erst Netermest befragen oder konnte er das von sich aus erledigen. Bei jedem anderen hätte Userhet wahrscheinlich zuerst zurückgefragt, doch er wusste, dass der Prinz seinen Offizieren vertraute, genauso wie sie ihm vertrauten.

„Simi, Nataki. Wir werden den Zeugen Hanai mitnehmen und ihn an einem sicheren Ort unterbringen, bis über seinen Fall entschieden worden ist. Simi, du kümmerst dich um ihn, sobald wir dort sind. Ich möchte ihn ganz gerne frisch gewaschen und in anständiger Kleidung präsentieren können.“

Während Hanai den jungen Offizier mit großen Augen ansah, grinste Nataki breit. Simi verbeugte sich übertrieben um auch sein Grinsen zu verbergen.

„Sehr wohl, Herr. Einmal waschen und einkleiden.“


Vor der Zelle des Lieferanten Haradi zogen die Besucher doch einige Blicke auf sich. Der Grund war eindeutig Sethnacht, der sich dicht bei Haran hielt. Als die Zellentür geöffnet wurde, sahen sich die Besucher einem Mann, wohl um die dreißig, gegenüber, klein, leicht gebückt und mit wirren, schwarzen Haaren.

„Du bist Haradi, Lieferant vom Speicher der Beamten zu Theben?“

Die etwas gebückte Gestalt musterte Teremun blinzelnd und seine Stimme erklang leise und unterwürfig.

„Ja, Herr. Der bin ich.“

„Nun, mein Name ist Teremun. Verwalter des Hauses des ehrenwerten Kutari und beauftragt vom Prinzen Netermest, im Namen unseres göttlichen Herrschers, eine Giftanschlag auf das Haus des ehrenwerten Kutari aufzuklären.“

Haradi war bei dieser Ansprache noch weiter in sich zusammengesunken und starrte Teremun ängstlich an. Dieser hatte nach einem ersten Blick auf den Gefangenen seine ursprüngliche Vorstellung geändert und schon mal einen beeindruckenden Hintergrund geschaffen. Jetzt kamen die Feinheiten.

„Dies ist der Hundeführer Haran. Von der Wüstenpatrouille speziell her gesandt mit seinem Spürhund Sethnacht, um den Fall des Giftanschlags schnell aufzuklären.“

Ein bisschen Übertreibung konnte nicht schaden und Haradi starrte nun, nachdem er kurz zu Haran gesehen hatte, vollkommen entsetzt auf den Hund. Sethnacht hatte seinen Namen gehört und ließ ein imposantes Knurren hören. Haradi wich erbleichend bis an die Wand zurück.

„Kommen wir zu einer Lieferung von Getreide für das Haus des ehrenwerten Kutari. Sie sollte am 3. Thot durch den Lieferanten Duari ausgeliefert werden, doch der hatte leider einen Unfall. Was weißt du darüber?“

„Duari? Unfall? Oh, oh ja. Er ist die Treppe hinuntergefallen. Sehr tragisch. Hat sich einen Arm gebrochen.“

„Wann und wo war das?“

„Vor einigen Tagen erst. Im Wirtshaus der alten Hetepi, unten am Fluss. Er war, nun ja, betrunken.“

Teremun schüttelte den Kopf. Das konnte tatsächlich ein Unfall oder auch Absicht gewesen sein. Er würde die Wirtin befragen müssen.

„Und dann hast du seine Aufträge übernommen.“

„Oh ja, Herr. Einer muss ja schließlich die Waren ausliefern.“

„Die bereitgestellte Ware stammt aus dem Kornspeicher und war vollkommen in Ordnung, als sie abgefüllt wurde. Erst am letzten Tag vor der Auslieferung wurde festgestellt, dass der Weizen vergiftet war.“

Haradi machte ein überaus erstauntes Gesicht.

„Das kann nicht sein, Herr. Alles war in bester Ordnung.“

Teremun entschied sich für eine andere Taktik. Plötzlich brüllte er los.

„Willst du mich verarschen?! Das Haus des Lebens hat das Gift bestätigt! Selbst der Hund hat es auf Anhieb gefunden!“

Haradi zuckte zurück und kroch noch mehr in sich zusammen. Teremun betrachtete die jämmerliche Gestalt vor ihm und ihm kam ein Gedanke. Fragend drehte er sich zu Haran.

„Er sieht nicht besonders sauber aus. Hält sich so ein Gift lange?“

Haran lächelte. Er wusste, was Teremun vorhatte. Wenn Haradi mit Gift hantiert hatte, würde garantiert nichts an seinen Händen sein, sonst wäre er ebenfalls schon tot. Aber das wusste Haradi wahrscheinlich nicht. So, wie er Sethnacht angestarrt hatte, hatte er einen Spürhund noch nie gesehen.

Haran führte den Hund dicht an Haradi heran und gab ihm ein geheimes Zeichen. Der Hund sah sein Opfer nun böse an und fing an zu knurren. Das Ergebnis war erstaunlich. Haradi ließ sich zu Boden fallen und bedeckte seinen Kopf mit den Händen.

„Gnade, Herr! Er wird mich zerfleischen. Ich gebe alles zu. Ich habe den Weizen vergiftet, doch er hat mich dazu gezwungen!“

Haran beruhigte sofort den Hund und Teremun beugte sich neugierig hinunter.

„Wer hat dich dazu gezwungen?“

„Na, der Mann mit der Narbe.“

„Wenn du auf dem Tisch des Anubis liegst, kannst du dir dein Gehirn aus der Nase ziehen lassen. Zwing mich nicht, jede Antwort schon jetzt daraus hervorzuholen.“

„Ich weiß es doch nicht“, jaulte Haradi nun auf, „ein Mann mit einer Narbe halt, quer über die rechte Gesichtshälfte. Er hat mich erpresst. Hat gesagt, wenn ich es nicht tun würde, würde er dem Aufseher des Lagers alles erzählen und der würde dann schon die richtigen Maßnahmen ergreifen.“

„Und womit hat er dich erpresst?“

Plötzlich schwieg Haradi wieder und schien sich noch weiter zurückzuziehen. Haran ließ Sethnacht einmal laut bellen, doch Haradi rollte sich nur noch mehr zusammen.

An der Tür gingen nun Userhet, Simi und der neue Arzt vorbei, einen weiteren jungen Mann vor sich her schiebend. Simi hatte das laute Bellen gehört und sah neugierig in die Zelle.

Teremuns Blick war immer noch auf Haradi gerichtet, dessen ängstlicher Blick suchend umherglitt und an der Tür auf Simi hängen blieb. Plötzlich änderte sich der Blick und der Ausdruck wurde zunächst Erstaunt, dann Gierig.

Teremuns Kopf ruckte herum. Er erkannte Simi und plötzlich überkam ihm eine Erleuchtung. Mit zwei Schritten trat er zu Hanai.

„Schnell, sag irgendwas Unanständiges zu Simi“, flüsterte er ihm zu, um dann sofort wieder seine Aufmerksamkeit auf den Gefangenen zu richten. So bekam er nicht mit, dass Haran, obwohl er nicht wusste, worum es ging, getreu seinem Befehl Simi etwas zuflüsterte, was diesen hell auflachen ließ. Spielerisch ließ er dann einen Finger an Simi herabgleiten, vom Brustbein bis zum Bauchnabel. Als Simi gerufen wurde, drehte er sich bedauernd um und Hanai verpasste ihm noch einen Klaps auf den Hintern.

Die Folgen des kleinen Spiels bekam Teremun vor sich zu sehen. Haradis Augen schienen aus dem Kopf zu treten und sein Mund öffnete sich leicht. Als ein erster Tropfen Speichel hervortrat, wandte sich Teremun angewidert ab.

Mit einer sehr hart klingenden Stimme wandte sich Teremun nun an Haradi.

„Du brauchst nichts mehr zu sagen. Du bist nicht nur ein Giftmörder sondern auch ein Besucher dieses unsäglichen Hauses, das mindestens drei junge Männer das Leben gekostet hat. Mögen die Götter deinem Schicksal gnädig sein.“


Der letzte Gefangene, der an diesem Vormittag besucht wurde, war der Karawanenführer und Eselshändler Mahet. Schon lange hatte er aufgegeben herumzuschreien und zu lamentieren, als sich die Tür seiner Zelle öffnete.

Zunächst schien er seinen Augen nicht zu trauen, als drei Personen eintraten, von den er zumindest von zweien niemals geglaubt hätte, ihnen hier zu begegnen.

„Überrascht, Mahet? Um es kurz zu machen, ich bin Leutnant Nebamun, dies ist mein Mitarbeiter Pachred und der junge Mann ist der Schreiber Userib. Wir sind gekommen, um ein paar Fragen zu stellen und viele Antworten zu bekommen.“

Immer noch etwas verwirrt sah Mahet von dem Leutnant mit dem Brustpanzer der Bogenschützen hin zu dem jungen Mann, der diesmal nichts als einen weißen Leinenschurz trug. Doch auf der Brust trug er ein kleines Pektoral mit einem unbekannten Löwengott. Mahet konnte als Händler sehr wohl Lesen und Schreiben und so entzifferte er zu Füßen des Löwen die Inschrift als Diener des Sohnes von Ober- und Unterägypten.

Mahet seufzte laut. In diesem Moment wusste er, dass sein Leben verwirkt war und er nahm sich vor, so viele dieser betrügerischen, geldgierigen, verräterischen Krokodilärsche in die ewige Finsternis mitzunehmen, wie es ihm möglich war.

Gegen Mittag waren alle wieder im abgesetzten Südflügel versammelt. Prinz Netermest blätterte während des Essens mit erstauntem Gesichtsausdruck in den Protokollen. Zwischendurch warf er dem völlig verschüchterten Hanai einen neugierigen Blick zu.

Er war aus seiner Zelle herausgeführt worden und vom Gefängnis aus war es nur ein kurzer Weg bis hin zu einem der prächtigen Paläste neben dem Großen Haus. Der große, rothaarige Offizier marschierte scheinbar völlig unbeeindruckt durch das Tor mit den nubischen Wächtern, während sich Hanai vorsichtig umsah.

Anscheinend wollten sie ihn tatsächlich nicht sofort umbringen. Der Junge, der den Offizier begleitet hatte – Simi? - wandte sich nun an Hanai.

„Wir gehen gleich zum Teich, da kannst du dich waschen und dann bekommst du von mir frische Sachen.“

Hanai sah an sich herab. Er war dreckig und blutig. Es würde ihm gut tun, sich waschen zu dürfen. Als sie dann vor einem großen Teich hielten, sah Hanai sich fragend um.

„Was ist? Du kannst das Tuch ruhig ablegen. Hier sind flache Stufen. Geh einfach so weit runter, ohne dass der Verband nass wird.“

Hanai zögerte merklich. Das war ein Teich für höhere Herrschaften. Wenn man ihn hier drin erwischte, gab es bestimmt Ärger. Simi schien seine Gedanken zu lesen.

„Diesen Teich dürfen alle benutzen, auch du. Geh schon mal rein, ich hole die Sachen.“

Simi verschwand tatsächlich und Hanai watete tiefer. Als er bis zu den Knien im Wasser stand, zupfte er unschlüssig an seinem Lendentuch. Es war wirklich dreckig und roch schon unangenehm. Entschlossen nahm er es ab. Dann hörte er hinter sich Simi.

„Sehr schön, dann werde ich dich am besten waschen. Mit einem Arm geht das ja ein bisschen schlecht.“

Vollkommen erstaunt sah Hanai einen splitternackten Simi an sich vorbeiwandern. Dann drehte dieser sich um und bespritzte Hanai mit Wasser. Vom Ufer holte er eine Schale mit Pflanzenasche und begann Hanai gründlich einzuseifen. Hanai erzitterte förmlich, als Simi seinen Rücken herunterfuhr und die Hinterbacken intensiv bearbeitete. Ein leiser Schrei entfuhr ihm, als auch zwischen diesen alles gründlich gereinigt wurde.

Simi kniete sich ab und begann, sich von den Knien nach oben zu arbeiten. Als er zwischen den Beinen angekommen war, zuckte Hanai ängstlich zusammen.

„Keine Angst, ich tu ihnen nichts.“

Hanai schloss bei den sanften Berührungen die Augen und fragte sich, was Simi bei dem letzten Körperteil machen würde, das in dieser Gegend noch übrig war. Aber auch dieses wurde intensiv bedacht, bis Hanai zitterte.

„Hanai. du kannst ruhig sagen, wenn ich aufhören soll. Bis hierhin ist es noch Spiel, aber dann…“

„Mach bitte weiter. Ich mag es und du bist echt gut darin.“

Wenige Augenblicke später stöhnte Hanai auf, während Simi lächelnd in Deckung ging.

„Komm her, wir müssen dich noch einmal abspülen.“

Lachend planschten die beiden im Wasser, bis Hanai wieder sauber war und der Verband nun doch etwas Wasser abbekommen hatte. Hanai sah an Simi herab und sah ihn zögerlich an.

„Was ist mit dir?“

Eine Stimme ertönte hinter Hanai.

„Darum werde ich mich gleich kümmern. Leg dich ruhig dort vorne auf eine der Bänke.“

Hanai schrak zusammen, als Userhet hinter ihm sprach, doch dann sah er fasziniert hinterher, als die schlanke, hellhäutige Gestalt mit den roten Haaren langsam in den tiefen Bereich des Teichs watete. Der Anblick dieser Rückseite veranlasste bei Hanai einen weiteren Blutstau in seinen niederen Regionen. Simi blieb das nicht verborgen und er lächelte heimlich.

Hanai zog sich auf eine der Bänke zurück und beobachtete Simi und Userhet, die sich ohne Scheu gegenseitig wuschen und dann zu persönlicheren Aktivitäten übergingen, die schon jenseits dessen lagen, was Simi mit Hanai gemacht hatte. Ein leiser Schrei von Hanai ließ die beiden Liebenden aus dem Wasser kommen und Simi musterte nun den mit hochrotem Kopf dasitzenden Hanai.

„Tja, mein Lieber. Da musst du wohl noch mal ins Wasser.“

Simi und Hanai waren noch beim Abtrocknen, als bereits die nächsten Mitglieder des Haushalts eintrafen und ohne zu Zögern ihre Sachen ablegten und in den Teich stiegen. Hanai erkannte einen großen rothaarigen Mann, der ähnlich aussah wie Userhet und vermutete in ihm dessen Bruder. Er wurde von einem Jungen in Hanais Alter begleitet, der mit ihm in den Teich ging wo sie sich gegenseitig intensiv wuschen. Hanai war froh, dass er inzwischen Lendentuch und Leinenschurz trug.

Die größte Überraschung bildete allerdings die Aufforderung zum Essen. Es gab zum Mittag nur ein paar Kleinigkeiten, doch der Prinz – ein richtiger Prinz! – hatte alle, auch ihn, in die große Halle gebeten, wo er nun sorgfältig alles las, was man für ihn aufgeschrieben hatte.

Plötzlich spürte Hanai einen Blick und als er aufsah, blickte er in die braunen Augen des Prinzen. Sofort schlug er die Augen nieder und senkte seinen Kopf, so wie er es gelernt hatte.

Dann spürte er eine Hand an seinem Kinn und diese Hand hob seinen Kopf wieder an, bis sich ihre Blicke wieder trafen.

„Sieh mich an. Ich will dir in die Augen sehen, wenn ich mit dir rede. Die Augen verraten viel mehr, als Worte es tun können.“

Hanai schluckte schwer, doch er nickte langsam, bis der Prinz ihn wieder losließ.

„Ich habe das Protokoll über deine Vernehmung gelesen. Du bist dir sicher, dass du diesen Zuträger vorher noch nie gesehen hast?“

Hanai nickte, bis er bemerkte, dass der Prinz schon wieder las und ihn nicht sehen konnte.

„Ja, Herr. Sonst kam immer der gleiche Mann. Ich habe ihn meistens nur von weitem gesehen, wenn er mit meinem Vater sprach, doch es war ganz bestimmt nicht derjenige, mit dem ich gesprochen habe.“

„Denk gut nach. Gab es sonst noch etwas Auffälliges an dem Mann? Außer der Narbe, meine ich.“

Hanai wollte schon antworten, doch dann überlegte er tatsächlich etwas länger. Gab es irgendetwas, was ihn von anderen Männern unterschied? Die Haare – Moment, er hatte keine. Sein Schädel war kahl rasiert. Und wohl erst vor kurzem oder regelmäßig, denn es roch nach parfümiertem Öl. Das Gesicht? Die Narbe war auffällig, aber gab es noch etwas? Die vielen kleinen Falten rings um Augen und Mund ließen darauf schließen, dass er oft Schminke trug, also wohl doch eher zu den wohlhabenden Bürgern zählte. Die Narbe auf seiner rechten Seite sah dick und rot aus, als ob sie nicht sofort durch einen Arzt behandelt worden war. Sein Körper? Etwas korpulent schon. Niemand, der körperlich schwer arbeitete. Seine Hände? Die Finger der rechten Hand zeigten Farbreste, also vielleicht ein Schreiber. Ansonsten kein Schmuck oder sonst etwas Wertvolles.

„Hervorragend. Eine interessante Beobachtungsgabe.“

Hanai schreckte bei der Stimme des Prinzen hoch. Hatte er seine Gedanken etwa laut ausgesprochen? Ein Blick in die Runde zeigte ihm, dass ihn alle gebannt ansahen. Sofort senkte er seinen Blick.

„Hanai, was habe ich dir gesagt? Du brauchst dich nicht zu verstecken. Du hast eine gute Arbeit geleistet und wir wissen nun ziemlich genau, nach wem wir suchen müssen. Davon einmal abgesehen, du weißt, dass du als Zeuge hier bleiben sollst. Hat Huni dir bereits einen Schlafplatz zugewiesen?“

Hanai schüttelte stumm den Kopf, während Huni etwas ratlos zu Pachred hinübersah, der sich immer noch besser in der Anlage auskannte als er. Bevor Huni etwas sagen konnte, kam Simi herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Huni hob seine Augenbrauen und blickt dann zu Hanai.

„Simi hat vorgeschlagen, dass du bei ihm und Userhet unterkommen kannst. Natürlich nur, wenn du das möchtest.“

Hanai errötete plötzlich, während sich die Aufmerksamkeit der anderen plötzlich auf Simi konzentrierte, der nun ebenfalls etwas an Farbe bekam. Hanai sah ebenfalls zu Simi, der ihn etwas scheu anlächelte.

„Ja, das wäre nett.“

Prinz Netermest räusperte sich.

„Sehr schön. Was ist mit unserem neuen Schreiber? Wo soll er unterkommen?“

„Den nehmen wir!“, platzte Gemni sofort hervor. Netermest sah ihn etwas überrascht an. Wir? Gemni hatte einen Raum für sich. Obwohl, Pachred schien in letzter Zeit mehr hier zu sein, als bei seinem Großvater. Und nun auch noch Userib? Etwas nachdenklich sah der Prinz hinüber zu Gemni und Pachred, die Userib in ihre Mitte genommen hatten. Dann zuckte er mit den Schultern.

„Dann ist das ja geregelt. Kommen wir nun zum heutigen Nachmittag. Wir haben noch einige Leute zu befragen, bevor wir uns ein endgültiges Bild machen können. Nataki, Userib und Haran werden diesen Giftattentäter aus der Weinhandlung vernehmen. Simut, Meketre und Kapitän Sendji kümmern sich um dieses Opfer, diesen Kapitän Lomas. Ich will wissen, warum man ihm nach dem Leben trachtet. Nebamun, Gemni und… nein, Userhet, Simi und Hanai gehen zum ehrenwerten Herrn Unnacht und befragen ihn wegen der Siegel. Nebamun und Gemni sortieren hier die Unterlagen, bringen alles in eine Reihenfolge und probieren sich schon mal an plausiblen Lösungen. Huni und ich werden den ehrenwerten Dunmarit aufsuchen und ihn befragen, was ihn zur Zielscheibe gemacht hat.“

Hanai war aufgeschreckt, als sein Name gefallen war.

„Aber Herr, ich habe doch gar keine Ahnung. Ich dachte, ich wäre hier ein Gefangener.“

Netermest musterte ihn mit einem strengen Blick, dann seufzte er.

„Es tut mir leid, dass dieser Eindruck entstanden ist. Nein, du bist kein Gefangener mehr. Du bist nur ein Zeuge, auf den wir gut aufpassen müssen. Du bist hier in meinem Haushalt, also kannst du auch ein wenig dafür arbeiten. Keine Ahnung haben wir alle hier. Userhet kann dir Unterwegs die Zusammenhänge erklären.“

Nach einer kleinen Pause sah Netermest Hanai noch einmal an.

„Und du weißt wirklich nicht, warum ich dich dabei haben will?“

Der Junge schüttelte stumm den Kopf. Netermest ging hinüber zu einem der Körbe mit frischen Früchten, sah kurz hinein und wählte dann drei Granatäpfel aus. Diese legte er ein Stück weit vor Hanai auf den Boden.

„Sieh sie dir gut an. Nicht anfassen, nur ansehen.“

Hanai wirkte verwirrt, aber er tat, was der Prinz von ihm wollte. Nach einer Weile sammelte Netermest die Granatäpfel wieder ein und legte sie zurück in den Korb.

„Und jetzt sag mir, was du gesehen hast.“

Hanai grinste.

„Drei Granatäpfel.“

„Ja, natürlich. Aber wie unterschieden sie sich?“

„Hm. Sie waren alle drei gleich groß. Der linke hatte einen braunen Fleck an der Unterseite. Die Krone war schon braun, ebenfalls beim Mittleren. Beim rechten war die Krone zerrupft und fast nicht mehr vorhanden. Dafür war an der Unterseite noch etwas vom Stängel vorhanden.“

„Bist du der Meinung, dass alle hier die kleinen Unterschiede auf Anhieb hätten erkennen können und auch noch beschreiben?“

Hanai senkte seinen Blick, doch mitten in der Bewegung fuhr er hoch und sah den Prinzen an.

„Ich weiß es nicht, Herr. Mein Vater hat mir beigebracht, alles genau zu betrachten und mir jede ungewöhnliche Einzelheit zu merken. Er hat gesagt, es wäre eine gute Übung für einen angehenden Attentäter.“

Nun senkte Hanai doch seine Augen.


Die Befragung des ehrenwerten Dunmarit dauerte den ganzen Nachmittag und war wohl am Unergiebigsten. Prinz Netermest war ganz offiziell zu einem Besuch erschienen, mit Huni als seinem persönlichen Diener. Der Oberste Verwalter der Schatzhäuser war äußerst angetan von dem hohen Besuch, konnte dem Prinzen aber mit keinerlei Informationen weiterhelfen.

Währenddessen waren Nataki, Userib und Haran auf dem Weg zum Gefängnis. Sethnacht lief ohne Leine neben der kleinen Gruppe her.

„Wir brauchen vielleicht noch etwas mehr, als nur diese Nachricht. Wenn er wirklich ein professioneller Giftmörder ist, wird er sich herauszureden wissen.“

Nataki nickte, während Userib schwieg und dabei etwas ängstlich Sethnacht im Auge behielt.

„Was haben wir für Möglichkeiten?“

„Wenn er mit Giften mordet, kann er die nicht jedes Mal neu zubereiten. Solche Leute haben einen Vorrat davon zu Hause. Können wir vorher sein Haus durchsuchen?“

„Ich weiß nicht, ob wir das können oder dürfen, wir machen das einfach. Userib, gibt es einen Hinweis, wo dieser Djoser gewohnt hat?“

Userib war etwas abgelenkt durch das ständige Beobachten des freilaufenden Hundes, deshalb reagierte er nicht sofort. Haran sah sich fragend um und bemerkte die ängstlichen Blicke, die der junge Schreiber dem Hund zuwarf. Aufseufzend blieb Haran stehen. Nataki blieb ebenfalls stehen und sah sich fragend um.

„Sethnacht, komm her.“

Sofort kam der Hund zu Haran, der ihn streichelte.

„Userib, der Hund tut dir nichts. Er kennt seine Freunde und tut ihnen wirklich nichts. Er beißt nur die Bösen und das auch nur, wenn es befohlen wird oder wenn jemand von uns angegriffen wird.“

Userib machte immer noch ein nachdenkliches Gesicht. So ganz schien er nicht überzeugt zu sein.

„Komm einmal her und strecke einfach deine Hand aus.“

Zögernd kam Userib dicht bis an Haran heran und streckte einen Arm steif von sich. Mit großen Augen sah er, wie Sethnacht sich näherte und an seiner Hand schnupperte. Dann streckte der Hund seine Zunge heraus und leckte an der Hand.

„Iiih, das kitzelt.“

Userib lachte und ganz vorsichtig fuhr er dann mit der Hand dem Hund über den Rücken. Das Fell war glatt und wenn er leicht darauf klopfte, staubte es ein wenig.

„So, Userib. Zurück zu meiner Frage. Gibt es einen Hinweis, wo dieser Djoser gewohnt hat?“

Userib wühlte in seiner Umhängetasche und brachte zwei Blätter Papyrus hervor.

„Hm, ja. Der Weinhändler Rahotep besitzt drei kleine Katen, die er an seine Angestellten vermietet hat. Eine davon bewohnt auch dieser Djoser. Sie sind alle drüben, in der Nähe des Hafens. Wir werden uns wohl durchfragen müssen.“

Es dauerte tatsächlich eine Weile, bevor sie vor dem richtigen Haus standen. Kate war wohl schon eher die genauere Beschreibung, denn das Haus war klein, lediglich aus Lehm und Stroh mit der Hand hochgezogen worden und nicht mehr im besten Zustand.

Noch während sie vor dem Haus standen, dem mittleren der drei Katen des Herrn Rahotep, schaute aus dem linken Haus eine Frau hervor. Neugierig kam sie näher.

„Ihr sucht Djoser? Der ist nicht da. Ist schon gestern nicht nach Hause gekommen. Keine Ahnung wo er ist, aber normalerweise macht er so etwas nicht. Ist immer pünktlich. Ein ganz übergenauer Mensch ist der. Bei ihm zu Hause ist immer alles ganz aufgeräumt. Ich habe mal eine Zeit für ihn gekocht, da durfte ich dort nichts anrühren. Nichts verschieben, nichts vertauschen. Ganz merkwürdig, der Djoser.“

Nataki sah auf die Frau herab und staunte. Ihre ganze Rede schien aus einem einzigen endlosen Satz bestanden zu haben. Haran räusperte sich.

„Wir sind im offiziellen Auftrag unterwegs und werden das Haus des Djoser durchsuchen müssen.“

„Ach, tatsächlich? Hat er was verbrochen? Wo ist er denn jetzt? Was sucht ihr denn? Vielleicht könnte ich ja…“

Haran unterbrach die Frau mit einer erhobenen Hand.

„Das geht nur die Halle der beiden Wahrheiten etwas an. Tretet zurück, Frau…“

„Wachet ist mein Name. Ich bin die Nachbarin. Ich sehe sonst alles, was hier in der Straße passiert…“

Davon war Haran überzeugt, doch er blendete die Nachbarin einfach aus und trat durch die Tür. Als er sich an die Dämmerung gewöhnt hatte, sah er sich um und seufzte. Entweder hatte die Nachbarin eine denkbar schlechte Beschreibung gegeben oder jemand war vor ihnen da gewesen. Der gesamte Innenraum war übersät mit den Scherben von Töpfen, Schalen und Geschirr. Nirgendwo schien noch ein heiles Behältnis herumzustehen.

Haran schüttelte den Kopf. So einfach würde es wahrscheinlich nicht sein.

„Nataki! Userib!“

Also die beiden hereinstürmten, bremsten sie unwillkürlich, als sie das Chaos sahen. Auch Nataki schüttelte nach einer Weile den Kopf.

„Es wurde alles zerstört, was nach einem Behälter aussieht. Selbst Schüsseln und Becher. Ich nehme an, der Einbrecher hat etwas gesucht und nicht gefunden.“

Haran schüttelte den Kopf.

„Dann hätte er doch nicht alles zerstören zu brauchen.“

Nun meldete sich plötzlich Userib.

„Doch. Denn er hat nicht gefunden, was er gesucht hat. Hätte er es gefunden, wäre er einfach gegangen und alles würde normal aussehen. Da er es nicht gefunden hat, blieben zwei Möglichkeiten. Zum einen, alles so zu lassen und jedem der nach ihm kommt zu signalisieren: Du kannst hier alles durchsuchen und vielleicht was finden. Oder aber alles zu zerstören und so zu zeigen: Seht her, ihr braucht nicht mehr suchen, es gibt ohnehin kein Versteck mehr.“

Nataki und Haran sahen erstaunt zu Userib, der nur die Schultern zuckte, während sich Haran an Sethnacht wandte.

„Also ist hier noch was. Dann such mal schön, mein Kleiner.“

Mit der Nase dicht auf dem Boden wanderte Sethnacht anscheinend planlos im Raum umher, bis er plötzlich stehenblieb und mit den Vorderpfoten anfing zu graben. Der festgestampfte Lehmboden gab keinen Aufschluss, ob darunter etwas verborgen war.

Haran sah sich suchend nach einem Werkzeug um. Userib hatte etwas weiter gedacht und kam mit einer kleinen Hacke wieder, die hinter dem Haus bei dem kleinen Garten gelegen hatte. Nach kurzer Zeit wurde eine Schilfmatte unter dem Lehm freigelegt und Haran hob sie vorsichtig an. In einem kleinen Loch befanden sich drei fast winzige Krüge, fest mit einem Stopfen verschlossen und mit Lehm versiegelt.

Wortlos reichte Haran einen dieser Krüge an Nataki weiter. Vorsichtig entfernte dieser den Lehm und hob den Stopfen an. Nach einem schnellen Schnuppern nickte er.

„Wahrscheinlich das Gift einer Kobra.“

„Schlangengift? Das hält sich so lange?“

„Nein, natürlich nicht. Es wird mit verschiedenen anderen Kräutern und Erden aufbereitet und bildet dann eine Paste, die aufgetragen werden kann. Die hält sich dann allerdings eine ganze Zeit.“

„Also haben wir unseren Giftmörder?“

Nataki schüttelte bedauernd den Kopf.

„Nicht mit diesem Gift. Er sollte es ja wohl in den Wein mischen. Dafür ist Schlangengift nicht geeignet. Wenn es geschluckt wird, zeigt es fast keine Wirkung. Es müsste in eine offene Wunde geraten. Wir brauchen ein Gift, dass man mit dem Essen verabreichen kann.“

Nickend zog Haran die beiden anderen Krüge hervor, die Nataki ebenso vorsichtig öffnete und untersuchte wie den ersten.

„Dieser hielt enthält ebenfalls Schlangengift. Bei dem anderen bin ich mir nicht ganz sicher. Ich würde ihn gerne im Haus des Lebens untersuchen lassen.“

„Ich weiß nicht. Wir haben noch die Vernehmung vor uns und Prinz Netermest will wohl gerne Ergebnisse sehen.“

„Dann liefern wir sie ihm auch. Aber alle die wir kriegen können.“

Haran nickte.

„Du hast Recht. Auf zum Haus des Lebens.“


Simut und Meketre waren zum Hafen gefahren, um sich dort mit Kapitän Sendji zu treffen. Gemeinsam warteten sie am Anleger des königlichen Speichers auf das Eintreffen des Schiffes von Kapitän Lomas.

„Wenn ich das also richtig verstanden habe, gibt es Schiffe, die zwischen den einzelnen Warenlagern hin und her pendeln und bestimmte Waren austauschen.“

Sendji nickte.

„So ungefähr. In den Speichern wird ja zunächst das eingelagert, was in der Nähe hergestellt wird. Es werden aber auch andere Waren benötigt, die weit entfernt hergestellt wurden. Einer der Hauptumschlagspunkte ist natürlich Theben. Hier werden sehr viele unterschiedliche Waren benötigt, die im gesamten Reich hergestellt werden. Deshalb gibt es etliche Schiffe, die zwischen Theben und einem weiteren Speicher pendeln um immer wieder Nachschub zu bringen.“

„Und Kapitän Lomas führt eines dieser Schiffe.“

„Er pendelt schon seit einigen Jahren zwischen Theben und Abedju hin und her. Eine langweilige, aber ruhige und einträgliche Arbeit.“

Sendji unterbrach sich und sah hinaus auf den Fluss.

„Da drüben, das dürfte er sein.“

Simut beobachtete aufmerksam, wie ein breites Frachtschiff sich langsam näherte und routiniert an der Pier festmachte.

Ein rundlicher Mann, so um die vierzig, gab die Kommandos und als das Schiff festgemacht hatte, ging er von Bord, um dem Beamten des Warenlagers seine Papiere zu übergeben. Der Beamte veranlasste eine größere Gruppe von Arbeitern an Bord zu gehen und das Schiff zu entladen. Der rundliche Mann, offensichtlich der Kapitän, stand daneben und sah ihnen fast gelangweilt zu.

Erschreckt fuhr er zusammen, als er von hinten angesprochen wurde.

„Ihr seid Kapitän Lomas?“

Der Kapitän drehte sich um und sah sich plötzlich mit drei Personen konfrontiert. Der eine war offensichtlich ein Diener und somit uninteressant. Der zweite trug einen Leinenschurz und den Brustpanzer eines militärischen Schiffsführers. Der dritte trug ebenfalls einen Leinenschurz, dazu den Lederpanzer eines Wagenlenkers. In seinen Händen hielt er einen Offiziersstab und als Lomas‘ Blick darauf fiel, bemerkte er drei goldene Ringe.

Er hatte schon darauf gewartet, dass irgendwann so etwas passieren würde und wandte sich blitzschnell um, bereit zu flüchten. Seine ersten Schritte erstarben jedoch in Bewegungslosigkeit, als er auf der anderen Seite der Pier die zehn Bogenschützen bemerkten, die auf ein Zeichen des Offiziers ihre Bögen, bereit zum Schuss, erhoben hatten. Mit gesenkten Schultern und Kopf drehte er sich wieder zu dem Offizier und seinen Begleitern.

„Ja. Ich bin Kapitän Lomas.“

„Dann haben wir ein paar Fragen.“

Ein weiteres Zeichen veranlasste die Bogenschützen ihre Waffen zu senken, doch sie blieben weiterhin wachsam stehen. Simut wandte sich wieder an Kapitän Lomas.

„Warum hattet ihr es auf einmal so eilig?“

„Weil ich geahnt habe, dass es eines Tages soweit kommt. Ich hätte nie auf diesen Idioten hören sollen.“

Simut hob nur fragend eine Augenbraue und Lomas plapperte munter weiter drauflos.

„Tarewan, dieser dämliche Hund. Eine einträgliche Nebeneinnahme hatte er mir versprochen. Reichtum ohne Ende, völlig ohne Risiko. Und was hab ich davon gehabt? Ein paar Kupferdeben jeden Monat. Ha!“

„Und was habt ihr dafür tun müssen?“

Lomas schwieg ernüchtert. Diesmal kam seine Antwort erheblich leiser.

„Auf der Fahrt von Theben nach Abedju sollte ich immer ein paar Leute mehr mitnehmen. Es waren fast immer ein oder zwei Jungen, aber alle schon ohne Kinderlocke.“

Simut dachte sich seinen Teil über diese Jungen und dem Tonfall nach zu schließen, wusste Lomas ebenfalls ganz genau, was mit den Jungen passieren sollte.

„Das war schon alles?“

„Nein. Auf der Rückfahrt habe ich von einer alten Frau fast immer einen Beutel mit wertvollen Sachen bekommen, den ich kurz vor Theben an ein kleines Fischerboot übergeben habe. Beim letzten Aufenthalt wurde mir gesagt, die Medjai hätten die alte Frau samt ihrem Haushalt mitgenommen und da wusste ich, dass die ganze Sache wohl aufgeflogen war.“

„Die Bogenschützen werden dich in die Halle der beiden Wahrheiten begleiten. Wir werden etwas später folgen und noch ein Protokoll aufnehmen. Deine Reisen sind hier wohl für dich zu Ende.“


Userhet, Simi und Hanai standen vor dem prachtvollen Haus des ehrenwerten Herrn Unnacht und der junge Offizier sprach mit dem Torwächter.

Anscheinend fand der Wächter die drei Besucher nicht für würdig genug, vom Obersten Juwelier empfangen zu werden, doch nach einigem hin und her schickte er dann doch einen Diener zu seinem Herrn, um von dem penetranten Offizier zu berichten, der ihn unbedingt sehen wollte. Zu seinem Erstaunen wurden die Besucher unverzüglich hereingebeten und vor den Obersten Juwelier geführt.

Der ehrenwerte Unnacht saß im Haupthaus ganz hinten in der dunkelsten Ecke auf einem unbequemen Stuhl und sah sich misstrauisch um. Bei jedem lauten Geräusch zuckte er zusammen. Er schien immer noch etwas zu leiden, denn sein Gesicht war rot angelaufen und man konnte deutlich die dunklen Würgemale um seinen Hals erkennen.

„Nun, ich hoffe Ihr bringt Nachricht über den Attentäter.“

„Nicht ganz, ehrenwerter Unnacht. Ich bin eigentlich in einer ganz anderen Angelegenheit hier.“

Unnachts aufgesetzte joviale Miene verdüsterte sich.

„Was wollt Ihr dann?“

„Ich wollte Euch fragen, ob Ihr mir darüber Auskunft geben könnt.“

Wortlos kramte Userhet aus einem Beutel die beiden Rollsiegel hervor, die im Hafen beschlagnahmt worden waren.

Unnacht nahm das erste Siegel, besah es sich genau und grunzte dann abfällig. Oberflächlich kontrollierte er auch das zweite Siegel und legte es dann ab. Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke. Schnell nahm er beide Siegel hoch und kontrollierte die Nummern. Sein Gesicht nahm nun die Farbe eines reifen Granatapfels an.

„Was ist das?! Was wollt Ihr von mir?!“

„Die Wahrheit, ehrenwerter Unnacht, nur die Wahrheit.“

„Ich weiß nichts. Und nun verschwindet.“

Etwas mitleidig griff Userhet noch einmal in den Beutel und holte einen weiteren kleinen Gegenstand hervor, den er dem Obersten Juwelier auf seiner flachen Hand präsentierte.

„Werdet Ihr IHM das gleiche sagen?“

Mit hervorquellenden Augen starrte Unnacht auf den kleinen Skarabäus auf Userhets Hand. Er brauchte ihn nicht näher zu betrachten, denn er hatte ihn höchst selbst gefertigt. Aufstöhnend sackte der Oberste Juwelier in sich zusammen.

„Er hat mich gezwungen!“, jaulte er plötzlich auf und reckte die Arme nach oben, als ob er etwas greifen wollte.

„Er hat mich erpresst. Ich habe es nicht freiwillig getan. Es hat doch niemandem wirklich geschadet!“

„Niemandem geschadet? Ihr habt den göttlichen Herrscher um seinen rechtmäßigen Besitz gebracht. Mit diesen Dingen wurden feindliche Truppen innerhalb von Khemet versorgt und ausgerüstet. Mit diesen Dingen wurden Häuser gekauft und Männer bezahlt, die jungen Männern, Kindern fast noch, mehr angetan haben als jede Folter es könnte. Mit diesen Dingen wurden Attentäter bezahlt, ehrenwerte Männer und treue Diener unseres göttlichen Herrschers zu beseitigen. Und welche Ironie, sogar Euren eigenen Attentäter habt Ihr selbst bezahlt.“

Der Oberste Juwelier saß nun wie ein Häufchen Elend und wimmernd in seinem Stuhl. Seine Hände fuhren unsicher umher und ein Schrei entrang sich ihm.

„Ich kann nicht!“

„Ihr werdet aussagen. Entweder hier oder Ihr werdet vor den Tjati geführt in den Tempel der Maat wo Ihr einen Eid schwören müsst.“

Ein weiterer Schrei entrang sich dem Mann, sein Schicksal verfluchend. Schon mancher Verbrecher hatte seine Taten gestanden, bevor er gezwungen wurde einen Eid zu schwören. Als Verbrecher verlor man höchstens sein Leben, aber als Eidbrüchiger würden einen die Götter in die ewige Finsternis verstoßen, ohne Möglichkeit auf ein Leben im Jenseits.

Nebamun wusste, welche Qualen der Mann durchlief, doch er zeigte kein Mitleid.

„Dann sprecht.“


Am Abend saß Prinz Netermest neben dem Teich und las noch einmal aufmerksam alle Protokolle durch, die im Laufe des Tages gefertigt worden waren. So langsam ergab sich ein Bild. Nachdenklich legte er die Blätter auf verschiedenen kleinen Stapeln ab, dann sah er sich um.

„Los, Leute. Es ist wieder soweit. Ab in den Teich. Ich habe einige wichtige Informationen und möchte, dass ihr die Schlüsse zieht, bevor ich etwas dazu sage.“

Einige der Angesprochenen befanden sich bereits im Teich, Simi hockte mit Hanai auf den Stufen, während Huni auf dem Rand saß und Sethnacht kraulte. Der Prinz stieg nun ebenfalls in das Wasser und entspannte sich etwas. Er hatte die Protokolle nun schon so oft gelesen, dass er den Inhalt auswendig vortragen konnte.

„So, es geht los. Zunächst Frau Nebet. Sie hat zugegeben, die fünf Attentäter ihrem Haushalt hinzugefügt zu haben, alles gemäß eines alten Plans des gewesenen Fürsten. Kapitän Tarewan ist ebenfalls von Wawerhet angeheuert worden, um gestohlene Waren zu verkaufen und damit teilweise die hethitischen Truppen zu versorgen. Zu dieser Schmugglerkette gehört auch der Karawanenführer Mahet.“

Bis jetzt lauschten alle schweigend dem Vortrag.

„Daneben gibt es fünf Attentatsaufträge von einem bis jetzt unbekannten Auftraggeber. Der erste betrifft den ehrenwerten Dunmarit. Er sollte erdrosselt werden, wozu es nicht gekommen ist, weil der Auftrag an die falsche Person ausgeliefert wurde.“

Unwillkürlich hatte sich Hanai an Simi geklammert, der ihm beruhigend durch die Haare strich.

„Der zweite Auftrag sollte den Haushalt von Kutari treffen. Ausgeführt sollte er von einem Lieferanten des Lagers der Beamten werden, der den Weizen vergiftet hat. Er hat ausgesagt, er sei erpresst worden und zwar von dem Mann mit der Narbe. Grundlage der Erpressung war übrigens, dass dieser Haradi das Bordell der Jungen besucht hatte.“

Jetzt lief das erste Murmeln durch die Reihen.

„Moment, es geht weiter. Der ehrenwerte Oberste Juwelier Unnacht sollte vergiftet werden und dieses Mal ging der Auftrag korrekt an einen professionellen Giftmörder. Sethnacht hat das Gift gefunden und dieser Djoser hat gestanden, den Auftrag von einem Mann mit einer Narbe entgegengenommen zu haben.“

Huni tätschelte Sethnacht zwischen den Ohren

„Guter Hund!“

„Kapitän Lomas hingegen hat in unregelmäßigen Abständen Jungen nach Abedju verfrachtet und von dort wertvolle Güter, wahrscheinlich Edelsteine oder Gold, mit nach Theben gebracht.“

In die Stille hörte man die immer noch etwas helle Stimme von Nebamun.

„Es wird wohl Zeit, sich um Abedju zu kümmern.“

„Einen Moment noch, da komme ich gleich drauf. Wir haben hier noch einen Fall, nämlich den des ehrenwerten Obersten Juweliers Unnacht. Ich habe Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass er vor seinem jetzigen Posten der Steinschneider des Großen Hauses war. Er hat dann ja auch zugegeben, dass er das doppelte Siegel für Kapitän Tarewan erstellt hat. Möglicherweise auch eines für das Lager der Beamten. Er behauptet, ebenfalls erpresst worden zu sein und zwar ebenfalls von Fürst Wawerhet. Grundlage dieser Erpressung ist, man glaubt es kaum, ebenfalls der mehrfache Besuch im Bordell der Jungen.“

„Das… das Ding ist ja wie von selbst im Kreis gelaufen.“

Alle sahen nun zu Simut, der sich fast ungläubig an seinen Bruder geklammert hatte und vor Aufregung fast stotterte. Der Prinz nickte langsam.

„Ja. Es brauchte nur angestoßen zu werden. Ein paar mehr oder weniger freiwillige Jungen, das Angebot an die ehrenwerte Gesellschaft, dann die Deben die man ihnen dafür abknöpfte, oder irgendwelche anderen Gegenleistungen. Wurde nicht pariert, wurde man erpresst. Mit den Deben wurden weitere Jungen angelockt und sogar problemlos in eine nahegelegene Stadt verfrachtet. Es wird wirklich Zeit, dass wir uns darum kümmern. Aber vorher etwas anderes. Wem ist bei den ganzen Fällen etwas aufgefallen?“

Ein nachdenkliches Schweigen setzte ein.

„Einige Sachen passen zusammen, andere nicht.“

Alle wandten sich zu Hanai, während Netermest leise lächelte.

„Dann erzähl mal, warum.“

„Ganz einfach. Diese Frau, äh Nebet oder so. Sie behauptet, ihre Aufträge seien von dem Fürsten gekommen, Ebenso wie der Kapitän und dieser Karawanenführer, der damit zusammenhängt. Auch die falschen Siegel. All das ist schon älter. Die Attentate, die vergeben worden sind, sind noch nicht so alt. Höchstens eine Dekade vielleicht oder zwei.“

Plötzlich ertönte die leise Stimme von Userib.

„Zwei verschiedene Operationen. Die eine lange vorbereitet und gut versteckt. Die andere kurzfristig vorbereitet. Der Anführer der ersten Operation ist gefallen und nun versucht ein anderer diese Position einzunehmen. Als erstes werden Mitwisser oder Zeugen beseitigt, um alle Spuren zu verwischen.“

Viele erstaunte Blicke wanderten nun zu Userib. Lediglich Netermest und Hanai nickten nachdenklich. Hanai akzeptierte einfach die Rückschlüsse, die Userib gezogen hatte, während Netermest sich insgeheim beglückwünschte, dass er Userib genommen hatte. Der Junge hatte wohl schon fast alle taktischen Züge der Truppen von Khemet gesehen und war als stiller Zuhörer bei den Erklärungen dabei gewesen.

„Bleibt dann nur noch die Frage, wer sich hinter diesen neuen Aktionen verbirgt. Ist es der Mann mit der Narbe?“

Hanai schüttelte sofort den Kopf und auch Simut, Userhet und Nebamun taten es ihm gleich.

„Sehr unwahrscheinlich“, begann Nebamun dann auch sofort.

„Er hat sich mehrere Male gezeigt und persönlich Aufträge vergeben. Selbst wenn er die Absicht gehabt hätte, auch diese Zeugen zu beseitigen, ist das Risiko doch ziemlich groß, dass etwas schief geht. Wir müssen wahrscheinlich nach jemandem im Hintergrund suchen, jemand, der bisher nicht aufgefallen ist.“

Prinz Netermest seufzte laut und Nebamun legte ihm sanft einen Arm um die Schultern. Stille senkte sich über den Teich und fast automatisch fanden sich wieder Paare zusammen. Da Simi bei Hanai auf der Treppe saß, fühlte sich Userib plötzlich von Gemni und Pachred durch den Teich geschoben, bis er neben einem der rothaarigen Wagenlenker zu stehen kam. Der sah lächelnd auf ihn herab und wuschelte dann mit einer Hand in seinen etwas struppigen schwarzen Haaren.

Userhets Blick suchte zunächst Simi, der lächelnd nickte und Hanai sanft über die Haare strich, während der sich an ihn gelehnt hatte. Userib hatte den Blick bemerkt und auch Simis Antwort. Etwas schüchtern legte er dem großen hellhäutigen Mann eine Hand auf dessen Unterarm, ohne ihn jedoch anzusehen. Dann spürte er, wie Userhet sich vorbeugte und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. Userib hob seinen Kopf an, sah in die grünen Augen von Userhet und lächelte. Wieder beugte sich der rothaarige Mann vor und nun fanden sich ihre Münder zu einem ersten leichten Kuss.


Das Frühstück am nächsten Morgen verdiente seinen Namen, denn fast alle waren noch vor dem Erscheinen des Herrn Re in der Großen Halle versammelt. Lediglich Hanai und Nataki fehlten noch, aber das lag an der Kontrolle von Hanais Wunde.

Huni, Simi, Meketre und Pachred waren fleißig damit beschäftigt, körbeweise frische Sachen aus der Küche anzuschleppen und Prinz Netermest staunte nicht schlecht über die reichhaltige Auswahl. Sicherlich, im Palast des Flusspferds hatte es ebenfalls reichlich und gut zu Essen gegeben, doch das war der Palast einer Prinzessin, einer königlichen Gemahlin gewesen. Innerlich zuckte er dann etwas zusammen, als ihm klar wurde, dass dies hier der Palast eines Prinzen, eines Sohnes des Herrschers war. Unwillig sah er zu Huni auf.

„Sag mal, was passiert mit den Sachen, die wir nicht essen?“

Huni sah den Prinzen erstaunt an, dann wusste er, was dieser wollte.

„Die Reste? Oh, die gehen zurück in die Küche. Das kommt dann zu dem Essen für die Bediensteten.“

Prinz Netermest lehnte sich etwas beruhigt zurück. Er gestand sich ein, dass er sehr wenig über den täglichen Betrieb eines solchen Haushaltes wusste.

Als nun auch Hanai und Nataki eintrafen, ließ er ihnen einen Moment, um sich an dem Essen zu bedienen und wandte sich dann an die Allgemeinheit.

„Für den heutigen Tag haben wir hauptsächlich zwei Dinge. Zum einen möchte ich gerne wissen, wer dieser Mann mit der Narbe ist. Er ist ja nicht gerade unauffällig und deshalb wird ihn wohl schon vorher jemand gesehen haben. Er ist als möglicher Beamter beschrieben worden. Deshalb werden Userhet, Simi und Hanai dem Obersten Verwalter einen Besuch abstatten. Ich setze große Hoffnungen darin, dass er oder sein Schreiber jemanden mit der Beschreibung kennen.“

Userhets Blick suchte Hanai, der kauend nickte.

„Das zweite große Vorhaben wird die Aushebung dieses Bordells in Abedju. Ich habe erste vorsichtige Nachforschungen in Abedju anstellen lassen. Die Stadt selbst ist ziemlich ausgedehnt, mit den ganzen Tempel- und Grabanlagen im Süden und Südosten. Was uns interessiert, ist der Steinbruch im Nordwesten mit seinem Arbeiterviertel und den dort vorhandenen Tavernen und Gasthäusern. Viele der dort arbeitenden Männer sind nur saisonweise da während der Überschwemmungszeit, also genau jetzt.“

Simut brummte etwas Unverständliches, räusperte sich aber dann.

„Die Arbeiter dort werden sich keinen Aufenthalt in einem Bordell leisten können. Schon gar nicht in einem, das wir suchen.“

Netermest sah hinüber zu Simut und nickte.

„Richtig. Aber wenn viele Arbeiter da sind, gibt es auch viele Aufseher. Und dann natürlich auch viele Schreiber und Beamte, sogar Architekten und Künstler. Achet ist die Zeit der größten Bevölkerung in Abedju. Deswegen brauchen wir einen Plan, wie wir vorgehen wollen, ohne dass wir gleich auffallen.“

Nach einem Moment des Schweigens schwirrten etliche Vorschläge durch den Raum.

„Als Arbeiter brauchen wir da nicht auftauchen, das glaubt uns keiner.“

„Vielleicht als Aufseher? Wer käme dafür in Frage?“

„Was ist mit Lieferanten für die Tavernen?“

„Lomas könnte doch einen oder zwei von uns dort abliefern…“

„NEIN! Auf gar keinen Fall!“

Netermest funkelte Meketre zornig an, so dass dieser zusammenfuhr und sich zu Boden kauerte.

„Meketre. Komm her zu mir.“

Sehr leise kam nun die Aufforderung und Meketre schlich fast hinüber zu dem Prinzen. Netermest hob ein wenig den Kopf des Jungen an und gab ihm einen sanften Kuss.

„Niemand von euch wird jemals ein solches Haus betreten um darin zu arbeiten und sei es auch nur zur Tarnung. Das, was hier geschieht und das, was dort passiert sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Sei froh, dass du es nicht kennengelernt hast.“

Meketre war immer noch etwas eingeschüchtert von der heftigen Reaktion des Prinzen, doch genauso war er fasziniert von dem Kuss, den er bekommen hatte. Netermest richtete seine Aufmerksamkeit nun wieder auf alle.

„Wer noch weitere Ideen hat, kann gerne zu mir kommen. Userhet hat ja seinen Auftrag.“

Userhet nickte und erhob sich. Als er sah, dass Hanai noch beim Essen war, ging er hinüber und ließ sich neben ihm nieder.

„Na, wie fühlst du dich heute?“

„Etwas besser. Nataki hat mir noch etwas gegen die Schmerzen gegeben.“

„Du sollst es ja auch nicht übertreiben.“

Als Hanai gestern Abend mit Simi in die Kammer von Userhet gekommen war, hatten dieser und Userib es sich schon gemütlich gemacht. Ineinander verschlungen lagen sie auf ihren Schilfmatten und Hanai spürte das plötzliche Verlangen, das ihn nun durchzuckte. Mit seiner verletzten Schulter würde das jedoch etwas schwierig werden. Simi grinste ihn an und griff nach Hanais Hand um sie auf seinem Bauch nach unten zu führen. Sie hatten sich gar nicht die Mühe gemacht, nach dem Aufenthalt im Teich noch eine Bekleidung anzulegen.

Bedauernd legte sich Hanai hin und drehte sich auf den Bauch, um seine Schulter zu entlasten. Simi saß neben ihm und ließ nun spielerisch seine Hand an der Wirbelsäule bis ganz nach unten fahren. Erzitternd spreizte Hanai etwas seine Beine.

„Bist du sicher?“

Hanai nickte.

„So sicher wie nie. Aber… lass dir Zeit. Du bist der Erste. Zumindest damit.“

Simi stutzte, dann bedeckte er Hanais Rücken mit winzigen Küssen. Gleichzeitig suchten seine Augen den kleinen Krug mit Gänsefett, der dicht neben Userhet lag.

Hanai schreckte aus seinen Gedanken hoch, als Userhet ihn leicht anstieß.

„Komm, wir müssen los.“

Hanai und Simi bedauerten, dass die Arbeitsräume des Obersten Verwalters innerhalb des Großen Hauses lagen. Wie gerne wären sie heute Morgen mit dem Streitwagen unterwegs gewesen. Doch Userhet wollte für den kurzen Weg nicht extra die Pferde anspannen und er verzichtete sogar auf seinen Brustpanzer.

Der Innenhof im Palast des Obersten Verwalters lag fast etwas verlassen da. Im Gegensatz zum letzten Mal gab es nur eine Handvoll Schreiber, die etwas brachten oder mitnahmen. Ruhig saß der Oberste Verwalter in seinem Sessel und diktierte seinem Schreiber.

Als er Userhet bemerkte, stand er auf und winkte ihn heran.

„An Euch kann ich mich erinnern. Ihr seid einer der Wagenlenker des Prinzen Netermest. Was führt Euch heute zu mir?“

„Der Prinz schickt mich, Euch zu fragen, ob Ihr einen Mann kennt, einen Beamten vielleicht oder einen Schreiber, von dem wir zwar eine Beschreibung aber keinen Namen haben.“

Der Oberste Verwalter sah seinen Schreiber bezeichnend an und auch Rahmose war etwas erstaunt über dieses Ansinnen.

„Dann erzählt einfach, wen ihr sucht.“

Userhet schob Hanai nach vorne und dieser spulte eine genaue Beschreibung des Mannes mit der Narbe ab, so wie er ihn gesehen und andere ihn beschrieben hatten.

Schon nach den ersten Sätzen sahen sich der Oberste Verwalter und sein Schreiber betroffen an. Als Hanai endete, schwiegen sie zunächst, doch ihre Reaktion war unübersehbar.

„Ihr kennt ihn, Herr?“

Der Oberste Verwalter nickte und sah noch einmal zu seinem Schreiber.

„Hat man es euch nicht gesagt?“

„Was?“

„Der Mann, den ihr soeben beschrieben habt, ist eindeutig der verschwundene Schreiber Kermat.“

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