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Freibeuter der Meere

Teil 10

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Die Rückkehr der ESTRAY und ihrer Begleitschiffe nach Caerdon war doch nicht so ganz einfach, wie Clyde es sich vorgestellt hatte.

Der Bürgermeister des kleinen Ortes Weston Point war erschienen und verlangte Aufklärung darüber, was denn nun eigentlich passiert sei. Zwei Dunkelmagier waren festgesetzt worden und drei weitere auf der Flucht. Die ÍLE AUX MOINES hatte keine Schiffsführung mehr, doch sollte sie eine tragende Rolle in Clydes nächsten Plänen spielen.

Der einfachste Teil war der Bürgermeister. Er war sehr schnell davon zu überzeugen, dass sie im Namen der Königin unterwegs waren. Vollkommen gebannt lauschte er den Geschichten aus der Hauptstadt und er schien nicht besonders überrascht, dass sich sein eigener Herzog als Umstürzler und Verräter herausgestellt hatte.

„Er war schon immer etwas merkwürdig. Doch was soll mit seinen Überresten passieren? Wir können ihn ja nicht einfach dort liegenlassen.“

Nun kam der erste Kommentar von Andrew Fraser, der bisher schweigend dem Gespräch gelauscht hatte.

„Nein. Wir werden ihn nach Caerdon überführen müssen. Dort wird er untersucht und seine Identität eindeutig festgestellt. Dann wird der Kronrat tagen, die Angelegenheit beraten und seinen Tod offiziell verkünden. Wer ist eigentlich der nächste Herzog von Elmet?“

Der Bürgermeister war tief in Gedanken.

„Ein großer Aufwand, aber er war schließlich ein Herzog mit einem eigenen Herzogtum. Was? Der nächste Herzog? Oh, das ist etwas kompliziert. In Elmet herrscht ein patrilineares Erbrecht. Nur männliche Personen können den Titel erben. Da er keine Kinder hatte, dürfte das der Sohn seiner jüngsten Schwester sein. Seine anderen Schwestern haben keine Söhne. Der arme Kerl.“

„Ach so? Warum?“

„Nun, der kleine Edward ist erst fünf. Es wird ein Vormund für ihn bestimmt werden müssen. Was für ein Durcheinander.“

Clyde schüttelte den Kopf. Das mussten die Erben unter sich ausmachen. Auch wenn er etwas um das Leben des kleinen Edward fürchtete.

„Dann möchte ich euch bitten, uns zu unterstützen. Wir benötigen einen Sarg und was so alles dazu gehört. Ich beabsichtige, den verblichenen Herzog mit der ÍLE AUX MOINES nach Caerdon zu bringen. Dürfte erheblich leichter sein als auf dem Landweg.“

„Selbstverständlich, Euer Lordschaft. Ich werde mich sofort mit Miles Bingham, unserem Tischler in Verbindung setzen. Er hat immer ein oder zwei Särge auf Lager.“

Nachdem diese Einzelheiten geklärt waren und der Bürgermeister geschäftig das Schiff verlassen hatte, wandte sich Clyde wieder an Andrew.

„Was ist mit den beiden Dunkelmagiern? Was machen wir mit denen?“

„Die werden wir ebenfalls mitnehmen müssen. Sie bleiben gefesselt und unter der Kapuze, bis wir sie den Druiden in Caerdon übergeben können. Sie werden im Moment von Leif und Tarek bewacht. Die drei Flüchtigen machen mir mehr sorgen.“

„Warum das?“

„Sie können jederzeit untertauchen. Niemand weiß, wer unter den Roben verborgen war. Es können ganz normale Einwohner einer Stadt oder eines Dorfes sein, die nur zu bestimmten Zeiten oder Zwecken ihrer dunklen Seite nachgeben.“

„Also mühselig weitersuchen.“

„Ja, leider. Wenn du weiter nichts mehr für mich hast, möchte ich mich gerne noch etwas um unsere Gefangenen kümmern.“

„Nein, soweit alles in Ordnung.“

Clyde sah dem davonschwindenden Andrew mit gemischten Gefühlen hinterher. Er wollte lieber nicht wissen, mit welchen Methoden er die Gefangenen befragte. Doch nun zum schwierigen Teil. Clyde seufzte und überlegte, wie er es Thorben am besten beibringen sollte.

Etwas zögernd verließ er die ÍLE AUX MOINES und ging hinüber auf die ESTRAY. Dort wurde er zu seiner Überraschung mit dem Schiffszeremoniell begrüßt. Zwei Schiffsjungen waren an der Gangway angetreten und Mickey Fraser pfiff auf der Bootsmannsmaatenpfeife.

„Was soll das denn? Wir sind doch nicht bei der Navy.“

Thorben zuckte mit den Schultern.

„Wir müssen es aber üben. Jeder Offizier wird ab sofort so begrüßt. Das heißt, jeder Offizier, der ein offizielles Patent hat. Dazu zählen die Freibeuter natürlich nicht.“

„Das heißt, wenn ich an Bord komme, gibt das ab jetzt immer so ein Trara und wenn Ragnar erscheint, dann nicht?“

„Völlig richtig. Aber was beschert uns deine ehrenwerte Anwesenheit?“

Clyde sah Thorben misstrauisch an.

„Wieso? Woher weißt du, dass ich was will?“

„Weil du aussiehst wie ein begossener Pudel. Mit dem Gesicht kommst du nur an, wenn du etwas willst. Lass mich raten. Du willst die ÍLE AUX MOINES mitnehmen und dafür brauchst du eine Besatzung. Aber denk dran. Ich muss die ESTRAY auch noch ins Gefecht führen können.“

Clyde seufzte.

„Also kann ich beide Magier vergessen. Was ist mit einem?“

Thorben wurde nachdenklich.

„Ich könnte dir einen überlassen. Aber du hast ja auch noch Lieutenant Richardson. In diesem Fall würde ich dann natürlich eher Diethard empfehlen. Mehr kann ich nicht abgeben. Du musst mit der alten Besatzung der ÍLE AUX MOINES auskommen. Am besten, du lässt unsere Seesoldaten an Bord. Das wird die Seeleute von irgendwelchen Dummheiten abhalten. Wenn wir dann im Verband laufen… Oh ja. Du brauchst einen Mann für den Signaldienst. Hier können das notfalls Ragnar oder Sven machen. Du kriegst noch Manuel.“

„Hm, wenn du denkst, dass das funktioniert, werde ich Peter mal fragen. Wir werden übrigens den Sarg mit dem Herzog an Bord haben. Hat das irgendwelche Auswirkungen?“

Thorben sah Clyde überrascht an, dann wandte er sich um.

„Manuel!“

„Aye, Sir!“

„Manuel, die ÍLE AUX MOINES wird den verstorbenen Herzog von Elmet nach Caerdon überführen.“

„Was? Oh, das wird aufwändig. Trauerbeflaggung. Ehrenposten. Trauersalut. Und dann noch…“

„Halt! Moment. Was soll das denn alles. Ich will ihn doch nur zurückbringen. Die Königin hat

Charles Talbot sämtlicher Ämter enthoben und ihm alle Titel aberkannt.“

„Ist ja richtig. Aber dazu bedarf es der offiziellen Beurkundung ihrer Anweisungen durch den Kronrat. Und die erfolgt erst nach Untersuchung der Vorgänge, die zu diesen Anweisungen geführt haben. Und einer Untersuchung der Überreste des Herzogs. Bis dahin ist er noch der Herzog von Elmet. Genauso muss der neue Herzog vor dem Kronrat erscheinen, bevor die Königin ihn in sein Erbe einsetzt.“

Clyde sah Manuel erstaunt an.

„Aha. Und woher weißt du das alles? Das hat doch wohl nicht alles in den Büchern gestanden.“

„Nein, das meiste hat mir Mister Fossit erklärt.“

„Leif? Was hat der denn hier gewollt?“

Manuel antwortete nicht direkt, sondern sah nach oben in die Wanten, wo Mickey Fraser zwei Seeleuten irgendwelche Anweisungen gab.

„Ach so, schon gut. Wenn das so ist, hast du soeben den ersten Preis gewonnen. Du bist ab sofort mit dem Zeremoniell für den verblichenen Herrscher von Elmet betraut. Du kannst schon mal rüber auf die ÍLE AUX MOINES und dich mit den Gegebenheiten vertraut machen.“

Etwas überrascht sah Manuel zu Clyde, dann zu Thorben. Der nickte lediglich. Clyde verabschiedete sich und zuckte zusammen, als wieder eine Bootsmannsmaatenpfeife ertönte, als er über die Gangway ging. Diesmal war es Louis Batton.


Am nächsten Morgen verließ ein kleiner Flottenverband den Hafen von Weston Point und lief an Liuerpul vorbei in Richtung Caerdon.

Als erste kam die ESTRAY, denn Thorben war immer noch Verbandsführer und zeitweiliger Commander der Royal Navy. Dann folgte die ÍLE AUX MOINES mit dem Sarg des Herzogs, danach die OAKLEAF und zum Schluss die BIRCHLEAF.

Alle vier Schiffe führten ihre Flaggen, entgegen den Regeln, auch auf See am Heckstock und hatten diese auf Halbmast gesetzt. Die ÍLE AUX MOINES führte im Vortopp die Flagge des Herzogtums Elmet und im Großtopp die persönliche Standarte des verstorbenen Herzogs.

Mehr als einmal schielten die Seeleute etwas abergläubisch hinüber zu dem Sarg, der Mittschiffs zwischen den Masten aufgebahrt worden war. Ihn bedeckte ebenfalls eine Flagge des Herzogtums Elmet. Vier Seesoldaten standen als Ehrenposten an allen vier Ecken.

Peter Richardson war mehr als überrascht gewesen, als Clyde ihn gefragt hatte, ob er für die Überfahrt der Schiffsführer der ÍLE AUX MOINES sein wollte. Zunächst wollte er ablehnen, doch als Clyde ihm sagte, dass Diethard Wegener sein Erster Offizier sein würde, stimmte er freudig zu. Als Steuermann hatte Clyde dem Kommandanten der OAKLEAF Eric Fossit abgeschwatzt.

An Backbordseite war Manuel gerade damit beschäftigt, Michael Marion Milster in die Geheimnisse des Ehrensaluts einzuweisen. Der ehemalige Pulverjunge sah etwas unglücklich aus, denn Clyde hatte ihm ausdrücklich verboten, sich auch nur ansatzweise der Pulverkammer zu nähern. Die war der wohl denkbar schlechteste Ort für einen nicht ausgebildeten Feuermagier. Aus diesem Grund sollte er Manuel beim Ablauf des Zeremoniells helfen.

Als die Sonne höher stieg, wurde es wieder richtig warm und Manuel hatte kurz entschlossen das kurze Hemd abgelegt und zeigte seinen braungebrannten Oberkörper. Clyde beobachtete amüsiert, wie Michael anscheinend von der halbnackten Gestalt abgelenkt wurde. Immer wieder glitten seine Blicke an Manuel auf und ab und er schien sich nicht mehr auf ihr Gespräch konzentrieren zu können.

Auf eine Bemerkung von Manuel hin zögerte Michael zunächst, legte aber dann ebenfalls sein Hemd ab. Clyde bemerkte, dass der ganze Körperbau des Jungen sehr schmal war und deshalb auch die Extremitäten so auffällig überproportioniert aussahen. Die Haut war vom Kopf bis zum Hals und an den Armen gebräunt, doch sein Hemd schien er selten abgelegt zu haben. Im Gegensatz dazu hatten die Schiffsjungen der ESTRAY jeden erdenklichen Moment genutzt, um ihre Sachen abzulegen. Sven hatte sogar einige aufgescheucht, die es sich vollkommen nackt auf dem Tauwerk an Oberdeck gemütlich gemacht hatten.

Nun war auch Manuel etwas abgelenkt und seine Blicke wanderten an dem größeren Jungen mehr als einmal auf und ab. Clyde grinste innerlich. Mal sehen, wie lange das gut ging. Doch halt. Er musste dringend vorher mit Manuel sprechen. Sollten die beiden tatsächlich etwas mehr miteinander machen als nur reden, konnte Michael im Überschwang seiner Gefühle etwas auslösen, was gefährlich sein konnte.

„Manuel! Kommst du mal bitte herüber.“

„Sie haben gerufen, Sir?“

„Laut und deutlich.“

Clyde sah hinüber zu Michael.

„Na, wie macht er sich?“

Manuel folgte seinem Blick.

„Sehr gut. Mit den Kanonen kennt er sich auf jeden Fall aus. Auch mit dem Salut.“

„Aha. Und wie findest du ihn?“

Manuel sah Clyde erschrocken an, dann sah er kurz auf das Deck.

„Er ist… hm… nett.“

„Nur nett?“

„Na ja. Von dem, was ich mitbekommen habe, hat er etwas Angst. Er kennt den Ruf der Freibeuter von Scythe. Aber er weiß nicht, was er davon halten soll. Er hat auch ein bisschen Angst davor, dass er mit seiner Zusage auch seinen Hintern verkauft hat.“

Clyde hob die Augenbrauen.

„Er hat dir erzählt, dass er nach Scythe geht? Hat er auch gesagt, warum?“

„Ja. Er ist magisch begabt und soll dort seine Ausbildung bekommen. Er hat aber keine Ahnung, wie das aussehen soll.“

„Das ist genau das Problem, warum ich mit dir reden wollte. Er ist nicht ausgebildet. Und er ist ein Feuermagier. Das könnte gefährlich werden, wenn er seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat. Deshalb möchte ich dich bitten, etwas zurückhaltender zu sein. Oder wenn es gar nicht anders geht, darauf zu achten, in welchem Zustand er sich befindet.“

„Soll das heißen, wenn wir… äh, also wenn er… dabei könnte er Magie auslösen?“

„Könnte sein, muss aber nicht. Seid also vorsichtig, wenn ihr etwas macht. Ich möchte nicht, dass einem von euch beiden etwas passiert.“

Nachdenklich ging Manuel wieder hinüber zu Michael. Der redete auf Manuel ein, bis dieser auf Clyde deutete und Michael betreten zu Boden sah. Na, die beiden würde Clyde im Auge behalten müssen.

Erstaunt sah Clyde auf, als Mario sich ihm näherte. Lächelnd nahm der kleine Rotaner auf einer Taurolle Platz und sah zu Clyde hoch.

„Es hat sich eine Menge getan in letzter Zeit. Und ich meine nicht nur die Magier und anderen Bösewichter, hinter denen wir herrennen.“

Clyde setzte sich und lehnte sich an Mario.

„Was meinst du genau?“

„Sieh mal da.“

Clyde folgte Marios Blick und sah Peter und Diethard, die nebeneinander an der Reling standen. Ihre Hände hatten sie auf den Handlauf gestützt und sahen auf die See hinaussahen. Dabei hatte Peter seine rechte Hand auf die linke von Diethard gelegt.

„Ein hübsches Paar. Oder was denkst du? Weißt du auch, warum Ragnar so bereitwillig auf der ESTRAY geblieben ist?“

„Hm?“

„Nun, da gibt es einen hübschen jungen Seemann namens Leon. Du weißt, derjenige, der den Eisbären befreit hat.“

Clyde sah Mario etwas überrascht an, aber dann lächelte er.

„Aha. Und du findest es merkwürdig, dass die Leute aus unserem Zirkel sich sozusagen jemanden von ‚Außerhalb‘ nehmen?“

„Ich weiß nicht. Stört es denn nicht dieses Netz oder Muster oder was das ist?“

Nun war Clyde wirklich überrascht. Diese Einsicht hätte er Mario nicht zugetraut.

„Nein, nicht unbedingt. Es ist nur anstrengend. Ich muss alles ausblenden, was mich nicht interessiert oder was mich nichts angeht. Nimm zum Beispiel Frank.“

„So? Was ist mit ihm?“

„Was glaubst du? Denkst du, Floris und er hätten in der letzten Nacht nur das Rohr des Gewehres im Sinn gehabt?“

Mario kicherte leise.

„Irgendwie habe ich auch Schüsse gehört in der Nacht, aber da war kein Pulverdampf.“

Clyde schüttelte amüsiert den Kopf.

„Lass es einfach geschehen. Ich komme schon damit klar. Aber du wolltest doch bestimmt nicht mit mir über andere Leute tratschen oder über das Wetter reden.“

Mario verzog schmollend sein Gesicht.

„Warum denn nicht? Reicht dir das nicht? Aber du hast recht. Du erinnerst dich an den Schreibsekretär beim Herzog? Es gab tatsächlich ein verborgenes Fach. War nicht einfach zu finden. Die Schubladen waren ein totes Ende. Sollten wahrscheinlich ablenken. Ich habe aber dennoch das Versteck gefunden. Es war genau auf der anderen Seite. Das hier habe ich darin gefunden.“

Mario kramte unter seinem Hemd ein paar Gefaltete Zettel heraus. Diese reichte er jetzt Clyde.

„Was ist das denn?“

„Keine Ahnung, ich kann es nicht lesen.“

Clyde nahm die Zettel und sah sie einen nach dem anderen durch. Die meisten von ihnen waren in Herblondaise geschrieben. Schnell dachte er nach. Er musste jemanden finden, der Herblondaise lesen konnte. Suchend sah er sich um, dann seufzte er. Hier an Bord fiel ihm auf Anhieb niemand ein. Er musste warten, bis sie im Hafen waren. Dann sah er Mario lächelnd an.

„Bei der Gelegenheit – hast du gerade was vor?“

„Wenn das eine Einladung war, folge ich ihr gerne.“


Als der kleine Verband sich am Morgen darauf Caerdon näherte, schien sich der Grund ihres Kommens schon herumgesprochen zu haben. Auf dem Tyne waren deutlich mehr Schiffe und Boote unterwegs als normalerweise. Je näher sie der Hauptstadt kamen, desto stärker wurde der Schiffsverkehr. Im Hafengebiet von Caerdon schien alles unterwegs zu sein, was Segel oder Ruder hatte.

„Wir gehen wieder in den königlichen Yachthafen. Gleiche Formation wie in Weston Point.“

Manuel übermittelte die Anweisung an die ESTRAY, die sie dann als Befehl an den ganzen Verband ausgab.

Das erste überraschende Ereignis für Clyde kam mit Passieren der Hafenbefestigung. Dort stand ein massiver Signalturm, überblickte den gesamten Hafen und ein Stück des Tyne. Hoch oben wehte die Flagge von Britannica, die bei ihrer Annäherung langsam ein Stück heruntergezogen wurde. Clyde sah zusammen mit Diethard und Manuel interessiert hinüber.

„Warum heißt es eigentlich ‚Halbmast‘? Die ist doch nicht bis zur Hälfte runter.“

Manuel schüttelte seinen Kopf.

„Soll sie auch nicht. Halb herunter kommt sie nur am kurzen Flaggenstock, wie bei uns am Heck. Ist eine Anlehnung an die alte Tradition der Prisen und gekaperten Schiffe. Wenn ein Schiff, beispielsweise ein Britannisches ein Anderes gekapert hatte, wurde die eigene Flagge über diejenige des eroberten Schiffes gesetzt. Da konnte jeder sehen, wem das Schiff vorher gehört hatte und wer es jetzt beanspruchte.“

„Aha. Und weiter?“

„Um einen Verstorbenen zu ehren, wird angezeigt, dass der Tod das Schiff erobert hat. Deshalb wird über der eigentlichen Flagge die unsichtbare Flagge des Todes gesetzt. Daher erscheint die ursprüngliche Flagge jetzt eine Flaggenbreite darunter.“

„Unsichtbare Flagge des Todes?“

Manuel zuckte mit den Schultern.

„Das ist eine der traditionellen Erklärungen. Ich finde, sie ist so gut wie jede andere.“

Clyde zuckte zusammen, als Kanonendonner herüberschallte und als er zur Befestigung sah, verwehte dort eine kleine Rauchwolke.

„Sie beginnen mit dem Salut.“

Diethard hatte sich nun der eigenen Batterie auf der Backbordseite zugewandt. Es war alles vorbereitet und sie hatten auf See alles zweimal geprobt.

Die Salutschüsse der Batterie hallten über den Fluss und Clyde zählte elf Schüsse. Nach einer kleinen Pause antwortete nun auch das erste Geschütz der ÍLE AUX MOINES. In regelmäßigen Abständen feuerten die kleinen Kanonen, wobei Diethard von einer zur anderen ging.

Clyde beobachtete ihn dabei und bemerkte amüsiert, dass Diethard etwas vor sich hinmurmelte.

„Will er die Kanonen verzaubern?“

Manuel kicherte.

„Nein, glaub ich nicht. Das ist bestimmt der Spruch der Artilleristen. Er ist genauso lang wie die Pause zwischen den Schüssen. Dadurch werden die gleichmäßigen Abstände gewahrt.“

Clyde schüttelte erstaunt seinen Kopf. Was es so alles gab.

Langsam näherte sich die ÍLE AUX MOINES dem königlichen Yachthafen und Clyde musste sich vorbereiten. Die Scouts würden die Ehrenwache für den Sarg bilden, während er auf die Pier gebracht wurde. Leider hatten sie keine Paradeuniformen mit, doch es musste auch so gehen. Schließlich kamen sie aus einem Gefecht.

Clyde überprüfte noch einmal sein Aussehen im Spiegel. Die Jacke war nun bis oben geschlossen und er trug das violette Halstuch über dem Stehkragen. Die kurzen Enden des Halstuches hingen vor der Brust herunter. Über der violetten Schärpe, die ihn als Offizier auswies, hatte er das Koppel mit dem Säbel geschnallt. Eine Kopfbedeckung hatten sie zum Glück nicht dabei. Clyde hasste diese hässlichen Dinger.

Mario streckte seinen Kopf durch die Tür.

„Wir sind soweit.“

Clyde seufzte und folgte ihm nach draußen. Frank hatte die Scouts an Deck antreten lassen und Clyde wartete, bis Mario ebenfalls wieder eingetreten war. Dann sah er erstaunt die Reihe entlang. Acht Mann? Wieso acht?

Sie standen der Größe nach und erst beim zweiten Durchsehen fiel Clyde die Änderung auf. Finn war der größte und stand ganz links. Dann kamen Eldar, Dian, Floris und Frank. Ganz am Ende stand zwischen Arje und Mario nun auch Michael in einer grünen Uniform der Scouts. Woher hatte er die denn? Und warum war er bei den Scouts? Hatte Clyde sich unverständlich ausgedrückt, oder hatte Michael etwas falsch verstanden?

Clyde ging langsam hinüber. Bevor er Michael erreichte, sprach Frank ihn an.

„Er kann nichts dafür. Wir haben ihn einfach vereinnahmt.“

„Was? Aber warum…“

„Weil er zu uns gehört. Du erinnerst dich an deine Meldung an den Earl. Du hast nicht nur die Scouts erwähnt, sondern auch die Shadows of Scythe. Und zu den Shadows zählen ja wohl alle Magier. Also…“

Clyde verzog sein Gesicht bei der etwas weit hergeholten Logik. Aber er erkannte, was Frank beabsichtigte. Ein weiterer Magier war ein interessanter Zugewinn für ihre Gemeinschaft, auch wenn er den Rahmen der Scouts inzwischen sprengte.

„Also gut. Ist ohnehin zu spät. Weiß er, was er zu tun hat?“

„Sicher. In protokollarischen Fragen ist er besser als mancher von uns. Das mit dem Drill muss noch geübt werden. Zum Glück gehen wir ohne Karabiner raus.“

Clyde wurde abgelenkt, als von vorne ein lauter Ruf erschallte.

„Leinen über!“

„Ehrenformation klar zum Abmarsch!“

Clyde zog seinen Säbel und stellte sich vor seine Einheit. Der nächste Akt konnte beginnen.


Auf der Pier war eine ganze Kompanie in der Uniform der Palastwache angetreten. Daneben eine kleinere Einheit der königlichen Leibwache. Vor ihnen hatten sich einige Würdenträger versammelt. Clyde erkannte auf Anhieb den Erzdruiden und den Lordkanzler.

An Bord ertönten die ersten Befehle. Zunächst gingen die Seesoldaten von Bord und stellten sich auf der Pier gegenüber der Palastwache auf. Dann folgte der Sarg, getragen von acht Seeleuten der ÍLE AUX MOINES. Ihnen folgte Clyde mit den Scouts. Auf der Pier hielt der Sarg einen Moment, bis sich die Scouts aufgeteilt hatten und ihn links und rechts begleiteten. Clyde schritt mit gezogenem Säbel voran.

Der Sarg wurde abgesetzt und die Seeleute zogen sich zurück. Aus der Ehrenformation der Palastwache lösten sich acht Mann und stellten sich neben die beiden Reihen der Scouts.

Nun traten die Würdenträger in gemessenen Schritten nach vorne und verbeugten sich knapp vor dem Sarg. Als sie fertig waren, ließ Clyde die Scouts wegtreten und die Soldaten der Palastwache übernahmen allein die Ehrenwache.

Zurück an Bord beobachtete Clyde, wie der Sarg des Herzogs in den Palast verbracht wurde. Er hatte keine Ahnung, was nun weiter passieren würde. Doch er bezweifelte, dass eine öffentliche Aufbahrung oder etwas Ähnliches stattfand. Wahrscheinlich würden der Sarg und alle anderen Beweismittel an einen Ort gebracht werden, wo in aller Stille die nötigen Untersuchungen durchgeführt würden.

Eine einsame Gestalt näherte sich der ÍLE AUX MOINES und Clyde erkannte Sir David Owen.

Kaum an Bord, hatte er auch schon die nächsten Befehle für Clyde.

„Ihr möchtet euch bitte umgehend in den Gemächern ihrer Majestät einfinden. Die ganze Angelegenheit hat so einige Wellen geschlagen. Gewisse Kreise im Adel fühlten sich wohl bedroht oder übergangen oder was weiß ich. Lady Berenice war völlig aufgelöst wegen ihres Sohnes.“

Clyde sah Sir David verständnislos an, bis dieser lachte.

„Verzeiht. Ihr seid nicht mit dem Klatsch am Hofe vertraut. Lady Berenice ist die Mutter des kleinen Edward, des neuen Herzogs von Elmet.“

„Oh, ich sehe. Wie ist ihre Majestät denn gestimmt?“

Sir David sah Clyde spöttisch an.

„Habt ihr Angst, Lord Clyde? Sie beißt nicht. Sie ist zwar manchmal etwas aufbrausend, aber auch ein aufmerksamer Zuhörer. Ihr werdet bestimmt ihre Aufmerksamkeit fesseln.“

Clyde wurde in das Turmzimmer geführt, an das er sich noch ganz gut erinnern konnte. Doch diesmal war niemand außer ihm anwesend. Als sich die Tür öffnete und ihre Majestät eintrat, verbeugte sich Clyde formell. Doch die Königin ging auf ihn zu und sah ihn erwartungsvoll an.

„Kein wildes Zeremoniell. Wir sind hier nicht im Thronsaal. Ich will wissen, was passiert ist. Und zwar alles.“

Die Königin setzte sich an den Tisch, wobei sie geschickt ihre schweren Gewänder drapierte. Dann wedelte sie Clyde heran.

„Was ist? Willst du da stehen bleiben? Noch einmal. Hier sind nur wir beide. Und wenn auch meine Hofdamen jedes Mal einen halben Herzinfarkt bekommen, so weiß ich, dass die Unschuld der jungfräulichen Königin hier sicher ist.“

Clyde lief bei diesen Worten knallrot an und Königin Maeve lachte.

„Dabei ist die doch schon längst… oh, egal. Setz dich nun endlich hin.“

Zögernd nahm Clyde ihr gegenüber Platz und begann zu berichten. Die Königin stellte nur wenige Zwischenfragen und so dauerte der Bericht auch nicht sehr lange.

„Das heißt also, dass Charles Talbot nicht nur den Staatsschatz geplündert, einen Teil der Kronjuwelen gestohlen und dunkle magische Künste praktiziert hat. Er hatte außerdem Kontakt zu unseren Kriegsgegnern und hat versucht, das Land zu verlassen, nachdem er enttarnt worden war. Gibt es dafür Beweise, die man auch dem Kronrat vorlegen kann? Euer Wort, Lord Clyde wird nicht angezweifelt, doch die Männer des Kronrates sind misstrauisch und haben schon viele Dinge erlebt. Sie brauchen etwas, worauf sie ihr Urteil stützen können.“

Clyde hatte bemerkt, dass die Königin wieder formeller wurde und er nickte wortlos. Dann begann er seine Jacke zu öffnen. Halb erstaunt, halb amüsiert sah ihm die Königin dabei zu, während Clyde wieder die Farbe wechselte.

„Ihr verzeiht, euer Majestät, aber ich dachte, so wäre es am unauffälligsten und am sichersten.“

Dann holte er ein kleines Paket hervor, dass unter seiner Jacke verborgen gewesen war und legte es vor der Königin auf den Tisch.

„Dies sind Papiere, die wir an Bord der ÍLE AUX MOINES sichern konnten. Der größte Teil ist in Herblondaise, doch die verbliebenen Schriftstücke deuten auf eine Korrespondenz mit dem Herzog von Grimauld hin.“

Neugierig nahm die Königin ein Blatt auf und studierte es stirnrunzelnd.

„Was soll das denn heißen? Hm, … pratiquer la magie… íle de destin… entrer en guerre terminal… Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ebenfalls ein praktizierender Magier? Ein endgültiger Kampf auf der Insel des Schicksals? Das macht keinen Sinn. Oder heißt das etwa, dass dieser Herzog von Grimauld ebenfalls ein Dunkelmagier ist?“

„Wir wissen es nicht, Euer Majestät, aber ich befürchte es. Bei der Insel handelt es sich höchst wahrscheinlich um die Íle aux Moines. Ich möchte eure Majestät um einen Gefallen bitten.“

Die Königin legte das Blatt zur Seite und sah Clyde erwartungsvoll an.

„Ich möchte gerne zu dieser Insel reisen. Sie befindet sich direkt vor der Nordwestküste von Herblonde. Die ÍLE AUX MOINES ist den Karten nach schon ein paar Mal dort gewesen. Ihre Annäherung dürfte deshalb unverdächtig sein.“

Die Königin schüttelte den Kopf.

„Die Idee ist nicht schlecht, kommt aber wohl leider zu spät. Was glaubt ihr, wie lange es dauert, bis die Nachricht vom Tod des Dukes of Elmet in Herblonde eingetroffen ist? Er ist ja mit dem größtmöglichen Brimborium hierhergebracht worden.“

Clyde musste ihr zustimmen. Der Plan hätte nur funktioniert, wenn der Tod des Herzogs noch eine Weile hätte verheimlicht werden können.

„Dann werdet ihr nach Tarray zurückkehren. Wir haben bereits eine Nachricht an Lord Hansom gesandt, mit den letzten Informationen. Sir Sean ist auf dem Rückweg und wird jeden Moment in Caerdon erwartet. Ihr solltet abwarten, bis er eingetroffen ist. Ebenso möchte der Erzdruide noch einmal mit euch sprechen. Ihr solltet ihn im Steinernen Hain aufsuchen.“

Clyde erkannte, dass er nun entlassen war und nach einer kurzen Verabschiedung machte er sich auf den Weg in den Steinernen Hain.

Das Eingangstor war verschlossen und er klopfte. Doch diesmal war es nicht Caelin, der ihm öffnete, sondern ein ihm unbekannter, junger Novize. Nachdem er seinen Namen genannt hatte, verbeugte sich der Novize ehrfurchtsvoll.

„Ihr werdet erwartet, Lord Clyde.“

Der Novize ging voran und geleitete Clyde ohne Umwege direkt bis vor die kleine Tür in der Westseite des Gartens. Zu Clydes Erstaunen war die Tür geöffnet und ohne zu zögern schritt er hindurch.

Der Erkennungszauber war in Betrieb und so erschienen auch Clydes Ohren wieder. Nachdenklich lächelnd fuhr er über eine Spitze.

Clyde folgte dem Gang in die Tiefe und dort sahen einige Personen erwartungsvoll zu ihm herüber. Clyde trat vor den Erzdruiden, verbeugte sich und sprach die formellen Worte.

„Ich grüße Euch, Erzdruide, im Namen meiner beiden Erbe.“

„Dank sei euch, Kind beider Welten. Aber tretet näher, Lord Clyde.“

Der Erzdruide lächelte etwas, als er auf die anderen Anwesenden deutete.

„Meister Andrew wird euch sicherlich im Gedächtnis geblieben sein.“

Clyde grinste und hob grüßend die Hand, während sein Halbbruder ebenfalls lächelte. Dann wies der Erzdruide auf die Person neben Andrew Fraser. Der junge Mann war etwas kleiner als Andrew und deutlich schlanker. Seine halblangen, unbändigen hellroten Locken standen nach allen Seiten ab, doch Clyde konnte deutlich die spitzen Ohren erkennen. Das Gesicht war von leichten Sommersprossen bedeckt und er sah im Moment etwas unsicher und ängstlich zu Clyde hinüber.

„Dieser junge Mann ist Ethan Sutherland. Er hat erst vor kurzem seine Magierausbildung abgeschlossen.“

Clyde zögerte. Ethan Sutherland? Wo hatte er den Namen schon einmal gehört? Dann kam ihm schlagartig die Erinnerung. Natürlich! Andrew hatte den Namen erwähnt.

Noch etwas, bevor du es von jemandem anderen erfährst. Wir haben noch einen Bruder.“

Clyde riss erstaunt die Augen auf.

Was? Wen?“

Er heißt Ethan. Ethan Sutherland. Er ist ein Jahr jünger als du und lebt oben in Inbhir Nis. Er absolviert dort seine magische Ausbildung.“

Clydes Gesicht muss wohl sein Erstaunen gezeigt haben, denn der Erzdruide lächelte leicht, während Andrew laut lachte.

„Ethan?“

Der junge Mann sah zu Clyde, als er angesprochen wurde.

„Ja, Lord Clyde?“

Clyde erstarrte. Was war das denn? Ruckartig drehte er sich zu Andrew, der genau wusste, was Clyde wollte.

„Tut mir leid. Abgesehen von der magischen Ausbildung hat ihn der alte Sutherland nicht anerkannt. Sein Vater Ethan Sutherland war der älteste Sohn des Earl, ist aber bereits gestorben als der kleine Ethan drei war. Und sein Großvater musste ihn behalten, sonst hätte er gegen den Wunsch der Sidhe verstoßen. Ethan Sutherland hat ihm außer seinem Namen nichts hinterlassen und der Earl hat sich nicht sonderlich um ihn gekümmert.“

Ethan war während des kurzen Kommentars rot angelaufen und sah zu Boden. Clyde schüttelte nur wortlos den Kopf.

„Aber er ist doch ein Magier. Und ein Halbelf.“

Andrew seufzte und der Erzdruide räusperte sich.

„Der Earl of Sutherland ist nicht besonders angetan von der Magie. Er gibt den Druiden die Schuld am Tod seines ältesten Sohnes. Lord Ethan ist bei einem Jagdunfall verstorben. Als die gerufenen Druiden eintrafen, war er bereits tot, doch der alte Earl behauptete immer wieder, wir hätten ihn retten können.“

Clyde schüttelte immer noch den Kopf. Dann sah er zu Ethan, dem die ersten Tränen hinunterliefen.

Clyde überbrückte mit ein paar Schritten den Weg zu Ethan und umarmte ihn impulsiv. Ethan erstarrte und sah hoch. Clyde bemerkte grüne Augen, die ihn erstaunt ansahen.

„Ruhig, Kleiner. Es ist alles gut. Du bist jetzt bei uns.“

Ethan schluckte schwer, dann schloss er kurz die Augen. Als er sie öffnete, sah er immer noch in Clydes Augen und seufzte. Dann legte er langsam seinen Kopf auf Clydes Schulter.

Clyde strich ihm sanft durch die roten Locken.

„Ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Gar nichts. Wir sind jetzt für dich da.“

Clyde hob Ethans Kopf ein wenig an und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Ethan straffte sich nun wieder und blieb unschlüssig vor Clyde stehen. Der drehte sich zum Erzdruiden.

„Was soll mit ihm geschehen?“

„Oh, wir waren uns noch nicht so ganz einig. Meister Andrew ist der Ansicht, er könnte uns bei den Dunkelmagiern helfen, doch ich denke, er ist noch nicht so weit. Was würdet ihr davon halten, ihn zunächst mitzunehmen nach Scythe?“

„Was? Aber ich weiß nicht, ob er sich dort wohl fühlen würde. Ihr wisst, was ich meine.“

Der Erzdruide lächelte schon wieder. Ethan hingegen schien ebenfalls zu wissen, was Clyde andeutete, denn seine Gesichtsfarbe wurde schon wieder dunkler und er starrte erneut auf den Boden.

„Ich… ich weiß auch, wovon ihr redet, Lord Clyde. Es… es macht mir nichts aus. Wirklich nicht.“

Clyde sah skeptisch zu Ethan, dann wieder zum Erzdruiden.

„Also gut. Wenn das euer Wunsch ist und auch der seine, dann werde ich ihn mitnehmen.“

Clyde wandte sich an Ethan.

„Dann gelten ab jetzt einige Regeln. Regel Nummer eins. Mein Name ist Clyde. Bei den Göttern, du bist mein Bruder. Dann sprich auch so mit mir.“

Ethan riss erschrocken die Augen auf.

„Das geht aber nicht. Das ist gegen…“

„Wenn ich sage es geht, dann geht das. Los versuch’s mal.“

„Ja, Lord… äh, ich meine, ja, Clyde.“

„Na also. Das war doch gar nicht so schwer.“

Andrew Fraser verdrehte nur die Augen.

„Clyde, du musst dringend auf dein Glamour aufpassen. Willst du denn alle rumkriegen?“

Clyde und auch Ethan sahen erschrocken zu Andrew, der nun wieder lachte. Inzwischen hatte der Erzdruide eine weitere Person hereingeführt. Clyde musste zweimal hinsehen, bevor er ihn erkannte.

„Caelin!“

Der junge Mann neben dem Erzdruiden trug nun die weiße Robe eines Druiden. Die Robe war mit einer weißen Kordel gegürtet und signalisierte den untersten Rang eines Druiden.

„Auch Bruder Caelin hat nun seine grundlegende Ausbildung abgeschlossen. Er ist nun soweit, bei einem Heiligen Hain unter der Anleitung eines Ältesten zu dienen. Ich habe beschlossen, ihn nach Scythe zu schicken, denn dort wird auf Wunsch des Earls ein Heiliger Hain errichtet.“

Caelin strahlte vor Stolz, dass er es geschafft hatte, aber Clyde erkannte auch ein wenig Besorgnis in seinem Gesicht.

„Wenn das so ist, wäre es mir eine Ehre, Bruder Caelin nach Scythe zu geleiten.“

Der Erzdruide nickte würdevoll und drückte so seine Zustimmung aus.

„Dann wäre alles so weit geklärt. Ich danke euch, Lord Clyde, dass ihr so zuvorkommend seid. Ihr habt mich von meinen kleinen Sorgen befreit. Ich werde euch nun ein allein lassen mit eurer Familie. Bruder Caelin wird euch am Ausgang erwarten.“

Clyde bedankte sich mit einer formellen Verbeugung und die beiden Druiden verließen den Raum. Clyde wandte sich nun zunächst Ethan zu. Er war nun doch etwa neugierig.

„Also, kleiner Bruder. Verrätst du mir, welche Magie du erlernt hast und welche Gabe dir gewährt wurde?“

Ethan sah zögernd zu Andrew, der ihm aufmunternd zulächelte.

„Äh, ja. Also ich bin Feuermagier. Und meine Gabe ist… ist… Wasser und Erde.“

Clyde sah Ethan erstaunt an. Noch ein Feuermagier? Eigentlich war dies die seltenste Ausprägung und nun lernte er gleich zwei kurz hintereinander kennen? Und dann – Wasser und Erde? Als Feuermagier? Was für eine Kombination!

„Und welche, hm… welche Aspekte haben bei dir Wasser und Erde?“

Ethan seufzte.

„Erde betrifft hauptsächlich die Tier- und Pflanzenwelt. Wachstum, Gedeihen und äh… Fortpflanzung. Was das Wasser anbetrifft, geht es hauptsächlich um das Meer. Strömungen, Gezeiten, Flutwellen und sowas.“

Andrew hinter ihnen schüttelte mit dem Kopf.

„Sag es ihm ruhig. Er wird dich nicht auslachen.“

Clyde hob seine Augenbrauen und Ethan sah sich nervös um.

„Also gut. Ich bin ein Selkie.“

„Du bist ein Gestaltwandler? Ehrlich? Welche Gestalt?“

Ethan sah schon wieder zu Boden. Selkies waren extrem selten. Entgegen den Sagen der Fischer und Seefahrer waren sie nicht die Seelen von Ertrunkenen. Es waren Gestaltwandler, die als Menschen lebten und die Form von Meereslebewesen annehmen konnten. Auch die Sagen von Wesen, halb Mensch halb Seehund waren frei erfunden. Wahrscheinlich waren sie entstanden, als jemand beim Wandeln beobachtet worden war.

„Seehund.“

„Das ist ja interessant. Wirst du uns das auch mal zeigen?“

Vollkommen erschrocken sah Ethan Clyde an.

„Was!? Wieso?“

Andrew schüttelte seinen Kopf.

„Clyde. Der Earl of Sutherland hat Magie in seiner Grafschaft so gut wie zurückgedrängt. Er duldet sie nur noch, weil es per Gesetz geschützt ist. Er lässt sogar Seehunde an seinen Küsten jagen, weil er glaubt, so einen Selkie zu erwischen. Ich denke, es ist an der Zeit, zu gehen. Caelin wird bestimmt schon auf euch warten.“


Clyde hatte Caelin und Ethan auf die ESTRAY geschickt, weil er sich gerne allein mit Sir Sean unterhalten wollte. Der hatte sich inzwischen in seinen alten Räumen eingefunden und sortierte nachdenklich einige Papiere.

„Ah, Lord Clyde. Setzt euch. Ich habe alles für euch vorbereitet. Dies ist ein Schreiben für den Earl of Scythe. Dort sind alle Ereignisse aufgeführt, die wir in Erfahrung bringen konnten und auch eine Einschätzung, inwieweit unsere Informationen gesichert sind. Ich brauche euch nicht zu sagen, dass dieses Schriftstück auf keinen Fall in fremde Hände fallen darf.“

Clyde sah mit gemischten Gefühlen auf den dicken Umschlag den Sir Sean ihm nun zuschob.

„Das steht außer Frage, Sir Sean. Aber was ist mit euren Mitarbeitern? Ich habe nur Mister Longbottom gesehen.“

„Wir müssen ganz von vorne beginnen. Ich kann nicht abschätzen, was Mister Josway alles verraten hat. Unsere bisherigen Informanten sind möglicherweise alle kompromittiert. Ich fürchte, ich werde langsam zu alt für sowas.“

Clyde sah erstaunt auf. Das klang etwas resigniert. Hatte dieser Vorfall Sir Sean so sehr mitgenommen?

„Wie dem auch sei. Bestellt dem Earl of Scythe meine Grüße. Und auch Herrn von Winterstein, wenn ihr ihn trefft. Er hat uns sehr geholfen.“

„Er ist immer noch hier?“

Sir Sean lächelte.

„Er ist auf dem Weg nach Scythe. So wie er es sich gewünscht hat. Schade eigentlich. Ich denke, er wäre ein brauchbarer Mitarbeiter geworden.“

Sir Sean erhob sich und Clyde folgte ihm bis zur Tür. Die Verabschiedung war kurz, aber herzlich. Clyde seufzte. Auf nach Scythe.


Die Korvette BATTLEXE traf anderthalb Tage nach ihrem Auslaufen aus Caerdon in Tarray ein. Commander McBride eilte zum Schloss, um die ihm anvertraute Depesche zu überbringen.

Leopold verabschiedete sich derweil von Kevin auf dessen Kammer.

„Warum weinst du?

„Wir werden uns nicht wiedersehen.“

„Möchtest du mich denn wiedersehen?“

„Frag nicht so blöd.“

Leopold beugte sich vor und küsste Kevin. Immer stürmischer wurde der Kuss und Leopold musste ihn unterbrechen, um nach Luft zu ringen. Dieser Mann raubte ihm im wahrsten Sinne des Wortes den Atem. Warum konnte es nicht einmal im Leben einfach sein?

Es klopfte an der Tür und kurz darauf streckte einer der Midshipmen seinen Kopf herein.

„Leutnant von Winterstein? Der Kommandant lässt sie auf seine Kammer bitten.“

Nanu? Was wollte der Commander denn nun noch von ihm?

„Ah. Herr von Winterstein. Gut, dass sie sofort erschienen sind. Wir haben es etwas eilig, denn wir haben eine weitere Depesche für den Admiral in Caerdydd. Nur für sie zur Information, ihre Majestät hat angeregt, hier auf Scythe einen kleinen Außenposten der Navy zu etablieren. Der Earl hat zugestimmt und es wird wohl demnächst ein Kutter hier stationiert werden, der an den nördlichen Zufahrten patrouilliert. Ich wurde angewiesen, einen meiner Offiziere für die Planung und den Betrieb dieses Außenpostens abzustellen.“

Leopold wunderte sich ein wenig. ‚Warum erzählt er mir das? Was gehen mich die Offiziere der Navy an? Außerdem kenne ich mich hier gar nicht aus. Ich habe noch nicht einmal mit dem Grafen gesprochen‘.

„Wie dem auch sei. Ich wünsche ihnen und ihrem Mitreisenden noch viel Glück hier auf Scythe.“

Lächelnd dachte Leopold an Thomas Weidner, der die Chance ergriffen hatte, als er ihm eine Überfahrt nach Scythe angeboten hatte. Es dauerte eine Weile, bis er den Commander überredet hatte. Mit etwas Mühe hatte er ihm Thomas als seinen persönlichen Diener verkaufen können.

„Vielen Dank Commander.“

Thomas Weidner stand bereits unten auf der Pier und sah sich interessiert um, als Leopold sich neben ihn stellte.

„Na, fertig? Dann wollen wir mal sehen, was uns hier so erwartet.“

Leopold brauchte nicht lange zu warten. Ein junger Mann in einer rot-blauen Uniform trat auf ihn zu.

„Leutnant von Winterstein?“

„Ja, der bin ich.“

„Sehr gut. Ich bin Leutnant Partozzi von den Scythe-Guards. Der Lord-Lieutenant möchte euch gerne sehen.“

Leopold war erstaunt. Er war noch keine fünf Minuten an Land und schon schickte der Lord-Lieutenant nach ihm?

„Euer Begleiter?“

Leopold richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Leutnant der Garde, der nun auf Thomas deutete. Jetzt keinen Fehler machen.

„Äh, ja. Mein Reisebegleiter. Thomas Weidner aus Arlemande. Er ist hier auf der Suche nach jemandem.“

„Darf ich fragen, wen sie suchen, Herr Weidner?“

Thomas sah den Leutnant erstaunt an. So höflich hatte noch nie ein Angehöriger der Wache mit ihm gesprochen.

„Oh. Ich bin auf der Suche nach einem jungen Mann namens Arje. Er soll auf der FAIRYTALE fahren.“

Niccolo Partozzi sah Thomas erstaunt an.

„Arje? Etwa so groß und mit goldblonden Locken?“

Thomas sah zu, als Niccolo die Hand hob und die Größe andeutete, dann nickte er heftig.

„Ja, das muss er sein.“

Niccolo warf dem jungen Mann vor ihm einen skeptischen Blick zu. Warum war er auf der Suche nach Arje?

„Ich kenne jemanden auf den die Beschreibung passt, aber der fährt nicht auf der FAIRYTALE. Er ist bei den Scythe-Scouts.“

„Was? Aber dann…“

„Die sind aber im Moment unterwegs. Da müsstest du warten.“

„Oh.“

Niccolo wandte sich wieder an Leopold.

„Wenn ihr mir bitte folgen wollt. Wenn es ihnen nichts ausmacht, machen wir einen kleinen Umweg. Ich denke, Herr Weidner wird eine Unterkunft benötigen und ich weiß zufällig, dass im ‚gerupften Gockel‘ noch etwas frei ist.“

Jetzt wurde Thomas etwas hektisch.

„Ich… äh, kann auch woanders unterkommen. Da gibt es bestimmt Möglichkeiten.“

Niccolo musterte ihn einen Moment lang und schätzte seine Lage ein.

„Du hast kein Geld. Was hast du bis jetzt gemacht?“

Thomas sah zu Boden. „Schankbursche“ murmelt er.

„Oh, interessant. Aber da habe ich wohl eine Lösung. Auf geht’s.“

Leopold war der Unterhaltung interessiert gefolgt. Was hatte der junge Leutnant denn jetzt vor? Erst mal abwarten.

„Kein Problem. Wir folgen ihnen.“

Mrs. Elizabeth Raynard, die Besitzerin des Gasthauses ‚Zum gerupften Gockel’ sah erstaunt herüber, als Niccolo Partozzi gefolgt von zwei jungen Männern, ihre Wirtschaft betrat.

Normalerweise kam er während der Öffnungszeiten nur zu den Inspektionen, denn Miles besuchte er nie am Arbeitsplatz. Die beiden trafen sich oben im Zimmer von Miles.

„Niccolo. Welche Überraschung.“

„Guten Tag, Mrs. Raynard. Ich habe da eine Bitte. Dieser junge Mann hier benötigt noch eine Unterkunft, bis die ESTRAY wieder da ist. Sein Problem ist seine momentane finanzielle Situation. Ich hatte gehofft, sie könnten da helfen.“

Mrs. Raynard besah sich den in Frage kommenden jungen Mann nun genauer.

Er war nicht gerade groß, vielleicht so groß wie Miles. Schlank und mit dunklen, braunen Haaren. Braune Augen sahen sie neugierig an.

Auf Anhieb sah der junge Mann recht ansprechend und ehrlich aus. Doch das konnte täuschen, wie sie aus langjähriger Erfahrung wusste.

„Nun, junger Mann, wenn die ESTRAY dann wieder hier ist, was gedenkt ihr dann zu tun?“

Thomas sah zu der Dame auf und klang ganz begeistert, als er sagte

„Oh, ich bin auf der Suche nach jemandem. Ich habe ihn in Caerdon kennengelernt.“

Nun ließ Thomas seinen Kopf etwas hängen.

„Er weiß aber nicht, dass ich hier bin. Ich weiß nicht einmal, ob er mich überhaupt wiedersehen will.“

„Oh, eine kleine Romanze. Wie aufregend! Nun, hast du etwas gelernt, was du hier in Tarray gebrauchen kannst?“

„Ich… ich war Schankbursche in einer Hafenkneipe, Madam.“

Mrs. Raynard stutzte einen Moment, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.

„So ein Zufall. Ich suche gerade noch nach einem Mitarbeiter. Miles! Komm mal her. Ich glaube, ich habe jemanden gefunden, der Larry ersetzt.“

Nun trat ein junger Mann mit dunkelblonden Locken heran und musterte Thomas neugierig. Dann streckte er seine Hand aus.

„Hallo. Ich bin Miles. Du sollst also ab jetzt bei uns arbeiten?“

„Äh, ja. Das kam etwas überraschend, aber sieht so aus. Ich bin Thomas.“

Thomas lächelte Miles an, bis sich Niccolo hinter ihm räusperte. Thomas merkte, wie Niccolo an ihn herantrat und flüsterte

„Vergiss ihn. Das ist meiner.“

Thomas erstarrte einen Moment, dann lächelte er erneut. Ein Leutnant der Garde und dieser Schankbursche? Thomas war glücklich. Nun wusste er, dass er endlich an dem Ort angekommen war, an den er schon immer gewollt hatte.

Niccolo ließ Thomas in der Obhut von Miles und Mrs. Raynard und führte Leutnant von Winterstein hinauf zum Schloss. Ohne sich aufzuhalten passierten sie die Wachen und Leopold betrachtete neugierig die wuchtigen Mauern des alten Gebäudes.

Sie passierten den Sekretär vor dem Dienstzimmer des Lord-Lieutenants und Niccolo klopfte nur kurz, bevor er eintrat.

„Sir Brian, Leutnant von Winterstein.“

Leopold wurde hereingeführt und der Lord-Lieutenant erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Niccolo zögerte einen Moment, doch Sir Brian gab ihm zu verstehen, dass er bleiben sollte. Dann deutete er auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. Als die Besucher Platz genommen hatten, setzte er sich ebenfalls und lehnte sich etwas vor.

„Leutnant von Winterstein. Verzeihen sie meine etwas unziemliche Eile, aber wir haben im Moment eine Menge zu tun. Ich nehme an, Commander McBride hat sie von den Neuerungen unterrichtet, die über uns hereingebrochen sind.“

Trotz der kritischen Bemerkung lächelte Sir Brian leicht.

„Aber kommen wir zu ihnen. In dem Bericht von Leutnant Cameron hat gestanden, dass sie gesagt hätten, sie wollten unbedingt nach Scythe. Darf ich fragen, was sie hierherführt?“

Leopold wurde unwillkürlich an die Befragung von Mrs. Raynard erinnert.

„Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, Sir Brian. Ich habe in Arlemande die Militärakademie absolviert. Fast ein Muss für die Söhne des Adels. Ich bin mit Widerwillen dort hingegangen, habe aber dem Wunsch meines Vaters nachgegeben. Nichtsdestotrotz kann ich sagen, dass ich einigermaßen gut abgeschlossen habe.“

Sir Brian nickte. Er wusste aus seinen Erkundigungen, dass Leopold der zweitbeste seines Jahrgangs geworden war.

„Dann hat mich mein Vater überraschender weise hierher nach Britannica geholt. Das wäre nicht nötig gewesen, denn ich hätte auch sehr gut zu Hause auf ihn warten können. In Caerdon habe ich dann das erste Mal die Geschichten über Scythe und seine Bewohner gehört. Mir war eigentlich schon seit meiner Zeit in der Militärakademie klar, wo meine Wünsche und Begierden liegen und ich fand, es sei Zeit, mich neu zu orientieren.“

Leopold unterbrach sich etwas irritiert, als Sir Brian sich ein paar Notizen machte.

„Nur etwas zur Erinnerung. Keine Angst, das ist nur für mich. Aber sprechen sie ruhig weiter. Wenn es sie stört, kann Leutnant Partozzi uns auch verlassen.“

Leopold sah nach links und schüttelte dann den Kopf.

„Nein, nein. Er hat vorhin so selbstverständlich von seiner eigenen Beziehung geredet, da brauche ich wohl auch nichts mehr zu verstecken.“

Der Lord-Lieutenant sah kurz zu Niccolo.

„Ah, Miles. Wie geht es ihm? Bestell ihm einen schönen Gruß.“

„Gut, danke. Mach ich.“

„Sehr schön. Also, Herr von Winterstein, dem Bericht von Leutnant Cameron habe ich die weitere Geschichte entnehmen können. Nachdem sie befreit wurden, waren sie einige Zeit in Caerdon und sind erst dann hierhergereist.“

Leopold dachte einen Moment über die merkwürdige Formulierung nach. Was war so seltsam an seinem Aufenthalt in der Hauptstadt?

„Ich habe mich in Caerdon mit meinem Vater ausgesprochen. Es war seine Idee, mich nach Britannica zu holen und mich sozusagen Scythe entdecken zu lassen. Ich hätte, denke ich, mich nicht mal heimlich aus dem Staub zu machen brauchen. Er hätte mir wahrscheinlich sogar die Überfahrt bezahlt.“

Sir Brian lächelte leicht, unterbrach Leopold aber nicht.

„Unterwegs gab es leider einen kleinen Aufenthalt. Ich weiß nicht, inwieweit Commander McBride ihnen alles erzählt hat, aber ich hatte ein kurzes Gastspiel bei der Navy. Doch nun bin ich hier. Allerdings bin ich mir im Moment etwas unsicher, was meinen weiteren Aufenthalt angeht. Ich habe nichts anderes gelernt, außer Offizier zu sein.“

Nun lehnte sich Sir Brian in seinen Sessel etwas zurück und musterte Leopold durchdringend.

„Sie haben sich in Britannica schon gut eingelebt. Sie haben die nette Angewohnheit übernommen, immer etwas zu untertreiben.“

Rasch griff Sir Brian nach einem Blatt auf seinem Schreibtisch.

„Von Winterstein, Leopold. Alter 22 Jahre. Ältester Sohn des Grafen Reinhard von Winterstein.

Ausgebildeter Kavallerieoffizier. Absolvent der Militärakademie von Leuchtenburg als zweitbester im Jahrgang. Vorübergehend eingesetzt durch Sir Sean McAllister in einer Angelegenheit betreffend der Sicherung des Staatsschatzes und der Aufdeckung und Festnahme eines Spionageringes um den Sekretär der arlemandischen Gesandtschaft.“

Sir Brian ließ das Blatt wieder sinken.

„Sie haben Britannica einen unschätzbaren Dienst erwiesen, Leutnant von Winterstein. Ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass sie der Wunsch nach einer Beziehung nach Scythe gebracht hat, doch zunächst ist da zu klären, was sie hier tun können oder tun möchten.“

Leopold seufzte leicht.

„Eine Beziehung? Nun ja. Meine Vorstellung von einer Beziehung ist wohl gerade mit der BATTLEAXE wieder ausgelaufen. Was ich tun kann? Ich bin, wie erwähnt, Kavallerieoffizier. Ich nehme nicht an, dass es hier so viele Pferde gibt, um eine Kavallerieeinheit aufzustellen.“

Sir Brian lachte und schüttelte den Kopf.

„Was ich möchte? Ein Posten als Offizier wäre wahrscheinlich zu viel verlangt. Irgendetwas, wo ich zeigen kann, dass ich mein Geld wert bin.“

Nun nickte Sir Brian und sah nachdenklich auf die Tischplatte.

„Möglicherweise hätte ich da etwas, aber es hat sehr wenig mit dem Posten eines Offiziers zu tun. Ich nehme an, ihnen ist der Aufbau unserer Rechtsprechung nicht geläufig. In den Grafschaften gibt es als oberste Instanz einen High Sheriff. Ihm unterstehen die Gerichte und die Strafverfolgung. Scythe ist eine kleine Grafschaft und wir haben hier nur einen Gerichtshof für Strafsachen und einen für Zivilrechtliche Klagen. Dann natürlich noch den Earls-Court als Appellationsgericht.“

Leopold sah den Lord-Lieutenant fragend an und auch Niccolo wunderte sich, was dieser Exkurs über die Rechtsprechung sollte.

„Der jetzige High Sheriff wird in wenigen Wochen in den Ruhestand gehen. Da ein High Sheriff mindestens zehn Jahre als Barrister gearbeitet haben muss, gibt es auf der Insel keinen Nachfolger, doch wir haben einen in Lonlothian finden können. Ich stehe bereits seit längerem mit ihm in Verbindung und er hat einige kleine Veränderung in unserem Vorgehen bei der Verfolgung von Straftaten vorgeschlagen.“

Nun sah Niccolo Sir Brian interessiert an. Bisher hatten die Scythe-Guards die wenigen anfallenden Aufgaben der Strafverfolgung übernommen.

„Was wir benötigen, sind Mitarbeiter des High Sheriffs, die direkte Ermittlungen durchführen und die Ergebnisse dem Sheriffs Office zur Beurteilung des Falles zur Verfügung stellen. Also jemand, der hauptamtlich die Straftaten auf der Insel untersucht.“

Leopold war sich nicht sicher, ob der Lord-Lieutenant wirklich ihn meinte, als er so ausführlich auf die Mitarbeiter des High Sheriffs zu sprechen kam.

„Zwei Dinge haben mich dazu bewogen, die Vorschläge des neuen High Sheriffs in Erwägung zu ziehen. Zum einen die stark angestiegene Bevölkerung von Scythe und der damit leider auch verbundene Anstieg von Straftaten. Zu zweiten möchte ich gerne die Guards langsam von allen Aufgaben entlasten, die nicht militärischer Natur sind.“

Niccolo sah etwas enttäuscht aus und Sir Brian bemerkte es sofort.

„Niccolo, was würdest du davon halten, zusammen mit Herrn von Winterstein als Deputy im High Sheriffs Office zu arbeiten?“

Niccolo sah verblüfft zum Lord-Lieutenant, dann zu Leopold. Der war mehr als überrascht.

„Deputy Sheriff? Aber davon habe ich nicht die geringste Ahnung.“

Sir Brian seufzte und sah beide eine Zeitlang an.

„Wir auch nicht. Es ist ein neues Konzept, bei dem der Sheriff nicht mehr eine militärische Truppe anführt, sondern Leute, die mit Wissen und Verstand die anliegenden Fälle bearbeiten. Uns ist nach sehr langer Vakanz auch ein neuer Coroner sozusagen in den Schoß gefallen.“

Niccolo und Leopold sahen den Lord-Lieutenant fragend an, bis dieser lachte.

„Unser neuer High Sheriff wird ihn mitbringen. Sein Partner.“

„Oh.“

„Genau. Ich denke, ihr beide solltet euch vielleicht einmal Gedanken machen, wie die Arbeit als Deputy Sheriff denn aussehen könnte. Am besten, ihr seht euch im Sheriffs Office schon mal um und wenn euch was einfällt, gebt es mir einfach rein. Das war’s dann erst mal. Draußen wartet bestimmt schon der Offizier der Navy, der als Leiter des Außenpostens vorgeschlagen worden ist.“

Leopold und Niccolo erhoben sich pflichtschuldigst, als auch schon die Tür geöffnet wurde und der Sekretär den nächsten Besucher ankündigte.

„Lieutenant Bedford von der Royal Navy, Sir Brian.“

Leopold von Winterstein fuhr herum und starrte ungläubig zur Tür.

„Kevin?“

„Leo?“

Sir Brian beobachtete amüsiert die beiden jungen Männer. Deshalb also hatte Commander McBride so schnell zugestimmt, einen seiner eigenen Offiziere auf Scythe zu lassen. Die Depesche hatte es ihm freigestellt dies zu tun, oder so schnell wie möglich noch einmal nach Caerdydd zu reisen und jemanden herzubringen. Sir Brian räusperte sich.

„So, Lieutenant, sie sollen also der Leiter dieser neuen Außenstelle der Navy hier auf Scythe werden. Wie ich sehe, kennen sie bereits einen der Herren.“

„Oh, ja. Leo… ich meine, Herr von Winterstein ist an Bord der BATTLEAXE hierhergereist. Wir haben uns dort kennengelernt.“

Und den Blicken nach zu urteilen, nicht nur kennengelernt.

Auch Niccolo sah nun grinsend von einem zum anderen.

„Tut mir leid, wir müssen noch was erledigen. Aber ihr könnt euch sicherlich nachher noch ausgiebig unterhalten.“

Damit zog er Leopold langsam zur Tür, während der junge Lieutenant nur mit Mühe seine Augen von Leopold abwenden konnte. Als Leopold verschwunden war, siegte dann doch seine Ausbildung und er straffte sich. Mit energischen Schritten ging er zum Schreibtisch.

„Lieutenant Bedford, Sir Brian. Ich melde mich im Auftrag ihrer Majestät als Leiter der Außenstelle HMNS PEACOCK.“

Sir Brian sah Kevin fragend an. Er wusste, dass die Navy ihre Landdienststellen mit Namen versah, so wie die Schiffe, aber ausgerechnet Peacock? Waren das nicht diese bunten Vögel, die man von weit aus dem Osten importierte?

Kevin lief leicht an.

„Verzeihung, Sir Brian, aber der Name war vorgegeben. Er soll von ihrer Majestät persönlich ausgewählt worden sein.“

Sir Brian lachte laut. Das sah ihr ähnlich. Bunte Vögel.

„Nun, Lieutenant. Dann nehmen sie Platz und wir werden uns kurz unterhalten.“


Miles und Thomas sahen Niccolo und Leopold hinterher, als diese das Gasthaus verließen.

Neugierig drehte sich Miles zu Thomas.

„Na, da hast du aber Glück gehabt. Larry hat vorgestern gekündigt. Ist zurück zu seiner Familie aufs Land. Und du bist wirklich eben erst angekommen?“

Thomas nickte etwas unsicher. Der Junge vor ihm erschien ihm etwas aufgedreht. Und der war tatsächlich mit dem netten Offizier der Wache zusammen?

„War das tatsächlich dein Freund?“

platzte Thomas heraus. Miles sah ihn einen Moment fragend an, dann lachte er leise.

„Allerdings. Das ist hier nichts Seltenes. Aber das solltest du eigentlich wissen, wenn du hierhergekommen bist. Was hat dich denn hergetrieben?“

Thomas erzählt nun zum wiederholten Mal die kleine Geschichte, wie er Arje kennengelernt hatte. In einem leichten Überschwang der Gefühle erzählte er die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten.

„Hm, ich glaube, da wirst du nachher eine kleine Überraschung erleben. Aber Mrs. Raynard hat gesagt, ich soll dir erst mal deine Unterkunft zeigen. Die ist oben.“

Und so stapfte Thomas hinter Miles die Treppen hoch.

„Hier im ersten Stock sind Gästezimmer. Im zweiten Stock ist die Wohnung von Mrs. Raynard und oben unter dem Dach sind vier Stuben für das Personal. Hier, das ist jetzt dein Zimmer.“

Erfreut und etwas erschrocken sah sich Thomas um. Noch nie hatte er ein Zimmer für sich allein gehabt. Aber was würde ihn das kosten?

„Lass deine Sachen hier, wir gehen jetzt erst einmal durchs Haus und dann sehen wir, ob wir was zu essen bekommen.“

In der Küche des Gasthauses regierte eine ältere Frau, die gerade zwei junge Mädchen durch die Gegend scheuchte. Thomas war von der imposanten Gestalt der Köchin und ihrem bestimmten Auftreten etwas eingeschüchtert. Miles hingegen trat munter in die Küche.

„Hallo, Rosa. Können wir noch etwas zu essen bekommen? Das hier ist Thomas. Er wird ab sofort bei uns arbeiten.“

Die Köchin sah streng auf Miles herab, dann lachte sie.

„Na, mal wieder ein bisschen spät?“

Dann sah sie ebenso streng an Thomas auf und ab. Leicht schüttelte sie den Kopf.

„So, du bist also Thomas. Siehst ein bisschen mager aus. Woher kommst du?“

„Aus Caerdon. Aber eigentlich aus Arlemande.“

„Tatsächlich? Das ist mal eine Abwechslung. Aber aus Arlemande kommen in letzter Zeit eine Menge junger Leute. Ich bin vor sechs Jahren hergekommen, aus Rota. Ich habe meinen kleinen Pietro hergebracht. Der arme Junge hatte es nicht einfach zu Hause.“

Miles grinste.

„Der kleine Pietro ist inzwischen Segelmacher auf der ESTRAY.“

Plötzlich schnupperte Rosa in die Luft, drehte sie sich um und sah eines der Mädchen an.

„Millie, wie oft habe ich schon gesagt, ihr sollt auf das Fleisch aufpassen. Wenn es zu dunkel wird, können wir es nicht mehr verkaufen.“

Die junge Frau eilte hektisch zu einem der riesigen Bratspieße an dem offenen Kamin.

„Dann setzt euch mal da hin. Millie bringt euch gleich was. Ich muss mich um den Kaffee kümmern.“

Thomas folgte Miles zu einem kleinen Tisch in einer Ecke und verfolgte dann neugierig das Treiben in der Küche.

„Hier gibt es auch Kaffee?“

Miles nickte, dann deutete er auf einen weiteren Tisch, auf dem etliche Kuchen und andere Süßigkeiten aufgestapelt waren.

„Mrs. Raynard hat ihr Gasthaus allen Teilen unserer bunt gemischten Bevölkerung gewidmet. Normalerweise haben Gasthäuser den ganzen Tag geöffnet. Nicht so der ‚gerupfte Gockel‘. Wir öffnen im Sommer morgens mit Sonnenaufgang, im Winter auch etwas früher. Da gibt es hier Frühstück. In allen Variationen, die du dir denken kannst. Da gibt es eine riesige Auswahl aus allen sieben großen Staaten und auch aus etlichen der kleineren.“

Thomas sah sich erstaunt um. Das musste ein riesiger Aufwand sein. Er wurde von Millie unterbrochen, die einen Teller voll mit Bratenstücken und ein großes Stück frisches Brot vor ihm absetzte. Thomas beäugte misstrauisch den Braten, ob er nicht etwa ein angebranntes Stück bekam, doch nein, alles war rosig und saftig. Miles bekam das Gleiche und Thomas staunte nicht schlecht.

Zögernd begann Thomas zu essen, während er noch einmal über das nachdachte, was Miles erzählt hatte.

„Und so ein Aufwand lohnt sich? Bei uns hatte der Wirt morgens nur wenige Sachen. Na ja, die Hafenarbeiter wollten auch nur wenig Abwechslung.“

„Kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber vielleicht konnte der ja nichts anderes. Mittags dann das volle Programm. Weniger verschiedene Sachen, dafür lecker und günstig. Am Nachmittag dann die Idee von Mrs. Raynard, mit der sie einen durchschlagenden Erfolg gehabt hat. Da wird eine Hälfte des Gastraumes umdekoriert. Ist dir schon aufgefallen, dass drüben im Gastraum nur kleine Tische stehen, anstatt der üblichen langen Tische und Bänke?“

Thomas nickte. Das war eines der ersten Dinge, die ihm ins Auge gefallen war.

„Hat für mich ein wenig komisch ausgesehen. So, als ob hier weniger Leute erwünscht wären.“

„Von wegen. Das hat was mit dem Nachmittag zu tun. Wirst du gleich sehen. Die Tische bekommen eine Tischdecke und eine kleine Vase mit einer Blume. Und das Programm ändert sich in Kaffee, Tee und Kuchen.“

Thomas sah verblüfft zu Miles.

„Wozu denn das? Wer kommt denn dann her?“

Miles lachte laut.

„Das wirst du nachher auch noch sehen. Hierher führten die Damen der Gesellschaft ihre Töchter, um sich umzusehen und den neuesten Klatsch auszutauschen. Und natürlich auch, um gesehen zu werden. Nicht jeden Tag die gleichen, aber fast immer sind alle Plätze besetzt und dann ist hier richtig Betrieb. Der ‚gerupfte Gockel‘ ist das einzige Gasthaus auf ganz Scythe, das dieses Angebot hat.“

Miles lachte noch einmal, als er völliges Unverständnis bei seinem Gegenüber sah.

„Thomas, so schön das auch für dich und mich hier auf Scythe sein mag, aber es gibt auch Leute, die mögen lieber das andere Geschlecht. Jeden Tag, wenn hier Kaffee, Tee und Kuchen serviert werden, kommen auch etliche junge Herren her, um vielleicht die Aufmerksamkeit einer jungen Dame zu erringen oder sich zumindest schon mal einer potenziellen Schwiegermutter zu präsentieren.“

Thomas versuchte, sich die Sache vorzustellen und platze dann mit einem Lachen heraus.

„Das würde ich zu gerne sehen.“

„Kein Problem. Wir werden nämlich nachher in dem Teil bedienen, der nicht von den Damen und ihrem Anhang besetzt ist. Für den Nachmittag hat Mrs. Raynard nämlich extra zwei Mädchen eingestellt, die dort die Bedienung übernehmen.“

„Frauen als Bedienung in einem Gasthaus?“

„Keine Angst. Sie sind nur am Nachmittag hier. Den normalen Betrieb wird ihnen keiner zumuten. Dies ist ein anständiges Haus und der Lord-Lieutenant hat es so genehmigt. So, einen Moment noch. Eigentlich müsste…“

Erwartungsvoll sah Miles zu der Tür, die von der Küche in den Hof führte. Als sie sich öffnete und ein Mädchen, oder besser, eine junge Dame eintrat, lächelte er.

„Hallo Mareike.“

„Hallo Miles, na, wie geht’s?“

Thomas hatte sich beim Ertönen der Stimme herumgedreht und erstarrte. Was war das denn? Die Figur war klar die einer jungen Frau, doch das Gesicht? Dieses Gesicht verfolgte ihn schon seit einigen Nächten.

„So, Thomas. Darf ich dir Mareike vorstellen. Sie arbeitet während der Kaffeezeit hier. Und sie hat einen Zwillingsbruder. Was glaubst du, wie der heißt?“

Mareike kam näher und begrüßte Miles mit einem Kuss auf die Wange. Dann wandte sie sich Thomas zu, der sie immer noch schweigend anstarrte.

„Und wer bist du?“

„Das ist Thomas. Ich glaube, du hast ihn jetzt ein wenig verwirrt.“

„Was? Ich?“

In aller Ruhe erzählte Miles, warum Thomas nach Scythe gekommen war. Der bemerkte mit zunehmendem Entsetzen, wie Miles seine ganze Geschichte mit allen Details zum Besten gab.

Mareike sah Thomas nachdenklich an.

„Hm, irgendwie passt das eigentlich gar nicht zu Arje. Er war in letzter Zeit eigentlich immer sehr zurückhaltend. Besonders seit der Geschichte mit… ah, egal. Bist du sicher, dass wir von der gleichen Person reden?“

Thomas war sich sehr sicher. Die beiden glichen sich, wie es nur Zwillinge konnten. Er nickte wortlos.

„Na gut. Aber da ist noch etwas. Mein Bruder hat ein Muttermal. Eigentlich hättest du das nur dann sehen können, wenn die Geschichte stimmt, die Miles erzählt hast. Kannst du dich daran erinnern?“

Thomas sah etwa verwirrt zu dem Mädchen hoch. Ein Muttermal? Da war nichts. Oder doch? Doch, richtig. Fast verborgen von kleinen goldblonden Locken…Was? Niemals würde er einem Mädchen erklären, wo sich die Stelle befand.

Doch Mareike hatte an der Reaktion von Thomas erkannt, dass er genau wusste, wovon sie sprach. Seine tiefrote Gesichtsfarbe gab ihn preis. Miles hingegen sah Mareike mit großen Augen fragend an. Sie beugte sich zu ihm herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Miles schlug eine Hand vor den Mund, um nicht laut herauszuplatzen.

In diesem Moment trat ein weiteres Mädchen in die Küche, dieses Mal jemand mit halblangen, tiefschwarzen Haaren und großen, braunen Augen.

„Hallo, Juanita. So, Thomas. Und dies hier ist Juanita. Sie ist die zweite Bedienung für die Kaffee-Schicht. Das hier ist Thomas. Er wird Larry ersetzen.“

„Na, hoffentlich ist er nicht so aufdringlich, wie dieser rothaarige Teufel.“

„Juanita, sei ein Bisschen freundlicher. Thomas wird sich bestimmt nicht für dich interessieren.“

Juanita rollte mit den Augen.

„Aha. Gut zu wissen. Ich dachte schon, der schnappt mir vielleicht eines von den Mädchen weg.“

Thomas sah Juanita zuerst verwirrt an, dann dämmerte es ihm. Sie stand auf Mädchen?

„Äh, nein. Bestimmt nicht.“

Bevor Thomas noch etwas weiteres sagen konnte, öffnete sich die Tür der Küche und Mrs. Raynard trat ein.

„Mädels, wo bleibt ihr denn? Die Tische müssen noch dekoriert werden. Miles, hast du Thomas die Sache mit den Nachmittagsgästen erklärt?“

„Ja, Mrs. Raynard. Wir ziehen wir uns nur schnell um, dann machen wir den anderen Teil fertig.“

Mrs. Raynard nickte und scheuchte die Mädchen vor sich her in den Gastraum.

„Umziehen?“

„Ja klar. Meinst du etwa, wir dürfen bei der Veranstaltung herumlaufen wie in einer Hafenkneipe? Los, komm mit.“

Miles zog Thomas mit sich in einen kleinen Raum neben der Küche. Dort standen mehrere Kisten an den Wänden, worauf Miles zielstrebig auf eine davon zuging. Suchend kramt er darin herum und warf Thomas zwei kleine Bündel entgegen.

„Hier, probier mal an.“

„Was? Hier?“

Miles schüttelte den Kopf.

„Wo denn sonst? Hier kommt keiner rein. Und ich zähle nicht. Ich bin schon vergeben.“

Zögernd begann Thomas sich zu entkleiden und trotz seiner Ankündigung betrachtete Miles ihn genau. Wenn er nicht Niccolo gehabt hätte, wäre dieser Junge genau der Nächste seiner Wahl gewesen. Miles seufzte und begann sich ebenfalls umzuziehen.

Auch Thomas riskierte dabei einen neugierigen Blick und ertappte sich bei arg unzüchtigen Gedanken, die nun rein gar nichts mit Arje zu tun hatten. Etwas erschrocken fummelte er an dem Hemd herum, das Miles ihm gegeben hatte.

„Hey, da sind ja gar keine Knöpfe dran.“

„Doch, aber nur hier unten. Die Dinger sind angeblich der letzte Schrei aus Letrion. Hier, einfach unten zuknöpfen und in die Hose stecken. Der obere Teil bleibt offen. Sie sind extra so geschnitten, dass man die Brust sehen kann.“

„Irgendwie fühle ich mich etwas unwohl.“

„Keine Angst. Du kannst dich dran erinnern, was ich gesagt habe? Die Jungs kommen hauptsächlich her, um nach den Mädchen zu sehen. Die beachten uns gar nicht. Dafür die Mädchen umso mehr. Aber Mareike und Juanita sorgen schon dafür, dass sie erfahren, dass wir nicht für sie in Frage kommen. Wir sind gewissermaßen die schicke Dekoration.“

Thomas betrachtete nun Miles in dem offenen weißen Hemd und der langen schwarzen Hose. Mit seinen dunkelblonden Locken und dem freundlichen Gesicht wirkte er ziemlich jung. Wie alt war Miles denn eigentlich? Wie alt musste man sein, um hier arbeiten zu dürfen? Durfte er überhaupt hier arbeiten? Musste er sich nicht irgendwo melden?

„Los geht’s. Wir haben zu tun.“


Drei Tage später traf die ESTRAY ein. Blitzschnell hatte sich die Nachricht herumgesprochen und es hatten sich etliche Leute an der Pier versammelt. Auch Miles und Thomas waren unter den Gaffern. Thomas hatte sich inzwischen an die Arbeit im Gasthaus gewöhnt. Er arbeitete von Beginn der Kaffeezeit bis nachts zum Ladenschluss, fünf Tage lang. Dann hatte er einen Tag frei und danach begann seine Schicht mit dem Frühstück bis zum Nachmittag. Noch hatte er die späte Schicht, doch morgen würde sein freier Tag sein

Auch Niccolo war erschienen und wartete geduldig, bis die Gangway ausgebracht war. Als der Posten auf der Pier stand ging er an Bord und sprach dort eine Weile mit Thorben und Clyde. Kurz darauf betraten die Scouts die Pier, gefolgt von einem Druiden, einem jungen Mann mit roten Haaren und einigen Besatzungsmitgliedern der ESTRAY.

Der Blick von Thomas wanderte an den Scouts entlang und er entdeckte sofort Arje. Sein Herz schlug schneller, doch er traute sich nicht näherzutreten. Dann geschah etwas Seltsames. Leutnant Partozzi war ebenfalls wieder auf die Pier getreten und sah zu den Scouts, dann in die Menge. Schnell trat er auf Arje zu und flüsterte etwas mit ihm. Arjes Kopf ruckte herum und suchte die Zuschauer ab. Tatsächlich! Er war hier!

Ohne sich um die anderen zu kümmern, löste sich Arje aus der Formation und ging hinüber zu Thomas. Dicht vor ihm blieb er stehen.

„Du hast es also wirklich geschafft.“

„Ja. Ich hatte einen großen Ansporn. Ich… ich wollte dich wiedersehen.“

„Mich? Ehrlich?“

„Natürlich. Warum denn nicht?“

Nun sah Arje etwas betreten zu Boden.

„Aber du kennst mich doch gar nicht.“

„Hast du… hast du was dagegen, wenn ich dich gerne näher kennenlernen möchte?“

Arjes Kopf ruckte hoch und er sah Thomas in die Augen.

„Mich? Ehrlich?“

„Hast du das nicht gerade eben schon einmal gefragt? Ja, dich. Ich habe den Weg nach Scythe auf mich genommen, um dich wiederzusehen. Du hast mich die ganze Zeit über verfolgt und ich wusste nicht, ob ich das richtige mache. Ich wusste nicht…

Thomas wurde unterbrochen von einer stürmischen Umarmung. Fast bekam er keine Luft mehr, so sehr klammerte sich Arje an ihn. Dann ließ er ihn schlagartig los.

„Tut mir leid, aber ich muss zurück. Wir sehen uns bestimmt noch. Wo bist du zu erreichen?“

„Er arbeitet bei uns.“

Arje sah überrascht zu Miles.

„Bei euch? Zusammen mit Mareike?“

„Jep. War lustig, als sich die beiden getroffen haben. Aber…“

„Arje, komm sofort rüber! Wir wollen los!“

Arje sprintete zurück zu seiner Formation, die sich dann auch sofort in Richtung des Schlosses in Bewegung setzte. Thomas sah ihnen verträumt hinterher, bis Miles ihn anstieß.

„Siehst du. Das war doch schon mal ein Anfang. Los, komm mit. Ich hätte da beinahe was vergessen. Mrs. Raynard hat mich gefragt, ob du schon registriert bist. Wenn du hierbleiben willst, musst du dich registrieren lassen.“

„Was? Warum?“

„Du bist doch aus Arlemande gekommen. Ihr habt zwar eine ganze Weile in Caerdon gelebt, aber wart ihr da offiziell registriert? Wahrscheinlich nicht.“

Thomas schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung.“

„Siehst du. Wenn du hier auf Scythe dauerhaft bleiben willst, musst du Bürger von Britannica werden. Du musst vor dem Lord-Lieutenant einen Eid auf Land und Herrscher leisten. Dann kannst du in ganz Britannica jedem beliebigen Beruf nachgehen und dich sogar zur Wahl aufstellen lassen.“

„Wahl? Was für eine Wahl?“

„Na, Bürgermeister vielleicht, oder gar Abgeordneter für das Parlament in Caerdon. Oder du wirst Lord-Lieutenant.“

Thomas lachte laut.

„Träum weiter. Lass uns lieber losgehen.“


Die Leute von der ESTRAY wurden in den Bankettsaal des Schlosses geführt und dort von Sir Brian begrüßt.

„Wir haben euch schon sehnsüchtig erwartet. Der Earl hat so manche Fragen und nicht nur er. Aber nehmt erst einmal Platz. Wer möchte, kann etwas zu essen oder zu trinken bekommen. Wir erwarten auch noch weitere Teilnehmer für unsere kleine Runde, es kann sich also noch ein wenig hinziehen.“

Clyde nickte freundlich.

„Vielen Dank, Sir Brian. Wir haben so einiges zu berichten. Aber wir sind natürlich auch neugierig, was sich sonst noch so zugetragen hat. Ich habe gesehen, dass die LE COMBATTANTE in der Werft liegt. Sie soll also instandgesetzt werden?“

„Allerdings. Aber das wird Lord Hansom noch persönlich verkünden. Außerdem haben wir, wie gesagt, noch ein paar Gäste, die auch noch Überraschungen mitgebracht haben.“

Sir Brian verließ den Saal wieder während Clyde hinüberging zu den anderen an den großen Tisch. Clyde wunderte sich ein wenig, dass man die vorhandenen Tische des Saales angeordnet hatte wie zu einem Festbankett. Sie bildeten ein großes, an einer Seite offenes Rechteck. Wie viele Personen wurden denn erwartet?

Als die ersten Besucher eintrafen, war Clyde tatsächlich überrascht.

„Andrew, Michael! Was macht ihr denn hier?“

Lord Andrew Argyll lachte leise, während Michael auf ihn deutete.

„Was glaubst du? Du sprichst mit dem Kapitän der LAOCH.“

„LAOCH?“

„Ja, früher bekannt unter dem Namen LE COMBATTANT.“

„Was? Ernsthaft? Da muss ich mehr darüber…“

Clyde unterbrach sich, als Niccolo Partozzi eintrat, begleitet von Leopold von Winterstein und einem ihm unbekannten Lieutenant der Navy.

„Niccolo! Und Herr von Winterstein.“

Clyde sah fragend zu dem Lieutenant, als Peter Richardson plötzlich aufsprang.

„Kevin! Was machst du denn hier?“

„Peter? Da könnte ich dich das Gleiche fragen.“

Niccolo grinste und deutete auf Kevin.

„Das ist Lieutenant Bedford. Er ist der Leiter der neuen Marinebasis hier auf Scythe.“

Clyde machte große Augen, dann deutete er auf Peter.

„Lieutenant Richardson ist der neue Verbindungsoffizier der Navy zu den Freibeutern.“

Die beiden Navy-Offiziere sahen sich verblüfft an, dann lachten sie.

Die Tür öffnete sich erneut und diesmal erschien wieder Sir Brian.

„Meine Herren, der Earl of Scythe.“

Alle erhoben sich und sahen zur Tür, als Daniel Hansom eintrat, gefolgt von allen Offizieren der FAIRYTALE und einem hochgewachsenen älteren Druiden in einer weißen Robe.

„Vielen Dank, meine Herren. Aber setzen sie sich doch bitte.“

Captain Hansom, in seiner Kapitänsuniform, ging zum Kopfende der Tafel und setzte sich dort.

Nun folgten ihm auch die anderen und suchten sich noch freie Plätze. Clyde grinste leicht, als er Liam in der Uniform eines Lieutenants erkannte.

„Meine Herren, ich habe sie hier in diese doch sehr große Runde gebeten, weil ich gerne möchte, dass alle von ihnen auf dem neuesten Stand der Ereignisse sind. Ich denke nicht, dass es Geheimnisse gibt, die nicht hier besprochen werden sollten. Sie alle stehen in gewisser Weise im Dienst Britannicas und ich bin mir sicher, dass sie die Sicherheit unserer Heimat zu würdigen wissen.“

Daniel Hansom sah sich um und erblickte so einige ihm unbekannte Gesichter.

„Bevor wir mit der Aufarbeitung der Geschehnisse der letzten Tage beginnen, möchte ich einige Personen vorstellen, die vielleicht nicht allgemein bekannt sind. Der Erzdruide ist meinen Vorstellungen gefolgt und hat für Scythe die Errichtung eines Heiligen Hais genehmigt. Ältester Farnolt ist der Neue Vorsteher des Hains. Und wenn ich es richtig verstanden habe, soll der neue Heiler auch schon eingetroffen sein.“

Caelin erhob sich und ging hinüber zu dem Ältesten, vor dem er sich verbeugte. Dann verbeugte er sich vor dem Earl.

„Ich bin Bruder Caelin, der neue Heiler, Mylord.“

Der Älteste lächelte freundlich und auch Daniel Hansom nickte erfreut.

„Das ist sehr schön. Aber nimm bitte wieder Platz. Die zweite Veränderung auf Scythe betrifft unser Verhältnis zur Navy. Ihre Majestät hat angeordnet, dass auf Scythe ein kleiner Stützpunkt der Navy errichtet wird, der den Patrouillenschiffen erlaubt, die nord-westlichen Gewässer von Britannica ausdauernder zu überwachen. Leiter dieses Stützpunktes ist Lieutenant Bedford.“

Dieser erhob sich kurz, als sein Name genannt wurde.

„Dann hat ihre Majestät angeregt, den Freibeuterkapitänen, wenn sie es denn wünschen, einen Verbindungsoffizier der Navy zuzuordnen. Wie mir berichtet wurde, hat Lord Clyde den betreffenden Offizier bereits mitgebracht.“

Clyde errötete leicht und erhob sich. War das jetzt eine Art Tadel, dass er die Zustimmung des Earls vorausgesetzt hatte?

„Ich darf euer Lordschaft Lieutenant Peter Richardson vorstellen, den neuen Verbindungsoffizier.“

Peter erhob sich ebenfalls und sah unsicher zu Captain Hansom.

„Sehr erfreut. Vielen Dank.“

Clyde und Peter setzten sich erleichtert wieder hin.

„Dann habe ich eine weitere Ankündigung. Die LE COMBATTANTE ist vom Prisengericht als ordnungsgemäß aufgebrachte Prise anerkannt worden. Sie wurde auf Grund ihres Zustandes nicht aufgekauft, sondern zum Abwracken freigegeben. Ich habe das Wrack gekauft und Master Finch wird sie wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzen können. Sie wird dann als Freibeuter unter der Flagge von Scythe an den Earl of Argyll verchartert.“

Clyde sah hinüber zu Lord Andrew, der eindringlich auf seinen Vetter Michael einredete.

„Das Schiff hat den Namen LAOCH bekommen und Kapitän wird Lord Andrew Argyll werden, so sie denn fertiggestellt ist. Das wird aber wohl noch einige Monate dauern. Ich bin mit dem Earl of Argyll übereingekommen, dass die LAOCH hier in Tarray stationiert bleibt. Das bedeutet für uns, dass wir uns auf weitere Zuzüge auf die Insel einstellen können. Ach ja. Die Besatzung der LAOCH wird zum größten Teil aus Personen bestehen, die – wie soll ich sagen? – nicht die Vorlieben der Besatzung der FAIRYTALE oder der ESTRAY teilen.“

Clyde musste bei der umständlichen Formulierung etwas lächeln und als er sich umsah, bemerkte er einige andere, denen es ebenso erging.

Schon als Daniel Hansom fortfahren wollte, erhob sich Michael Argyll und sah den Earl entschuldigend an.

„Verzeihung, euer Lordschaft, aber dürfte ich kurz etwas sagen?“

Der Captain sah Michael erstaunt an, nickte aber dann.

„Bitte, Mister Argyll.“

Anstatt gleich zu antworten, griff Michael mit beiden Händen nach oben zu seinen Ohren und befreite sie von dem Glamour, der die Spitzen verborgen hatte.

„Ich bitte, in die Dienste der Grafschaft von Scythe treten zu dürfen.“

Leises Gemurmel erhob sich ringsum und Clyde hob erstaunt seine Augenbrauen. Was hatte Michael denn ausgerechnet jetzt zu diesem Schritt veranlasst?

„Vielen Dank für das Angebot, Mister Argyll. Ich werde mich nach dieser Sitzung kurz mit Lord Clyde von den Scouts unterhalten und ihnen dann meine Entscheidung mitteilen.“

Michael setzte sich wieder, ohne jedoch seine Ohren wieder zu verbergen.

„Nun, da wir die allgemeinen Punkte abgearbeitet haben, kommen wir zu den Ereignissen aus den letzten Wochen und Tagen, die uns eigentlich hier zusammengeführt haben. Ich möchte gerne von jeder der hier versammelten Gruppen einen detaillierten Bericht über diese Geschehnisse.“

Daniel Hansom sah in etliche erstaunte und auch verblüffte Gesichter, dann hob er seine Hand bei dem einsetzenden Geflüster.

„Ich weiß, es wird nicht einfach sein, aber wir werden versuchen, die ganzen Teile zusammenzusetzen, um so ein großes Bild zu bekommen. Jede Einzelheit ist wichtig. Ich werde jetzt noch einmal ganz von vorne beginnen. Während ich vortrage hat jeder das Recht mich zu unterbrechen, wenn er etwas zu dem Punkt zu sagen hat, den ich gerade behandle. Ebenso werde ich an bestimmten Punkten jemanden auffordern, etwas zu den Dingen zu sagen, die bis dahin an einem anderen Ort passiert sind. Ich weiß, es klingt etwas verwirrend, aber das wird sich klären, sobald wir angefangen haben.“

Clyde nickte nachdenklich. Ja, das müsste eigentlich alle Geschehnisse abdecken können.

„Also, für die Freibeuter von Scythe hat die ganze Geschichte damit angefangen, als ich vom Gouverneur von Neu-Britannica den inoffiziellen Auftrag bekam, nach einem vermissten Magier zu suchen…“

Am späten Nachmittag hatte sich die Versammlung bis zur Seeschlacht zwischen der FAIRYTALE und der LE COMBATTANTE vorgearbeitet.

Daniel Hansom war sichtlich erschöpft und einige andere ebenso. Sir Brian hatte sich mit Miles Redcliff und Liam Young abgelöst beim Schreiben der Gesprächsprotokolle. Ein ganzer Berg von Papier stapelte sich inzwischen neben dem Lord-Lieutenant.

„Ich sehe schon, wir werden heute sicherlich nicht damit fertig. Ich möchte sie auch nicht mehr als nötig strapazieren. Deshalb werden wir morgen Vormittag weitermachen. Ich würde sagen, zwei Glasen der Vormittagswache.“

Clyde lachte leise, als er Ethans fragenden Blick wahrnahm.

„Neun Uhr. Du kannst dich schon mal an das Bordleben gewöhnen.“

„Was? Warum denn das?“

Clyde sah seinen Halbbruder nachdenklich an. Er schien so jung und unerfahren. Sicherlich, seine Ausbildung als Magier war abgeschlossen, aber was hatte der Earl of Sutherland aus ihm gemacht?

„Du bist ein Magier. Möchtest du nicht mit uns zusammenarbeiten. Wir können bei den Scouts jeden Magier gebrauchen.“

„Du… du willst, dass ich bei den Scouts anfange?“

„Ja, warum nicht? Hm, mal sehen. Hast du wenigstens etwas Unterricht an den Waffen erhalten?“

„Nein. Außer dem Schulunterricht und dem Magieunterricht hat man mich nichts anderes machen lassen. Ich habe einen großen Teil meiner Zeit in der Bibliothek verbracht oder im Wasser, wenn ich die Gelegenheit hatte.“

„Ach ja. Da müssen wir auch noch drüber reden. Überleg es dir, ob du nicht doch zu den Scouts möchtest. Ich muss weiter. Mir ist da gerade etwas eingefallen.“

Clyde sah sich suchend um, als er auch schon sein Opfer erspähte.

„Hallo, Feliciano. Wie geht’s es dir? Und wie geht es deiner Familie?“

„Clyde!“

Begeisterts trat Feliciano näher, umfasste Clyde und hob ihn etwas an.

„Hallo, Kleiner. Du wirst immer hübscher.“

Clyde errötete unwillkürlich und Feliciano setzte ihn wieder ab.

„Den Mamas geht’s gut. Romano ist so ein Fall für sich. Der hüpft wie eine Biene von Blümchen zu Blümchen.“

„Oh weh. Ich nehme an, er verteilt den Blütenstaub.“

Feliciano sah Clyde einen Moment an, dann brachen sie in lautes Gelächter aus.

„Felice, bevor wir was anderes machen, habe ich was Dienstliches.“

Feliciano sah Clyde spöttisch an.

„Sag nichts. Du möchtest die Zwillinge haben.“

„Woher weißt du das?“

„Ich habe geraten. Ich denke, sie haben sich ganz gut bei dir gemacht. Und mit ihrem Wissen und Können sind sie dort auch gut aufgehoben. Bei uns wird ohnehin demnächst wieder ergänzt. Da ist es dann egal.“

Clyde war etwas skeptisch, doch er freute sich, dass die Zwillinge bei ihm bleiben konnten.

„Oh. Dabei fällt mir ein, die Uniformen sind fertig.“

„Tatsächlich. Das ist sehr schön. Aber – wir sind nun ein paar mehr. Wird das nicht problematisch?“

„Keine Angst. Ich habe schon damit gerechnet, dass ihr mit ein paar Leuten mehr wiederkommt als ihr losgefahren seid. Ihr müsstet nur noch mal mit den Neuen vorbeikommen. Hm, von den Zwillingen dürften die Angaben noch da sein. Wie gesagt, schick alle vorbei, die noch nicht da waren. Am besten so schnell wie möglich.“

„Dürfen Ethan und ich dann gleich vorbeikommen?“

Feliciano sah nun erst den etwas unscheinbar wirkenden Jungen neben Clyde.

„Feliciano, das ist Ethan Sutherland, mein Bruder.“

Erstaunt streckte Feliciano, seine Hand aus, die Ethan zögernd nahm.

„Ethan, das ist Hauptmann Feliciano deLuca. Der Kommandeur der Seesoldaten von Scythe.“

„Hallo, Ethan.“

„Guten Tag, Sir.“

Feliciano sah Clyde fragend an.

„Ethan ist es nicht gewohnt, mit so vielen Leuten umzugehen. Er hat seine Ausbildung als Magier abgeschlossen und ich habe ihn gefragt, ob er den Scouts beitreten möchte.“

„Und, möchte er? Ich könnte auch bei den Seesoldaten einen Magier gebrauchen.“

„Untersteh dich. Fang nicht an, die Leute abzuwerben.“

Ethan war dem Wortwechsel erstaunt gefolgt und sah nun vom einen zum anderen.

„Ist… ist das immer so?

Feliciano sah ihn erstaunt an.

„Was? Da war doch nichts. Ich habe ihn nur ein Bisschen ärgern wollen. Ich mag es halt, wenn er die niedlichen roten Flecken im Gesicht hat.“

Mit diesen Worten beugte sich Feliciano vor und gab Clyde einen Kuss. Einen langen Kuss, den dieser auch ausgiebig erwiderte. Ethan sah ihnen beiden mit großen Augen zu.

Feliciano bemerkte den Blick und löste sich von Clyde.

„Oh, ich entschuldige mich. Ich dachte, Ethan wäre mit der Situation hier auf Scythe vertraut und da…“

„Ist er auch. Hat er mit zumindest zugesichert. Allerdings hat er mir nicht verraten, für welche Seite er sich denn entschieden hat.“

Ethan war bei der letzten Bemerkung ebenso rot angelaufen wie Clyde. Woher sollte er denn wissen, was er wollte? Er hatte nie die Gelegenheit bekommen, die eine oder andere Seite kennenzulernen. Sicherlich, er war öfter mit den Jungen schwimmen gewesen und einmal hatte er sogar in seiner Gestalt als Seehund die Mädchen beim Baden beobachtet. Aber so richtig interessiert hatte ihn beides nicht.

Clyde bemerkte Ethans geistige Abwesenheit und stieß ihn leicht an.

„Was hältst du von einem Besuch beim Schneider?“

„Bitte?“

„Felicianos Mütter betreiben eine Schneiderei hier in Tarray. Ich muss sie ohnehin aufsuchen, wegen der Uniformen für die Scouts.“

Ethan nickte zögernd und Clyde zog ihn mit sich in Richtung Ausgang. Dort wurde er jedoch von Captain Hansom aufgehalten, der ihn heranwinkte. Clyde wandte sich kurz an Feliciano.

„Feliciano, nimmst du bitte Ethan mit? Ich muss noch kurz was klären, komme aber gleich nach.“

Feliciano nickte und zog Ethan mit sich, der etwas unglücklich dabei aussah.

Daniel Hansom folgte Clydes Blick und schüttelte den Kopf.

„Wieviel Mann sind denn jetzt bei den Scouts?“

„Hm? Äh, … Zwölf, soviel ich weiß. Und mit allen Magiern zusammen sind wir vierzehn.“

„Ach so? Hatten wir uns nicht auf acht bis zehn geeinigt?“

Clyde wurde leicht nervös.

„Jawohl, Sir. Aber es gab da Situationen, die nicht so leicht zu erklären sind. Und neue Magier sind sehr schlecht zu bekommen, da habe ich dann einfach zugeschlagen. Zusammen mit Ragnar und Diethard haben wir nun sieben Magier.“

Daniel Hansom sah eine Weile nachdenklich auf Clyde herab.

„Und was hältst du von dem Angebot des achten Magiers?“

„Michael? Ich weiß es nicht genau. Er hat sein Erbe bisher immer konsequent verborgen und auch seine magische Begabung nicht ausbilden lassen. Zusammen mit dem neuen Feuermagier kommt eine Menge Arbeit auf die Scouts und auch auf die Druiden zu.“

„In Ordnung. Ich werde noch einmal mit dem jungen Argyll reden. Und du machst dir bitte einmal Gedanken, wie denn die Scouts in Zukunft eingesetzt werden können und sollen. Mit so vielen Leuten gibt es doch bestimmt weitere Möglichkeiten als bisher.“

Clyde sah den Earl überrascht an, doch dann nickte er.

„Jawohl, Sir. Entschuldigung, aber ich bin in Eile.“

Daniel Hansom lachte laut.

„Das hab ich gesehen. Dann mal los.“

Schnell eilte Clyde hinter Feliciano und Ethan her.


Arje hingegen war sofort aus dem Besprechungsraum geeilt und auf dem Weg zum ‚gerupften Gockel‘. Im Moment würde zwar noch die Kaffeerunde tagen, doch der andere Teil des Gastraumes war ja weiterhin frei zugänglich.

Als Arje das Gasthaus betrat, musste er lächeln. Thomas sah gut aus in dem offenen weißen Hemd und der langen schwarzen Hose. Miles und er hatten nicht viel zu tun, denn die wenigen jungen und auch einige ältere Herren zollten den Damen mehr Aufmerksamkeit, als dass sie etwas verzehrten.

Thomas hatte Arje bemerkt und kam langsam auf ihn zu.

„Hallo. Du möchtest… was trinken?“

„Nein. Ich wollte zu dir. Wann hast du Feierabend?“

„Was? Warum?“

„Damit ich mich mit dir treffen kann. Ich kann schlecht mit dir reden, wenn du hier arbeiten musst.“

„Oh, ja. Na klar. Ich muss bis zum Ladenschluss arbeiten. Dann können wir uns treffen.“

Arje wusste, dass der ‚gerupfte Gockel‘ bereits eine Stunde vor dem angeordneten Zapfenstreich geschlossen wurde. Mrs. Raynard hatte so ihre eigenen Ansichten von späten Gästen, auf die sie gerne verzichten konnte.

„Dann bin ich um elf wieder hier. Bis dann.“

Beschwingt verließ Arje das Gasthaus, während Thomas ihm verträumt hinterher sah. Er wollte sich mit ihm treffen. Vielleicht ging sein Wunsch doch in Erfüllung.

Ethan hingegen betrachtete überrascht die Auslagen in den großen Schaufenstern der Damen deLuca. Auch Clyde bemerkte, dass seit seinem letzten Besuch etwas verändert worden war. Neben der Puppe mit der Uniform der Seesoldaten stand nun eine neue, ganz in eine schwarze Uniform gekleidet. Clyde erkannte sofort den Entwurf. Sogar sein Vorschlag für den Hut war umgesetzt worden. Die ausgestellte Uniform war die eines Offiziers, denn auf dem Stehkragen war ein silberner Stern zu erkennen und die violette Schärpe unter dem Koppel für den Säbel war ein deutlicher Hinweis.

Der Hut war an der linken Seite aufgesteckt und mit einem metallgeprägten Wappen befestigt. Zwischen Hut und Wappen war ein kleiner Federbusch befestigt, dieser hier ganz in violett.

„Sieht gut aus, dein Entwurf. Meine Mütter sind schon des Öfteren gefragt worden, was es mit der schwarzen Uniform auf sich hat.“

Clyde sah Ethans fragende Gesicht und deutete auf die Uniform.

„Das ist die neue Uniform der Scythe-Scouts. Aber so wie sich das im Moment entwickelt, werden wir wohl noch eine kleine Veränderung daran vornehmen müssen.“

„Na, dann kommt mit rein.“

Feliciano öffnete die Tür und Clyde vernahm das Klingeln eines Glöckchens. Es dauerte auch nicht lange, bis eine der Damen de Luca nach vorne kam und die Besucher begrüßte.

„Felice, eine nette Überraschung. Wolltest du nicht erst morgen Abend kommen? Lord Clyde! Kaum zurück und schon beehrt ihr unser Haus erneut. Und wer ist dieser junge Mann?“

„Mrs. deLuca, ich möchte ihnen meinen Bruder vorstellen, Ethan Sutherland.“

„Sehr erfreut. So ein hübscher junger Mann! Veronica komm schnell her, wir haben Gäste!“

Nun erschien auch die zweite Dame deLuca und Ethan schien etwas unsicher zu sein, wie er sich verhalten sollte.

„Clyde hat dir nichts gesagt? Ganz einfach. Wo andere einen Vater und eine Mutter haben, habe ich eben zwei Mütter. Veronica und Lucia sind schon seit über zwanzig Jahren ein Paar. Veronica ist die Mutter, die mich geboren hat und Lucia die Mutter von Romano, meinem Bruder.“

Ethan sah erstaunt zu den Damen und dann wieder zu Feliciano.

„Das ist das erste Mal, dass ich von einer derartigen Familie höre. Ich meine…“

Ethan suchte verzweifelt nach Worten. Er hatte bemerkt, dass er sich etwas ungeschickt ausgedrückt hatte und nun sah er verzweifelt zu Clyde. Doch die beiden Damen lachten nur und die Dunkelhaarige wedelte mit einem Zeigefinger.

„Dann hör dich ruhig um. Wir sind inzwischen nicht die einzigen hier auf Scythe.“

„Wo ist Romano? Ich wollte meinen Bruder auch noch vorstellen.“

„Da kommt ihr ein wenig zu spät. Er war schon ganz nervös und wollte unbedingt auf die Suche gehen nach dem netten jungen Mann von den Scouts, mit dem er sich letztens so lange unterhalten hatte.“

Netter junger Mann? Scouts? Romano? Dann fiel Clyde die Geschichte mit Mario ein. Mit einem etwas misstrauischen Blick zur Seite versuchte Clyde vorsichtig herauszufinden, ob die Damen vielleicht wussten, dass die beiden das Wort ‚unterhalten‘ nicht nur auf das Reden beschränkt hatten.

Lucia de Luca winkte die jungen Männer weiter in eines der Hinterzimmer, während Veronica davoneilte, um den Tee zuzubereiten.

Clyde sah etwas unsicher aus, als er Lucia ansah. Hoffentlich nahm sie seine Änderungswünsche nicht übel, wo doch schon alles fertig war.

„Ich möchte dann noch ein paar kleine Änderungen haben, bevor die Uniformen ausgegeben werden.“

Nun waren die Damen ganz aufmerksam, während Feliciano etwas spöttisch die Augenbrauen hob.

Clyde sah etwas nervös von einem zum anderen und wurde zu seiner Erleichterung von Veronica mit dem Tee unterbrochen.

„Letzte Änderungen sind nie die letzten. Nur eine Ausrede für neue Ideen.“

„Feliciano Lorenzo Gabriele de Luca! Lass ihn doch bitte Ausreden.“

Feliciano sah überrascht zu Veronica. Sein voller Name wurde normalerweise nur benutzt, wenn er etwas verbrochen hatte.

„Es geht um die Farben. Und wir haben nun inzwischen zwölf Mann.“

Damit sah Clyde fragend zu Ethan, der zunächst nicht wusste, was Clyde von ihm wollte. Doch dann erinnerte er sich an die Frage wegen der Mitgliedschaft bei den Scouts. Aufseufzend nickte er.

„Gut, also dreizehn Mann. Davon bekommen sieben Mann violette Abzeichen und sechs Mann rote Abzeichen.“

Nun sahen nicht nur die Damen de Luca Clyde fragend an.

„Die Magier bekommen die roten Abzeichen. Die eigentlichen Scouts die violetten Abzeichen. Einer davon bekommt die Dienstgradabzeichen eines Feldwebels. Die können so aussehen, wie bei den anderen Einheiten.“

„Also goldgelb auf der Grundfarbe.“

Gold auf schwarz? Clyde nickte.

„Was ist mit dem Federbusch?“

Clyde sah etwas irritiert zu Feliciano, der nun die Augen verdrehte.

„Wenn du Unteroffiziere hast, verändert sich die Farbe des Federbusches auf dem Hut. Der der Mannschaften ist durchgehend schwarz. Deiner wäre komplett violett gewesen, jetzt ist er komplett rot. Derjenige der Unteroffiziere ist geteilt. Unten die Grundfarbe, oben die Waffenfarbe. Heißt also für einen Scout unten schwarz, oben violett.“

Clyde sah Feliciano einen Moment lang nachdenklich an, dann nickte er.

„Genauso machen wir es.“

Feliciano nickte ebenfalls, dann grinste er Ethan an.

„Deine Maße haben wir noch nicht. Komm mal mit. Das erledigen wir gleich. Du kannst dich schon mal ausziehen.“

Ethan starrte Feliciano vollkommen entsetzt an, bis dieser und Clyde anfingen zu lachen. Auch die Damen de Luca lächelten amüsiert.


Später am Abend schickte Clyde Ethan zurück auf die FAIRYTALE. Er sollte sich dort einen Platz im Deck der Scouts suchen. Bestimmt war der eine oder andere bereits dort und konnte ihm helfen.

Am nächsten Morgen wurde Clyde sanft geweckt. Er spürte einen Kuss auf seiner Wange und hörte ein gehauchtes

„Guten Morgen, mein Kleiner.“

Clyde öffnete die Augen und sah das Gesicht von Feliciano dicht über sich. Die kurzen, hellblonden Haare waren von der Nacht verstrubbelt und braune Augen sahen zärtlich auf ihn herab. Clyde streckte sich ein wenig und sah Feliciano unschuldig an.

„Hey, heute Nacht warst du noch ganz anderer Meinung.“

Feliciano lachte und schlüpfte schnell zu Clyde unter dessen Decke.

„Ich habe mich ja auch gar nicht beschwert. Ganz im Gegenteil. Aber…“

Feliciano zögerte und Clyde sah ihn fragend an.

„Was, aber?“

„Ich möchte nicht, dass du denkst, es wäre nur so eine einmalige Angelegenheit. Ich möchte gerne öfter und länger mit dir zusammen sein. Und nein – nicht nur im Bett, falls du das gerade gedacht hast.“

War das jetzt so eine Art Antrag? Clyde war überrascht, aber es war eher eine angenehme Überraschung. Er hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Feliciano den Mut aufbringen würde, ihn zu fragen. Leicht berührte er den neben ihm Liegenden mit dem Zeigefinger an der Nasenspitze.

„Du bist ein bisschen vorwitzig. Hast du dir überlegt, was passiert, wenn ich nein sage?“

„Ehrlich gesagt, nein. Clyde, ich mag dich wirklich sehr gerne. Überleg es dir bitte. Du brauchst mir auch nicht sofort eine Antwort geben.“

Clyde seufzte leicht und nickte dann. Sanft fuhr er mit dem Zeigefinger über Wange und Hals, bis hinunter auf die Brust. Dann gab er Feliciano einen sanften Kuss.

„Wenn wir jetzt nicht aufhören, kommen wir hier nicht so schnell raus.“

Feliciano warf schwungvoll die Bettdecke von sich und erhob sich. Clyde sah dem nackten Mann hinterher, der hinüber zum Waschtisch ging. Der Körper war schlank, etwas schmaler als sein eigener, aber durchaus trainiert. Clyde erinnerte sich an die letzte Nacht, als er jeden Winkel dieses Körpers ausgiebig erkundet hatte.

„Sieh zu, dass du auch aufstehst, sonst bekommen wir kein Frühstück mehr. Wir müssen rechtzeitig zum Schloss.“

Clyde erhob sich nun ebenfalls und einige Minuten später waren sie auf dem Weg nach unten in die Küche. Als sie die große Küche betraten, wäre Feliciano beinahe auf Clyde aufgelaufen, der abrupt stehenblieb.

„Was ist?“

Bevor Clyde antworten konnte, sah Feliciano schon, was ihn zu dieser Reaktion veranlasst hatte. Am Tisch saßen Romano und Mario dicht nebeneinander und fütterten sich gerade gegenseitig mit Weißbrot.

Als sie die Geräusche hörten, blickten sie zur Tür und erstarrten in ihren Bewegungen. Mario war der erste, der sich von der Überraschung erholte.

„Siehst du, ich hatte recht.“

Feliciano hingegen sah etwas erbost hinüber zu seinem Bruder.

„Romano, was soll das? Ihr habt doch wohl nicht die ganze Nacht…“

Romano sprang sofort vom Tisch auf und stellte sich hinter Mario.

„Und wenn? Ich bin inzwischen siebzehn. Ich bin volljährig nach den Gesetzen dieses Landes. Ich darf zusammen sein mit wem ich will. Ich bin schließlich kein Adliger.“

Romano schloss entsetzt seinen Mund, als er merkte, was er gerade gesagt hatte. Clyde und Feliciano sahen sich betroffen an. Romano hatte recht. Clyde war knappe achtzehn und würde als Mitglied des Hochadels erst mit einundzwanzig volljährig werden. Zögernd legte Feliciano Clyde eine Hand auf die Schulter und drehte ihn etwas zu sich.

„Muss ich jetzt erst deinen Vater fragen?“

Clyde sah Feliciano fragend an, dann erschloss sich ihm der ganze Hintergrund der Frage, während Mario und Romano entsetzt nach Luft schnappten.

„Du… du willst ihm tatsächlich einen Antrag machen?“

Feliciano nickte seinem Bruder ernsthaft zu.

„Ja. Ich will und ich werde.“


Während Clyde eine ganze Menge zu überdenken hatte, wurde Thomas etwas ungewohnt geweckt. Zwei Hände krochen unter seine Bettdecke und arbeiteten sich die Brust und den Bauch hinunter, bis sie dort spielerisch kreisten, streichelten, kraulten. Thomas schlug verwirrt seine Augen auf. Das war doch nicht sein Zimmer! Dann kam ihm die Erinnerung wieder an den gestrigen Abend, als Arje ihn abgeholt und zu sich nach Hause gebracht hatte.

Die Nacht war kurz gewesen und Thomas war immer noch etwas müde. Sanft hielt er die Hände fest.

„Du kannst auch nicht genug kriegen. Ich bin müde.“

„Schade. Er steht gerade so schön. Letzte Nacht warst du auch nicht müde. Du hast ein kleines Vermögen ausgegeben.“

Thomas lachte leise. Etwas verschämt hatte Arje ihm die Verkleidung als Strichjunge geschildert und auch die Preise, die er verlangt hatte.

„Wenn es danach geht, können wir gerne gegeneinander aufrechnen. Ich glaube wir kommen da beide auf den gleichen Betrag.“

Arje lachte und sprang schwungvoll aus dem Bett. Thomas bewunderte den fast zierlichen Körper mit den goldblonden Locken.

„Los, Faulpelz. Komm mit nach unten. Es gibt Frühstück.“

Nach einem kurzen Aufenthalt am Waschtisch folgte Thomas Arje nach unten. In der Küche blieb er halb entsetzt, halb peinlich berührt stehen. An dem großen Tisch saßen sechs Personen und sahen ihm neugierig entgegen.

„Oh, das ist gut. Thomas, du hast meine Familie ja noch nicht komplett kennengelernt. Also, dies ist Hendrik deFries, mein Vater. Er ist Schiffsbaumeister bei Master Finch hier in Tarray. Dann meine Mutter, mein Bruder Bente, Mareike kennst du ja schon, mein Bruder Jeroen und die da hinten ist Neeltje.“

Thomas verbeugte sich artig bei jeder Vorstellung, so wie er es gelernt hatte.

„Und das ist Thomas. Mein Freund. Nein, mein Partner.“

Mit einem kurzen Blick zu Thomas ergänzte Arje „Wenn du einverstanden bist.“

Thomas sah Arje erstaunt an. Hatte er das wirklich gerade gesagt? Scheinbar, denn Arje blickte ihn erwartungsvoll an, bis Thomas nickte.

„Ja, das bin ich.“

„Na, wenn das geklärt ist, dann komm doch mal rüber. Wir möchten uns gern ein wenig mit dir unterhalten.“

Thomas sah nervös zu Arjes Mutter, die ihn freundlich anlächelte. Er ahnte, was kommen würde und war sich nicht sicher, ob nicht auch die Inquisitoren der Kirche der Reuigen Sünder genau das gleiche Lächeln auf Lager hatten.


Arje, Clyde und Feliciano waren die letzten, die bei der Besprechung eintrafen. Daniel Hansom betrachtete sie lediglich mit hochgezogenen Augenbrauen und war sich sicher, dass dieses Lächeln und der etwas entrückte Gesichtsausdruck bei allen dreien einen ganz bestimmten Grund hatte.

„Heute Vormittag wollen wir versuchen, die Ereignisse seit der Eroberung der LE COMBATTANTE zu entwirren. Wir beginnen am besten noch einmal mit den Vorgängen in Caerdon, als das Prisenkommando mit dem Logger EDWINIA in Caerdon eingetroffen ist und Leutnant von Winterstein dort abgeliefert hat.“

Ragnar und Leopold berichteten abwechselnd von ihren Abenteuern, bis auch Clyde und Thorben dann die Fahrten der ESTRAY ergänzten.

„Wir halten also fest: Der Kopf der Verschwörung hier in Britannica war der Herzog von Elmet. Er war außerdem einer der führenden Personen im Kult der Dunkelmagier. Der Herzog ist tot. Die Dunkelmagier werden weiterhin von den Druiden und ihren Beauftragten verfolgt. Die Zusammenarbeit der Verräter mit der arlemandischen Gesandtschaft konnte geklärt werden und ein Raub der Kronjuwelen verhindert. Was uns jetzt noch fehlt ist der Zusammenhang mit den Vorgängen in Herblonde und der Zweck der magischen Artefakte, die für den Herzog von Grimauld gesammelt wurden.“

Nun erhob sich Ältester Farnolt und machte eine kurze Verbeugung in Richtung des Earls of Scythe.

„Wenn euer Lordschaft gestatten, möchte ich zu diesem Thema etwas sagen. Wie bereits von Lord Clyde vor geraumer Zeit gegenüber dem Erzdruiden angemerkt, deutet das Sammeln von magischen Artefakten auf ein sehr großes Ritual hin, für das diese Gegenstände offensichtlich als Speicher von Magie dienen sollen, die dann zur Unterstützung abgerufen wird. Wir sind uns noch nicht im Klaren, um was für eine Art Ritual es sich handeln könnte. Allerdings deuten die Hinweise auf eine baldige Durchführung. Das anstehende Äquinoktium wäre für einen solchen Zweck das nächste magisch-astronomisch herausragende Ereignis.“

„Vielen Dank, Ältester. Meine Herren, das Herbst-Äquinoktium fällt in diesem Jahr auf den 22. September. Wie wir bereits aus den Berichten erfahren haben, ist unser Ziel höchst wahrscheinlich die Insel der Mönche oder Ile aux Moines in Herblonde. Dort befindet sich einer der größten magischen Steinkreise außerhalb von Britannica. Unser Ziel ist es, zu versuchen diesen Steinkreis am 22. September zu erreichen und ein eventuell dort stattfindendes Ritual zu unterbinden.“

Daniel Hansom musste eine Pause machen bei dem einsetzenden Gemurmel und der Unruhe, die sich ringsum verbreitete.

„Ich weiß, es klingt ein wenig überheblich, aber ich bin der festen Überzeugung, dass uns das gelingen kann. Zunächst ein paar Information über die Insel, bitte Jason.“

Der Master stand auf und nahm einen Notizzettel zur Hand.

„Die Ile aux Moines ist die größte Insel im Golf von Morbihan, oder Ar Mor bihan, in der alten Sprache. Dieser Golf ist eine natürliche, fast geschlossene Bucht mit nur einer, etwa einer halben Seemeile breiten Einfahrt. Die Insel selbst ist etwa 4 Meilen lang, drei Meilen breit und hat in etwa die Form eines Kreuzes. Es gibt nur einen Hafen an der Nordseite des westlichen Armes. Der gesamte Schiffsverkehr von und zu der Insel wird überwacht. Durch die geringen Wassertiefen in der Bucht, ist es ohnehin nur möglich mit kleineren Fahrzeugen dort einzulaufen. Selbst für die ESTRAY ist es dort sehr ungünstig, denn sie wäre auf ein Gezeitenfenster angewiesen, welches ein freies Manövrieren zu jeder Zeit unmöglich macht.“

„So, meine Herren. Sie kennen jetzt unsere Absichten und die Gegebenheiten. Ich möchte gerne, dass sich verschiedene Gruppen mit bestimmten Aspekten der Landung auf der Ile aux Moines beschäftigen und bis übermorgen einen entsprechenden Vorschlag hier vortragen.“

Die Anwesenden sahen sich verblüfft an. Was konnten sie denn schon groß vorschlagen?

„Punkt eins: Anreise zur Insel. Da hätte ich gerne von der Schiffsführung der FAIRYTALE, der ESTRAY und der LAOCH einen Vorschlag.“

Andrew Argyll sah sich entgeistert um. Er war der Einzige, der zur Schiffsführung der LAOCH zählte. Oder wusste Daniel Hansom inzwischen mehr?

„Punkt zwei: Anlandung auf der Insel. Da hätte ich gerne Vorschläge von den Seesoldaten, den Scythe-Guards und den Scythe-Scouts.“

Niccolo Partozzi sah erstaunt hinüber zu Sir Brian, doch der schüttelte nur wortlos den Kopf und bedeutete ihm, sich noch etwas zu gedulden.

„Der dritte Punkt wird das Vorgehen auf der Insel. Über die Situation dort können wir nur spekulieren, deshalb überlasse ich die Aufgabe ganz den Scythe-Scouts.“

Clyde lehnte sich zurück. Das hatte er geahnt.

„Das wäre es von meiner Seite aus, meine Herren. Ich wünsche viel Erfolg bei ihren Ausarbeitungen. Wir sind auf jede Idee angewiesen.“

Sir Brian winkte nun Leutnant Partozzi und auch Leutnant von Winterstein zu sich heran, während Daniel Hansom intensiv auf Thorben Dagursson einredete.

Clyde winkte Feliciano zu sich und nach einigem Suchen fand er auch Frank Beutler.

„Wir sollen uns etwas ausdenken für die Anlandung. Ich würde vorschlagen, Feliciano schnappt sich Pascal und kommt zu uns ins Deck auf der FAIRYTALE. Frank, versuch bitte vom Master eine Seekarte von der Insel und am besten auch von dem Gebiet drumherum zu kriegen.“

Frank machte sich auf den Weg und nun sah Clyde Niccolo Partozzi und Leopold von Winterstein auf sich zukommen.

„Der Lord-Lieutenant hat uns gebeten, euch mit dem Plan für das Landungsunternehmen zu helfen. Wir haben beide keine Ahnung, aber können wir trotzdem etwas beitragen?“

„Klar, ihr könnt gleich mitkommen. Wir treffen uns auf der FAIRYTALE und starten gleich unsere erste Besprechung.“


Die ESTRAY segelte unter vollem Zeug in Richtung Nordosten auf die Küste von Herblonde zu. Sie hatten, von Norden her kommend, die Einfahrt durch die Meerenge zwischen Britannica und Herblonde passiert. Dann hielten sie grob auf die Nordwestliche Ecke von Letrion zu, um dann schlussendlich auf einem nordöstlichen Kurs an der Belle Íle vorbei Herblonde anzusteuern. Mit zunehmender Dunkelheit wurde die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie gesehen wurden, aber die Navigation wurde erheblich erschwert. Ihr einziger Anhalt war zunächst der Leuchtturm auf der Halbinsel Quiberon, dann der von Port Navalo.

„Quiberon ist jetzt querab und es ist gleich Mitternacht. Wir haben nur noch ein paar Meilen.“

Clyde nickte stumm, was Thorben aber nicht erkennen konnte. Er nahm sein Schweigen als Zustimmung.

„Ihr seid fertig?“

„Die Jungs sind schon seit Stunden nervös. Und ich erst recht. Hoffentlich haben wir an alles gedacht.“

Diesmal schwieg Thorben und Clyde ging nach einer Weile hinunter in ihr improvisiertes Deck, wo sich die Landungsabteilung klar hielt zum Ausschiffen. Landungsabteilung? Nach längeren Diskussionen hatte man sich geeinigt, die Anlandung so unauffällig wie möglich zu gestalten. Es gingen nur die Scouts und die Magier. Damit wollten sie gegen die geballte magische Macht von Herblonde antreten.

Weitere Vorbereitungen hatten sich als etwas schwierig erweisen. Man konnte sich nicht auf etwas vorbereiten, von dem man nicht wusste, was es war.

Clyde hatte sich auf sein anfängliches Konzept für die Scouts zurückbesonnen. Jeder der Magier sollte einen Scout als festen Begleiter im Gefecht zugeteilt bekommen. Die erste Schwierigkeit hatte allerdings bereits darin bestanden, alle verfügbaren Magier für dieses Unternehmen zu bekommen. Es hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit dem Captain gegeben, doch Clyde hatte die besseren Argumente. Für den Einsatz wurden Ragnar und Diethard den Scouts zugeteilt. Da er nun mit den beiden Michaels inzwischen acht Magier hatte, brauchte er auch acht Scouts. Die Zwillinge hatte er Feliciano bereits abgeschwatzt. Blieb nur noch der achte Scout. Der Vorschlag für ihn kam natürlich von Mario.

„Du kannst dich erinnern, dass ich dir erzählt habe, dass Ragnar bei der Geschichte in dem Puff einen jungen Seemann namens Leon kennengelernt hat? Und ich glaube, beim Kennenlernen ist es nicht geblieben.“

Clyde verdrehte die Augen.

„Ich weiß. Ragnar hat es mir erzählt. Leon kommt aus Letrion, das heißt, eigentlich aus einem kleinen Ort in Dahar. Thorben bringt mich um, wenn ich außer Ragnar und Diethard auch noch seine Seeleute plündere.“

„Wieso plündern? Ist doch nur einer. Und ich glaube, Ragnar würde sich freuen.“

Ganz sicher würde der sich freuen, dachte Clyde. Aber war Leon auch der Richtige für die Aufgabe? Sie würden es ausprobieren müssen, denn viel Zeit blieb ihnen nicht mehr.

Die erste Versammlung von Scouts und Magiern fand dann im Wohndeck auf der FAIRYTALE statt.

„Hübsch hier. Deutlich mehr Platz als auf der ESTRAY.“

„Aber eigentlich auch nur für höchstens zehn Leute ausgelegt. Wenn wir so zusammenbleiben sollten, wird es ganz schön eng werden.“

Clyde grinste, als er Mario murmeln hörte „Wieso? Eng ist doch schön.“

Doch anscheinend hatte ihn niemand weiter verstanden, denn es kamen keine weiteren Kommentare.

„Captain Hansom hat unsere Pläne für die Anlandung und die Operation auf der Ile aux Moines genehmigt. Es werden nur wir an Land gehen. Wir versuchen zunächst herauszufinden, ob tatsächlich irgendetwas auf der Insel vorbereitet wird und wenn ja, was. Dann müssen wir je nach Lage entscheiden, was zu tun ist. Es lässt sich wirklich nicht vorhersagen, was dort passieren könnte.“

Einer der Behrendt-Zwillinge nickte zustimmend.

„Das betrifft wohl eher den magischen Teil. Was ist mit uns? Ich meine, wir können uns ganz gut tarnen und auch schleichen, aber wir können nicht gegen reguläre Soldaten antreten, sollten dort welche sein.“

„Das haben wir bei der Planung auch besprochen. Leutnant von Winterstein ist der Ansicht, dass wohl nur wenige Soldaten anwesend sein dürften. Zum einen liegt die Insel sehr geschützt, mitten im Staatsgebiet von Herblonde und zum anderen wären Soldaten bei einem Vorhaben mit Magie eher hinderlich. Wir sollten aber vielleicht mit der Leibwache des Herzogs oder etwas ähnlichem rechnen.“

„Sollen wir die ignorieren, vorher ausschalten oder was passiert mit denen?“

Clyde schüttelte den Kopf.

„Auch das entscheide ich nach Lage. Ich möchte gerne, dass wir so unauffällig wie möglich vorgehen. Wir werden uns aufteilen und erst kurz vor dem Ziel wieder zusammentreffen. So zumindest der Plan.“

Mario schreckte hoch.

„Aufteilen? Die Truppe ist doch schon so klein.“

„Sie wird noch erheblich kleiner. Du erinnerst dich an das, was ich über den Einsatz von Magiern und Scouts gesagt habe? Jeder Magier bekommt für den Einsatz seinen persönlichen Scout. Ihr werdet paarweise vorgehen. Gut getarnt und auf alle Eventualitäten vorbereitet.“

„Aha. Und wer wird diesmal mein Partner für den Einsatz?“

Clyde grinste Mario an und deutete auf Finn.

„Ich nehme an, du hast nichts gegen ihn?“

Mario sah zu Finn auf und grinste ebenfalls. Kommentarlos ging er zu ihm und Finn legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„So, kommen wir zu den Magiern, die schon etwas länger bei uns sind und diese Paarbildung für den Einsatz bereits kennen. Dian, du erhältst diesmal Thies Behrendt. Diethard, du bekommst dafür Henk.“

Dian und Diethard gingen fast gleichzeitig hinüber zu den Zwillingen und sahen sie fragend an. Beide lächelten etwas und tauschten dann ihre Plätze. Dian lächelte Thies schüchtern an, während Diethard leise mit Henk flüsterte.

„Für die Neuen ist das Prinzip nun wohl klar geworden. Frank, du kümmerst dich bitte um Michael Argyll. Floris, dir vertraue ich meinen Bruder an. Eldar kümmert sich bitte um Michael… hm, Moment.“

Frank Beutler hatte etwas erstaunt zu dem Halbelfen hinübergesehen, nickte aber lediglich. Floris lächelte Ethan an, der ihn etwas schüchtern von der Seite her musterte. Eldar hatte die Augenbrauen gehoben und sah zu dem jüngsten Mitglied der Magier hinüber, der unsicher Clyde anstarrte.

„Was… was ist mit mir?“

„Wir haben zwei Leute, die Michael heißen. Im Einsatz ist das ungünstig. Wir müssen euch eindeutig unterscheiden können. Hättest du etwas dagegen, wenn ich deinen zweiten Vornamen verwende?“

Der Junge lief leicht rot an, schüttelte aber nach einem Moment den Kopf. Clyde war erleichtert. Wieder ein Problem weniger.

„Also gut. Dann ist das also ab sofort Marion.“

Leichtes Gekicher lief durch die Reihen, aber die meisten hatten den Namen ohnehin schon mitbekommen.

„Bleibt noch Ragnar. Wegen dir habe ich mich mit Thorben, Sven und dem Rest der Schiffsführung der ESTRAY angelegt.“

Ragnar grinste, denn er wusste bereits, was Clyde veranlasst hatte. Und so drehte er sich lediglich zu Leon um, der die ganze Zeit hinter ihm gestanden hatte. Lediglich Arje blickte sich ein wenig verloren um.

„Und ich?“

Clyde hob seine Augenbrauen.

„Welcher Magier ist denn noch übrig?“

Arje blickte kurz über die versammelten Leute hinweg, dann drehte er sich wieder zu Clyde. In diesem Moment bemerkte er seinen Fehler.

„Oh.“

„Vollkommen richtig. Du bleibst bei mir.“


Das kleine Beiboot der ESTRAY musste zweimal fahren, um sie alle an Land zu setzen. Clyde wunderte sich, wie Thorben sich so sicher sein konnte, dass er die richtige Stelle getroffen hatte, die für die Anlandung geplant war.

Nichts und niemand regte sich an der Küste. Kein Wunder, bei der vorherrschenden Dunkelheit. Die ESTRAY hatte sich so weit genähert, wie es bei dem Wasserstand möglich war. Das Wetter war trotz der Jahreszeit recht ruhig und so standen die Scythe-Scouts gegen Mitternacht an der Küste von Herblonde.

Clyde hatte für die gesamte Operation für alle Teilnehmer die Uniform der Scouts befohlen. Er wollte nicht das Risiko eingehen, als Pirat oder Spion gefasst und standrechtlich erschossen zu werden. So trugen auch Ragnar, Diethard und Leon die schwarze Uniform der Scouts. Ragnar mit dem silbernen Stern eines Leutnants. Bei Diethard hatte sich Clyde auf die Schnelle etwas einfallen lassen müssen. Offiziersanwärter waren bei den Scouts eigentlich nicht vorgesehen. Und so trug Diethard nun statt eines silbernen Sterns einen in Rot.

Wegen des Wetters und der Tarnung hatte sich Clyde dann auch nach längerem Zureden von Mario und Eldar für die fast bodenlangen schwarzen Umhänge mit Kapuzen entschieden.

Nach einem kurzen Blick in den Himmel zeigte Ragnar in die Richtung, die sie zur Ile aux Moines führen sollte.

Die schmale Landzunge, die den Golf von Morbihan vom Meer trennte, war schnell überquert. Nun galt es, eine Möglichkeit zu finden, von dieser Landzunge bis auf die Insel zu gelangen. Louis Russelier hatte ihnen genau beschrieben, wie es dort aussah. Im Golf gab es wenig Fische, aber eine ganze Anzahl von Austernbänken. Die Fischer waren rings um den Golf verteilt und so galt es nun, ein Boot zu organisieren.

An dem Küstenstreifen, an dem sie sich befanden, gab es nur einen einzigen Pier und dort war kein Boot. Louis hatte erwähnt, das so etwas passieren könnte. Die Austernfischer ließen ihre Boote etwas weiter draußen trockenfallen, wenn sie nicht genutzt wurden. Angestrengt starrte Clyde hinaus auf den Golf. Jetzt war Hochwasser und einige Boote schaukelten dort auf der im Mondlicht glitzernden Wasserfläche.

„Was jetzt?“ flüstere Frank.

„Wir müssen uns eines der Boote besorgen. Für eine kleine Überfahrt dürfte eins ausreichen. Aber wie kommen wir da hin? Jemand müsste schwimmen.“

Leichtes Gemurmel ließ Clyde sich umdrehen und er sah erstaunt auf Ethan. Der hatte sich vollkommen entkleidet und war auf dem Weg zum Wasser.

„Was wird das?“

Floris hielt das Kleiderbündel von Ethan auf dem Arm und zuckte mit den Schultern.

„Er besorgt uns ein Boot.“

Nun sahen alle wieder neugierig zu Ethan. Clyde fand ihn ein wenig dünn, aber sonst ganz niedlich. Dann musste er sich gewaltsam dran erinnern, dass dies sein Bruder war. Die Bemerkungen setzten wieder ein und Clyde konnte nun zum ersten Mal beobachten, wie ein Selkie sich verwandelte. Die Gestalt von Ethan veränderte sich, die Gliedmaßen wurden zu Flossen und kurze Zeit später lag ein riesiger Seehund am Ufer. Langsam robbte er zum Wasser und glitt dann hinein. Clyde konnte den an der Wasseroberfläche schwimmenden Kopf bis zu einem der Boote verfolgen, dann tauchte der Seehund.

Es dauerte eine Weile, bis dann das Boot wie von Geisterhand bewegt in Richtung Ufer strebte. Nun erschien auch wieder der Kopf des Seehundes über der Wasseroberfläche, diesmal mit dem Ende eines Taus in der Schnauze.

Als das Boot das Ufer erreichte, liefen Ragnar und Leon hinüber, um es zu sichern. Leon nahm dem Seehund das Tau aus der Schnauze und tätschelte ihn dann leicht auf dem Kopf. Clyde sah ihm kopfschüttelnd zu. Dann kamen wieder die Verwandlung und ein splitternackter, nasser und frierender Ethan stand vor ihnen. Floris lief schnell hin und hüllte ihn zunächst einmal in den langen Umhang.

Clyde beobachtete die beiden. Floris rubbelte Ethan trocken, während der ihm ganz erstaunt dabei zusah. Langsam beendete Floris seine Arbeit und trat ein wenig zurück. Doch Ethan streckte einen Arm aus, zog ihn an sich und gab ihm einen Kuss. Ganz leicht und unschuldig, wären da nicht die Blicke gewesen, die er Floris zu warf. Floris sah Ethan prüfend an, dann zuckte er plötzlich zusammen und reichte Ethan seine Kleidung. Als Ethan den Umhang fallen ließ, erkannte Clyde, dass der Junge sich wohl doch für eine Seite entschlossen hatte. Zumindest seine körperliche Reaktion hatte ihn deutlich übermannt.

„Wenn ihr soweit seid, können wir los.“

Das Boot war deutlich nicht für sechzehn Mann ausgelegt, doch sie schafften es, es zu bemannen ohne dass jemand außenbords fiel, zu viel Lärm gemacht wurde oder gar das Boot versenkt wurde.

Leise ruderten sie in die Richtung, die Ragnar vorgab. Ihm war es zugefallen, die Karten des Gebietes auswendig zu lernen und sich entsprechend zu orientieren. Als das Boot an das inselseitige Ufer stieß nickte Ragnar.

„So, das ist die Insel der Mönche. Wir sind jetzt ziemlich am südlichsten Ende. Der Steinkreis ist ziemlich genau in der Mitte der Insel. Wir haben noch etwa zwei Meilen. Nach der Beschreibung von Louis befindet sich südlich des Steinkrieses ein kleines Wäldchen mit einer Süßwasserquelle. Dort sollten wir Schutz suchen und dann weiter erkunden. Ihr geht genau nach Norden. Weiß jeder, wo sich der Nordstern befindet?“

Etliche nickten und Clyde bemerkte mit Erleichterung, dass bei jedem Paar mindestens einer war, der sich auskannte. Dann nickte er zustimmend und bedeutete seiner Truppe, sich zu verteilen. So wie abgesprochen bildeten sich acht Paare und zogen langsam los gen Norden.

Es gab tatsächlich einen Wald, der gar nicht so klein war, wie Louis ihn beschrieben hatte. Die Insel war an dieser Stelle etwa 500 Meter breit und der Baumbestand reichte von einer Seite bis zur anderen. Lediglich eine schmale Straße durchquerte das Wäldchen fast genau in der Mitte.

Die erwähnte Quelle befand sich direkt neben der Straße und schien viel besucht zu sein, denn sie war künstlich befestigt worden.

„Da sollten wir uns fernhalten. Wer weiß, ob nicht jemand auf die Idee kommt, mitten in der Nacht Wasser zu holen?“

„In dieser Nacht? Wohl kaum. Aber du hast recht. Wir sollten trotzdem vorsichtig sein. Lasst uns weiter rein und dann sammeln.“

Wenig später bildeten alle einen engen Kreis und Clyde erklärte flüsternd ihr weiteres Vorgehen.

„Die Tagundnachtgleiche ist am morgigen Tag. Wenn ich es recht bedenke, eigentlich heute, denn wir haben ja schon nach Mitternacht. Um genau zu sein, als astronomisches Ereignis um 10:32 Uhr. Da ist es bereits hell. Wir müssen also damit rechnen, dass wir bei vollem Tageslicht agieren werden. Ich denke, da sind außer den Magiern auch alle Scouts einsatzfähig.“

Frank Beutler schüttelte jedoch sofort den Kopf.

„Nicht ganz. Wir sollen doch möglichst unerkannt und heimlich vorgehen. Von den acht Scouts sind aber fünf mit einem Karabiner bewaffnet. Der ist laut und verrät uns sofort. Lediglich Eldar, Arje und Leon sind für den lautlosen Kampf bewaffnet.“

„Ah, richtig. Das bedeutet für uns, dass die Karabinerschützen erst dann zum Einsatz kommen, wenn wir bereits entdeckt wurden. Wie sieht es bei den lautlosen aus?“

Eldar nahm seine Streitaxt unter dem Umhang hervor.

„Bei mir kommt nur Nahkampf in Frage. Genauso wie bei Leon mit seinem Dolch. Arje ist von uns der Einzige, der lautlosen Fernkampf durchführen kann. Finn eigentlich auch noch, aber ich weiß nicht, inwieweit die Magier woanders gebraucht werden.“

„Das müssen wir dann sehen. Bei Anbruch der Dämmerung werden Mario mit Finn und Arje mit… wer kommt denn noch für die lautlose Aufklärung in Frage?“

„Floris,“ kam es gleichzeitig von Henk und Thies.

„So? Also Mario mit Finn und Arje mit Floris. Ich brauche Informationen darüber, was am Steinkreis los ist und wenn möglich, ob sich weiter im Norden auch noch andere Gruppen aufhalten, vielleicht Totenbeschwörer oder Soldaten.“

Mario und Floris nickten simultan. Sie wussten, worauf es ankam.

„So, dann ist erst einmal Pause. Legt euch hin und versucht etwas zu schlafen. Wache geht jedes Paar für eine Stunde. Beginnend mit Thies, Henk, Frank, Eldar und Leon.“

„Wie jetzt?“

„Das waren die Scouts aus jedem Paar. Diejenigen, die morgen früh als erste losziehen sollen, habe ich ausgelassen. Fünf Stunden sollten reichen. Noch Fragen?“

Mario winkte ab. Dann wandte er sich an Finn. Beide breiteten ihre Umhänge auf dem Boden aus und legten sich sofort hin. Die anderen folgten kurz darauf ihrem Beispiel, während Thies und Dian sich etwas von der Gruppe entfernten und wachsam in die Dunkelheit lauschten.

Als Clyde geweckt wurde, spürte er als erstes Arje, der sich im Schlaf fest an ihn geklammert hatte. Sanft befreite sich Clyde und sah hoch zu Ragnar, der ihn geweckt hatte.

„Die Dämmerung setzt ein. Leon weckt gerade Mario und Floris.“

Clyde sah bedauernd zu Arje, um ihn dann mit einem leichten Schütteln ebenfalls zu wecken.

Die beiden Wächter machten sich dann weiterhin an ihre Aufgabe, während Finn, Mario, Arje und Floris zusammen mit Clyde eine letzte Besprechung abhielten. Während der kleinen Runde kramte jeder etwas aus seinen Vorräten und begann mit einem einfachen Frühstück.

Clyde besah sich etwas misstrauisch das Brot und den Käse, während er noch einmal in Erinnerung rief, was er wissen wollte.

„Eigentlich jede Person, die sich auch nur in der Nähe des Steinkreises aufhält. Wie gesagt, Soldaten sind wichtig, aber auch weitere Personen wie zum Beispiel Totenbeschwörer. Dann möglicherweise der Herzog von Grimauld.“

Floris sah kauend nachdenklich zu Boden.

„Was ist mit Gefangenen?“

„Gefangene?“

„Na ja. Also wenn das ein großes Totenbeschwörerritual werden soll, dann kann man doch annehmen, dass es auch ein paar Opferungen geben wird.“

Clyde schloss seine Augen.

„Daran hab ich gar nicht gedacht,“ flüsterte er.

„Wenn es tatsächlich welche geben sollte, so werden sie sicherlich bewacht. Wir können ihnen nicht helfen.“

„Aber…“

„Kein aber. Ich will nicht, dass einer von euch entdeckt wird. Unter keinen Umständen. Habt ihr mich verstanden?“

Finn, Mario und Arje nickten langsam. Floris sah weiterhin auf den Boden. Dann seufzte er und nickte ebenfalls. Clyde war erleichtert.

„Dann ist alles geklärt. Ich möchte euch gerne an einem Stück wiedersehen.“

Die Fünf erhoben sich und sahen sich etwas unsicher an. Dann trat Mario auf Clyde zu und gab ihm einen Kuss.

„Ich weiß, es könnte mein letzter sein.“

Die drei anderen sahen sie etwas überrascht an, doch dann ging Finn zu Clyde und küsste ihn ebenfalls. Arje folgte etwas schneller und zum Schluss kam auch Floris. Als die vier Scouts dann gegangen waren, wunderte Clyde sich ein wenig. Er spürte immer noch die Zunge von Floris in seinem Mund. Das war kein Abschied, das war ein Versprechen.


Eine gute Stunde waren die vier Scouts jetzt unterwegs, als Thies eine leise Warnung ausstieß. Alle verteilten sich und blickten in die angegebene Richtung. Das erste was zu erkennen war, war eine erhobene Hand und dann der rotblonde Haarschopf von Finn.

„Sie sind wieder zurück.“

„Sehr gut. Lasst uns wieder einen großen Kreis bilden. Es sollen alle hören, was sie herausgefunden haben.“

Die Scouts hatten Floris dazu überredet, die Ergebnisse vorzutragen.

„Der Steinkreis ist gesäubert worden. In der Mitte ist ein einzelner Steinblock als Altar aufgerichtete worden. Zu sehen war dort niemand. Etwa eine Meile weiter nördlich ist eine kleine Ortschaft, aber auch dort war niemand zu sehen. Zumindest keine Einwohner. Wir vermuten, dass sie die woanders hingebracht haben.“

Floris sah sich suchend um und jemand reichte ihm einen Becher mit Wasser.

„Zwischen den Häusern war etwas Betrieb. Ein paar Lakaien in einer blau-weißen Livree und vor dem größten Haus stand eine Kutsche mit einem Wappen. Drei rote Sparren auf silbernem Grund, darüber eine Krone.“

Eldar blätterte etwas in einem kleinen Buch und nickte dann.

„Der Duc de Grimauld.“

Clyde war erfreut. Es war genau richtig gewesen, Eldar mit der Aufgabe eines Archivars zu betrauen. Er führte alle Informationen mit sich, deren sie vor ihrem Einsatz habhaft werden konnten.

„Wir sind nicht näher an die Häuser ran. Weiter hinten sind tatsächlich, wie vermutet, etliche Gefangene in mehreren Käfigwagen eingesperrt. Bewacht werden sie von einigen wenigen Leuten, die wir nicht genauer identifizieren konnten.“

Clyde hob fragend die Augenbrauen und sah Mario an.

„Schlecht gekleidet, aber gut bewaffnet. Ich würde sie für Söldner halten.“

„Also keine offiziellen Soldaten von Herblonde.“

„Nein. Davon konnten wir keinen einzigen entdecken.“

„Hm. Sieht so aus, als ob das eine Privatveranstaltung des Herzogs ist. Wieviel Söldner?“

Mario hob die Schultern.

„Schlecht zu sagen, da wir die Häuser nicht kontrolliert haben. Aber ich schätze, nicht mehr als zwanzig bis dreißig.“

„Na toll. Das ist schon deutlich zu viel. Sonst noch was?“

„Ja, irgend so ein Idiot in einem schwarzen Gehrock kam alle paar Minuten aus einem der Häuser, sah auf die Uhr, guckte in den Himmel und zum Schluss hat er so ein Dingsda benutzt. Ragnar, wie heißt das Ding, mit dem ihr in den Himmel guckt?“

Ragnar sah mit zusammengekniffenen Augenbrauen zu Mario, während Diethard leise kicherte.

„Du meinst einen Sextanten?“

„Heißt das so? Jedenfalls hat er damit zur Sonne geschaut, was dran rumgedreht und ist dann fluchend wieder zurück ins Haus.“

Ragnar sah Diethard zweifelnd an.

„Das ist doch Schwachsinn. Hier hat er doch gar keinen Horizont. Die Insel verfälscht doch das ganze Ergebnis. Und wozu braucht er eine Sonnenhöhe? Die Tagundnachtgleiche ist ein astronomisches Ereignis, das nichts mit der Sonne zu tun hat. Das kann jeder Idiot mit einer Uhr bestimmen.“

„Ist doch egal. Zumindest wissen wir, dass unsere Vermutung stimmt. Eigentlich brauchen wir uns nur auf eine günstige Position zu begeben und ebenfalls auf die Uhrzeit zu warten.“

„Wo sollen wir denn dann hin?“

„Ich möchte gerne alle Magier vorne in einer breiten Front haben. So weit auseinander, dass sie kein gemeinsames Ziel bilden, aber auch nah genug, um zusammen agieren zu können.“

„Und was ist mit uns?“

„Ihr bleibt mindestens zwanzig Meter zurück. Und gut getarnt. Ihr dürft nicht zu sehen sein. Wenn etwas schiefläuft, habt ihr immer noch die Möglichkeit zu verschwinden. Und wenn etwas so schiefläuft, dass wir euch nicht mehr helfen können, dann ist es für euch sowieso aussichtslos.“

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Du selbst hast die Paare zugeteilt, damit die Scouts ihre Magier beschützen können. Und nun sollen wir zurückbleiben? Denkst du vielleicht, Leon lässt Ragnar da vorne allein? Oder Floris sorgt sich nicht um Ethan?“

Floris und Ethan? Hatte Clyde da was verpasst?

„Wir werden in Deckung bleiben, aber bestimmt nicht so weit hinten.“

Mario hatte sich richtiggehend in Rage geredet und sah Clyde nun fast zornig an. Ein Blick in die Runde zeigte ihm die Meinung der anderen. Die meisten Magier hatten sich zu ihren Partnern umgedreht, während die Blicke der Scouts, mit denen sie Clyde musterten, von offener Empörung bis hin zu Enttäuschung sprachen.

Clyde hob seine Hände.

„Also gut. Aber ihr müsst wirklich geduldig sein. Wenn Magie gewirkt wird, ist das für einen Außenstehenden extrem gefährlich. Bleibt in Deckung.“

Ragnar zückte eine Taschenuhr und nickte dann Clyde zu. Es würde bald losgehen. Sie sollten sich auf ihre Positionen begeben.

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