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Geschichten aus der Föderation

Golden Boy

Teil 1 - Golden Boy

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Informationen

Vorwort

Mit ‚Golden Boy‘ möchte ich eine Reihe mit unabhängig voneinander handelnden Geschichten beginnen, die alle im gleichen Universum spielen und daher der Oberbegriff ‚Geschichten aus der Föderation‘ erhalten. Es sind unterschiedlich lange Geschichten mit unterschiedlichen Charakteren und auch zu unterschiedlichen Zeiten, jedoch immer in der ‚terranischen Föderation‘. Sie werden nicht regelmäßig erscheinen, aber ich denke, so alle drei bis vier Monate.

Über ein Feedback zur Thematik würde ich mich freuen.

PS: Die laufenden Serien werden selbstverständlich ebenfalls fortgesetzt.

Mondstaub

Golden Boy

„Mission 05-01 incoming. Vorsicht beim Einflug. Maschinenstatus grün!“, plärrte die Lautsprecheranlage auf dem Hangardeck der HMSS CROSSFIRE.

Master Chief Petty Officer O’Rourke sah nur kurz hinüber zu dem bläulich schimmernden Trennfeld, das das Hangardeck vor der eisigen Kälte und der Leere des Weltraums schützte. Der anfliegende Raumjäger war selbst mit bloßem Auge schon gut zu erkennen. O’Rourke schüttelte missbilligend den Kopf. Der Junge war wieder viel zu schnell, irgendwann würde er an die Panzerwand an der Rückseite des Hangars klatschen und dann hatte er, Master Chief O’Rourke, den ganzen Mist aufzuräumen.

Nicht, dass ein falscher Eindruck entstehen könnte: O’Rourke mochte die Piloten und dieser hier war ein ganz Besonderer, aber trotzdem – dies war sein Hangar und hier wurde, verdammt noch mal, anständig geflogen.

Als der Jäger mit seiner spitzen Schnauze etwa einen Meter vor der Panzerwand zu stehen kam, konnte der Master Chief erkennen, dass unter der Wartungscrew ein paar Scheine die Besitzer wechselten. Die Wetten standen anscheinend gar nicht so schlecht.

Gerade als O’Rourke sich anderen Aufgaben zuwenden wollte, knackte es im Lautsprecher seines Headsets.

„Chief, ich will Sheldon in zwei Minuten in meinem Büro sehen. Und ich meine zwei Minuten.“

„Jawohl, Sir.“

Der Anrufer brauchte seinen Namen nicht zu nennen. O’Rourke hatte seinen Geschwaderkommandeur an der Stimme erkannt. Nachdenklich ging er zum Cockpit der Maschine, wo der Pilot, Sublieutenant Sheldon, und sein Waffensystemoffizier, Ensign Markx, gerade aus den Sitzen kletterten. Der junge Ensign schien etwas grün im Gesicht.

„Tim, der Alte will dich sehen und ich meine nicht den Staffelchef. Klang sehr dringend und auch deutlich angepisst.“

„Danke, Paddy. Aber von der Landung kann das nicht sein, oder?“

„Kaum. Bis die Flugsicherung die Beschwerde durchgereicht hat, vergehen noch ein paar Stunden. Wie gesagt, klang dringend.“

Tim Sheldon zögerte kurz, dann zippte er seinen dicken orangefarbenen Pilotenkombi auf und zog ihn aus. Darunter trug er nur einen leichten Arbeitskombi für den Borddienst. Den Pilotenkombi drückte er dem nächsten Mechaniker in die Hand, dann startete er zu einem kurzen Sprint in Richtung der Sicherheitsschleusen.

Guter Junge! ‘ dachte O’Rourke, dann drehte er sich um und fixierte das Wartungspersonal.

„Was steht ihr hier rum und gafft. Die Maschine muss zum Stellplatz, After Flight Check, Wartungsintervall 3 und für mich einen Kaffee!“

Grinsend sah er den hektisch auseinanderlaufenden Leuten hinterher.


Sublieutenant Timothy Sheldon hatte inzwischen das Büro des Geschwaderkommandeurs in Rekordzeit erreicht. Er öffnete die Tür mit dem kleinen Schild 26th Fighter Wing, Commander Perry vorsichtig und spähte um die Ecke. Im Vorzimmer saß hinter einem hoffnungslos überladenen Schreibtisch ein weiblicher Petty Officer. Noch bevor Sheldon etwas sagen konnte, hatte sie bereits ein Knopf gedrückt.

„Er ist jetzt da, Sir.“

Als Antwort kam ein gegrummeltes

„Wird ja auch verdammt Zeit!“

Tim Sheldon hob erstaunt die Augenbrauen. Sein Geschwaderkommandeur war normalerweise recht freundlich und umgänglich. Irgendetwas oder irgendjemand musste ihn schwer verärgert haben. Tim hoffte, dass nicht er der Auslöser des Unmutes war.

„Sublieutenant Sheldon, melde mich wie befohlen.“

„Okay, Sheldon, reinkommen, Tür zu, hinsetzen und zuhören.“

Vorsichtig nahm Tim Sheldon auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch des Kommandeurs Platz.

„Um es kurz zu machen, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für sie.“

Timothys Augenbrauen ruckten erneut nach oben aber er sagte kein Wort.

„Ich weiß, sie sind ein guter Pilot, ein ausgezeichneter sogar und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie schlagen manchmal über die Stränge, aber es gibt da nichts, was Anlass zur Sorge bereiten sollte.“

Streng blickte Commander Perry über den Schreibtisch, dann nahm er eine Schreibfolie von einem kleinen Stapel und reichte sie herüber.

„Was das hier allerdings soll, darüber kann ich nur spekulieren.“

CommCenter RFHQ 30073702-04:58

Fm RFHQ to CO 26 F-Wing

Betr: Versetzung SLt SHELDON, Timothy Maxwell 22043677S27568

SLt SHELDON wird versetzt mit sofortiger Wirkung

Von: 26-01Fighter Squadron 26 Fighter-Wing

Zu: Bureau of Analysis and Statistics Dep. 1

Dienstantritt ASAP

Meldung bei Leiter BoAaS, Bandar IV

RFHQ

gez. Thompson FleetAdm

Völlig irritiert sah Timothy seinen Kommandeur an.

„Das … das muss ein Irrtum sein. Ich meine, was soll ich denn bei …“

Timothy sah wieder auf das Blatt

„… bei Analysis and Statistics?“

„Nuuun.“

Der Commander dehnte das Wort bis zur Belastungsgrenze.

„Ich habe die Nachricht vor etwa zwei Stunden bekommen. Wie man sieht, kommt die Versetzung direkt aus dem RFHQ, dem Royal Fleet Headquarter und ist vom Flottenchef persönlich unterzeichnet. Ich habe einen guten Freund im HQ und als ich vorsichtig nachfragen wollte, warum zum Henker man mir meinen besten Piloten wegnimmt, wurde ich nach einer Entschuldigung weiterverbunden. Ich bin direkt bei Fleet Admiral Thompson gelandet und der hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich erstens, sehr wohl wüsste was ein Versetzungsbefehl ist und warum zweitens, sie nicht schon längst unterwegs seien. Beiläufig ließ er mich wissen, dass er auch nur Befehle ausführen würde. Wissen sie, welche vorgesetzte Stelle das RFHQ hat?“

Tim dachte kurz nach, also …

„Geben sie sich keine Mühe. Es gibt nur noch den Königlichen Admiralstab. Und sie wissen, wer der Leiter des Royal Staff of Admirals ist?“

„Jawohl“, flüsterte Tim leise „seine Majestät der König.“

Genüsslich lehnte sich der Commander in seinem Sessel zurück.

„Das Büro für Analysen und Statistik ist natürlich ein Euphemismus. Dahinter verstecken sich Teile des Intelligence Service, aber fragen sie mich nicht, was das Department 1 macht. Sie haben anscheinend ein paar gute Beziehungen.“

Aha, daher weht der Wind. Du hast nicht den blassesten Schimmer, genauso wenig wie ich‘,

dachte Tim in Gedanken versunken. Er hob den Kopf und sah den Commander mit seiner besten ausdruckslosen Miene an.

„Ich bedaure, Sir. Ich habe keine Ahnung was vor sich geht. Ich kenne den Intelligence Service nur vom Hörensagen.“

Commander Perry sah Tim kurz mit finsterer Miene an, dann räusperte er sich.

„Nun gut, wie auch immer, jetzt kommt die schlechte Nachricht.“

Als sich Tims Augen vor Erstaunen weiteten, lachte der Commander. Dann erhob er sich von seinem Sessel und Timothy schnellte ebenfalls von seinem Stuhl hoch.

„Ich bitte sie, Haltung anzunehmen.“

„Im Namen seiner Majestät König Simon des XLVII. ernenne ich den Sublieutenant Timothy Maximilian Sheldon mit sofortiger Wirkung zum Lieutenant der Royal Navy. Gegeben am 30.07. des 6. Jahres der königlichen Regierung.“

„Bitte stehen sie bequem.“

Tim sah seinen Kommandeur an und konnte es kaum fassen. Lieutenant. Automatisch nahm er die Urkunde entgegen und bedankte sich für die Glückwünsche. Damit war er definitiv der jüngste Lieutenant des 26. Geschwaders.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er ein leichtes Räuspern hörte und als er den Kopf hob, sah er den Commander mit einem leichten Lächeln im Gesicht.

„Das werden sie brauchen.“

Damit bekam Tim sein neues Dienstgradabzeichen. Ein Haftpad für seinen hellgrünen Arbeitskombi mit den zwei goldenen Balken eines Lieutenants.

„Sie begeben sich in ihre Kammer und packen ihre Sachen. Die geben sie in der Versorgung ab zur weiteren Beförderung. Für die Versetzung kein Dienstanzug, nur der Arbeitskombi. Wenn sie hier alles erledigt haben, gehen sie in den Hangar. Dort wartet ein Jäger, in dem sie als Passagier nach Bandar IV gebracht werden. Alles weitere erfahren sie dort. Viel Glück Lieutenant.“

Tim ergriff die Hand die ihm der Kommandeur reichte.

„Vielen Dank, Sir.“

Timothy machte eine Kehrtwendung und im Hinausgehen sah er noch einmal auf seinen Versetzungsbefehl. Dienstantritt asap - as soon as possible. Verdammt, könnte ihm vielleicht irgendjemand erklären, was hier eigentlich los war?


Der Blick aus dem Raumjäger hinunter nach Bandar IV war atemberaubend. Sie waren aus dem Tiefraum gekommen und näherten sich in einem Anflugwinkel, der die leuchtend blaue Sichel des Planeten immer breiter werden ließ.

Mit dem Piloten hatte Tim nur ein paar kurze Worte gewechselt. Er war mit seiner Maschine extra vom 27. Geschwader von der HMSS FIRESTORM gekommen um ihn abzuholen. Möglicherweise wollte Commander Perry den Abschied für Tim so unsentimental wie möglich gestalten.

Tims Blick ging wieder hinaus und er betrachtete die strahlend blaue Silhouette des Planeten. Bandar IV, oder besser bekannt unter seinem Eigennamen Torchwood, war einer der größten Stützpunktplaneten der Königlichen Raumflotte. Die Träger CROSSFIRE und FIRESTORM waren mit ihren begleitenden Kreuzern und Korvetten auf dem Weg hierher, um Personal und Material zu ergänzen und dann wieder den langweiligen Patrouillendienst entlang der Grenze aufzunehmen.

Was war, bitte sehr, so eilig, dass man nicht einmal auf die Ankunft der Träger warten konnte? Tim Sheldon grübelte schon eine ganze Weile darüber nach, warum ausgerechnet er zu einer Dienststelle des Intelligence Service versetzt worden war. Der Intelligence Service war den meisten Soldaten nur als militärische Feindaufklärung bekannt, doch Tim wusste, dass unter diesem Dach auch Spionage und Gegenspionage betrieben wurden. Hätte er bei seinem Stabsoffizierslehrgang lieber doch nicht ‚Feindaufklärung‘ als weiteren Verwendungswunsch angeben sollen? Er hatte dabei allerdings an das praktische Fliegen gedacht, nicht an einen Schreibtischjob. Tim seufzte. Er kannte das Leben als Soldat länger, als ihm lieb war.

Timothy Sheldon war der Sohn von Berufssoldaten und als der Dranthanische Krieg ausbrach war er sechs. Mit zwölf verlor er seine Mutter. Sie war Kommandantin eines Bergungsschiffes, das nie von einem Einsatz zurückkam. Mit 14 starb sein Vater als Bataillonskommandeur der Marineinfanteristen bei einem Landungsunternehmen irgendwo im Nirgendwo.

Fünf Tage später trat er auf eigenen Wunsch ins Space Cadet Corps ein. Sein einziger damals noch lebender Verwandte, der Bruder seiner Mutter, hatte ihm abgeraten, doch Tim war fest entschlossen. Heute würde er sagen, er hatte das Einzige gewählt, was ihm einigermaßen vertraut war, anstatt auf einem drittklassigen Planeten mit einer Erntemaschine ein paar Tiere aufzuschrecken.

Das Space Cadet Corps war eine höhere Schule mit angeschlossener militärischer Ausbildung, die der Flotte auch als Waisenhaus diente.

Mit vierzehn war Timothy Maxwell Sheldon mit 1,65 noch relativ klein und schmächtig, doch seine Umgebung und sein Ehrgeiz schlugen sich in Erscheinung und Leistung nieder.

Vorgezogene Schulabschlussprüfung, bestandene Eignungsprüfung für die Raumflotte, zwei Auszeichnungen: School Exzellence in Kampfsport und Exosoziologie. Bei seiner Abschlussfeier war er inzwischen 1,81 groß, sportlich und mit seinen kurzen, goldblonden Haaren war er der Blickfang vieler der jungen Damen und auch wohl einiger der jungen Herren.

Mit siebzehn Eintritt in die Raumflotte, Ausbildung zum Piloten, mit 19 Ernennung zum Offizier im Dienstgrad eines Ensign, mit 22 Beförderung zum Sublieutenant. Als der Dranthanische Krieg vor knapp zwei Jahren endete, war er einer der wenigen aktiven Soldaten, die in der Flotte verblieben waren. Über 60 Prozent des Personals war „demobilisiert“ worden. Der Rest machte hauptsächlich Wach- und Patrouillendienst in den Sektoren nahe des Dranthanischen Imperiums.

Jetzt, mit 25, war er, entgegen seiner Erwartungen, fast zum frühest möglichen Termin zum Lieutenant befördert worden. Und warum? Was hatte er dafür getan?

Unbewusst fuhr er mit den Fingern der rechten Hand über die Stelle an der linken Brust, an der sich bei der Paradeuniform seine Orden befinden würden. Distinguished Service Cross, Combat Star, zwei Stufen des Red Crystal … Wie kleine Blitze zuckten die Erinnerungen herauf: Erinnerungen an Kampf, Adrenalin, Schreie, Schmerzen und Tränen. Jeder dieser Orden bedeutete einen Verlust. Verlust von Unschuld, von Naivität, dann von Kameraden und zum Schluss von Freunden.

Zum Abschluss verkrampfte sich seine Hand vor dem Halsansatz, dort, wo er das unscheinbare kleine goldene Kreuz an einem schlichten rotbraunen Ordensband um den Hals tragen würde. Kings Cross. Er war einer der wenigen Soldaten der gesamten Raumflotte, die diesen Orden trugen und seine Verleihung noch persönlich erleben durften. Verbittert lachte er auf. Ja, er lebte noch, doch der Rest seiner Staffel hatte es nicht mehr geschafft. Sein Jäger war als einziger von 16 wieder zurückgekehrt. Halb zerschossen hatte er es mit seinem Kampfbeobachter mit Glück und Können geschafft. 30 Mann hatten es nicht.


Kaum hatte sich Tim Sheldon aus dem Cockpit des gelandeten Jägers freigemacht, als er bemerkte, dass ihn bereits jemand erwartete. Ein Chief Petty Officer ohne weitere erkennbare Abzeichen musterte ihn intensiv, dann grüßte er kurz.

„Lieutenant Sheldon? Ich soll sie ins Hauptquartier bringen. Bitte folgen sie mir.“

Der Weg führte sie über die Landefläche bis zu einem etwa 20m entfernten Atmosphärenshuttle. Nach dem sie Platz genommen hatten, wandte sich der Chief noch einmal an Tim.

„Wir werden Highport 5 anfliegen und sie dort absetzen. Ihr Gepäck folgt, sobald es eingetroffen ist.“

Highport 5 stellte sich als eine Dachterrasse auf einem der riesigen Verwaltungsgebäude auf Bandar IV heraus. Die Terrasse war ringsum von einem mehr als 2m hohen Energiegitter umgeben. An der Nordseite gab es ein kleines, flaches quadratisches Gebäude, das wie der Zugang zu einem Bunker aussah. Darauf waren an allen vier Ecken kleine Kuppeln mit Flugabwehrlasern montiert.

Tim staunte nicht schlecht. Da der Chief nicht ausgestiegen war, ging er alleine hinüber zu den geöffneten Flügeltüren. Dahinter kam ein kurzer Gang, der vor einer Fahrstuhltür endete. Vor dieser Tür standen fünf Marineinfanteristen in ihren gepanzerten dunkelroten Kampfanzügen. Tim zögerte kurz, doch dann ging er auf die Marines zu, die ihn jetzt alle aufmerksam beobachteten. Vor dem am nächsten stehenden blieb Tim stehen. Ein kurzer Blick auf das kleine rautenförmige Dienstgradabzeichen am Kragen sagte ihm, dass es sich um einen 2nd Lieutenant handelte. Tim hatte nie verstanden, warum die Marines eigene Bezeichnungen für die Dienstgrade hatten, obwohl ihre Abzeichen denen der Flotte vollkommen glichen.

„Lieutenant Sheldon. Ich soll mich hier melden.“

Damit reichte er dem 2nd Lieutenant eine Kopie seines Versetzungsbefehls.

„Jawohl, Sir. Sie werden bereits erwartet. Wenn sie bitte hierher schauen würden.“

Nach kurzer Drehung des Kopfes sah Tim genau in ein dunkelblaues Monitorfeld das ihm ein zweiter Marineinfanterist direkt vor die Augen hielt. Nach etwa 2 Sekunden ertönte eine digitalisierte Stimme.

„Identifizierung positiv. Lieutenant Timothy Maximilian Sheldon 22043677S27568. Freigabe rot erteilt.”

“Sehr gut, Sir. Bitte nehmen Sie den Aufzug. Er hat nur einen Abwärtsknopf. Die Fahrt dauert nur ein paar Sekunden. Am Haltepunkt werden Sie weitergeleitet.“

Im Fahrstuhl studierte Tim das Bedienfeld. Tatsächlich nur wenige Knöpfe: Auf, Ab, Halt, Alarm.

Tim drückte den Ab-Knopf und der Fahrstuhl setzte sich mit relativ hoher Geschwindigkeit in Bewegung. Geschätzte 15 Sekunden später war er am Ziel. Die Fahrstuhltüren öffneten in eine große quadratische Halle, in deren Mitte sich ein kreisförmiges Arbeitspult befand. Dahinter - oder darin? - saß eine junge Dame in Zivil mit Blick zum Aufzug. An der gegenüberliegenden Wand, sowie an den beiden Seitenwänden, war jeweils eine Tür zu erkennen.

Die junge Dame an dem Arbeitsplatz studierte erst ausführlich einen Monitor, dann lächelte sie Tim an.

„Guten Tag, Lieutenant. Der Admiral erwartet sie bereits. Bitte dort entlang. Einfach eintreten.“

Damit wies sie zur Tür direkt hinter sich. Tim dankte und umrundete das große Arbeitspult.

Soso, Admiral also. Das wird ja immer besser.‘

Nach kurzem Klopfen trat Tim in das angrenzende Zimmer. Es war größer als er vermutet hatte. Gleich links von der Eingangstür befand sich eine große Sitzecke, auf der rechten Seite zwei Türen. Dann kamen links und rechts Regale mit Büchern und einer ganzen Reihe seltsamer exotischer Gegenstände. Am gegenüberliegenden Ende saß hinter einem riesigen Schreibtisch unter dem obligatorischen Porträt des Königs ein Zivilist. Dieser war augenscheinlich in ein Video-Gespräch vertieft.

„… doch, er ist hier, gerade hereingekommen. Ich werde sie auf dem Laufenden halten, Sir.“

Tim zögerte, doch der Zivilist winkte ihm, näher zu kommen. Er lächelte ihn aufmunternd an, dann stand er auf und reichte seine Hand über den Schreibtisch.

„Herzlich willkommen. Mein Name ist Campbell, Admiral Campbell. Entschuldigen sie den Anzug, aber ich bin aufgehalten worden. Ich bin derjenige, der sie angefordert hat. Sie werden sicherlich wissen wollen, was das alles auf sich hat, aber das muss noch einen Moment warten bis zum Briefing, Sie waren tatsächlich schneller als erwartet. In der Zwischenzeit …, hm, ist Ihr Gepäck schon eingetroffen?“

Tim konnte nur mit dem Kopf schütteln, als der Admiral schon fortfuhr.

„Na, kann man nichts machen. Dann schicken wir sie mal zum …“,

damit sah er kurz auf die Uhr an der Wand zu seiner rechten,

„… was, gleich fünf? Na, das wird dann ihr Abendessen. Mein Adju wird sie begleiten und einweisen.“

Tim war fasziniert von der Dynamik des Mannes vor ihm. Er glaubte ihm den Admiral aufs Wort. Gut 1,90m groß und kräftig, mit kurzen roten Haaren, die an einigen Stellen schon ins Grau übergingen. Wenn der Dienstgrad nicht gewesen wäre, Tim hätte ihn auf höchstens 40, vielleicht 45 geschätzt.

Tim drehte sich um, als hinter ihm eine der beiden Türen im Raum aufging.

„Sie haben etwas für mich, Sir?“

Als Tim genauer hinsah, wurde ihm unbewusst heiß in seiner Uniform. Der 1st Lieutenant trug den hellgrünen Dienstanzug, der für die gesamte Marine vorgeschrieben war, jedoch mit roten Dienstgradabzeichen der Marineinfanteristen auf den unteren Ärmeln und die goldenen Fangschnüre eines Adjutanten an seiner rechten Schulter. Er war wohl gut 1,90m groß, schlank und hatte kurze, auffällig hellrote Haare. Tim brauchte sich nicht noch einmal umzudrehen um zu wissen, dass er Vater und Sohn vor sich hatte. Außerdem hatte der Junior noch dieses niedliche Lächeln im Gesicht, das Tim gerade zu schaffen machte.

„Allerdings. Begleite bitte Lieutenant Sheldon zum Essen, oder wohin er auch sonst möchte. Das Gebäude darf jedoch unter keinen Umständen verlassen werden. Briefing ist jetzt 1800h.“

„1st Lieutenant Campbell wird sie heute begleiten. Für das Briefing reicht für sie der Arbeitskombi, denn ich nehme an, ihr Gepäck ist nicht so schnell. Bis nachher.“

Tim wusste, wann er entlassen war. Mit einer eleganten Kehrtwendung machte er sich auf zur Tür. 1st Lieutenant Campbell wartete auf ihn und sie traten gemeinsam in die Halle. Tim drehte sich zu dem Marine um, dann ging sein Mundwerk mit ihm durch.

„Ist der immer so?“

1st Lieutenant Campbell starrte auf den niedlichen Blondschopf herab, der garantiert nicht älter war als er selbst, obwohl schon Lieutenant der Navy.

Tim bemerkte die Pause und fürchtete schon, er sei zu weit gegangen mit seiner Bemerkung, als der 1st Lieutenant laut lachte.

„Zu Hause ist er nicht so. Da kennt er sogar meinen Vornamen.“

Tim grinste. Dann hob er die linke Augenbraue.

„Und der wäre?“

Der rothaarige Marine sah ihn erstaunt an. Fängst du jetzt an mit mir zu flirten? Dann nahm er übertrieben Haltung an.

„1st Lieutenant Royal Marines Colin Montgomery Campbell – Sir!”

Jetzt musste Tim laut lachen. Die Marineinfanteristen hatten irgendwie schon einen Sinn fürs theatralische, aber dieser hier war auch noch komisch.

„Okay – rührt euch!“

Colin Campbell gab sein Paradehaltung auf und wartete gespannt auf eine Antwort.

„Gut, ich bin Lieutenant Timothy Maximilian Sheldon. Bis gerade eben noch Jägerpilot und nun hier gestrandet. Meine Freunde sagen Tim zu mir. Dann zeig mir mal, was es denn hier so zu entdecken gibt, Colin.“


„Zuerst wirst du wohl eine Zugangskarte benötigen. Die funktioniert für alle Türen, die zu den öffentlichen Bereichen führen und für die öffentlichen Aufzüge. Persönliche Bereiche haben einen Fingerabdruckscanner und Hochsicherheitsbereiche haben einen Retinascanner.“

Im Laufe der Ausführungen waren die beiden Offiziere an dem großen Arbeitsplatz in der Mitte der Halle angekommen. Die junge Dame hinter dem sogenannten Center-Desk hatte sie näher kommen gesehen und einige Vorbereitungen getroffen.

„Lieutenant Sheldon, ihre Zugangskarte.“

Damit überreichte sie Tim eine kleine scheckkartengroße Plastikkarte ohne jegliche Beschriftung, lediglich in der Mitte war ein aufrechtes Schwert in einem Lorbeerkranz abgebildet.

„Die Karten öffnen unterschiedliche Bereiche. Von Allgemein Zugänglich, wie etwa der öffentliche Besucherbereich bis zu Hochsicherheitseinrichtungen zu denen ich jetzt kein Beispiel gebe.“

Damit lächelte sie Tim freundlich an.

„Die einzelnen Bereiche sind farbig gekennzeichnet, ebenso die Karten. Sie sind aufsteigend wertig in grün, blau, gelb, rot und violett. Mit blau kann man also grün und blau öffnen, mit gelb dann grün, blau und gelb, usw.“

Tim drehte während der Einweisung geistesabwesend seine Karte in der rechten Hand und erst jetzt registrierte er bewusst die rote Farbe.

„So, und jetzt noch ein kurzer Piekser.“

Bevor Tim reagieren konnte hatte die junge Dame seine rechte Hand ergriffen und mit einer kleinen Druckpistole kurz seinen Handrücken berührt.

„Verzeihung, Sir. Das ist ein kleiner Mikrochip, der mit der Zugangskarte verbunden ist. Die Karte ist nur funktionsfähig im Umkreis von einem Meter zu dem Chip. Der Chip stellt seine Funktion ein, etwa 20 Sekunden nach erlöschen der Vitalfunktionen des Körpers.“

Tim sah auf seinen Handrücken, konnte aber nichts erkennen.

„Sei froh, früher hätten sie dir eine große Marke ans Ohr geknipst.“

Tims entsetztes Gesicht führte bei Colin zu einem hysterischen Lachanfall.


Der Weg zu den Unterkünften war kurz. Wie Tim jetzt erkannte, gab es drei Fahrstuhltüren nebeneinander, die in die Halle führten. Die mittlere gehörte anscheinend zu dem Aufzug mit dem er gekommen war. Über der Tür stand in großen Lettern DACH. Über der linken Tür stand SPEED und über der rechten, zur der Colin ihn jetzt führte, stand DEP 1.

Drei Etagen tiefer stiegen sie aus. Vom Fahrstuhl aus führte ein kurzer breiter Gang zu einem weiteren Gang der rechtwinklig links und rechts abzweigte. Man konnte deutlich erkennen, dass die beiden abzweigenden Gänge in einer Kurve verliefen.

„Falls es dir aufgefallen sein sollte, das Gebäude hat einen kreisförmigen Grundriss. Dieser Gang führt einmal in die Runde. Jeweils links und rechts befinden sich Unterkünfte, einmal mit und einmal ohne Fenster, je nachdem was man bekommen hat. Die Buden sind nicht neu, aber man kann darin Leben.“

Colin blieb vor Nummer 22 stehen.

„Das ist deine Bude. Ich schlage vor, du schaust mal vorsichtshalber nach dem Gepäck. Ansonsten bin ich hier gleich nebenan in der 24.“

Ein kurzer Blick zeigte Tim, dass sein Gepäck noch nicht eingetroffen war. Seine ‚Bude‘ bestand aus zwei getrennten Räumen zum Wohnen und Schlafen und einer kleinen Nasszelle. Am interessantesten jedoch war der Blick durch ein großes Panoramafenster im Wohnraum, direkt auf die Skyline des Stützpunktes von Bandar IV – oder Torchwood, wie der Planet von den ersten Siedlern getauft worden war.

Colin Campbell wartete schon auf dem Gang. In den wenigen Minuten die er gewartet hatte, drehten sich seine Gedanken hauptsächlich um Lieutenant Sheldon. Timothy Maximilian Sheldon. Warum beschäftigte der kleine Blondschopf ihn so sehr? Sie kannten sich doch kaum eine halbe Stunde. Colin seufzte. Er durfte sich da nicht so sehr reinsteigern. Einmal auf die Schnauze fallen reicht eigentlich für den …

„Ah, das ging ja schnell. Also kein Gepäck. Hier, ich hab‘ noch was für dich.“

Damit überreichte Colin Tim ein kleines Stück Stoff, dass dieser als Verbandsabzeichen identifizierte. Auf dem Arbeitskombi wurde am linken Oberarm ein kleines Wappen getragen, das die Einheit oder den Verband symbolisierte, bei dem der jeweilige Soldat diente. Tim hatte an seinem Arbeitskombi noch das Verbandswappen seines Geschwaders. Oben ein Schriftzug 26 F-Wing, darunter ein springender Tiger. Das neue Abzeichen war in der Grundfarbe des Intelligence Service – dunkelblau – mit einem goldfarbenen Schwert und Eichenlaub. Es war das gleiche Wappen wie auf der Zugangskarte, doch hier gab es unter dem Wappen noch ein Spruchband mit zwei Worten. INQUIRERE SECRETO.

Irritiert blickte Tim hoch und Colin zuckte mit den Schultern.

„Das Motto des Intelligence Service. Nachforschen im Geheimen – oder so ähnlich.“

Nach einem kurzen Blick auf sein altes Wappen zog er es vom Haftpad und klebte schwunghaft das neue dran.

Colin sah ihm amüsiert zu, dann reichte er Tim die Hand.

„Herzlich Willkommen bei Intelligence Services. Wir freuen uns, dass sie sich für uns entschieden haben und wünschen ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

Beide prusteten gleichzeitig los. Tim legte den Kopf schief, schielte nach oben zu Colin und sah ihm in die Augen.

„Und jetzt?“

Colin merkte, wie er rot wurde. Er musste sich regelrecht dazu zwingen, nicht das zu sagen, was ihm gerade durch den Kopf geschossen war.

„Für ein kurzes Abendessen ist noch Zeit.“

Tim hatte die Pause und Colins Farbwechsel sehr wohl bemerkt. Und obwohl er Colin absolut niedlich fand, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, den er sich als Pilot immer wieder gesagt hatte. Nicht, bevor du weißt, was dich hier erwartet und du sicher bist, dass du von deiner nächsten Mission auch heil wiederkommst.


Um zwanzig nach fünf war es noch ziemlich früh für ein Abendessen, aber Tim wusste aus Erfahrung, dass er jede Gelegenheit zum Essen nutzen sollte. Wer wusste denn schon, wann man wieder etwas bekam.

Die Schlange an der Essensausgabe war unbedeutend und Tim studierte das Salatbuffet, als es hinter ihm etwas lauter wurde.

„Was soll das heißen, sie können das nicht essen? Wir sind auf Vegetarier und Veganer ausgelegt und auch sonst ist unser Essen einwandfrei!“

Tim drehte sich um und seine Augen weiteten sich. Direkt hinter ihm stand, in einer grünen Arbeitsuniform mit den roten Abzeichen der Marineinfanteristen, ein Felidaner. Ein kurzer Blick auf den Dienstgrad am Kragen ergab Private, also wahrscheinlich gerade eben der Grundausbildung entkommen.

Ein weiterer Blick auf den dicklichen Koch hinter der Essensausgabe ließ Tim vermuten, dass er noch nie im Leben einen Felidaner gesehen hatte. Vor Tims Augen rollte wie im Film ein Abschnitt aus seinem Xenologieunterricht im Space Cadet Corps ab.

Lieutenant Commander Backhaus humpelte vor der Klasse auf und ab. Sein Gesicht war alt und zerfurcht, quer über seiner linken Wange verlief eine hässliche lange Narbe. Ohne auf seine Schüler zu achten, referierte er über eines seiner Lieblingsthemen, in dem er schlicht hin und her wanderte und seinen Text vortrug.

„… im Gegensatz zu allen Berechnungen und Erwartungen, immer noch nicht auf eine sogenannte außerirdische, heute würden wir sagen xenologe, Lebensform getroffen. Mithin haben wir einen ziemlich großen Teil unserer Galaxis erforscht und teilweise auch besiedelt, aber alle Lebewesen die wir heute kennen“, und hier machte er eine dramatische Pause während er sich langsam im Klassenraum umsah, „stammen im Endeffekt von der Erde.“

Der Griff in den Weltraum, die Kolonisierung fremder Planeten, ist natürlich an vielen dieser Menschen nicht spurlos vorüber gegangen. Auf Planeten, deren Parameter zu stark von den irdischen abweichen, wurden und werden, mit allerhöchster Genehmigung natürlich, genetische Anpassungen durchgeführt. Diese Bewohner sind selbstverständlich, obwohl ihr Äußeres manchmal anderen Personen etwas bizarr erscheint, ohne Einschränkungen und Ausnahmen Menschen wie Du und Ich. Das gilt selbstverständlich und in besonderem Maße auch für die Mitglieder der menschlichen Rasse, die an diesem unseligen genetischen Experiment eines ausgetickten Wissenschaftlers teilnehmen mussten.“

Hier knallte er mit einem Lineal auf den ersten Tisch vor sich. Erschrocken drehten sich zwei der Jungen wieder nach vorne, die es gewagt hatten, während seiner Ausführungen miteinander zu tuscheln.

Ruhe!“, donnerte seine Stimme durch den Klassenraum.

Nun, wie hat sich die genetische Anpassung auf unsere politische Struktur ausgewirkt?“

Ein Paar stahlgraue Augen schweiften durch den Klassenraum.

Sheldon!“

Tim stand auf und sah zu dem gut zwei Meter großen Lieutenant Commander hinauf.

Die Föderation besteht aus 14 Sektoren als Politischen Körperschaften mit insgesamt 479 eigenständigen Planeten in 414 Systemen und 18 unregelmäßig verteilten Kolonien. Regierungsform ist eine parlamentarische Monarchie mit einem erblichen Königshaus. Politisch wird jeder der Planeten nach Anzahl der Bewohner im Föderativen Völkerrat vertreten. Im Senat ist jede Körperschaft, jeder Planet und jede Kolonie mit einem Senator vertreten. Alle zusammengenommen beinhaltet die Föderation 497 Planeten. Auf diesen gibt es insgesamt, neben den Menschen, 31 genetische Variationen.“

Lieutenant Commander Backhaus sah jetzt zum ersten Mal bewusst auf Tim herab.

So, so. Genetische Variationen. Ich kann mich nicht erinnern, diesen Begriff gebraucht zu haben, aber er trifft durchaus den Kern der Sache. Sehr gut, setzen!“

Tim hatte Mühe, sein ausdruckloses Gesicht zu behalten. Der Felidaner vor ihm sah aus, als wäre er erst sechzehn oder siebzehn Jahre alt, doch Tim wusste aus dem Unterricht, dass Felidaner in ihrer Jugend deutlich jünger aussahen als gleichaltrige Menschen. Das kam möglicherweise auch durch den sogenannten ‚Niedlichkeitseffekt‘, der bei einem Felidaner allerdings völlig unangebracht war.

Im Nacken und am Hals begann ein leichter Haaransatz, der sich, wie Tim aus einem Lehrfilm wusste, bis zu den Schultern herunterzog und dann zu einem dichten Fell entwickelte. Das Fell hatte bei diesem hier, soweit zu erkennen war, eine hellgraue, fast weiße Farbe mit dunkeln Flecken entlang des Körpers, ähnlich wie bei einem Schneeleoparden. Lediglich das Gesicht war haarlos vom Haaransatz über die Wangen bis unter das Kinn wo am Halsansatz ein leichter Flaum wieder in das Fell überging. Auffälligste Merkmale aber waren die strahlenden smaragdgrünen Augen mit den senkrecht geschlitzten Pupillen, zusammen mit den hoch am Kopf angesetzten aufrecht stehenden Katzenohren.

Die Ähnlichkeit mit einer irdischen Katze, bedingt durch genetische Experimente, führte zu dem besagten ‚Niedlichkeitseffekt‘. Nichts lag bei einem Felidaner ferner, als der Vergleich mit einer Hauskatze. Und wehe dem unbedarften Gegenüber, der versuchte, einen Felidaner ungefragt zu berühren oder gar zu streicheln!

Tim gegenüber stand nun eine schlanke, aber doch sehr muskulöse Gestalt, fast genau so groß wie er selbst, aber mit erheblich breiteren Schultern. In Kontrast zum grauweißen Fell standen die fast weißen Haare und ein paar Sommersprossen im Gesicht.

Mit einer kurzen Drehung zu dem Felidaner hob Tim die rechte Hand.

„Einen Moment, Private.“

Dann drehte er sich zu dem Koch hinter dem Tresen.

„Sie sind sich darüber im Klaren, dass einem Felidaner eine Spezialverpflegung gemäß der Richtlinien des Flottenkommandos zusteht? Insbesondere, weil diese Richtlinien in Vereinbarung mit dem Antidiskriminierungsgesetz des Reiches und der Sonderstellung der Felidanischen Union erlassen worden sind?“

Der Mann erbleichte sichtlich und drehte sich nach hinten.

„David, komm her! Das habt ihr doch in der Ausbildung gehabt.“

Aus dem Hintergrund der Küche kam ein junger Mann angesprintet. Die Abzeichen auf der weißen Jacke zeigten den gleichen Dienstgrad wie bei dem Marineinfanteristen, waren aber unterlegt mit dem Violett des Logistischen Dienstes. Sein roter Haarschopf leuchtete fast noch heller als Colins und kontrastierte stark mit der weißen Küchenbekleidung.

Noch bevor jemand etwas sagen konnte, erfasste der junge Mann die Lage.

Nach einem leisen „Whow“ bedachte er den Felidaner mit einem langen Blick, dann lief er wieder Richtung Küche. Während des Laufens drehte er den Kopf nach hinten und rief „bin gleich zurück. Dauert nur ein paar Minuten.“

Während des ganzen Vorfalls hatte Colin Campbell nur da gestanden und schweigend den Wortwechsel verfolgt. Jetzt wandte er sich direkt an den Felidaner.

„Nun, ich denke wir sollten den Betrieb nicht länger aufhalten. Wenn sie uns begleiten möchten? Wir können uns gleich hier vorne setzen und sie können auf ihr Essen warten.“

Es war dem jungen Felidaner deutlich anzusehen, dass ihm die Aufmerksamkeit äußerst peinlich war. Doch auf die freundliche Einladung eines Offiziers gab es nur eine Antwort.

„Jawohl, Sir. Vielen Dank, Sir.“

Colin Campbell ließ sich an einem der Tische für vier Personen nieder, die jeweils zwei Plätze an den Längsseiten hatten. Da sich Tim direkt neben ihn setzte, blieb dem Felidaner nur ein Platz entweder direkt gegenüber dem freundlichen 1st Lieutenant des Marine Corps oder gegenüber dem netten blonden Navy-Offizier. Er entschied sich für die Navy und Tim lächelte ihm aufmunternd zu.

„Keine Angst. Wir beißen nicht. Oder nur ins Essen. Aber sind Sie heute das erste Mal hier? Das hätte doch nicht vorkommen dürfen.“

„Nein, Sir. Ich bin schon seit einer Woche hier, aber jetzt hatte ich Schichtwechsel. Die Küchenschichten scheinen nicht miteinander zu reden.“

Doch schon nahte der junge Mann aus der Küche mit einem Tablett.

„Das ist alles, was ich auf die Schnelle machen konnte. Ich hoffe, du magst es.“

„Vielen Dank. Bist du die ganze Woche da?“

„Ja, ich suche mal alles raus, was wir an Unterlagen da haben. Die Woche werd‘ ich schon was zaubern.“

Tim bemerkte leicht amüsiert, dass der Blick von hmmm… - aha, das Namensschild lautete auf Seaman D. Florent - nicht eine Sekunde von den grünen Augen des Felidaners wich.

Als die Pause fast peinlich zu werden drohte, bemerkte Seaman Florent seine geistige Abwesenheit. Er räusperte sich kurz, sein Gesicht wurde fast so rot wie seine Haare und er verschwand ziemlich schnell in Richtung der Küche. Während dieser ganzen Zeit verfolgte der Felidaner – wieder ein kurzer Blick auf das Namensschild: Private R. Yeats – den jungen Koch mit seinem Blick, bis der in der Küche verschwunden war.

„Verzeihung, Sirs, aber sind sie mit dem felidanischen Essen vertraut?“

Tim verschluckte sich, weil er ahnte, dass Private Yeats sie vorwarnen wollte. Anscheinend war felidanisches Essen etwas anders zubereitet als das normale Menu. Colin schüttelte den Kopf.

Tim sah nach rechts auf Colins Teller und bemerkte, dass sie beide bereits zu Ende gegessen hatten.

„Kein Problem. Wir sind fertig, also können sie uns ruhig zeigen, was es bei ihnen denn so zu essen gibt.“

Mit einem skeptischen Blick hob Private Yeats den Deckel von seinem Teller. Sichtlich erleichtert atmete er aus. Auf dem Teller befanden sich zwei gefüllte Hamburgerbrötchen. Lächelnd nahm er von einem das Oberteil ab.

Das Innenleben war so rot wie die Abzeichen an seiner Uniform. Rohes, blutiges, halb zerrissenes Fleisch und eine ebenso große Menge geschnetzelter Tomaten.

Colin starrte auf den Teller.

„Okaaaaay.“

Tim warf einen kurzen Blick auf die Wanduhr, dann wandte er sich an den Felidaner.

„Wenn sie so freundlich wären und ein wenig erklären würden. Es ist doch recht selten einen Felidaner zu treffen.“

„Nun, Sir, durch die Kombination zweier normalerweise genetisch unverträglicher Spezies wurden etliche gewaltsame Veränderungen vorgenommen. Eiweißreiche Nahrung ist kein Problem, aber aus bisher immer noch nicht geklärter Ursache, sind wir allergisch gegen sehr viele Gemüse und Obstsorten. Lediglich lykopinhaltige Gemüse sind verträglich. Das rohe Fleisch ist nur eine Serviermöglichkeit, aber viele Felidaner mögen es so lieber.“

„Sehr interessant. Vielen Dank und Guten Appetit. Wir müssen leider los.“

„Auf Wiedersehen, und vielen Dank, Sir.“

Als sie den Speisesaal verlassen hatten, stieß Colin Tim sanft in die Seite.

„Hast du es bemerkt. Die beiden waren ganz schön abgelenkt.“

„Ja, die hat’s voll erwischt.“

Langsam drehte sich Colin zu Tim um und sah ihm in die Augen.

„Und ich glaube, da hat es noch zwei voll erwischt.“

Tim lief rot an. Er zögerte kurz.

„Jep. Aber wir müssen wohl erst mal zum Briefing.“

Colin seufzte.

„Okay, aber danach müssen wir unbedingt miteinander reden.“


Das Briefing fand in einem Besprechungsraum im Hauptgebäude statt. Der Raum war spartanisch eingerichtet, ein langer rechteckiger Tisch mit jeweils einem Stuhl an den Kopfenden und sechs Stühlen an jeder Längsseite.

Am Kopfende saß bereits Admiral Campbell. Diesmal war er in Uniform. Auf dem Dienstgradabzeichen bemerkte Tim mit Erstaunen drei goldene Sterne, also Vizeadmiral. Tim realisierte plötzlich, dass der Intelligence Service anscheinend größer war, als er bisher geglaubt hatte.

Rechts von dem Admiral saß an der Längsseite ein älterer Mann, ebenfalls in einer hellgrünen Uniform mit den breiten Admiralsstreifen und einem goldenen Stern.

Ein Kommodore, ganz schön sternenlastig die Versammlung‘ dachte Tim, während er den nächsten Teilnehmer ansah. Etwas jünger als der Kommodore, an dem Arbeitskombi vier goldene Balken auf rotem Grund. Ein Colonel des Marine Corps.

Auf der anderen Seite saß, gegenüber dem Kommodore, eine Frau, etwa Mitte 30, mit kurzen lilafarbenen Haaren und grünlicher Haut. Sie trug, im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden, einen zivilen geschäftsmäßigen Anzug. Neben ihr saß ein junger Ensign des Engineer Corps.

„Meine Dame, meine Herren, kurz zu unserem Besucher. Unser neuer Mitarbeiter von der Navy ist Lieutenant Tim Sheldon, unsere erste Akquisition sozusagen. Die Herrschaften hier am Tisch sind Kommodore Nelson, mein Chef des Stabes und Captain Kershaw von der Personalabteilung der Marines. Die Dame ist Mrs. Krickstowe aus unserer Analyseabteilung und der junge Mann mit den schwarzen Abzeichen ist Ensign Maxwell. Warum er hier ist, wird gleich noch erläutert.“

Tim war erstaunt, als jeder der angesprochenen Anwesenden sich erhob und ihm die Hand reichte.

Colin und Tim hatten sich ebenfalls gesetzt, Tim auf die linke Seite neben den Ensign, Colin ihm gegenüber, neben dem Colonel.

„Wir machen nach Bedarf ein Briefing, um über inzwischen eingetretene Lageveränderungen informiert zu werden. Da Lieutenant Sheldon und Ensign Maxwell die einzigen sind, die noch nicht mit der Vorgeschichte und der aktuellen Lage vertraut sind, geben sie bitte einen kompletten Abriss der Ereignisse, Mrs. Krickstowe.“

Die Dame aus der Analyseabteilung nickte dem Admiral zu und sah nun von ihren Unterlagen auf.

„Ich werde dann, wie gewünscht, mit der Vorgeschichte dieser Operation beginnen. Es ist schon längere Zeit bekannt, dass ein bestimmtes Piratenschiff in einigen Sektoren im Außenrand aktiv ist und dort bei seinen Überfällen und Kaperungen hauptsächlich Personen entführt. Es handelt sich fast ausschließlich um Personen im Alter zwischen Zwölf und Zweiundzwanzig Jahren. Da es keine Lösegeldforderungen gab, sind wir ziemlich schnell davon ausgegangen, dass die Entführten ein anderes Schicksal erleiden.“

Mrs. Krickstowe seufzte unbewusst.

„Einer unserer Feldagenten hat sich zufällig als passiver Beobachter in einem Außeneinsatz befunden, als er dabei auf einen florierenden Sklavenmarkt gestoßen ist. Es befinden sich dort, nach grober Schätzung, bis zu 60 Personen im erwähnten Alter von 12 bis 22 Jahren. Auf diesem Planeten werden alle vierzehn Standardtage Auktionen abgehalten. Die Bieter müssen persönlich erscheinen und bar bezahlen. Die Preise rangieren von etwa 50.000,- bis zu einer Million Credits. Der Planet, auf dem sich dieser Sklavenmarkt befindet, ist anscheinend auch der Stützpunkt unserer gesuchten Piraten. Leider gibt es da ein weiteres Problem.“

Tim runzelte die Stirn. Piraten gab es öfter, Sklavenhändler waren sehr selten, wenn auch nicht unbekannt. In zwei der zehn großen Staatenbünde war Sklaverei offiziell erlaubt. In den restlichen acht war sie streng verboten, wobei in zweien davon die Regierungen nicht oder nur in sehr geringem Umfang gegen die Sklaverei vorging.

„Die Problematik ist, dass sich das System innerhalb des Bundes freier Planeten befindet. Eine Polizeiaktion oder gar ein militärisches Eingreifen sind ausgeschlossen.“

Jetzt erkannte Tim ebenfalls das Problem. Der ‚Bund freier Planeten‘ war alles, nur nicht das, was der Name aussagte. Eine Ansammlung von etwa drei Dutzend Systemen, geführt von einer zentralen Diktatur. Der ‚Bundesmarschall‘ führte mit absoluter Macht und militärischer Stärke. Jede tatsächliche oder eingebildete Verletzung seiner Grenzen oder irgendwelcher Rechte, führte zumindest zu diplomatischen Verwicklungen, wenn nicht gar zu Grenzgefechten.

„Das ist der Grund, warum wir die Operation ‚Sonnenschein‘ gestartet haben. Es wurden Vorbereitungen getroffen, die Basis der Sklavenhändler zu infiltrieren, die dort vorhandenen Opfer zu extrahieren und die Anlage zu terminieren.“

Tim grinste breit wegen der Formulierung der letzten Aussage, doch dann wurde ihm klar, dass die Operation anscheinend immer noch in der Vorbereitung steckte.

„Und jetzt komme ich zu unserem eigentlichen Problem. Der Intelligence Service hat die Lage falsch, oder besser, unzureichend beurteilt und nun sind wir zu Handlungen gezwungen, die so nicht geplant waren.“

Aha, er hatte also Recht. Irgendetwas war schiefgelaufen.

„Es war ursprünglich geplant, mit einem Schiff auf diesem besagten Planeten zu landen und dort als Käufer von Sklaven aufzutreten. Dort hätte dann ein Einsatzteam der Marines die Unterkünfte der Sklaven so lange gesichert, bis ein Landungsschiff erschienen wäre, alle befreit und dann die Einrichtung zerstört hätte.“

Tim Sheldon schüttelte wortlos den Kopf. Das war ja nun nicht mehr möglich.

„Auf Grund der neuesten politischen Entwicklungen ist das nicht mehr möglich. Durch den Vertrag von Chazzur zieht bereits das Eindringen eines einzelnen Kriegsschiffes in die Hoheitsgebiete des Vertragspartners eine sofortige Kriegserklärung nach sich. Ich muss sie nicht daran erinnern, dass dies so kurz nach Ende des dranthanischen Krieges eine völlig auszuschließende Option ist.“

Ha, dachte Tim, jetzt kommt die Alternative.

„Eine Alternative zu dem geplanten Vorgehen befand sich bereits in der Besprechungsphase, als uns eine Nachricht in der letzten Nacht in Zugzwang brachte.“

Tim beugte sich gespannt vor.

„Heute Morgen gegen 02:30 wurde das Passagierschiff TARAGON EXPRESS von Piraten überfallen und geentert. Außer der Fracht nahmen sie noch fünf männliche Personen im Alter von 16 bis 21 Jahren mit.“

Tim runzelte die Stirn. Anscheinend der bereits erwähnte Sklavenjäger.

„Unter diesen fünf Personen befand sich leider auch ein Senior Cadet der Königlichen Flotte.“

Vor der kleinen Wand, dem Admiral gegenüber, erschien das Hologramm eines Porträts. Es zeigte einen jungen Mann in der Uniform der Flotte.

„Was die Piraten nicht wissen, ist, dass diesem jungen Mann ein passiver Peilkristall implantiert worden ist. Wir können seit seiner Entführung lückenlos seinen Aufenthaltsort nachverfolgen.“

Bei Erwähnung des Peilkristalls pfiff Tim leise durch die Zähne. Es schien also doch mehr dahinter zu stecken. Solche kleinen Spielzeuge kosteten locker eine halbe Million Credits.

„Das Piratenschiff verfolgt momentan einen Zickzackkurs durch unser Königreich und einige dicht angrenzende Staaten. Der Grundkurs, also die Hauptbewegungsrichtung zielt tatsächlich auf das System im Gebiet des BfP, das wir bereits als Ziel identifiziert haben.“

„Die Identität des Piraten und das Wissen um seine Zusammenarbeit mit den Sklavenhändlern sind relativ früh bestätigt worden. Schon knapp zwei Stunden nach der Entführung hat eine erste Analyse vorgelegen und wurde dem Leiter Analysis vorgelegt. Innerhalb kürzester Zeit wurde entschieden, eine verdeckte Operation durchzuführen. Diese sollte, gelistet nach Priorität, beinhalten: Erstens, Infiltration des Zielgebietes mit verdeckter Identität. Zweitens Extraktion der Zielperson. Drittens, Befreiung und wenn möglich Abtransport aller Gefangenen. Viertens, Zerstörung der Einrichtung. Fünftens, Festsetzung, oder notfalls Terminierung, des oder der Anführer der gegnerischen Operation.“

Ja, dachte Tim, da hätten wir nur das Problem mit der verdeckten Infiltration.

„Für die Art der Infiltration gibt es auf Grund des sehr eingeschränkten Handlungsrahmens unseres Erachtens nur drei praktikable Möglichkeiten, einmal als Sklavenjäger, einmal als Sklavenkäufer und zum dritten als Sklave selbst. Die Rolle als Sklave verbietet sich auf Grund von Altersstruktur und Gelegenheit von selbst. Um als anerkannter Sklavenjäger aufzutreten, bedarf es langer Vorbereitung und etlicher persönlicher Beziehungen zu den Händlern, eine Zeit, die wir nicht haben. Somit bleibt uns nur eine Lösung. Wir müssen als Käufer auftreten.“

Mrs. Krickstowe machte eine dramatische Pause und sah Colin mit einem undefinierbaren Blick an.

„Ein vorgeschlagenes Szenario war, dass ein bisher versteckt lebender Multimilliardär sich ein paar neue Sklaven zulegen möchte. Ein entsprechendes Fahrzeug, das fast allen Voraussetzungen entspricht, steht zur Verfügung. Schwierigkeiten gibt es momentan mit der Auswahl des Personals. Der psychologische Dienst des Intelligence Service hat Einspruch erhoben gegen die bereits erfolgte Auswahl. Das Personal für den operativen Einsatz sollte ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Ich … ähhh“

Der Admiral streckte sich und winkte leicht ab.

„Schon gut, ich werde das kurz erklären. Die meisten, nein wahrscheinlich alle als Sklaven zu verkaufenden Personen werden nur zu einem Zweck gefangen und verkauft.“

„Sex“, murmelte Tim.

„Ja, so ist es wahrscheinlich. Alles andere macht in unserer heutigen modernen Gesellschaft keinen Sinn mehr. Besonders die Jungs werden arg überrascht sein, wenn sie bemerken, was man mit ihnen vorhat; zumindest die meisten. Da wir einen jungen Mann auf diese Weise befreien wollen, müssen wir ein gewisses Interesse für die männlichen Sklaven zeigen. Es wird für die beteiligten Personen unumgänglich sein, einen wirklich überzeugenden Käufer darzustellen. Der Käufer muss Ahnung von der ‚Ware‘ haben und realitätsnah auftreten können. Er und seine Begleiter müssen in das Setting eines dekadenten Milliardärs passen. Sie müssen eine gewisse Sachkenntnis besitzen, was den Umgang mit Sklaven betrifft und hauptsächlich, was gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen betrifft. Außerdem müssen sie überzeugend ihre „Intentionen“ darstellen, warum sie einen Sexsklaven kaufen wollen. Das könnte möglicherweise auch zu, ähhh… interpersonellen Handlungen in der Öffentlichkeit führen. Deshalb wurde entschieden, den Teil der Besatzung, der für den operativen Einsatz vorgesehen ist, ausschließlich aus Leuten mit homosexuellem Hintergrund zu rekrutieren.“

Tim musste unwillkürlich grinsen. Das hatte die Personalabteilung ja wohl an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Aber was waren denn ‚Interpersonelle Handlungen‘? Wer mit wem? Doch wohl keine ‚Warenprobe‘?

„Und an dieser Stelle hat der psychologische Dienst des Intelligence Service seinen Einspruch erhoben. Damit es zu keinen Missverständnissen, persönlichen Differenzen oder gar Zwischenfällen bei einer so kurzfristig zusammengestellten Mannschaft kommt, sollten alle Besatzungsmitglieder den ähhh… gleichen soziokulturellen Hintergrund haben.“

Tim war vollkommen verblüfft. Wenn er deswegen hier war, weswegen er dachte, dass er hier war, dann war das soeben ein öffentliches Outing gewesen.

„Die Anforderungen an die gesamte Besatzung mussten neu formuliert werden und so haben die Personaldienststellen seit etwa 04:00 Uhr heute Morgen nach einer neuen Besatzung gesucht.“

Mrs. Krickstowe räusperte sich und fuhr fort, wobei sie Tim direkt ansah.

„Gegen 04:55h sind die ersten Funksprüche rausgegangen. Sie sind als einziger Offizier direkt angefordert worden, weil das Anforderungsprofil bei ihren Fertigkeiten und Kenntnissen niemanden weiter ausgegeben hat. Für den Rest der Besatzung, insbesondere die Marineinfanteristen, liegen etwa 200 Vorschläge vor, die schon gesichtet wurden und jetzt ausgewählt werden müssen. Bei den Soldaten, die hier vor Ort stationiert sind, ist bereits vor zwei Stunden eine Befragung der Erstauswahl abgeschlossen worden.“

Tim schüttelte unwillig den Kopf. Welche Fertigkeiten? Militärische oder … was? Das ging ihm alles deutlich zu schnell. Außerdem nagte da noch eine Frage in seinem Hinterkopf, die er aber nicht zu fassen bekam. Er wurde durch die Stimme des Admirals aus seinen Gedanken gerissen.

„Was das Schiff betrifft, so ist es ein Prototyp, den eine kleine Werft entworfen hat und das der Navy gerade für die technische Erprobungsphase zur Verfügung gestellt wurde. Ensign Maxwell wird kurz ein paar Worte dazu sagen.“

Ensign Maxwell nahm ein großes Multipad zur Hand und sah in die Runde. Tim kannte die großen, unhandlichen Dinger, mit denen die meisten Techniker rumrannten. Sie waren sowohl Kommunikationsgeräte, als auch Mikrorechner und Diagnosetool.

„Jawohl. Also auf Torchwood befindet sich eine Erprobungsstelle des Royal Engineer Corps, bei der kleine und mittlere Raumfahrzeuge auf ihre Eignung für den militärischen Gebrauch getestet werden. Es kommt des Öfteren vor, das Werften oder Ingenieurbüros ihre Entwicklungen zum Testen abgeben, ohne auf Ausschreibungen zu warten. Bei dem in Frage kommenden Fahrzeug handelt es sich um eine Kombination aus Privatyacht, Leichtem Kreuzer und Raumjäger, das seit etwa zwei Monaten ausgiebig getestet wird.“

Als er Tim Sheldons zweifelndes Gesicht sah, unterbrach sich der Ensign, sah ihn direkt an und fuhr ohne Notizen fort.

„Die Absicht des Entwicklers war es, ein Schiff zu schaffen, das mehreren Rollen gerecht wird. Es kann eine Besatzung bis 30 Mann tragen, also ein leichtes Einsatzschiff für Kommandotruppen. Ebenso könnte das Schiff als schnelles Lazarettschiff ausgerüstet werden mit Platz für 20 Patienten. Oder eine weitere …“

Ensign Maxwell unterbrach sich auf ein dezentes Räuspern des Admirals. Dann sah er wieder auf seine Notizen.

„Das Schiff ist 68 m lang und hat eine individuelle Formgebung, nicht den Schiffen der Flotte entsprechend. Es ist deutlich leistungsstärker und schwerer bewaffnet als alles andere seiner Größenordnung. Die Beschleunigung entspricht fast der halben Leistung eines Raumjägers, die Mindestbesatzung beträgt 18 Mann im Zwei-Wachen-Betrieb.“

Anscheinend waren noch einige Daten auf dem Notizzettel, doch der Admiral hatte eine Hand gehoben und Ensign Maxwell verstummte.

„So viel zunächst zu unserem Schiff. Ich muss ihnen leider sagen, dass wir keine neuen Nachrichten von dem Piratenschiff haben. Es kreuzt immer noch innerhalb unseres Hoheitsgebietes und bewegt sich in grober Richtung auf den Sklavenplaneten zu. Sollte sich kurzfristig etwas Neues ergeben, werden sie benachrichtigt.“

Der Admiral erhob sich.

„Ich danke ihnen, meine Dame, meine Herren. Lieutenant Sheldon, Lieutenant Campbell, wir sehen uns in zehn Minuten in meinem Büro.“

Als sich alle erhoben hatten, verließen die Anwesenden langsam das Konferenzzimmer. Tim hielt Colin am Ärmel fest.

„Das ist doch alles großer Mist! So etwas gibt es doch gar nicht. Ich komme mir vor wie bei ‚versteckte Kamera‘. Sag mir, was hier abgeht!“

„Psst. Ganz ruhig. Wir gehen hoch ins Büro und dort gibt es Antworten. Apropos Antworten. Ich weiß nicht genau, wie ich es formulieren soll, aber ich glaube, ich mag dich, sehr sogar.“

„War das jetzt eine Frage?“

„Nein, aber … aber … ich dachte … vielleicht …“

Tim sah in Colins grüne Augen. Dann seufzte er. Langsam schloss er seine Augen und spürte nur Sekundenbruchteile später, wie Colins Lippen vorsichtig seine berührten.


Genau zehn Minuten später betraten Tim und Colin das Büro des Admirals. Dieser erhob sich hinter seinem Schreibtisch und wies zu der Sitzecke direkt neben dem Eingang. Tim und Colin nahmen dicht nebeneinander auf dem Sofa Platz, der Admiral in einem der Sessel.

„Es sieht so aus, als ob ihr inzwischen ganz gut miteinander auskommen würdet.“

Die beiden auf dem Sofa liefen rot an, aber Colin nahm mit seiner Rechten Tims linke Hand und hob sie leicht an.

„Ok, das ist eure Entscheidung. Aber wir werden uns nach dem Einsatz noch einmal unterhalten. Jetzt zum geschäftlichen Teil. Tim, was willst du wissen?“

Tim Sheldon hatte den Wechsel in der Anrede bemerkt und sie machte ihm ein klein wenig Angst. Er kannte Colin doch erst ein paar Stunden und jetzt saß er praktisch auf der Familiencouch, fertig zum Verhör. Doch dann schob sich die Frage nach vorne, die in seinem Bewusstsein schon die ganze Zeit gekreist hatte.

„Wer, zum Henker, ist dieser Cadet, dass er mit einem millionenschweren Peilkristall im Körper herumläuft und das halbe Königreich ist unterwegs, ihn zu befreien?“

„Er heißt Kevin Reinhardt, ist 19 Jahre alt und seit anderthalb Jahren bei der Navy. Der Peilkristall wurde ihm auf Befehl seines biologischen Vaters vor drei Jahren implantiert. Dazu muss man wissen, dass Kevins Mutter nicht verheiratet war, als er geboren wurde. Sie heiratete erst zwei Jahre nach der Geburt einen gewissen Lieutenant Commander James Reinhardt von den Royal Marines. Dieser ist vor fünf Jahren während der Dranthanischen Kriege gefallen. Die Mutter ist vor drei Jahren bei einem Unfall gestorben. Ein Verwandter hatte die Vormundschaft bis er 18 wurde und zur Navy ging.“

Tim sah den Admiral mit schief gehaltenem Kopf an.

„Ehrlich gesagt, ich bin jetzt nicht ein Bisschen schlauer als vorher.“

Colin und sein Vater lachten. Colin rückte ein wenig von Tim ab, damit er sich weiter zu ihm drehen konnte.

„Das lernt man auf dem Admiralstabslehrgang, viel reden ohne was zu sagen.“

Der Admiral drohte seinem Sohn mit der Hand, sagte aber nichts weiter. Colin wandte sich wieder an Tim.

„Alle Puzzlesteine befinden sich hier im Raum. Die Mutter von Kevin war Iona Campbell, meine Tante, die jüngste Schwester meines Vaters.“

„Was? Aber, dann…“

„Lass mich zu Ende reden. Was den richtigen Vater betrifft, haben wir einen Eid geschworen, niemals einen Namen zu nennen, aber ich sage es noch einmal, alle Hinweise sind hier im Raum.“

Tim sah Colin an, als ob er den Verstand verloren hätte. Einen Eid? Hinweise? Niemand sonst war hier im Raum. Hektisch sah er sich um. Sekundenlang wandte er den Kopf hin und her, bis endlich sein Blick auf dem Bild über dem Schreibtisch des Admirals hängen blieb. In völligem Erstaunen weiteten sich seine Augen.

„Du willst doch nicht sagen …“

„Psst. Keine Namen. Aber ich merke schon, du hast begriffen, um wen es geht.“

Der Admiral seufzte leise.

„Wir waren zusammen auf der Militärakademie. Er ist der Taufpate von Colin, so wie ich der Taufpate seines Sohnes bin. Sie haben sich damals kennengelernt, bei Colins Taufe. Sie war so wunderschön mit ihren schulterlangen roten Haaren …“

Tim holte tief Luft.

„Okay, aber der Kristall, warum?“

„Oh, ja. Vor etwas mehr als drei Jahren kam es zu einem tragischen Unfall. Eine Atmosphärenyacht des Königlichen Haushalts stürzte ab. Iona befand sich an Bord, aber was viel schlimmer für die königliche Familie war, auch Lady Naomi, die Gemahlin von Prinz Helos mit ihrem einzigen Kind und Lady Adilene, die älteste Tochter des Königs mit ihrem Kind.“

Tims ganzer Gesichtsausdruck zeigte absolute Verwirrung. Colin lachte.

„Du bist echt süß, wenn du verwirrt bist“, was ihm ein Räuspern von seinem Vater einbrachte.

„Ich gehe also davon aus, dass du von der königlichen Thronfolgeregelung keine Ahnung hast.“

Tim schüttelte mit einem halb entsetzten, halb belustigten Gesicht den Kopf.

„Okay, die Kurzversion. Erbberechtigt sind ausschließlich männliche Familienmitglieder und zwar in erster Folge. Das heißt, der König hat zum Beispiel drei Söhne. Der Älteste folgt ihm als König. Darauf wird dessen ältester Sohn König und so weiter. Erst wenn ein König keine männlichen Nachkommen hat, geht die Erbfolge auf seinen nächstjüngeren Bruder über. Unser jetziger König hat einen Sohn und drei Töchter. Prinz Helos hatte einen Sohn. Der ist gestorben. Er selbst weigert sich, erneut zu heiraten, tut seinen Dienst bei den Royal Marines. Sollte er sterben, fällt die Krone an Prinz Gerald, den jüngeren Bruder des Königs.“

„Puh, dann will ich nicht die lange Version hören. Aber gut, was hat es jetzt mit Kevin auf sich?“

„Ach ja, nach dem Unfall sah sich der König genötigt, einen weiteren Thronfolger ins Spiel zu bringen. Sein Bruder Gerald hat ihm nämlich deutlich zu verstehen gegeben, dass er selbst als König keinesfalls in Frage kommt. Er hat sich auf seine privaten Besitzungen zurückgezogen und ist dort landwirtschaftlich tätig. Wohl oder übel hat sich der König mit Kevin beschäftigt, obwohl er nicht so ganz von seiner Qualifikation überzeugt ist.“

„Ach, und warum nicht?“

„Weil er wohl die königliche Linie nicht fortsetzen wird. Er ist so schwul wie du und ich.“

Colin grinste Tim frech an, während sein Vater einen Hustenanfall bekam.

„Na, ja. Aber wer würde denn König werden, wenn dieser Bruder verzichtet? Das scheint doch wohl das Problem zu sein.“

Colin sah seinen Vater fragend an und als dieser nickte, begann er zögernd mit seiner Antwort.

„Also, mal sehen, ob ich das so aus dem Handgelenk hinbekomme. Thronfolger ist und bleibt ja erst einmal Prinz Helos, einziger legitimer Sohn des Königs. Auf Platz zwei der Liste steht Prinz Gerald, der jüngere Bruder des Königs. Soweit waren wir ja gerade eben. Nummer drei ist Kurfürst Rian Drake, der Sohn von Prinz Gerald. Hier ist die Königslinie in direkter Abstammung zu Ende. Der nächste Anwärter wäre ein Nachkomme eines Onkels des jetzigen Königs. Das ist Großfürst Gentril Drake, 41 Jahre alt. Der hat zwei Töchter und einen Sohn, Thore, die Nummer Fünf.“

Colin hatte für jeden Thronfolger einen Finger der linken Hand gehoben und sie nacheinander daran abgezählt. Als er die andere Hand spreizte stöhnte Tim auf.

„Einen hab ich noch. Danach wäre nämlich der jüngste Onkel des Königs dran, aber der ist jetzt …

Colin sah seinen Vater fragend an.

„Achtundsechzig.“

„Das ist der letzte in der Reihe. Für weitere Aspiranten müssten wir noch eine Generation weiter zurückgehen …“

Abwehrend hob der Admiral beide Hände.

„Ist gut jetzt. Das Interessante an der ganzen Angelegenheit ist, dass Gentril Drake sich äußerst rege in einer politischen Gruppe engagiert, die die Auflösung der Föderation und die Unabhängigkeit der Sektoren propagiert.“

„Das ist doch unsinnig, wenn er König werden könnte.“

„Nicht ganz. Er hat sich bereits einmal erfolglos als Generalgouverneur des Itari-Sektors beworben. Doch bei der nächsten Auswahl kann er schlecht übergangen werden. Er hätte dann dort ein sehr prestigeträchtiges Amt, falls der Sektor unabhängig wird.“

„Das ist doch äußerst riskant. Itari hat doch fast seine gesamte Westschale als Grenze zum BfP.“

„Eben.“

Mit diesem kurzen Kommentar sah der Admiral Tim intensiv und provozierend schweigsam an.

Dann dämmerten Tim langsam die Möglichkeiten und Konsequenzen der ganzen Äußerungen.

Der Admiral lehnte sich zurück und wedelte mit der rechten Hand, als ob er irgendetwas vertreiben wollte.

„Themenwechsel. Die Offiziere für das Schiff sind inzwischen alle ausgewählt worden und teilweise auch schon vor Ort.“

Damit nickte der Admiral Tim kurz zu.

„Der Rest sollte im Laufe der nächsten drei bis vier Stunden eintreffen. Geplant ist für den operativen Einsatz ein Kommandotrupp der Marines von etwa fünf Mann. Bei den Leuten vom Marine Corps findet gerade die Befragung statt, deshalb war der Captain aus der Personalabteilung dabei. Angeblich haben die Marines kein ‚qualifiziertes‘ Personal. Falls euch da was einfällt, einfach am Center-Desk abgeben. Das Schiff befindet sich momentan auf Landeplatz MI-6 direkt neben Gebäudekomplex Intel 3. Ich würde vorschlagen, Colin geht zur Analyseabteilung, wegen der letzten Bewertungen des Einsatzprofils und Tim besucht das Schiff und lässt sich dort einweisen.“

Beide erhoben sich simultan und so kam auch ihre Antwort.

„Jawohl, Sir.“

„Ah, ja, noch etwas. Lieutenant Sheldon?“

Tim bemerkte den erneuten Wechsel in der Anrede. Jetzt wurde es wirklich dienstlich.

„Sir?“

„Alles was sie soeben über den Hintergrund von Cadet Reinhardt gehört haben, ist geheim. Und wenn ich sage geheim, dann meine ich das auch so. Ich möchte auch nicht, dass ihr beide darüber sprecht wenn ihr nicht absolut sicher seid, dass ihr alleine seid. Habt ihr mich beide verstanden?“

„Jawohl, Sir.“


Auf dem Weg zum Landeplatz studierte Tim ein Blatt, das ihm die junge Dame am Center-Desk gegeben hatte. Es enthielt eine Auflistung aller Personalstellen auf dem Schiff, das hier mit SH-ARC-03 codiert war. Die Liste war recht übersichtlich. Es waren 18 Stellen ausgewiesen, vom Kommandanten bis zum Küchensoldaten. Darunter waren ein paar handschriftliche Eintragungen: Medic - 1 Arzt, ein oder zwei Sanis. Marines - 1 oder 2 Kommandoteams mit Leiter - Offizier ?

Anscheinend waren die handschriftlichen Eintragungen erst vor kurzem für ihren Einsatz angefügt worden. In die Tabelle oben waren nur wenige Namen eingetragen.

Timothy Sheldon – Kommandant. Wie das klang. Kommandant. Sein erstes eigenständiges Kommando. Und wenn er es versemmelte, garantiert auch sein letztes.

Colin Campbell – Einsatzleiter. Den brauchte er auch, der hatte mehr Ahnung von Bodeneinsätzen, außerdem … Tim wurde schon wieder etwas wärmer im Gesicht als er an Colin dachte.

Phillip Cameron – Pilot. Aha, die Piloten. In jeder Wache sollte ja ein Pilot fliegen, der Kommandant würde frei verfügbar bleiben.

Christoph deCoeur – Pilot. Der zweite Pilot.

Brandon Taylor – Waffenoffizier. Hmmm, höchst wahrscheinlich ein Marine mit der speziellen Gunnery-Ausbildung.

Die Namen der Techniker waren zwar alle vorhanden, aber handschriftlich durchgestrichen worden.

Darunter war der Vermerk: Muss vor Ort abgeklärt werden. Lediglich eine Zeile war nicht gestrichen worden:

Rupert Maxwell - Erprobungsingenieur. Schau, schau. Der nette Ensign von vorhin.

Gut eine Viertelstunde später stand Tim vor Landeplatz MI-6, oder besser, vor dem verschlossenen Hangar MI-6. Neben den üblichen Sicherheitseinrichtungen standen auch hier ein halbes Dutzend Marineinfanteristen in ihrer dunkelroten Kampfausrüstung vor dem Tor.

„Verzeihung, Sir, darf ich fragen wohin sie wollen?“

Aus seinen Gedanken gerissen sah Tim den 1st Lieutenant erstaunt an.

„Na, dort hinein.“

„Und darf ich fragen was sie dort drinnen wollen?“

Obwohl seine Geduld jetzt langsam zu Ende ging, sagte sich Tim, dass es wohl auch Marineinfanteristen und speziell Offiziere geben musste, die nicht so helle waren wie die, die er bisher kennengelernt hatte.

„Nun, ich dachte mir, ich könnte mich ein wenig darin umsehen. Das neue Schiff ein wenig besichtigen und schon mal meine Kammer einrichten. Die Kommandantenkammer.“

Am Anfang der kleinen Rede grinste ihn der 1st Lieutenant offen an, zum Ende hin wurden seine Gesichtszüge immer länger.

„Darf ich um ihre ID-Karte bitten.“

Damit wies der Marine auf ein Scannerfeld direkt neben einem kleinen Personentor. Tim ging hinüber und hielt die Karte vor den Scanner. Sofort erschien eine grüne Lampe über dem Tor und der Öffnungsmechanismus schwang die Tür nach innen. Ohne weiter auf die Wachen zu achten, trat Tim ein.

Der Hangar war hell erleuchtet. Direkt vor ihm lag das Schiff, das ihm kurz beschrieben worden war, von dem er sich aber kein Bild hatte machen können. Die Schiffe der Navy waren, bis auf die großen Träger, Standardmodelle, alle walzenförmig mit einem Längen/Durchmesser-Verhältnis von 5:1. Nicht ideal, aber deutlich kostengünstiger als andere Modelle, weil die Walzen bis zu einer bestimmten Größe in einer Art Fließbandverfahren gefertigt werden konnten.

Das hier war etwas ganz anderes. Der Rumpf war flach und breit, als ob man zwei Walzen nebeneinander verbunden hätte. Das Heck mit der Triebwerkssektion war hinten senkrecht abgeflacht. Der Bug war genauso halbkreisförmig gerundet wie die Seiten. An den Seiten angesetzt war jeweils eine weitere Sektion. Diese sahen so aus, als ob man eine verkleinerte Version des Rumpfes der Länge nach auseinandergesägt und jeweils an den Seiten angebracht hätte.

Tim schüttelte den Kopf. Ob sich das Ding vernünftig würde fliegen lassen?

„Kann ich Ihnen helfen, Sir?“

Tim wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Ensign Maxwell auf ihn zukam. Jetzt, als der Ensign vor ihm stand, konnte Tim erkennen, dass sie beide fast gleich groß waren. Die blonden Haare waren ziemlich kurz geschnitten, an den Seiten noch kürzer als auf dem Kopf. Statt der Dienstuniform trug der Ensign nun einen weißen Arbeitskombi mit den Dienstgradabzeichen auf den Kragenaufschlägen. Unbewusst sah Tim an Ensign Maxwell hinunter und bemerkte, dass der Arbeitskombi doch sehr körperbetont geschnitten war.

Tim räusperte sich verlegen und auch der Ensign, der seine Blicke bemerkt hatte, wurde etwas rot.

„Die müssen so sein. Damit man nirgends hängen bleibt.“

Beide dachten etwa zwei Sekunden über das Gesagte nach, dann wurden sie simultan rot. Tim räusperte sich schon wieder und sah Ensign Maxwell unschlüssig an.

„Wenn sie möchten, kann ich ihnen schon mal eine kurze Führung geben. Falls sie etwas Zeit haben natürlich.“

„Ja, gerne. Dabei können wir auch gleich die Personalprobleme erörtern.“

„Oh ja, Die Personalabteilung hat uns völlig überraschend und kommentarlos alle Leute abgezogen. Na ja, nicht alle. Da war ein etwas unhöflicher Captain von Intel hier, hat wilde Befragungen bei der Erprobungsbesatzung durchgeführt und - schwupps- waren fast alle verschwunden. Auf meine äh - eindringliche Nachfrage durfte ich bei einem Kommodore erscheinen, der mir sehr dubiose Angaben zum Auftrag, aber sehr eindeutige Informationen zur Personalauswahl gegeben hat. Erst vorhin bei dem Briefing hab ich den ganzen Hintergrund erfahren. Bin mal gespannt, ob die alles so hinkriegen, wie die sich das vorstellen und wen die als Chefingenieur schicken.“

Tim sah auf seine provisorische Besatzungsliste.

„Was ist denn ein Erprobungsingenieur?“

„Ein - was? Ach, so. Mein Dienstposten hier umfasst eigentlich die Auswertung der Erprobungsergebnisse und die erste Bewertung für die militärische Nutzung. Da das Schiff kein Kriegsschiff ist, darf kein Soldat Kommandant oder Chefingenieur sein, es sei denn er hat die zivilen Patente dafür. Für den Flugbetrieb hatten wir immer einen alten Werftingenieur vom Engineer Corps.“

„Hast du eigentlich eine Zulassung als militärischer Schiffsbetriebsingenieur.“

Ensign Maxwell lächelte leicht. Zum einen hatte er den Wechsel in der Anrede bemerkt, zum anderen schwang ein wenig Stolz in seiner Antwort mit.

„Jawohl, Sir. Abgeschlossenes Studium der Schiffsbetriebstechnik mit Berechtigung, um als Alleiningenieur ein Schiff technisch zu führen. Allerdings keine Typenberechtigung.“

„Welche braucht man denn für das Ding?“

„Keine Ahnung, ist ja ein Einzelstück.“

„Na, das klären wir später. Wie sieht’s jetzt aus mit einer Führung?“

„Gerne. Immer mir nach.“

„So, der Rumpf hat drei Hauptdecks. Wir sind hier im Ladedeck. Hier haben maximal acht Halbcontainer und zwei Landfahrzeuge Platz. Anstatt der beiden Fahrzeuge wahlweise ein Landepanzer der Marineinfanteristen. Im vorderen Teil sind zwei Lagerräume mit etwa 90 cbm je Raum“

Tim sah sich um. Der Laderaum war deutlich kleiner als der Rumpf von außen ausgesehen hatte.

„Was ist mit dem Rest?“

Ensign Maxwell lachte, dann deutete er auf die Rückwand.

„Gut zwei Drittel des Rumpfes werden von den Maschinenanlagen eingenommen. Sie können nur über die Schleuse im oberen Deck betreten werden. Gehen wir nach oben.“

Über eine schmale Doppeltreppe ging es ein Deck höher.

„Vorne sind die Buggeschütze untergebracht und zwei kleine Laderäume. Dann jeweils zu beiden Seiten Andockschleusen, Backbord 16 qm, Steuerbord 24 qm, ausgelegt auf 10 bzw. 16 Personen. In die große Steuerbordschleuse passt auch ein Halbcontainer. Beide Seiten sind jeweils mit einem Andockring versehen.“

Der Andockring war ein ziehharmonikaähnlicher Schlauch mit einer Standardkupplung die für alle Kriegs- und Handelsschiffe vorgeschrieben war. Trotz seines Namens hatte der Andockring einen quadratischen Querschnitt und bei Kriegs- und Polizeischiffen war der Kopf mit Trennlasern besetzt um sich auch ungebeten Zutritt verschaffen zu können.

„Weiter hinten ist das Schiffslazarett mit Behandlungsraum, Krankenzimmer, OP-Raum, Labor und den Wohnräumen des San-Personals.“

Tim machte auf seinem Blatt eine Bemerkung über das San-Personal.

„Übrigens, der Doktor hat schon angerufen. Ein Oberstabsarzt vom Medical Corps. Er wusste schon Bescheid über unseren Spezialauftrag und hat gesagt, er bringt sein eigenes Personal mit. Wohl zwei Rettungssanitäter, oder sowas.“

Tim nahm sein Blatt und strich die Bemerkung über das San-Personal wieder durch. Oberstabsarzt? Also Lieutenant Commander bei der Navy. Die schienen nicht gerade den Unerfahrensten zu schicken.

„Was uns wirklich fehlt, sind die Jungs von der Logistik. Ich will nicht unterwegs verhungern, oder was genauso schlimm wäre - uns gehen die Ersatzteile aus.“

Tim lachte. Dann machte er wieder kurz eine Bemerkung auf seinem Blatt.

„Und was jetzt?“

„Noch ein Deck höher.“

„So, hier ist das Wohndeck mit den Unterkunftsräumen, der Cafeteria, der Kombüse und dem Verpflegungslager.“

Tim sah sich kurz um. In der Cafeteria hatten an vier Tischen zu jeweils sechs Plätzen 24 Mann gleichzeitig Platz. Das würde ganz schön eng werden. Als ob er seine Gedanken gelesen hätte blickte sich Ensign Maxwell ebenfalls um.

„Ganz schön eng, aber ursprünglich waren die Marineinfanteristen ja auch nicht eingeplant gewesen. Die Besatzung sollte ja nur 18 Mann betragen, den einen Tisch haben wir zusätzlich reingezwängt. Aber jetzt zum Besten vom Ganzen.“

Über dem Wohndeck außerhalb des eigentlichen Rumpfes war ein langgestreckter kuppelförmiger Bau aufgesetzt worden.

„Das sogenannte Kommandodeck. Im vorderen, halbrunden Teil die Brücke mit allen Steuerelementen, dahinter die Unterkünfte für Kommandant und Ersten Offizier. Ebenso zwei weitere Wohnräume. Der eine war ursprünglich als Büro, der andere als Waffenkammer für die Handwaffen geplant.“

Tim sah kurz in die Kommandantenkammer. Doch schon etwas luxuriöser als seine letzte Unterkunft an Bord.

„Bleibt nur noch das Problem mit der Besatzung. Hast du eine Idee, was wir da machen könnten?“

„Ich hab dem Captain, der wegen der Befragungen hier war, ein paar Namen genannt, was die Techniker betrifft. Könnten welche bei sein, die sich nicht als große Arschlöcher rausstellen. Beim Rest, keine Ahnung. In der kurzen Zeit kann man sowieso nur auf Torchwood zurückgreifen, oder auf die Einheiten, die zufällig gerade hier sind. Leider sind hier hauptsächlich nur Marines in den Ausbildungslagern und einige Techniker des Engineer Command. Die Logistiker haben hier zwar ein riesiges Depot, aber ich weiß nicht, wie viel Personal.“

Aus einem der Räume hinter ihnen kam ein lautes Geräusch, dann ein Fluch. Langsam kam ein schlanker, dunkelhaariger junger Mann in einem schwarzen Arbeitskombi aus dem Raum und rieb sich den linken Unterarm.

„Ah, das ist Chief Petty Officer Sanders, der einzige verbliebene Techniker. Philipp, das ist Lieutenant Sheldon, unser neuer Kommandant.“

„Guten Abend, Sir.“

Schüchtern schüttelte Chief Sanders die angebotene Hand, während Ensign Maxwell in den Raum sah, aus dem der Chief gekommen war.

„Was machst du eigentlich noch hier?“

„Ich versuch mich an den Energiekupplungen für die Funkanlage. Ohne Energietechniker ist das alles ein wenig schwierig.“

„Ich hoffe, bis morgen früh haben wir das Personal, das wir brauchen. Ach so, ja, Ensign Maxwell, so ungerne ich es sage, aber ich möchte das Schiff innerhalb der nächsten 24 Stunden startklar haben. Einen Ersten Offizier kann ich ihnen wahrscheinlich erst morgen früh schicken.“

Rupert Maxwell starrte den Lieutenant mit erhobenen Augenbrauen an. Dann runzelte er die Stirn und sein Blick schien in die Ferne zu gehen. Augenblicke später sah er Tim Sheldon an.

„Jawohl, Sir. Startklar morgen Abend 2000h.“


Als Tim seine Unterkunft erreichte, war es nach neun. Kaum hatte er seine Tür erreicht, als nebenan die Tür aufging und Colin herausschaute.

„Ich weiß, es ist spät, aber kannst du mal kurz reinkommen?“

„Zum Arbeiten!“ setzte er hinzu, als er Tims grinsendes Gesicht sah.

Colin setzte sich vor seine Multifunktionskonsole und tippte ein paar Befehle ein. Tim nahm sich einen Stuhl und setzte sich daneben.

„So, die Marineinfanteristen sind komplett bis auf ein Fragezeichen. Ensign Cameron ist vor ein paar Minuten eingetroffen. 1st Lieutenant Taylor ist in etwa einer Stunde hier. Mit Ensign deCoeur wird es eng werden, ich hoffe er schafft es rechtzeitig. Ich habe durch eine gute Bekannte beim Logistik Corps noch einen Nachschubunteroffizier geschossen. Dann sind durch die Personalabteilung der Navy noch einige Vorschläge für die Brückenbesatzung reingekommen. Am besten du siehst dir die Auditions kurz an und triffst eine Entscheidung.“

„Puh, wenn’s denn sein muss. Was ist denn mit deinem Fragezeichen?"

Colin lachte.

„Du glaubst es nicht. Erinnerst du dich an den kleinen Felidaner aus der Truppenküche?“

„Was, der auch? Hätte nicht gedacht, dass der in Frage kommt.“

„Hey, was soll das heißen? Felidaner sind die besten Nahkampfspezialisten, die ich je gesehen habe. Sein Problem, wie bei etlichen anderen, ist die Frage sieben, achte Mal drauf.“

Ein kurzer Film lief ab mit zehn Fragen für den Delinquenten. Die ersten hatte er ohne zu zögern beantwortet, doch Frage sieben hatte es in sich.

„Wären Sie bereit, ihre Homosexualität öffentlich zur Schau zu stellen?“

Erst ein Zögern, doch dann kurz, knapp und laut „Jawohl!“

Tim schossen gerade ein paar Gedanken durch den Kopf.

„Nimm ihn. Ich glaube, wir haben dann auch gleich einen Smutje geschossen.“

Colin sah Tim grinsend an. „Sausack.“

Tim musste sich zur Konzentration zwingen um alle offenen Auditions abzuarbeiten. Dann fügte er noch seinen eigenen Vorschlag für die Logistik ein: Seaman David Florent. Den vollen Namen hatte er aus der Personalübersicht der Truppenküche. Nach über einer Stunde schloss er den Bildschirm. Jetzt waren Andere gefragt, die Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen.

„So, jetzt bin ich wirklich müde.“

„Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben.“

Tim zögerte. Er war sich nicht sicher, wie weit er gehen wollte und er wollte Colin auch nicht vor den Kopf stoßen.

„Keine Angst, Kleiner. Ich bin ebenfalls müde. Lass uns einfach nur schlafen, Platz ist genug für beide.“

Tim sah hinüber zu dem großen breiten Bett, das zur Standardausrüstung für Offiziersunterkünfte zählte.

Kurz entschlossen nickte er Colin zu. Dieser verschwand kurz in seiner Nasszelle. Als er wieder herauskam, hatte er nur noch ein paar schwarze Boxerbriefs an. Das schwarz kontrastierte stark zu seiner hellen Haut und der Spur hellroter Haare, die bis in die Shorts herunterliefen. Tim schluckte schwer und wurde knallrot als er bemerkte, wohin er so offen starrte. Schnell verschwand er in der Nasszelle.

Als er wieder herauskam lag Colin bereits im Bett. Jetzt trug Tim ebenfalls nicht mehr als ein Paar knallgrüne Boxerbriefs, die trotz gegenteiliger Bemühungen ganz schön ausbeulten. Colin bemerkte erstaunt, dass Tims Gestalt zwar etwas schmal war, aber die Muskeln waren ausgeprägt und er hatte ein deutliches Sixpack. Die Haut war dunkler als seine, kein Wunder, und kontrastierte wunderschön zu den goldblonden Haaren.

Tim schlüpfte unter die Decke und drehte sich zu Colin.

„Gute Nacht, großer böser Marine.“

„Gute Nacht, mein kleiner Held.“

Vorsichtig beugte sich Colin herüber und gab Tim einen leichten Kuss. Tims Arm umfasste Colins Hals und zog ihn näher. Der Kuss wurde intensiver bis sich beide langsam voneinander trennten.

Colin seufzte, dann drehte er sich zurück auf den Rücken.

„Beleuchtung – AUS!“

Schlagartig erloschen die Lichter in Colins Unterkunft.


Die Nacht war wirklich kurz und gegen 0500h schlurfte Tim hinüber in seine Unterkunft um festzustellen, dass sein Gepäck tatsächlich eingetroffen war. Erfreut und erstaunt bemerkte er auch, dass sowohl sein Dienstanzug als auch die Paradeuniform inzwischen mit den neuen Dienstgradabzeichen versehen worden waren. Vorsichtshalber hatten sich Tim und Colin darauf geeinigt, am heutigen Tag die Arbeitskombis zu tragen. Tim zögerte etwas, doch dann zuckte er mit den Schultern. Was soll’s, die Arbeitskombis waren so gut wie jeder andere Anzug.

Eine halbe Stunde später war er mit Colin unterwegs zum Frühstück. Gegen Ende des Essens summte Colins Multikom-Armband. Er sah auf die Nachricht und bestätigte mit einem Tastendruck.

„Nun?“

„0630h beim Alten. Manchmal glaub ich, der schläft überhaupt nicht.“

Punkt 0630h standen sie vor der Bürotür und Colin öffnete ohne Anzuklopfen.

„Ist ein Vorteil, wenn man Adju ist“, grinst er.

Der Admiral war alleine in seinem Zimmer. Er stand in seiner dunkelgrünen Paradeuniform mit allen Orden und Ehrenzeichen neben dem Schreibtisch. Quer über einer Aktenablage hatte er den Säbel drapiert. Das auffälligste aber war das dunkelblaue Ordensband mit den goldenen Einfassungen das über der rechten Schulter lag und unten auf der linken Seite von einem großen goldenen Stern zusammengehalten wurde.

Tim kramte in seinem Gedächtnis. ‚Höfische Sitten und Gebräuche‘ war im Space Cadet Corps wohl das unbeliebteste Fach überhaupt. Der stellvertretende Direktor Sir William Hurst gab höchstselbst den Unterricht.

Gentlemen, ich bitte sie um Ruhe. Es sollte selbst sie interessieren, wie sie sich bei Hofe und insbesondere in Anwesenheit seiner allerhöchsten Majestät des Königs zu verhalten haben. Es gibt eine festgelegte Rangfolge für Besucher bei einer Generalaudienz, die auf seinem gesellschaftlichen Rang, seinem Adelstitel und seinen politischen Ämtern beruht. Ich werde ihnen das Handbuch der Hofetikette ersparen, da es über 400 Seiten stark ist und rund 150 Anhänge hat.“

Das kollektive erleichterte Aufstöhnen quittierte Sir William mit einem leichten Stirnrunzeln.

Oder vielleicht doch nicht? Nun, denn. Für sie am interessantesten ist wohl, dass sie bei Verleihung einer militärischen Auszeichnung ebenfalls in besagtes System eingereiht werden. Je nach Höhe der Auszeichnung rückt man weiter nach vorne in der Liste. So kann - ich wiederhole - kann es schon einmal vorkommen, dass ein Offizier unserer glorreichen Streitkräfte sich neben einem Ritter oder gar einem Grafen wiederfindet.“

Auf das Handzeichen eines der Jungen nickte Sir William huldvoll.

Wie kommt man denn ganz nach vorne, Sir?“

Etwas verärgert wegen der vorwitzigen Fragestellung sah Sir William auf den Delinquenten herab.

Das werden sie bestimmt nicht erleben. Die höchste militärische Auszeichnung, das Kings Cross, rangiert direkt hinter dem König und der königlichen Familie.“

Schlagartig wurde es ruhig in der Klasse und alle Schüler sahen hinüber zu der Wand, an der die Ausdrucke der Orden und Ehrenzeichen hingen. Unter dem Kings Cross waren knapp vierzig Namen verzeichnet und jeder einzelne war mit einem dicken schwarzen Kreuz am Ende versehen.

Tim wurde vom Admiral aus seinen Erinnerungen gerissen.

„Guten Morgen. Es gibt mal wieder eine kleine Planänderung heute. Zumindest für mich. Irgendein schwindliger Senator aus dem Haushaltsausschuss möchte mal wieder wissen, wo sein Geld abgeblieben ist. So was nennt sich dann Besuch bei der Truppe. Als Dienstältester Offizier auf Torchwood obliegt mir der Empfang und das ganze Brimborium mit dem Protokoll.“

Tim konnte es kaum glauben.

„Hat das Auswirkungen auf unsere Arbeit?“

„Nein. Heute Vormittag sollten die Transpondercodes für euer Schiff fertig werden. Ab etwa 1300h können die hier in meinem Büro abgeholt werden. Dazu müsste ich dann allerdings vorher wissen, wie das Schiff denn heißen soll.“

Völlig verdattert und ratlos sah Tim zu Colin hinüber, der wieder mal die Schultern zuckte.

„Nun, SH-ARC-03 kann es ja nicht heißen bei diesem …“

„GOLDEN BOY!“, platzte es aus Tim heraus. Die beiden Campbells sahen ihn erstaunt an.

„GOLDEN BOY? Etwas ungewöhnlich für ein … Nein, es ist ja eigentlich kein Kriegsschiff.“

„Wie auch immer. Ich hoffe, ich werde den Senator wieder rechtzeitig los. Aber ich habe da vorher noch etwas zu erledigen.“

Der Admiral nahm ein Blatt von seinem Schreibtisch und drehte sich wieder nach vorne.

„Anwesende stillgestanden.“

„Im Namen seiner Majestät König Simon des XLVII. ernenne ich den 1st Lieutenant Colin Montgomery Campbell mit sofortiger Wirkung zum Captain des Royal Marine Corps. Gegeben am 31.07. des 6. Jahres der königlichen Regierung.“

„Anwesende rührt euch.“

Admiral Campbell trat auf seinen Sohn zu und umarmte ihn.

„Herzlichen Glückwunsch. Du hast es dir verdient.“

Colin sah seinen Vater sprachlos an. Er wollte etwas sagen, fing aber nur an zu stottern. Tim erlöste ihn, indem er ihn ebenfalls umarmte, seinen Kopf ein wenig herunter zog und ihm

„Herzlichen Glückwunsch, großer böser Marine“, ins Ohr flüsterte.

Dann gab er ihm einen Kuss. Der Kuss schien sich wohl etwas hinzuziehen, denn der Admiral räusperte sich.

„Habt ihr eigentlich nichts zu tun?“

„Doch, Sir.“

„Jawohl, Sir.“

„Sofort, Sir.“

Zehn Sekunden später standen sie vor der Bürotür.

„Was jetzt?“

Colin überlegte.

„0700h ist Dienstbeginn bei den Marineinfanteristen. Ich wollte, wenn es geht, vorher noch mit dem Offizier sprechen.“

„Ich werde dich begleiten, übrigens, falscher Dienstgrad, Captain.“

Damit deutete Tim auf Colins Haftpad auf dem Arbeitskombi. Colin zog es ab und ging damit zum Center-Desk. Kurze Zeit später kam er mit dem korrekten roten Abzeichen mit den zwei goldenen Balken wieder.

„Haben die die Dinger auf Vorrat?“

Colin lachte.

„Nein, nicht direkt, aber hier auf der Etage gibt’s schon mal öfter Beförderungen.“


Der Offizier der Marineinfanteristen wartete bereits in einem kleinen Büro neben einer der Trainingshallen, die zu dem Unterkunftskomplex gehörten. Nervös tigerte er auf und ab und fragte sich zum wiederholten Mal, ob er nicht einen großen Fehler gemacht hatte. 2nd Lieutenant Scion Rhyder war erst vor einem Jahr zum Offizier befördert worden und während dieser Zeit als Zugführer in einer Raumlandekompanie eingesetzt gewesen.

Es war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass das Marine Corps wusste, dass er schwul war. Erst bei der Befragung gestern war ihm klar geworden, dass das Versteckspiel, das er betrieben hatte, eine große Selbsttäuschung war. Keine engen Kontakte zu Kameraden, keine Auffälligkeiten. Lediglich die Heimaturlaube auf Talavann II hatte er für ein paar Barbesuche und ein paar One-Night-Stands genutzt. Die vorgesetzten Dienststellen schienen kein Problem damit zu haben, einige seiner Kameraden schon. Er hatte das Verstecken gründlich satt. Vielleicht würde ja …

Als die Tür sich öffnete, sah er zwei Offiziere hereinkommen, einen Lieutenant der Navy und einen Captain der Marineinfanteristen. Er war gespannt was sie zu sagen hatten.

Als Colin eintrat, sah er einen Offizier im Dienstanzug mit dem einzelnen roten Rautenstreifen eines 2nd Lieutenant, der ihm etwas unruhig entgegensah. Erstaunt drehte sich Colin um und blickte zu Tim, dann wieder zu dem jungen Marine. Wenn Tim einen jüngeren Bruder gehabt hätte, würde er jetzt vor ihm stehen. Ebenfalls um die 1,80m groß, schlank und die gleichen weizenblonden Haare und blauen Augen. Nur das Gesicht zeigte einen leichten Unterschied. Während Tims Gesichtszüge schon etwas markanter waren, waren diese hier anscheinend in einer jugendlichen Phase stehen geblieben.

Verdammt‘, dachte Colin ‚das wird hoffentlich nicht ein einziger Kindergarten‘.

„Guten Morgen, Lieutenant. Ich bin Captain Campbell, ihr neuer Einsatzleiter und das ist Lieutenant Sheldon, unser neuer Kommandant.“

2nd Lieutenant Rhyder zuckte zusammen und seine Hand fuhr salutierend nach oben.

„Guten Morgen, Sirs. 2nd Lieutenant Scion Rhyder, versetzt von der 2. Kompanie Raumlandebataillon 1, 12. Raumlandedivision, zu Analysis und Statistics.“

„Ja, danke, Lieutenant. Aber setzen wir uns doch, ich habe ihnen einiges zu erklären.“

Tim grinste innerlich. Da war sie wieder, die Konfusion mit den Dienstgraden. Ob 1st oder 2nd Lieutenant, im Sprachgebrauch waren sie alle einfach Lieutenant. Obwohl der Dienstgrad eigentlich gar nichts mit dem Lieutenant der Navy zu tun hatte, der auch noch eine Stufe über den beiden stand.

Tim konzentrierte sich wieder auf die kurze Ansprache die Colin hielt.

Innerhalb von gut zehn Minuten gab Colin einen Abriss über die Ereignisse, ohne zu stark den Hintergrund zu beleuchten, mit Schwerpunkt auf die Aufgaben, die Tarnung, das Durchführungsszenario und das Auswahlkriterium für das Personal.

„Dann kann ich ja fast alles vergessen was ich gelernt habe.“

„Ganz im Gegenteil. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Operation. Sie und ihre Leute müssen getarnt auftreten, selbstsicher auftreten, wenn nötig freizügig auftreten und dennoch eine militärische Operation durchführen zur Extraktion einer bestimmten Person, Befreiung von Gefangenen, Sicherstellung von Informationen und wenn möglich, Gefangennahme von Verbrechern. Ach so, ja richtig, die Operation startet in etwa 12 Stunden.“

„Was? Zwölf Stunden? Die Leute kennen sich erst seit ein paar Minuten“

Die Stimme von 2nd Lieutenant Rhyder klang etwas gestresst.

„Sie haben richtig gehört. Und jetzt hätte ich gerne ihre ruhmreiche Truppe gesehen.“

Wortlos wies der junge Marine mit der Hand zu einer zweiten Tür im Hintergrund des Raumes. Als die drei Offiziere in den Raum eintraten, fuhren sechs Marines in ihren hellgrünen Dienstuniformen von ihren Stühlen hoch und nahmen Haltung an. Sie saßen hier seit etwa einer Viertelstunde und hatten mehr oder weniger schweigsam über ihr Schicksal gegrübelt, das sie hergeführt hatte.

Tim bemerkte bei seinem kurzen Rundblick die auffallende Gestalt des jungen Felidaners, den sie in der Truppenküche bereits getroffen hatten. Seinem erstaunten Blick nach zu urteilen, hatte auch er sie wiedererkannt.

2nd Lieutenant Rhyder sah sich unsicher um, dann entschied er, sich erst einmal streng an die Dienstvorschriften zu halten.

„Abteilung, rührt Euch!“

„Meine Herren, dies ist Lieutenant Sheldon, unser neuer Kommandant und dies ist Captain Campbell unser Einsatzleiter. Ich möchte ihnen einen kurzen Abriss über die weitere Planung geben, nehmen sie bitte wieder Platz.“

Die Marines sahen sich unsicher an. Dies war definitiv nicht das übliche Verfahren für eine Einsatzbesprechung.

„Wie ich soeben erfahren habe, wartet auf uns eine Aufgabe, die mit nichts vergleichbar ist, was das Marine Corps bisher geleistet hat. Ich werde ihnen einen kurzen Überblick geben …“

Innerhalb von zehn Minuten gab der junge Offizier seinen Leuten einen genauen Abriss über den geplanten Einsatz, der fast wörtlich mit dem übereinstimmte, was Colin vorher erklärt hatte, inklusive der Ansprache über Motivation und den Operationsbeginn. Dann wurde 2nd Lieutenant Rhyder etwas leiser.

„Meine Herren, ich weiß, dass sie gefragt wurden ob sie ihre Homosexualität öffentlich machen wollen. Sie alle haben ausnahmslos zugestimmt, sonst wären sie nicht hier. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass dazu in bestimmten Situationen eine gewisse körperliche Freizügigkeit kommen könnte, sprich möglicherweise eine Situation, in der sie ohne Bekleidung handeln müssten. Jeder von ihnen kann sich jetzt noch überlegen, diese Truppe und diesen Raum zu verlassen.“

Colin sah Tim erstaunt an, aber der ließ keine Regung erkennen, während er reihum die Soldaten musterte.

Es vergingen einige Sekunden ohne dass sich irgendjemand gerührt hätte, doch dann hob Private Yeats eine Hand.

„Verzeihung, Sir. Ich habe eine Frage.“

„Ja, bitte.“

„Wenn ich das richtig verstanden habe, sollen wir in wenigen Stunden als Team zusammen einen Undercovereinsatz starten, in dem wir möglicherweise sowohl geistig wie auch körperlich die Hosen herunterlassen sollen.“

Private Yeats ließ sich durch das aufkommende Kichern ringsum nicht ablenken.

„Ich bin es inzwischen gewohnt, wenn ich mit vielerlei Blicken bedacht werde. Manche neugierig, manche abschätzend, einige sogar verächtlich. Dazu dann die scheinbar harmlosen Fragen, zum Beispiel, wie lang denn mein Schwanz wäre.“

Auf das erneute Kichern sah Robin Yeats sich mit zusammengekniffenen Augen um.

„Erstens heißt das Schweif und zweitens sind das 82 Zentimeter.“

Dann senkte Robin den Kopf, fuhr aber weiter laut und deutlich fort.

„Unser Team hier hat nur wenig Zeit, sich persönlich kennen zu lernen und deshalb möchte ich gerne diese Phase etwas abkürzen. Vielleicht werden ja schon die ersten Fragen oder Vorurteile dadurch beantwortet.“

2nd Lieutenant Rhyder runzelte die Stirn.

„Was genau haben sie vor?“

„Das, was in dem Anforderungsprofil von mir unter anderem erwartet wird. Ich möchte den Anwesenden gerne einen Felidaner zeigen. Sozusagen, das ganze Fell.“

„Sie wollen sich ent… äh?“

„Jawohl, Sir.“

Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, war Private Yeats aufgestanden und legte bereits seine Jacke ab.

Als 2nd Lieutenant Rhyder etwas sagen wollte, legte ihm Tim Sheldon eine Hand auf die Schulter und er verstummte.

Innerhalb kurzer Zeit war der Felidaner splitternackt. Dann kam er um den Tisch herum, stellte sich mitten auf die freie Fläche des Raumes und drehte sich langsam im Kreis.

Bei diesem Gesamteindruck konnte Tim deutlich ein weiteres markantes Merkmal eines Felidaners bewundern, den gut 80 cm langen Schwanz - sorry, Schweif - der leicht hin und her schwankte und unbewusst zuckte. Fasziniert beobachtete Tim die eleganten Bewegungen des Felidaners, bis ihm klar wurde, dass er eindeutig zu lange auf den Hintern oder den Schweif – oder beides – gestarrt hatte.

Als Private Yeats seine Drehung beendet hatte, gab es kurzes Schweigen, doch dann stand ein weiterer Marine auf. Dem Namensschild nach war es Private Corey Price, der Jüngste der Besatzung, wie Colin aus seiner neuen Liste wusste.

„Okay, Mut und Tapferkeit kann man also nicht nur auf dem Schlachtfeld zeigen. Ich finde es nur Gerecht, wenn er nicht alleine in diesen Kampf zieht.“

Damit begann der blonde Junge mit dem schüchternen Lächeln ebenfalls seine Uniform abzulegen.

2nd Lieutenant Rhyder lief rot an und sah auf die Tischplatte.

„Lass sie einfach machen. Niemand hat sie gezwungen“, hörte er Tim Sheldon neben sich flüstern.

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis alle sechs Marines nackt wie am ersten Tag nebeneinander im Raum standen.

Scion Rhyder sah sie der Reihe nach an, verfluchte sich innerlich als einen der größten Feiglinge der Flotte, dann kam er zu einem Entschluss. Mit einem leisen ‚Zum Teufel mit den Dienstvorschriften‘ begann auch er seine Uniform abzulegen.

Tim und Colin sahen sich an. Sie waren ebenfalls aufgestanden und sahen an der Reihe entlang. Colin schüttelte ungläubig den Kopf. So etwas hatte er noch nie erlebt. Sein Gedanke von vorhin schoss ihm durch den Kopf, die Bemerkung über den Kindergarten. Nun, ein Kindergarten war das ganz gewiss nicht mehr, aber es erinnerte ihn sehr an eine Highschoolklasse. Eine Highschoolklasse aus dem Fitness-Center.

2nd Lieutenant Rhyder ging an seinen Leuten vorbei hinüber zu Lieutenant Sheldon. Er hoffte inständig, dass er das Richtige getan hatte. Auf dem Weg bemühte er sich krampfhaft, den Leuten ins Gesicht zu sehen und nicht seinen Blick schweifen zu lassen. Als er an dem Felidaner vorbeikam, konnte Scion seine Neugier nicht mehr zügeln und sah einmal komplett hinunter. Tatsächlich, das gefleckte weiße Fell bedeckte den gesamten Körper. Lediglich das Gesicht, Hände, Füße und die Genitalien waren ausgenommen.

2nd Lieutenant Rhyder stellte sich wie auf dem Paradeplatz drei Schritte vor Tim auf, nackt wie am ersten Tag. Deutlich erkannte Tim eine stattliche Erektion. Sechs nackte Marineinfanteristen waren anscheinend nicht spurlos an dem jungen 2nd Lieutenant vorübergegangen. Und nicht nur an ihm, wie man im Hintergrund sah.

„Sir, ich melde die Spezialabteilung klar zum Einsatz.“

Tim starrte ihn an und sein Blick wanderte automatisch tiefer. Colin neben ihm musste sich umdrehen und dann losprusten. Von den Marineinfanteristen im Hintergrund kamen die ersten Kichergeräusche.

„Vielen Dank, Lieutenant.“

Tim überlegte. ‚Rührt Euch‘ wäre jetzt wahrscheinlich sinnlos gewesen.

„Anziehen, weitermachen.“

„Jawohl, anziehen, weitermachen!“

2nd Lieutenant Rhyder drehte sich um und ging zurück zu seiner Truppe. Tim sah ihm hinterher und spürte einen leichten Schlag am Hinterkopf.

„Hey, was soll das.“

„Du hast ihm auf den Hintern gestarrt.“

Tim griff nach Colin und zog seinen Kopf herunter zu einem langen Kuss.

Von den Marineinfanteristen kamen die ersten erstaunten Ausrufe, dann Beifallsrufe und Pfiffe.

Scion Rhyder kam jetzt wieder ordnungsgemäß bekleidet zu Tim und Colin.

„Es tut mir leid Sir, aber es hat sich einfach so ergeben und ...“

Impulsiv trat Tim einen Schritt vor und umarmte kurz den verblüfften Offizier.

„Ein interessanter Anfang, Scion. Ein Bisschen sehr ungewöhnlich, aber immerhin. Ich habe das unbestimmte Gefühl, das wir mit den Jungs einen guten Fang gemacht haben.“

Der überraschte junge Mann bemerkte die Anrede mit seinem Vornamen und wurde knallrot. Was sich fast noch verschlimmerte als auch Colin ihn umarmte und ihm dann auf die Schulter klopfte.

„Wir beide müssen uns noch mal unterhalten. Ich habe da einige Ideen für unser Szenario und das dazugehörige Outfit.“

„Ja, gerne, Sir.“

„Colin, ich heiße Colin. Wenn alle wieder korrekt bekleidet sind, können sie sich einmal kurz vorstellen, wird ja nicht lange dauern.“

„Ja, gerne. So, Leute! Alle wieder hinsetzen. Es geht weiter. Eine kurze Vorstellungsrunde. Ich fange an.“

Als alle Platz genommen hatten, sah Scion Rhyder kurz in die Runde und nickte dann.

„2nd Lieutenant Scion Rhyder. 22 Jahre alt, seit vier Jahren im Royal Marine Corps. Letzter Einsatz als Zugführer in einer Raumlandekompanie der 12. Raumlandedivision.“

Aufmunternd nickte Scion Rhyder dem nächsten Soldaten zu.

„Corporal Seth Reins. 21 Jahre alt. Ich stamme von Odalis III. Seit drei Jahren Marine, ausgebildeter Handwaffenspezialist, sowohl Schießlehrer als auch Handwaffenmechaniker.“

Colin konnte durch den Hinweis auf Odalis III jetzt auch die hellbraune Hautfarbe mit den schwarzvioletten Haaren zuordnen.

„Private First Class Noah Kantalidis. 20 Jahre alt. Seit zwei Jahren bei den Marines. Fernmelder und Fernmeldeelektroniker.“

„Private Leo vanBerg, von Safira II. 19 Jahre alt. Seit etwa anderthalb Jahren Marine. Nahaufklärer und Analysehelfer.“

Tim pfiff leise durch die Zähne. Die helle Haut und die strohblonden Haare hatten keinen Aufschluss gegeben, aber Safira II war relativ weit von seiner Sonne entfernt. Die Bewohner bekamen wenig Strahlung und somit auch wenig Licht. Sie galten auf anderen Planeten als Nachtsichtig. Die Ausbildung zum Analysehelfer war eine Vorausbildung für den Intelligence Service.

„Corporal Andrew Fraser, 20 Jahre alt. Seit zwei Jahren Marine. Ausbildung zum Elektroniker. Spezialist für Gefechtsfeldscanner und IT-Kriegsführung.“

Corporal Fraser war mit mehr als 1,90m der größte Soldat dieser Einheit und mit seinen hochroten Haaren wohl auch der auffälligste.

„Private Robin Yeats, 19 Jahre alt, von Charon III, aus dem Clan Leo. Seit anderthalb Jahren bei den Marines, Nahkampfspezialist und Nahkampfausbilder.“

Den Hinweis auf Charon III hätte es nicht bedurft. Der Planet war den Felidanern nach ihrer Befreiung als exklusiver Siedlungsplanet zur Verfügung gestellt worden. Dass sich Felidaner in Clans zusammenfanden, war für Tim neu.

„Private Corey Price, 18 Jahre alt und seit einem Jahr dabei. Scharfschütze.“

Tim hob erstaunt die Augenbrauen. Der hellblonde Junge mit dem unschuldigen Gesicht hatte einen der gefährlichsten und wohl auch psychisch fordernsten Jobs der Marines.

Colin nickte erfreut. Fast das gesamte Einsatzspektrum war abgedeckt für einen so kleinen Trupp.

Tim erhob sich und nach ihm alle Anwesenden.

„Meine Herren, ich danke ihnen. Das war es vorerst von meiner Seite.“

Tim nickte 2nd Lieutenant Rhyder zu und der schickte mit einer Handbewegung seine Leute nach draußen.

Colin drehte sich noch einmal um.

„Private Yeats! Einem Moment noch, bitte.“

„Jawohl, Sir.“

„Private Yeats – ahemm… Robin, richtig?“

Der junge Soldat nickte, seine Pupillenschlitze verengten sich und die Ohren stellten sich auf.

„Also, dass du keine Probleme damit hast, keine Bekleidung zu tragen, haben wir gesehen, aber was ist mit einer ahhh… speziellen Bekleidung?“

Die Pupillenschlitze verengten sich weiter und die Ohren stellten sich langsam nach hinten. Instinktiv fasste Robin sich mit der rechten Hand an den Hals.

Verdammt, der Junge weiß, was ich von ihm will und es gefällt ihm gar nicht‘.

Plötzlich ging ein Ruck durch den Felidaner. Er sah Colin direkt ins Gesicht.

„Es ist ehrlos.“

Colin nickte. „Du wirst deine Gelegenheit bekommen. Du wirst nicht ehrlos zurückkehren.“

„Gut, dann werde ich es tun.“

Mit einer schwungvollen Kehrtwendung verschwand der Felidaner.

„Was war das jetzt?“

„Ich wollte von ihm wissen, ob er Halsband und Leine tragen würde.“

Tim atmete hörbar ein.

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“

Colin nickte.

„Ich musste fragen und er hat zugestimmt. Für den Preis, von der Ehrlosigkeit eines Halsbandes befreit zu werden.“

„Und was ist der Preis?“

„Er muss einen Gegner im Nahkampf töten.“

Tim sah Colin erstaunt an.

„Seit wann bist du Spezialist in felidanischer Kultur?“

„Seit ich mir damit die halbe Nacht um die Ohren geschlagen habe, während du langweilige Personalakten gewälzt hast.“

2nd Lieutenant Rhyder sah prüfend seiner Truppe hinterher.

„Ich werde noch mal mit ihm reden. Er muss es nicht machen.“

„Nein, aber wir müssen, und zwar schnell weiter. Terminplan drängt.“

„Okay, ich muss die weitere Planung besprechen. Bis nachher.“

Diesmal überraschte Scion Rhyder Colin Campbell. Schnell trat er auf den Lieutenant zu, streckte sich etwas und gab ihm einen schnellen Kuss auf die rechte Wange. Dann sprintete er seinen Männern hinterher.

„Huh, was war das denn?“

„Heldenverehrung.“


Die drei Offiziere waren so unterschiedlich, wie sie nicht unterschiedlicher hätten sein können.

Als Tim und Colin den Besprechungsraum betraten, sprangen alle drei auf. Sie hatten sich locker um den Konferenztisch verteilt und sahen erwartungsvoll zur Tür. Ganz links stand ein 1st Lieutenant der Marineinfanteristen und Tims Augen wurden groß. Ein zweiter Felidaner. Fast noch größer als Colin und mit breiten Schultern. Soweit zu sehen war, hatte er rotbraunes Fell mit hellgelben Streifen und rostrote Haare.

Daneben stand ein kleiner, zierlicher, schlanker Ensign der Navy mit dunkelblonden, nach vorne gestylten Haaren, die wohl gerade noch so der Dienstvorschrift entsprachen.

Ganz rechts ein weiterer Ensign der Navy, etwa 1,80 groß, kräftig gebaut, hatte er dunkelblonde Haare und graue Augen, die etwas unsicher hin- und herwanderten.

„Guten Morgen, meine Herren. Ich bin Lieutenant Sheldon, ihr neuer Kommandant. Dies ist Captain Campbell, unser Einsatzleiter. Wir sind hergekommen, um etwas Licht in ihre Dunkelheit zubringen.“

Innerhalb von etwas mehr als zehn Minuten spulte Colin die Rede ab, die er auch den Marineinfanteristen gehalten hatte.

Nach der Ansprache sahen sich alle drei Offiziere schweigend an.

„Möchte jemand nicht an diesem Einsatz teilnehmen?“

Der Felidaner sah Tim an und seine Ohren legten sich nach hinten.

Tim sah zu ihm herüber und lächelte kurz.

„Ich zweifle nicht an ihrer Tapferkeit, aber dies hier ist etwas anderes, etwas mehr persönliches. Ich werde jetzt mal kurz etwas vorlesen. Es ist ihr offizieller Werdegang und ich werde ihnen sagen, warum Sie ausgewählt wurden. Sie erzählen mir dann, warum sie trotz aller widrigen Umstände hier bleiben wollen.“

Diesmal zeigten die Blicke Betroffenheit und bei einem auch etwas Angst.

„1st Lieutenant Brandon Taylor. Eintritt in das Marine Corps mit Achtzehn. Ausbildung zum Offizier, Beförderung mit 21. Danach ein Jahr Zugführer, während eines Gefechts durch Ausfall aller anderen Offiziere kurzfristig Kompaniechef. Danach Spezialausbildung zum Feuerleitoffizier. Einsatz zunächst auf einem Schweren Kreuzer, danach auf dem Leichten Kreuzer HMSS LONGBOW. Die LONGBOW gehörte zu einem leichten Aufklärungsgeschwader mit fünf Kreuzern und zehn Korvetten. Jeweils ein Kreuzer machte mit zwei Korvetten Tiefraumaufklärung als sie in einem Asteroidengürtel ein Piratennest aufstöberten. Im Laufe des Gefechts wurden die Korvetten vernichtet und die LONGBOW schwer beschädigt, konnte aber sage und schreibe 84 Abschüsse von angreifenden Piratenjägern verzeichnen, ehe Verstärkung eintraf. Auszeichnungen: Distinguished Service Cross, Combat Medal, Close Combat Cross, Close Combat Medal und so weiter. Sie sind dran Lieutenant.”

Während des Vortrags hatte 1st Lieutenant Taylor rote Wangen bekommen und sah betreten zu Boden. Jetzt hob er seinen Kopf und kniff ein wenig die Lippen zusammen.

„Sklavenhändler sind der Abschaum dieser Galaxis. Nachdem die Felidaner entdeckt worden waren und die Reste aus den Biolabors auf Charon III angesiedelt worden waren, haben die Wachschiffe über Charon III mehr als ein Dutzend Sklavenjägerschiffe abgeschossen oder aufgebracht. Es hat sogar ein paar erfolgreiche Raids gegeben, aber fast alle verkauften Felidaner wurden entdeckt und befreit. Das ist die eine Seite. Zum anderen, ich bin stolz darauf schwul zu sein. Nicht wie viele Felidaner, die unter einer zweifachen Bürde zu leiden scheinen, einmal ein Tier zu sein und dann auch noch abartig. Ich bin ein Mensch, frei und schwul und ich setze alles daran, dass das auch so bleibt. Jeder kann und darf sehen, wer und was ich bin und was ich leisten kann.“

Bei seinem letzten Kommentar warf er einen kurzen, fast unbemerkten Blick hinüber zu dem Ensign auf der Außenseite.

Noch bevor jemand etwas sagen konnte fuhr Tim mit der nächsten Vita fort.

„Ensign Philipp Cameron. Eintritt in die Navy mit Achtzehn, Ausbildung zum Offizier, Beförderung mit 21. Ausbildung zum Piloten. Navigationsoffizier auf dem Schweren Kreuzer CAMDENTOWN. Während eines Grenzkonfliktes mit dem Bund Freier Planeten wurde die CAMDENTOWN von einem feindlichen Verband Leichter Kreuzer und Korvetten verfolgt und eingekreist. Ensign Cameron gelang es, alle sieben feindlichen Schiffe auszumanövrieren und die CAMDENTOWN in neutrales Gebiet zu bringen, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Auszeichnungen: keine. Nun, Ensign?“

„Was? Keine?“

Alle blickten zu dem dunkelblonden Ensign mit dem schüchternen Lächeln.

„Nein. Keine. Mein Kommandant war der Ansicht, dass ich moralisch nicht geeignet wäre eine Ehrung zu erhalten, weil ich es abgelehnt hatte, öffentlich zu dementieren, dass ich schwul sei. In der Offiziersmesse wurde ich geschnitten, einige der älteren Unteroffiziere machten mich zum Gespött. Trotzdem habe ich durchgehalten und meinen Dienst versehen. Ich habe gezeigt was ich kann und wurde ignoriert. Dies hier ist wohl meine letzte Chance, nicht ignoriert zu werden.“

Bei den letzten Worten liefen Tränen über seine Wangen. Tim wollte etwas sagen, doch Colin kam ihm zuvor. Langsam erhob er sich und setzte sich direkt neben Ensign Cameron. Sanft legte er einen Arm über seine Schulter und zog ihn an sich. Mit der freien Hand wischte er ein paar Tränen aus dem Gesicht.

„Ruhig, Kleiner. Es wird alles wieder gut.“

Tim räusperte sich und sah zu dem letzten der drei Offiziere.

„Ensign Christoph Daniel deCoeur. Eintritt mit siebzehn ins Marine Corps. Beförderung zum Offizier mit 20, Einsatz als Zugführer eines Raumlandezuges. Nach einem Gefecht Wechsel zur Navy und Ausbildung zum Piloten. Einsatz als stellvertretender Schiffsführer einer Korvette. Bei der Bergung von Überlebenden einer Minenexplosion in einer Asteroidenmine hat es Ensign deCoeur geschafft, mit dem Schiff durch ein Asteroidenfeld zu fliegen, ein Trümmerfeld zu durchqueren und mit einer Korvette an einen unmarkierten Minenschacht anzudocken. Auszeichnungen: Military Service Medal. Dazu einen Kommentar?

„Was?“, entfuhr es Ensign Cameron

„Military Service Medal? Die bekommt man doch schon bei unfallfreiem essen mit Messer und Gabel.“

Der dunkelblonde Ensign neben ihm hatte dem kurzen Vortrag gelauscht, ohne eine Miene zu verziehen. Jetzt seufzte er tief.

„Ja, ist so. Man hat mir damals die einzige Möglichkeit gelassen, das zu werden, was ich mir schon als Kind erträumt hatte. Ich wollte unbedingt so werden wie dieser Marine auf dem Werbeplakat oder die Raumfahrer in den Werbeclips der Navy. Ich war gerade zum 2nd Lieutenant ernannt worden, hatte meinen eigenen Zug, als das Bataillon ins Gefecht ging. Es lief schlecht, um nicht zu sagen, beschissen. Das Bataillon war zusammengeschmolzen auf eine Kompanie, die Offiziere fast alle tot und das Kommando hatte ein 2nd Lieutenant, gerade mal ein Jahr älter als ich. Wir kannten uns schon eine kurze Zeit und er war mein … mein Lover, nein, mein Boyfriend geworden. In der euphorischen Stimmung nach dem Sieg habe ich ihn geküsst, vor der gesamten Mannschaft. Die Personalabteilung des Marine Corps hat mir nahe gelegt, das Corps zu verlassen. Die Navy war großzügiger und hat mir eine Umschulung angeboten. Von meinem Freund habe ich seit diesem Tag weder etwas gehört, noch gesehen. Bis vor etwa einer halben Stunde.“

Tim hatte bereits seinen Kopf gedreht als ihm während der Erzählung ein vager Verdacht kam. Auch alle anderen sahen jetzt hinüber zu 1st Lieutenant Taylor dessen Gesicht die Farbe seines Fells angenommen hatte.

„Chris, ich … ich … Ich habe versucht herauszubekommen wo du warst, aber überall gab es nur Absagen, Schweigen und Ablehnung. Mir wurde ebenfalls nahegelegt, den Dienst zu quittieren, jedenfalls wollte man mich keinesfalls mehr in einer aktiven Kompanie haben. Deshalb habe ich die Umschulung zum Gunnery-Officer gemacht.“

Unschlüssig, was sie sagen sollten, sahen sich beide an.

Tim und Colin erhoben sich, ebenso die drei anderen Offiziere.

„Meine Herren, es tut mir leid, aber es ist jetzt kurz vor neun Uhr. Sie beide“, damit wies er auf Taylor und deCoeur, „haben eine halbe Stunde Zeit, um sich hier alleine auszusprechen. Wir beide werden noch kurz den Rest der Besatzung beehren. Um 1100h ist eine kurze Schiffstaufe mit versammelter Besatzung. 1200h Standprobe, hauptsächlich für die Technik. 1300h Ausrüstungsphase. 1700h Gefechtsausbildung mit Übungsschießen. 2000h Abflug zum Einsatz.“

Blickwechsel zu Ensign Cameron

„Ensign Cameron, ich möchte die Brücke einsatzklar haben bis 1600h, so dass keine Techniker mehr dort rumwuseln. Ab diesem Zeitpunkt Trockenübungen mit der Brückenbesatzung. 1700h Ablegen zur Gefechtsausbildung inklusive Schießübung in Area 03. Die Daten für die Operation und die Transpondercodes bekommen sie ab 1300h vom Leiter Intel persönlich.“

„Jawohl, Sir.“

„Ensign deCoeur, sie sind der verantwortliche Navigationsoffizier. Wir werden Navigationsdaten benötigen, die auch außerhalb des Föderationsgebietes liegen. Sie sind ab sofort auch der verantwortliche Offizier für die Logistiktruppe. Denken sie daran, dass wir bis zum Ende der Operation keine Möglichkeit zur Ergänzung von Vorräten und Ersatzteilen haben werden. Sollten sie weiteres Personal benötigen, fragen sie 2nd Lieutenant Rhyder von den Marineinfanteristen. Ach ja, wichtig. Verärgern sie mir nicht den Versorger.“

„Jawohl, Sir.“

„1st Lieutenant Taylor, auf sie fällt die gesamte restliche Arbeit. Da Captain Campbell und ich noch mit taktischen Vorbereitungen für den Einsatz befasst sind, werden sie mein Erster Offizier, die Number One. An ihnen hängt jetzt die Vorbereitung der Schiffstaufe, die Endausrüstung, Verteilung der Unterkünfte, Einteilung der Rollenpläne, Vorbereitung der Gefechtsausbildung und natürlich das Schießen. Schiffstaufe im Dienstanzug, keine Paradeuniformen.“

Der Felidaner wurde von dem Problem seines gewesenen, oder vielleicht doch nicht gewesenen, Lovers plötzlich zu ganz anderen Problemfeldern geschoben, die ihn anscheinend leicht aus der Fassung brachten. Etwas hilflos sah er kurz hin und her, doch dann straffte er sich.

„Jawohl, Sir.“


Das Briefing der restlichen Besatzung lief schon fast automatisch ab. Es war nicht einer darunter, der freiwillig den Raum verlassen hätte.

Diese Restbesatzung waren nur noch zwölf Personen und Tim entdeckte zu seiner Freude tatsächlich Seaman Florent aus der Küche. Dazu kamen ein weiterer Küchensoldat, ein Versorger und ein Schreiber, ebenso wie auch die vier restlichen Unteroffiziere für die Brücke und die vier Unteroffiziere der Technik.

Ensign Maxwell hatte es auf sich genommen, zusätzlich noch eine kurze Einweisung in das Schiff zu geben. Er erhob sich und kam nach vorne mit einem ganzen Stapel Papiere in der Hand.

„Keine Angst, ist kein großartiger Vortrag. Ich werde nur in groben Zügen erst das Fahrzeug als Ganzes und dann die einzelnen Stationen vorstellen. Zunächst die Hülle.“

Vor der Crew entfaltete sich ein gut zwei Meter langes Hologramm des Schiffes.

„Das Schiff, immer noch ein Einzelstück ohne Klassifizierung, folgt in seiner äußeren Form nicht dem Standardtyp der Flotte oder anderen militärischen Einheiten. Diese sind unter anderem aus Kostengründen zylinderförmig im Verhältnis 5:1, unser Schiff ist ganz grob einem aerodynamischen Flugzeug oder auch einem Raumjäger nachempfunden. Bei einer Länge von 68 Metern, einer größten Breite von 34 Metern und einer maximalen Höhe von 15 Metern, inklusive Aufbau, verdrängt der Rumpf 13.794 Kubikmeter, also gut das Dreifache einer Korvette und etwas weniger als die Hälfte eines Leichten Kreuzers.“

Während des kurzen Vortrags waren alle Crewmitglieder aufgestanden und umringten das Hologramm. Langsam drehte sich dort die Projektion, so dass man alle Einzelheiten gut erkennen konnte.

Jetzt hörte man die Stimme von Senior Chief Petty Officer Phelps, dem Triebwerkstechniker aus dem Hintergrund des Unterrichtsraumes.

„Die Impulstriebwerke für den Unterlichtantrieb sind Ableger der Impulsbooster der neuesten Raumjägergeneration. Die Raumjäger haben eine Triebwerkseinheit, unser Schiff hingegen hat sieben und kann damit etwa zwei Drittel so schnell beschleunigen wie ein Raumjäger, das ist doppelt so schnell wie ein Aufklärer oder 20 mal so schnell wie ein Kreuzer.“

Den nächsten Teil übernahm wieder Ensign Maxwell.

„Der Hyperantrieb ist der komplizierteste Teil des gesamten Schiffes. Da die Energieerzeuger ziemlich groß ausgefallen sind, besonders wegen der Bewaffnung, hat man sich entschlossen, den Hyperantrieb der Gesamtleistung anzupassen und somit haben wir eine Geschwindigkeit von bis zu 137 Lichtjahren pro Stunde. Durch die verbesserten Sensoren haben wir eine Etappenlänge von maximal 8 Stunden, was einer Leistung von 1096 Lichtjahren pro Etappe entspricht.“

Chief Petty Officer Raynard, der Operator für die Sensoren, starrte völlig fasziniert auf das Hologramm bis er plötzlich aufsah.

„Das ist ja schneller als eine Korvette. Und auch erheblich weiter.“

„Jep. Das war auch die Absicht der Konstrukteure. Schneller, größer, weiter. Das gilt im Prinzip auch für alle anderen Abschnitte. Sensoren, die normalerweise nur ein Explorer an Bord hat oder eine ECM-Anlage eines Schlachtkreuzers. Das Ganze war ursprünglich in der Entwicklung für die nächste Generation von Kriegsschiffen, die nun ja wegen des Friedensschlusses nicht gebaut werden. Ein zweites Einsatzkonzept wäre ein schnelles Sanitäts- und Rettungsschiff gewesen, ohne Bewaffnung natürlich. Am meisten profitieren wir aber von den neuen Fusionsreaktoren. Sie sind erheblich kompakter als alles, was wir bisher hatten. Die Leistung dieses Schiffes ist fast doppelt so groß wie die eines Leichten Kreuzers.“

„Ja, um alles in der Welt, warum denn das?“

Die Frage von Petty Officer Bowers, dem Versorger, schien auch die Stimmung der anderen Crewmitglieder einzubeziehen.

„Das kann ich euch beantworten.“

Colin Campbell trat nach vorne und streckte den rechten Arm aus, so dass er ins Hologramm ragte. Mit dem Zeigefinger ‚berührte‘ er mehrere Punkte am Modell.

„In Flugrichtung vorne befinden sich direkt im Bug zwei eingebaute Schwere Laserkanonen, ebenso wie in Flugrichtung vorne an den beiden ‚Flügelsegmenten‘. Auf den ‚Flügelsegmenten‘, sowie auf dem eigentlichen Schiffskörper vorne, sind jeweils zwei Türme mit schweren Partikelstrahlern. Hinten befinden sich auf dem Schiffkörper noch zwei Einzeltürme Schwere Laser und etwas höher gesetzt ein Schwerer Zwillingslaser. Alles in allem 8 Laser und 6 Partikelstrahler. Wir könnten im Vorausbereich also 4 Laser und 4 Partikelstrahler zum Einsatz bringen, mit einer Breitseite 3 Laser, 3 Partikelstrahler. Wir können im Frontalanflug mit einer Salve mehr Energie aufbringen als die Breitseite eines Leichten Kreuzers.“

„Moment mal, ein Leichter Kreuzer hat 33 Geschütze.“

„Ja, aber denkt mal an die Form. Konstruktionsbedingt kann er maximal eine Breitseite, also 16 Geschütze zum Tragen bringen. Die anderen 16 sind auf der abgewandten Seite. Und der schwere Partikelstrahler zeigt voraus. Eine Breitseite sind 8 Mittlere Laserkanonen und 8 Einfache Partikelstrahler. Bei uns haben wir mit einer Salve im Vorausbereich vier Schwere Laserkanonen und vier Schwere Partikelstrahler.“

Colin hatte sich richtig in seinen kurzen Vortrag hineingesteigert und benutzte beide Arme und Hände um die Positionen seiner Kanonen und Türme zu verdeutlichen.

„Okay“, versuchte Tim sich verständlich zu machen.

„Hallo, Leute. Setzt euch mal bitte wieder hin. Wie wir nun gerade gehört und gesehen haben, wird man uns ein richtig nettes Spielzeug übergeben. Wir haben keine - und ich meine wirklich keine – Zeit, um uns mit ihm vertraut zu machen und um die uns bekannten Verfahren anzuwenden. Es ist jetzt kurz vor zehn. Um 1100 geht es weiter mit der Schiffstaufe im normalen Dienstanzug. Das Kommando hat für alle Fragen des Innendienstes ab sofort 1st Lieutenant Taylor, der neue Waffenkontrolloffizier. Er ist ab sofort auch der Erste Offizier. “


„Besatzung, stillgestanden. Augen rechts.“

„Ich taufe dich auf den Namen – GOLDEN BOY!“

Mit etwas Anlauf gab Private Price der an einem Kranausleger befestigten Sektflasche den nötigen Schwung, so dass sie an der Bordwand zerschellte. Als jüngstem Soldaten der Besatzung hatte es ihn getroffen, die traditionelle Flasche zu schwingen.

„Augen geradeaus. Rührt Euch.“

„Number One, Besatzung zum Dienst wegtreten lassen.“

„Jawohl, Sir. Bleibt es bei der Standprobe um 1200h?“

„Ja, warum?“

„Die Küche hat gemeldet, sie wären einsatzbereit. Wenn wir bereits jetzt essen, hätten wir nach der Standprobe mehr Zeit für die Endausrüstung.“

„Gute Idee. Lassen sie wegtreten zum Mittagessen, Number One.“

Während die Befehle ergingen, wandte sich Tim an seinen einzigen Gast bei der Zeremonie. Admiral Campbell, immer noch in Paradeuniform, nickte anerkennend.

„Sieht gar nicht so schlecht aus. Nach den neuesten Meldungen von der Überwachung nähert sich der Sklavenjäger langsam der Grenze. 20:00h ist für euch die Deadline. Etwas früher wäre noch besser, aber ein Testflug ist unbedingt erforderlich. Sobald die Tests abgeschlossen sind, meldet ihr euch, so dass die Freigabe für den Einsatz erfolgen kann. Noch Fragen, Lieutenant?“

„Nein, Sir.“

„Sehr schön. Ich habe übrigens mit dem Engineer-Corps gesprochen. Da die GOLDEN BOY offiziell nicht registriert ist, sind auch keine Nachweise irgendwelcher Patente notwendig. Bei den Piraten haben ja wahrscheinlich die Wenigsten so ein Ding. Ensign Maxwell wird euch also erhalten bleiben.“

„Vielen Dank. Es wird ihn sicherlich freuen, das zu hören. Und mich auch.“

„Sehr gut. Aber denkt immer dran, sobald ihr Torchwood verlassen habt, seid ihr ein nicht registriertes Schiff. Ich möchte nicht, dass irgendjemand dort draußen dieses Schiff mit der Navy oder auch nur mit der Föderation in Verbindung bringt.“

„Jawohl, Sir. Wir werden unser Möglichstes tun, die Tarnung aufrecht zu erhalten.“

„Gut, dann werde ich euch nicht weiter von der Arbeit abhalten. Ich weiß, wo es raus geht.“

Ohne weitere Umstände strebte der Admiral zum Tor und hatte den Hangar nach kurzer Zeit verlassen.

Tim hatte ihm kopfschüttelnd hinterhergesehen, eilte dann aber erwartungsvoll zur Cafeteria um zu sehen, was es zu essen gab. Die Schlange an der Essensausgabe war nicht mehr so fürchterlich lang und Tim bemerkte, dass trotz der kurzen Vorbereitungszeit drei verschiedene Gerichte angeboten wurden. Er entschied sich für ein Schnitzel, obwohl er wusste, dass das Fleisch künstlich aus Eiweißmolekülen hergestellt worden war. Echtes Fleisch war vom Preis her für die Gemeinschaftsverpflegung fast unerschwinglich.

Stirnrunzelnd betrachtete er auch das Gemüse auf dem Teller. Broccoli war nun nicht unbedingt sein Lieblingsgemüse, aber es schien, als ob das eines der wenigen Gemüsesorten von der alten Erde war, die buchstäblich auf jedem Planeten erfolgreich zu züchten war.

An einem der Tische war gerade ein Platz frei geworden und Tim strebte dorthin. Als er sich setzte, wollten einige der Soldaten dort aufstehen, aber Tim winkte ab.

„Sie können ruhig zu Ende essen. Hier drin gibt es kein Zeremoniell, nur hungrige Besatzungsmitglieder. Zumindest sollte der Status ‚hungrig‘ in kurzer Zeit abgearbeitet sein.“

Einige der Leute am Tisch lächelten etwas unsicher.

Tim sah sich um. Da die Soldaten immer noch ihre normale Dienstuniform trugen, hatten sie zwar Dienstgradabzeichen aber keine Namensschilder wie auf den Arbeitskombis. Er wandte sich an den rechts neben ihm sitzenden.

„So, mal sehen. Das ist einfach. Chief Petty Officer der Technik. Chief Sanders, wir haben uns schon mal gesehen.“

Der Chief verschluckte beinahe seinen Löffel mit dem Dessert als sein Kommandant ihn ansprach.

Der wandte seinen Blick jetzt zum Nächsten.

„Petty Officer der Logistik. Da hätten wir zwei …“

„Petty Officer Denny Simon, Sir. Schreibstube.“

„Ah ja. Auf sie wird auch noch jede Menge Arbeit zukommen. Wir haben …“

Der Satz wurde abrupt durch eine Lautsprecherdurchsage unterbrochen.

„Kommandant bitte zur Bodenschleuse.“

Tim brachte sein Tablett zurück und ging zur nächsten Kom-Konsole vor der Tür der Cafeteria.

Wo bis vor kurzem noch ‚In Arbeit‘ angezeigt worden war, zeigte das Display jetzt eine Auflistung der erreichbaren Stationen. Tim tippte auf ‚Wache Bodenschleuse‘.

Das Bild zeigte das Gesicht eines der Unteroffiziere der Marineinfanteristen.

„Sie haben etwas für mich, Corporal?“

„Jawohl, Sir. Ein Oberstabsarzt Farnsworth ist hier. Medical Corps.“

„Oh, ja. Ich komme runter, danke.“

Es dauerte nicht lange, bis Tim Sheldon bei der Wache ankam. Er bemerkte erfreut, dass die Marineinfanteristen einen kompletten Wachbereich errichtet hatten mit Scannern für die Personenkontrolle und einem großen Display für die Anwesenheitsliste der Besatzung. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte Tim, dass einige Besatzungsmitglieder als ‚abwesend‘ geführt wurden.

Direkt bei der Wachstation, am oberen Ende der Rampe, standen Corporal Reins und Private Yeats, beide in ihren dunkelroten gepanzerten Kampfanzügen und mit Pistolen bewaffnet. Ihnen gegenüber standen drei Männer in hellgrüner Dienstuniform mit den weißen Abzeichen des Medical Corps.

Corporal Reins grüßte militärisch.

„Der Oberstabsarzt und seine Begleitung sind positiv überprüft, Sir. Ich dachte, sie wollten sie vielleicht persönlich begrüßen.“

Lieutenant Sheldon grüßte den Corporal, dann nickte er.

„Ja, gute Idee, vielen Dank.“

Dann wandte er sich den Neuankömmlingen zu.

„Herzlich willkommen, Herr Oberstabsarzt. Ich bin Lieutenant Timothy Sheldon, der Kommandant dieser Einheit. Sie werden also unser Schiffsarzt sein?“

„Vielen Dank, Captain. Ja, ich bin Oberstabsarzt Doktor Farnsworth, James Farnsworth. Diese beiden Herren sind Chief Petty Officer Terry Halliday, der Paramedic und Staff Petty Officer Lucas Seegers, der Gefechtsfeldsanitäter.“

Und schon wieder das Fettnäpfchen mit den Dienstgraden und den Dienstbezeichnungen, dachte Tim. Der Doktor schien sich aber auszukennen.

Die Anrede Captain für den Kommandanten eines Schiffes, ungeachtet seines wirklichen Dienstgrades, war für Außenstehende immer etwas verwirrend, besonders da es den Dienstgrad Captain noch zweimal gab, einmal bei der Navy, einmal bei den Marines.

Tim Sheldon musterte die Medics, wie sie sich selbst gerne nannten, neugierig. Der OStA war etwa Mitte dreißig, fast so groß wie Tim und hatte kurze dunkle Haare. CPO Halliday war wohl auch so um die dreißig, etwas größer als der OStA und war, so weit zu sehen, muskulös und kräftig, mit blonden kurzen Haaren. Der dritte, SPO Seegers, war etwas kleiner als die anderen beiden, schlank und schmal, mit ebenfalls kurzen braunen Haaren. Dazu kamen erstaunlich große braune Augen mit denen er die ganze Zeit neugierig Private Yeats musterte.

„Entschuldigung Petty Officer, noch nie einen Felidaner gesehen?“

SPO Seegers zuckte zusammen und sah Lieutenant Sheldon erschreckt an.

„Doch, doch“, stotterte der überraschte Sani. Tim sah ihn mit einem leichten Lächeln an.

„Wir haben hier nämlich gleich zwei davon, aber alle beide sind leider schon vergeben.“

Lucas Seegers sah seinen Kommandanten irritiert an, bis ihm dämmerte, was dieser ihm alles gerade in einem kurzen Satz mitgeteilt hatte.

Die anderen beiden Neuankömmlinge sahen sich nur kurz an und lachten dann leise.

„Na, Luke. Schon wieder dumm aufgefallen?“

Tim sah kurz auf sein Multikom-Armband.

„Wir haben noch ein wenig Zeit, bevor die Standprobe beginnt. Ich zeige ihnen kurz unser Schiffslazarett und ihre Unterkünfte.“

Während des kurzen Rundgangs pfiff Doktor Farnsworth mehrmals leise durch die Zähne.

„Wirklich beeindruckend. Alles auf dem neuesten Stand der Technik.“

Die Unterkünfte für das Sanitätspersonal waren dem Lazarett direkt angegliedert. Der Doktor sah sich kurz um.

„Ziemlich großzügig, aber Chief Halliday und ich werden zusammen meine Bude bewohnen. Wir leben ohnehin schon seit vier Jahren zusammen.“

Tim machte sich amüsiert einen weiteren gedanklichen Haken, um die Paarbildung an Bord im Auge zu behalten.

„Kein Problem. Lassen sie nur Number One wissen, dass wir eine freie Kammer haben. Ich muss jetzt los zur Standprobe, sonst werden die Techniker nervös. Der Erste Offizier ist übrigens ganz leicht zu erkennen“, damit zwinkerte er SPO Seegers zu.

„Das ist nämlich unser zweiter Felidaner.“


Auf der Brücke waren bereits ein paar Personen bei der Arbeit, als Tim Sheldon durch das linke Panzerschott eintrat.

Die Brücke selbst war halbrund gestaltet mit einem riesigen Panoramafenster über fast die gesamte Rundung, von den Konsolen bis zur Decke. In der Mitte an der Rückwand befand sich eine erhöhte, halbrunde Konsole mit dem Sitzplatz des Kommandanten. Vor ihm waren fünf Konsolen so angeordnet, dass jeweils zwei Mann nebeneinander daran sitzen konnten mit Blickrichtung direkt nach vorne, nicht der Rundung des Raumes folgend. Lediglich die Konsole direkt ganz vorne hatte nur einen Platz, den des Feuerleitoffiziers. Direkt links davon die Piloten- und Astrogationseinrichtung, rechts die Konsole für Sensoren und Schildüberwachung.

Ganz rechts war eine Doppelkonsole für Kommunikation und ESM, die elektronischen Unterstützungsmaßnahmen. Und ganz auf der linken Seite waren die Plätze für die Schadenskontrolle und für den Lastverteiler.

Die Doppelkonsolen waren im normalen Raumflug nur mit jeweils einem Mann besetzt, die der Schadenskontrolle und des Lastverteilers gar nicht. Lediglich im Gefecht und bei Starts und Landungen waren alle Positionen auf der Brücke voll besetzt.

„Captain auf der Brücke!“

Tim wusste nicht, wer es gerufen hatte, aber es war eine uralte Tradition die ankündigte, wann der Kommandant die Brücke betrat und sie auch wieder verließ. Die gesamte Brückenbesatzung wurde so informiert, ob der Kommandant anwesend war oder nicht.

„Danke, weitermachen.“

Langsam ließ Tim sich in den Sessel des Kommandanten sinken. Eigentlich der Traum eines jeden jungen Navy-Offiziers: Einmal Kommandant sein.

Der Sessel selbst war unspektakulär. In der Grundkonstruktion ein gepolsterter Schalensitz mit einem Hosenträgergurtsystem. Zudem ließ sich die Position des Sessels verändern, um in ideale Reichweite zur Konsole direkt davor zu kommen. Lediglich der Sessel des Piloten war eine Spezialanfertigung. Bei diesem befand sich jeweils links und rechts auf dem Ende der Armlehnen ein kleiner Joystick für die direkte Steuerung des Schiffes.

Tim sah sich um. Alle Plätze waren besetzt, bis auf den des Lastverteilers. Entgegen des Rollenplans saß Colin Campbell an der Schadenskontrolle. Eigentlich war dies traditionell der Platz des Ersten Offiziers, doch der saß bereits an der Feuerleitkontrolle.

Inzwischen war es schon kurz nach zwölf und Lieutenant Sheldon wollte schon im Schiffstechnischen Leitstand nachfragen, als Chief Petty Officer Sanders hereinkam und sich an die Technikkonsole setzte.

„Entschuldigung, Sir, aber wir hatten ein kleines Problem mit der Anbindung der Energieversorgung an die Schirmfelder. Masterchief Joyce ist noch bei letzten Arbeiten.“

Lieutenant Sheldon wählte den Leitstand an.

„Kommandant. Sind sie soweit?“

„Jawohl, Sir. Wir starten einzeln mit den Energieerzeugern. Wir melden uns, wenn alle hochgefahren sind und im Lastbereich laufen.“

„Dann mal los.“

Die Geräuschkulisse im gesamten Schiff änderte sich allmählich. Ein leises, kaum wahrnehmbares Summen war hinzugekommen.

Ein vernehmliches Piepen lenkte Tims Aufmerksamkeit wieder auf die Kom-Konsole.

„Leitstand. Energieversorgung stabil. Klar zum Einsatz.“

„Okay, danke.“

„Brücke aktivieren.“

Das war das Stichwort für den Lastverteiler. An allen Konsolen erwachten jetzt die Anzeigen und viele kleine bunte Lichter zum Leben.

„Okay, dann. Checkliste?“

Ensign Cameron als Pilot rief eine kurze Checkliste der anderen Konsolen ab, die Tim auf seinem Display mitverfolgen konnte.

Philipp Cameron hob kurz den Arm. „Fertig!“

„Wache einziehen. Ladedeck schließen.“

„Wache eingezogen. Ladedeck verschlossen und verriegelt. Alle Außenzugänge verriegelt. Schleusen im Kontrollmodus Brücke“, kam es vom Technikpult.

„Hangartore verschließen. Hangardecke öffnen.“

Diese zwei Aufgaben wurden durch die Hangartechniker draußen erledigt, deshalb kam diesmal die Bestätigung von der Kommunikationskonsole.

„Tore verschließen und ‚Decke öffnen‘ angefordert.“

Durch das Panoramafenster konnte die Brückenbesatzung verfolgen, wie langsam die Decke des Hangars zu beiden Enden gefahren wurde.

„Hangardecke geöffnet und verriegelt“, kam es von der Kommunikationskonsole.

„Landeeinrichtung einfahren.“

Die Landeeinrichtung bestand aus insgesamt 12 paarweise angeordneten hydraulisch ausfahrbaren Landestützen mit je einem runden Teller für den Bodenkontakt. Jeder Teller hatte einen Durchmesser von zwei Metern. Unter normalen Gravitationsbedingungen konnten die Landestützen das Gewicht des Schiffes ohne weiteres tragen, vorausgesetzt, der Untergrund war fest genug.

Falls das einmal nicht zutreffen sollte, war zu jeder Zeit der Antigravgenerator in Betrieb, um die Masse des Schiffes von der Masse des Planeten zu trennen und damit einen Schwebezustand oder sogar einen negativen Schwebezustand herbeizuführen.

„Landeeinrichtung eingefahren.“

„Gut. Wieviel Platz haben wir nach oben?“

Ensign Cameron scrollte gerade in seinem Hafenhandbuch.

„Maximale Schwebehöhe 500m.“

„Okay, dann Antigrav minus 5 bis auf 400 m.“

„Minus 5 bis auf 400.“

Langsam, fast bedächtig, hob sich der Rumpf des Schiffes, fast wie an einem Faden gezogen, senkrecht in die Höhe ohne die horizontale Lage zu verändern.

„400 m erreicht.“

„Danke, jetzt sind die Techniker dran.“

„Kommandant, sie können jetzt mit den Standproben beginnen.“

„Danke, dauert etwa eine halbe Stunde. Wir melden uns dann wieder.“


Eine gute dreiviertel Stunde später stand die GOLDEN BOY wieder sicher auf ihren Landestützen im geschlossenen Hangar.

Die Ausrüstungsphase hatte begonnen und jeder Mann der Besatzung war unterwegs, um irgendwelche Gegenstände zu besorgen, zu transportieren oder zu verstauen. Es war schon erstaunlich, welch ein Gewusel diese nicht einmal 30 Personen erzeugen konnten.

Timothy Sheldon stand auf dem Ladedeck und beobachtete mit Erstaunen, was alles in den Frachträumen und den acht aufgestellten Containern verschwand.

Der Versorgungsunteroffizier hatte ihn erspäht und kam schnurstracks auf ihn zu.

„Verzeihung, Sir, aber in unserem Ausrüstungsnachweis ist ein Landekampfpanzer des Marine Corps aufgeführt. Brauchen wir den unbedingt?“

Tim hob erstaunt die Augenbrauen, dann sah er sich suchend um.

„Corporal, rufen Sie bitte 2nd Lieutenant Rhyder aus. Sofort zu mir.“

„Der ist unterwegs, Sir.“

„Dann den XO.“

„Der ist auch weg.“

Etwas unwillig runzelte Tim die Stirn. Das musste sich noch etwas einspielen. Einer von beiden sollte mindestens an Bord sein. Dann fiel ihm etwas anderes ein. Er tippte eine Nummer in sein Multikom-Armband uns schon erschien das Gesicht von Colin Campbell auf dem winzigen Display.

„Aha, hast du Sehnsucht nach mir?“

Tim lief rot an und er zögerte etwas mit der Antwort während Petty Officer Bower gerade interessiert den Boden des Landedecks betrachtete.

„Äh, nein – ja doch. Also …“

Colin lachte laut, dann wurde er wieder ernst.

„Okay, was gibt es?“

„In unserem Ausrüstungsnachweis ist ein Landekampfpanzer des Marine Corps aufgeführt. Was sollen wir mit dem Ding?“

„Huh?“, anscheinend war diese Tatsache auch für Colin etwas Neues.

„Gar nix. Den können wir taktisch gar nicht einsetzen, und bei der momentanen Operation ist das Ding sogar kontraproduktiv. Warum? Gibt’s `ne Alternative?“

Tim sah seinen Versorger erwartungsvoll an.

„Ja, ich glaube, ich habe da was gefunden. Also, der Nachschuboffizier der Marine Corps Basis hier, hat einen Kumpel beim Dezernat 5 des Intelligence Service, das ist Ausrüstung und Verwaltung. Und die haben eine Abteilung, in der beschlagnahmte Fahrzeuge gelagert werden, bis sie entweder ausgelöst oder versteigert werden. Unter bestimmten Umständen kann man auch ein Fahrzeug für einen Einsatz zugewiesen bekommen, wenn man die Notwendigkeit nachweisen kann.“

„Aha, und um was für ein Fahrzeug handelt es sich in diesem Fall?“

„Ein Bodengleiter, ein SPACEBADGER 5000, dunkelblau und silbermetallic lackiert, wahlweise mit offenem Verdeck, eingebauter Bar…“

„Mister Bower! Ich weiß was ein BADGER 5000 ist. Das Ding kostet neu fast eine halbe Million Credits!“

„Nimm das Ding!“, kam es aus dem Multikom-Armband.

„Seid ihr jetzt beide verrückt geworden? Wie wollen wir das denn Begründen?“

„Oh, kein Problem, Sir. Den Nachweis für die Einsatznotwendigkeit hab ich schon, Sie müssen nur noch die Anforderung unterschreiben.“

Tim starrte den Versorgungsunteroffizier an.

„Wer hat denn den Nachweis unterschrieben?“

Petty Officer Bower zog ein Data-Pad aus seiner rechten Beintasche und sah darauf.

„Ein gewisser Admiral Campbell, Sir. Wenn Sie jetzt bitte hier unterschreiben würden.“

Kopfschütteln unterzeichnete Tim auf dem Data-Pad und im Hintergrund hörte er wieder Colins lautes Lachen.

Etwas später als erwartet konnte die Ausrüstungsphase abgeschlossen werden. Sie konnten dennoch alle von Glück reden, dass sich auf Torchwood ein riesiges Depot der Flotte befand, sonst wäre das in dieser kurzen Zeit kaum möglich gewesen.

Colin Campbell saß in der Kommandantenkammer und sichtete die letzten Unterlagen, die der Intelligence Service geschickt hatte, als ein Anruf hereinkam. Erstaunt bemerkte er seinen Vater auf dem Bildschirm. Ohne Begrüßung kam der gleich zur Sache.

„Wie weit seid ihr?“

„Wir wollten in zehn Minuten zur Gefechtsausbildung …“

„Vergiss es. In zehn Minuten bei mir. Du, Tim, euer Zugführer. Beeilt euch.“

Das „Jawohl, Sir.“ ging nur noch an einen dunklen Bildschirm.


Sie schafften es nicht ganz in zehn Minuten und Tim fragte sich zum wiederholten Mal, was nun schon wieder passiert war. Colin hatte seinen Vater selten so kurz angebunden erlebt.

Der Admiral, diesmal im Dienstanzug, begrüßte die Besucher kurz und bat dann, in der Sitzecke Platz zu nehmen.

„Wir haben nicht viel Zeit, deswegen möchte ich es kurz machen. Auf Grund einiger polizeilicher Nachforschungen, die mit der laufenden Operation im Zusammenhang stehen, hat Intelligence einen interessanten Fang gemacht. Einem Mitglied des Hochadels konnte nachgewiesen werden, dass er vor nicht allzu langer Zeit persönlich ein paar Sklaven auf unserem Zielplaneten ersteigert hat. Die Anklage wird unter anderem lauten auf Menschenhandel, Freiheitsberaubung, Mitwirkung an Sklavenhandel und Mitwirkung an Piraterie.“

Der Admiral holte erst einmal tief Luft, bevor er schnell weitersprach.

„Seine Majestät war, vorsichtig formuliert, äußerst ungehalten und hat die Todesstrafe gefordert, was bei den letzten beiden Anklagepunkten ohne weiteres möglich wäre. Wir haben, mit zähneknirschender Zustimmung seiner Majestät, einen Handel ausarbeiten können. Wir lassen diejenigen Anklagepunkte fallen, die automatisch die Todesstrafe nach sich ziehen würden, wenn wir brauchbare Informationen und aktive Unterstützung erhalten. Ich muss sagen, der fragliche Herr war äußerst eifrig uns zu helfen.“

Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, waren alle drei Besucher von der neuen Lageentwicklung mehr als verblüfft.

„Und wie hat sich diese ‚Unterstützung‘ geäußert?“

„Da gibt es zwei Dinge. Das eine kam überraschend, etwas, was wir nicht bedacht hatten. Man kann dort nur ‚einkaufen‘ wenn man eine Empfehlung von jemandem besitzt, der dort bereits ‚Kunde‘ ist. Eine solche Referenz wird uns jetzt ausgestellt.“

„Die sind noch vorsichtiger als ich befürchtet hatte“, bemerkte Colin.

„Als Zugabe bekommen wir sozusagen etliche Informationen über die dort tätigen Personen, soweit bekannt. Tja, und das zweite kam dann noch etwas überraschender. Einer der ehemaligen Sklaven dieses Subjekts hat sich bereit erklärt, die Mission zu begleiten und uns mit Informationen über Infrastruktur und interne Abläufe zu versorgen.“

Colin sprang von seinem Sitzplatz auf.

„Das ist ja ausgezeichnet! Wir könnten schon jetzt mit einem groben Ablaufplan beginnen …“

Dann drehte er sich zu seinem Vater um.

„Wo ist der Haken an der Sache?“

„Der Haken, wie mein Herr Sohn zu formulieren beliebt, liegt darin, dass ihr die Empfehlung und den jungen Herren erst noch persönlich abholen müsst. Außerdem gibt es ein anderes Problem.“

Misstrauisch hielt Tim seinen Kopf schief.

„Und das wäre?“

„Er hat zugesagt, euch die Informationen zu geben, die ihr für die Operation benötigt. Besser wäre natürlich, wenn er euch begleiten würde. Auf dem Weg dorthin hättet ihr genug Zeit für eine ausführliche Besprechung und vor Ort könnten auftretende Fragen beantwortet werden. Allerdings ist er erst siebzehn und er hat keine lebenden Verwandten mehr. Wenn möglich, solltet ihr einen Weg finden, wie er euch begleiten kann. Das ganze natürlich völlig legal und ohne den Zeitplan noch weiter zu strapazieren.“

„Verzeihung, Sir.“

Die Stimme von 2nd Lieutenant Rhyder klang etwas leise. Er hatte die ganze Zeit etwas eingeschüchtert auf der Sesselkante gesessen und wurde knallrot als ihn alle Anwesenden gleichzeitig ansahen.

„Was gibt es, Lieutenant?“

„Wissen sie zufällig, von welchem Planeten der junge Mann stammt, Sir?“

Tim und Colin sahen sich fragend an, doch der Admiral blätterte in seinen Unterlagen.

„Von Thanatos VII, soweit ich das erkennen kann. Darf ich fragen, warum sie das wissen wollen?“

Scion Rhyder wurde noch verlegener, doch sein Gesicht hellte sich auf.

„Nun, ich glaube, ich sehe eine Möglichkeit, wie der junge Mann uns begleiten kann. Thanatos VII ist, soviel ich weiß, einer der noch nicht selbständigen Kolonialplaneten, hier gelten die allgemeinen Föderationsgesetze.“

„Ja, und?“, platzte Colin heraus, aber der Admiral hob abwehrend eine Hand.

„Laut Föderationsgesetz ist ein Bürger bei bestimmten Rechtsgeschäften bereits mit 17 Standardjahren volljährig, wie zum Beispiel Bestimmung des Aufenthaltsortes, sexuelle Entscheidungsfreiheit und - Beitritt zu den Streitkräften der Föderation.“

„Du willst ihn rekrutieren? Das wäre doch wohl eher seine Entscheidung, falls das überhaupt …“

Diesmal musste der Admiral beide Hände heben um Ruhe zu bekommen.

„Tut mir leid, aber wir haben sehr wenig Zeit. Um den jungen Mann und die Papiere abzuholen müsst ihr zunächst gute 300 Lichtjahre in die entgegengesetzte Richtung fliegen. Das bringt unseren Zeitplan etwas durcheinander, aber ich hoffe, dass wir trotzdem Erfolg haben werden. Ihr müsst vor Ort entscheiden wie ihr vorgehen wollt. Viel Glück.“

Der Admiral erhob sich und ebenso seine Besucher. Eine kurze Verabschiedung und schon waren sie auf dem Weg zurück zum Schiff. Noch bevor sie den Aufzug betraten, hatte Tim ein kurzes Gespräch über sein Multikom.

„Number One, hier Kommandant. Klarmachen zum Alarmstart. Phillip soll abheben sobald wir an Bord sind. Unser Ziel ist“, ein kurzer Blick auf die Unterlagen, „hmmm, Sirilox III, Sirilox-System im Outdoor-Sektor.“


Als Tim Sheldon die Brücke erreichte ertönte wieder das „Captain auf der Brücke!“

Tim hatte inzwischen herausgefunden, dass es eine automatische Ansage des Brückencomputers war, die mittels einer Gesichtserkennung funktionierte.

Brandon Taylor erhob sich aus dem Kommandantensessel und ging nach vorne zu seiner Konsole. Als er sich dort angeschnallt hatte, drehte er den Sessel, um Tim direkt anzusehen.

„Parking Position erreicht. Klar zum Starten. Startfreigabe durch Tower ist erfolgt.“

„Sehr schön. Dann drehen.“

Das Schiff befand sich jetzt in einem Wartefeld in 2000m Höhe. Es wurde aus seiner horizontalen Lage gedreht und zeigte dann mit dem Heck direkt zum Boden. Die Schwerkrafteinrichtung an Bord erzeugte ein künstliches Gravitationsfeld so dass innerhalb des Schiffes immer die gleiche Schwerkraft in die gleiche Richtung wirkte, ungeachtet der Lage des Schiffes oder der vorherrschenden Schwerkraft eines Planeten.

„Senkrechte Position erreicht.“

„Danke. Dann Start – jetzt.“ Tim drückte einen Knopf auf seiner Konsole, der die Zündung der Triebwerke freigab. Alles andere lag im Ermessen des Piloten.

Zum ersten Mal vernahm Tim das tiefe Brummen der Triebwerke. Von der folgenden Beschleunigung spürte die Besatzung kaum etwas. Die Schwerkrafteinrichtung korrigierte auch hier die auftretenden Kräfte und sorgte dafür, dass die gesamte Schiffsmasse sich innerhalb eines sogenannten ‚gemeinsamen dynamischen Feldes‘ befand.

Innerhalb kurzer Zeit wurde die Atmosphäre verlassen. Das Panoramafenster verdunkelte sich und statt des direkten Ausblicks wurde jetzt über die ganze Fläche ein Projektion der Umgebung angezeigt.

Tim lehnte sich zurück. Sie würden bald eine Position im Raum erreichen, die weit genug von jeder Gravitationsquelle entfernt war, um ungefährdet in den Hyperraum zu wechseln. Doch bevor das Schiff dorthin wechseln konnte, musste der genaue Eintrittskurs, Eintrittspunkt und die Verweildauer berechnet werden, um zum nächsten Navigationspunkt zu gelangen.

Navigationspunkte waren bekannte, feste Marken im Raum, die es den Computern erleichterten, die aktuelle Position festzustellen. Man konnte natürlich auch genau in Richtung seines Zieles fliegen und solange im Hyperraum bleiben wie es der Antrieb erlaubte. Im günstigsten Fall kam man an einer Stelle heraus, die schwer zu berechnen war und brauchte so schon mal ein paar Tage nur für die Positionsbestimmung. Im ungünstigsten Fall war irgendein Objekt, vorzugsweise eine Sonne, genau in der Flugbahn, was die Reise und die Reisenden dann sehr schnell zu einem endgültigen Ende brachte.

„Wie lange?“

Philipp Cameron sah auf sein Display.

„Eintritt in den Hyperraum in etwa 15 Minuten. Hyperraumflug in einer Etappe. Landung am Zielort circa 18:39Uhr.“

„Danke, Philipp. Mr. Parker, informieren sie bitte die Kontrollstelle auf Sirilox III über unsere voraussichtliche Ankunftszeit.“

„Jawohl, Sir.“

Wie fast vor jedem Einsatz überkamen Tim plötzlich Erinnerungen an vergangene Missionen, hauptsächlich an jene, die in Schmerzen, Schreien und Tod geendet hatten. Wie viel davon würde er noch erleben müssen? Doch dann wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen als Philipp Cameron eine Durchsage machte.

„An alle Stellen. Eintritt in den Hyperraum in 3 – 2 – 1 – jetzt.“

Zu spüren war nicht das Geringste, als sich das Hyperraumfeld um das Schiff aufbaute, lediglich der Panoramabildschirm auf der Brücke wechselte von der Sternenansicht in ein eintöniges, dunkles violett.

„Alle Systeme grün“, kam es vom Piloten.

Nacheinander meldeten alle Konsolen ihren Status. Es gab keine Ausfälle.

Tim entspannte sich und löste seinen Sicherheitsgurt. Das Schiff war nagelneu und die Besatzung so gut wie er erwartet hatte. Er grinste ein wenig in sich hinein. Sie würden es schaffen, davon war er überzeugt.


Die exakte Landezeit auf Sirilox III war 18:38Uhr Standardzeit. Das Schiff blieb in Sofortbereitschaft und noch bevor Tim oder Colin an der Bodenrampe eintrafen, war dort bereits ein Atmosphärengleiter mit dem Symbol der Föderationspolizei gelandet. Ein Mann, etwa um die 40, in einem schwarzen schlechtsitzenden Anzug, war ausgestiegen und wartete auf die beiden Offiziere.

„Guten Abend, oder besser guten Morgen. Hier auf Sirilox ist gerade eine der Sonnen aufgegangen. Ich bin Special Agent Morris von der Föderationspolizei. Steigen Sie bitte ein, damit wir das alles so schnell wie möglich abgewickelt bekommen.“

Tim und Colin stiegen hinten ein, während Special Agent Morris sich nach vorne setzte. Er drehte sich zu Tim um.

„Um es gleich vorweg zu sagen, ich bin nicht sehr erfreut über ihren Besuch. Die Übergabe des Falles an die Reichsanwaltschaft und das Adelsgericht muss jetzt warten und sie entziehen mir gerade meinen besten Zeugen. Doch ich habe Anweisungen von oben, und ich meine ganz oben, dass sie erst ihren Job machen und ich dann meinen, ob es mir gefällt oder nicht.“

Tim und Colin sahen sich vielsagend an, sagten aber nichts.

„Zwischen ihnen liegt ein Aktenkoffer mit den Unterlagen, die sie hier bekommen sollen. Man hat mir nicht gesagt was genau drin ist, aber ich kann mir meinen Teil schon denken. Meine Zielperson hier wird so lange vor Ort bleiben bis ihre Mission beendet ist oder wir anderweitige Nachricht bekommen. Falls Rückfragen kommen sollten, kann und wird meine Zielperson diese in unserem Sinne beantworten.“

„Ist er denn zuverlässig in dieser Hinsicht?“

„Zu 99%. Als wir hier eintrafen und ihn mit unseren Informationen konfrontierten, hatte er nichts eiliger zu tun, als uns jedes klitzekleine Detail zu erzählen. Er hofft wohl immer noch auf Strafminderung.“

Mit einem kurzen Blick aus dem Fenster unterbrach sich der Special Agent.

„Wir sind da.“

Als sie ausstiegen und Tim sich umsah, schien es, als ob sie auf einer Ranch oder Farm gelandet waren. Es gab ein Wohnhaus und einige weitere Gebäude, die aussahen wie Ställe oder Scheunen. So ähnlich hatte es auf der Farm seines Onkels auch ausgesehen.

Tim schnappte sich den Aktenkoffer und folgte Colin und Special Agent Morris in das Haus. Am Tisch in einer großen Wohnküche saß ein junger Mann und blickte sie erwartungsvoll an. Agent Morris ging wieder zur Tür.

„Ich lasse sie jetzt alleine. Sie haben etwa 15 Minuten, dann muss eine Entscheidung gefallen sein.“

Tim nickte noch zustimmend, obwohl Agent Morris den Raum bereits verlassen hatte.

„Ich bin Lieutenant Sheldon und dies ist Captain Campbell. Sie wollten mit uns sprechen?“

Der junge Mann fuhr von seinem Stuhl hoch. Bevor er die dargebotene Hand ergriff, wischte er seine Hand unbewusst an der Hose ab.

Ganz schön nervös‘ dachte Tim.

Sein Gegenüber war wohl ein paar Zentimeter kleiner als er selbst und trug ein körperbetontes weißes T-Shirt und blaue Jeans. Unter dem T-Shirt waren ausgeprägte Muskeln zu erkennen, was man von der Haut sehen konnte, war kräftig gebräunt. Die schwarzen Haare waren kurz mit teilweise rasierten Seiten. Graue Augen sahen sein Gegenüber etwas unsicher an.

Als er auch Colin die Hand gegeben hatte, wies er wortlos auf die Stühle am Tisch. Alle drei setzten sich und es entstand eine kleine unbehagliche Pause.

„Okay, also mein Name ist Liam Kennedy. Ich wurde auf Thanatos VII geboren. Vor drei Jahren wurde die Kolonie auf Thanatos von Piraten überfallen und etliche Einwohner, darunter meine Eltern, wurden getötet. Ich wurde zusammen mit fünf anderen Kindern von den Piraten mitgenommen und an das Sklavenlager auf Timbuktu verkauft.“

Tim und Colin sahen sich an. Hinter den paar einfachen Worten war das unbarmherzige Schicksal einer ganzen Kolonie verborgen.

„Ich war damals ziemlich mager und so dauerte es eine ganze Weile bis man mich verkauft hatte. Ob Sie es glauben oder nicht, wir mussten in einem Fitness-Center richtig hart trainieren, damit wir ordentlich aussahen. Die Jungs waren von den Mädchen getrennt, wir haben nie eines der Mädchen zu Gesicht bekommen. Nach den ersten paar Tagen wurde uns dann deutlich klar gemacht, für welchen Zweck wir verkauft werden sollten. Einige der Jungs haben versucht abzuhauen, aber keiner hat es wirklich geschafft. Sie wurden alle wieder nach kurzer Zeit eingefangen und weggebracht. Ich weiß nicht, was mit ihnen passiert ist. Ich selbst gewöhnte mich irgendwie an den Gedanken. Mir war ohnehin schon damals klar, dass ich schwul war, aber ich hatte mir mein erstes Mal dann doch etwas anders vorgestellt.“

Liams Stimme war zum Ende hin immer leiser geworden und nach seinen letzten Worten rollten Tränen seine Wangen hinunter. Tim griff nach Liams Händen auf dem Tisch und hielt sie fest. Nach einer Weile befreite Liam seine rechte Hand und wischte sich die Tränen ab.

„Es dauerte mehr als acht Monate, bis ich ersteigert wurde. Er hat den Zuschlag bei 150.000 Credits bekommen. Dann wurde ich hierher geschafft. Ich musste in einem kleinen Haus in der Nähe der Villa wohnen, nahm am Online-Unterricht teil und durfte Sport treiben. Er kam mindestens einmal die Woche zu mir.“

„Du brauchst nicht weiter zu erzählen.“

„Doch, jetzt bringe ich es zu Ende. Nach etwa einem Jahr kam der Haushofmeister zu mir und erklärte mir hämisch grinsend, dass ich jetzt ausziehen müsste. Das Haus würde für jemand anderen benötigt. Also wurde ich hierher geschickt. Hier lernte ich auf einem Pferd zu reiten und wurde als Farmarbeiter eingesetzt, aber immer mit einem Sender um ein Bein. Das Gelände durfte ich nicht verlassen. Als die Polizei auftauchte, war ich hin- und hergerissen zwischen meinen Gedanken und Gefühlen. Ich war endlich frei – aber was nützte es mir. Was hatte ich schon gelernt, außer ein bisschen Farmarbeit und reiten.“ –

„oder geritten zu werden“, fügte er mit bitterer Stimme hinzu.

Colins grüne Augen funkelten ihn an.

„Dir wurde nicht die Chance gegeben etwas Richtiges zu lernen oder einen Beruf zu ergreifen, aber jetzt, da du frei bist, hast du alle Möglichkeiten. Man hat uns gesagt, du würdest uns Hinweise über die Handlungsweisen und die Infrastruktur der Sklavenhändler geben. Bleibst du bei dieser Entscheidung?“

„Ja, selbstverständlich. Ich würde alles tun, damit niemand mehr durch diese Verbrecher zu Schaden kommt.“

„Was treibt dich dazu uns zu helfen? Ist es Hass?“

„Hass? Nein, bestimmt nicht. Ich hasse niemanden. Für ‚ihn‘ empfinde ich etwas Mitleid, etwas Ekel und eine ganze Menge Abneigung. Er hat seinen Gefühlen nachgegeben und dabei anderen Menschen geschadet. Er verdient seine Strafe. Die Anderen, die Piraten und die Händler sind eine ganz andere Sache. Sie jagen, töten, vergewaltigen Menschen wegen Geld. Ich habe wirklich ein dringendes Bedürfnis diese Sache zu beenden. Es ist nichts persönliches, es geht um die Sache.“

Tim hob erstaunt die Augenbrauen. Liams Gesichtsausdruck hatte sich geändert. Er war entschlossen und hart. Die Augen strahlten stahlgrau und seine ganze Gestalt hatte sich gestrafft. Doch diese Haltung ließ nach wenigen Sekunden merklich nach und Liam ging etwas zögernd hinüber zum Küchentresen und holte von dort einen Stapel Schreibfolien.

„Ich mache mir keine Illusionen über meine Zukunft. Irgendwie werde ich schon zurechtkommen. Eigentlich wollte ich ja zur Navy oder den Marineinfanteristen, aber dort wird man mich wohl kaum nehmen mit meiner Vergangenheit. Ich werde wohl erst einmal hier bleiben, deshalb habe ich alles aufgeschrieben, woran ich mich erinnern kann. Sie können die Informationen für ihren Auftrag nutzen, was auch immer dort passieren soll.“

Er legt die Folien vor Tim ab, trat ein paar Schritte zurück und lehnte sich an den Küchentresen. Colin blätterte etwas beiläufig in den Folien, während Tim einen gefalteten Bogen Schreibfolie aus seiner Uniformjacke zog.

„Liam, komm bitte mal her und sieh' dir das an.“

Als der Junge näher kam, nahm er stirnrunzelnd die Folie von Tim und begann zu lesen.

„Was ist das? Das ist eine Verpflichtungserklärung für die Streitkräfte. Wie ich bereits sagte, ich bin nicht geeignet.“

Tim schüttelte vehement den Kopf.

„Über die Eignung entscheiden die Leute, die dich einstellen. Es gibt einen standardisierten Eingangstest, eine psychologische Befragung und eine medizinische Untersuchung.“

„Wann und wo soll ich das denn machen? Ich habe kein Geld und keine Gelegenheit …“

„Du erklärst ab dem Datum deiner Unterschrift deine Bereitschaft für den aktiven Dienst in den Streitkräften. Dazu zählt auch schon die Eignungsprüfung. Aus technischen Gründen müsste diese dann allerdings bei uns an Bord stattfinden …“

Liam sah Tim ungläubig an, dann stahl sich ein breites Grinsen in sein Gesicht.

„Das wäre ja … das ist ja …“

„Genau, das ist es. Bleibt nur noch eine Frage offen: Navy oder Marines?“

„Marines!“

Colin grinste Tim an.

„Okay, dann darfst du unterschreiben.“

Mit einer Geschwindigkeit, um die jeder Rekrutierungsoffizier die beiden beneidet hätte, hatten Tim und Colin die Papiere abgehandelt. Dann standen alle drei auf und sahen sich an.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. So schnell hat sich mein Leben bisher nur einmal geändert und ich bin …“

Mit einem tiefen Seufzer trat Liam schnell auf Tim zu und klammerte sich fest. Das kleine Muskelpaket nahm ihm fast den Atem. Dann spürte Tim Feuchtigkeit auf seiner Schulter und er hörte das leise Schluchzen. Sanft strich er Liam über die Haare.

„Es ist in Ordnung. Du bist jetzt bei uns.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Special Agent Morris streckte seinen Kopf herein.

„Die Zeit ist um, meine Herren. Ihre Entscheidung?“

Tim sah Liam an und der nickte nur. Er hätte wahrscheinlich kein Wort herausgebracht.

„Dann ist es Zeit für uns drei zu gehen. Was ist mit deinem Gepäck Liam?“

Noch bevor dieser antworten konnte, grinste Agent Morris das erste Mal seit sie sich kannten.

„Das ist bereits im Gleiter.“


Die Maschinen der GOLDEN BOY liefen auf Höchstlast um die verlorene Zeit wenigstens zu einem kleinen Teil wieder einzuholen. Nach Standardzeit war es jetzt 20:18Uhr und die Besatzung von Brücke und Maschinenraum würde sich ab Mitternacht in einem vierstündigen Rhythmus ablösen, aufgeteilt in eine sogenannte Backbord- und Steuerbordwache. Der Rest hatte sich ziemlich früh zur Ruhe begeben.

Lediglich in der Kommandantenkammer waren noch ein paar Personen wach.

Colin Campbell und Private vanBerg ließen sich durch Liam Kennedy in die baulichen Gegebenheiten ihres Zieles einweisen. Es gab keine Bilder und so musste Liam Lage und Aussehen der Gebäude beschreiben oder zeichnen. Colin musste zugeben, dass die Zeichnungen besser waren, als er selbst sie je hinbekommen hätte.

„Der Landeplatz ist ziemlich groß, genau kann ich es nicht sagen, aber ich habe an einem Auktionstag sieben Schiffe darauf gezählt, alle etwas kleiner als die HUNTER. Da war der Platz schon ziemlich dicht belegt.“

„HUNTER?“

„So haben die Piraten ihr Schiff genannt. Ich hab keine Ahnung was es genau ist, aber ich glaube es ist sogar größer als dieses hier.“

Colin ging hinüber zum Arbeitsplatz und rief die Bilder aus dem Schiffserkennungsprogramm auf. Er scrollte kurz, dann drehte er sich zu Liam um.

„Nach unseren Informationen müsste es dieses hier sein.“

Liam kam näher und sah auf das Display.

„Ja, genau. Das sieht genauso aus.“

„Gut, dann haben wir eine Bestätigung. Ein wahrscheinlich stark modifizierter Frachter der PROFIT-Klasse, 80m lang. Ich wüsste zu gerne, was die an der Bewaffnung geändert haben.“

„Landefläche pro Schiff also geschätzt 100 x 100. Der Platz ist größer als auf so manchem Kolonialplaneten.“

Leo vanBerg nickte zustimmend.

„Waren irgendwelche Verteidigungseinrichtungen zu erkennen, also Geschütze oder Raketenwerfer?“

Liam überlegte. Es war nun schon eine ganze Zeit her und er war auch nicht sehr oft draußen gewesen. Doch, da war etwas.

„Die Hügel vor dem Landeplatz. Wir durften draußen joggen. Eine festgelegte Runde um das gesamte Gelände. Die Strecke war vom Landeplatz ziemlich weit weg, aber wenn man genau hinsah, konnte man sechs kleine Hügel erkennen. In regelmäßigen Abständen.“

„Klingt nach getarnten Geschützständen. Da müsste dann etwas weiter abseits noch eine etwas größere Stellung sein.“

„Oh, ja. Hier auf der Westseite war ein großer Hügel.“

„Das ist die zentrale Feuerleitstelle. Ziemlich dicht dran, aber die erwarten ja wahrscheinlich auch keinen großen Angriff.“

Colin seufzte ergeben. Die Sitzung würde lang werden.

„Ok, jetzt noch mal zum Innenleben der Gebäude …“


Gegen 05:00Uhr erschien Tim Sheldon auf der Brücke, um den Austritt aus dem Hyperraum zu überwachen. Eigentlich sollte es keine großen Probleme geben, denn ihre Route lag im Moment auf einer der meistbefahrensten Hyperraumrouten in diesem Sektor. Tim scrollte ein wenig in seinem Handbuch für die Schiffstechnik, als ihn Philipp Camerons Stimme aus seinen Gedanken riss.

„Wir sind in etwa zehn Minuten klar zum Austritt.“

„Ja, danke. Dann wollen wir mal. Hoffentlich dauert die Orientierungsphase nicht so lange, wir haben was aufzuholen.“

Nach der angekündigten Zeit hob Philipp Cameron die rechte Hand und begann seine Durchsage.

„An alle Stellen. Austritt aus dem Hyperraum in 3 - 2 - 1 - jetzt!“

Schlagartig zeigten die großen Monitore wieder das Bild der Umgebung.

„Sensoren, keine Objekte in Reichweite.“

„Comm, keine Anrufe, kein Funkverkehr.“

„Navigation, klar zum neuen Sprung in 14 Minuten!“

„So schnell?“

„War ganz einfach, hier läuft eine Haupthandelsroute. Da dauert der Abgleich nicht so lange.“

„Das ist eine Haupthandelsroute und dann ist hier alles tot? Außer uns niemand unterwegs?“

In diesem Moment stieß CPO Parker and der Kommunikationskonsole einen unterdrückten Fluch aus.

„Notruf auf allgemeiner Notruffrequenz. Keine Bildübertragung.“

Und schon ertönte eine männliche Stimme über den Brückenlautsprecher.

„…Z-5678.967! Ich wiederhole. Raumfrachter ZITROFAX auf dem Weg von Waranga nach Viltorin. Werden von Piraten überfallen. Unsere Position ist X-1547.236, Y-1589.478, Z-5678.967! Kann mich jemand hören? Ich wiederhole. Hier ist Raum…“

Schlagartig brach die Übertragung ab. Tim fuhr in seinem Sessel herum.

„Aufzeichnung sichern. Logbuchmitschnitt aktivieren. Abfangkurs berechnen.“

„Aufzeichnung gesichert, Logbuch aktiviert“, kam es von der Fernmeldekonsole.

„Entfernung 79 Lichtjahre, Flugzeit 33 Minuten, Zielpunkt gespeichert.“

„Gefechtsalarm!“

Mit diesem Wort drückte Tim auf einen roten Button unter einer Abdeckhaube und im gesamten Schiff begannen die Alarmsirenen zu hupen. Chief Parker an der Comm-Konsole machte die entsprechende Durchsage.

„Gefechtsalarm. Dies ist keine Übung. Ich wiederhole. Gefechtsalarm. Dies ist keine Übung!“

Tim sah auf die Uhr und bedauerte etwas, die Besatzungsmitglieder der Backbordwache die erst um vier Uhr abgelöst worden waren. Automatisch schnallte er sich mit den Hosenträgergurten im Sessel fest und setzte ein Headset auf.

Philipp Camerons Stimme kam ruhig und gelassen von vorne.

„Übergang in den Hyperraum in 3 - 2 - 1 - jetzt!“

Innerhalb von nur wenigen Minuten traf die restliche Brückenbesatzung ein. Tim schaltete sich auf den schiffsweiten Lautsprecherkreis.

„Hier spricht der Kommandant. Wir haben den Notruf eines Frachters aufgefangen, der von Piraten angegriffen wird und sind auf dem Weg zu seiner Position. Die Lage ist noch nicht bekannt, ich rechne mit einem Gefecht gegen mehrere Gegner. Weitere Informationen folgen. Kommandant Ende.“

Jetzt wechselte Tim auf den Brückenkreis.

„Comm: ESM vorbereiten. Waffeneinsatz: Feuererlaubnis erst auf Freigabe. Nach Austritt sofort volle Schirmfelder, klar für Ausweichmanöver.“

„So, dann wollen mal sehen, was uns da alles erwartet. Gefechtsdisplay!“

Die große Frontanzeige wechselte vom eintönigen Grau des Hyperraumes in eine mehrfarbige grafische Darstellung. Bis jetzt war nur ein grüner Kreis in der Mitte angezeigt. Am rechten Bildschirmrand erschien eine 3-D-Darstellung des grünen Objekts, in diesem Fall ein Frachter der PROFIT-Klasse, zu der die ZITROFAX gehörte. Auf Grund ihrer kantigen rechteckigen Form wurden die Frachter dieser Klasse von den Flottenangehörigen Ziegelsteine genannt.

„Noch zwei Minuten bis zum Austritt!“

Tim griff nach hinten und zog die Sicherheitsgurte fester.

„Noch eine Minute bis zum Austritt!“

Ein letzter Blick auf die Kontrollen.

„Austritt in 3 - 2 - 1 - jetzt!“

Die Anzeige des Gefechtsdisplay begann zu leuchten und wurde schlagartig aktualisiert.

„Scheiße“ war Tims einziger Kommentar, als er das Display studierte und bemerkte wie Philipp das Schiff stark nach vorne abkippen ließ.


Gut ein Dutzend blinkender roter Punkte war auf dem Display erschienen. Alles Papa-Echo, PE, also Possible Enemy, Fahrzeuge bei denen die Waffensysteme aktiviert waren. Der Rechner hatte sie schon der Einfachheit halber durchnummeriert. Auf dem Seitendisplay wurden nun auch die erfassten PE-Typen angezeigt. Mehrere Kleinfahrzeuge, sechs Raumjäger vom gleichen Typ, den auch die Raumflotte flog und ein kleiner Frachter.

Die sechs Raumjäger nahmen sofort Kurs auf die GOLDEN BOY und kurz danach flammte der Schutzschirm zum ersten Mal auf.

„Laserbeschuss rot 30, minus 10. Markiert Charly-Echo.“

Brandon Taylors Stimme klang halblaut durch den Raum. Jeder Beschuss durch ein Fahrzeug, das keinen hoheitlichen Auftrag hatte, galt als Piraterie und berechtigte zur Selbstverteidigung. Deshalb war das Fahrzeug als Charly-Echo, CE oder Certain Enemy markiert.

„Achtet auf die Jäger!“, Tim klang angespannt, als das Schiff hoch zog und gleichzeitig in eine Linkskurve ging, um die Geschütze besser gegen den ersten Gegner einsetzen zu können.

„Feuererlaubnis für Charly-Echo!“

Tim schob seinen Codeschlüssel in die Konsole, ebenso wie Brandon an der Waffenkonsole. Nur den Bruchteil einer Sekunde später feuerten die beiden vorderen Türme mit den schweren Partikelstrahlern. Mit einem Piepen meldete sich die Anzeige. Die rote Markierung des CE war verschwunden.

„Bird One“, meldete CPO Winterfield von der ECM-Konsole.

Eine Rakete war auf ihr Schiff aufgeschaltet worden und näherte sich.

„Da muss einer hinter uns sein!“

Brandon versuchte aus dem Chaos etwas herauszufiltern. Die Rakete kam von hinten, also musste derjenige, der sie abgeschossen hatte, auch irgendwo dort sein, da die Rakete bereits zwei Sekunden nach dem Abschuss aktiv wurde. Ein gängiges Verfahren der wendigen Raumjäger war, den Einschlag der Rakete abzuwarten, der meistens den Schutzschirm ihres Gegners neutralisierte, um dann mit den Bordwaffen den Gegner ganz unschädlich zu machen.

„Counter Measures“, kam die Anweisung von Tim.

Lars Winterfield aktivierte die automatische Bekämpfung. Die Sensorstrahlung der Rakete wurde aufgefasst und direkt an das Feuerleitpult weitergegeben. Die drei Laser-Hecktürme suchten nach dem Ziel und nur zwei Sekunden später erstrahlte im All eine neue kleine Sonne.

Der Verfolger war wohl etwas zu dicht hinter der Rakete gewesen, denn als diese explodierte flog er durch den Kern, sein Schutzschirm flammte hektisch auf und dann erstrahlte eine zweite kleine Sonne.

In diesem Moment gab es auch im Schutzschirm der GOLDEN BOY ein riesiges Feuerwerk. Von beiden Seiten näherten sich jeweils zwei Fahrzeuge und feuerten gleichzeitig aus allen Waffen. Da sie wohl gehofft hatten, ihr Ziel zu zerstören, drehten sie rechtzeitig ab um nicht selbst gefährdet zu werden. Jetzt verfolgten jedoch auf beiden Seiten jeweils zwei Geschütztürme jedes der Fahrzeuge und kurze Zeit später konnte man an Backbord und an Steuerbord die Explosionen der vier Fahrzeuge erkennen.

„Das waren die Jäger. Was ist mit dem Rest?“

Der Rest hatte sich schon bei Beginn des kurzen Gefechts in alle Richtungen davon gemacht. Einige der Fahrzeuge waren zwar noch in Abfangreichweite, strebten aber mit Höchstgeschwindigkeit weg vom Kampfgeschehen.

„Sollen wir die anderen verfolgen?“, kam es von Christoph deCoeur, der die ganze Zeit über die Navigation überwacht hatte, während Philipp geflogen war.

„Nein. Die haben genug. Außerdem müssen wir sehen, dass wir weiterkommen. Und dann möchte ich nicht, dass uns dieser Frachterheini identifiziert.“

Chief Parker drehte sich grinsend um.

„Unser Transponder war während des Gefechts ausgeschaltet. Unsere Kennung kann er nicht haben.“

Tim nickt anerkennend.

„Sehr gut.“

Dann sah er nach der Uhrzeit.

„Gefechtsalarm aufgehoben. Christoph, wie viel hat uns die Nummer gekostet?“

„Zwölf Minuten. Und fünf Minuten für die erste Sprungberechnung. Das lag fast genau auf unserer Route. Gesamtverzögerung inclusive kleiner Kurskorrektur 18 Minuten. Ach, Captain, wenn es ihnen nichts ausmacht, Chris ist kürzer.“

Tim grinste in sich hinein, als er die Reaktion von Brandon Taylor sah, der Chris einen erstaunten Blick zuwarf.

„Okay, es ist jetzt kurz vor sechs. Die Steuerbord-Wache bleibt noch so lange, bis Backbord gegessen hat, dann normale Ablösung.“


Am Vormittag hatten sich auf dem Ladedeck alle Soldaten versammelt, die für den Einsatz gegen die Sklavenhändler vorgesehen waren. Sie hatten sich in einem lockeren Kreis um 2nd Lieutenant Rhyder und den Versorgungsunteroffizier versammelt.

„Männer, wie ihr sicherlich wisst, sollen wir in der ersten Phase der Unternehmung eine Art Ehrenwache für den vorgeblichen Milliardär stellen. Master Chief Joyce wird den Milliardär darstellen. Zwei Mann werden ihn als Ehrengarde begleiten. Falls es notwendig erscheint, kommt noch ein Spezialarrangement dazu.“

Alle Anwesenden sahen sich fragend an.

„Wir kommen jetzt zum Auftreten. Wir müssen auffallen und zwar um jeden Preis. Wir müssen die Aufmerksamkeit der Wachen und des sonstigen Personals von den Aktivitäten in und an unserem Schiff ablenken. Der Milliardär soll den Typ der dekadenten Tunte darstellen, deshalb bekommt die Ehrengarde ein besonderes Outfit.“

Das Gemurmel unter den Marines wurde lauter.

„Leute! Die Typisierung ist keine Diskriminierung oder Herabwürdigung. Es ist schlicht die Umsetzung eines Klischees, das in dieser Form erwartet und auch akzeptiert wird.“

Als die Ruhe wieder hergestellt war, konnte Scion Rhyder wieder leiser fortfahren.

„Chief Joyce ist, wie ihr vielleicht wisst, dunkelblond und etwa 1,80 groß. Wir haben ihm einen weißen Anzug besorgt, ähnlich den Arbeitskombis. Ein Einteiler mit Hose und offenem Hemd und Stehkragen. Das Ganze komplett mit Gold bestickt.“

„Ruhe!“ Das Gemurmel war wieder angeschwollen.

„Hört mir erst mal zu. Vorschläge und Kommentare können später gemacht werden.“

„Wir haben überlegt, dass die beiden Eskorten für Mister Smith - so soll er heißen - dazu etwas kontrastieren sollten. Sie werden also hellblond sein. Der Anzug wird auf das Minimalste beschränkt. Da die beiden auch etwa die gleiche Größe haben sollten, kommen hier nur Private vanBerg und Private Price in Frage.“

Ein Arm hob sich aus der Menge, er gehörte Corey Price.

„Was genau wird der Anzug sein?“

„Ah, ja. Nun, Corey, er ist das hier.“

Damit hob Petty Officer Bower ein kleines schwarzes Stück Stoff in die Höhe.

„Ein Speedo. Schwarz, mit dem gleichen Muster in Gold bestickt, wie auf dem weißen Anzug.“

Etwas entgeistert sah Corey Price seine Kameraden an, die alle nur breit grinsten.

„Okay Leute, ich bin ja froh, dass ihr das alles von der humorvollen Seite nehmt. Das Folgende wird euch möglicherweise nicht gefallen, aber wir haben einen zweifelhaften Ruf darzustellen und, viel wichtiger, beide haben zugestimmt und machen das freiwillig.“

Ein tiefes Schweigen senkte sich über die Gruppe als hinter einem der Container zwei Gestalten hervorkamen. Die auffälligere war zunächst Private Andrew Fraser. Mit 1,91m der Größte der Marines und eine imposante Erscheinung. Muskulös, sportlich und mit leuchtend roten Haaren. Als Kontrast zu seiner sehr hellen Haut trug er lediglich einen schwarzen, gekreuzten Lederharness, schwarze Ledershorts und schwarze Lederstiefel mit silbernen Schnallen.

Die Gestalt neben ihm jedoch war es, die alle hatte verstummen lassen. Private Yeats trug neben seinem hellen gefleckten Fell lediglich einen schwarzen Jockstrap und um den Hals ein breites schwarzes Lederhalsband mit dicken silbernen Nieten. An diesem Halsband war eine etwa zwei Meter lange Leine befestigt, die Andrew Fraser in seiner linken Hand hielt.

Die versammelte Gruppe sah die beiden näherkommen und ein Gemurmel setzte ein. Corey Price brachte die Meinung auf den Punkt.

„Das ist nicht euer Ernst, oder?“

Bevor jemand noch etwas sagen konnte hob Robin Yeats eine Hand.

„Leute, lasst mich das bitte mal erklären.“

Die Geräusche wurden leiser und Robin nickte.

„Okay, als mir der Vorschlag gemacht wurde, war ich noch viel weniger begeistert als ihr. Meine Kultur kennt keine Versklavung oder Unterdrückung. Einen Felidaner quasi als Haustier zu halten ist im Prinzip ein Affront gegen alle Felidaner und eine erniedrigende Handlung gegen die Person selbst. In den wenigen Kulturen, die außerhalb der Föderation Sklaven halten, ist ein Felidaner der ultimative Besitz. Andrew und ich haben lange darüber gesprochen, wie wir wohl auftreten könnten und wie weit wir das Spielchen treiben wollen und können. Wir haben uns geeinigt und ich habe ausdrücklich zugestimmt, dass er mich vorführt. Abgesehen davon bin ich der Ansicht, dass die Sklavenhändler uns indirekt zu dieser Maskerade gezwungen haben, um die Operation so effektiv und realistisch wie möglich zu machen. Ich werde mich irgendwann während der Operation entsprechend bei ihnen bedanken. Sollte ich also kurz abwesend sein, fragt bitte nicht, wo ich bin und was ich mache.“

Das nachfolgende Schweigen war fast mit den Händen zu greifen. Alle starrten Robin an und einigen seiner Kameraden dämmerte die Bedeutung seiner letzten Worte. Um das Schweigen zu brechen, drehte sich Robin um und sah Corey Price über die Schulter an.

„Außerdem, meinst du nicht, mein Schwanz kommt so besser zur Geltung?“

Mit den Hüften wackelnd drehte Robin seinen Schwanz direkt vor Coreys Gesicht ein paarmal im Kreis.

Das nachfolgende Gelächter löste die gedämpfte Stimmung.


Die Landung auf Timbuktu erfolgte um 1339 Uhr Standardzeit. Womit niemand gerechnet hatte, war die Anwesenheit von vier weiteren Schiffen auf dem Landeplatz.

„Was ist das denn? Was wollen die denn alle hier?“

Entfuhr es Philip Cameron unwillkürlich.

Tim Sheldon starrte mit verbissenem Gesicht auf den riesigen Monitor.

„Ich fürchte, wir sind pünktlich zur Auktion.“

Vom Platz des Ersten Offiziers kam ein missbilligendes Zischen. Colin starrte ebenfalls auf den Monitor und murmelte unverständliche Sachen vor sich hin. Dann wandte er sich an den Captain.

„Wir müssen umdisponieren. Unsere ganze Tarnung ist im Eimer.“

Jetzt drehten sich alle Köpfe auf der Brücke hinüber zu Colin Campbell.

„Wieso das denn?“

„Ganz einfach. Wir hatten eigentlich gehofft, außerhalb einer Auktion einzutreffen und alles ohne Zeugen abwickeln zu können. Stellt Euch mal vor, diese Schiffe verlassen den Planeten und haben zumindest das äußere Erscheinungsbild aller anwesenden Schiffe im Speicher. Dann wird eines dieser Schiffe von der Navy oder den Rangern aufgebracht und die finden unser Bild, wie wir friedlich auf einem Piratenstützpunkt gelandet sind. Unser Schiff ist ein Prototyp, das Ding ist unverwechselbar.“

Lieutenant Sheldon sah etwas unsicher in die Runde.

„Und jetzt? Haben wir einen Plan B?“

„Im Prinzip nein, aber mir ist gerade etwas aufgefallen. Können wir feststellen, ob das Piratenschiff, dieser modifizierte PROFIT-Frachter sich irgendwo befindet?“

Chief Raynard und Chief Winterfield brachen an ihren Konsolen in Arbeit aus.

„Sensoren. Keine Daten“, kam es knapp von Kevin Raynard und kurz danach auch von Lars Winterfield.

„ESM. Keine Erfassungen.“

Christoph deCoeur deutete durch das Panoramafenster nach draußen und dann hoch zu einem der großen Monitore. Dort hatte er mittels der Zoom-Funktion einen etwas abseits stehenden Hangar zentriert und man konnte erkennen, dass die Hangartore offen standen und die Halle komplett leer war.

„Das Vögelchen ist schon wieder ausgeflogen.“

„Dann haben wir eine Chance. Ich möchte gerne eine Offiziersbesprechung.“

Tim Sheldon nickte zustimmend und drückte einen Knopf auf seinem Kommandopult.

„Alle Offiziere sofort zu einer Besprechung in die Messe. Ich wiederhole, alle Offiziere sofort zu einer Besprechung in die Messe.“

Danach erhob er sich und ebenso die anderen Offiziere auf der Brücke. Sie brauchten lediglich den Niedergang hinter der Brücke hinunter und dann nach vorne zur Messe.

Der Chefingenieur war schon dort, denn er hatte den kürzesten Weg. Wenige Sekunden später trafen auch der Doktor und 2nd Lieutenant Rhyder ein.

„Meine Herren, unsere Lage hat sich grundlegend geändert. Wir müssen wohl etwas mehr improvisieren als sonst. Captain Campbell gibt ihnen eine kurze Einweisung.“

Colin Campbell erklärte kurz die Lage und die daraus resultierenden Probleme.

„… somit können wir die Aktion nicht wie geplant durchführen. Das Einzige was uns bleibt, wäre tatsächlich ein frontaler Angriff.“

„Was?! Wie soll das denn funktionieren? Mit unseren sechs, nein sieben Mann kommen wir nicht einmal bis zum Haupteingang.“

Scion Rhyder sah den großen rothaarigen Captain fast entsetzt an. Auch die anderen Offiziere begannen jetzt mit etlichen Kommentaren, doch Colin Campbell hob beide Hände.

„Ruhe bitte! Einen Moment, Leute. Ich habe mir schon etwas dabei gedacht. Wir werden die Marines mit vier Mann aus der Besatzung verstärken, eigentlich fünf, denn ich bin auch dabei.

Wir bilden dann zwei Gruppen mit jeweils vier Marines und zwei Mann von der Navy. Ihr dürft nicht vergessen, dass die infanteristische Ausbildung der Navy nicht zum Spaß war. Sobald wir ausgeschleust haben, hebt das Schiff ab und bekämpft mit einem Feuerschlag alle sechs Geschützstellungen. Ich nehme an, das ist so möglich.“

1st Lieutenant Taylor spielte unbewusst mit der hin- und her zuckenden Spitze seines Schwanzes, dann nickte er.

„Müsste funktionieren. Sobald wir Energie auf die Türme geben, wissen die drüben, was los ist. Ich schätze, wir haben drei bis fünf Sekunden Zeit für den Feuerüberfall.“

„Okay. Danach gehen die beiden Gruppen vor. Die erste Gruppe besetzt das Haupthaus. Ich möchte auf jeden Fall versuchen, an die Unterlagen dieses Unternehmens zu kommen. Die zweite Gruppe stürmt den Unterkunftsblock. Im Haupthaus werden voraussichtlich nicht mehr als 10 bis 15 Personen sein, im Unterkunftsblock ist mit 5 bis 10 Gegnern zu rechnen. Es gibt keine Hinweise auf schwere Waffen, aber wir müssen trotzdem vorbereitet sein.“

Alle Offiziere sahen sich mehr oder weniger betroffen an. Aus einem trickreichen Agenteneinsatz war innerhalb kürzester Zeit ein Himmelfahrtskommando geworden.

„Wo bleibt das Schiff?“

„Hovering. Kurz über dem Boden. Ihr müsst in der Lage sein, uns kurzfristig von jedem beliebigen Punkt aufnehmen zu können.“

Ensign Cameron verschränkte lächelnd die Hände bis die Finger knackten.

„Feuerunterstützung?“

„Auf jeden Fall. Zielzuweisung nach Ansage. Aber bitte nur die Laser, ich möchte nicht alles pulverisieren hier. Recruit Kennedy bleibt auf der Brücke zur Zielidentifizierung.“

Colin Campbell und Brandon Taylor sahen sich wissend an. Der Doktor hob eine Hand.

„Was ist mit dem Gefechtsfeldsanitäter? Sollen wir das Lazarett in Alarmbereitschaft halten, und wie viele Personen werden aus diesem Unterkunftsblock gerettet?“

„Oh, ja richtig. Der Sani geht mit Gruppe 2 zum Unterkunftsblock. Das Schiff ist während des Einsatzes ohnehin im Gefechtsalarm. Ach so, wir haben ihnen ja ihre Hilfssanitäter abgezogen, denn die Logistikabteilung wird das Landekommando verstärken. Tut mir leid, Doc, aber wir können nur hoffen, dass es nicht allzu schlimm wird. Was die Leute betrifft, keine Ahnung. Mindestens einer, alles andere ist Spekulation.“

Dr. Farnsworth machte ein etwas enttäuschtes Gesicht, nickte aber dann zustimmend. Ensign Cameron hob noch einmal die Hand.

„Was ist mit den drei anderen Schiffen? Wie sollen wir uns ihnen gegenüber verhalten?“

Tim Sheldon und Colin Campbell sahen sich nur kurz an, dann übernahm Colin die Antwort.

„Sind sie inzwischen identifiziert?“

Christoph deCoeur sah auf sein Datapad.

„Zwei von ihnen sind Privatyachten von Föderationsbürgern. Die Eigentümer sind namentlich bekannt. Das dritte ist ein Erleuchtungsschiff der Serenade und das vierte ein Frachtschiff des BfP.“

Colin sah Tim betroffen an, dann zuckte er mit den Schultern.

„Da müssen wir durch. Die beiden Föderationsbürger können wir ignorieren, um die können sich später die Ranger kümmern. Mit den anderen beiden ist es etwas komplizierter. Ich fürchte, die werden Alarm schlagen, sobald das hier losgeht. Wenn das der Fall ist, sofort elektronische Gegenmaßnahmen einleiten. Sollte uns einer angreifen, wird er bekämpft.“

Mit verkniffenen Lippen sah Colin in die Runde.

„Egal was wir machen, wird sind auf jeden Fall aufgeflogen. Ich möchte ungerne die Schiffe grundlos angreifen, nur weil sie gerade hier sind. Jedes dieser Schiffe kann uns eindeutig identifizieren, sobald sie wieder zu Hause sind. Gut, die beiden Föderationsbürger werden wohl kaum etwas ausplaudern, aber die Serenade und dieses BfP-Schiff sind mehr als ärgerlich. Wenn sie versuchen abzuhauen und wir holen sie runter, ist das ebenfalls ungünstig. Sollte in den Überresten noch etwas Brauchbares zu finden sein, sind wir genauso am Arsch.“

Scion Rhyder sah auf seine Uhr.

„Wann soll die Operation starten?“

Alle sahen automatisch auf ihre Uhren. Tim Sheldon seufzte tief.

„Es ist jetzt 1415 Uhr. X-Zeit ist 1500 Uhr. Wir beginnen mit dem Absetzen der Bodentruppen. Wenn alle draußen sind, gehen wir auf Dreißig Meter und fangen mit den Abwehrgeschützen an. Dann müssen wir sehen, wie sich die Lage entwickelt. Wir werden erst einmal hier bleiben, da sind wir relativ zentral. Gunfire-Support nur in dringenden Fällen. Ach ja, und wir nehmen die neutralen Kampfanzüge. Die könnten zwar nachher als Baureihe der Föderation identifiziert werden, aber man kann uns erst einmal niemandem zuordnen.“

Auf die fragenden Blicke der anderen Offiziere gab 2nd Lieutenant Rhyder Auskunft.

„Wir haben drei verschiedene Sätze Kampfanzüge an Bord. Die roten für die Marines und die blauen der Navy. Die sind beide mit Hoheitsabzeichen versehen. Dann haben wir noch einen dritten Satz ganz in schwarz, ohne jegliche Abzeichen.“

„Aber das ist Piraterie, ohne Kennzeichnung.“

Scion Rhyder sah etwas irritiert zu Brandon Taylor, dann zu Colin Campbell.

„Ja, stimmt. Wir müssen uns noch kurz etwas einfallen lassen bevor die Sache losgeht. Ein Symbol, irgendeine einheitliche Kennzeichnung. Wir haben zwar eine Schiffskennung der Föderation, aber keine als Kriegsschiff. Wenn alles schief geht, möchte ich nicht gerne standrechtlich erschossen werden. Noch jemand Fragen?“

„Wieso haben wir eigentlich einen Satz schwarzer Kampfanzüge?“

Ensign Maxwell sah hinüber zum Schiffsarzt.

„Eigentlich haben wir nur schwarze. Die roten und blauen haben eine zusätzliche Lackierung, die schwarzen sind das Grundmodell. Der dritte Satz ist eigentlich die Reserve und wird erst dann entsprechend lackiert, wenn er an einen der beiden Truppenteile ausgegeben wird.“

„Okay, noch jemand eine Frage?“

„Mit oder ohne Helm?“

„Mit Helm. Ich möchte ungerne erkannt werden. Wir brauchen dann auch noch taktische Nummern auf den Panzerungen.“

„So, noch jemand?“

Nach einigen Sekunden des Schweigens hob Tim Sheldon eine Hand und sah in die Runde.

„Gut, dann alle auf ihre Plätze. Scion, gib Bescheid, wenn ihr soweit seid. Notfalls müssen wir die X-Zeit noch etwas verschieben.“

Scion Rhyder nickte und damit waren alle entlassen. Schnell eilte er hinunter in den Hangar und informierte seine Leute über die Veränderungen.

Die Marines waren schon beim Anlegen der Kampfanzüge, als die sechs zusätzlichen Soldaten eintrafen. Colin Campbell erklärte noch einmal die Aufteilung in die beiden Gruppen und deren Aufgabe. Private Yeats hob die Hand.

„Verzeihung, Sir. Müssen wir da nicht die Truppführer tauschen?“

Captain Campbell sah den Felidaner erstaunt an.

„Na ja, Corporal Fraser ist der IT-Spezialist. Der wäre in der ersten Gruppe im Hauptgebäude vielleicht besser aufgehoben.“

„Nicht nur vielleicht, sondern ganz bestimmt. Ok, ich denke, wir müssen uns besser kennenlernen, damit wir bei schnellen Entschlüssen auch die richtigen Entscheidungen treffen.“

Die vier Mann aus der Versorgung hatten nun auch ihre Kampfanzüge angelegt und dabei eine Sachkenntnis bewiesen, die einige der Marines zustimmend kommentierten.

Bewaffnet waren, bis auf zwei Ausnahmen, alle mit einem Laserkarabiner, der in mehreren Staaten zur Standardausrüstung zählte und nicht weiter auffällig war.

Lediglich Corey Price trug ein langes Scharfschützengewehr, dessen Hochleistungsoptik mit einem Kabel am Kampfanzug angeschlossen war. Die Anzeige der Zieloptik konnte er wahlweise auf das Helmdisplay übertragen lassen.

Der zweite war Lucas Seegers, der Gefechtsfeldsanitäter. Er trug außer seinem großen Notfallrucksack nur eine kleine Laserpistole.

Colin Campbell sah interessiert zu, wie Chief Petty Officer Maxwell von der Technik an jedem Kampfanzug auf der Frontplatte eine Abziehfolie anbrachte. Danach war auf dem schwarzen Untergrund ein goldenes Symbol zu erkennen. Es zeigte einen Ring mit einem innen liegenden 7-strahligen Stern.

Es war jetzt keine Zeit um zu fragen, aber Colin interessierte es schon, wer dieses Abzeichen gemacht hatte und was es bedeuten sollte.

Dazu bekamen die Kampfanzüge auf Brust und Rücken eine Nummer in etwa 5 cm hohen Zahlen aufgeklebt. Unterschiedlich für die beiden Teams, beginnend jeweils mit 1-1 bzw. 2-1.

Als jeder einzelne Angehörige der Landungsabteilung klar gemeldet hatte, setzte sich Colin mit der Brücke in Verbindung.

„Es geht los. Landegruppen klar zum Absetzen.“

„Landegruppen absetzen. Schiff startet in x+2. Viel Glück.“


„Los Leute! Raus! Wir haben zwei Minuten um vom Schiff frei zu kommen.“

Beide Landegruppen sprinteten gleichzeitig die Rampe herunter, in einer Reihe hinter ihrem jeweiligen Gruppenführer. Direkt hinter der Rampe trennten sich die Gruppen und liefen weiter in Richtung des Hauptgebäudes. Nach knapp einer Minute hatten sie den Rand der befestigten Landefläche erreicht. Vor ihnen, in etwa 20 Metern Entfernungen konnte man die getarnten Abwehrgeschütze deutlich als Hügel in der sonst völlig flachen Ebene erkennen.

In den Kopfhörern der Helme ertönte ein Warnsignal und beide Gruppen suchten Deckung, was bei dem Belag der Landefläche lediglich hieß, sich so flach wie möglich zu machen.

Mit einem lauten Brausen erhob sich die GOLDEN BOY und noch während ihres Aufstiegs drehte sich das Schiff um seine Hochachse, um so viele Geschütze wie möglich zum Einsatz bringen zu können. Erst jetzt hörte man im Hintergrund eine Alarmsirene und die Tarnungen der Abwehrgeschütze begannen im Boden zu versinken.

Das erste Ziel des Schiffs war die in der westlichen Kuppel vermutete Feuerleitanlage. Colin Campbell konnte deutlich erkennen wie zwei einzelne Laserstrahlen und die beiden Strahlen des Zwillingsturmes in die Kuppel einschlugen. Sekundenbruchteile später brach eine riesige Feuersäule aus der Erde empor und Trümmerteile wurden emporgewirbelt.

Fast zeitgleich mit dem Angriff auf die Feuerleitanlage brachen aus allen drei Partikelstrahlern der Backbordseite armdicke Energiebündel hervor und schlugen in die drei am westlichsten gelegenen Abwehrgeschütze ein. Der Effekt war fast ebenso spektakulär wie bei der Feuerleitanlage.

Noch bevor sich die GOLDEN BOY weiterbewegen konnte, begannen die drei auf dem Boden verbliebenen Geschütze mit ihrem Feuer. Zwei der Strahlen schlugen in den Schutzschirm ein, einer ging weit über das Schiff hinweg.

Nach einer kurzen Korrektur erfolgte eine zweite Salve des immer noch auf seiner Position schwebenden Schiffs. Innerhalb weniger Sekunden blieben nur rauchende Trümmer übrig.

„Primärziele bekämpft. Bereit zum weiteren Vorrücken. GB Ende.“

Colin Campbell war einen Moment irritiert, dann lachte er. GB war anscheinend das neue Kurzzeichen für die GOLDEN BOY.

„Alles auf! Vorrücken nach Plan!“

Die beiden Landungsgruppen erhoben sich und liefen auf die knapp 200 Meter entfernten Gebäude zu. Direkt vor ihnen, am Ende der Straße, lag das Hauptgebäude. Von außen erkennbar war ein in etwa quadratischer, großer Mittelbau, von dem Colin inzwischen wusste, dass er den großen Auktionsaal beherbergte. Links und rechts waren jeweils kleinere, flache Nebengebäude angebaut, die auf der einen Seite Unterkünfte, auf der anderen Seite Büros enthielten. Hier erwartete Captain Campbell seine Informationen zu erhalten.

Etwa 50 Meter hinter dem Hauptgebäude waren das Gefängnis und zwei kleine Unterkunftsgebäude für Wachpersonal. Das Gefängnisgebäude war Ziel der zweiten Gruppe.

Die Gruppe von Colin Campbell erreichte als erste ihr Ziel. Rund um das Hauptgebäude war alles ruhig, es gab keinerlei Widerstand. Die große Flügeltür war fest verschlossen. Private vanBerg untersuchte kurz die Tür.

„Panzertür, Klasse 3 wahrscheinlich.“

„Da hab ich was“, brummte Corporal Fraser und pappte zwei kleine dunkelgraue Pakete in die Mitte der Tür.

„Deckung!“

Jeweils die Hälfte der Gruppe drückte sich links und rechts an die Hauswand. Eine Detonation erschütterte das Gebäude und die Türhälften hingen lose in ihren Führungen. Nach einem kurzen Blick in den Innenraum schob Colin Campbell eine Türhälfte zurück und winkte den anderen, ihm zu folgen.

Der Raum beinhaltete tatsächlich nichts anderes als eine große Bühne im Rückraum, die an beiden Seitenwänden als Rampe fast bis zum Eingang hinunterlief. Im Auditorium befanden sich lediglich zwölf, jetzt teilweise zerstörte, große Sessel. Auf halber Höhe der Rampen gab es jeweils eine Tür in einen der Seitenflügel.

Captain Campbell wandte sich nach rechts, zum Bürotrakt. Diese Tür war nicht verschlossen und man konnte einen kurzen Gang erkennen, von dem links und rechts jeweils sechs Türen abgingen.

„Zwei Mann sichern die Gangtür, van Berg, Simon. Fraser, Kantalidis eine Seite, Norman mit mir die andere.“

Zeitgleich drangen die beiden Paare in die ersten, sich gegenüberliegenden Büros ein.

„Gesichert!“

„Gesichert!“

Es gab keine Gegenwehr, die Büros waren leer. Ebenso wie alle anderen in diesem Gang.

„So, Corporal, dann zeigen sie mal, was sie können.“

Andrew Fraser trat zu einem der Computerarbeitsplätze und aktivierte den Bildschirm. Nach nur wenigen Sekunden schüttelte er den Kopf.

„Keine Verbindung, Sir. Sie haben anscheinend ihr Netz vom Hauptrechner getrennt, als wir angegriffen haben.“

„Mist. Aber das habe ich befürchtet. Wir müssen rüber in den Unterkunftsbereich. Vielleicht ist da ja sogar der Hauptrechner.“


Während Captain Campbell sich durch die Büros arbeitete, hatte auch die zweite Gruppe ihr Ziel erreicht. Der Gefängnisblock war ein langgestrecktes, flaches Gebäude mit einem Eingang an der Schmalseite. Direkt gegenüber dem Eingang war eines der Unterkunftsgebäude der Wachen. Bei beiden Gebäuden war niemand zu bemerken.

Scion Rhyder sah sich kurz um.

„Private Price, Petty Officer Bower, sie behalten das Nebengebäude im Auge. Corporal Reins, was sagt die Tür?“

„Panzertür, Stufe 4, würde ich sagen, Sir. Mit Sicherheitsverankerung. Dürfte schwer werden.“

„Wir haben keine Zeit für Spielchen. Sechs Ladungen auf die Verankerung.“

„Sechs?“

Scion Rhyder war angepisst.

„Tun sie was ich sage Corporal. Sechs sind eine mehr als fünf. Ohne Zünder.“

„Jawohl, Sir.“

Corporal Seth Reins war ebenfalls stinkig, allerdings auf sich selbst. Warum konnte er nicht einfach die Klappe halten. Er mochte den kleinen Lieutenant, warum also ihn herausfordern?

„Der Rest durchsucht das Unterkunftsgebäude.“

Schon nach kurzer Zeit kam die Rückmeldung.

„Gebäude gesichert. Keine Feindberührung.“

„Danke, Private Yeats. Verdammt, wo sind die alle?“

Plötzlich kam eine Stimme über den Helmlautsprecher.

„Wahrscheinlich im Gefängnistrakt. Bei Gefahr werden die Gefangenen nach unten geschafft, wenn Platz ist. Der obere Teil wird Sicherungszone.“

Scion hatte die Stimme von Liam Kennedy erkannt, der sich noch auf der GOLDEN BOY befand.

„Sprengsätze platziert.“

„Danke. Los, Leute. Zurück bis zum anderen Gebäude.“

Als sich alle zurückgezogen hatten, klopfte der 2nd Lieutenant Corey Price auf die Schulter.

„Dann zeigen sie mal, was sie können, Mister Price.“

Corey ging mit seinem Scharfschützengewehr in Stellung und visierte eine der Sprengladungen an. Ein kurzer Laserstrahl genügte und die Ladung explodierte. Bei den anderen fünf kam es zu einer Kettenreaktion, die die Tür aus ihrer Verankerung riss und in den Innenraum schleuderte. Durch das entstandene Loch konnte man hineinsehen und 2nd Lieutenant Rhyder bemerkte die leblosen Körper von mindestens zwei Personen.

„Vorraum sichern. Yeats, Florent.“

Die beiden Privates kletterten vorsichtig über die Trümmer der Tür und sahen sich um. Der Vorraum war ziemlich klein. Es waren nur etwa zwei Meter bis zur nächsten Wand, wo eine Tür weiter in das Gebäude führte. Auf der rechten Seite waren nun die Überreste eines Tresens und dahinter ein Computerarbeitsplatz erkennbar. Auf der linken Seite führte eine unversperrte Tür in einen Lagerraum. Auf den ansonsten leeren Stahlregalen lagen ein gutes Dutzend Overalls.

„GB von Team 2. Vorraum gesichert. Ein leerer Lagerraum.“

„Keine Overalls?“

Die erstaunte Rückfrage kam fast sofort von Liam Kennedy.

„Äh, doch. Sind die wichtig?“

„Die Overalls gehören den Gefangenen. Wenn sie nach unten gebracht werden, müssen sie sich ausziehen, beim Rausgehen bekommen sie die Dinger wieder.“

„Das heißt, jeder Overall ein Gefangener?“, vergewisserte sich Scion, während er hektisch durchzählte.

„Ja. Orange für Männchen, gelbe für Weibchen.“

„Hier sind nur sechzehn orange.“

„Dann sind das auch alle Gefangenen.“

„Team 2 verstanden. Ende.“

„Ihr habt mitgehört. Wir müssen mit sechzehn männlichen Gefangenen rechnen.“

Nachdenklich musterte Scion Rhyder jetzt die zweite Tür.

„Zwei Mann auf den Boden. Price, Bower. Reins, Yeats an die Seiten. Der Rest nach rechts zur Wand.“

Corey Price und Alex Bower legten sich auf den Boden, schräg vor die Tür. So dass sie mit kreuzenden Schussbahnen den ganzen Gang bestreichen konnten.

„Jetzt!“

Scion Rhyder öffnete aus seiner Deckung heraus die Tür. Wie erwartet, fuhren drei Laserstrahlen in etwa anderthalb Metern Höhe aus der Türöffnung heraus, durch die Lücke der ehemaligen Eingangstür und verloren sich in der Ferne.

Die beiden Schützen auf dem Boden traten sofort in Aktion.

„Drei Gegner erfolgreich bekämpft. Keine weitere erkennbare Feindaktivität.“

Der Gang vor ihnen war etwa 20 Meter lang. Am Ende des Gangs befand sich eine weitere verschlossene Tür und davor lagen die Körper der drei soeben erfolgreich bekämpften Gegner.

Links und rechts des Gangs befanden sich die Gefängniszellen. Diese hier waren erkennbar nicht belegt, denn bei ihnen fehlte das typische bläuliche Leuchten eines Trennfeldes vor den ansonsten offenen Zellen.

„Reins, Yeats, vorrücken.“

Vorsichtig gingen die beiden Soldaten in den Gang hinein und kontrollierten jede der dunklen Zellen. Auf der halben Strecke waren links und rechts jeweils eine Tür, hinter denen sich, wie sie aus dem grob gezeichneten Plan von Liam wussten, die Toiletten und die Duschen verbargen.

Corporal Reins gab Robin ein Zeichen und beide schlichen zu einer der Türen. Gleichzeitig rissen sie die Türen von der Seite her auf und warteten zwei Sekunden. Einer ihrer Gegner schien etwas zu nervös gewesen zu sein. In dem Augenblick, in dem die Tür aufgerissen wurde, feuerte er bereits und traf dabei seinen auf der gegenüberliegenden Seite enttarnten Kumpel. Robin Yeats zückte sein Kampfmesser und trat in den Waschraum. Drei Sekunden später kam er wieder hervor.

„Gesichert.“

Ohne weitere Behinderungen kamen sie nun bis zur Tür am Ende des Gangs.


Im Hauptgebäude stand Captain Campbell jetzt mit seinem Trupp vor der Eingangstür des sogenannten Unterkunftsbereiches. Hier würden wahrscheinlich Unterkünfte und Büros des Führungspersonals sein.

„Panzertür Klasse 4. Mit Sicherungsverriegelung.“

„Also ist etwas dahinter, was nicht jeder sehen oder haben soll.“

Bevor jemand etwas erwidern konnte, drang von draußen ein lautes Brausen herein.

Ricky Norman, der am dichtesten am zerstörten Haupteingang stand, sah hinaus.

„Die GB ist in einen Luftkampf verwickelt, Sir. Anscheinend der Frachter.“

Captain Campbell stieß ein missbilligendes Grunzen aus, dann wandte er sich an Corporal Fraser.

„Da werden wohl zwei nicht reichen.“

„Nein, Sir. Mindestens vier, und da müssten wir schon genau die Verriegelungen erwischen.“

„Verzeihung, Sir.“

Eine Gestalt im Kampfanzug schob sich nach vorne und besah sich die Tür. Captain Campbell erkannte an der Kennung 1-5 Petty Officer Simon. Der fuhr mit seinem Handschuh den Türrahmen entlang, dann deutete er auf vier Punkte an der Wand.

„Hier verlaufen die Bolzen, Sir.“

Denny Simon befand sich innerhalb kürzester Zeit im Mittelpunkt ungeteilter Aufmerksamkeit.

Colin Campbell war der große, schlanke Verwaltungsunteroffizier noch nicht besonders aufgefallen. Er hatte lediglich im Zusammenhang mit den Personalunterlagen mit ihm zu tun gehabt.

„Und was veranlasst sie zu dieser Meinung, Petty Officer Simon?“

„Ganz einfach, Sir. Ich habe eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, bevor ich zur Navy ging. Ich war bei Plastistahl Security Systems als Werksverkäufer. Ich kenne das Programm von PSS und zwar in allen Einzelheiten, schließlich mussten wir genau wissen, was wir dem Kunden verkaufen. Dies hier ist eine PSS 300 PK 4-SV. Sie hat tatsächlich 4 Bolzen in einer Länge von …“

„Ok, geschenkt. Ich bin beeindruckt. Machen sie sich bitte eine Notiz, dass ich eine Liste der Zivilberufe aller Besatzungsangehörigen bekomme. Wir müssen wohl alle noch eine Menge dazu lernen.“

„Jawohl, Sir.“

Corporal Fraser setzte jetzt auf Ansage seine vier Sprengladungen. Nach einem lauten Getöse und ein wenig Rauch war nichts zu erkennen. Die Tür war immer noch an der gleichen Stelle wie vorher. Als Captain Campbell schon zu einem Kommentar ansetzen wollte, trat PO Simon vor und drückte mit einem Zeigefinger auf die Tür. Langsam, fast im Zeitlupentempo, kippte die Tür von ihm weg und schlug im Gang auf den Boden.

PFC Kantalidis und Private vanBerg zielten in den Gang hinein, doch nichts und niemand zeigte sich. Langsam und systematisch wie bei dem Bürotrakt arbeitete sich das Team bis zum Ende des Gangs vor. Doch im Gegensatz zum Bürotrakt schloss der Gang mit einer weiteren Tür ab.

Wortlos ließ das Team PO Simon nach vorne. Es dauerte eine ganze Weile, bis dieser sich umdrehte und dann Captain Campbell gefunden hatte.

„Das wird nicht so einfach, Sir. Das ist eine PSS 900, das ultimative Sicherheitsmodell. Die Verriegelungen sind meterlang und greifen sternförmig in die Gebäudestruktur. Eher können wir das Gebäude abtragen, bevor wir hier durchkommen.“


Im Gefängnistrakt führte die Tür am Ende des Gangs in einen Raum in dem sich sowohl ein Fahrstuhl, als auch eine Wendeltreppe befand. Auf Nachfrage erfuhr 2nd Lieutenant Rhyder, dass sowohl Fahrstuhl als auch Treppe einen Zugang zu allen vier Etagen hatten. Es würde nichts übrig bleiben, als den unterirdischen Bereich Etage für Etage zu säubern.

Im Bereich über dem Landefeld war die GOLDEN BOY kurzfristig in einen Luftkampf verwickelt gewesen.

Das Absetzen der Landungsteams war problemlos verlaufen. Kurz vor dem Abheben war ein Warnsignal übermittelt worden, so dass die Truppen am Boden rechtzeitig Deckung suchen konnten.

„Einsatz der Heckbatterie für die Feuerleitanlage.“

Während sich das Schiff noch hob, drehte Ensign Cameron ihrem ersten Ziel das Heck zu.

„Energetische Aktivität bei den Abwehrgeschützen. Tarnungen werden abgelegt“, kam es kurz darauf von CPO Raynard von der Sensorkonsole.

„Feuererlaubnis für Heckbatterie.“

1st Lieutenant Taylor quittierte kurz und dann schlugen die Strahlen der beiden Hecklaser und des Zwillingsturmes in die vermutete Feuerleitanlage ein. Sekundenbruchteile später brach eine riesige Feuersäule aus der Erde empor und Trümmerteile wurden empor gewirbelt.

„Oh, hoffentlich sind unsere beiden Landungsteams weit genug weg. Backbordbatterie Feuererlaubnis.“

Die drei Partikelstrahler der Backbordseite bekämpften nun die drei deutlich erkennbaren Bodengeschütze im Westen. Von schweren Explosionen zerrissen, fielen die Überreste der Geschütze in sich zusammen.

„Feindliches Feuer! Abwehrgeschütze haben Feuer eröffnet. Countermeasures aktiv.“

CPO Winterfield von der ESM-Konsole begann die feindlichen Geschütze mit Störsignalen zu täuschen.

Dennoch schlugen zwei Strahlen in den Schutzschirm der GOLDEN BOY ein. Der Schirm leuchtete an den Einschlagstellen grünlich auf und die auftreffende Energie wurde über die gesamte Oberfläche weiterverteilt.

„Zwei Einschläge. Belastung siebzehn Prozent. Energiefeld stabil.“

kam es von CPO Quinn von der Schildkonsole.

Dann erfolgte die zweite Salve der Backbordbatterie, die nur noch rauchende Trümmer am Rand des Landefelds übrig ließ.

CPO Parker meldete sich von der Kommunikationskonsole.

„Tower beginnt zu senden. Störfeld aktiviert.“

„Sendeanlagen bekämpfen!“

1st Lieutenant Taylor aktivierte die beiden im Bug eingebauten Laser und kurz darauf brach der Sendemast neben dem Towergebäude zusammen und bildete einen Haufen unentwirrbaren Schrottes.

Timothy Sheldon drückte auf seiner Konsole den Comm-Button für die Landungsteams.

„Primärziele bekämpft. Bereit zum weiteren Vorrücken. GB Ende.“

Über die Bodenmonitore konnte er verfolgen, wie die Mitglieder der Landungsteams sich erhoben und auf ihre Ziele zu rannten.

„Was ist mit den Schiffen am Boden?“

„Keinen Aktivitäten. Keine Energiesignatur. Da hat niemand seine Reaktoren hochgefahren.“

„Merkwürdig, ich hätte gedacht, einer von denen würde zumindest den Versuch machen, zu verschwinden.“

1st Lieutenant Taylor schüttelte seinen Kopf.

„Noch nicht. Die haben gesehen, was mit den Geschützstellungen passiert ist. Die werden ein paar Minuten für eine Entscheidung brauchen.“

„Da bin ich mal gespannt.“

Lieutenant Sheldon lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Er bekam mit, wie Rekrut Kennedy ein kurzes Gespräch über die Farbe von Overalls führte.

„Sir, es befinden sich sechzehn Gefangene unten, alle männlich.“

„Sind sie sicher, Mister Kennedy?“

„Jawohl, Sir. Ich nehme nicht an, dass sie ihre Prozeduren in der letzten Zeit grundlegend geändert haben.“

„Gut, dann informieren sie den Doktor von ihren Erkenntnissen. Wir können so viele …“

„Energieaktivität! Der Frachter fährt seine Reaktoren hoch.“

„Sind die blöd oder lebensmüde. Sie sollten doch eigentlich wissen, dass wir sie hier nicht weglassen.“

„Mister Taylor, ich vermute, sie werden einen Antigravsprung versuchen.“

„Kein Problem, Sir. Ich lasse automatisch mittracken.“

Beim Antigravsprung wird die volle Leistung der Reaktoren auf die Antigravanlage gegeben, so dass das Schiff fast wie an einem Gummiband nach oben schnellt und so rasch aus dem Bereich der planetaren Anziehung entkommt.

„Energieausbruch!“

Auf den Monitoren konnte die Brückenbesatzung verfolgen, wie der Frachter sich behäbig vom Boden löste und immer schneller werdend nach oben schwebte. In gut zweitausend Metern Höhe zündete er seine Impulstriebwerke.

„Phillipp, hinterher!“

Die GOLDEN BOY zog in einem eleganten Bogen vom Boden hoch und jagte hinter dem Frachter her. In nur wenigen Sekunden hatten sie das schwerfällige Schiff eingeholt.

„Bird One“, kam es laut und deutlich von der ECM-Konsole.

„Die haben einen Heckraketenwerfer!“

Das Schirmfeld vor der GOLDEN BOY flammte neongrün auf, gelbe Lichteffekte flackerten über die Seiten.

„Raketentreffer. Belastung 31 Prozent. Energiefeld stabil“, meldete CPO Quinn von der Schildkonsole.

„Feuererlaubnis!“

Aus sämtlichen in Flugrichtung befindlichen Geschützen brachen Strahlen hervor. Die vier Partikelstrahler neutralisierten das gegnerische Schirmfeld in Sekundenbruchteilen und die vier Laser schlugen in das Heck ein, in dem sich die Antriebsanlage des Frachters befand.

Als Ensign Cameron die GOLDEN BOY hochzog, ging unter ihnen eine neue Sonne auf. Das Schirmfeld auf der Unterseite wurde bis in einen hässlichen gelbroten Farbton belastet, während Trümmerteile auf die Oberfläche des Planeten herabregneten.

„Das war jetzt etwas zu viel des Guten. Mister Taylor, die Hälfte hätte auch gereicht.“

„Jawohl, Sir.“

Brandon Taylor sah etwas erschreckt aus und er schien ehrlich zerknirscht. Die Wirkung der Waffen schien auch ihn überrascht zu haben.

„Phillipp, zurück zum Landefeld.“

Als die GOLDEN BOY herum schwang, um wieder auf ihre Ausgangsposition zurückzukehren, meldete sich CPO Parker von der Fernmeldekonsole.

„Sir, Anfrage von Captain Campbell wegen Gunfire Support.”

“Dann wollen wir mal sehen, was er will.“


Colin Campbell hatte seinen Trupp bis ganz an den Anfang des Gangs zurückgezogen. Von draußen konnten sie ein lautes Brummen und den Sturm hören, den die GOLDEN BOY entfacht hatte. In den Kopfhörern ertönte nun die Stimme von Brandon Taylor.

„Wir beginnen jetzt in drei - zwei – eins …“

Bei eins drehten sich alle Soldaten des Landungstrupps in Richtung Ausgang und kauerten sich zusammen. Dabei entging ihnen ein einmaliges Schauspiel.

Ein Laser der GOLDEN BOY schnitt langsam und präzise einen Spalt in das Gebäude, wo sich die Mauer mit der Panzertür befand. Alle verbauten Materialien wurden auf der Stelle verdampft und dort, wo sich die schwere Panzertür befunden hatte, sammelte sich am Boden eine kleine Pfütze geschmolzenen Metalls.

Als der blendend helle Strahl erlosch, hörte man wieder 1st Lieutenant Taylor.

„Einsatz abgeschlossen.“

Die Soldaten des Landungstrupps sprangen auf und stürmten in Richtung des ehemaligen Hindernisses.

Auf der anderen Seite der nun etwa einen halben Meter breiten Gebäudelücke war ein halbes Dutzend Personen zu erkennen, die meisten davon bewaffnet. Obwohl sie den Landungstrupp herankommen sahen, konnten sich einige von ihnen nicht von dem Anblick des zerstörten Gebäudes lösen.

Der vorderste Soldat des Landungstrupps war PFC Kantalidis. Sein Blick eilte suchend umher und doch war er nicht schnell genug. Nach einem lauten Krachen spürte er einen harten Aufschlag auf seiner Panzerung, der ihn fast einen Meter weit zurückwarf.

„Deckung! Projektilwaffen!“

Colin Campbell deutete auf die beiden Büroräume links und rechts vor der Lücke.

„Räume erkunden. Drinnen ist die Mauer ebenfalls weg. Dort über die Lücke und dann von da aus auf den Gang.“

Schnell verschwanden die Männer in den beiden Räumen. Ricky Norman kontrollierte in seiner Eigenschaft als Gefechtssanitäter die Panzerung von PFC Kantalidis. Es waren lediglich eine ganze Reihe kleiner Dellen und Kratzer zu erkennen, die Schutzfunktion der Panzerung war nicht beeinträchtigt.

Ungehindert gelangten die Soldaten in beiden Räumen über die Lücke in das jeweils angrenzende Büro.

„Warten auf Granateneinsatz. Dann Feuerunterstützung aus der Deckung.“

Auf der linken Gangseite wurde die Tür ein Spalt weit geöffnet und eine Granate rollte zügig den Gang entlang. Nach der Detonation wurden stürmten die Marines auf den Gang hinaus und konnten zwei, hinter ein paar leblosen Gestalten gekauerte Personen, erfolgreich bekämpfen.

„Vorrücken. Die Büros wieder paarweise links und rechts.“

Nach wenigen Minuten war auch dieser Teil des Gebäudes gesichert. Am Ende des Gangs befand sich nur noch eine einzelne, nicht gepanzerte Bürotür.

„Stürmen. Abwechselnd zu den Seiten. Wenn es geht, nichts kaputtmachen. Und - los!“

Colin Campbell riss die Tür auf und wandte sich sofort nach links. Der nächste war Corporal Fraser, der sich mit einem Sprung nach rechts warf, sich abrollte und dann Deckung suchte. Direkt hinter ihm war PFC Kantalidis, der sich ebenfalls nach rechts wandte und dort direkt in Deckung ging. Der Strahl eines schweren Handlasers schlug an der Stelle ein, wo PFC Kantalidis gewesen wäre, hätte er sich nach links gewandt. Sowohl Colin Campbell als auch Andrew Fraser nahmen den Schützen unter Feuer und dann war plötzlich Ruhe. Die verbliebenen drei Gruppenmitglieder sicherten den Gang zu dem großen Büro.

Der einzelne Schütze war hinter dem großen Schreibtisch zusammengebrochen und lag halb auf der Tischplatte.


Im Gefängnistrakt hatte sich die zweite Gruppe langsam bis auf die unterste Ebene vorgearbeitet. Die Aufzugtüren waren blockiert worden und vorsichtig gingen die Männer die Wendeltreppe hinunter. Die beiden mittleren Ebenen waren vollkommen verlassen. Nun lag der Zugang zur letzten Ebene vor ihnen.

Die Stimme von Liam Kennedy erklang wieder in allen Kopfhörern.

„Die unterste Ebene hat eine Besonderheit. Am hinteren Ende des Ganges befindet sich außer dem Kontrollraum noch eine kleine Küche, in der die Mahlzeiten zur Verteilung vorbereitet werden. Da ist Platz für einige Leute.“

Scion Rhyder verteilte seine Leute links und rechts der Tür. Auf sein Zeichen hin riss Cpl Reins die Tür auf. Der Gang lag einsam und verlassen da. Im Gegensatz zu den anderen Etagen waren hier bei allen sechzehn Zellen die Trennfelder aktiviert.

„Wir haben keine Zeit. Mr. Price, das Anklopfgerät, bitte.“

Corey Price montierte schnell, aber ruhig, ein Zusatzgerät unter den Lauf seines Scharfschützengewehrs. Dann clippte er eine kleine Rakete daran.

„Die Mitte der Tür. Feuer.“

Pvt Price kniete sich hin und feuerte die Rakete auf die gegenüberliegende Tür ab. Mit einem leisen Zischen flog das Geschoß den gut zwanzig Meter langen Gang entlang, bis es mit einem leichten ‚Plopp‘ die Tür durchbohrte. Zwei Sekunden später erklang eine laute Detonation, die die soeben durchbohrte Tür aus ihrer Verankerung riss und auf den Gang schleuderte. Im Hintergrund waren dichte Rauchwolken erkennbar.

Die Detonation hatte das gesamte Gebäude erschüttert und etwas verunsichert sahen jetzt einige Personen aus den Zugängen zu den Waschräumen hinaus auf den Gang. Cpl Reins und Pvt Yeats, die ihren Scharfschützen sicherten, traten in Aktion. Ohne weitere Anweisung sprinteten sie vor und stürmten die jeweiligen Waschräume links und rechts.

„Gesichert!“

„Gesichert!“

„Florent, Bower. Zugangstür sichern. Ich will nicht, dass uns jemand in Panik entkommt, wenn wir die Trennfelder abschalten. Reins, Yeats. Räume erkunden und Trennfelder abschalten. Der Sani bleibt bei mir.“

David Florent und Alex Bower blieben bei der Tür zum Treppenhaus. Die beiden Marines gingen, sich gegenseitig sichernd, vor. Währenddessen sah 2nd Lt Rhyder prüfend an den ersten Zellen entlang. Überall hatten sich die Insassen bis dicht an das Trennfeld herangewagt und sahen neugierig oder auch ängstlich hinaus auf den Gang. In der dritten Zelle entdeckte Scion dann ihre Zielperson.

Cadet Kevin Reinhardt war genauso nackt wie alle anderen Gefangenen, doch es schien ihn nicht zu stören. Gespannt beobachtete er das Vorgehen der Marines, die für ihn jedoch unbekannte Männer in einem Kampfanzug mit einem unbekannten Hoheitsabzeichen waren.

„Lieutenant, keine Überlebenden. Die Feldsteuerung ist noch betriebsfähig.“

Schnell sah 2nd Lt Rhyder nach oben und entdeckte tatsächlich Nummern über den Zellen.

„Lassen die sich einzeln abschalten?“

„Äh … ja …, Sir.“

„Erst die sieben bitte.“

Das Feld der Zelle Nummer sieben erlosch und Scion Rhyder stand Cadet Reinhardt gegenüber. Wortlos nahm der Lieutenant seinen Helm ab und trat näher heran. Der Cadet wich unwillkürlich zurück und sah den Fremden fragend an.

„Mitternachtsblau.“

Dies war das persönliche Codewort für Cadet Reinhardt, das ihm zeigen sollte, dass offizielle Föderationstruppen ihm helfen und ihn unterstützen würden. Es war eine der zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen, mit denen der königliche Sicherheitsdienst ihn bedacht hatte.

Kevins Augen wurden groß. Er starrte Scion an, dann sprang er nach vorne und umarmte ihn stürmisch. Scion hielt ihn einen Moment, dann schob er ihn leicht bedauernd von sich.

„Ähem, eine Sache. Wenn wir die restlichen Felder abschalten, bitte kein Wort über unsere Herkunft. Wir sind niemand, uns kennt niemand, wir tun nur unsere Arbeit.“

Etwas verwirrt starrte Kevin den Mann in dem schwarzen Kampfanzug an. Dann begann er zu verstehen. Er nickte zustimmend.

„Alle Trennfelder abschalten.“

Die Trennfelder erloschen und zögernd kamen die Insassen der Zellen nach draußen. Nach kurzer Zeit war Scion von sechzehn nackten jungen Männern in verschiedenen Altersstufen umringt.

„Helme ab.“

Die Soldaten der zweiten Gruppe nahmen ihre Helme ab und es gab mehr als einen erstaunten Ausruf, als Robin Yeats zu sehen war.

2nd Lt Rhyder hob die Hand und bat um Aufmerksamkeit.

„Gentlemen. Ihr Aufenthalt ist hier beendet. Wir werden sie jetzt auf unser Schiff bringen und auf unserem Zielplaneten den Behörden der Terranischen Föderation übergeben.“

Zuerst war nur Schweigen ringsum, doch dann brach unbeschreiblicher Jubel aus.


In dem luxuriös eingerichteten Büro versuchte Cpl Fraser über das Terminal des Schreibtisches an eventuell vorhandene Daten zu kommen.

„Hier ist nichts von Interesse. Sieht nach Geschäftskorrespondenz aus. Reparaturrechnungen und so was.“

„Egal. Alles herunterladen. Ich will auch wissen, wer die Einrichtung hier gebaut hat und wie viel für das Schweigen bezahlt wurde.“

Inzwischen nahmen die anderen Soldaten die Büroeinrichtung in Augenschein. Vorsichtig öffnete Ricky Norman ein verziertes Wandschränkchen. Leise pfiff er durch die Zähne.

„Ein Waffenschrank. Mehrere Handwaffen. Anscheinend einige teure Exemplare.“

Captain Campbell kam herüber und sah ebenfalls in den Schrank. Er bewunderte die wertvollen Sammlerstücke, als er plötzlich stutzte. Vorsichtig nahm er einen verzierten Handlaser heraus und fuhr mit einem Finger über die Gravur: Mit vorzüglicher Hochachtung von ihrem Bewunderer. A. Mq de B.

„So ein Idiot.“

„Bitte?“

„Der ‚Bewunderer‘. Hier, lies mal die Widmung.“

Colin reichte Ricky den Laser und dieser studierte die eingravierte Widmung.

„Und?“

Colin Campbell lachte.

„Hier steht Mq. Das ist der Adelstitel Marquis. Es gibt im Moment nur wenige Marquis, deren Erweiterung mit de fortfahren und nur einen mit B. Der liebe Adrien hat einen Fehler gemacht. Wir werden seiner Majestät davon berichten müssen. Mach Beweisaufnahmen und pack das Ding ein.“

PFC Norman tat wie ihm befohlen, während Pvt van Berg sich von der anderen Seite des Raumes meldete.

„Captain, hier ist noch ein Rechner. Anscheinend ohne weitere Anschlüsse.“

„Finger weg!“, schrie Cpl Fraser, noch bevor Colin Campbell antworten konnte.

„Ich komm gleich rüber. Denny hat noch was Interessantes entdeckt, Sir.“

„Was denn?“

Colin Campbell war auf dem Weg zu dem neu entdeckten Rechner, machte nun aber einen kleinen Umweg.

PO Simon deutete auf eine geöffnete Datei.

„Hier, Sir. Das ist der Kaufbeleg für die PSS 900. Der Verkäufer von PSS hat die Bestellung ordnungsgemäß registriert. Die 900 steht hier an Position fünf. Sie ist eine von drei Artikeln die eine Sicherheitsfreigabe benötigen. Die Freigabe erfolgte durch eine anforderungsberechtigte Firma. Hier, hinter dem Artikelcode, der Freigabecode dieser Firma. Ich kenne ihn auswendig, denn es war einer der am meisten gebrauchten Codes bei uns.“

Inzwischen sahen alle herüber zu PO Simon, der eine kleine dramatische Pause eingelegt hatte.

„Das ist der Code für die Beschaffungsstelle des Royal Engineer Corps.“

„Was? Ist das sicher?“

„Das können wir ohne weiteres bei PSS nachprüfen.“

Colin Campbell nickte grimmig.

„Und ob wir das werden. Was ist mit dem anderen Rechner?“

„Einen Moment, Sir!“

Cpl Fraser starte den Rechner, dann fluchte er.

„Fingerabdruckerkennung.“

Noah Kantalidis und Leo van Berg sahen sich nur kurz an, dann gingen sie hinüber zu dem leblosen Körper auf dem Schreibtisch. Wortlos entwand Noah ihm die Waffe und dann schleppten die beiden Soldaten den Körper hinüber in die Ecke zu Andrew Fraser. Unbeeindruckt nahm dieser eine Hand des Toten und platzierte den Zeigefinger auf dem Scan-Feld. Der Rechner startete in einem abgesicherten Modus.

„Ich glaube, das ist es. Hier sind Lieferdaten, Versteigerungstermine und Zahlungseingänge.“

„Können wir das herunterladen?“

„Jawohl, Sir. Etwa 10 Minuten, dann haben wir alles, was wir brauchen.“

Colin Campbell sank auf einen der bequemen Sessel und atmete sichtlich erleichtert aus. Ihr Teil war so gut wie problemlos erledigt. Er schaltete seinen Funkkreis auf die GOLDEN BOY.

„GB von Gruppe 1.“

„GB hört.“

„Gruppe 1 Mission erfolgreich. Pick-up in x-15.“

„GB copy. Pick-up in x-15. GB Ende.”


2nd Lt Rhyder ließ zunächst zwei seiner Marines die Wendeltreppe emporsteigen, der Aufzug war immer noch blockiert. Oben angekommen gingen sie durch bis nach vorne und sicherten den Haupteingang mit der heraus gesprengten Tür.

Dann gingen zwei weitere Leute der Gruppe 2 vor und durchsuchten noch einmal jede Etage, diesmal von unten nach oben. Scion Rhyder war nervös wegen des Zeitaufwandes, doch es war ihm nichts anderes übrig geblieben. Hätte er das ganze Gebäude von Anfang an gesichert, hätten ihm unten für den Einsatz möglicherweise Leute gefehlt.

Erleichtert atmete er auf, als die Stimme von Cpl Reins ertönte.

„Alle Etagen erkundet. Gebäude ist sicher.“

„Dann los.“

Mit einer Handbewegung bedeutete er der Gruppe von ehemaligen Gefangenen, ihm zu folgen, während er schon mit schnellen Schritten die Wendeltreppe betrat. Die sechzehn jungen Männer brauchten keine weitere Aufforderung und folgten ihm eilig, während Pvt Florent und CPO Seegers den Abschluss machten.

Als sie den Vorraum erreichten, wo die Overalls lagerten, drängelten sich die immer noch nackten jungen Männer nach vorne und suchten etwas hektisch nach ihrem jeweiligen Bekleidungsstück. Etwas skeptisch sah Scion Rhyder auf die immer noch unbekleideten Füße.

„Na, es dauert ja nicht lange“, murmelte er zu sich selber. Dann aktivierte er sein Funkgerät.

„GB von Gruppe 2.“

„GB hört.“

„Gruppe 2, Mission erfolgreich. Eins-sechs PX. Pick-up in x-5. “

„GB copy. Eins-sechs PX. Pick-up in x-5. GB Ende.”


„Sir, Gruppe 2 meldet Mission erfolgreich. Sechzehn Passagiere. Treffen in 5 Minuten.“

„Danke, Mister Parker.“

Timothy Sheldon sah hinauf zum Gefechtsdisplay. Es zeigte eine 3-D-Ansicht der Umgebung mit verschiedenfarbigen Kennzeichnungen. Bei zwei Gebäuden war nun zusätzlich jeweils ein blinkender gelber Ring zu sehen.

„Gruppe 1 hat noch gut zehn Minuten. Wir nehmen erst Gruppe 2 auf. Phillipp, ich möchte so dicht wie möglich an das Gebäude heran. Mit der Backbordseite zum Eingang, so dass sie den kürzesten Weg zur Rampe haben.“

„Jawohl, Sir.“

Ensign Cameron ließ die GOLDEN BOY langsam absinken und nahm Kurs auf einen der gelben Ringmarker auf dem Display. Auf seinem eigenen Bildschirm konnte er nun auch das Gebäude mit der zerstörten Eingangstür sehen. Er drehte das Schiff und ließ es weiter absinken.

„Tor öffnen.“

„Tor wir geöffnet“, kam es von der Technikkonsole.

„Rampe ausfahren.“

„Rampe wird … einen Moment.“

Von der Technikkonsole war ein Alarmsignal zu hören. Eine Sekunden später verstummte es.

„Rampe wird ausgefahren.“

Captain Sheldon sah hinüber zu CPO Maxwell, der an der Technikkonsole saß.

„Was war das denn?“

„Ich musste die Sicherheitseinrichtung überbrücken, Sir. Normalerweise lässt sich die Rampe nur ausfahren, wenn die Landeeinrichtungen ausgefahren sind.“

Tim Sheldon nickte kurz und sah wieder nach vorne.

„Rampe ausgefahren und verriegelt.“

„Geben sie das Signal, Mister Parker.“

„Gruppe 2 von GB.“

„Gruppe 2 hört.“

„Klar zum Aufnehmen.“

„Gruppe 2 verstanden. Klar zum Aufnehmen. Gruppe 2 auf dem Weg.“

Phillipp Cameron verfolgte über seinen Monitor, wie zunächst vier Marines durch den Haupteingang des Gebäudes kamen und den Weg bis zur Rampe sicherten. Dann folgten eine ganze Horde Personen in orangefarbenen Overalls und zum Schluss drei weitere Marines. Kurze Zeit später kam die Bestätigung aus dem Hangar von CPO Sanders, der dort die Aufsicht hatte.

„Gruppe 2 mit sechzehn Passagieren an Bord.“

Ein leichtes Lächeln erschien auf dem Gesicht von Tim Sheldon, doch dann wurde er wieder ernst.

„Danke, Mister Sanders. Phillipp, auf zum nächsten Treffpunkt.“

Die nächsten Befehle bekam der Captain nur am Rande mit, während er auf seine Kommunikationsanzeige sah.

„Doktor Farnsworth, unsere Passagiere sind eingetroffen. Wollen sie runter zum Hangar oder sollen sie gleich zu ihnen gebracht werden?“

„Ich gehe runter und begleite die Truppe dann zum Lazarett. Wir machen einen ersten Check und dann müssen wir sehen, wie wir sie unterbringen.“

„Verstanden. Bitte informieren sie mich, sobald sie fertig sind, oder falls etwas Außergewöhnliches vorfällt.“

„Selbstverständlich, Captain.“

Unten im Hangar angekommen, wurde Dr. Farnsworth mit einem Anblick konfrontiert, mit dem er nicht gerechnet hatte. Die Teammitglieder der Gruppe 2 hatten ihre Waffen abgegeben und damit begonnen, ihre Kampfanzüge abzulegen. Unter der Panzerung trugen die Soldaten lediglich einen dünnen Jumpsuit, der einen direkten Kontakt der teilweise harten Panzerung mit der Haut verhindern sollte.

Die sechzehn jungen Männer in ihren Overalls sahen ihnen dabei schweigend zu, bis einer von ihnen den anderen etwas zuflüsterte. Immer noch schweigend, begannen sie ebenfalls, ihre Overalls abzulegen. Da sie nichts darunter trugen, waren sie wieder so nackt, wie sie gefunden worden waren.

2nd Lt Rhyder hob die Augenbrauen und sah fragend zu Kevin Reinhardt.

„Entschuldigung, Sir. Aber die Jungs wollten so schnell wie möglich jede Erinnerung an das Gefängnis loswerden. Und da sie uns ja schon so gesehen haben …“

Dr. Farnsworth hatte die letzte Bemerkung mitbekommen, als er die Treppe herunterkam. Suchend sah er hinüber zu den Soldaten, bis sein Blick an SPO Seegers hängen blieb.

„Mister Seegers, irgendwelche dringenden Fälle oder Komplikationen?“

„Nein, Sir. Soweit erkennbar keine körperlichen Beeinträchtigungen.“

Der Doktor nickte und kam näher.

„Meine Herren. Mein Name ist Doktor Farnsworth. Ich bin der Schiffsarzt und möchte sie bitten, mir zunächst zu folgen. Ich möchte sie gerne kurz untersuchen, während sie eine adäquate Bekleidung bekommen. Wenn sie möchten, bekommen sie danach etwas zu essen. Die Unterkunft wird wohl etwas eng werden, denn leider sind wir nicht auf so viele Gäste eingerichtet.“

Die ersten leisen Lacher ertönten und der Doktor war zufrieden mit seiner kleinen Ansprache.

„Wenn sie mir dann folgen würden. Einfach nur hier die Treppe hinauf.“

Petty Officer Bower sah sich etwas verloren um. Als der Doktor von Bekleidung gesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er nichts vorbereitet hatte. Es war vorher nicht die Rede davon gewesen, dass Bekleidung bereitgestellt werden sollte.

„Alex, was ist? Du siehst etwas gestresst aus.“

Alex Bower sah die rothaarige Gestalt von David Florent vor sich.

„Äh, Dave. Ich bin mir nicht sicher, ob wir irgendetwas haben, was die Jungs anziehen könnten.“

David sah nachdenklich zu Boden. Dann hob er langsam den Kopf, während sein Blick an Alex emporglitt.

„Wie wär’s mit Jumpsuits? Davon müssten wir doch noch einige auf Vorrat haben. Die gehören doch nicht zur normalen Ausrüstung.“

„Hey, gute Idee. Wir müssten noch etliche davon … Ich weiß nicht. Sind die nicht ein Bisschen zu äh, körperbetont?“

Damit blieb sein Blick an Davids Körpermitte hängen. David sah an sich herab und grinste.

„Wenn sie kein Problem damit haben, nackt herumzulaufen, warum denn mit einem Jumpsuit? Mach dir mal keine Gedanken. Ich muss jetzt hoch in die Kombüse.“

Schnell war David verschwunden, während sich Alex aufmachte, nach passenden Jumpsuits zu suchen. Er hörte schon nicht mehr, wie sich im Hangar ein zweites Mal das Tor öffnete und Gruppe 1 die Rampe heraufkam.


„Gruppe 1 vollzählig an Bord. Rampe eingefahren und verriegelt. Tor geschlossen und verriegelt.“

„Danke, Mister Sanders.“

„Schiff auf zweihundert Meter bringen. Mister Taylor, ich möchte gerne, dass die Gebäude der Sklavenhändler und der Hangar für das Piratenschiff vollkommen zerstört werden. Nichts davon darf nachher noch zu benutzen sein.“

Brandon Taylor sah seinen Captain erstaunt an, doch er antwortete sofort.

„Jawohl, Sir. Die Gebäude und den Hangar zerstören. Was ist mit den Sicherheitseinrichtungen? Es gibt noch zwei Sensoranlagen und die Geschützstellungen könnten wieder instandgesetzt werden.“

„Ebenfalls zerstören. Bis auf die Landeeinrichtungen darf nichts mehr benutzbar sein. Sie können sich mit dem Piloten direkt absprechen, was die Annäherung an die Ziele betrifft. Feuererlaubnis ist hiermit erteilt.“

Die nächste halbe Stunde war die GOLDEN BOY damit beschäftigt, alle Gebäude und Einrichtungen der Sklavenhändler auf dem Planeten dem Erdboden gleich zu machen. Bei der Gefängnisanlage mit ihren unterirdischen Etagen hinterließen die Laser lediglich einen tiefen Graben.

„Auftrag abgeschlossen. Gebäude und Anlagen zerstört. Keine Feindberührung.“

„Danke, Mister Taylor. Was ist mit den drei Schiffen?“

„Keine Reaktion. Alles ruhig. Keine Energieemissionen.“

„Gut, dann werden wir jetzt diesen Planeten verlassen. Mister deCoeur, einmal den kürzesten Weg bis hinter die Grenze. Dort einen Orientierungssaustritt. Wir werden dann ein Kurzsignal absetzen und auf weitere Anweisungen warten.“

„An alle Stellen. Unser Auftrag hier ist abgeschlossen. Wir begeben uns jetzt auf die Heimreise.“

Während des Orientierungsaustritts hatte die GOLDEN BOY ein Kurzsignal an das Intelligence-Hauptquartier abgesetzt. Nach einer kurzen Bestätigung erfolgte der Weiterflug.

In seinem Büro hielt Admiral Campbell ein Blatt Schreibfolie in der Hand, auf der nur wenige Worte vermerkt waren.

COMCEN to CICINTEL: HMSS GOLDEN BOY 01083702-19:24 – ALPHA ONE SIX MIKE rpt ALPHA ONE SIX MIKE. ETA 02083702-01:40. END

Die GOLDEN BOY hatte also ihren Auftrag erfolgreich abgeschlossen und sechzehn männliche Personen aufgenommen. Aufseufzend legte der Admiral die Folie beiseite und wählte eine Direktverbindung über einen der abgesicherten Kanäle.

„Oh, hallo David. Gibt es etwas Neues?“

„Jawohl, Sir. Die GOLDEN BOY hat ihren Auftrag erfolgreich abgeschlossen. Sie werden heute Nacht um 01:40h hier sein. Sie habe insgesamt sechzehn männliche Personen aufgenommen.“

Der Gesprächspartner seufzte erleichtert.

„Das ist sehr gut. Ich werde sehen, dass ich rechtzeitig da bin. Ich komme mit kleiner Besetzung. Bis morgen.“

Der Bildschirm erlosch und der Admiral lehnte sich aufseufzend zurück. Dann griff er erneut zur Kommunikationseinrichtung.

„Colonel Simpson? Wir brauchen einen Landeplatz für zwei kleinere Schiffe in einem Hochsicherheitsbereich der Stufe 1A für morgen früh ab 01:00 Uhr.“

Nach ein paar Rückfragen trennte der Admiral die Verbindung und sah erst auf die Uhr, dann auf seinen Schreibtisch. Er würde wohl diese Nacht zu wenig Schlaf kommen.


Als die GOLDEN BOY kurz vor Bandar IV aus dem Hyperraum kam, wurde sie sofort von der Bodenkontrolle angerufen.

„HMSS GOLDEN BOY, hier Torchwood-Control. Sie werden bereits erwartet. Landeerlaubnis ist erteilt. Folgen sie Peilstrahl grün-7-3-6-1, ich wiederhole grün-7-3-6-1. Torchwood Ende.“

CPO Parker sah erstaunt von seiner Kontrolle auf und hinüber zum Captain.

„Peilstrahl aufnehmen und auf Autopilot.“

„Peilstrahl aufnehmen und auf Autopilot“, kam das Echo von Ensign deCoeur und kurz darauf

„Ankunft in siebzehn Minuten. Das ist ein Landefeld mit Sicherheitsstufe A1!“

„Geschütze sichern, Feuerleitanlage versiegeln.“

1st Lt Taylor zog seinen Codestick aus der Feuerleitanlage und deaktivierte das Bedienfeld.

Zehn Minuten später hatte die GOLDEN BOY gedreht und schwebte nun langsam hinunter auf das Landefeld. Neugierig starrte die Brückenbesatzung auf den Monitor, der das hell erleuchtete Landefeld zeigte.

Am Rand des Feldes hatte sich eine große Anzahl Marines in ihren roten Kampfanzügen aufgebaut und sicherten das Feld nach außen. Auf dem Landefeld befand sich bereits ein Leichter Kreuzer, der ebenfalls von Infanteristen umgeben war.

„Mein Gott, das sieht aus wie ein ganzes Bataillon“, kam eine Stimme von den vorderen Konsolen und Brandon Taylor nickte unbewusst.

„Ist es auch. Seht ihr die Marines um den Kreuzer herum? Sie tragen violette Kampfanzüge.“

„Ja, jetzt sehe ich es auch. Wer ist das?“

„Royal Household Marine Corps.“

Tim Sheldon durchzuckte eine jähe Erkenntnis und er griff zum Comm-Anlage.

„Die Marines klar zum Einsatz als Ehrenwache. Schwarze Kampfanzüge ohne Helm und ohne Waffen! Cadet Reinhardt auf die Brücke.“

Im Hangar brach eine plötzliche Hektik aus, als die Marines zu ihrer Ausrüstung stürmten, während sich Cadet Reinhardt auf der Brücke meldete. Er trug inzwischen die ordnungsgemäße Uniform eines Kadetten im zweiten Dienstjahr.

„Cadet Reinhardt wie befohlen, Sir.“

„Ja, danke. Mister Reinhardt, ich fürchte, es ist jemand gekommen, um sie abzuholen.“

Der Kadett sah erstaunt auf den großen Monitor, dann erbleichte er sichtlich.

„Oh, nein. Ich habe doch nichts falsch gemacht, oder?“

Colin Campbell war neben dem aufgeregten Kadetten erschienen und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Nein, du hast nichts falsch gemacht. Möglicherweise ist er ja da, um dir zu sagen, dass er etwas falsch gemacht hat.“

Der Kopf des Kadetten ruckte herum und Kevin starrte den großen Captain neben ihm mit großen Augen an.

„Was? Aber …“

„Keine Angst, lass uns runter in den Hangar gehen.“

Während bereits die Rampe ausgefahren wurde, machten sich die Marines klar zu ihrem Einsatz. Sobald die Rampe den Boden erreichte, gingen sie mit langsamen Schritten herunter und bauten sich links vor der Rampe in Paradeformation auf. Ganz links 2nd Lt Rhyder, dann Cpl Fraser und Cpl Reins, danach PFC Kantalidis, dann die Privates Price, van Berg und Yeats und zum Schluß Rekrut Kennedy.

Lieutenant Sheldon kam danach die Rampe herunter, gefolgt von Kadett Reinhardt und Captain Campbell.

Aus der Gruppe der Marines um den Leichten Kreuzer lösten sich jetzt zwei Gestalten und kam auf die GOLDEN BOY zu. Tim Sheldon atmete erleichtert aus, als er erkannte, dass beide die hellgrüne Uniform der Royal Navy trugen. Einer von ihnen trug die Dienstgradabzeichen eines Space-Admirals.

„Zur Meldung an den Oberbefehlshaber, Augen rechts.“

Bei den Marines ruckten die Köpfe herum und Tim Sheldon trat ein paar Schritte vor.

„Admiral, Lieutenant Royal Navy Timothy Sheldon. Ich melde den Einsatz auf dem Planeten Timbuktu erfolgreich abgeschlossen.“

„Danke, Lieutenant. Dann lassen sie mal ihren Erfolg sehen.“

Cadet Reinhardt bewegte sich etwas steif und zögerlich nach vorne und grüßte militärisch.

„Cadet Reinhardt, melde mich wie befohlen.“

Der Admiral zögerte kurz, dann trat er die paar Schritte vor, die ihn von Kevin trennten und umarmte ihn lange, während er ein paar kurze Sätze in sein Ohr flüsterte. Als sie sich trennten erkannte Tim, dass Kevin rot angelaufen war.

Der Admiral sah nun hinüber zu Tim Sheldon.

„Nun Captain, ich bin begierig darauf, ihr Schiff kennenzulernen und die Geschichten zu hören, die wahrscheinlich nicht in ihrem Bericht stehen werden.“

Der Blick des Admirals ging hinüber zu den Marines in ihren Schwarzen Kampfanzügen mit dem merkwürdigen Abzeichen.

„Der junge Mann hinter mir ist Sublieutenant Rian Drake, mein Neffe. Ich würde nun auch gerne ihre Besatzung kennenlernen und ganz wichtig, die jungen Männer, die sie gerettet haben.“

„Selbstverständlich Admiral, bitte folgen sie mir.“

Als der Admiral im Schiff verschwunden war und die Marines ihre Kampfanzüge ablegten, sah sich Liam Kennedy fragend um.

„Sagt mal, wer ist eigentlich dieser Admiral mit den sechs Sternen?“

Die Gespräche rundum verstummten und alle sahen Liam erstaunt an.

„Was ist?“

„Das, mein Lieber, war unser Oberbefehlshaber Space Admiral Drake.“

„Aha.“

„Ja, auch besser bekannt unter Simon XLVII., König der terranischen Föderation.“

„Liam, was ist denn? Du bist ja auf einmal so blass.“


Der Besuch des Königs an Bord dauerte über zwei Stunden. Er sprach kurz mit jedem einzelnen Besatzungsmitglied und eine längere Zeit mit den anderen fünfzehn geretteten jungen Männern. Der Rundgang durch das Schiff dauerte über eine halbe Stunde und der König war äußerst interessiert an den technischen Leistungsdaten. Bevor er das Schiff verließ, sprach er noch mit Colin Campbell unter vier Augen.

Während dieser Zeit saßen die anderen Offiziere zusammen mit Sublieutenant Drake etwas zusammengedrängt auf der Kommandantenkammer. Tim Sheldon überlegte gerade, wo er den Namen Rian Drake schon einmal gehört hatte, als der junge Mann ihn direkt ansprach.

„Entschuldigen sie bitte, Lieutenant, aber ...“

Tim hatte sich ganz herumgedreht zu dem Sublieutenant, als dieser jetzt schweigend auf Tims Ordensbänder starrte. Während des Rundgangs war er immer hinter den höheren Offizieren geblieben und hatte den Kommandanten nie direkt oder in Ruhe von vorne gesehen.

„Sie sind das?“

Tim Sheldon sah nun ebenfalls an sich herab und erkannte die verkleinerte Version des Kings Cross über seinen Ordensbändern. Verärgert schnappte er zurück.

„Ja, ich bin das. Was dagegen?“

Der junge Sublieutenant sprang von seiner Sitzgelegenheit hoch und schnappte mit hochrotem Gesicht in Grundstellung.

„Nein, Sir. Auf gar keinen Fall. Sir. Ich … ich wollte doch nur …“

Doktor Farnsworth war aufgestanden und drückte Sublieutenant Drake wieder zurück in den Sessel.

„Ganz ruhig. Es ist nicht so, wie es geklungen hat. Der Kommandant ist sicherlich nicht verärgert, aber es ist immer etwas Persönliches mit solch einer Auszeichnung verbunden. Er hat es schließlich nicht umsonst bekommen und meistens sind schmerzliche Erinnerungen damit verbunden.“

Rian Drake sah nun mit brennenden Wangen hoch zu Tim Sheldon.

„Ich entschuldige mich für meine Neugier, Sir. Mein Onkel hatte mir schon angedeutet, dass dieses Schiff wohl etwas anders ist als die, die ich bisher kennengelernt habe.“

Tim lächelte auf den jungen Mann herab.

„Allerdings. Auch ich entschuldige mich für mein Auftreten, aber wie der Doc bereits sagte, es sind schmerzliche Erinnerungen damit verbunden. Außerdem - außerhalb des Dienstes heiße ich Tim.“

Rian Drake stand wieder auf und hatte schon wieder eine gesunde Gesichtsfarbe.

„Vielen Dank. Ich heiße Rian, wie sie ja … wie du ja schon weißt.“

Rian reichte eine Hand, doch Tim zog ihn in eine kurze Umarmung, bis ihm plötzlich einfiel, wo er den Namen schon einmal gehört hatte. Nun war Tim etwas unsicher.

„Äh, bist du sicher? Ich meine … du bist …“

Das Lächeln auf Rian‘ Gesicht erlosch.

„Du weißt also, wer ich bin? Ich hatte gedacht, ich könnte das eine Weile hinter mir lassen und einfach nur ein einfacher Sub sein, der …“

In diesem Moment betrat der König, gefolgt von Colin Campbell den Raum. Tim deutete auf Colin und grinste etwas.

„Er war’s. Er hat mir die gesamte Thronfolgeliste heruntergebetet.“

Die Augen der Anwesenden waren schon die ganze Zeit immer hin und her gegangen, ohne dass jemand etwas gesagt hätte. Beim Eintritt des Königs hatten sich alle erhoben, doch alle Blicke ruhten auf Colin, der nicht wusste, worum es ging.

„Colin, ich hasse dich. Warum kannst du nicht einmal deine Klappe halten?“

Trotz der scharfen Worte grinste Rian zu Colin herüber. Der seufzte auf und trat zu Rian.

„Tut mir leid, Kleiner. Du kannst dich nicht immer verstecken. Du kannst es aber auch nicht ablegen wie ein altes Paar Schuhe. Steh‘ dazu.“

Zur Überraschung aller gab er Rian einen Kuss auf die Stirn. Dann ging er zu Tim und küsste ihn zärtlich.

„Oh, ihr beide?“

Noch bevor jemand antworten konnte, ertönte die Stimme Seiner Majestät.

„Rian, bevor du auf dumme Gedanken kommst, NEIN. Egal was es ist. Lass uns jetzt gehen, es ist schon spät, oder besser, sehr früh.“

„Captain Sheldon. Wir werden sie nun verlassen. Ich möchte sie und ihre gesamten Offiziere … nein, streiche das. Ich möchte ihre gesamte Besatzung heute um 13:00Uhr zum Mittagessen einladen. Admiral Campbell wird ebenfalls anwesend sein. Ach so, informal, keine Orden, keine Säbel.“

„Selbstverständlich, Admiral. Vielen Dank für die Einladung. Ich werde sie nach draußen begleiten.“

Tim machte Brandon Taylor ein Zeichen und dieser sprach kurz mit der Wache an der Bodenschleuse. Die Marines wurden wieder nach draußen beordert, diesmal in ihren Dienstuniformen.

Als der Captain mit den beiden Besuchern gegangen war, sahen alle Colin fragend an.

„Und wer ist jetzt Rian, dass er sich so aufregt?“

Colin grinste Phillipp Cameron an.

“Seine Hoheit, Kurfürst Rian Drake, der Sohn von Prinz Gerald und Dritter in der Thronfolge der terranischen Föderation.“


Das Essen fand in einem abgetrennten Raum der Offiziersmesse von Torchwood statt. Man hatte mehrere Tische zu einem innen offenen Quadrat angeordnet, so dass an jeder Seite zwölf Personen sitzen konnten. Außer den 29 Mann Besatzung der GOLDEN BOY waren seine Majestät, Sublieutenant Drake, Cadet Reinhardt und Admiral Campbell erschienen.

Tim Sheldon bemerkte, dass an jedem Platz eine kleine Karte mit einer Nummer stand. Der König, wiederum in Uniform, gab eine kurze Erklärung ab.

„Anstatt ein steifes Zeremoniell abzuhalten, werden wir die Sitzplätze auslosen. Damit bleibt es dem Zufall überlassen, wer neben wem zu Sitzen kommt.“

Eine Bedienung reichte einen Sektkübel mit kleinen Losen herum. Kurze Zeit später sah sich Tim eingerahmt von seiner Majestät auf der einen Seite, auf der anderen Seite von Pvt Yeats. Auf der anderen Seite des Königs saß 1st Lt Taylor.

Nach dem Hauptgang lehnte sich der König etwas zurück und sah Lieutenant Sheldon an.

„Sagen Sie, Lieutenant, die Männer ihrer Besatzung scheinen eine besondere Beziehung untereinander zu haben, wenn man ihren Gesprächen und ihren Interaktionen zuhört.“

Tim Sheldon wurde blass. Wenn das mal nicht nach hinten losging. Eigentlich sollte er doch wissen, nach welchen Kriterien die Besatzung ausgewählt worden war.

„Eure Majestät, das liegt an dem Anforderungsprofil, mit dem wir ausgewählt wurden und an der Notwendigkeit, schnell zu einer Einheit zusammenzuwachsen.“

Der König lächelte etwas und sah sich um.

„Ich bin mit dem Anforderungsprofil vertraut. Einige Psychologen hatten mir abgeraten, diesem Profil zuzustimmen. Sie befürchten, wie hatten sie das genannt, sexuelle Insubordination.“

Lieutenant Sheldon erstarrte.

„Wie bitte? Was soll das denn sein? Befehlsverweigerung wegen sexueller Beziehungen? Ich weiß nicht, wie das aussehen sollte. Ein kurzer Flirt wird wohl kaum zu einem Aufstand führen und die Paarbeziehungen sind viel zu verantwortungsvoll um sie zu riskieren.“

„Sie haben hier Paarbeziehungen, obwohl sie erst vier Tage zusammen sind?“

„Jawohl, Sir. Einige kannten sich schon vorher, bei anderen kann ich nicht sagen, wann sie eingegangen wurden, aber es gab da einen kleinen Boost.“

Der König hob erstaunt die Augenbrauen, während Pvt Yeats, der links neben Tim Sheldon saß, vergeblich versuchte, sich unsichtbar zu machen. Mit wenigen Worten umschrieb Tim vorsichtig, was beim ersten Treffen der Marines stattgefunden hatte.

„Sehr ungewöhnlich. Und sie haben auch bereits einen Partner, Private?“

Der König beugte sich vor und sah an Tim vorbei Robin Yeats an. Der nickte langsam.

„Jawohl, Euer Majestät.“

Dann stand er langsam auf und stellte sich zwei Plätze weiter hinter David Florent. Der nächste, der sich erhob, war Brandon Taylor. Er hatte es etwas weiter zum Platz von Christoph deCoeur, hinter dem er stehenblieb. Mit leichtem erstaunen bemerkte Tim, dass Phillipp Cameron hinter Corey Price stand. Innerhalb kurzer Zeit hatten sich sechs Mann erhoben, um sich hinter ihrem Partner aufzustellen.

Tim sah kurz nach oben in das lächelnde Gesicht von Colin Campbell.

Der König überlegte kurz, dann sah er ebenfalls zu Colin hoch.

„Was würde passieren, wenn diese Männer unterschiedliche Versetzungsverfügungen bekommen würden?“

Tim hielt den Atem an, doch Colin war sich seiner Antwort sicher.

„Wenn es dienstlich notwendig und begründet ist, würde ich nicht einen Augenblick zögern. Wenn es allerdings nur passiert, um uns zu trennen, würde ich meinen Abschied nehmen. So wie die meisten hier, wenn ich nicht irre.“

Der König nickte langsam, dann sah er herüber zu Admiral Campbell.

„Du hattest Recht, David. Es ist etwas Besonderes. Verzeihen sie mir die kleine Einlage, Lieutenant, niemand wird sie trennen, ganz im Gegenteil. Ich möchte nach dem Essen mit Ihnen und Colin und Ihrem XO eine kleine Besprechung abhalten. Doch nun lassen sie uns das Dessert genießen.“

Als sich alle wieder gesetzt hatten, erschienen die Ordonnanzen mit Obst und Eis.


Die Besprechung fand in dem gleichen Konferenzraum statt, in dem schon die erste Briefing vor vier Tagen gewesen war. Außer den drei Offizieren der GOLDEN BOY waren lediglich der König und Admiral Campbell anwesend. Dieser ergriff auch sogleich das Wort.

„Dem Bericht eines Erleuchtungsschiffes der Serenade zu Folge, soll ein unbekanntes Schiff auf einem abgelegen Planeten des BfP die dortigen Bewohner überfallen und die Infrastruktur zerstört haben. Außerdem soll es ein Handelsschiff des BfP zerstört haben. Wissen Sie etwas darüber, meine Herren?“

Alle drei Offiziere schüttelten den Kopf.

„Gut, dann zum nächsten Punkt. Die Royal Navy hat gestern ein Piratenschiff aufgebracht, das in allen Einzelheiten dem Schiff gleicht, welches den Überfall auf diesen Außenposten des BfP durchgeführt hat. Bei dem Enterunternehmen wurden leider alle Piraten getötet.“

Die drei Offiziere sahen sich gegenseitig an, sagten aber nichts. König Simon betrachtete seine Hände, die er auf den Tisch gelegt hatte.

„Auf Wunsch des Oberkommandos der Royal Navy wurde besagtes Piratenschiff überstellt und für die Royal Navy in Dienst gestellt. So viel zu den offiziellen Nachrichten.“

Etwas zögernd sah der König auf.

„Meine Herren, es kam etwas überraschend, aber wir waren zum Handeln gezwungen. Hätte eine Verbindung vom Schiff zu uns, zur Föderation, hergestellt werden können, hätte das zu immensen diplomatischen Verwicklungen führen können. Deshalb die Nummer mit dem Piratenschiff. Der zweite Teil ist etwas heikler. Ich habe schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken gespielt, eine Institution wieder einzuführen, die es seit über 400 Jahren nicht mehr gegeben hat. Die letzten Ermittlungsergebnisse des Intelligence-Corps und der Staatsanwaltschaft des Adelsgerichts haben meinen Entschluss bestärkt.“

Der König lehnte sich nun etwas entspannter zurück und fuhr fort.

„Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Wie sie vielleicht wissen, unterliegen der König und der Adel einer eigenen Rechtsprechung. Die Juristen des House of Lords stellen eine eigene Strafkammer zusammen, falls es notwendig werden sollte, einen Adligen zu verurteilen. Grundlage der Rechtsprechung sind die allgemeinen Strafgesetze der Föderation. Allerdings hat das ganze einen kleinen Haken. Niemand kann einen Adligen vor das Adelsgericht bringen, das heißt, Anklage erheben, es sei denn, er ist selber Adlig und hat einen höheren Titel als der Delinquent. Das hat seinen Ursprung darin, dass in grauer Vorzeit kein kleiner Adliger jemanden vor Gericht zerren konnte, um daraus Vorteile zu ziehen oder gar dessen Stelle einzunehmen. Unglücklicherweise hat das vor kurzem dazu geführt, dass ich persönlich anreisen musste, um einen dämlichen Pfalzgrafen festzusetzen.“

„Sirilox III“, entfuhr es Tim Sheldon unwillkürlich. Der König nickte.

„Ja. Und nun haben wir Beweismaterial gegen mindestens drei weitere Mitglieder von Adelshäusern. Ich habe weder die Zeit, noch die Geduld, mich damit zu befassen. Ich werde morgen früh im Palast verkünden, dass die Reichsstatthalterschaft wieder eingeführt wird.“

Der König lachte, als er die fragenden Gesichter sah.

„Reichsstatthalter sind Adlige, die mit besonderen Vollmachten ausgestattet sind. Sie sind direkt und unmittelbar dem Herrscher unterstellt und handeln in seinem Namen und Auftrag. Die Worte eines Reichsstatthalters sind die Worte des Königs, kein Adliger kann sich ihnen Widersetzen.“

Brandon Taylor rutschte unruhig hin und her.

„Sie wollten etwas sagen, Lieutenant?“

„Ja, Sir. Sie sagten, der Titel eines Anklägers muss über dem des Delinquenten liegen. Gilt das auch für den Reichsstatthalter? Was, wenn ein Fürst festgenommen werden muss?“

„Ja, guter Einwand. Es gilt auch dort. Der neue Reichsstatthalter wird ein Reichsfürst werden und der kann alle Vorladungen bis auf die der Fürsten abhandeln. Wir haben davon im Moment so wenige, dass ich das noch selber erledigen könnte.“

Seine Majestät lächelte etwas ironisch.

„Für die Reichsstatthalter wird eine eigene, unabhängige Truppe gebildet, die durch diese im Auftrag des Adelsgerichts tätig wird.“

Tim Sheldon grinste plötzlich.

„Und das erste Schiff dieser Truppe heißt nicht zufällig GOLDEN BOY?“

„Rein zufällig doch. Und sein erster Kommandant soll ein gewisser Lieutenant Commander Timothy Sheldon werden. Kennen sie ihn?“

„Bitte?“

Tim Sheldon glaubte, sich verhört zu haben. Er war erst vor drei Tagen zum Lieutenant befördert worden.

„Verzeihung, Sir. Aber haben sie sich nicht vertan?“

„Nein, nicht im geringsten. Sehen sie, das ist der einzige negative Touch an der ganzen Angelegenheit. Sie müssten die Royal Navy verlassen.“

„Ja, aber …“

„Und würden dann bei den Royal Navy Special Forces eingestellt werden. In ihrem Fall als Lieutenant Commander.“

„Was ist mit dem Rest der Besatzung?“

Der König grinste Tim Sheldon an.

„Wie sie mir beim Mittagessen so deutlich vor Augen geführt haben: Alle oder keiner. Es ergeht an die Besatzung das gleiche Angebot. Neueinstellung bei den Royal Navy Special Forces, jeweils einen Dienstgrad über dem jetzigen.“

Heftig ausatmend sank Tim in seinen Sessel zurück.

„Diese Special Force würde also zunächst nur aus einem Schiff bestehen und den äh … Reichsfürsten von A nach B bringen.“

„Ja, so in etwa. Die Royal Navy Special Forces sind zwar, wie der Name besagt, Teil der Royal Navy, aber dennoch, bis auf das Oberkommando, gänzlich autark. Sie unterstehen im Frieden direkt dem Souverän und damit dessen beauftragtem Reichsfürsten. Im Kriegsfall unterstehen sie dem Oberkommando der Navy. Stützpunkt der Special Forces ist auf New Terra. Sie würden logistisch der Royal Navy angeschlossen, wären aber ansonsten unabhängig. Die Special Forces könnten sogar eine unterschiedliche Uniform bekommen, wenn gewünscht.“

Brandon Taylor zischte durch die geschlossenen Zähne. Timothy Sheldon sah Colin Campbell an, der verbissen auf die Tischplatte starrte.

„Du hast es gewusst, nicht wahr?“

Colin nickte schweigend.

„Machen sie ihm keine Vorwürfe. Ich habe ihm mit allem gedroht, was mir eingefallen ist, falls er vor dieser Besprechung etwas sagen sollte.“

„Das werden wir nachher klären, Sir. Ich persönlich könnte mit dem Angebot leben, aber ich müsste die Besatzung fragen, ob sie mir folgen würde. Das ist etwas, was jeder einzelne für sich selbst entscheiden muss.“

„Selbstverständlich, Lieutenant Sheldon. Ich erwarte sie morgen um die gleiche Zeit hier im Besprechungsraum.“

Der König und Admiral Campbell erhoben sich und die drei jüngeren Offiziere folgten sogleich. Tim sah Colin an.

„Wir sehen uns gleich noch an Bord. Ich muss hier kurz etwas erledigen. Da kannst dir ja schon mal eine Ausrede einfallen lassen.“

Colin sah lediglich weiterhin zu Boden und antwortete nicht. Eingeschnappt stürmte Tim in Richtung Central Desk davon.


Als Tim Sheldon in seine Kabine zurückkehrte, saß Colin Campbell in einem der Sessel und trommelte nervös mit den Fingern auf der Armlehne herum.

Tim baute sich vor ihm auf.

„Nun, hast du mir etwas zu sagen?“

Colin erhob sich und sah auf Tim herab. Der war automatisch etwas zurückgewichen als die große Gestalt so dicht vor ihm erschien.

„Ja“, flüsterte Colin. „Ich habe nur eines zu sagen: Ich liebe dich.“

Tim erstarrte.

Nein, dachte er. Das darf nicht sein. Das ist nicht richtig. Was, wenn etwas passiert? Ich will nicht wieder vor einem Grab stehen. Außerdem, warum sagt er mir das ausgerechnet jetzt? Wenn er mein Freund ist, warum hat er mir nichts gesagt? Er hätte mir doch sagen können, was der König vorhat, auch wenn es geheim … Es ist geheim und das bedeutet, niemand hat das Recht, etwas zu wissen, wenn es nicht freigegeben wurde. Und Colin kennt das Spiel besser als ich. Er hat mir deshalb nichts gesagt, weil … weil was? Weil er mich liebt und mir vertraut, so wie ich ihm vertrauen muss. Oh, Gott, Colin …

„Ich liebe dich auch.“

Etwas erstaunt, aber sichtlich erleichtert, sah Colin Campbell auf den kleinen Blondschopf vor sich herunter. Die Pause war lang gewesen, aber die Antwort war mehr als er erhofft hatte. Vorsichtig beugte er sich nach vorne und umarmte Tim, während er ihn zärtlich küsste.

„Danke, mein Kleiner.“

Bevor es jedoch zu weiteren Interaktionen kommen konnte, ertönte der Türsummer der Kommandantenkammer. Aufseufzend öffnete Tim die Tür. Auf der anderen Seite stand 1st Lt Taylor und salutierte.

„Sir, Besatzung wie befohlen in der Cafeteria versammelt.“

„Vielen Dank, XO. Dann lasst uns mal los.“

In der Cafeteria saßen die Leute an den Tischen verteilt und unterhielten sich leise. Alle wunderten sich, was diese Versammlung zu bedeuten hatte. Als die drei Offiziere die Cafeteria betraten, erhoben sich alle und sahen erwartungsvoll zum Eingang.

„Sie können wieder Platz nehmen. Wir haben ihnen etwas zu verkünden, was sie alle angeht und über das jeder einzelne genau nachdenken sollte.“

Als am ersten Tisch ein paar der Marines aufstanden, um ihnen Platz zu machen, winkte Tim ab.

„Bleibt sitzen. Wir werden Fragen beantworten müssen und deshalb ohnehin stehen.“

Die 24 Plätze waren alle besetzt und die beiden Smuts hatten es sich hinter der Essensausgabe gemütlich gemacht. Brandon Taylor nickte.

„Vollzählig.“

„Meine Herren! Captain Campbell wird sie jetzt über die neuesten Entwicklungen unterrichten. Insbesondere darüber, was in unserer Abwesenheit passiert ist, als auch darüber, was demnächst geschehen soll.“

Colin Campbell streckte sich und mit lauter und deutlicher Stimme fasste er zusammen, was kurz zuvor im Konferenzraum erörtert wurde.

Nach seinem Vortrag war die Stille fast körperlich greifbar.

Pvt Yeats war der erste, der sich meldete.

„Das heißt also, dass wir hier an Bord bleiben, in dieser Zusammensetzung, mit einer Beförderung und einem Spezialauftrag. Wo bitte, ist der Haken?“

Tim Sheldon grinste, als sich auch einige andere Besatzungsmitglieder fragend ansahen.

„Der Haken, wie Mister Yeats es so schön formuliert hat, besteht darin, dass wir einen Reichsfürsten begleiten müssen. Er wird hier an Bord sein, in seiner Eigenschaft als persönlicher Repräsentant des Königs. Das bedeutet auch, Protokoll bis zum Umfallen.“

„Und wer, bitte, ist dieser Reichsfürst?“, kam es von hinter der Essensausgabe. Tim war überrascht. Hatten sie den Punkt übersehen? Er sah Colin an, der schon wieder rot angelaufen war. Pech für die Rothaarigen.

„Du weißt es?“

Colin nickte.

„Darfst du es sagen?“

Colin sah auf die Uhr und nickte wiederum.

„Ich denke schon. Die Verkündung dürfte jetzt schon öffentlich gemacht worden sein.“

„Nun, wer ist es?“

Colin grinste Tim breit an.

“Seine Hoheit, Kurfürst Rian Drake, Reichsfürst des Königs der terranischen Föderation.“

Tim starrte Colin mit offenem Mund an, während er nach Worten suchte.

„Nicht wirklich.“

„Doch wirklich. Du erinnerst dich, was seine Majestät über Fürsten gesagt hat? Es gibt nur noch ganz wenige. Es gibt nur noch sechs, wovon drei reine Ehrentitel sind und nicht in Frage kommen. Von den drei Fürsten mit Erbtiteln möchte der König zwei sehr ungern mit etwas betrauen, was wichtiger ist, als die Klospülung zu bedienen.“

„Oh!“

„Ja, ist etwas kompliziert. Wir müssten uns da näher mit dem Hochadel befassen, aber erst einmal haben wir wohl andere Probleme.“

Lieutenant Sheldons Blicke wanderten durch die Cafeteria und überall sah er Besatzungsmitglieder, die in intensive Gespräche vertieft waren.

„Meine Herren! Ich weiß, es ist nicht einfach, aber die Zeit drängt. Der König möchte bis morgen Mittag eine Antwort haben, wie sie sich entschieden haben. Die Zeit drängt auch dahingehend, dass unter anderem die Besitzer der beiden Yachten, die wir auf Timbuktu gesehen haben, dem König noch ein paar Antworten schulden. Ich möchte sie bitten, heute im Laufe des Tages den XO aufzusuchen und ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Niemand wird gezwungen, hier zu bleiben. Vielen Dank.“

Plötzlich sah sich Brandon Taylor von einem guten Dutzend Besatzungsmitgliedern umringt, die alle gleichzeitig auf ihn einredeten.

„Ruhe, Leute. Nicht alle auf einmal. Wir machen das alles ganz in Ruhe. Ich gehe jetzt auf meine Kammer. Dort werde ich jeden einzeln nach seiner Entscheidung befragen und wenn nötig auch Fragen beantworten.“

Damit machte er sich auf den Weg nach oben, die ganze Horde im Schlepptau. Gegen 20:00Uhr hatte er dann auch das letzte Ergebnis vorliegen. Es war so, wie er es sich vorgestellt und erhofft hatte. Grinsend betätigte er den Summer an der Kommandantenkammer. Es dauerte eine Weile, bis Colin Campbell ihm öffnete. Er sah ein wenig verwuschelt aus und seine Gesichtsfarbe war ein gesundes hellrot. Tim Sheldon saß im Hintergrund auf seiner Couch und sah ebenfalls etwas derangiert aus. Brandon Taylor grinste breiter. Er trat näher und warf einen Stapel Schreibfolien auf den Tisch vor der Couch.

„Nicht einer.“

„WAS!?“

„Nicht einer hat nein gesagt.“


Gleich nach dem Frühstück am nächsten Morgen wurde eine weitere Versammlung abgehalten. Lieutenant Sheldon hielt einige der Schreibfolien in der Hand, die Brandon Taylor ihm am gestrigen Abend noch gebracht hatte.

„Leute, ich bin überwältigt und überrascht. Überwältigt, weil jeder einzelne sich entschieden hat zu bleiben und überrascht, dass so viele Kommentare und Vorschläge für die weitere Entwicklung unserer Truppe eingegangen sind.“

Jubel brandete auf und die Leute fingen an, durcheinander zu reden.

„Ruhe, Männer! Wir haben nun etliche Aufgaben vor uns. Die Vorschläge müssen gesichtet und beurteilt werden, so dass ich seiner Majestät heute Mittag schon einmal unsere Sicht der Dinge vorstellen kann. Dazu werden vier Mann zusammen mit mir, dem XO und Captain Campbell die Vorschläge durchgehen. Die vier Mann sind Seaman Florent, Petty Officer Bower, Chief Petty Officer Parker und Ensign Maxwell. Ich bitte die Herren in zehn Minuten zu mir auf die Kommandantenkammer. Danke.“

Vor der Kommandantenkammer standen David Florent und Alex Bower und sahen sich unsicher an. Als CPO Parker nach oben kam, musste er unwillkürlich lächeln.

„Na los, Jungs. Der Alte beißt nicht. Zumindest nicht uns.“

David fasste sich ein Herz und betätigte den Türsummer. Die Tür sprang auf und eine Stimme ertönte von drinnen.

„Na los, kommt rein. Setzt euch wohin ihr wollt. Wir können gleich anfangen. Ensign Maxwell kommt etwas später.“

Als sich alle sortiert hatten, ergriff Colin Campbell das Wort.

„Wir werden die ganze Sache folgendermaßen durchgehen. Ich lese den Vorschlag vor und gebe, falls Bedarf besteht, ergänzende Kommentare. Dann wird abgestimmt. Es zählt die einfache Mehrheit.“

David Florent war noch immer nicht wirklich überzeugt davon, dass er einen Beitrag zu der ganzen Sache leisten konnte, aber langsam entspannte er sich und wagte sogar, sich zurückzulehnen.

„Erster Punkt. Wenn wir neue Uniformen bekommen sollten, dürfen wir uns die Farbe selber aussuchen? Welche DG-Abzeichen werden getragen und wer bezahlt die Uniformen?“

PO Bowers hob die Augenbrauen.

„Wir sind wirklich an die Logistik der Navy angeschlossen?“

Colin nickte.

„In allen Bereichen. Ich weiß nur nicht, wie das mit andersfarbigen Uniformen aussieht.“

„Hm, wir könnten die vielleicht gesondert beim Hersteller beschaffen über den Account der RN, dann werden die genauso billig - oder so teuer. Die Dienstgrade?“

„Werden die gleichen wie bei der Navy. Also die Abzeichen, die wir auch tragen, allerdings dann mit einer Krone über den Abzeichen.“

„Die Uniformen sind doch die Grünen der Navy. Hatte nicht die Leibwache des Königs, diese Household Marines, violette Kampfpanzer? Können wir auch eine andere Farbe als Grün bekommen?“

Alle drehten sich herum zu David Florent, der nun rote Ohren bekam.

„Wäre möglich, warum?“

„Na ja, wenn wir mit diesem Fürsten die Bösen Buben jagen sollen, sollten wir auch entsprechend aussehen. Ich fand die Kampfanzüge bei der letzten Mission gar nicht schlecht.“

„Schwarz!?“

„Warum nicht. Ist noch dunkler und unheimlicher als violett. Und der Kontrast mit den goldenen Dienstgrababzeichen könnte echt gut aussehen.“

Colin Campbell grinste leicht, während Brandon Taylor nachdenklich auf seine Dienstgradabzeichen heruntersah. Auf der hellgrünen Dienstuniform waren die Abzeichen komplett in der Waffenfarbe, in seinem Fall in Rot. Bei den Royal Household Marines trugen alle Offiziere goldene Streifen, die mit der jeweiligen Farbe unterlegt waren. Er stellte sich gerade vor, wie eine schwarze Uniform mit rot unterlegten goldenen Streifen aussehen würde.

Auch die anderen Offiziere und Unteroffiziere dachten lange über den Vorschlag nach und David Florent wurde immer nervöser.

„Okay, war ja nur so eine Idee.“

„Nein, nein. Die Idee hat was.“

Nun sahen alle zu Brandon Taylor. Der grinste breit und strich mit einer Hand über die fellbedeckte Oberseite der anderen Hand.

„Schwarz steht mir auch besser als grün.“

Als das Gelächter verstummte, nickte Colin Campbell und hakte etwas ab.

„So, Leute. Das war nur der erste Punkt. Wir haben noch 27 weitere. Wir sollten uns vielleicht ein wenig beeilen.“

Die einzelnen Punkte variierten von Vorschlägen über die Unterbringung bis hin zum Einsatz eines Kampfpanzers.

„Brauchen wir wirklich einen Kampfpanzer?“

Tims Frage klang etwas skeptisch.

„Nein, nicht unbedingt. Ich habe bereits mit Scion gesprochen. Wir werden wahrscheinlich zwei Bodengleiter bekommen. Einen repräsentativen für den Fürsten und einen militärischen für die Marines.“

„Können wir nicht gleich den Badger 5000 behalten?“

„Nein, Mister Bowers, können wir nicht. Wir benötigen für den Reichsfürsten ein gepanzertes Fahrzeug, das zwar aussieht wie ein Luxusgleiter, aber allen Sicherheitsanforderungen gerecht wird.“

„Oh.“

„Ja, so kann man es formulieren. Macht euch klar, dass wir nicht nur im Auftrag des Reichsfürsten irgendwelche Vorladungen überbringen, wir sind auch für seine Sicherheit verantwortlich.“

David Florent sah von Colin Campbell zu Brandon Taylor.

„Wir reden hier die ganze Zeit über den Reichsfürsten. Sollte er denn nicht dabei sein, wenn solche Entscheidungen über seine Truppe getroffen werden?“

„Ich hoffe sehr, dass er heute Nachmittag bei der Besprechung mit dabei ist. Das dürfte einige Sachen sehr vereinfachen.“


Bei der anstehenden Besprechung sollten die gleichen drei Offiziere teilnehmen, wie beim letzten Mal. Tim Sheldon war überrascht, den König alleine vor der Tür des Konferenzraums anzutreffen, doch er sollte sogleich erfahren warum.

„Nun, meine Herren, haben sie und ihre Besatzung sich entschieden?“

„Jawohl, Majestät. Wir werden das Angebot annehmen. Alle Besatzungsmitglieder haben bereits ein Abschiedsgesuch eingereicht.“

Man konnte dem König ansehen, wie erleichtert er war.

„Sehr gut. Das ist besser, als ich zu hoffen gewagt hatte. Wir können uns keine Verzögerungen leisten. Wir sollten sofort mit unserer Besprechung beginnen.“

Seine Hoheit, der Reichsfürst Rian Drake, war tatsächlich bei der Besprechung mit dabei, ebenso wie Admiral Campbell. Hinzu gekommen war noch ein weiterer Mann in einem eleganten zivilen Anzug. Er war wohl Ende 50 und hatte dunkelbraune, schon leicht ergraute Haare.

„Meine Herren, ich möchte ihnen Seine Gnaden, den Herzog von Haldron vorstellen. Der Herzog ist der Staatsanwalt des Royal Peers Court, des Adelsgerichtshofes.“

Der Herzog überraschte die drei Offiziere indem er jeden einzelnen mit Handschlag begrüßte.

„Bevor wir mit unserer Besprechung beginnen, müssen wir noch einige kleinere administrative Dinge erledigen. Das erste wird sie vielleicht überraschen, aber ich werde es nachher erklären. Rian, komm bitte nach vorne.“

Admiral Campbell reichte dem König zwei Blätter und mit diesen trat dieser nun ebenfalls vorne vor den Konferenztisch.

„Meine Herren, ich bitte sie, sich zu erheben.“

Als alle standen, fuhr der König fort.

„Hiermit übertrage ich mit sofortiger Wirkung Seiner Hoheit Kurfürst Rian Drake das Oberkommando über die Royal Navy Special Forces. Gegeben am 03.08. des 6. Jahres der königlichen Regierung. Gezeichnet, Simon der XLVII, König der terranischen Föderation.“

Rian bekam eine Urkunde, doch der König bedeutete ihm, stehen zu bleiben.

„Im Namen seiner Majestät König Simon des XLVII. ernenne ich Seine Hoheit Kurfürst Rian Drake mit sofortiger Wirkung zum Vizeadmiral der Royal Navy Special Forces. Gegeben am 03.08. des 6. Jahres der königlichen Regierung.“

Tim, Colin und Brandon sahen sich schweigend an. Die Überraschungen schienen nicht abzureißen.

„Danke, meine Herren, sie dürfen sich wieder setzen.“

Als sich alle auf ihren Plätzen befanden, fuhr der König fort.

„Es kam sicherlich überraschend, aber es hat auch einen tieferen Grund. Rian ist zwar erst 21, aber er hat seit seinem sechsten Lebensjahr eine intensive Ausbildung hinter sich, was den Hof und den Umgang mit dem Adel betrifft. Seine militärische Ausbildung hat mit zwölf begonnen, deshalb habe ich keine Sorge, dass er etwas hm… ‚Unpassendes‘ anstellt. Der Dienstgrad eines Vizeadmirals kommt automatisch mit dem eines Reichsfürsten. Die Reichsherzöge zum Beispiel würden automatisch Konteradmiral. Das hat hauptsächlich den Grund darin, dass ein Reichsfürst berechtigt ist, im Rahmen seiner Amtshandlungen auf Einheiten, Geschwader, ja eine ganze Flotte der Royal Navy zurückzugreifen.“

Die drei Offiziere der GOLDEN BOY sahen sich zum wiederholten Mal sprachlos an. Admiral Campbell blickte von einem zum anderen.

„Ja, ist nicht einfach, aber es ist neu für uns alle. Machen wir einfach weiter. Hier, für ihre erste Amtshandlung, Admiral.“

Damit schob er Rian Drake drei Blätter zu. Der starrte darauf, dann lief ein Lächeln über sein Gesicht.

„Ich bitte Lieutenant Sheldon, Captain Campbell und 1stLieutenant Taylor nach vorne.“

Als die drei nach vorne traten, ahnten sie schon, was kommen würde.

„Meine Herren, ich bitte sie, sich zu erheben.“

Die drei verbliebenen Männer am Tisch erhoben sich.

„Im Namen seiner Majestät König Simon des XLVII. ernenne ich Timothy Maximilian Sheldon mit sofortiger Wirkung zum Lieutenant Commander der Royal Navy Special Forces. Gegeben am 03.08. des 6. Jahres der königlichen Regierung.“

„Im Namen seiner Majestät König Simon des XLVII. ernenne ich Colin Campbell mit sofortiger Wirkung zum Major der Marines der Royal Navy Special Forces. Gegeben am 03.08. des 6. Jahres der königlichen Regierung.“

„Im Namen seiner Majestät König Simon des XLVII. ernenne ich Brandon Taylor mit sofortiger Wirkung zum Captain der Marines der Royal Navy Special Forces. Gegeben am 03.08. des 6. Jahres der königlichen Regierung.“

„Herzlichen Glückwunsch.“

Noch ehe es sich die frisch ernannten versahen, hatte Rian sie kurz umarmt.

„Danke, meine Herren, sie dürfen sich wieder setzen.“

Die kleine Gruppe strebte zurück zu ihren Plätzen, wobei LtCdr Sheldon sich kurz umdrehte.

„Und wie lautete die korrekte Anrede für einen Reichsfürsten?“

„Hm, für den Fürsten Euer Hoheit, für den Admiral entsprechend dem militärischen Protokoll und ansonsten …“

„Ansonsten?“

„Wie wär’s einfach mit Rian?“

Tim blieb abrupt stehen.

„Ernsthaft?“

Nach einem kurzen Blick zu seinem Onkel nickte Rian.

Admiral Campbell räusperte sich.

„So, meine Herren. Wenn dann endlich alle wieder Platz genommen haben, können wir ja fortfahren. Ich werde kurz vortragen, welche Erkenntnisse wir aus den verschiedenen Informationen erlangen konnten, die im Laufe der Operation ‚Cheesecake‘ zu Tage gekommen sind.“

Operation Cheesecake, wer kommt denn auf so einen Schwachsinn, dachten Tim und Brandon gleichzeitig, während Colin rote Ohren bekam.

„Der erste Erfolg war eigentlich ein Zufall, denn auf Sirilox III ist bei der Föderationspolizei ein anonymer Hinweis eingegangen, dass auf dem Anwesen eines Adligen mehrere Personen als Sklaven gehalten würden. Die Föderationspolizei hat ermittelt, ohne den Adligen direkt zu involvieren und ist dabei auf Liam Kennedy gestoßen, dessen Aussagen den Royal Peers Court und den König veranlasst haben, tätig zu werden. Die adlige Person hat in seinen Aussagen einen weiteren Adligen benannt, der ebenfalls mehrere Male an Auktionen auf Timbuktu teilgenommen haben soll.“

An dieser Stelle wurde der Admiral kurz vom Staatsanwalt unterbrochen.

„Bei beiden Fällen laufen inzwischen Ermittlungen durch die Föderationspolizei. Sollten die Ergebnisse ausreichen, werden wir eine Vorladung ausstellen.“

„Gut. Bei den nächsten Ergebnissen handelt es sich um die beiden Fahrzeuge, die auf Timbuktu als Privatyachten identifiziert wurden. Die eine gehört einem bekannten Milliardär, die andere einem Herzog.“

Auch hier übernahm wieder der Staatsanwalt.

„Den Fall des Milliardärs haben wir an den zuständigen Föderationsstaatsanwalt abgegeben. Der Herzog ist eine etwas andere Sache. Wir haben nichts weiter in der Hand, als die Tatsache, dass seine Yacht sich auf Timbuktu befunden hat. Wir wissen nicht einmal sicher, ob er sich überhaupt an Bord befunden hat.“

„Die dritte Information, die wir erhalten haben, betrifft die Waffe, die Major Campbell auf Timbuktu sichergestellt hat. Die Widmung weist tatsächlich auf eine ganz bestimmte Person hin.“

Und wiederum fuhr der Staatsanwalt fort.

„Auch hier gibt es keine weiteren Hinweise. Die Widmung könnte ein, wenn auch unwahrscheinlicher, Zufall sein. Die Föderationspolizei hat keine rechtliche Handhabe, den Marquis zu befragen, geschweige denn, Ermittlungen durchzuführen.“

Der König hatte bis jetzt schweigend zugehört, doch nun ergriff auch er wieder das Wort.

„Rian, ich möchte gerne, dass ihr ein paar Besuche macht, um - sagen wir mal - die sozialen Kontakte ein wenig mehr zu pflegen. Deine Ernennung wäre doch der ideale Grund, ein wenig herumzureisen und Besuche zu machen.“

„Wir sollen also auch selber Ermittlungen durchführen?“

„Nein, nein. Natürlich nicht. Ihr könntet euch lediglich ein wenig umsehen und dann vielleicht bei einem netten Tässchen Tee beim Herzog von Haldron über eure Besuche plaudern.“

Der Herzog lächelte Rian an.

„Ich würde mich freuen, Euer Hoheit zu einem Tässchen Tee empfangen zu dürfen.“

Tim und Brandon sahen sich verblüfft an, während Colin schon wieder grinste.

„Meine Herren, wir werden sie jetzt alleine lassen. Ich bin sicher, sie werden die richtigen Entscheidungen treffen.“

Damit hatte sich seine Majestät erhoben und war, gefolgt vom Staatsanwalt und Admiral Campbell aus dem Raum geeilt, bevor der Rest sich richtig von den Stühlen erhoben hatte.

„Und was machen wir jetzt?“

„Jetzt fahren wir erst einmal zurück zum Schiff. Ich muss meiner Besatzung ja noch verkaufen, dass wir dauerhaft einen Vizeadmiral beherbergen.“


Brandon Taylor hatte die Besatzung im Hangar antreten lassen. Neugierig sahen sie hinüber zu dem jungen Mann, der immer noch die Uniform eines Sublieutenant der RN trug.

Timothy Sheldon war unentschlossen, wie er die Sache angehen sollte, doch ihm würde beim Reden schon irgendetwas einfallen.

„Männer, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“

Das Stöhnen der Männer zeigte an, dass dieser Gag nun wahrlich alt war.

„Nein ernsthaft. Seine Majestät der König, hat die Royal Navy Special Force offiziell in Dienst gestellt, einen Oberkommandierenden ernannt und unsere Bewerbungen akzeptiert.“

Tim registrierte überall strahlende Gesichter ringsum.

„Jetzt kommt der zweite Teil. Seine Hoheit Kurfürst Rian Drake ist nun nicht nur Reichsfürst des Königs, sondern in seiner Eigenschaft als unser Oberkommandierender auch Vizeadmiral der RNSF.“

Die strahlenden Gesichter wurden durch fragende Gesichter abgelöst. Der einzige, der nun die Hand hob, war Ricky Norman aus der Truppenküche.

„Verzeihung, Sir. Wird der Admiral die ganze Zeit an Bord bleiben?“

Tim runzelte wegen der Fragestellung die Stirn, antwortete aber ruhig.

„Ja, natürlich. Warum?“

Tim bemerkte, wie Ricky Norman mit David Florent einen fast panikartigen Blick wechselte.

„Was ist los? Was habt ihr beide?“

„Nun, Sir. Die Küche ist in keiner Weise in der Lage, den Anforderungen eines Flaggoffiziers, geschweige denn des Haushalts eines hohen Adligen gerecht zu werden. Wir würden einen eigenen Speiseraum brauchen, eigenes Geschirr, die Kosten für die Verpflegung würden wir notfalls auf die Versorgung …“

„Einen Moment!“

Niemand hatte darauf geachtet, dass der frischgebackene Admiral kurz mit Colin Campbell getuschelt hatte.

„Leading Seaman Norman, richtig?“

Ricky Norman nickte schweigend.

„Wir wollen es nicht komplizierter machen, als es ohnehin schon ist. Dies ist ein kleines Schiff, die Besatzung ist überschaubar und ich kenne schon einige von Ihnen persönlich. Ob mit oder ohne breitem Streifen, ich werde hier in der Cafeteria essen, auf einer ganz normalen Kammer schlafen und ob ich will oder nicht, ich werde mit euch ins Gefecht ziehen. Ich bin 21 Jahre alt und damit laut Besatzungsliste der zehntjüngste von 30. Ich erwarte, dass ich in meiner Eigenschaft als Reichsfürst oder auch als Admiral so behandelt werde, wie das Protokoll es vorsieht, aber es würde mich genauso freuen, wenn ich wie jedes andere Mitglied dieser Besatzung behandelt werde, wenn wir unter uns sind.“

Die jüngeren unter den Besatzungsmitgliedern starrten mit großen Augen auf den fast gleichaltrigen Admiral, während die älteren sich ein Grinsen verkneifen mussten.

Brandon Taylor trat vor und sah an der Besatzung entlang.

„Habt ihr eigentlich nichts zu tun? Besatzung stillgestanden, nach vorne zum Dienst wegtreten!“

Wortlos machten sich Tim, Colin und ihr neuer Oberbefehlshaber auf den Weg zur Kommandantenkammer. Erst als die Tür sich geschlossen hatte, drehte sich Tim herum.

„Bist du sicher, dass das der richtige Text für diese Rede war?“

Rian grinste breit.

„Doch, absolut. Ich habe es genauso gemeint, wie ich es gesagt habe.“

„Na, dann nimm mal Platz, wir haben nämlich noch eine ganze Menge zu besprechen, bevor wir auf Besuchstour gehen können.“

Als sich Rian setzte, kam auch der XO durch die Tür und gesellte sich zu ihnen. In der Hand trug er einen dicken Stapel Schreibfolien. Rian sah sie skeptisch an.

„Was ist das?“

„Drei Dinge.“

Ein kleiner Stapel Folien wurde vor Rian platziert.

„Erstens die Urkunden für die Übernahme des Personals in die RNSF.“

Es folgte ein zweiter, fast genauso großer Stapel.

„Zweitens, die Ernennungsurkunden für die neuen Dienstgrade. Da haben wir auch gleich ein Problem. Wären wir in der Navy geblieben, müssten, hm… sieben Mann eine Prüfung machen, weil sie die Dienstgradgruppe wechseln und dafür eine höhere Ausbildung erforderlich ist.“

Erstaunt nahm Tim das oberste Blatt hoch und las als erstes seinen eigenen Namen. Stimmt, er würde zu den Stabsoffizieren zählen, genau wie Colin.

Rian schüttelte jedoch den Kopf.

„Die Royal Navy Special Force unterliegt nicht den Vorschriften der Navy. Wenn der König gerne jemanden befördern möchte, dann ist das so. In Normalfall sieht es natürlich so aus, dass derjenige tatsächlich schon die Anforderungen erfüllen sollte.“

„Gut, dann können die Beförderungen so verkündet werden.“

Nun folgte der dickste Stapel.

„Drittens Vorschläge und Ideen für die Ausgestaltung der RNSF und der HMSFS GOLDEN BOY von der Besatzung.“

„Was?“

Rian sah mit großen Augen auf den letzten Stapel und begann ihn langsam durchzublättern. Je mehr er las, desto hektischer blätterte er. Dann sah er auf zu Tim.

„Das meint ihr ernst, nicht wahr?“

Tim nickte.

„Sehr ernst. Wir haben erst vor sehr kurzer Zeit zusammengefunden, aber ich bin mir absolut sicher, dass die Männer ihr Letztes dafür geben werden, diese ebenso neue Truppe zu einem großen Erfolg werden zu lassen. Sieh sie dir an. Viele sind hier, weil dies möglicherweise die letzte Chance auf ein Leben jenseits aller Diskriminierungen ist. Gib ihnen etwas, worauf sie stolz sein können und sie werden dir folgen bis in die Hölle und auch wieder zurück. Tu mir nur einen Gefallen, enttäusche sie nicht.“

Rian saß einen Moment da, dann bemerkte Tim, wie bei dem jungen Admiral langsam die Tränen rollten.

„Nein“, flüsterte der, „ich werde sie nicht enttäuschen.“

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