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Drachenblut
5. Buch - Teil A - Nemesis
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Informationen
- Story: Drachenblut
- Autor: Nero
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Inhaltsverzeichnis
Eargilin
Helden
»Wuff!«
Schiefergraus Kommentar zu Drachen
»Und, wie lange beabsichtigen wir hier zu bleiben?«, fragte Suman in die Runde, wobei Tonfall und Inhalt ungeduldiger gerieten, als eigentlich beabsichtigt.
Gilfea ging auf Suman zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter: »Ich weiß, dass du dir um Segato Sorgen machst. Aber dies hier ist ebenfalls wichtig. Gib Gildofal noch ein wenig Zeit, den Text zu übersetzen.«
Sumans Verstand sagte ihm zwar, dass Gilfea Recht hatte, sein Herz hingegen sorgte sich um Segato. Seit vier Tagen waren die drei Drachenreiter nun Gäste der Wölfe. Bereits in dieser kurzen Zeit hatte sich der allgemeine Zustand des Rudels deutlich verbessert. Es war fast ein Wunder. Dank dreier fleißig jagender Drachen zeigte keiner der Wölfe mehr Zeichen von Unterernährung.
Silberfels, der Leitwolf des Rudels, wusste nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Einerseits war er überglücklich, seine Meute gesund und munter zu sehen, anderseits sorgte er sich darum, wie es mit seinem Stamm weitergehen sollte, sobald die drei Drachenreiter ihn und seine Wölfe verlassen würden.
Von all dem bekam Gildofal nicht viel mit. Er verbrachte die meiste Zeit in der Kristallhöhle und versuchte den elbischen Text zu entschlüsseln, der sich aus tausenden funkelnden Kristalladern zusammensetzte. Was anfangs noch als eine eher leichte Aufgabe erschien, entpuppte sich mehr und mehr als wahre Herausforderung an Gildofals linguistische Fähigkeiten, sein historisches Fachwissen und seine Kenntnisse der Mythen und Sagen seines Volkes. Gildofal brannte vor Hingabe und Begeisterung. Es war, als wenn er uralte Pergamentrollen und Folianten durchforsten würde. Die Kristallhöhle war viel mehr, als… ja was war sie eigentlich? Ein Archiv elbischer Geschichte? Ein Quell vielfältigen Wissens? Ein magisches Artefakt?
Während Suman sich Sorgen um Segato machte und Gildofal die Geheimnisse der Kristallhöhle versuchte zu ergründen, nutzten Mithval, Tingalen und Eargilin die Zeit, um an den zerklüfteten Berghängen ihre Flugtechnik zu verbessern. Vorsprünge, Überhänge, KaMiene und Pässe boten einen unerschöpflichen Vorrat an Herausforderungen. Mithval übernahm dabei die Rolle des Lehrers, eines überaus geduldigen Lehrers, da Tingalen und Eargilin eher rumalberten, in den Schluchten verstecken spielten und überhaupt sehr ausgelassen waren.
Es schien, als ob alle Mitglieder des Segatosuchtrupps beschäftigt waren; alle, bis auf einen. Gilfea hielt sich die ganze Zeit im Hintergrund. Nicht etwa, weil er nicht mit den Wölfen sprechen konnte und auf Suman oder Gildofal als Dolmetscher angewiesen war, sondern, weil er versuchte zu entscheiden, in welche Richtung ihre weitere Suche gehen sollte.
Der bisherige Plan hieß Segato, also mich, in Crossar zu suchen. Doch je mehr Gilfea darüber nachdachte, desto mehr zweifelte er daran, mich in Crossar zu finden. Er konnte es nicht wissen, aber er lag vollkommen richtig. Während meine drei Drachenreiterfreunde eine Meute halb verhungerter Wölfe aufpäppelte, brachte mir mein Drache in Blaufurt das Fliegen bei.
Ein weiteres, wesentlich näher liegendes Problem nagte ebenfalls an Gilfea. Was sollte aus Silberfels Wolfsrudel werden? In ein paar Tagen würden die drei Drachenreiter und ihre Drachen das Gebirge wieder verlassen, doch die Wölfe würden bleiben und ihre Probleme zurückkehren. Ob er es wollte oder nicht, Gilfea fühlte sich für die Wölfe verantwortlich.
Tief in Gedanken versunken, wanderte Gilfea zu Schiefergraus Lager, dem Wolf der Gildofal das Leben gerettet hatte und dabei sein eigenes fast verlor. Wenn man es genau betrachtete, so hatte er es bereits verloren. Ohne Gilfeas Einsatz hätte Schiefergrau nicht überlebt. Das Leben hatte den Wolf schon fast verlassen. Der Blutverlust durch die Wunde, die ihm Steinschlag zugefügt hatte, war sehr groß, zu groß, um es zu überleben. Als Gilfea mit seinen Händen einen machtvollen Heilzauber ausübte, lag der Wolf bereits in seinen letzten Atemzügen. Doch Gilfeas Zauber obsiegte. Unter den staunenden Augen der umstehenden Wölfe stoppten Schiefergraus Blutungen, schlossen sich seine Wunden und Gewebe bildete sich neu.
Was man sah, Gilfea heilte nicht nur die sichtbaren Verletzungen. Seine Kraft spendete dem Wolf neue Lebensenergie. Gerade so viel, dass er die Chance hatte, sich von seiner Verletzung zu erholen. Wenn er es denn wollte. Gilfeas Zauber reichte dem Wolf gleichsam eine Hand. Sie ergreifen und sich zurück ins Leben ziehen musste Schiefergrau selbst.
»Du weißt, was du getan hast? Du hast Lebensenergie geschenkt«, bemerkte Mithval später mit einem für ihn untypisch ernsten Ton in der Stimme.
»Ja, ich glaube, ich weiß was ich getan habe. War es falsch, Schiefergrau zu retten?«
»Das habe ich nicht gesagt. Es ist deine, unsere Gabe dies tun zu können. Es könnte Konsequenzen haben.«
Gilfea zuckte mit den Schultern. Er hatte nie darüber nachgedacht, dass er offenbar die Fähigkeit besaß, Verletzungen jeglicher Art zu heilen. Zweimal hatte er es getan, ohne darüber nachgedacht zu haben, was er tat. Das erste Mal lag Jahre zurück. Es war der Tag nach seiner unfreiwilligen Vereinigung mit Mithval. Seine Freunde, die Drachenreiter hatten Mithval und ihn in einem der Krater des Eisengebirges abgeholt und nach Daelbar gebracht. Während des Flugs wurde die Gruppen von Drachenjägern mit Jagdlanzen angegriffen. Eine der Jagdlanzen traf Lindor. Diese Lanzen töten zwar nicht, aber sie lähmen den Drachen und bereiten ihm unverstellbare Schmerzen, um ihn kampfunfähig zu halten, bis die Drachenjäger ihr Mörderhandwerk vollenden können.
Ohne zu wissen was er tat, berührte Gilfea Lindor, nahm seinen Schmerz auf sich und rettete dadurch Lindor und seinen Reiter, Thonfilas. Seit jener Zeit fühlten sich Lindor und Thonfilas auf ganz besondere Weise mit Gilfea verbunden. Bisher hielt Gilfea dies für eine völlig unnötige und daher um so nettere Dankbarkeit. Doch vielleicht steckte da doch mehr dahinter. Der junge Drachenreiter war sich nicht mehr sicher.
Das zweite Mal, dass Gilfea seine Heilkraft einsetzte, war bei der Befreiung Uskavs von dessen Besessenheit. Uskavs Geist war von einem Schwarzmagier versklavt worden. Ein Teil der Willenskraft und Essenz dieses Magiers steckte in Uskav und wollte ihn beherrschen. Uskav kämpfte dagegen an und behielt die Oberhand, bis nach einem Gefecht auch seine Kräfte schwach wurden. Gilfea griff ein, legte seine Hände auf Uskav und trug in dessem Geist und Körper einen Kampf Magie gegen Magie aus. Am Ende siegte Gilfea. Und auch in jenem Fall veränderte sich etwas zwischen ihm und Uskav.
Diese Gedanken kreisten in Gilfeas Kopf, als er sich um seinen Patienten kümmerte. Schiefergraus Wunden waren sofort verheilt, doch der bis an seine Grenzen geschwächte Körper des Wolfs brauchte Zeit, um sich zu erholen. Schiefergrau schlief. Er schlief seit Tagen fast Tag und Nacht. Nur ab und zu, wenn niemand es bemerkte, wachte er auf, trank Wasser und versuchte etwas von der Nahrung zu fressen, die man ihm hingestellt hatte.
»Was soll ich nur mit dir machen, du schiefergrauer Wolf«, sprach Gilfea mit sich selbst, während er dem Wolf durch das weiche Fell strich, »Ich wünschte, du würdest aufwachen und herumtollen, wie deine Familie.«
»Das kann ich nicht«, antwortete der Wolf.
»Was?«, Gilfea starrte Schiefergrau an. Der Wolf hatte seine Augen geöffnet, seinen Kopf gehoben und schaute Gilfea direkt an. Verdattert schüttelte Gilfea seinen Kopf: »Wieso kann ich dich verstehen?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil du mich geheilt hast?«
Vielleicht - Dies wäre eine mögliche Antwort. Aber Gilfea hielt eine andere Frage für viel wichtiger: »Und warum kannst du nicht mit deiner Familie herumtollen.«
»Ich… Ich…«, stammelte der Wolf und senkte seinen Kopf, »Ich habe es nicht verdient, weiter zu leben. Ich hätte dich und deine Freunde, das ganze Rudel fast an Steinschlag verraten. Nur, um mehr Beachtung zu ernten. Ich bin eine Schande für das Rudel. Ich bin ehrlos!«
»Aber«, entgegnete Gilfea, wobei er Schiefergrau direkt ansah, »du hast keinen Grund, dich zu schämen. Du hast dir und deinem Rudel Ehre bewiesen, als du völlig selbstlos Gildofal vor Steinschlags Attacke rettetest. Niemand ist stolzer auf dich als Silberfels. Als dein Leben an einem seidenen Faden hing, war es niemand anderes als dein Leitwolf Silberfels, der neben dir gewacht hat.«
»Ist das wahr?«, fragte Schiefergrau völlig ungläubig.
»Ja!«, antwortete Silberfels, der plötzlich neben Gilfea auftauchte. Gilfea konnte zwar die Worte nicht verstehen, die der Leitwolf sprach, doch seine Gestik sprach Bände.
Nachdem das Problem Schiefergrau fürs erste gelöst war, suchte Gilfea Gildofal in der Kristallhöhle auf.
»Wie weit bist du mit der Übersetzung?«
Gildofal war in ein kleines elbisches Notizbuch vertieft, als ihn Gilfeas Worte aus seinen Gedanken weckten.
»Was?«, antwortete der Elb verstört, bevor er seinen Freund entdeckte. Gildofal war gut darin, in Gesichtern zu lesen, insbesondere in dem seines Freundes.
»Du meinst, wir sollten aufbrechen, oder?«
Gilfea antwortete nicht sofort, sondern rieb sich seine Arme, als ob er frieren würde: »Ja, je eher, desto besser. Es ist nur so ein Gefühl, aber ich glaube, dass uns die Zeit davon läuft.«
Gildofal nickte: »Ja, du hast recht.«
Gilfea ging auf Gildofal zu und nahm seinen Freund in den Arm: »Also, was hast du raus bekommen?«
Gildofal glotzte Gilfea verständnislos an, bis sein Hirn langsam dem Gedankensprung seines Freunden folgte: »Oh… äh, du meinst den Kristall? Nun ja, er scheint keine Waffe gegen das namenlose Böse und seine Legionen zu sein. Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Es ist… kompliziert«, Gildofal machte eine Pause, um seine Gedanken zu sortieren, »Es scheint, als wenn der Kristall auf etwas wartet. Der Text ist nicht nur in einem sehr alten hochelbischen Dialekt verfasst worden, er ist auch durch Rätsel verschlüsselt.«
»Äh, wie jetzt?«
»Wie soll ich das ausdrücken?«, seufzte Gildofal und raufte sich sein langes, goldenes Elbenhaar, was in Gilfeas Augen gleichzeitig lächerlich und niedlich aussah.
»Teile des Textes sind völlig klar und eindeutig. Andere Teile wiederum sprechen in Bildern. Hier zum Beispiel wird von zwei ungleichen Brüdern gesprochen: ›Die ungleichen Brüder, Sternenhimmel und Mond, Hüter der Hoffnung‹ Ich weiß nur nicht, welche Brüder dies sein könnten. Ich kann mich an keinen elbischen Mythos erinnern, der Sternhimmel und Mond als Brüder bezeichnet.«
Doch Gildofal schaute Gilfea an und musste lächeln. War dieser junge Drachenreiter nicht einfach das Liebste und Beste, was ihm widerfahren konnte? Gildofal strahlte und vergaß dabei die Zeit. War es der Moment? War es der Schimmer des magischen Kristalls? Gildofal wusste es nicht zu sagen. Er wusste nur, dass er in jenem Moment von einer Welle von Emotionen überflutet wurde, die er in dieser Form noch nie erlebt hatte. Er war regelrecht weggetreten und fühlte sich benommen, als der Moment schließlich vorüber ging. Für einen Elben war sowas sehr, sehr ungewöhnlich. Geradezu beunruhigend.
»Ist etwas?«, Gilfea sprang Gildofal entgegen. Der Elb war, ohne es selbst bemerkt zu haben, ins Schwanken geraten und drohte über einen kleinen Steinhaufen zu stolpern, »Geht es dir gut?«
»Ja…«, Gildofal zögerte, »Ich glaube schon. Ich…« Dem Elben verschlug es die Sprache, als die Erinnerung an das, was ihm während seines kurzen Blackouts widerfahren war, bewusst wurde: »Wir müssen aufbrechen! Sofort! Segato ist in großer Gefahr.«
»Woher weißt du das?«, fragte Gilfea, wobei er Gildofal stützte, der immer noch benommen schwankte.
Gildofal deutete auf den Kristall: »Er hat es mir gesagt. Für einem Moment war ich in ihm. Dieser Kristall… Er lebt! Frag mich nicht nach Details. Ich kenn sie nicht. Ich weiß nur, dass wir sofort aufbrechen müssen. Segato ist in Tharbad und läuft dort sehenden Auges in eine Falle.«
»Was wird aus den Wölfen? Wenn wir sie verlassen, werden sie wieder anfangen zu hungern.«
»Für einem Moment konnte ich es sehen«, antwortete Gildofal, »Dieser Kristall ist nicht blind. Seine Adern durchziehen diesen Berg auf hunderten von Meilen. Es gibt wenig, das ihm entgeht. Es gibt eine Aufgabe, um die uns der Kristall bittet.«
Bei Gildofals letzten Worten umspielte ein fieses Grinsen seine Lippen, das sich auf Gilfeas Lippen übertrug, kaum, dass er vom Inhalt der Aufgabe erfuhr. Die zwei Freund schauten sich an. Für die Aufgabe des Kristalls waren Drachenreiter gefordert. Drachenreiter und ihre Drachen.
»Ich komme mit euch!«, Schiefergrau ließ keinen Zweifel daran, dass er ein »Nein«, nicht akzeptieren würde. Gilfea, Gildofal und auch Suman, nachdem er von seinen Freunden informiert wurde, begannen sofort ihre Satteltaschen zu packen und die Drachen zu beladen. Die Entscheidung war gefallen - Tharbad. Doch zuvor galt es, die Bitte des Kristalls zu erfüllen: die Westflanke des Gebirges von den Feinden der Wölfe befreien.
Das eigentliche Jagdrevier der Wölfe lag im Westen. Hier war das Klima milder, die Hänge weniger steil, die Flora und Fauna üppiger. Eigentlich wäre es ein perfekter Lebensraum für das Wolfsrudel gewesen, wären die Orks nicht gewesen. Die Orks hatten sich am Berg breit gemacht und fraßen oder verjagten alles, wovon sich die Wölfe ernährten. Was Silberfels und sein Rudel nicht wusste, war, dass dies nicht zufällig geschah. Der Rudelchef war bisher davon ausgegangen, dass sich die Orks einfach nur stark vermehrt hatten und so in den Lebensraum der Wölfe eingedrungen waren. Die Bilder, die der Kristall Gildofal zeigte, zeichneten hingegen ein ganz anderes Bild. Am westlichen Fuß des Gebirges, fast schon auf Meereshöhe, gab es zwei Festungen der Menschen von Goldor. Von dort wurden die Orks gezielt ausgeschickt, um die Wölfe zu jagen und ihre Lebensgrundlage zu vernichten.
Entweder wusste man in Goldor von der Existenz des Kristalls oder man ahnte auch nur, dass die Wölfe etwas beschützten. Was auch immer der Wahrheit entsprach, man schreckte vor einem direkten Angriff zurück. Eine weise Strategie, denn in den verwinkelten Klüften des Hochgebirges hätte niemand gegen die Wölfe bestehen können. Selbst auf weiter Flur sah es nicht viel besser aus. Drei bis vier Wölfe konnten es locker mit zwei Dutzend Orks aufnehmen. Weswegen die Herren der Orks einen anderen Plan ersannen. Wenn man die Wölfe nicht direkt bekämpfen konnte, warum dann nicht vielleicht indirekt?
Der Plan schien, so spekulierte Gildofal, darin zu bestehen, Silberfels’ Meute langsam auszuhungern. Warum kämpfen, wenn es auch ohne ging. Die Aufgabe der Orks bestand somit darin, alles, was den Wölfen als Nahrung dienen konnte, zu vernichten oder zu vertreiben.
Die Aufgabe der Drachenreiter war recht einfach. Man würde den Festungen einen Besuch abstatten und prüfen, wie deren Mauern bei Beschuss mit Drachenfeuer wohl reagierten. Ohne Führung durch ihre Herren, so die Überlegung, würden sich die Orks sehr schnell verziehen. Im Gegensatz zum Uruk war der Standardork ein eher einfach gezüchtetes Wesen, das weniger durch seine intellektuellen Fähigkeiten als viel mehr durch seine verheerende Gewaltätigkeit glänzte. Eine ausreichend große Herde Orks konnte selbst das robusteste Ökosystem zum Kippen bringen.
»Ihr verlasst uns?«
Silberfels war zu Gildofal herangetreten. Der Wolf wirkte ängstlich. Seinen Schweif hielt er unbewusst flach. Seine Haltung wirkte geduckt. Gildofal begriff sofort, was der Häuptling des Rudels befürchtete. Silberfels hatte Angst, dass mit der Abreise der Drachen und ihrer Reiter, der Hunger wieder zurückkehren würde. Doch diese Furcht konnte Gildofal ihm nehmen. Der lycanthropische Drachenreiter verwandelte sich in seine Wolfsgestalt und erklärte Silberfels, dass sie vorhatten, die Orks von den Hängen des Gebirges zu vertreiben.
»Es gibt nur ein Problem«, schloss Gildofal, »Unsere Drachen können das Gebirge nicht überfliegen. Es ist zu hoch. Es wird eine Weile dauern, bis wir einen geeigneten Pass gefunden haben.«
Silberfels lachte: »Dann, mein Freund, freut es mich dir verraten zu dürfen, dass eure Suche geendet hat, bevor sie sie richtig begann. Wir, die Schatten des Gebirges, halten und bewachen einen geheimen Pass. Er führt nicht weit von hier auf die Westseite des Gebirges und ist breit genug, dass unsere geflügelten Freunde ihn ebenfalls durchqueren können.«
Während Gildofal mit Silberfels sprach, schlich ein schiefergrauer Schatten mit vier Pfoten auf Mithval zu. Kaum hatte er den großen schwarzen Drachen erreicht, kletterte er wieselflink über Flügel und Schulter den Drachen empor und verkroch sich in einer der Satteltaschen. Die Tasche bot ihm genug Platz, schließlich war sie nur zur Hälfte gefüllt, da man einen Großteil des Gepäcks am östlichen Hang des Berges zurückgelassen hatte.
In der Tasche verhielt sich der graue Schatten mucksmäuschenstill. Er wagte kaum zu atmen, so dass Gilfea nicht bemerkte, dass direkt hinter ihm ein blinder Passagier hockte. Niemand bemerkte etwas. Nur Mithvals Gesichtzüge umspielte ein unergründliches Schmunzeln.
Doch was selbst Mithval nicht wusste; der schiefergraue Schatten war nicht der einzige ungeingeladene Reisegefährte. Seit Tagen wurde das Lager der Wölfe von einem verschlagenen Augenpaar belauert, das auf Rache sann. Als nun die Drachenreiter ihre Abreise vorbereiteten, witterte der Besitzer dieser Augen seine Chance. Ein dunkelgrauer Schatten schlich sich vorsichtig und ohne auch nur das leiseste Geräusch zu machen, zu einen Haufen von Taschen und Gepäckrollen, die etwas abseits des Lagers der Drachen lagen. Dort angekommen, suchte sich der Schatten eine halb gefüllte Gepäckrolle aus, öffnete sie und kroch hinein.
Als Suman später seinen Drachen belud, wunderte er sich etwas, warum eine seiner Gepäckrollen etwas schwerer erschien, als er sie in Erinnerung hatte. Vermutlich täusche ich mich, dachte er und schob den Gedanken beiseite, nicht ahnend, dass er Tingalen mit Bosheit, Niedertracht und Verrat belud.
Loyalität
»Ein guter Soldat stellt keine Fragen. Ein guter Soldat gehorcht!«
Aus dem Lehrbuch für Ausbilder der Goldorianischen Armee
Die Informationen über das Bombenattentat auf das Festbankett des Gildehauses von Crossar waren, gelinde ausgedrückt, sehr unterschiedlich. Je nachdem, wen man fragte, erhielt man die unterschiedlichsten Antworten, sei es die Zahl der Opfer, der Identität des Attentäters oder den Umständen der Rettung der Überlebenden. Die einen behaupteten Stein und Bein, die halbe Festgesellschaft sei von einer Herde UTU-Attentäter ermordet worden, um zu demonstrieren, dass die Dogmen der Kirche zur Interpretation von Technik und Wissenschaft anmaßend seien.
Andere Gruppen wiederum behaupteten, es hätte in Wirklichkeit gar kein Attentat gegeben. Man hätte nur eines vorgetäuscht. Warum man ein Attentat vortäuschen sollte, dafür gab es ebenfalls die verschiedensten Theorien. Die einen meinten, um Harrasland und Goldor an den Verhandlungstisch zu bringen, andere, um Harrasland und Goldor vom Verhandlungstisch weg zu bringen. Ganz andere waren sich hingegen sicher, das ganze wäre nur ein Vorwand, um neue Sicherheitsgesetze durch den Senat drücken zu können, die essentielle Bürgerrechte im Kampf gegen den Terror einschränken würden.
Wie meistens, wenn Gerüchte ins Kraut schießen, stimmte so ziemlich nichts von dem, was auf den Straßen und in den Schänken der Stadt fabuliert wurde. Trotzdem enthielt jedes Gerücht auch ein Körnchen Wahrheit. In der Tat kamen die Friedensverhandlungen zwischen Goldor und Harrasland nach dem Attentat überhaupt erst richtig in Fahrt. Erogal D’Santo hatte zusammen mit Oberreeder Friedrich Amunsen und Kardinal Rudolfo die Verhandlungsleitung übernommen. Amunsen sekundierte Harrasland, Rudolfo stand Goldor bei und Erogal führte die unterschiedlichen Positionen schließlich zu einem Kompromiss zusammen. Jeder Seite schien langsam zu dämmern, dass sie von einer dritten, unbekannten Seite gegeneinander ausgespielt worden waren.
Während Erogal D’Santo mit den Verhandlungen beschäftigt war, erholten sich Turondur und Toldin von Turondurs missglückter Beschwörung. Nach seiner Seelenreise war der Elbenfürst und Ratsvorsitzende Daelbars ziemlich erschöpft und geschwächt. Für einen Elben mehr als ungewöhnlich, schlief er gute 14 Stunden. Normalerweise reichten seiner Art eine leichte Meditation von ein paar Minuten, um sich und ihren Geist zu erfrischen. Turondur hingegen schlief tief und fest.
Zur gleichen Zeit unternahm Ole Olson diskrete Nachforschungen, um etwas Licht in die Hintergründe des Attentats zu bringen. So war der verwendete Todesigel wie vermutet ein Produkt Boldin Dynamics. Als viel interessanter entpuppte sich der Kokon, der die Reste von Bruder K’Gata verdaute. Dieser Kokon lebte und wies einige Anzeichen schwarzmagischen Ursprungs auf. Olson, der von Erogal D’Santo völlig freie Hand erhalten hatte, stellte das Gildehaus komplett auf den Kopf. Tatsächlich fand man in einem an sich ungenutzten Lagerraum eine sehr bizarre Waffe, die, abgefeuert auf eine Zielperson, diese durch ein Duplikat ersetzen konnte. Eine Phiole mit einem magischen Nass musste dafür mit dem Willen des Nutzers beschworen werden. Man pflanzte quasi den eigenen Willen dem Nass auf. Anschließend wird die Waffe mit der Phiole geladen und abgefeuert. Das arme Opfer wird sofort paralysiert, stirbt innerhalb von Minuten und wird mit der Zeit von einem Kokon eingehüllt. Nach 48 Stunden bildet sich eine Blase, aus der die Kopie schlüpft und genau die Dinge tut, die man der Phiole aufbefohlen hat. Nebenbei wird das Opfer vom Kokon verdaut. Olson vermutete, das dieses Opfer der Preis für die Beschwörung darstellte.
Auch diese Waffe trug das Firmenlogo Boldin Dynamics. Olson, Turondur und Erogal waren besorgt, als sie sich nach ein paar Tagen zu eine Besprechung trafen, um die bisherigen Ergebnisse zu erörtern.
»Wenn diese Waffe beschworen werden muss«, begann Erogal D’Santo, »heißt dies, dass der eigentliche Täter noch unter uns weilt.«
»Ja«, bestätigte Olson, »die Selbstsprengung war ein Ablenkungsmanöver. Die Kopie war darauf programmiert so zu handeln.«
»Todesigel, Klongewehr«, murmelte Turondur nachdenklich, »Tragen nicht alle Produkte Boldin Dynamics eine Seriennummer?«
Ole Olson grinste breit: »In der Tat! Vom Todesigel ist die Transportkiste übrig geblieben. Das Klongewehr haben wir vollständig sicherstellen können. Beide trugen eine Seriennummer, über die man den Käufer ausfindig machen könnte. Die ersten zwei Ziffern lauten 78. Das ist Boldins Werk in Tharbad und zwar eine Abteilung für Spezialprodukte.«
»Ich frage jetzt nicht, woher du das so genau weißt«, murmelte Turondur, »Und auch nicht, auf welche Weise du gedenkst, an die Käuferdaten zu gelangen«, fügte er in seinen Gedanken hinzu.
In den letzten Tagen waren sich Ole Olson und Turondur freundschaftlich näher gekommen. Nicht körperlich, zum bedauern Olsons, der den Elben sehr attraktiv fand. Trotz der sehr unterschiedlichen Arten ihres Broterwerbs stellten die beiden fest, dass sich ihre Überzeugungen und Ansichten in vielen Punkten erstaunlich ähnlich waren.
»Tharbad also?«, murmelte Erogal D’Santo nachdenklich, »Knapp 5 Tage mit unserer Yacht.«
Zwei Augenpaare richteten sich auf den Sekretär des Gildehauses von Crossar: »Du willst nach Tharbad?«
Erogal zuckte müde mit den Schulter: »Ja, natürlich. Was bleibt uns denn anderes übrig, als der Spur bis zu ihrem Ursprung zu folgen. Die einzige Spur, die wir zur Zeit haben, führt nach Tharbad. Die Yacht ließe sich in wenigen Stunden startklar machen. Wir könnten gleich morgen früh aufbrechen.«
»Aber…«, stammelte Turondur verwundert, »Hast du hier keine Aufgaben zu erfüllen?«
Erogal sah seinen alten Freund forschend an, um dann zu grinsen: »Bis auf eine hält mich hier nichts mehr. Und diese eine Aufgabe wird sich heute Abend erfüllen.«
Turondur lauschte in sich hinein, um die Musik seines Drachens und aller Drachen zu hören. Es dauerte nicht lange, bis sich ein Ausdruck größter Freude auf dem Gesicht des Elbens breit machte. Fröhlich, fast überschwänglich, strahlte er Erogal an: »Nein, du hast unrecht, mein Freund. Diese Aufgabe wird sich noch lange nicht erfüllen. Du stehst erst an ihrem Anfang.«
Erogal nickte, während Olson verwirrt von Turondur zu Erogal und zurück blickte: »Wovon redet ihr eigentlich?«
»Über Familienzuwachs.«
Ole Olson sprang wie von der Tarantel gestochen auf: »Wer…? In meinem Kopf war… Moment, das war wieder dein Drache, oder? Was meint er mit Familienzuwachs? Ist jemand schwanger?«
Erogal D’Santo warf Turondur einen entsetzten, fragenden Blick zu. Der Elb reagierte fatalistisch: »Erzähl’s ihm, sonst tut’s die Plaudertasche von einer Echse.«
Erogal nickte und erklärte dann Ole Olson in wenigen, kompakten Sätzen, was ein Drachenreiter ist und wie man zu einem wird. Der Neovikinger hörte aufmerksam und neugierig zu. Wie für die meisten Menschen war sein bisheriges Drachenbild eher von Halbwissen und Vorurteilen geprägt. Dass die Drachen ihre Reiter erwählten, war für ihn völlig neu. Er kannte nur den Mythos, dass junge Männer, die Drachenreiter werden wollten, ein Drachenei erbeuten, es ausbrüten und anschließend den schlüpfenden Jungdrachen zähmen mussten.
»Mich zähmt niemand!«, kommentierte Toldin diesen Mythos.
»Doch was hat das mit dir zu tun?«, fragte Olson am Ende von Erogals Schilderung.
»Nun«, begann Erogal D’Santo sichtlich stolz, »Ich war einst ein Drachenreiterschüler, doch Zorn, Hass und der Wunsch auf Rache hat mich den Drachen entfremdet und es kam zum Bruch - zwischen mir und ein paar sehr guten Freunden. Ich wäre fast gefallen, gestürzt und zu dem geworden, was ich am meisten hasse: einem Werkzeug des Bösen. Doch die Drachen retteten mich. Sie gaben mir ein Versprechen. Ich würde Drachenreiter werden, sobald ich mich mit meinen Freunden und vor allem mit mir ausgesöhnt habe. Es ist soweit. Das Versprechen geht heute Abend in Erfüllung. Aus dem Ei, das mir die Drachen vor über zwei Jahrzehnten anvertraut hatten, wird heute ein Drache schlüpfen.«
Ole Olson war beeindruckt, was für ihn eine seltene Erfahrung war. In seiner Laufbahn als Schmuggler und Auftragsmörder hatte er einiges erlebt, wilde, grausame, erstaunliche und auch beeindruckende Dinge, doch ein lebendes Drachenei überbot alles bisherige. Dabei machte das Ei nicht viel her. Erogal D’Santo hatte ihn und Turondur in die Bibliothek geführt und das geheime Fach mit dem Ei geöffnet.
Da lag es nun. Es war schmutzig grau und ein wenig borkig, fast alt. Auf jeden Fall war es nicht so schön weiß und glatt, wie ein Hühnerei. Ja, es sah wirklich schäbig aus. Wenn man ehrlich war, war es sogar häßlich. Eigentlich bestand kein Grund, beeindruckt zu sein, wäre da nicht diese Energie, die das Ei verströmte. Ole Olson hatte den Eindruck, sie fast greifen zu können. Das Ei strahlte eine Aura von Leben, Güte und Liebe aus, wie es der Neovikinger niemals zuvor erlebt hatte.
»Es ist bald soweit«, flüsterte Turondur.
Als hätte das Ei auf diese Worte gewartet, zuckte und wackelte es.
»Was?«, flüsterte Ole Olson hektisch, »Wird aus dem Ding jetzt ein Drache schlüpfen?«
»Ja«, verkündete Turondur feierlich.
Erogal D’Santo hörte den Dialog seiner beiden Freunde nur nebenbei. Seine ganzen Sinne waren auf das Ei gerichtet. Endlich war er am Ziel seiner Träume und Hoffnungen angelangt, wohl wissend, dass sein Leben als Drachenreiter eher noch schwerer werden würde, als es dies als einer der obersten Gildemeister eh schon war. Überhaupt, würde es Probleme geben. Auf seine Freunde im Rat der Gilde konnte er sich verlassen, doch was war mit den anderen? Würden sie seine Loyalität in Frage stellen? Vermutlich, schließlich stellte er schon seit langem ihre Loyalität gegenüber den Zielen und Idealen der Gilde in Frage.
»Ich… ich…«, stammelte plötzlich Olson aufgeregt, »Ich kann den Drachen hören! Er spricht mit mir!«
»Was?«, riefen Turondur und Erogal gleichzeitig. Weiter kamen sie nicht, denn das Ei bekam Risse, ungewöhnlich viele Risse. Das Ei wurde sehr schnell von innen aufgepickt. Normalerweise dauerte es eine Weile, bis ein Jungdrache sein Ei mit seinem Eizahn aufgepickt hatte. Dieses Ei platzte regelrecht. Als die ersten Hüllenstücke herabfielen, erblickten die drei Freunde ein wildes Gewusel in dem Ei.
»Was ist das?«, stammelte Erogal.
Im selben Moment platzte das Ei. Drei Augenpaare starrten auf das, was der Eihülle entstieg. Es war bezeichnenderweise Ole Olson, der als erster seine Verwunderung in Worte fassen konnte: »Zwillinge?«
Tharbad
»Der weise Reisende vermeidet einen Besuch dieses Ortes.«
Muriels Reiseführer Anhangsband 1 --- Das vollständige Kapitel 1 »Tharbad«
Obwohl Tharbad noch eine volle Tagesreise entfernt lag, begann sich die Landschaft bereits zu verändern, wenn auch nicht unbedingt zum Besseren. Ivoricalad bemerkte es als erstes und machte mich auf die unschönen Veränderungen aufmerksam.
»Siehst du die Bäume? Sie sind krank.«, deutete Ivo mit trauriger Stimme auf eine Gruppe von Birken, die untypisch knorrig und verwachsen aussahen, »Sie leiden unter dem Gift, das Tharbad entströmt.«
Seit Simon Nachtwasser, ein von mir beauftragter Nachrichtenagent, ermordet worden war, war knapp eine Woche vergangen. Ivo und ich hatten zwei Tage benötigt, um unsere Abreise aus Blaufurt vorzubereiten. Ich behielt die Wohnung und sorgte dafür, dass es für mindestens eine Woche so aussah, als wenn sie bewohnt sei. Ich hoffte damit unsere Abreise wenigstens ein klein bisschen verschleiern zu können. An der Grenzstation auf der Brücke zwischen Blaufurt und Eiswasser sicherte uns der Einsatz von ein paar Goldstücken eine diskrete Einreise ins Königreich Goldor. Seit nunmehr vier Tagen befanden wir uns auf der Strasse nach Tharbad. Ivo hatte vorgeschlagen, zu Pferde zu reisen. Ein Gleiter würde mehr Aufmerksamkeit erregen und leichter zu verfolgen sein. Ich war überrascht, dass mein Drache reiten konnte. Noch überraschter war ich, dass er sogar perfekt reiten konnten. Sein Pferd schien sich sogar zu freuen, ihn tragen zu dürfen.
Als recht interessant stellte sich Ivos Kleiderwahl heraus. Da er nicht als Drache, sondern in seiner menschlichen Form mit mir reiste, bestand die Notwendigkeit sich vorher geeignet einkleiden zu müssen. Meine generelle positive Voreingenommenheit gegenüber meinem reptilen Partner außer acht lassend, musste ich einfach zugeben, dass dieser Drache einfach ein Sexgott war, der selbst in einem Kartoffelsack eine geile Figur gemacht hätte. Ivo wählte für uns beide figurbetonende HiTech-Kampfanzüge, sowie Funktions- und lockere Freizeitkleidung. Der Kampfanzug trug bezeichnenderweise einen Werbeaufkleber, der von einem Drachenhauteffekt faselte. Ivo schien dies amüsant zu finden. Ich war eher geschockt, wie provozierend gut er insbesondere in diesem Teil aussah.
Ivos Bekleidungswahl erwies sich als weise. Kaum hatten wir Blaufurt hinter uns gelassen, begann das Wetter umzuschlagen. Es wurde zwar sonnig, doch blies gleichzeitig ein kalter Nordwind. In freier Natur auf den Rücken von Pferden war es nicht ungewöhnlich seinen Körper stärker zu bedecken, so dass nie die Gefahr bestand, dass Ivo von einem direkten Sonnenstrahl getroffen und transparent wurde. Zwei Tage später war es mit der Sonne vorbei. Der Himmel trübte sich erst ein, zog sich dann mit tief hängenden Wolken zu, um es schließlich nieseln zu lassen.
»Riechst du das?«, wir hatten die kranken Birken vor gut drei Stunden passiert, als mir ein unangenehmer, teerig, rauchiger Geruch in die Nase strömte.
»Der schwarze Atem Tharbads«, beantwortete Ivo indirekt meine Frage, »Bis hierhin ist der giftige Auswurf also schon vorgedrungen.«
»Du warst schon einmal hier?«
»Nein, aber ich verfüge über die Erinnerungen vieler Drachen, die vor uns hier waren«, entgegnete Ivoricalad traurig, »Dies war ein mal ein freundliches und fruchtbares Land. Schau an, was daraus geworden ist.«
Von freundlich und fruchtbar war nichts mehr zu sehen, nicht mal zu erahnen. Stattdessen sahen wir ein gequältes und krankes Land. Je näher wir Tharbad kamen, desto bedrückender wurde die Landschaft. Das Grün der Pflanzen, das Leuchten allen Lebens verblasste und machte einem zähen, öligen dunkelgrau Platz, das alles zu überziehen schien und dem Leben die Kraft entziehen wollte. Sogar unsere Pferde bemerkten die Veränderung und wurden unruhig. Es war, als wenn das ölige Grau an ihren Beinen emporklomm. Dabei hatte der Nieselregen nur die Straße matschig gemacht und der Schlamm klebte an ihren Fesseln.
Gegend Abend erreichten wir einen Gasthof, den wohl letzten freundlichen Ort vor Tharbad. Im Umkreis von etwa einer halben Meile kehrte die Farbe in die Landschaft zurück. Gras, Strauch und Baum waren wieder grün, die Luft erstaunlich atembar, frisch und sauber.
»Eine verwandte Seele bewohnt diesen Ort«, war dann auch Ivos geheimnisvoller Kommentar.
Ich nickte zustimmend und wir beschleunigten unseren Ritt. Nach einer Straßenbiegung kam das Rasthaus in Sicht. Ein großer Hof mit vier im rechten Winkel angeordneten großen Hauptgebäuden, die in der Mitte einen Innenhof bildeten. Ein großes Tor führte hinein. Wir ritten hindurch und wurden sogleich von einem Stallburschen empfangen, der unsere Pferde nahm und sie zu den Futtertrögen führte. Die Raststätte hatte einen schon fast historischen Aufbau. Neben dem Gasthaus gab es einen Stall, der zum Teil aber als Garage für Gleiterfahrzeuge genutzt wurde. Die anderen beiden Gebäude beherbergten die Gästezimmer.
Wir betraten das Haupthaus und gelangten zur Rezeption, hinter der, zu unserer größten Überraschung ein hoch aufgeschossener Elb stand. Körperhaltung und Aussehen nach handelte es sich sogar um einen Hochelb. Er war gerade damit beschäftigt, mit der einen Hand ein paar Eintragungen in einem Buch zu prüfen, während er in seiner anderen Hand eines jener Kommunikationspads hielt, die man inzwischen überall sah. Wenn ich die Gesprächsbrocken richtig verstand, führte der Elb ein Gespräch, bei dem es um die Reservierung eines Zimmers ging.
»Es tut mir Leid, aber wir sind vollkommen ausgebucht!«, erklärte der Elb höflich und geduldig dem laut zeternden Gesprächsteilnehmer am anderen Ende der Verbindung, »Verstehen Sie doch, aber in Tharbad ist zur Zeit Wehrmesse. Wir sind bis auf die letzte Besenkammer ausgebucht.«
Das andere Ende wollte nicht verstehen. In einer Lautstärke, die selbst Ivo und ich verstehen konnten, wurde mit den Worten »schwanzlutschender Elbenabschaum« die Leitung gekappt. Der Elb seufzte auf, vertiefte sich in sein Buch und begrüßte uns ohne aufzusehen: »Guten Abend die Herren. Ich hoffe, Sie haben eine Reservierung, denn ohne muss ich Ihnen leider gleich sagen, dass ich…«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment schaute der Elb auf. Sah mich, sah Ivo, erstarrte für einen Moment, blinzelte verlegen und fuhr dann, ohne seine Miene zu verziehen, fort: »dass ich mich freue, Ihnen ein sehr schönes ruhiges Doppelzimmer anbieten zu können. Wenn die Herren mir bitte folgen wollen.«
Wir folgten. Der Elb führte uns über Flure und Treppen zum hinteren Teil des Haupthauses. Dort öffnete er eine Tür, schloss sie hinter sich, legte seine Hand auf einen Knauf einer zweiten Tür, wobei er ein paar elbische Worte sprach und die Tür öffnete.
»Kommt herein. Es ist meine Wohnung. Ich bin Golfindel. Fühlt euch heute Nacht willkommen im Heim eines Freundes.«
Golfindel strahlte vor Freude. Ich war irritiert, ahnte aber, dass der Elb sah, was und wer wir wirklich waren. Und Ivo lachte und fragte: »Darf ich mich ausziehen?«
Im ersten Moment zuckte ich zusammen, angesichts dieser frivolen Frage, bis mir einfiel, dass Ivo ja gar kein Mensch, sondern ein Drache und diese Frage doch eher anders zu verstehen war. Golfindel verstand sie sofort und nickte. Ivo strippte und verwandelte sich zurück in den Drachen, der er eigentlich war.
Golfindel war kaum zu bremsen. Er lief auf Ivo zu und berührte ihn sanft und in voller Ehrfurcht: »Du bist ein Kristalldrache. Das ist fantastisch. Darf ich deinen Namen erfahren?«
»Mein Name ist Ivoricalad und dies ist meine Seele, das Zentrum meiner Existenz, Segato G’Narn«, bei den letzten Worten strahlte mich mein Drache liebevoll an und ich strahlte zurück.
»Oh, wie unhöflich von mir. Segato, ich muss mich bei euch entschuldigen, aber ich bin so aufgeregt einen Vertreter der Alten Art in meinem Haus beherbergen zu dürfen. Natürlich, natürlich, ihr seid es ja auch, Seele Ivoricalads, ehrenwerter Segato.«
»Ähm…«, begann Ivo amüsiert, »Ich möchte deine Freude nicht mindern, aber freut euch ein wenig weniger enthusiastisch. Ich bin nur eine sprechende Echse, sonst nichts.«
Golfindel grinste und meinte dann nüchtern: »Klar! Nichts lieber als das. Habt ihr Hunger?«
Ivo und ich sahen uns an und antworteten synchron: »Ja!«
Golfindel führte uns an einen Tisch, den er in windeseile mit elbischen und menschlichen Spezialitäten für sich und mich deckte, während er einen großen Napf für Ivo füllte. Keine fünf Minuten später saßen wir am Tisch oder lagen, wie Ivo, davor und aßen, tranken und unterhielten uns über alles mögliche. Nach einer Weile steuerte ich ein Thema an, was mir unter den Fingern brannte.
»Golfindel, bitte versteh meine Frage nicht falsch, aber wieso bist du hier? Du lebst außerhalb eines Reservats. Deine Aura als Hochelb ist im Umkreis von einer halben Meile deutlich zu sehen. Warum hat man dich nicht in ein Reservat abgeschoben oder verhaftet? Soweit ich weiß verstößt du gegen mehr als ein Goldorianisches Gesetz.«
Golfindel schaute nervös zwischen Ivo zu mir hin und her: »Es ist etwas kompliziert. Vielleicht sollte mein Lebensgefährte besser dabei sein, doch bevor ich ihn hole, möchte ich euch bitten, dass ihr ihn bis zum Ende anhört und eure Schwerter stecken lasst. Darauf müsst ihr mir euer Wort geben!«
Ich warf Ivo einen fragenden Blick zu, doch der knabberte genüßlich an einer fetten Schweinekeule. Mit vollem Maul nuschelte er mit seiner süßen Drachenschnauze: »Klar!«
»Du hast Ivo gehört«, ergänzte ich Ivos Antwort, »Du hast unser Wort.«
»Gut, wartet einen Moment. Ich muss ihn erst herholen, er sitzt im Moment noch im Schankraum.«
Golfindel verließ uns. Während ich unruhig meinen Bierkrug auf dem Esstisch hin und her schob, mampfte mein Drache munter weiter und, als wenn er mich ein klein wenig ärger wollte, rülpste dermaßen intensiv, dass seinen Nüstern ein kleines Rauchwölkchen entfleuchte: »OOPS, sieht so aus, als wenn ich bald Feuer speien kann. Entspann dich, wen kann ein Elb schon zum Partner haben? Es wird irgend ein Saufbold von einem Offizier sein, der seine schützende Hand über ihn hält.«
Ivo hatte wie immer Recht, diesmal allerdings nicht ganz. Golfindels Freund war in der Tat ein Offizier. Mit lautem Stiefelknallen betrat er Golfindels Wohnraum.
»Darf ich euch Uskol, Leutnant der Wache von Tharbad vorstellen?«
Uskol war ein Uruk und Uskav fast wie aus dem Gesicht geschnitten. Unwillkürlich griff ich zu meinem Schwert, brachte mich aber sofort wieder unter Kontrolle. Ich hatte Golfindel mein Wort gegeben. Sollten wir in eine Falle getappt sein, war es eh zu spät. Das Haus wäre bereits von Soldaten umstellt gewesen.
»Ich glaube, ich mach deine Freunde nervös«, meinte der Uruk amüsiert. Anschließend tat der Uruk etwas überraschendes, er zog Golfindel zu sich ran und umarmte den Elben zärtlich. Eine seiner Pranken strich Golfindel liebevoll durch das goldene Elbenhaar, während ein Urukaugenpaar träumerisch verliebt den Elben anhimmelten.
»Ihr müsst keine Angst haben. Ich bin halbwegs harmlos«, begann Uskol, »Ich kämpfe auf eurer Seite. Vor ein paar Jahren gelang es mir, mich meiner Zuchtprägung zu widersetzen und schließlich zu entledigen. Ich bin ein freier Uruk, ohne die Fesseln einer schwarzen Kontrolle meines Geistes zu tragen.«
»Wie Uskav…«, platzte es aus Ivo heraus, »Dann ist er nicht der einzige Uruk, der sich seiner genetischen Programmierung widersetzen konnte.«
»Uskav? Ihr kennt Uskav?«, rief Uskol erregt.
»Ja, wieso? Uskav ist unser Freund und ein angesehener Drachenreiter in Daelbar«, erläuterte ich.
»Natürlich, das könnt ihr nicht wissen«, sprang Golfindel ein, »Uskav und Uskol sind nicht die einzigen freien Uruks. Es gibt viele, sehr viele. Der ganze Urukzuchtstamm 172 scheint einen Fehler zu besitzen, der es ihnen ermöglicht, sich gegen ihre genetische Programmierung zu wenden und freie Uruks zu werden. Uskav ist ihr Held, ihr Idol, er ist ihr Leuchtfeuer der Hoffnung auf Freiheit. Alle Uruks, die sich ihrer Ketten entledigt haben, verbergen, dass sie sich befreit haben. Doch es gibt sie. Uskol ist wie gesagt Leutnant der Wache von Tharbad und führt ein hartes und erbarmungsloses Regiment, doch in Wirklichkeit ist er ein Kämpfer für die Freiheit. Es gibt viele, wie ihn, und alle würden nicht zögern, sollte jemand kommen und sie anführen.«
»In Goldor gibt es einen geheimen Urukwiderstand?«, kam Ivo mir mit meiner Frage zuvor.
»Oh ja, den gibt es. Wir sind gut organisiert, arbeiten aber im Geheimen. Es besteht ständig die Gefahr, dass wir enttarnt werden. Außer uns selbst könnte noch jemand anderer den Fehler in unserem Zuchtstamm entdecken. Wenn das passiert, würde man uns als defekte Zuchtserie jagen und abschlachten. Vielleicht würde man auch alle Uruks abschlachten. Es ist gar nicht so einfach, auf unsere Seriennummern zuzugreifen. Noch etwas. Ich muss euch warnen, außerhalb dieser vier Wände sind meine Möglichkeiten euch zu helfen stark eingeschränkt. Ich muss meine Tarnung wahren, auch wenn das unter anderem bedeutet, meinen Schatz in der Öffentlichkeit ständig demütigen und schikanieren zu müssen.«
»Das ist ein kleiner Preis, den ich bereit bin zu zahlen«, wandte Golfindel ein, »Ihr müsst wissen, dass ich quasi das offizielle Spielzeug des Leutnants der Wache bin. In der Öffentlichkeit bin ich ein Elb, der gegen seinen Willen gezwungen wird, diesen Gasthof zu betreiben. Kein Mensch wäre freiwillig bereit, nahe des giftigen Brodems von Tharbad zu leben, aber ich bin ja nur ein Elb, den man zwangsverpflichten kann. Um den Schein zu wahren, ich wäre nur unter Zwang hier, suchen mich Uskol und seine Leute gelegentlich heim, um mich vor den Gästen publikumswirksam zu tyrannisieren. Uskol und ich liefern wirklich eine perfekte Show!«
Ich schaute zu Ivo hinüber, der mit seinen Echsenschultern zuckte, was ziemlich komisch wirkte. Immerhin verstand er, welche Frage mir durch den Kopf ging. Konnte man Uskol vertrauen? Er war ein Uruk. Und egal wie sehr ich Uskav schätzte, er blieb für mich eine Ausnahmeerscheinung. Dass es mehr von seiner Sorte geben sollte, war kaum zu glauben. Selbst Uskav predigte ständig, dass man keinem Uruk trauen könne. Schließlich würde er sich selbst am allerwenigsten trauen. Auf der anderen Seite klang Uskols Geschichte plausibel. Uruks waren hochgezüchtete Kampfmaschinen, die Veränderung bereits eines einzigen Zuchtparameters konnte extreme Konsequenzen nach sich ziehen. So jedenfalls hatte ich es in den Lehrbüchern während meiner Zeit in Crossar gelesen.
»Ihr wisst nicht, ob ihr mir trauen könnt?«, griff Uskol Ivos und meine ratlose Miene auf und bewies wieder einmal, das Uruks im Gegensatz zum gemeinen Orks extrem intelligente Wesen waren.
Ich betrachtete Uskol genauer. Er hatte etwas. Auch er verströmte diese maskuline und sehr potente Aura, die auch Uskav umgab. Und für einen Uruk sah er erschreckend gut aus. Mit Uskav, der sich zwischenzeitlich zu einen wahren Sexidol verwandelt hatte, konnte Uskol zwar noch nicht konkurrieren, denn Uskol war nach wie vor ein Monster, dessen vornehmste Aufgabe darin bestand Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch hinter der harten Schale lugte ein Wesen hervor, das sich nach Freiheit und Liebe sehnte und dies in den Armen eines Elben gefunden hatte.
»Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann. Kann ich dir vertrauen?«, antwortete ich vage.
»Eine gute Antwort!«, lachte Uskol laut und orkisch, »Ich wäre an eurer Stelle auch vorsichtig. Sagt nichts, ich weiß, dass ich ein Uruk bin und wofür ich geschaffen wurde. Sprecht mit Golfindel. Ich muss sowieso wieder gehen, bevor mein Trupp das ganze Wirtshaus auf der Suche nach mir noch zerlegt.«
Bevor Uskol ging, tat er etwas erstaunliches. Er umarmte Golfindel, nahm dessen Kopf vorsichtig und sanft in seine Klauen und küsste den Elben. Was sinnlich begann, verwandelte sich schnell in ein wildes Zungenduell, wobei die Aktion eher von Golfindel ausging. Nach 30 krassen Sekunden löste sich Uskol heftig atmend: »Ich liebe dich, mein Elb! Mein Trost in dunkler Nacht!« Sprach’s und verschwand.
»Was ihr da vorhabt ist der reinste Wahnsinn!«, schrie Golfindel, »Seht ihr denn nicht, dass das eine Falle ist?«
Die letzten zwei Stunden hatten Ivo und ich Golfindel mehr oder weniger unsere Geschichte erzählt. Nicht alles, aber doch die Teile, die uns nach Tharbad trieben.
»Natürlich ist es eine Falle, aber wenn Boldin Dynamics irgend etwas mit dem namenlosen Bösen zu tun hat, dann müssen wir das wissen!«
»Ach, du bist also auch noch ein Gildemeister?«, zog mir Golfindel den Boden unter den Füßen weg, »Nur die Gilde verwendet diesen Begriff und nur die Meister wissen vom namenlosen Bösen.«
Wenn ich wirklich jemals ein Gildemeister war, dann war ich der dümmste, der je gelebt hatte. Wie einfach mich dieser Elb durchschaute war unheimlich. Er schien in mir wie in einem offenen Buch lesen zu können. Allerdings änderte sich seine Miene, als er hörte, dass ich auf der Suche nach Informationen über den namenlosen Feind war. Sie verfinsterte sich.
»Ihr seid nicht ohne Grund auf der Suche, oder? Es gibt einen Anlass, warum ihr ausgerechnet zu Boldin Dynamics wollt.«
Ich nickte und erzählte also auch noch den Rest meiner Geschichte: von Suman, dem Todesigel und dem Datenkristall.
»Also habe ich die Zeichen richtig gedeutet!«, rief Golfindel, »Er will zurück in unsere Welt. Natürlich, jetzt wird mir einiges klarer. Ich muss blind gewesen sein! Ivoricalad, Segato, ihr seid am richtigen Ort! Tharbad war nie ein schöner Ort. Schon immer war dies eine verfluchte Stadt des Leids und des Schmerzes. Doch seit einiger Zeit scheinen noch wesentlich finstere Dinge in jenem Höllenloch geboren zu werden als bisher. Die Stadt frisst Menschen! Im wörtlichen Sinne. Seit Monaten kommen immer mehr Häftlingstransporte hier vorbei. Jeder weiß, wohin sie gebracht werden. Zum Barad Baul. Ich habe sie mir angesehen und mich vorsichtig umgehört. Uskol konnte einen Blick in die Überstellungslisten werfen, was ihm fast den Kopf gekostet hätte. Die Wache der Stadt ist nicht für die Gefangenen zuständig, deswegen waren Uskols Nachforschungen sehr heikel. Es scheint, als wenn die Geheimpolizei des Königs wahllos Menschen und nur Menschen verhaftet. Zwischen den Häftlingen gibt es ein einziges verbindendes Element, es sind alles arme Schlucker, die niemand vermisst.«
Schwesterherz
»Freunde kann man sich aussuchen, Verwandte bedauerlicherweise nicht!«
Goldorianisches Sprichwort
»Zwillinge!«, beantwortete Turondur Oles Frage ebenso rhetorisch, wie sie gestellt wurde. Dabei war er ähnlich verblüfft, wie der Neovikinger. Schneller als Ole Olson begriff Turondur die Tragweite dieser doch für alle überraschenden Entwicklung: »Es sieht so aus, als wenn du ebenfalls Drachenreiter wirst.«
»Ich?«, japste Ole, »Ein Drachenreiter?«
»Magst du keine Drachen?«, machte sich plötzlich einer der beiden Jungdrachen in Ole Olsons Kopf bemerkbar. Mit dieser Form der geistigen Kommunikation noch unvertraut, schaute sich Olson in alle Richtungen um und übersah, wie fast jeder andere Drachenreiterschüler vor ihm, vor sich auf den Boden zu schauen. Dort hockte ein graubrauner Jungdrache und schaute ihn provozierend an, »Was ist denn nun? Magst du mich oder nicht?«
War es das niedliche Gesicht des Drachens, die Schnauze mit der Stubsnase, die großen Augen, oder war es die Fröhlichkeit, die die kleine Echse verströmte? Was es auch war, es schmolz Ole Olsons Widerstand und erwärmte sein Herz. Ohne weiter nachzudenken, schnappte er sich den Drachen, hob ihn hoch und umarmte ihn.
»Ich mag Drachen und insbesondere mag ich dich!«, gestand er dem Drachen, in dessen Augen er glücklich versank. Ohne darauf zu achten, was mit ihm geschah, ließ er sich von einem roten Leuchten einhüllen und begann einer Musik zu lauschen, die von nun an sein Leben bis zu dessen Ende begleiten sollte und ihn nie wieder verlassen würde.
Im Gegensatz zu Ole Olson war Erogal D’Santo sehr genau darauf vorbereitet, was ihn erwartete. Er kannte den Ablauf, er wusste alles über Drachenkunde. Nichts konnte ihn überraschen. So dachte er jedenfalls. Doch hatte er dabei nicht mit dem feinen Sinn der Drachen für Ausgleich und Balance gerechnet.
»Hallo Erogal, Drachenfreund! Ich bin Sulogorn, dein Drache. Fingolf schickt mich, um endlich ein altes Versprechen einzulösen. Möchtest du das Versprechen annehmen?«, meldete sich der zweite Drache kühl.
»Nein!«, entgegnete Erogal von sich selbst überrascht, war sich seiner Sache aber absolut sicher. Sulogorns Angebot erzeugte einen bitteren Geschmack auf Erogals Zunge. So wollte er kein Drachenreiter werden. Wenn es nur darum ging, ein vor langer Zeit abgegebenes Versprechen anzunehmen, dann wollte er kein Drachen sein.
»Nein?«
»Nein!«, wiederholte Erogal mit fester Stimme, »Und, ja, ich träume davon, Drachenreiter zu werden, aber nicht auf diese Art. Nicht, weil ihr Drachen euch verpflichtet fühlt, ein Versprechen einzulösen. Ich möchte nicht, dass ihr Drachen mich in euren Kreis aufnehmt, weil ich es nun, nach langer Zeit, verdient oder weil ich meine Zeit der Läuterung abgesessen habe. Sulogorn, du magst das sein, was ich mir ein Leben lang gewünscht habe. Ein Drache, dessen Seele ich sein darf. Aber wenn ich es nur aus Gefälligkeit werden darf, dann bin ich nicht würdig und verzichte. Es tut mir leid!«
»Es muss dir nicht leid tun! Erogal, du hast dich verändert. Du hast Weisheit erlangt! Ich und mein Bruder, wir beobachten dich seit Jahren, hören deine Gedanken und lauschen der Melodie deiner Seele. Du hast Recht! Drachenreiter zu werden, nur um ein Versprechen einzulösen, wäre deiner unwürdig. Erogal, ist dir klar, was du erreicht hast? Deine Seele ist frei von Zorn, Wut und Hass! Erogal, ich bitte dich, werde meine Seele! Du bist der Mann, der mir bestimmt ist. Du und niemand sonst!«, verkündete Sulogorn und dieses mal glühte seine Stimme von Wärme und Liebe.
Und so begriff Erogal, was gerade eben geschehen war. Es war ein Test, der letzte Test seiner Würdigkeit. Nicht für die Drachen, sondern für ihn. In dem Moment als Erogal bereit war, auf seinen größten Traum zu verzichten, bewies er, dass er mehr als würdig war, ein wahrer, echter Drachenreiter zu werden.
»Nun meine Brüder, wie fühlt man sich als Drachenreiter?«
Während Olson und D’Santo ihre Vereinigung mit ihren Drachen vollzogen, hatte sich Turondur gemütlich in einen der Ledersessel der Bibliothek gesetzt und dem Schauspiel fasziniert zugesehen. Obwohl er in seinem Leben als Drachenreiter unzähligen Vereinigungen beigewohnt hatte, war es jedesmal wieder ein Ereignis, dessen Schönheit nie verblasste oder etwas alltägliches wurde. Jede Vereinigung machte ihn ein Stück glücklicher. Ein neuer Drache betrat die Welt!
Neben Erogal und Olson standen zwei graublaue Drachen von eleganter Schönheit. Es waren die Zwillinge Sulomile und Sulogorn, der heimliche Wind und der stürmische Wind.
»Es ist ein Traum!«, flüsterte Ole, der immer noch nicht glauben wollte, dass er von nun an ein Drachenreiter war.
»Es ist kein Traum!«, meinte Erogal, »Glaub mir, das ist kein Traum.«
»Und, mein Freund«, wandte sich Turondur an Erogal, »Ist es das, was du dir gewünscht hast?«
»Nein!«, antwortete Erogal offen, kniete sich neben seinem Drachen nieder und streichelte die Echse liebevoll, »Es ist… unbeschreiblich. Es ist viel, viel mehr, als ich je gewagt habe, zu träumen. Aber ja, ich bin glücklich, überglücklich!«
»Meine Freunde!«, Turondurs Miene verfinsterte sich, »Es tut mir leid, wenn ich den Tag eurer Vereinigung trüben muss. Es gibt etwas, das ich erledigen muss. Ich werde für einige Zeit fort sein. Ob dies nur Stunden oder Tage sein werden, kann ich nicht sagen. Ich werde versuchen, später zu euch zu stoßen. Ihr solltet inzwischen so schnell wie möglich nach Tharbad aufbrechen. Freunde sind in Gefahr und eure Fähigkeiten sind gefordert.«
»Wohin gehst du?«
»Zu meiner Schwester!«
»Ja!«, knurrte Kardinal Rudolfo, »Sie wird Sie empfangen.«
»Wie überaus gnädig von meiner Schwester!«, ätzte Turondur.
»Mit Verlaub, Herr Präsident, Paula Sylvestra II ist die Päpstin der unifizierten Technokratie!«, entrüstete sich der Kardinal.
»Sparen Sie sich die Nummer für Ihre Schäfchen. Ihre Päpstin ist meine Schwester. Also, wie komm ich nun zur Kurie?«
Die Sitz der Kurie war auch der Sitz der Päpstin. Niemand, bis auf die Kardinäle, wusste, wo sich die Kurie befand. Manche vermuteten, sie lag in einem schwer zugänglichen Teil des Küstengebirges von Goldor. Andere vermuteten sie in den unerforschten Weiten jenseits der Einöden. Eine ganz andere Variante behauptete, die Kurie würde auf einer Insel vor Goldor liegen. Die gewagteste Idee sah die Kurie außerhalb der Welt liegend, verborgen in einem künstlichen Reich der Technologie. Doch im Prinzip blieben alle Vermutungen pure Spekulation und entbehrten jeglicher Grundlage.
»Sie reisen mit Ihren Drachen zwischen den Welten, wie Sie es nennen?«, fragte Kardinal Rudolfo rhetorisch.
»Ja?«, stellte Turondur eine Gegenfrage.
»Nun ja…«, entgegnete Rudolfo vage und hatte sich damit für ein Mitglied der Kurie weit aus dem Fenster gelehnt.
Turondur hatte seine Anfrage nach einer Audienz gleich nach Erogals und Oles Vereinigung überbracht. Keine Stunde später tauchte ein Bote auf und bat Turondur zur Nuntiatur der Kirche zu kommen. Er kam, zum Entsetzen der Priester, in Begleitung seines Drachen.
»Was ist mit Toldin?«, fragte Turondur mit unverholener Freude die Kirchentypen zu provozieren.
»Ihre Flugechse kann mitkommen. Folgen Sie mir!«
Rudolfo hatte Turondur im prächtigen Audienzsaal des Bischofs von Crossar empfangen, der den einzigen Zweck verfolgte, Besucher einzuschüchtern. Jeder, der den Bischof von Crossar konsultieren wollte, musste den Saal in seiner vollen Länge durchschreiten. Stand man schließlich vor dem Würdenträger, fühlte man sich klein und wertlos. Was den meisten Besuchern dabei nicht klar war, das Gefühl wurde nicht nur durch die Prächtigkeit des Gebäudes sondern insbesondere auch durch Zaubersprüche verursacht, die auf den Wänden des Saals ruhten. Als Elb und Drachenreiter war Turondur vor solchen billigen Tricks geschützt. Selbst ein Gildemeister hätte den Schmu sofort durchschaute und ohne nachzudenken einen Gegenzauber vom Stapel gelassen. Ein einfacher Bürger hingegen, spürte die Macht und Würde der Kirche, ohne sich dagegen wehren zu können.
Natürlich wusste Rudolfo, dass Turondur den Zauber bestenfalls amüsant fand. Statt also den Saal zu durchqueren, wählte der Kardinal eine verborgene Tür und führte sie durch verschiedene Gänge zum Empfangshof der Nuntiatur, in dem Toldin geduldig auf seinen elbischen Partner wartete.
Mit einer knappen Handbewegung Turondurs erhob sich der Drache und tapste den beiden, die auf das Portal der zentralen Kirche zuhielten, hinterher. Statt die kleinen Personentür im linken Flügel des großen Kirchentors zu öffnen, schlug Rudolfo beide Flügel komplett auf. Anders hätte Toldin kaum hineingepasst.
»Ich nehme an, dass ich ihr Wort habe, über den Weg zur Kurie stillschweigen zu bewahren?«, fragte Rudolfo erstaunlich sachlich und frei von seinem sonst üblichen sakralen Pathos.
»Ja, von uns beiden!«, antwortete Toldin und grinste breit, als ihn der Kardinal verärgert anstarrte.
»Gut, ich schicke sie jetzt rüber. Nicht bewegen!«, war alles, was Rudolfo noch sagte.
Die großen Flügel des Kirchenportals schlossen sich. Rudofo begab sich zum Altar, öffnete ein Buch und rezitierte einen technisch klingenden Text. Turondur war nicht dumm und erkannte, dass es sich um eine Kommandosequenz für eines der berüchtigten Datensysteme der Kirche handelte. Und wen wunderte es, als sich unmittelbar nach Ende der Rezitation die Umgebung auflöste, verschwomm, um sich mit einem fiesen Plopp in eine andere Umgebung zu rematerialisieren.
»Das war keine Magie!«, maulte Toldin, »Zu kalt. Ein widerliches Gefühl, als wenn man stundenlang durch einen Eissturm fliegen würde.«
»Du hast Recht…«, erwiderte Turondur abwesend, während er die neue Umgebung betrachtete. Turondur und Toldin standen in mitten einer gigantischen Kuppelhalle, die von mächtigen Säulen getragen wurde. Frei von jeglichem kirchlichen Pomp, doch gleichzeitig majestätisch und furchteinflößend, enthielt sie als einzigen Fixpunkt einen Thron, auf dem eine Elbin saß. Vor ihr schwebten frei im Raum Diagramme und Bilder. Mit leichten Bewegungen aus dem Handgelenk der Elbin wechselten die Bilder und zeigten andere Diagramme.
Paula Sylvestra II war unzweifelhaft eine Elbin. Ein geübtes Auge hätte sie sogar als Hochelbin identifizieren können. Dass es sich um Turondurs Schwester handelte, war äußerlich kaum zu erkennen. Ihr Haar war zwar blond, aber von einer dunkleren Prägung, ihr Gesicht zierten aristokratische Züge bis hin zur blasierten Gestik, die obendrein Züge von Herablassung enthielt.
»Paula Sylvestra wie sie leibt und lebt! Sie hat sich kein wenig verändert.«
»So schwer es mir fällt, es zuzugeben: Ja, das ist meine Schwester!«, unterstrich Turondur Toldins Feststellung, wobei er einen gepesteten Gesichtsausdruck zeigte, »Paula, wärst du mal so nett, dich von deinen bestimmt wichtigen Geschäften loszureißen?«
Mit einer einzigen theatralischen Geste wischte die Päpstin der unifizierten Technokratie sämtliche Diagramme hinfort und lehnte sich mit demonstrativer Gönnerhaftigkeit in ihren Thron zurück: »Turondur, was verschafft mir das Missvergnügen deines Besuchs?«
»Oh, ich freu mich auch, dich zu sehen!«, entgegnete Turondur, »Und schalt dein Einschüchterungsprogramm ab. Ich kann sehen, dass die Halle eine Illusion ist! Ich glaube, wir haben etwas besseres zu tun.«
Paula Sylvestra schnaubte verächtlich, schnippte mit ihren langen, schmalen, fast knochigen Finger und die Halle verschwand. Stattdessen standen Turondur, Toldin und die Päpstin am Klippenrand eines Bergplateaus und überblickten ein spektakuläres Panorama. Natürlich war dies ebenfalls eine Illusion, aber weniger technokratisch.
»Was willst du?«, fragte Paula genervt.
»Er will zurück in unsere Welt!«, begann Turondur.
»Und?«, fragte Turondurs Schwester gelangweilt mit hohen Dosen von Herablassung in ihrer Stimme.
»Was und?«, knurrte Turondur, »Das betrifft auch dich, Feressea! Sollte das namenlose Böse einen Weg zurück in unsere Welt finden, wird er kaum vor deiner Kirche halt machen.«
»Glaubst du ernsthaft, du erzählst mir etwas Neues?«, Paula Sylvestra schaute ihren Bruder wütend an. Dass Turondur ihren elbischen Namen »Feressea«, einsame Seele, verwendete, ignorierte sie ostentativ. »Natürlich weiß ich, dass er seine Schergen von der Leine gelassen hat. Ich kann dir versichern, Ich habe alles unter Kontrolle. Das Problem wurde eliminiert!«
»Boldin?«, Turondur lachte verbittert auf, »Glaubst du ernsthaft mit Boldins Tod hat die Sache ein Ende? Ich weiß, dass du es warst, die Olson den Auftrag gegeben hat. Aber jetzt sieht es ja so aus, als wenn ein Killerteam Rochsinasuls das Problem vor Olson gelöst hätte, nicht wahr?«
»Was willst du damit andeuten?«, Turondurs Schwester versuchte es zu verbergen, doch sie war nervös.
»Zacharias von Rochsinasul IV, königlicher Hafenmeister des Königs von Goldor II zu Rochsir steht auf Boldins Lohnliste!«, rief Turondur wütend, »Dein Versuch einen Killer auf Boldin anzusetzen, hat den fetten Sack von einem Zwerg untertauchen lassen! Glaubst du wirklich Boldin ist tot? Ich nicht! Wie du sicherlich weißt, komme ich gerade aus Crossar. Weißt du aber auch, was sich unser perverse Zwerg Neues ausgedacht hat? Eine Klonwaffe! Ich verwette meinen Drachen darauf, dass der Typ noch munter unter den Lebenden weilt und sich über unsere Dummheit tot lacht!«
»Was schlägst du vor?«
»Sag mir was du über Boldins Projekte weißt! Deine Pfaffen hocken an allen Schlüsselstellen der Höfe und Regierungen. Wurden noch mehr Beschwörungsglyphen gefunden? Was plant Boldin?«
»Wieso sollte ich Dir etwas erzählen? Meinst du, deine jämmerliche Echsenarmee kann etwas gegen Boldins Waffen ausrichten?«
»Vielleicht nicht, aber immerhin tun wir etwas mehr, als uns hinter einem geheimen Thron zu verstecken. Erogal mobilisiert die Gilde…«
»Die Gilde!«, höhnte Paula Sylvestra, »Diese Möchtegern-Weltverbesserer sind deine Alliierten? Du bist tiefer gesunken, als ich für möglich gehalten hätte. Deine ahnungslosen Zauberlehrlinge können doch noch nicht einmal ihren eigenen Laden von Verrätern sauber halten!«
»Es sind gute Menschen mit einem guten Ziel. Ich weiß nicht, warum du sie als Zauberlehrlinge abtust. Die Macht der Magie zu nutzen, ist die einzige Chance, die wir haben! Er ist Magie! Die böseste, schwärzeste und zerstörerischste, die es gibt. Er ist der Tod, wenn nicht sogar etwas schlimmeres!«, Turondur hatte die Bemerkung über Verräter in den Reihen der Gilde wohl gehört, ging aber nicht darauf ein.
»Menschen!«, fauchte Paula angewidert.
»Was hast du gegen die Menschen? Sie haben eine Kraft, die uns fehlt. Ihre Sterblichkeit bringt sie dazu, etwas für die Nachwelt schaffen zu wollen. Sie wissen, dass ihre Zeit in dieser Welt begrenzt ist. Dies ist ihr Antrieb, sie wollen, dass etwas von ihnen überdauert. Sie können etwas bewegen!«
»Menschen sind schwach! Ihre Sterblichkeit läßt sie vor Angst zittern! Menschen sind wie Kinder, die geführt werden müssen!«
»Das ist es also, was du tust? Die Kirche, die Kurie, deine Priester, Bischöfe und Kardinäle? Die Menschen versklaven, ihr deinen Willen aufzwingen?«
»Nicht versklaven, beschützen! Ich behüte sie vor sich selbst! Die Menschen brauchen Kontrolle. Du siehst doch, was sie anrichten können. Kriege, Mord und Gewalt!«
»Feressea, du bist wahnsinnig!«, flüsterte Turondur entsetzt, »Was hat dich so verändert! Ich kenne meine Schwester nicht wieder!«
»Was mich verändert hat?«, keifte Turondurs Schwester plötzlich, »Mir hätte der Thron unseres Volkes zugestanden! Mir ganz allein! Aber unser Vater hat immer nur dich mir vorgezogen. Dabei wäre es mein Geburtsrecht gewesen, unser Volk zu neuem Ruhm zu führen. Wer nicht, wenn nicht die Elben, sollten die Menschen leiten. Dafür sind wir da. Das ist der göttliche Plan, dem du abgeschworen hast. Drachenreiter! Pah!«
»Das ist es? Deine verletzten Gefühle? Unser Volk kennt keinen Erbthron. Das solltest du wissen. Unser Vater hat mich erwählt, obwohl ich mich weder für würdig noch stark genug dazu fühle. Aber es ist eine Bürde, die ich tragen werde, wenn die Zeit kommt und Mutter diese Welt verläßt.«
»Er hätte mich wählen müssen!«, brüllte Turondurs Schwester aus vollem Hals, »Mir und nur mir hätte der Thron zugestanden.« Paula wurde ruhig, fast gleichgültig: »Aber was soll’s. Ich brauche die Elben nicht mehr. Ich habe mir mein eigenes Reich geschaffen. Und in dem hast du keinen Platz!«
»Willst du mich umbringen? Hast du mich deswegen empfangen? Damit ich mich dir schutzlos ausliefere?«, fragte Turondur angriffslustig. Er riss sich sogar das Hemd auf und hielt ihr seine Brust entgegen, »Bitte, ich mach es dir einfach! Streck mich nieder! Aber das wird nichts, rein gar nichts ändern! Das namenlose Böse wird sich freuen, wenn wir uns gegenseitig schwächen. Tu es! Los, bring mich um und unterschreibe dein eigenes Todesurteil! Von deinem tollen Reich wird nichts als Asche übrig bleiben!«
»Ich will dich nicht töten«, entgegnete Paula plötzlich müde, und wirkte dabei erschöpft und für eine Elbin seltsam alt und grau.
»Feressea?«
Turondur sprang entsetzt auf seine Schwester zu. War er bisher der Meinung, seine Schwester wäre einfach nur größenwahnsinnig geworden, beschlich Turondur inzwischen ein ungutes Gefühl, dass die Sache viel komplexer und tiefer ging, als es den Anschein hatte.
»Komm mir nicht zu nahe!«, schrie plötzlich Feressea und wich zurück. In ihren Augen flackerte Sorge, Traurigkeit und, so seltsam es war, Bruderliebe auf.
»Was?«, stutze Turondur und hielt inne.
»Siehst du es nicht? Sie trägt das Mal! Feressea ist verflucht!«
»Schwester! Was hast du getan?«, rief Turondur flehend, als ihm die Aura der Verfluchten gewahr wurde. Feressea hatte schwarze, böse Magie beschworen und sich damit selbst als Elbin verdammt.
»Es gab keinen anderen Weg! Ich musste es tun! Du ahnst nicht, welch gewaltiger Macht wir entgegentreten. Ich musste versuchen, der anderen Seite wenigsten etwas in die Karten zu schauen. Turondur, Bruder, Er ist wirklich erwacht! Und er ist stark, sehr stark! Er will in unsere Welt und er hat Verbündete, die ihm willfährig den Weg bereiten!«
Feressea war eine völlig andere Person als Paula-Sylvestra II. Mit unbeschreiblicher Willenskraft, zu der nur ein Hochelb fähig war, kämpfte sie gegen den bösartigen Teil ihres Wesens an, den Teil, der durch ihren Fluch erschaffen wurde.
»Das Drachenblut!«, rief Feressea, ihr Gesicht war schmerzverzerrt, »Ich weiß, ihr habt Drachenblut bei Boldin gefunden. Ich habe erfahren, was er damit vor hat. Er züchtet eine Armee von Orkkriegern deren Zuchtessenz mit Drachenblut versetzt wurde. Sie sind stärker, fast unverwundbar und werden nie müde. Doch das wichtigste ist, deine Drachen können sie nicht töten, es wäre so, als wenn sie einen der ihrigen töten müssten!«
Toldin schrie entsetzt auf, Turondur wich ebenso entsetzt zurück. Das war es also, weswegen Boldin Drachenblut brauchte. Er schuf eine Armee der Finsternis, eine Armee, die erbarmungsloser, grausamer und tödlicher war, als alle Vorhergehenden. Eine Armee des Todes, die selbst kaum verwundbar war.
»Schnell! Kehrt nach Crossar zurück!«, flehte Feressea ihren Bruder an, »Meine Kräft schwinden…«
Ohne Verzögerung traten Toldin und Turondur den Rückweg an. Das Portal öffnete sich, die Welt wurde unscharf und verschwamm vor ihren Augen, sie hörten ein »Plöpp!« und waren zurück in Crossar. Verstört, traurig und angeschlagen verließen Reiter und Drache die Kirche. Kardinal Rudolfo trat auf sie zu und reichte ihnen einen Datenkristall: »Die Päpstin hat mich beauftragt ihnen dies, sollten sie lebend zurückkehren, zu geben. Es stammt von einer Person, die Ihnen sehr viel bedeutet - Feressea«
Präsident
»Liebe ist Schmerz! Schmerz ist Liebe!«
Mantra der Uruks
»Ach, der Herr Präsident!«, begrüsste Roderick Uskav, als dieser Thonfilas und Rodericks Drachenhöle betrat.
Uskav knurrte gespielt übellaunig. Seid Tagen zogen ihn Thonfilas und Roderick mit seinem neuen Titel auf. So auch heute. Er war gerade von einer jener nicht enden wollenden Sitzungen des Rates zurückgekehrt, in der er sich mehrfach gewünscht hatte weniger mit Worten als mit dem blanken Stahl einer Klinge kämpfen zu dürfen. Verdammt, er war ein Krieger und kein Politiker! Das Dumme war nur, dass er seine Aufgabe als Politiker gut machte. Er konnte überzeugen. Der Rat hörte ihm zu. Hunderte von Jahren alte und weise Drachen hörten ihm, einem Uruk, einem Monster, das gezüchtet wurde, um Mord und Verderben zu bringen, zu. Sie stellten Fragen und ließen sich am Ende auf seine Vorschläge ein und Uskav umgekehrt auf ihre.
»Bin ich wirklich noch dieses Monster?«, fragte sich Uskav manchmal, »Ist es wirklich die Bestimmung der Uruks zu töten?«
Uskav war sich dessen nicht mehr sicher. Andernfalls hätten die Bürger Daelbars weniger freundlich auf ihn reagiert. Die normale Reaktion auf einen Ork oder sogar einem Uruk bestand in Panik gefolgt von Flucht. Doch niemand in Daelbar fürchtete Uskav. Ganz im Gegenteil war der Uruk sogar zum Idol der Jugend geworden, woran Auftreten und Aufmachung nicht ganz unschuldig waren. Uskavs an sich nackter Oberkörper zierte ein knappes, figurbetonendes, locker lässig herabhängendes Kettenhemd aus glänzendem, polierten Edelstahl, welches seine muskelbepackten, dunkel-schwarzen Oberarme obszön betonten und in Szene setzten. Und, um bei obszöner Betonung zu bleiben: seine Beinkleider waren nicht weniger provokant. Neben einem schweren Schwertgehänge trug Uskav eine schwarze, lederne Hose, deren Schnitt keinen Interpretationsspielraum über das Geschlecht des Uruks zuließ. Abgeschlossen wurde das Ganze mit einem Paar stahlbeplankten Kampfstiefeln. Die breiten engen Lederarmbänder an seinen Handgelenken fielen dabei kaum noch auf.
»Ihr beliebt mit eurem Leben zu spielen!«, entgegnete Uskav Rodericks Begrüßung, zog in der Zeit eines Wimpernschlags sein Schwert, holte aus und ließ die Klinge niedersausen. Die rasiermesserscharfe Schneide kam unmittelbar vor Rodericks Hals singend zum stehen. Roderick fühlte den kalten Hauch des Metalls, als die Klinge die Härchen seiner Haut berührte.
Uskav grinste provozierend und entfernte die Klinge von Rodericks Hals. Der Neovikinger atmete erleichtert auf. Aber nicht lange, denn Uskav war mit seinem Schwert noch nicht fertig. Während er es weiter mit seiner Schwerthand hielt, packte Uskavs andere Hand die Klinge, griff fest zu und ließ den Stahl sein Fleisch einritzen. Schwarzes Orkblut rann langsam das kalte Metall entlang. Uskav lächelte, wischte sein Schwert mit einem Tuch sauber und verstaute es in seiner Scheide. Roderick klappte der Unterkiefer runter.
»Das Gesetz des Kriegers«, meinte Uskav beiläufig, »Wenn ich mein Schwert ziehe, muss Blut fließen.«
»Und ich dachte immer, Neovikinger wären harte Kerle? Nimm dir mal ein Beispiel an unserem Uruk«, machte sich Thonfilas bemerkbar und zog damit seinen Freund auf, »Kinder, kommt essen.«
Uskav ließ sich nicht zweimal bitten und ging zum Tisch, den Thonfilas liebevoll gedeckt hatte. Roderick stand noch eine Weile verwirrt und desorientiert mitten im Raum, bis er sich mit einem Kopfschütteln aus seiner Starre löste und sich ebenfalls an den Esstisch setzte.
Nach ein paar Bissen, während Rodericks Stirn massive Denkfalten warf, hielt der Neovikinger inne: »Moment mal! Dir war klar, dass du dich für den Witz in deine Hand schneiden würdest?«
»Yepp!«, machte Uskav und stopfte sich einen Klumpen rohen Fleisches ins Urukmaul.
»Du bist verrückt!«, zog Roderick sein Fazit.
»Nein, bin ich nicht. Pass auf!«, meinte Uskav, packte das extrem scharfe Filetiermesser, mit dem er sein Fleisch zerteilte und rammte es sich in seine linke Handfläche. Das Messer ging glatt durch, doch Uskav verzog keine Miene. Ganz im Gegenteil hielt er seine durchbohrte Hand in die Höhe und drehte sie hin und her, damit Roderick und Thonfilas sie auch in ihrer ganzen Pracht bewundern konnten.
»Das, meine Freunde,…«, begann Uskav zu erklären, wobei er langsam und offenbar auch genüßlich das Messer aus seiner Hand zog, »ist Orkbiologie. Seht, die Wunde blutet kaum und schließt sich bereits wieder, morgen wird man nichts mehr davon sehen können. Außerdem empfinden wir Schmerz etwas anders als ihr. Ich verrate euch ein Geheimnis. Was meint ihr, warum Orks und insbesondere Uruks im Kampf nie aufgeben und selbst dann noch weiterkämpfen, wenn man ihnen ganze Körperteile abschlägt? Man hat unser Schmerzempfinden mit unserem Lustzentrum verbunden. Schmerz macht uns geil!«
Thonfilas und Rodericks Blicke wanderten unwillkürlich in Richtung Uskavs Schritt.
»In der Tat!«, bemerkte Thonfilas süffisant.
Thonfilas, Roderick und Uskav - ungleicher als diese drei, konnten Freunde nicht sein. Dabei waren sie sogar mehr als Freunde, sie waren Liebhaber. Es begann damit, dass Uskav recht unerwartet zum Drachenreiter wurde. Mit Narsul, einer feuerroten Drachendame, ging eine Veränderung in Uskav einher. Das erste mal in seinem Leben fühlte der Uruk eine Verantwortung, die er freiwillig auf sich genommen hatte. Narsul war geschlüpft, zu Uskav gehüpft und hatte ihn gefragt: »Willst du ein Drachenreiter werden?« Bis heute war Uskav nicht klar, warum er »Ja« gesagt hatte, doch bereute er seine Entscheidung keine Sekunde.
Narsul brachte einen Wendepunkt. Uskav fühlte, dass er nicht nur mit den Drachen verbunden war, sondern mit der ganzen Stadt und all ihren Einwohnern. Daelbar war zu seiner Heimat geworden, die ihm ein völlig anderes Leben schenkte, als er es sich jemals vorstellen oder erträumen konnte. Glück! - Ein Gefühl, das Uruks so gut wie unbekannt war. Uskav fühlte sich glücklich. In diesem Zustand traf Uskav eine Entscheidung. Daelbar hatte ihm so viel geschenkt, dass es Zeit wurde, etwas davon zurückzugeben. Um so passender kam die Bitte Turondurs, ob er, Uskav, nicht Senator für Verteidigung werden wolle. Schließlich besäße er als General die besten Voraussetzungen dafür.
Uskav wurde Senator, was ihn mit Roderick zusammen brachte. Der Neovikinger war einer der erfahrensten Krieger Daelbars und Mitglied des Verteidigungsrats. Roderick wurde Uskavs Berater und Mitarbeiter. Die Arbeit lief fantastisch. In wenigen Tagen verschmolzen Uskav und Roderick zu einem perfekten Team. Uruk und Neovikinger ergänzten sich, wie es besser nicht ging. Was Roderick an Militärstrategie fehlte, wurde von Uskav ausgefüllt. Während der Uruk dankbar Rodericks Wissen zu Guerillatechniken und Drachenkampffliegen aufsog. Die beiden vertrauten sich. Erst beruflich, später auch privat. Es dauerte nicht lange, da wurde aus Vertrauen Freundschaft.
Etwas irritierte Uskav. Er mochte Roderick als Freund, doch da war mehr. Er fühlte sich von dem Neovikinger angezogen, sexuell angezogen. Es benötigte die Willenskraft des ganzen Uruk nicht einfach über seinen neuen Freund herzufallen. Eigentlich war es sogar noch schlimmer. Neben der Erregung, die Uskav in Rodericks Nähe verspürte, fühlte er sich auch immer stärker emotional zu dem Neovikinger hingezogen. Das war etwas, was der Uruk nicht einordnen konnte. Doch mit der Irritation war Uskav nicht allein. Roderick erging es ähnlich. Widerte ihn Uskav bei ihrer ersten Begegnung noch an, entwickelte er langsam eine regelrechte Leidenschaft für den Uruk. Uskav war der Inbegriff von Potenz.
Beide Freunde hätten ihre geheimen Gefühle auf immer voreinander verborgen, wären da nicht Narsul, Mithval, Thonfilas und Lindor gewesen. Narsul pflegte eine enge Freundschaft mit Mithval, Mithval wiederum besaß eine besondere Verbindung zu Lindor. Diese Verbindung war entstanden, als Gilfea Lindor von der Verwundung mit einer Jagdlanze geheilt hatte. Etwas von Gilfea und damit auch von Mithval, war bei Lindor geblieben. Über Mithval lernte Narsul Lindor kennen und freundete sich mit ihm an. Uskav war glücklich, dass Narsul jemanden gefunden hatte, der sich um sie kümmerte. Denn die meiste Zeit verbrachte er im Senat.
Und so entstand eine tägliche Routine. Am Morgen brachte Uskav Narsul zu Lindor, holte Roderick, der die meisten Nächte bei seinem Lebenspartner und Liebhaber, Thonfilas, verbracht, ab und flog mit ihm zusammen auf Caransil, Rodericks Drachen, zum Senat. Abends wiederholte sich das Procedere in umgekehrter Richtung. Zu dieser Zeit wohnten Uskav und Narsul noch in einer kleinen Drachenhöhle, die eher eine Gästeunterkunft war, als ein vollwertiges Heim. Sein enger Terminplan hatte ihm bisher keine Zeit gegeben, sich nach einer eigenen Höhle umzusehen.
Eines Abends, Roderick und Uskav kamen gerade vom Senat angeflogen, lud Thonfilas Uskav ein, bei ihnen zu Abend zu essen. Im ersten Moment zögerte Uskav etwas. Roderick hatte ihm erzählt, dass sein Freund und Liebhaber Vegetarier sei. Doch dann fiel ihm ein, dass der Neovikinger sich alles andere als vegetarisch ernährte und einem guten Stück Fleisch gegenüber überhaupt nicht abgeneigt war. Uskav sagte zu, zum Essen zu bleiben. Thonfilas grinste und meinte, er würde sich freuen.
Zu Uskavs Freude entpuppte sich der Elb als begnadeter Koch, obwohl Uskavs Speisen alles andere als gekocht waren. Er war ein Uruk, der frisches, rohes und vor allem blutiges Fleisch liebte. Und genau dafür hatte Thonfilas gesorgt, wenn auch auf elbische Art. Das Fleisch war nicht nur roh, es war sogar gewürzt, wie es Uskav noch nie erlebt hatte. Es lief scharf seine Kehle herunter und brannte in seiner Speiseröhre. Uskav war im Himmel.
Die Speisen waren verzehrt, Elb, Uruk und Neovikinger saßen zufrieden und gesättigt auf ihren Stühlen, als Thonfilas das Wort ergriff:
»Ich habe mir die Tage zusammen mit Narsul und Lindor etwas überlegt. Wir hätten einen Vorschlag zu machen.«
Der Vorschlag hatte es in sich. Thonfilas schlug nichts geringeres vor, als das Uskav, Narsul, Roderick und Caransil, doch bei ihnen einziehen könne. Seine Drachenhöhle wäre groß genug, die Gästehöhle Uskavs eigentlich viel zu klein, Narsul sowieso immer bei Lindor, Roderick kaum bei sich zu Hause und Uskav könne sich die tägliche Anfahrt sparen.
Unter vielen »Ähms« und »Öhs« und »Abers« begannen sich Uskav und Roderick zu winden, als wenn die eben noch bequemen elbischen Sitzmöbel plötzlich Dornen in den Sitzflächen bekommen hätten. Thonfilas hingegen, ließ sich nicht beirren, und argumentierte weiter, wie vorteilhaft seine Idee doch sei.
Roderick wurde es heiß und auch Uskav schien eine Schattierung dunkler zu werden. Miteinander arbeiten, war eine Sache, doch miteinander wohnen? Uskav zweifelte, ob er sich unter solchen Bedingungen auf Dauer beherrschen konnte. Schlimmer noch, dieser Elb, Thonfilas, war auch nicht von schlechten Eltern. Uskav hatte eine Schwäche für Elben, die nur durch seine frühere magische Versklavung seines Geistes unterdrückt oder genauer in andere Bahnen gelenkt worden war. Zu Zeiten des alten Uskavs, hätte er Thonfilas liebend gerne erschlagen und mit Wonne verzehrt. Elbenfleisch ist köstlich. Doch inzwischen hatte sich Uskavs Verlangen dahin gewandelt, dass er Thonfilas nur noch vernaschen wollte, was dieser hundertprozentig überlebt hätte.
Aber da war mehr als reines körperliches Verlangen.
»Ist etwas? Ihr zwei wirkt so unruhig. Uskav, was hältst du von meinem Vorschlag?«
Thonfilas ließ nicht locker und schaffte es, dass sich Uskav begann, wie ein Aal zu winden.
»Roddy, was sagst du?«, sprang Thonfilas zu Roderick.
»Roddy?«, Uskav zog amüsiert seine Augenbrauen hoch.
»Frag nicht!«, knurrte Roderick, der diesen Spitznamen hasste, weil er ganz genau wusste, dass Thonfilas ihn an den Eiern hatte (wie er es formulierte), wenn er diesen Namen verwendete.
»Jungs«, begann Thonfilas genüsslich, »Ihr seid albern. Seit Wochen schleicht ihr zwei umeinander, wie die Katze um den heißen Brei. Oder…«, Thonfilas fing an albern zu kichern, »Natürlich! Ihr zwei… Nee! Das ist…«
Der Rest ging in einem Lachanfall des drachenreitenden Elben unter. Zwei Augenpaare glotzen einen gackernden, albern quietschenden, kichernden Elben an, der sich offensichtlich auf ihre Kosten köstlich amüsierte.
»Hat dein Freund sowas öfter?«, fragte Uskav trocken.
»Eigentlich nicht. Nur alle hundert Jahre.«
»Wartet!«, kicherte Thonfilas, bevor ihn der nächste Lachkrampf durchschüttelte. Uskav und Roderick warteten - lange. Immer, wenn sie dachten, dass Thonfilas sich beruhigt hatte, reichte eine Bewegung oder Geste, um einen weiteren Anfall auszulösen. Der eher zarte Köper der Elben täuschte. Ihre Gattung verfügt über erstaunlich Kondition und Kraftreserven. Es dauerte eine geschlagene halbe Stunde, bis sich Thonfilas halbwegs beruhigt hatte. In der Zwischenzeit war der Funke auf Roderick und Uskav übergesprungen. Die beiden Arbeitskollegen wusste zwar nicht warum, aber sie lachten mit.
»Ihr habe es wirklich nicht bemerkt, oder?«, fragte Thonfilas, nachdem er sich endlich eingefangen hatte.
»Was bemerkt?«, fragten Uskav und Roderick synchron.
»Ich beobachte euch jetzt schon seit Wochen. Eigentlich seit ihr zwei euch angefreundet habt.«
»Und?«
»Roderick, mein liebster Roderick, hast du nie bemerkt, wie Uskav dich anschaut? Und du Uskav, deine Augen filetieren meinen Schatz ja regelrecht. Ich habe noch nie zwei so harte Kerle mit so langen Leitungen erlebt. Eure Verliebtheit und Lust auf- und ineinander kann man mit Händen greifen!«
»Öhm…«, räusperte sich Roderick, um mit einem »Hmpf!« seitens Uskavs angereichert zu werden.
»Ist das wahr?«, begann Uskav vorsichtig, für den Gefühls- und Liebesdinge einen unbekannten Kontinent darstellten, »Empfindest du mehr für mich, als nur Freundschaft?«
Roderick nickte schüchtern.
»Aber ich bin ein Ork, ein Uruk!«, versuchte Uskav die Sache zu begreifen, »Mich liebt man nicht, mich fürchtet man. Mich…«
»Nein!«, unterbrach Roderick, »Ich fürchte dich nicht! Nicht mehr. In der Nacht, als wir dich und Gildofal fanden, habe ich dich gefürchtet und gehasst, wie ich alle Orks fürchtete und hasste. Ich hätte dich am liebsten mit Wonne erschlagen. Doch du wurdest unser Gefangener. Später habe ich dich als Gast Daelbars toleriert. Aus der Toleranz wurde langsam Respekt. Aus diesem Respekt erwuchs Freundschaft und aus dieser Freundschaft… Ja, Thonfilas hat recht, es entstand Liebe. In deiner Nähe habe ich Gefühle, die ich sonst nur Thonfilas gegenüber empfinde. Ich will dir nah sein, wie ich Thonfilas nah bin.«
Uskav sagte nichts. Es ist besser, wenn man nichts sagt, sollte die Welt die man kennt, um einen herum ins Wanken geraten. Er hatte es noch nie jemandem erzählt, auch Gildofal nicht, der für Uskav etwas besonderes war. In der Einöde von Erudor, als die nördlichen Eiswinde Gildofal und ihm das Leben entzogen und das Ende nah war, hatte Uskav mit sich Frieden geschlossen. Er war bereit gewesen, zu sterben. Doch wundersamerweise, wurden sie gerettet. Mehr noch, Uskav wurde ein völlig neues Leben geschenkt. Gilfea, der gute selbstlose Gilfea, befreite ihn von seiner dunklen Versklavung, Narsul erwählte ihn zu seiner Seele, Turondur berief ihn in den Senat, er gewann Freunde. Uskav war glücklich, wahrscheinlich glücklicher, als je ein Uruk zuvor. Doch damit nicht genug! Ihm, der Mord- und Kampfmaschine Uskav, gestand ein freies, menschliches Wesen seine Liebe. Wäre er biologisch dazu in der Lage gewesen, Uskav hätte geweint.
Was voreilig gewesen wäre. Denn nach Rodericks Geständnis, konnte Thonfilas unmöglich zurückstecken. In einzigartiger elbischer Schlichtheit, verkündete Thonfilas: »Mir geht es wie Roderick. Uskav, ich glaube, wir haben uns in dich verliebt.«
Das war also Liebe! Uskav kratzte sich verwirrt am Kopf, was im allgemeinen keine sonderlich erotische Handlung darstellte. Doch blieb es nicht beim Kratzen. Uskav zog seinen Mund schief und grinste verschmitzt.
»Ich kann das nicht so gut in Worte fassen wir ihr«, begann er ungelenk, »Erwähnte ich schon, dass ich ein Uruk bin? Ich bin mehr für den Kampf und das Schlachtfeld konstruiert. Aber die Liebe scheint mir ebenfalls ein Schlachtfeld zu sein. Wenn es Liebe ist, was ich fühle, dann macht sie mich schwach und zugleich stark. Ich liege Nachts wach in meiner Drachenhöhle und kann nur an euch beide denken, denn in eurer Nähe fühle ich mich stark und glücklich. Im Kampf habe ich einiges an Verletzungen davon getragen, Verletzungen, die für einen Menschen tödlich wären. Doch keine Wunde ging so tief, wie dieses Gefühl, das ich für euch empfinde. Wenn das Liebe ist, ja, dann bin ich, Uskav, der Uruk, verliebt.«
»Und da soll noch mal jemand sagen, Uruks könnten sich nicht ausdrücken!«
An jenem denkwürdigen Abendessen kehrte Uskav nicht mehr in seine Drachenhöhle zurück. Bezog aber auch nicht das freie Zimmer in Thonfilas Höhle. Und auch Roderick gab seine Höhle auf.
Nachdem man sich seine gegenseitige Liebe gestanden hatte, schwebte das Thema Liebesleben wie eine Drohung im Raum. Interessanterweise war es der Elb Thonfilas, der das Eis brach.
»Ich wollte schon immer mal einen Uruk küssen!«, verkündete Thonfilas und näherte sich Uskav, »Du gestattest?«
Uskav gestattete nicht nur, er zog Thonfilas auch zu sich heran, kaum dass er in den Fangbereich seiner Arme kam. Das Erlebnis war überwältigend … für beide. Uskav hatte noch nie etwas so zärtliches wie diesen Elben erlebt. Sein Kuss benebelte die Sinne und raubte einem den Verstand. Uskav wollte in Thonfilas Sinnlichkeit am liebsten versinken.
Für den Elben hingegen war es ein Feuerwerk der herberen Art. Uskavs Kuss war heiß und brannte wie Chilli, war aber auch aromatisch, wie starker Kaffee. Uskavs Zunge drang tief in Thonfilas Mund ein, tastete sich sogar bis an in Rachen vor. Thonfilas wurde extrem erregt und musste erstmal Luftholen, nachdem sich beide wieder getrennt hatten. Was er nicht wusste, Uksavs Zunge war eigentlich eine Waffe mit der die Uruks den Kuss des Todes ausübten. Dabei handelte es sich um eine Technik zur Demoralisierung. Bei einem Überfall von Orks oder Urkus wurden nicht alle Gegner sofort getötet, manche wurden erst vergewaltigt und dann zu Tode geküsst. Während der Uruk sein Opfer fest in seinen Armen hielt und küsste, drang seine Zunge in dessen Hals ein und unterband die Atmung. Das Opfer erstickte in den Armen seines Mörders.
Überrascht stellte Uskav fest, dass er Verachtung für denjenigen empfand, der sich diese widerwärtige Art jemanden zu töten ausgedacht und den Uruks angezüchtet hatte. Andererseits befriedigte es ihn zu sehen, dass er seine Zunge auch zur Luststeigerung seines Freundes nutzen konnte und damit eine Waffe in etwas Gutes umwandeln konnte.
In der entstehenden Pause, während Thonfilas Luft holte, entledigte sich Uskav seines Kettenhemdes und spannte dabei demonstrativ seine Nacken- und Schultermuskulatur. Das brachte Roderick auf den Plan, der sich blitzschnell seines Hemdes entledigte. Uskavs Brust, glatt, schwarz und muskulös, hatte es dem Neovikinger angetan. Auch er näherte sich Uskav, doch stand dieser auf und lächelte den kleineren Neovikinger lüstern an: »Sag’ mir Roderick, sag’ mir wonach du verlangst?«
Roderick konnte nicht an sich halten. Mit beiden Händen packte er Uskavs Brust, fühlte sie, streichelte sie, massierte sie, schmiegte sein Gesicht an die heiße Haut des Uruks und sog ihren würzigen Duft mit seiner Nase ein. Langsam wanderten seine Hände tiefer, packten den Bauch und die Hüften des Uruks. Der ließ es eine Weile geschehen, dann umarmte er Roderick, der wiederum den Uruk umarmte. Beide Freunde tauschten intensive tiefe Küsse aus, wobei sie sich immer enger und fester aneinander pressten und ihre jeweilige Erregung spürten.
»Uskav«, flüsterte Roderick, »Ich will dich in mir!«
»Bist du sicher?«, flüsterte Uskav, »Es wird sehr intensiv sein.«
»Ja! Ich will!«
»Und ich möchte deine Sinnlichkeit kosten!«, bat Uskav Thonfilas mit einem verträumten Blick. Der Elb strahlte freudig zurück.
Uskav knüpfte sein Schwertgehänge hab und zog seine Stiefel aus. Doch bevor er seine Hose öffnen konnte, war Roderick bei ihm: »Davon habe ich geträumt!«
Roderick übernahm das Aufknüpfen von Uskavs Lederhose. Das weiche Material verströmte einen betäubenden Geruch. Als der Neovikinger den letzten Knopf gelöst hatte und die Beinkleider nach unten sanken, sprang ihm Uskavs körperliche Stärke entgegen. Uskav stand nackt und lächelnd vor ihnen: »Ist es das, was ihr euch vorgestellt habt?«
»Nein, es ist besser!«, gestand Roderick.
Uskav näherte sich Roderick, griff ihm an die Schulter und drehte ihn um. Der Uruk begann sich an den Rücken des Neovikingers zu schmiegen, während er ihn von hinten umarmte: »Ich will dich, euch beide. Fühlst du, wie sehr ich dich will?«
Roderick fühlte es. Deutlich und fordernd bahnte sich Uskavs Schwanz seinen Weg zwischen Rodericks Pobacken.
Thonfilas sah gespannt zu, er genoss den Anblick, wenn er auch ein wenig Angst um seinen alten Freund hatte: »Du wirst eine Woche kaum richtig gehen können!«
»Das ist mir egal!«, rief Roderick vor Lust, »Ich will Uskav in mir, jetzt!«
Und dann taten sie es. Uskav übernahm die Kontrolle. Er packte Roderick mit seinen Pranken und hob ihn hoch, als sei der Neovikinger eine Feder. Der Griff des Uruks war gleichzeitig kraftvoll, aber auch zärtlich. Uskav drehte seinen Freund herum, dass sie sich wieder ansehen konnten.
»Schlag deine Beine um mich, ich werde dich halten.«
Roderick tat, um was ihn Uskav bat. Beide Freunde schauten sich in die Augen und sahen die Liebe, aber auch die Lust und Geilheit, die sie für einander empfanden. Uskav trug Roderick. Seine Pranken hielten ihn sicher.
»Bist du bereit?«, flüsterte Uskav.
»Ja!«, flüsterte Roderick.
Uskav ließ Roderick langsam auf sein Glied herabsinken, welches sich zielsicher seinen Weg zu Rodericks rückwärtiger Körperöffnung suchte. Alles an Uskav war groß, wie Roderick im ersten Moment schmerzhaft bewusst wurde. Erstaunlicherweise verging der Schmerz relativ schnell, was an einer weiteren kampfbiolgischen Besonderheit des Uruks lag. Uruks waren in der Lage eine lustfördernde, weitende, entspannende und schmerzlindernde Substanz ihren Vorlusttropfen beizumischen. Auch dies war eigentlich zur Demoralisierung von Gegnern entworfen worden, wenn die Uruks deren Frauen nahmen. Ihre Männer sollten zusehen, wie ihre Frauen vor Lust stöhnten. Uskav freute sich, dass er diese bösartige Erfindung dazu nutzen konnte, seine Freunde zu befriedigen. Zu gerne hätte er das Gesicht seines Schöpfers gesehen, wenn dieser erfuhr, dass seine sorgsam gezüchtete Mordmaschine zur liebenden Lustmaschine konvertierte.
Nach anfänglich kurzem Schmerz begann Roderick zu genießen, als Uskav begann Zentimeter für Zentimeter in ihn einzudringen und ihn auszufüllen. Völlig entspannt empfing er Uskav, bis er sich ganz mit ihm vereinigt fühlte.
»Lasst uns ins Schlafzimmer gehen!«, bat Thonfilas, während er neben Uskav und Roderick stand und mit ihnen wechselweise Küsse austauschte. Sicher und liebevoll gehalten von Uskavs Pranken und Schwanz wurde Roderick ins Schlafzimmer getragen. Dort angekommen legte er sich auf ein Bett, wie er es nicht kannte. Elbisch in seiner Art, war es weder hart noch weich, eher überhaupt nicht wie ein Bett. Es fühlte sich mehr an, als legte man sich auf eine Wiese an einem schönen Sommertag.
»Dies ist das erste Mal, dass ich einem Menschen aus Liebe so nahe gekommen bin, wir dir jetzt«, flüsterte Uskav, während er Rodericks Gesicht streichelte, »Möchtest du das Tempo bestimmen?«
Roderick nickte und begann sich auf Uskav auf und ab zu bewegen, was ihn gleichermaßen wie Uskav stimulierte.
»Komm, mein elbischer Freund, mein elbischer Engel!«, forderte Uskav Thonfilas auf, der fasziniert die Szene beobachtete, »Setz dich auf meine Brust, damit ich von deinem Körper kosten kann!«
Thonfilas verstand, grinste lüstern und kletterte zu Uskav hinauf. Kaum dort angelangt, umarmte Roderick seinen Freund und küsste ihm den Nacken ab. Uskav wiederum konnte es nicht abwarten und begann sofort Thonfilas Schwanz zu verschlingen.
Alle drei Freunde begannen mit einander zu verschmelzen. Ihre drei Drachen, die natürlich in ihren Köpfen alles mitbekamen, hockten in ihrer Höhle und schauten sich versonnen und zufrieden an. Menschen, Uruks und Elben konnten ja so kompliziert sein, bevor sie endlich zueinander fanden. Doch wenn sie es einmal taten, war die Wirkung markerschütternd. Denn genau das, markerschütternd, war Uskavs Schrei, als er sich in Roderick entlud. Heiß, wie flüssiges Blei, schoss es in den Neovikinger hinein, breitete sich in seinem Inneren aus und verbreitete eine zuerst brennend heiße dann wohlige Wärme, die bis in die Fingerspitzen reichte. Für Roderick gab es kein halten mehr, mit intensiven Küssen, die er mit Thonfilas austauschte, der ihm seinen Kopf zugewandt hatte, entlud sich Roderick über Uskav und Thonfilas Rücken, was wiederum den Elben zur Explosion brachte. Mit einer Kraft, die Uskav bei einem Elben nicht für möglich gehalten hätte, packte Thonfilas den Kopf des Uruks und entlud sich tief in dessen Rachen. Uskav kam ein zweites Mal.
Es sollte dabei nicht bleiben, weder für Uskav, noch für Thonfilas oder Roderick. Am nächsten Tag wurde berichtet, dass Meldungen von seltsamen Geräuschen die Nachbarschaft um Thonfilas Drachenhöhle beunruhigt haben sollen. Nur die nachdrückliche Versicherung der Drachen Lindor, Narsul und Thonfilas, dass alles in bester, in allerbester Ordnung sei, verhinderte ein peinliche Situation. Wenn auch nicht ganz. Uskavs Vorlusttropfen mochten ein leichtes Betäubungsmittel enthalten, doch die Wirkung jedes Mittels hat irgendwann ein Ende. Thonfilas hatte Recht, die nächste Woche erschien Roderick vielen beim Gehen und Sitzen etwas behindert zu sein, was im krassen Widerspruch zu seinem überaus glücklichen und zufriedenen Gesichtsausdruck stand.
Dieses Ereignis lag nun schon ein paar Wochen zurück. Uskav war während Turondurs Abwesenheit zum Vorsitzenden des Rates von Daelbar ernannt, während Roderick sein Amt als Senator für Verteidigung übernommen hatte. Thonfilas ging seiner Nebenbeschäftigung als Lehrer für Elbenkunde an der Drachenreiterschule nach. Man teilte sich eine Höhle, man lebte und liebte zusammen und Roderick gewöhnte sich auch an die Dimensionen von Uskavs Gemächt. Thonfilas schien damit keine Probleme zu haben.
Dass sich die drei Freunde des öfteren der gegenseitigen Liebe hingaben war eine Sache, die andere Bestand darin, dass man sich in eine neue Lebensroutine eingewöhnte. Schließlich trug man Verantwortung. Daelbar verließ sich auf seine Drachenreiter, das galt besonders dann, wenn man Vorsitzender des Rates war. Der Alltag hatte Uskav, Thonfials oder Roderick fest im Griff. Berichte von beunruhigenden Dingen außerhalb der Grenzen Daelbars erforderten Rodericks unmittelbare Aufmerksamkeit und das vor Ort. Und auch Thonfilas Hauptbeschäftigung als geheimer Elbenspäher, welche nur wenigen Ratsmitgliedern bekannt war, führte ihn des öfteren aus Daelbar heraus. Seltener als man sich dies wünschte, bot sich eine Gelegenheit zusammen zu sein. Sich wirklich der gegenseitigen Lust hingeben zu können, kam sehr selten vor. An den meisten Abenden war man froh, eng aneinander gekuschelt friedlich und erholsam in einem gemeinsamen Bett zu schlafen.
»Ich bleibe dabei, ihr Uruks seid krass!«, beharrte Roderick, dem Uskavs Messerdemonstration nicht aus dem Sinn ging, »Heißt das, du wirst noch rattiger, wenn wir dich ein wenig quä…?«
Roderick sprach nicht weiter, Uskavs breites Grinsen sprach Bände.
»Jungs!«, meinte Thonfilas, »Ihr seid fürchterlich. Ihr denkt immer nur an das Eine!«
»Ja!«, jammerte Uskav, »Es kommt selten vor, dass wir Abends alle zusammenkommen und noch seltener, dass nicht einer von uns müde oder erschöpft ist. Da entwickelt man aus purem Frust, lüsterne Gedanken!«
Thonfilas stand auf, umarmte Uskav und küsste ihn. Nachdem sich ihre Lippen wieder trennten, meinte der Elb mit einem verführerischen Schmunzeln: »Du hast Recht, aber heute sind wir alle wach, frisch und willig!«
Uskavs Augen glänzten, schauten fragend zu Roderick, wieder zu Thonfilas, erntete von beiden ein Nicken und war innerhalb weniger Sekunden entkleidet. Thonfilas entkleidete sich etwas langsamer, eleganter, eben elbenhafter. Mit seinem schlanken, gelenkigen Körper, umschmeichelte er Uskav und flüsterte Uskav ins Ohr: »Was möchtest du, das ich tue, mein allerliebster Uruk?«
»Ich möchte dich in mir. Ich möchte in deinem elbischen Wesen versinken!«
Roderick schaute fasziniert zu. Derart passiv hatte er Uskav noch nie erlebt, doch schien der Elb den Uruk voll im Griff zu haben. Mit elbischer Leichtigkeit begann sich Thonfilas mit Uskav zu vereinigen.
»Präsident Uskav!«, rief eine Stimme und stürmte ohne anzuklopfen die Drachenhöhle herein.
Es war der junge Franciscus, Drachenreiter von Guldur und Mitglied des Rates, der plötzlich gestikulierend mitten im Raum stand und zuerst gar nicht auf seine Umgebung achtete. Als er plötzlich registrierte, womit Thonfilas und Uskav beschäftigt waren, verstummte er und wurde erst blass, dann knallrot, seinen Blick vollkommen auf Uskavs Körpermitte fixiert.
»Franciscus, mein Junge, was gibt es denn?«, fragte Uskav amüsiert, während Thonfilas in einen seiner inzwischen berüchtigten Lachkrämpfe ausbrach.
»Orks! Hunderttausende von Orks und Uruks, sind auf dem Weg nach Daelbar. In zwei Tagen sind …werden sie hier sein! Der Krieg hat begonnen!«
Lars
»Wir kämpfen für die Liebe!«
Leitsatz 1 des Ordens der Neovikinger
»Hast du sowas schon mal gemacht?«, fragte Gildofal Gilfea
Gildofal, Gilfea und Suman lagen verborgen hinter einer Felswand. Gilfea und Gildofal waren vorsichtig ein Stück vorgerobbt und lugten über den Rand der Wand hinweg. Hinter der Felswand erstreckte sich eine Ebene von etwas über hundert Metern, an deren Ende sich eine der Festungen befand, die Suman im Kristall gesehen hatte.
Suman und Gilfea begaben sich wieder in Deckung.
»Nein!«, meinte Gilfea nachdenklich.
»Euch ist schon klar, dass hinterher Blut an unseren Händen klebt?«, gab der wartende Gildofal zu bedenken.
Silberfels und seine Wölfe hatten die drei Drachenreiter sicher über ihren geheimen Gebirgspass gebracht. Nach einer emotionalen Verabschiedung schlug Gilfea einen Nordkurs ein, entlang des Gebirges. Damit entfernten sie sich zwar im ersten Moment von ihrem Ziel, doch Sumans Beschreibung des Geländes, wie er es durch den Kristall gesehen hatte, versprach einen taktischen Vorteil. Die Festungen Goldors lagen westlich und südwestlich am Pass, während sich der Gebirgszug in nordsüdlicher Richtung erstreckte. Der Plan bestand darin, die westlich vom Pass liegende Festung vom Norden aus anzugreifen.
Gilfea ließ die Drachen etwa zweieinhalb Meilen nördlich der Festung landen. Soweit Sumans Informationen zutrafen, wurde nur der Bereich zwischen den beiden Festungen bewacht und von Orkherden verwüstet. Ohne Flugunterstützung legten die drei Freunde das letzte Stück des Weges zu Fuß zurück und erreichten schließlich einen Felsvorsprung, der sowohl Deckung bot als auch einen guten Beobachtungsposten darstellte. Außerdem hatten sie bis zum Einbruch der Nacht gewartet, um die Dunkelheit als weiteren Schutz und Deckung zu nutzen.
»Es sind nicht nur Orks in der Festung. Ich habe vorhin mindestens drei Soldaten gesehen«, ergänzte Gildofal, der als Elb über die schärfsten Augen verfügte und vor Gilfea und Suman das Gelände auf Feinde überprüft hatte, »Mit Orks habe ich kein Problem. Aber könnt ihr einen Menschen töten?«
»Ja!«, meinte Suman knapp, »Es wäre nicht das erste Mal.«
»Was?«, zischte Gilfea in scharfem Flüsterton.
»Es ist vielleicht nicht der günstigste Augenblick euch das zu sagen, aber ich habe als Gildemeister schon Menschen getötet.«
»Nein, das ist wirklich nicht der beste Moment!«, Gilfea war irritiert, wenn nicht sogar verärgert, »Heißt das, ich habe mit einem Killer geschlafen?«
»Entschuldige!«, knurrte Suman, »Ich wusste ja nicht, dass das für dich einen Unterschied macht!«
»Macht es auch nicht!«, flüsterte Gilfea entschuldigend, »Es ist nur… Es ändert das Bild, das ich von dir habe. Du bist ein so lieber Kerl, dass…«
»Könntet ihr eure Diskussion auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?«, fauchte Gildofal wütend, »Wir haben da einen Auftrag zu erledigen! Ich sage euch eins, ich kenne diese Soldaten. Ich habe in Goldor gelebt. Die hätten kein Problem jeden einzelnen von uns kalt zu machen. Ich konnte ihre Rang- und Dienstabzeichen sehen. Die Kerle gehören zu einer Elitetruppe für Auslandseinsätze. Vergesst nicht, wir sind noch über 250 Meilen von Goldor entfernt. Abgesehen von ein paar Siedlungen der Neovikiner ist dieses Gebiet Niemandsland.«
»Gut du elbischer Schlaumeier«, entgegnete Suman amüsiert, »sag mir mal lieber, was wir jetzt machen sollen. Ich möchte hier nicht zufällig als Orkfutter enden.«
Gilfea überlegte. In der Kristallhöhle bei den Wölfen klang die Aufgabe so harmlos. Ein Blitzangriff mit drei Drachen und die Probleme der Wölfe waren Geschichte. Doch was hieß das wirklich? Es hieß, dass sie töten mussten. Mit den Orks hatte Gilfea wie seine Freunde keine Probleme. Doch die Soldaten? Das waren Menschen, die Familien hatte. Sie waren jemandes Sohn. Andererseits, kämpften diese Soldaten in einem unerklärten, illegalen Krieg. Sie waren Besatzer in einem fremden Land. Es war an ihm, Gilfea, zu entscheiden was zu tun war. Er war ein Drachenreiter und hatte damit Verantwortung übernommen.
»Gut, gehen wir zurück und holen die Drachen! Wir werden es tun!«, verkündete Gilfea seine Entscheidung.
Suman ging voran, während Gildofal den dreien den Rücken frei hielt. Sie kamen schnell voran, die zwei Meilen waren bald zurückgelegt und ihre Drachen schon fast in Sichtweite.
»Keinen Mucks!«, zischte eine Stimme.
Wie aus dem Nichts waren vier vermummte Gestalten aufgetaucht, wovon drei den Freunden scharfe blitzende Messer an die Kehlen hielten. Der vierte, offenbar der Anführer, musterte einen nach dem anderen.
»Du bist ein Elb!«, erklärte der vierte Angreifer, als er zu Gildofal kam. Gildofal schwieg, »Nun, wir werden dich schon noch zum Sprechen bringen.«
In Gilfeas Kopf arbeitete es. Wer waren diese Typen. Offensichtlich keine Orks, denn dann wären sie bereits tot. Aber auch keine Soldaten. Die hätten sie zwar ebenfalls aus einem Hinterhalt angegriffen, aber danach ihre Heimlichkeit aufgegeben.
»Und wer bist du?«, fragte der Anführer Suman.
Mit einer einzigen blitzartigen Bewegung entwaffnete Suman seinen Angreifer, der damit nicht gerechnet hatte und unvorsichtig wurde. Suman nahm sein Messer und brachte den Anführer in seine Gewalt.
»Und wer seid ihr?«, zischte Suman, »Wisst ihr nicht, dass es unhöflich ist, seinem Gegenüber das Gesicht nicht zu zeigen?«
Ein Angreifer lag am Boden, die anderen zuckten.
»Zurück!«, zischte Suman, »Oder dein Kollege hier ist tot.«
»Deine Freunde aber auch!«, kam es gequält vom Anführer der vier.
»Dann sollten wir alle einen klaren Kopf bewahren und nichts Unüberlegtes tun«, schlug Suman vor, »Ihr seid keine Orks und Soldaten seid ihr auch nicht. Ich will eure Gesichter sehen!«
Mit diesem Wort zog Suman dem Anführer des Trupps die Kapuze vom Kopf.
»Ihr seid Neovikinger!«, rief Gilfea leise.
»Ja und ihr seid in unserem Land!«, antwortete der Neovikinger, »Mein Name ist Lars und ihr seid meine Gefangenen!«
Es war Nacht, der Himmel bewölkt und die Neovikinger mit einer brenzligen Situation konfrontiert, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Lars wurde von Suman gehalten. Zwei seiner Kollegen hielten Gilfea und Gildofal im Schach. Der dritte lag am Boden. Keiner der vier Neovikinger bemerkte den riesigen schwarzen Schatten, der sich erst über ihnen hielt, dann aber langsam hinter ihnen absenkte.
»Gebt auf!«, forderte Lars erneut, »Ich verspreche, euch erst dann zu töten, wenn eure Schuld bewiesen ist.«
»Vielleicht seid Ihr es, die lieber aufgeben sollten«, entgegnete Gilfea trotz des Messers an seiner Kehle gelassen.
»Warum sollten wir das tun. Wir sind in der Überzahl, außerdem wird bald Verstärkung eintreffen«, erwiderte Lars.
»Unsere Verstärkung ist bereits eingetroffen, nicht wahr Mithval?«
Mithval war hinter den Neovikingern niedergegangen. Als tiefschwarzer Drache in einer dunklen Nacht war er selbst für geübte Augen schwer zu erkennen, sodass es nicht verwunderte, dass Lars und seine Leute den Drachen bei seiner Landung nicht bemerkt hatten. Nun aber machte sich Mithval bemerkbar, er holte mit seinen Flügeln aus und sorgte so für einen unignorierbaren Luftzug. Suman, der Lars in seiner Gewalt hatte, drehte den Neovikinger zu Mithval herum.
»Das ist Mithval. Seine Lieblingsspeise sind Neovikinger!«, flüsterte Suman Lars ins Ohr.
Um sich etwas besser in Positur zu setzen, veränderte Mithval die Färbung seiner Schuppen. Aus dem matten Schwarz, wurde das glasklare, tiefe Anthrazit des Mithrils mit seinen selbst in dunkler Nacht glänzenden Schuppenrändern. Mithvals Augen glühten mit tiefrotem Drachenfeuer. Gilfea entschloss sich seinen eigenen Drachencharakter stärker zu betonen und ließ seine Augen ebenfalls glühen.
»Hu!«, entfuhr es dem Neovikinger, der Gilfea bewachte, als er dessen Augen sah, und ließ von ihm ab. Auch Lars hatte inzwischen Mithval entdeckt und als Drachen erkannt, was bei der Größe der Echse eine Weile dauerte. Er glich eher einem der Felsen als einem Lebewesen.
»Es ist gut! Sören, Anger, Morten nehmt die Waffen runter«, verkündete Lars leise und zu Suman gewandt, der ihn immer noch in Schach hielt, »Wenn ihr Drachenreiter seid, seid ihr in unserem Land willkommen!«
Lars Partner ließen Gilfea und Gildofal los und steckten ihre Messer weg. Gildofal kniete sich nieder und half dem von Suman niedergestrecken Neovikinger auf die Beine, während Suman seinerseits Lars frei ließ.
»Entschuldigt unseren Angriff, doch dies sind gefährliche Lande«, flüsterte Lars, während seine Kollegen das Gelände sicherten, »Seid bitte so freundlich und folgt uns, wir müssen reden.«
Die drei Drachenreiter folgten Lars, der sie zurück in Richtung des Gebirges führte. Sören, Anger und Morten hingegen verschwanden in der Dunkelheit. Mithval zog es vor, zu Eargilin und Tingalen zurück zu fliegen.
Lars schienen sich in diesem Gelände sehr gut auszukennen. Er umschiffte kleine Wasserlöcher, die Gilfea erst im letzten Moment bemerkte. In der Dunkelheit der Nacht war es schwer sich zu orientieren. Der wolkenverhangene Himmel ließ nur selten etwas Licht hindurch, wenn der Mond einmal ein Loch in der Wolkendecke fand.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichte der kleine Trupp eine Felswand, an der es nicht weiter zu gehen schien. Doch das täuschte. Verborgen hinter einzelnen Felsen verbarg sich ein Durchgang und dort hinter eine gut getarnte Tür. Der Trupp schlüpfte hinein, wanderte eine Felstreppe hinauf und erreichte eine gut ausgebaute Höhle mit Schlafräumen, Gemeinschaftsdusche, Küche und großem Aufenthaltsraum. In die Felswand waren Fenster mit magischem Glas eingelassen, welches von Außen betrachtet wie grauer Fels aussah.
»Willkommen in Schattenberg!«, hieß Lars die drei Drachenreiter willkommen, »Ihr befindet euch nun in einem der geheimen Beobachtungsposten der Neovikinger.«
Lars legte seinen schwarzen Tarnanzug ab. Darunter trug er typische Neovikingerkleidung, wie man sie von Roderick kannte. Hatten die drei Freunde hingegen einen typischen Neovikinger mit roten oder blonden Haaren vermutet, wurden sie von Lars enttäuscht. Lars war ein dunkler Typ, mit schwarzen lockigen Haaren.
»Ich bin Gilfea, Drachenreiter Daelbars und Seele Mithvals!«, stellte sich Gilfea vor, wobei ihm ein Verbeugungsritual der Neovikinger einfiel, von dem ihm Roderick einmal erzählt hatte, und er sich hinkniete, »Und dies sind meine Freunde Suman K’Tar, Drachenreiter Daelbars und Seele Tingalens, sowie Gidofal, Drachenreiter Daelbars und Seele Eargilins. Zu euren Diensten!«
»Erhebt euch Gilfea, Drachenreiter Daelbars und Seele Mithvals!«, sprach Lars amüsiert, »Ich bin erstaunt, wer hat euch unsere Begrüßungsbräuche gelehrt?«
»Ein guter Freund, ein Drachenreiter, wie wir.«
»Ein Neovikinger?«, fragte Lars vorsichtig, wenn nicht sogar leicht angespannt.
»Ja, Roderick, Seele von Caransil!«, antwortete Gilfea. Der Unterton in Lars’ Stimme gefiel ihm nicht.
»Roderick!«, schnaubte Lars verächtlich. Seine eben noch präsente Freundlichkeit trat deutlich in den Hintergrund und machte Abscheu Platz. »Dieser…«, Lars ließ das Wort, an das er dachte, aus, »ist euer Freund? Warum ausgerechnet er? Nun ja, ihr müsst ja wissen, mit wem ihr euch abgebt!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, spuckte der Neovikinger vor sich auf den Boden.
»Ja, das wissen wir!«, sprang Gildofal gefolgt von Suman ihrem Freund bei, »Kommt, an einem Ort, an dem unser Freund nicht willkommen ist, sind auch wir nicht willkommen!«
Gildofal wollte gerade an Gilfea vorbei in Richtung Ausgang gehen, als ihn sein Freund mit ausgestrecktem Arm stoppte: »Warte! Roderick ist unser Bruder! Wir alle sind Drachen. Wer einen von uns beleidigt, beleidigt uns alle. Ich möchte den Grund erfahren. Warum beleidigt ihr einen Drachenreiter, der sogar zu eurem eigenen Volk gehört?«
Suman und Gildofal wurden von Gilfeas Vehemenz, mit der er Rodericks Ehre verteidigte überrascht. Noch nie hatten sie ihren Freund derart ernst erlebt. Selbst seine Stimme und Wortwahl waren anders, härter, erhabener, ehrerbietend.
»Nein!«, Lars schüttelte abwehrend seinen Kopf, »Roderick gehört nicht mehr zu uns. Durch seine Abartigkeit hat er sich selbst von seinem Volk losgesagt!«
»Was für eine Abartigkeit?«
»Soll ich es wirklich aussprechen?«, Lars kam einige Schritte auf Gilfea zu und sprach leise mit zusammengepressten Zähnen auf ihn ein. Es schien fast so, als wenn er befürchtete, jemand könnte seine Worte mithören. »Soll ich wirklich von seinem widernatürlichen Handeln sprechen? Und von der Schande, die er über uns gebracht hat? Ihr wisst es doch! Wenn ihr in Daelbar lebt, dann wisst ihr, wovon ich spreche! Er teilt sein Bett mit einem Elben! Mann zu Mann!«
Suman sah Lars krebsrot angelaufenen Hals, sowie die hervorgetretene Halsschlagader und überlegte, dass es wohl nicht der rechte Zeitpunkt war, zu erwähnen, dass Roderick sein Bett inzwischen sogar mit einem ausgewachsenem Uruk teilte. Nein, das wäre vermutlich eine ganz dumme Idee.
»Ich kann nicht begreifen, wie ihr solche… Abnormität dulden könnt!«, setzte Lars nach, »Wenn er wenigstens diskret wäre… Was hinter einer Haustür vorgeht, geht schließlich niemanden etwas an. Ihr seid Drachenreiter. Die edelsten Wesen unserer Welt sind eure Gefährten! Wie könnt ihr das gutheißen?«
»Kommt, wir gehen!«, verkündete Gilfea, »Unsere Anwesenheit ist nicht länger erwünscht!«
Diesmal setzte sich Gilfea in Bewegung, Suman und Gildofal folgten. Lars stand da und war verwirrt. Wieso verstanden sie nicht? Sie mussten verstehen. Diese drei Drachenreiter waren ein Geschenk des Himmels. Die Orks der Festung bereiteten Lars und seinen Mannen immer mehr Sorgen. Niemand aus seiner Schar wagte darüber zu sprechen, doch der Außenposten war nicht mehr lange zu halten. Die Orks drangen immer weiter nach Norden vor. Goldor streckte seine Fühler in Richtung der Länder der Neovikinger aus. Drei Drachen konnten das Blatt wenden.
»Wartet!«, stellte sich Lars den Reitern in den Weg, »Bitte wartet! Ich… wir bedürfen eurer Hilfe!«
»Nein! Denn ihr seid nicht bereit unsere Hilfe anzunehmen!«, Gilfea blieb hart und schob Lars einfach beiseite. »Dieser Drachenreiter hat Kraft!«, dachte Lars entsetzt, der in der Drachenkunde unwissend war.
»Aber… Soll ich vor euch niederknien? Soll ich euch anbetteln? Ist es das, was ihr wünscht?«, fauchte Lars, »Oder ist es doch wahr, dass sich der Edelmut der Drachenreiter in Arroganz verwandelt hat?«
Gilfea drehte sich zu Lars um: »Ich wünsche mir nichts dergleichen von euch. Um unsere Hilfe anzunehmen, müsstet ihr einem Gegner gegenübertreten, der euch in Furcht und Schrecken versetzen wird!«
»Ein Neovikinger kennt keine Furcht!«, entgegnete Lars, »Nennt mir den Gegner und ich beweise es euch!«
»Der Gegner ist die Liebe zum Leben!«, entgegnete Gilfea, wobei in seinen Augen Drachenfeuer brannte, »Ihr sagt Roderick bringt Schande über euch? Dann kennt ihr ihn nicht! Ihr sagt, einen Elb zu lieben sei widernatürlich? Ich sage, ihn nicht zu lieben, ist widernatürlich!«
In der Zwischenzeit waren still und leise Morten, Sören und Anger in den Unterschlupf gekommen. Schweigend zogen sie sich in eine Ecke des Gemeinschaftsraums zurück und legten ihre Tarnkleidung ab. Aus dem Augenwinkel konnte Suman drei sympathische Neovikinger sehen, die mit offensichtlich mulmigem Gefühl der Auseinandersetzung zwischen Lars und Gilfea lauschten.
»Roderick hätte jede Elbenmaid erwählen können, die er wollte!«, wandte Lars ein, der immer noch glaubte, Gilfea hätte ihn nicht verstanden, »Seine Sippe wäre stolz auf ihn gewesen. Doch seit Jahrhunderten teilt er das Bett mit einem Mann! Wisst ihr, was das für uns, für mich bedeutet? Ich bin ein Urururururneffe Rodericks. Durch seine Schande klebt ein Makel an seiner und meiner Sippe. Wir müssen kämpfen, um unsere Ehrhaftigkeit zu beweisen.«
»Ich kann daran nichts Schändliches finden«, meinte Gilfea trocken.
»Nicht?«, Lars war platt.
»Nein, wieso sollte ich? Roderick und Thonfilas lieben sich, ich wüsste nicht, was daran schändlich sein soll. Was hat Liebe mit dem Geschlecht zu tun?«
»Aber, Ihr seid Krieger! Roderick ist ein Krieger! Ein Krieger muss hart sein und sich nicht, wie ein Weib, hingeben!«
Suman konnte nicht mehr und bekam einen Lachkrampf. Dieser Neovikinger war einfach urkomisch. Eigentlich war die Angelegenheit gar nicht so komisch. Auch im Volk der Neovikiner gab es bestimmt Männer und Frauen, die eher dem eigenen Geschlecht zugetan waren. Wenn dies eine derart große Schande war, dann hatten sie vermutlich kein einfaches Leben. Eine Anfrage bei seinem PDA-Implantat brachte Suman Klarheit.
Es waren nicht die Neovikinger als solches, die Probleme mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hatten, sondern ausschließlich deren Krieger. Wenn die Informationen des PDAs zutrafen, wovon man im Allgemeinen ausgehen konnte, dann spaltete Roderick die Gesellschaft der Neovikinger. Dabei hatte alles wie in einem Märchen begonnen. Roderick, der erste Neovikinger, der ein Drachenreiter wurde. Er war ein Held. Jemand, zu dem man aufschaute und verehrte. Doch dann brach er ein Tabu, das eigentlich keins mehr wahr. Er verliebte sich in einen anderen Mann, in Thonfilas, und machte kein Hehl daraus. Man muss wissen, dass zu jener Zeit eine Politik, des »Nichts sagen, nicht fragen«, toleriert wurde. Wie Lars sagte, hätte Roderick seine Beziehung versteckt, niemand hätte ein Problem damit. So verlogen dies auch sein mochte.
Doch Roderick konnte nicht lügen. Er liebte Thonfilas, wie er ihn noch immer liebte. Er spielte das Spiel nicht mit, nannte die Dinge beim Namen und löste unwissentlich die Spaltung der Neovikinger aus. Einer der Kriegerfürsten, der, wie man später erfuhr, Roderick seinen Drachen neidete, meinte ein Exempel statuieren zu müssen. Roderick wurde vor dem Gericht der Krieger wegen widernatürlicher Handlungen verklagt und für schuldig befunden. Er verlor sämtliche militärischen Titel und wurde aus dem Bund der Krieger verbannt. Fall erledigt.
Doch womit die obersten Kriegerfürsten nicht gerechnet hatten, war die Reaktion der sogenannten Nichtkrieger, die gut die Hälfte der Bevölkerung der Neovikinger ausmachten. Roderick blieb ihr Held. Nicht, weil er einen Elben liebte, sondern weil er gegen die übermächtigen Kriegerfürsten aufbegehrte. Ihren verlogenen Moralkodex in Frage stellte. In der Gesellschaft der Neovikinger herrschte seit Alters her ein Ungleichgewicht. Obwohl die Krieger und Nichtkrieger sich etwa die Waage hielten, waren es immer die Krieger, die die Geschicke des ganzen Volkes bestimmten. Rodericks Verhalten stellte diesen Machtanspruch und die damit verbundenen liebgewonnenen Privilegien in Frage. Kein Wunder, dass die Kriegerfürsten ihn dafür hassten.
Seit Jahrhunderten war Roderick der Stachel in ihrem Fleisch, denn es kam zum Bruch zwischen Kriegern und Nichtkriegern, sogar zum berühmten Bürgerkrieg von drei Tagen, den die Krieger verloren. Roderick hatte sich auf die Seite der Nichtkrieger gestellt. Er wusste, dass bei einem Sieg der Krieger die andere Hälfte der Neovikinger leiden würde. In den dem Krieg folgenden Friedensverhandlungen beendete Roderick die Vorherrschaft der Krieger. Jeder Neovikinger besaß von nun an gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Keine Seite sollte die andere dominieren dürfen.
Die meisten Ideen für eine Verfassung der Neovikinger entstammten der Feder Fingolfs, der auch schon bei der Verfassung Daelbars prägend gewirkt hatte. Als goldener Drache genoss er den Respekt beider Seiten. Man einigte sich, wenn auch nur widerwillig. Roderick hingegen, verließ sein Volk. Für die eine Seite war er ein Held, für die andere Seite, offiziell ein niemand, doch hinter vorgehaltener Hand, galt er den Kriegerfürsten als Verräter, der ihnen ihre Macht geraubt hatte.
»Ja, wir sind Krieger!«, mischte sich Suman ein, »Aber wo steht geschrieben, dass ein Krieger nicht lieben darf? Sei es Mann oder Frau!«
»Oder Uruk!«, fügte Gilfea in Gedanken hinzu und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Es ist…«, stammelte Lars, der bisher nie die Regeln und Dogmen der Krieger in Frage gestellt hatte. Er kannte Roderick nicht, er wusste nur, dass er es ihm verdankte, härter für seine Position arbeiten zu müssen. Alle männlichen Nachkommen in der Line von Roderick, zu der auch Lars gehörte, standen unter einem unausgesprochenen Generalverdacht.
»Widernatürlich?«, füllte Suman Lars unvollständigen Satz aus, »Wieso? Weil man keine Kinder bekommen kann? Hast du eine Frau, eine Freundin? Schläfst du nur mit ihr, um ein Kind zu bekommen?«
Lars lief rot, knallrot an, sagte aber nichts.
»In deiner Logik wäre das auch widernatürlich!«, setzte Suman unerbittlich nach, »Du liebst Sie, oder? Und sie liebt dich. Und ihr seid beieinander, um euch diese Liebe zu zeigen. Wo bitteschön, ist das widernatürlich? Liebe kann doch nicht widernatürlich sein, oder?«
»Ihr verwirrt mich!«, stammelte Lars, der in Sumans Logik krampfhaft nach einem Fehler suchte. Aber es gab keinen. Lars hatte eine Frau, die er liebte, sogar vergötterte. Bei ihr zu sein, sie zu fühlen und zu lieben, war Teil seiner Bestimmung. Natürlich wollten sie irgendwann Kinder haben, aber nicht jetzt. Nicht in diesen Zeiten, in denen die Gefahr bestand, seine Frau als Witwe zurücklassen zu können. Der Späherdienst an der Grenze war gefährlich, viele gute Männer hatten hier ihr Leben gelassen.
»Nein!«, erhob sich einer der drei Neovikinger aus Lars Schaar, »Der Fremde spricht klar und deutlich.«
»Morten!«, rief der Krieger neben ihm.
»Nein Sören, lass mich aussprechen. Der Fremde hat Recht. Roderick ist ein Held. Er hat uns Frieden und Gerechtigkeit gebracht. Ich weiß, warum die Kriegerfürsten ihn hassen. Er hat sie ihrer Macht beraubt. Meine Ahnen waren alles Nichtkrieger. Ich weiß, wie uns die Krieger früher behandelt haben. Es war ungerecht und falsch. Wir lebten kaum besser als Sklaven. Roderick hat das geändert. Wofür wir ihm dankbar sein sollten. Schaut euch die Neovikinger heute an. Seit mit Roderick und dem goldenen Drachen die neue Zeit anbrach, haben wir uns besser und weiter entwickelt, als in den Jahrhunderten davor. Nur einige Kriegerfürsten wollen das nicht einsehen. Doch wollen wir wirklich zurück zu einer Zeit, in der die eine Hälfte unseres Volkes der anderen Hälfte dient?«
»Nein, niemand will das«, stimmte Lars zu, »Ich bin unsicher, was ich denken soll.«
»Lars!«, rief plötzlich Anger, »Sieh dich um. Wir verlieren den Krieg. Die Orks stoßen immer weiter in unser Land vor. Diese drei Drachenreiter wollen uns helfen. Das einzige, um was sie dich bitten ist, statt an alte überholte Dogmen an die bedingungslose Liebe zu glauben. Ich weiß, wofür ich mich entscheiden würde!«
Das Elbenstübchen
»Gnade verweichlicht das Recht!«
Lordrichter Sebastopol Wax
»Die Stadt ist noch schlimmer, als ich sie mir vorgestellt habe«, maulte Ivo neben mir, »Dort vorne müsste die Herberge sein, von der Golfindel sprach.«
Meine Echse in Menschengestalt hatte recht. Tharbad war das totale Drecksloch. Ein Ort, an dem Farbe keine Chance hatte. Alles war von einem schmierigen, öligen, schwarzen Film überzogen. Menschen, Häuser, Fußwege, Laternen, Fahrzeuge, alles schien damit durchsetzt zu sein. Die Stadt als solches war ein Moloch. Wir brauchten über eine Stunde von den Stadttoren bis ins Zentrum, obwohl die Hauptverkehrsstraßen auf Stelzen gebaut waren und das Gewusel des Häusermeers überspannten. Es gab nur ein Gebäude, das höher war, der Barad Baul. Wie ein drohender schwarzer Finger überragte er die Stadt.
Innerhalb der engen Häuserschluchten herrschte ein seltsames Zwielicht. Es war nicht richtig dunkel, doch hell wurde es auch nicht. Wir hatten unsere Pferde in Golfindels Rasthof zurück gelassen und einen der raren öffentlichen Reisewagen gewählt, der uns bis zum Königsplatz brachte. Der Königsplatz war ein Verkehrsknotenpunkt Tharbads. Ich war ein Kind der Großstadt. Crossar war alles andere als klein und ruhig, doch gegen Tharbad war meine Heimatstadt ruhig wie ein Friedhof.
Vom Königsplatz versuchten wir uns nun zu unserer Unterkunft durchzuschlagen. Was für ein Glück, dass ich auf Ivo gehört und wir diese Kampfanzüge gekauft hatten. Mit jeweils einem robusten Feldrucksack auf dem Rücken bahnten wir uns den Weg durch die grauschwarze Menschenmasse.
Das »Elbenstübchen« bestand in erster Linie aus einer verräucherten Wirtsstube. Bereits am Nachmittag, war das Lokal gut besucht, angefüllt mit Menschen, Zwergen und ein paar Orks, der Wache. Bier und Schnaps floss in Strömen. Hinter dem Tresen stand ein vierschrötiger Typ, der kaum mit dem Ausschenken hinterher kam. Als er Ivoricalad und mich sah, kam er auf uns zu und trocknete seine Hände schnell an einem schmuddeligen Handtuch ab.
»Ihr müsst die angekündigten Gäste sein!«, waren wir, »Bitte folgt mir!«
Der Wirt führte uns über eine Nebentür von der Wirtsstube zu einer winzigen Rezeption. Wir trugen uns ins Gästebuch ein, der Wirt gab uns zwei Schlüssel, zeigte eine Treppe hinauf und rief uns, während er bereits wieder zur Wirtsstube zurück ging, »Zweiter Stock!« zu.
Wir erklommen die schiefen und schmalen Stufen. Im zweiten Stock gab es genau drei Zimmer, 4, 5 und 6. Ivo hatte die 5 und ich die 6. Mein Zimmer, gleiches galt auch für Ivos, war… Nun ja… klein und schäbig, allerdings zu einem gewissen Grad sauber. Licht, es war eher ein schwacher Schein, drang durch ein schmales, kleines Fenster hoch oben in einer Zimmerecke hinein, welches sich nur mit einer Stange öffnen ließ. Es gab ein Waschbecken, aber kein Klo, denn das befand sich auf halber Treppe zwischen dem 2. und 3. Stockwerk. Das »Elbenstübchen« war in seiner Art ein typisches Haus. Da Grundstückspreise exorbitant hoch waren, baute man eher hoch als breit.
Ivo kam in mein Zimmer und verschloss die Tür. In wenigen Sekunden hatte er sich ausgezogen und seine Drachenform angenommen.
»Was für ein trostloser Ort!«
»Wem sagst du das?«
»Tust du mir einen Gefallen?«, fragte Ivo und hielt seinen Echsenkopf leicht schräg, wie er es immer tat, wenn ihm etwas besonders wichtig war.
»Wenn ich kann.«
»Würdest du für eine Weile zum Drachen werden?«, hörte ich Ivo in meinem Kopf.
Ich verstand ihn. Ivo war die ganzen Tage in seiner menschlichen Form herumgelaufen. Ich spürte, dass er sich schrecklich fühlte. Natürlich erfüllte ich ihm seinen Wunsch, entledigte mich meiner Kleider und verwandelte mich in einen Drachen.
»Besser!«, freute sich Ivo, wenn auch weniger begeistert, als ich gedacht hatte.
»Was ist? Du hast doch etwas auf dem Herzen. Spuck es aus!«
»Ich bekomme einen Wachstumsschub!«, gestand Ivo. Ich war geschockt.
»Jetzt?«, rief ich in meiner akustischen Drachenstimme.
»Innerhalb der nächsten Stunden!«, erläuterte Ivo, »Ich weiß, dass das der ungünstigste Moment ist, den man sich vorstellen kann.«
Was für eine Untertreibung. Die Wachsstumsschübe der Drachen waren alles andere als lustig, so hieß es jedenfalls. Entweder brüllte der Drache, die Seele, oder beide, die Umgebung zusammen. Ein Wachstumsschub in Tharbad! Mitten im Herzen von Goldor, dem Königreich in dem auf Besuche von Daelbar die Todesstrafe stand, einen Wachstumsschub zu bekommmen, war, gelinde gesagt, eine Herausforderung. Da dies auch noch innerhalb der nächsten Stunden passieren sollte, blieb wenig Zeit für Vorbereitungen. Eine Flucht war ebenso ausgeschlossen… oder vielleicht auch nicht?
»Weißt du genau, wann es soweit ist?«
»Nicht ganz genau. Ich fühle, wie mein Blut langsam zu kochen beginnt. Meine Konzentration läßt nach. Wenn ich schätzen sollte, in etwa fünf Stunden.«
»Kannst du noch fliegen?«
»Ja, jedenfalls jetzt noch. Wieso?«
Mein Hirn und mein PDA-Implantat arbeiteten auf Hochtouren. Ich hatte mir in Blaufurt alle Stadtpläne und Umgebungskarten Tharbads organisiert und in mein Implantat überspielt. Ich suchte. Es musste einfach einen Ort, einen Flecken geben, an dem wir für die Nacht wenigstens, halbwegs ungestört sein konnten.
»Wir können nicht hier bleiben. Wenn auch nur einer von uns beiden zu brüllen anfängt, sind wir aufgeflogen. In gut einer Stunde bricht die Dunkelheit an. Wir versuchen auf’s Dach zu kommen und fliegen fort. Ich habe in etwa zwei Meilen ein altes Werftgelände entdeckt, das nicht mehr genutzt wird. Es ist ein Trockendock. Dort fliegen wir hin. Es ist unsere einzige Chance.«
»Segato?«, mein Drache hielt den Kopf schief, »Ich liebe dich!«
Das war… anders! Ich starrte Ivo an, der mich aus großen Drachenaugen anglotzte und begriff. Ich war nicht nur seine Seele, also ein Teil von ihm, und Ivo ein Teil von mir. Ivos eigenes unabhängiges Wesen, sein Bewusstsein als Individuum, hatte sich in mich verliebt.
Vielleicht lag es daran, dass ich selbst zum Drachen werden konnte, dass ich meinen Drachen verstand, auf eine ganz eigene, drachenhafte Art verstand. Warum darüber nachdenken? Mir ging es genau so. Diesen frechen kleinen Drachen musste man einfach lieben. Ich war mir sogar sicher, dass Suman, Gilfea und Gildofal es ebenfalls tun würden. Vorausgesetzt, Ivo und ich überlebten dieses Abenteuer.
Fürs erste verdiente mein Drache und Freund eine Antwort. Ich hopste auf ihn zu und umarmte ihn. Unsere Schuppen schubberten knirschend aneinander: »Ich liebe dich auch Ivo. Ich liebe dich auch!«
In der nächsten Stunde bereiteten wir uns auf unseren Abflug vor. Wir packten unsere Rucksäcke, deren Gurte Ivo so umgemodelt hatte, dass wir sie auch als Drachen auf unseren Rücken tragen konnten. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit nahmen wir unsere menschlichen Formen an, hüllten uns nackt in lange Mäntel und schlichen die Flure und Treppen in Richtung Dach empor. Niemand kam uns entgegen. Die meisten Zimmer schienen leer zu sein. Hier und dort sah man etwas Licht unter einer Tür hindurchschimmern. Unentdeckt gelangten wir bis zur verschlossenen Tür des Dachbodens, die über eine Wendeltreppe zu erreichen war. Das Schloss stellte kein ernsthaftes Hindernis dar. Jedenfalls nicht für jemanden, der jahrelange Erfahrung als Dieb in Crossar gesammelt hatte.
Ich öffnete die Tür, wir schlüpften hinein und ich verschloss die Tür wieder. Der Dachboden war ein typischer Dachboden. Überall stand Gerümpel herum - alte Schränke, kaputte Stühle, durchgebrochene Betten. Wir durchschritten den ganzen Raum und machten wohl ein paar zu viele Geräusche. Gerade als ich eine kleine Leiter entdeckte, die zu einer Dachluke hinauf führte, hörten wir, wie zwei Leute miteinander sprachen.
»Wenn ich es ihnen doch sage, Herr Wirt! Auf ihrem Dachboden ist jemand. Dort sind Schritte zu hören!«, rief eine Stimme.
»Das kann gar nicht sein«, hörte man die Stimme des Wirts, »Aber ich werde nachsehen!«
»Ivo, die Leiter, schnell!«
Ivo begriff, hechtete die Leite hinauf und öffnete die Dachluke. Mit einem Satz war er draußen. Ich sprang hinterher. Noch während ich mich die Leiter hinaufhangelte, konnte ich hören, wie ein Schlüssel ins Schloss der Tür gesteckt und herumgedreht wurde. Genau in dem Moment, als ich die Dachluke hinter mir schloss, flog die Tür zum Dachboden auf.
»Sehen Sie! Alles ruhig und still!«, verkündete der Wirt und wanderte, den Schritten nach zu urteilen, umher: »Hier war seid Jahren niemand mehr. Nun, ich werde ein paar Mausefallen aufstellen lassen.«
»Das war knapp!«
»Zu knapp!«
Endlich zahlten sich Ivoricalads Lehrstunden für mich aus. Wir verwandelten uns in Drachen, schulterten die Rucksäcke und schauten uns um. Die Stadt lag in Dunkelheit. Selbst die spärlich gesäten Straßenlaternen vermochten nicht, die unerträgliche Düsternis zu vertreiben. Der einzige hell erleuchtete Punkt war der »Barad Baul«, das größte und grausamste Verließ Goldors.
Wir sprangen in die Luft, entfalteten unsere Flügel und sausten davon. Wäre Ivoricalad ein großer Drache gewesen, ich hätte es nicht gewagt. Man weiß nie, wer des Nächstens in den Himmel schaute. Doch zwei Drachen von der Größe eines Menschen sollten unauffällig genug sein, um nicht weiter aufzufallen.
Ich hatte mir den Plan der Stadt genau eingeprägt, genaugenommen mein PDA-Implantat. Durch Tharbad zog sich ein breiter träge dahinkriechender Fluss, an dem wir uns gut orientieren konnten. Wie das mit Schiffswerften so üblich ist, lag auch diese direkt am Fluss im noch schiffbaren Bereich, mit direktem Zugang zum Meer. In einem engen Bogen hoch über der Stadt steuerten wir unser Ziel an. Das Gelände lag dunkel und verlassen da. Zwei dunklen Schatten gleich landeten wir auf dem Dach eines Trockendocks, suchten und fanden ein Loch zum hineinschlüpfen und ließen uns hinab in die Tiefe der Halle fallen.
Wir hatten Glück, das Becken des Docks war trocken und ideal für das bevorstehende Ereignis geeignet.
»Sieht wirklich verlassen aus.«
»Ja!«, Ivo sah sich in der Halle um, seine Drachenaugen funkelten dunkelrot, »Lass uns da hinten hingehen, die Nische ist etwas geschützter.«
Ivo führte uns in eine Ecke des Dockbeckens in der alte Kunstoffplanen und Stahlschrott so aufgeschichtet waren, dass sie eine Art Höhle formten. Als Drache kann man auch in fast völliger Dunkelheit noch recht gut gucken, so dass ich mich halbwegs sicher bewegen konnte.
Wir krochen in die Höhle, räumten ein wenig das umherliegende Zeug, Lappen, Taue, Stoffplanen umher, bis eine Art Nest entstand, in das sich Ivoricalad hockte. Meine Echse begann zu zittern. Im gleichem Moment spürte ich, wie meine Beine weich wurden. Mein Bewusstsein löste sich von meinem Körper. Ich sah mich aus Ivos Augen. Unsere Melodie schwoll an, wurde lauter, brach sich und wurde dissonant. Ivo schien von mir wegzudriften. Nicht physisch, sonder auf geistiger Ebene schien er von einem Strudel voller Chaos angezogen und verschlungen zu werden. Je weiter Ivo sich entfernte, desto schwächer fühlte ich mich. Blind tastete mein Verstand umher, lauschte in der Kakophonie des Chaos nach der einen Melodie, die für mich das Leben bedeutete.
Ich muss der Anker sein! Ivoricalad brauchte meine seelische Stärke, um nicht im Chaos zu versinken. Ich lauschte, ich hörte, ich ging von einem misstönenden Krach zum nächsten, bis ich die Melodie fand, die ich suchte. Ich umarmte sie, zog sie zu mir heran, machte sie wieder zu einem Teil von mir. Je mehr ich dies tat, desto ruhiger wurde das Chaos. Es war, als wenn eine sturmgepeitschte See sich langsam beruhigte, die krachenden Brecher am Fels ihre Kraft verloren und aus einem grauen, gischtverschwommenen Vorhang langsam eine wärmende Sonne heraus brach.
Im gleichem Maße wie mein psychischer Sturm abebbte, gewann ich die Wahrnehmung über unsere reale Umgebung zurück. Ich hatte nicht nur Ivos Geist ergriffen, sondern seinen Körper. Ivo war in mich eingedrungen. Eng umklammert gaben wir uns dem Wachstumsschub hin. Ivo füllte mich körperlich aus, während ich ihn seelisch ausfüllte. Gemeinsam gaben wir uns gegenseitig die Kraft, die wir brauchten. Die Melodie hatte zwischenzeitlich alle anderen Geräusche überdeckt und schwoll mehr und mehr zu einem infernalischen Höhepunkt an. Gleiches galt auch für Ivo, der keuchend und stöhnend immer tiefer in mich hinein stieß. Je tiefer er stieß, desto mehr öffnete ich mich für ihn, desto mehr öffnete er sich aber auch für mich.
Und dann passierte etwas, was meine Hoffnung einen heimlichen Ort für Ivos Wachstumsschub gefunden zu haben, vollständig ins Gegenteil verkehrte. Unsere Melodie wurde in uns sichtbar, unsere Körper begann im feurigsten aller Drachenrottöne aufzuglühen. Das Glühen wurde intensiver, entwickelte sich zu einem Strahlen, um sich letztendlich in einer gleißenden Explosion von purem Licht zu entladen. Vollkommen erschöpft sackten wir aufeinander zusammen.
»Ivo, wir müssen hier weg!«
Ich kam als erster wieder zu Besinnung, was mich überraschte, da nach allen Informationen, die ich über Wachstumsschübe von Drachen besaß, eigentlich von einem mehrstündigen Schlaf auszugehen war. Doch mein Verstand war klar und wach, mein Körper zwar müde, aber einsatzbereit. Ob es an meiner Drachenform lag oder einfach nur jeder Drache und jeder Wachstumsschub anders war, war mir egal, ich war glücklich, dass ich halbwegs fit war, da mir und meinem PDA-Implantat schlagartig klar wurde, dass wir ein massives Problem hatten.
»Was?«, fragte Ivo matt. Mein Drache hielt mich nach wir vor umklammert, sein Glied pulsierte immer noch in meinem verlängerten Rücken. Ein absolut geiles Gefühl, das ich gerne länger und intensiver ausgekostet hätte, doch hatten wir dafür keine Zeit.
»Ich glaube, wir haben eben in Leuchtschrift über Tharbad geschrieben ›Hier sind Drachen!‹«
»Mist!«, meinte Ivo und war mit einem schmatzend, feuchten Plöp aus mir draußen, »Du hast Recht, wir müssen hier sofort weg. Kannst du fliegen?«
»Ja, ich denke schon!«
Wir krochen aus unserer Höhle heraus, entfalteten unsere Flügel und schwangen uns bis zur Hallendecke empor. Das Problem von verlassenen Werfthallen und Dockanlagen besteht in ihrer mangelnden Wartung. Hallendach und Hallenwände waren löcherig wie ein Sieb. Der optische Showeffekt unseres tête-à-têtes dürfte weithin sichtbar gewesen sein. Mit Sicherheit wurde es beobachtet. Es war somit keine Frage, ob wir unerwünschten Besuch bekamen, sondern schlichtweg, wann. Wir mussten weg, zurück zum »Elbenstübchen«.
Wir schlüpften durch das gleiche Loch im Dach, durch das wir hineingekommen waren, wieder heraus. Genau in dem Moment flammten rund um und im Dock starke Scheinwerfer auf, die die Umgebung in helles Licht tauchten. Glücklicherweise blieb das Hallendach selbst weiterhin in Dunkelheit gehüllt. Die Scheinwerfer waren zwar an hohen Lichtmasten und Mauerwänden befestigt, leuchteten aber nur den Bodenbereich unter uns aus.
»Hier muss es gewesen sein!«, rief eine Stimme. Ein Trupp der Wache Tharbads strömte auf das Werftgelände und lief in Richtung Dockhalle. Ivo und ich sprangen in die Luft, entfalteten unsere Flügel und machten uns so schnell wie möglich aus dem Staub. Ohne uns umzuschauen, flogen wir zurück zum »Elbenstübchen«.
Wir landeten so leise es irgend ging auf dem Dach unserer Pension. Vorsichtig spähte ich durch die Dachluke, alles war dunkel. Schweigend und sehr vorsichtig, jedes unnötige Geräusch vermeidend, verwandelten wir uns in Menschen, zogen uns an und krochen durch die Dachluke der Pension auf deren Dachboden. Die Dielen knarrten als wir zur Tür schlichen. Ich lugte durch das Schlüsselloch. Die Luft war rein und ich versuchte die Tür zu öffnen. Doch im Gegensatz zum ersten Mal zeigte das Schloß erhebliche Gegenwehr. Hinter uns machte es Klick. Ivo und ich wirbelten herum. In einem alten Lehnsessel hockte der Wirt, neben ihm eine schäbige Stehlampe, deren gelbliche Lichtquelle eine fahle Helligkeit verbreitete.
»Sie an, sie an, wer schleicht denn da zu nachtschlafender Zeit auf meinem Dachboden herum?«
Väter
»Liebe geht durch den Magen«
Sprichwort der Orks
»Drachenreiter? Ich?«, flüsterte Ole Olson vor sich hin und kraulte die neben ihm sitzenden Echse.
Noch bevor Turondur zu seiner Audienz mit der Päpstin aufbrach, waren Ergal D’Santo und Ole Olson nach Tharbad aufgebrochen. Statt mit der Yacht der Gilde zu reisen und jedem in Tharbad die Ankunft eines hohen Gildevertreters zu zeigen, entschied man sich, etwas diskreter vorzugehen. Eine Passage auf einem Tankschiff mit Steinöl aus dem fernen und heißen Süden sollte es tun. Der Kontakt wurde durch Oberreeder Friedrich Amunsen hergestellt, der auch für die Loyalität des Kapitäns bürgte.
»Warum solltest du kein Drachenreiter sein?«, fragte Erogal Ole leise. Hatte der Gildemeister bisher noch Vorbehalte gegenüber dem Profischmuggler und Auftragsmörder gehegt, ließ das Band, das alle Drachen und Drachenseelen miteinander verband, diese sich in nichts auflösen.
»Ich weiß nicht? Es ist ein ungewohntes Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben trage ich Verantwortung für etwas, außer für mich selbst«, Ole zuckte mit seinen Schulter, »Es fühlt sich gut an.«
»Du weißt, dass sich einiges für dich ändern wird? Hast du Familie oder Freunde?«
»Nein, keine Familie. Meine Mutter habe ich nie kennengelernt. Mein Vater wurde als Freibeuter und Schmuggler hingerichtet«, gestand Ole, »Warum fragst du?«
»Ich möchte nicht, dass dein Herz zerbricht!«, Erogal schaute Ole ernst an, »Die meisten Drachenreiter sind aus gutem Grund Waisen oder Elben, Aussenseiter ohne Bindungen. Mit dem Bund, den du mit deinem Drachen eingehst, kehrst du der sterblichen Welt den Rücken. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet zu sehen, wie die Liebe deines Lebens altert und schließlich dahinscheidet, während die Jahre einfach spurlos an dir vorüberziehen. Ich habe Drachenseelen gesehen, die daran fast zerbrochen wären. Dieses Schicksal möchte ich dir ersparen.«
Ole Olson dachte eine Weile nach, bevor er antwortete: »Nein, es gibt niemanden. Ich bin allein. Oder sollte ich besser sagen, ich war allein?« Ole kraulte Sulomile, der leise vor sich hin schnurrte, »Du weißt, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle?«
»Sicher. Wir haben eine ganz schöne Akte über dich«, gestand Erogal offen, der es unsinnig empfand, einem Drachenreiterbruder irgendetwas zu verheimlichen.
»Ach ja, die berühmten geheimen Archive der Gilde«, Ole Olson lächelte nachsichtig, »Was hat Suman denn über mich geschrieben?«
»Du wusstest, dass er einer unserer Agenten war?«
»Nein, dass wusste ich nicht. Nicht, als er in Xengabad war«, Ole wirkte etwas traurig, »Suman ist ein liebes Kerlchen. Wie konntet ihr ihn nur diesen Job machen lassen? Allein der Gedanke, Suman dieser widerlichen Qualle Markendorfer zum Fraß vorzuwerfen, ekelt mich an.«
Erogal seufzte und schaute schuldbewußt zu Boden: »Suman wollte es so. Aber das ist eine schlechte Ausrede, denn ich hätte es ihm untersagen müssen. Meine Schuld besteht darin, dass ich das nicht getan habe. Ich habe mich den sachlichen Argumenten meiner Meisterbrüder gebeugt. Die Informationen, die Markendorfer beim Sex preisgab, waren viel zu wertvoll, als dass man darauf verzichten könnte. Doch ich habe dabei verdrängt, dass es ein lieber, empfindsamer Mensch war, der diese Informationen beschaffen musste. Markendorfer ist ein Widerling, der auf jungenhafte Strichertypen steht, die er alles andere als zart behandelt. Was würde ein Auftrag für ihn bei dir kosten?«
»Für Markendorfer würde ich dir einen Sonderpreis machen!«, lachte Ole, der genau wusste, wie Erogals letzte Bemerkung zu verstehen war.
»Suman mag dich«, fuhr Erogal nach einer längeren Pause angenehmen Schweigens fort, »Natürlich hat er versucht dich auszuhorchen, aber du bist eine harte Nuss und hast in seiner Anwesenheit nie über geschäftliche Dinge gesprochen. Uns war sofort klar, dass du als Quelle nicht zu gebrauchen warst. Trotzdem, Suman besuchte dich immer wieder gern. Auch ohne Auftrag.«
»Suman…«, wiederholte Ole verträumt den Namen meines Lieblings, »Er ist ein Mensch, in den ich mich verlieben könnte. Stimmt es, dass er mit eurem anderen Meisterschüler zusammen ist?«
»Mit Segato? Ja, das sind sie. Beide sind übrigens Drachenreiter wie wir.«
»Sozusagen Familie?«
»Sozusagen!«
Beide Drachenreiter hockten schweigend nebeneinander und betrachteten ihre Drachen, die Zwillinge Sulomile und Sulogorn. Die Echsen glichen sich wie ein Ei dem anderen. Selbst Ole und Erogal hatten Schwierigkeiten, die beiden auseinander zu halten. Bereits in den wenigen Stunden ihres Lebens waren die Drachen schon deutlich sichtbar gewachsen.
»Werde ich auch jemanden finden wie Segato?«, sprach Ole seine Gedanken laut aus, »Ich möchte nicht, wie mein Vater, irgendwann allein an einem Galgen hängen.«
Ole erinnerte sich an die Hinrichtung seines Vaters. Das Gericht hatte ihn gezwungen zuzusehen, wie sie seinen Vater aufhängten. Der Alte, wie Ole von ihm immer sprach, hatte einiges auf dem Kerbholz, doch die Taten, die man ihm zur Last legte und auf die sich das Urteil stütze, waren erfunden worden. Ole Olson Seniors letzter Deal brach ihm das Genick. Um seinen eigenen Hals zu retten, verriet Olsons Geschäftspartner die Transaktion. Eine durch und durch korrupte Polizei und ebenso korrupte Justiz stellten Olson senior eine Falle. Natürlich ging es um Schmuggel, aber um nichts, das den Tod nach sich gezogen hätte. Das änderten ein paar untergeschobene Beweisstücke, Traumkristalle der Barden von Sansusinal, auf deren schlichte Erwähnung bereits lebenslängliche Kerkerhaft stand.
Ole Olson junior stand auf einem Balkon, gerade mal 16 Jahre alt. Zwei Wachen des Kerkers hielten ihn fest und zwangen ihn seinen Kopf auf den Hof mit dem Galgen zu richten. Die Menschenmenge jubelte, als Olson senior auf die Plattform geführt wurde. Das Urteil wurde verlesen: »Tod durch Strangulation!« Nicht einmal die Gnade eines schnellen Todes wollte man Olson gönnen. Er sollte als Niederster der Niederen hingerichtet werden. Man stellte ihn auf einen kleinen Schemel, legte ihm die Schlinge um den Hals und zog sie fest. Trommeln ertönten, bis der Lordrichter seine Hand senkte. Der Scharfrichter trat gegen den Schemel.
Ole Olson sah den demütigenden Todeskampf seines Vaters und schwor sich Rache. Noch am selben Tag trat er der Bruderschaft der Meuchelmörder bei. Die Ausbildung war hart, zuweilen lebensgefährlich. Mit 20 war Ole Olson ein lizensierter Assassin. Er reaktivierte die Kontakte seines Vaters, nahm dessen Geschäfte wieder auf und wurde zu einem geschätzten und verlässlichen Transporteur heikler Güter. Das Schmuggelgeschäft war nicht nur eine gute Tarnung, es war auch einträglich. Denn Olsons eigentliche Berufung bestand in der diskreten und prompten Beseitigung unerwünschter Personen. Wie das Leben so spielt galt Ole Olsons erster Auftrag dem Verräter seines Vaters.
»Soweit werden wir es schon nicht kommen lassen!«, Erogal lachte zwar, doch schwang ein ernster Ton in seiner Stimme mit, »Aber, was ist mit deinem Beruf, jetzt, wo du ein Drachenreiter bist?«
Ole runzelte die Stirn. Erogal hatte da einen interessanten Punkt vorgebracht: »Welchen meiner beiden Berufe meinst du? Was den Gütertransport angeht, werde ich meine Crew auszahlen. Wenn sie nicht alles auf einmal verprassen, können die damit sorgenfrei bis an ihr natürliches Ende leben können.«
Olson war sehr wohlhabend. Amüsiert musste er feststellen, dass ihm sein ganzes Vermögen nichts mehr bedeutete. Erogal hatte ihm von Daelbar erzählt, einer Gesellschaft in der niemand hungern oder Not leiden musste.
»Ich weiß allerdings nicht, ob mich die Bruderschaft einfach gehen läßt. Es gibt keine pensionierten Assassine. Wer weiß, vielleicht wurde schon ein Preis auf meinem Kopf ausgelobt? Sulomile, was meinst du?«
»Wie gut bist du in deinem Beruf?«
Olson musste grinsen: »Tödlich gut!« Nach einer kurzen Pause fragte Olson vorsichtig: »Schämst du dich, für das, was ich mache?«
»Nein! Ich kenne deine Gedanken und Erinnerungen. Ich kannte sie vor unserer Vereinigung. Es hat mich nicht abgehalten, dich zu erwählen. Du behandelst deine Ziele mit Respekt und läßt sie nicht leiden. Was man von denen nicht sagen kann. Du bist ein Raubfisch unter Raubfischen. Was soll ich sagen? Ich bin, nein, wir beide sind ein Drache. Wir Drachen sind Raubtiere!«
»Drachen sind schon ungewöhnliche Wesen«, schmunzelte Erogal, »Immer wieder für eine Überraschung gut. Sulomile hat offenbar keine Probleme mit deinem Beruf. Und wenn mich nicht alles täuscht, werden wir deine Fähigkeiten in Tharbad bitter nötig haben.«
Tharbad - Ole Olson hasste diese Stadt. Sie war dreckig, korrupt und tödlich. Einen Mörder konnte man sich bereits für zwei Silberlinge dingen. Die Wache der Stadt schaute zu, wenn sie nicht selbst für Bezahlung mordete oder ihre Opfer im Barad Baul auf Nimmerwiedersehen verschwinden ließ. Anderseits konnte man in keiner Stadt leichter untertauchen, als in Tharbad. In Tharbad herrschte nicht das Gesetz des Königs, sondern das des Stärkeren. Was entweder Muskeln oder Golddukaten sein konnten. Nicht umsonst, war Tharbad Ole Olsons Hauptumschlagplatz für delikate Güter. Im Freihafen der Stadt gab es keine Regeln.
»Wir müssen unsere zwei Echsen durch den Zoll bringen. Mit etwas Überredungskunst sollte es allerdings möglich sein, die Aufmerksamkeit der unterbezahlten Staatsdiener auf andere interessante Waren, als zwei überdimensionierte Überseekisten zu lenken.«
»Überseekisten?«, meldete sich Sulogorn, »Sind wir etwa Stückgut?«
»Genau das! Crossanische Salzskulpturen, das Werk ›Drachenzwillinge‹, um es genau zu nehmen. Kein tharbatasischer Zollbeamter interessiert sich für crossanische Kunst.«
Erogal musste lachen. Er kannte crossanische Kunst und wusste wie langweilig und uninspiriert sie war.
Zwei Tage später erreichte der Tanker den Ölhafen Tharbads. Unter allergrößtem Protest hatten Erogal und Ole ihre Echsen mit einer weißen Salzkruste überzogen und vorsichtig in Überseekisten verstaut. Doch Olson Trick funktionierte wirklich. Ein Repräsentant von Olsons legaler Transportfirma begrüsste Erogal und Olson am Pier und kümmerte sich um den Transport der »Crossanischen Kunst«. An der Grenze des Freihafens ließ der diensthabende Zöllner die Kisten öffnen, sah zwei Salzskulpturen, schüttelte den Kopf und unterschrieb die Einfuhrpapiere, an die dezent ein kleiner Umschlag geheftet war, welcher bei der Rückgabe der Papiere dann fehlte. Der Schlagbaum öffnete sich, Erogal, Ole und die Drachen waren in Tharbad.
Ole wählte ein wenig genutztes Lagerhaus als Unterschlupf aus. Im Gegensatz zu einem normalen Lagerschuppen der Lager- und Speicherstadt Tharbads, verfügte es über eine kleine Wohnung, lag relativ dicht am Zentrum und doch gleichzeitig in einem Stadtgebiet, wo sich niemand um die Angelegenheiten seines Nachbarn kümmerte und man relativ ungestört war.
Als erstes wurden Sulogorn und Sulomile aus ihren Kisten befreit und von der inzwischen juckenden Salzkruste befreit. Froh endlich wieder ihre Flügel ausbreiten zu können, flatterten die beiden Echsen munter in der Lagerhalle umher. Groß genug war sie. Zwei verträumt dreinschauende Augenpaare schauten ihnen bei ihren Flugübungen zu: »Ich liebe diese Echsen!«
Am nächstem Tag tauchte Ole Olson in das Gewühl der Stadt ein. Es galt Informationen zu sammeln, ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen. Erogal und Ole hatten sich darauf verständigt, dass die beste Vorgehensweise darin bestand, mich ausfindig zu machen, sollte ich bereits in der Stadt sein. Man wollte mich finden, bevor es jemand anderes tat. Ole entschied, dass er so vorgehen würde als wenn ich eines seiner Ziele wäre. Auch die wären untergetaucht.
Die besten Informationsquellen der Stadt waren ihre Kneipen, Clubs und Nachtbars. Und Ole Olson wusste bereits ganz genau, wen er fragen wollte. Ein Orkhauptmann der Stadt, korrupt bis in die Knochen, frönte seiner Vorliebe für »exklusive Nahrungsmittel«, wie er sie nannte. Dabei handelte es sich um nichts geringeres, als Menschenfleisch. Ein moralischer Sumpf, wie Tharbad, konnte auch derartige Wünsche befriedigen, soweit man dafür bezahlte oder andere Gegenleistungen erhielt. Und so fand sich schnell ein illegaler Club, der sich mit dieser Gegenleistung seine zweifelhafte Existenz erkaufte.
Im konkreten Fall handelte es sich um einen Sexclub, der mit seltenen Schönheiten aus fernen Ländern aufwartete. Dass diese zumeist gegen ihren Willen Liebesdienste erbringen mussten, interessierte in Tharbad niemanden. Da der Club überwiegend von solventen Herren der gehobenen Gesellschaft besucht wurde, die gelegentlich einer Stärkung bedurften, verfügte der Laden auch über eine vorzügliche Küche, die dem Orkhauptmann seine speziellen Speisenwünsche ebenfalls erfüllen konnte. Um ihrem speziellem Gast wirklich immer frische Speisen kredenzen zu können, unterhielt der Koch Kontakte zum hiesigem Scharfrichter. So konnte es durchaus passieren, dass ein morgens Hingerichteter abends bereits im Magen eines Orkhauptmanns der Stadt landete.
Es gehörte zu Ole Olsons Job über derartige spezielle Vorlieben von Schlüsselfiguren der Stadt informiert zu sein. Selbst in Tharbad stand der Verzehr von Menschenfleisch unter schwerster Strafe. Ein Ork konnte damit rechnen selbst Teil der Nahrungskette zu werden, sollte sein Handeln ruchbar werden. Der Orkhauptmann war daher eine ideale Informationsquelle.
»Schmeckts, Krossav?«, Ole Olsons hatte sich unbemerkt in den Club geschlichen und stand mit gezücktem Messer hinter dem Orkhauptmann.
Krossav, der Orkhauptmann der Wache, ließ sich durch dem Stahl der Klinge an seinem Hals nicht weiter stören und fraß weiter: »Zu zäh, warum müssen Triebtäter immer solche dürren Kerle sein. Alles nur Haut und Knochen. Letzte Woche hatte ich einen Mörder, ein Schlachter, stattlicher Bursche. Ich sage nur, delikat! Aber du bist sicher nicht gekommen, um dich mit mir über das Essen zu unterhalten, oder?«
»Nein!«, Ole musste gegen aufkeimende Übelkeit ankämpfen. Liebend gern, hätte er Krossav an Sulomile und Sulogorn verfüttert.
»Was willst du? Zollerklärungen? Passierscheine?«
»Informationen! Ich suche jemanden«, entgegnete Ole.
»Ah, du hast also einen Auftrag. Beschreib mir dein Ziel.«
Ole Olson beschrieb mich so weit er mich in Erinnerung hatte, was ziemlich gut war. Offenbar hatte ich einen deutlichen Eindruck hinterlassen. Krossav hörte zu, kaute dabei weiter auf seinem zähen Triebtäter rum und grunzte.
»Wenn du etwas hörst, gib mir Bescheid, ja?«, Oles Frage klang nach einem Befehl, » Wäre doch schade, selbst in einem Suppentopf zu landen. Orkstew soll bei Schwarzeleben sehr beliebt sein.«
»Jetzt hast du’s geschafft. Mir ist der Appetit vergangen!«, Krossav feuerte sein Besteck auf den Teller, doch Ole Olson war bereits verschwunden.
Wie jedes mal nach einem Besuch bei Krossav, hatte Ole das Gefühl dringend ausgiebig duschen zu müssen.
Neben Krossav standen noch andere Kontaktpersonen auf Oles Informantenliste. Der Hauptmann würde alle Informationen liefern, die über die offiziellen Kanäle der Wache herein kamen. Neben den offiziellen, gab es aber auch inoffizielle. Die Myriaden zum Beispiel, war ein Bande die sich auf Entführung und Lösegelderpressung spezialisiert hatte. Schon so mancher wohlhabenden Familie war der unerlaubte Ausflug ihres männlichen Nachwuchses nach Tharbad teuer zu stehen gekommen, wenn selbiger Filius kurzerhand von den Myriaden einkassiert wurde.
Das einzige, was die Myriaden fürchteten, war die Bruderschaft der Meuchelmörder. Jemand, der von Oles Brüdern gesucht wurde, war für die Gang unantastbar. Sie lieferten sogar nützliche Informationen, um ja nicht den Zorn der Bruderschaft auf sich zu ziehen.
Während Ole Olson seine Quellen anzapfte, versuchte Erogal mit Hilfe seines Meisterbuchs Kontakt zum Gildemeister von Tharbad zu erhalten. Perseus Z’Ul war nicht nur ein alter Freund und Vertrauter Erogals, er stand auch mit den anderen Gildemeistern im Clinch. In Tharbad Dienst tun zu müssen, kam einer Strafversetzung gleich. Erogals Eintreten für Perseus hatte ihn fast selbst in Bedrängnis gebracht. Es war Perseus, der bei Erogal Zweifel am Zustand der Gilde gesät und ein Nachdenken ausgelöst hatte.
»Erogal?«, erschien Perseus schwungvolle Schrift in Erogals Meisterbuch nachdem der Kontakt hergestellt war, »Was kann ich für dich tun?«
»Was würdest du sagen, wenn ich mich über eine Omegadirektive hinwegsetzen würde?«
»Ich würde sagen, dass du endlich erwachsen geworden bist! Gegen welche Direktive gedenkst du zu verstoßen?«
»Es ist Direktive 2. Einer meiner Schüler ist direkt auf eine Beschwörungsglyphe gestoßen.«
»Interessant! Wo bist du?«
»In Tharbad. Ich glaube, dass er herkommt. Wirst du die Direktive befolgen?«
»Wenn du die Antwort nicht kennen würdest, hättest du mich nicht kontaktiert. Ich werde dir helfen, Segato zu finden.«
»Segato? Woher kennst du seinen Namen?«
»Vor zwei Tagen wurden alle Meister informiert, dass die Anweisungen der 2. Omegadirektive durch Segato G’Narn und Erogal D’Santo verletzt wurden. Die Gilde hat einen Preis auf deinen Kopf ausgesetzt, mein alter Freund.«
Drachenfeuer
»Strafe läutert die Seele«
Lordrichter Sebastopol Wax
Lars zeigte sich verwirrt. Nicht nur die drei Drachenreiter stellten seine Überzeugungen in Frage, seine drei Mitkämpfer taten dies ebenfalls.
»Euch stört es nicht, wenn Männer das Bett miteinander teilen?«, fragte er verwundert.
Anger, der die Sprachführerschaft übernommen hatte, antwortet: »Nein, warum sollte es? Darf ich dich fragen, warum es dich stört?«
»Weil es so in unserem Verhaltenskodex steht. Ein Mann hat nicht dem Manne beizuwohnen. Die Kriegerfürsten sagen, dass es die Moral untergräbt.«
»Hältst du alles, was im Verhaltenskodex steht für richtig? Glaubst du, dass zwei Männer, die sich lieben, die Truppenmoral untergraben?«
Lars setzte sich hin. Er hatte das Gefühl, dass er gar nichts mehr wusste. Anger hatte Recht, wenn er ihn auf den Verhaltenskodex hinwies, das Handbuch des Kriegers der Neovikinger. Lars musste schlucken, wenn er daran dachte, wie oft er gegen den Kodes verstoßen hatte. Es war eine Notwendigkeit, wollte man überleben. Der Kodex war jenseits jeglicher Praxistauglichkeit. Hätte er ihn immer befolgt, seine Truppe wäre inzwischen Orkfutter.
»Der Kodex ist Mist, das wissen wir alle«, gestand Lars, »Ein Haufen nutzloser Vorschriften und Verhaltensregeln, die seit hundert Jahren eher lebensgefährlich als nützlich sind. Aber meinst du nicht, dass Männerliebe… Wie kann ein Mann gegen einen anderen Mann kämpfen, wenn er Männer liebt?«
»Kämpfe ich schlecht?«, meldete sich nun Morten zu Wort. Gilfea konnte sehen, dass sich der Neovikinger kaum beherrschen konnte, so wütend war er.
»Nein! Natürlich nicht!«, rief Lars, der gar nicht begriff, wohl auch nicht begreifen konnte, warum Morten diese Frage stellte, »Ihr drei seid die tapfersten, ausdauerndsten und mutigsten Kampfesbrüder, die ich je anführen durfte. Was hat das mit dem Thema zu tun?«
»Alles!«, entgegnete Sören und griff nach Mortens Hand, »Morten und ich sind seit Jahren zusammen. Wir lieben uns und teilen das Bett miteinander. Warum sollten wir weniger mutig sein, als Anger? Anger kämpft für seine Verlobte, dass sie in Frieden und ohne Angst leben kann. Morten und ich kämpfen für die gleichen Ziele. Wir wollen miteinander glücklich werden, doch das können wir nur, wenn wir nicht im Magen eines Orks landen.«
Lars war sprachlos. Bisher hatte er sich nie mit dem Thema beschäftigen müssen. Da war Roderick, ein Vorfahre seiner Familie, der einen Elben liebte. Rodericks Makel trug die Schuld daran, dass Lars härter als andere kämpfen, einfach besser sein musste, um als Krieger anerkannt zu werden. Doch vielleicht war Roderick gar nicht Schuld. Vielleicht waren es die verfetteten, arroganten Kriegerfürsten mit ihren schwachsinnigen Regeln und Vorschriften.
»Ich muss darüber nachdenken«, verkündigte Lars nach einer Weile matt, »Ich muss über vieles nachdenken. Sören, Morten ich vermute, ich sollte mich geehrt fühlen, dass ihr mir euer Geheimnis anvertraut habt. Nach dem Kodex müsste ich euch eures Dienstes entbinden. Aber das kann ich nicht. Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Ihr seid, alle drei, der beste Trupp, den ich je anführen durfte. Ich würde jedem einzelnen von euch, mein Leben anvertrauen. Es wäre falsch, grundverkehrt, euch auszuschließen. Wahrlich, ich muss eine Weile nachdenken. Doch jetzt sollten wir speisen. Ehrenwerte Herren der Drachen, verzeiht, wenn ich unüberlegt gesprochen habe. Darf ich euch einladen, den Abendtisch mit uns zu teilen?«
Gilfea übernahm erneut die Sprachführerschaft: »Wie fühlen uns geehrt und nehmen dankbar an.«
In Windeseile wurden einfache, aber gute Speisen aufgetischt. Würziges Brot, Käse, getrocknetes und geräuchertes Fleisch. Gilfea, Gildofal und Suman steuerten ihrerseits ein paar daelbarische Speisen hinzu. Lars ließ sich sogar dazu hinreißen, zwei Flaschen Wein zu öffnen, obwohl dies nach dem Kodex strengstens verboten war.
Der Wein zeigte erstaunliche Wirkung, er lockerte nicht nur Lars Zunge sondern auch dessen Denkblockaden. Es war nicht so, dass Lars anfing zu lallen oder ernsthaft betrunken zu werden, viel mehr fielen ein paar Hemmungen, Dinge zu fragen, die ihm seit langem auf dem Herzen lagen.
Nach dem zweitem Becher konnten sich die drei Drachenreiter gar nicht mehr vor Fragen zu Roderick retten. Nicht nur Lars, auch Sören, Morten und Anger wollten alles über Roderick wissen. Bei aller Gegenpropaganda der Kriegerfürsten war Roderick ein Volksheld, sogar bei den Kriegern.
»Roderick und dieser Elb, Thonfilas, sind auch noch mit einem Uruk zusammen?«, rief Sören entsetzt, nachdem Suman ein wenig von Daelbar erzählt hatte.
»Nicht mit irgendeinem Uruk, Uskav ist… ähm, speziell. Uskav ist Uskav. Wir wussten es nicht, aber Uruks sind versklavte Wesen. Ein mächtige Fessel schwarzer Magie zwingt sie zu hassen, zu morden und zu kämpfen. Uskav hat seine Ketten zerrissen und sich seiner Versklavung entledigt. Uskav ist einer meiner besten Freunde, ich verdanke ihm mein Leben!«
Gildofals Fürsprache beeindruckte die Neovikinger. Sören und Morten klebten regelrecht an den Lippen der Drachenreiter, dass sie dabei ihre Zurückhaltung aufgaben und dichter aneinander rückten, wurde registriert aber nicht kommentiert.
Der Abend wurde lang, aber nicht zu lang. Lars ging mit einem Kopf voller neuer Gedanken ins Bett, der Rest glücklich und zufrieden. Ein Hauch von Veränderung hing in der Luft.
Der nächste Morgen brach mit einer Alarmmeldung an. Die Neovikinger hatten in der Nähe der Orkfestung ein Netz mit Sensoren aufgebaut, die alle ungewöhnlichen Bewegungen der Orks registrierten und gegenbenenfalls einen Alarm auslösten.
»Ein Orktrupp, gut 500 Mann sind auf dem Weg hier her«, rief Morten, der für das Sensorennetzwerk verantwortlich war.
»Wir werden angegriffen!«, stellte Lars nüchtern fest, »Das heißt Kampf!«
»Wir müssen zu unseren Drachen!«, meinte Gilfea, »Noch ist Zeit für einen Überraschungsangriff.«
Die Entscheidung war gefallen. Die Neovikinger führten die drei Drachenreiter zu ihren Drachen, was länger brauchte, als gut war. Die Orks hatten Späher entsandt, die entweder unschädlich gemacht oder umgangen werden mussten. Es war hellichter Tag, als Lars, Sören, Anger und Morten die drei Drachen erblickten.
»Wow!«, brachte Morten es auf den Punkt. Die Drachen grinsten breit.
»Bereit mein Freund?«, fragte Gilfea Mithval.
Der riesige Drache nahm seine Seele auf und erhob sich zur vollen Größe: »So bereit wie man nur sein kann. Lasst uns Orks grillen!«
Gildofal und Suman folgten auf Eargilin und Tingalen. Es war ungefähr zehn Uhr, die Sonne stand hoch über dem Gebirge. Die Drachen schraubten sich in höchste Höhen, flogen das Gebirge entlang und gelangten so hinter die feindliche Linie, die einen Angriff aus der Luft, geschweige denn von Drachen nicht erwarteten. Mit der Sonne im Rücken stießen die Drachen hinab. Die ersten fünfzig Orks fielen Mithvals Feuer zum Opfer. Tingalen und Eargilin, die noch nicht oder nur, wie Eargilin, über noch wenig eigenes Drachenfeuer verfügten, nutzten in erster Linie ihre Klauen, die nicht weniger tödlich waren, als Mithvals Feuer.
Orks bleiben Orks, auch im Moment einer absehbaren Niederlage. Keiner gab auf. Als die überlebenden Orks zu versprengt waren, um sie vom Drachen aus zu jagen, sprangen Suman, Gildofal und Gilfea von ihren Echsen hinab und zogen das Schwert. Der Kampf war blutig und unerbittlich. Vier Neovikinger, drei Drachenreiter und drei Drachen gegen gut 75 Orks. Der Sandboden des Strandes entlang des Gebirges färbte sich schwarz vom Orkblut. Es stank unerträglich. Tod senkte sich über das Land. Kein Ork überlebte das Gemetzel.
»Ich glaube, ich werde mich niemals daran gewöhnen können, Lebewesen, auch Orks, zu töten«, meinte Gildofal müde, während er sich auf sein Schwert stützte.
»Niemand sollte sich jemals daran gewöhnen. Es ist jedesmal…«, Suman sprach nicht weiter, sondern schüttelte nur traurig seinen Kopf. Gilfea war in der Zwischenzeit zu Lars gerannt, der von einem Orkdolch verletzt worden war. Die Verwundung war noch nicht lebensbedrohlich. Doch die Wunde blutete stark, typisch für vergiftete Orkmesser.
»Ich könnte das heilen«, meinte Gilfea, »Nein, das war unfair. Ich werde das heilen, wenn du das willst. Du solltest allerdings wissen, dass auch wir, Gildofal, Suman und ich, Liebende sind.«
Lars schaute etwas gequält drein, biss sich sogar auf die Lippen »Verdammt!«, schrie er, »Wenn ihr alle so kämpfen könnt, ist mir das egal. Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, mich umzuorientieren.«
»Nichts übertreiben, mein Freund!«, lachte Gilfea und begann seine Hände aufzulegen. Gilfea konzentrierte sich, seine Hände begannen golden zu glühen, sein Geist begann zu wandern. Da war schwarze Magie im Spiel. Die Klinge war nicht vergiftet, sie war verflucht. Jeder, der damit verletzt wurde, lief Gefahr zu verbluten. Nun, es mochte schwarze Magie sein, doch war diese Gilfea kaum gewachsen. Mit einem Schlag seines Geistes zerbrach der Fluch. Gilfea konzentrierte sich weiter, neue Gefäße bildeten sich, die Haut regenerierte und schloss sich.
»Gilfea«, flüsterte Lars geknickt, »Ich schäme mich so. Ich habe über Rodericks Liebe geurteilt, ohne zu wissen, ohne zu verstehen, wovon ich sprach. Ich weiß nicht, was du mit mir getan hast, aber ich fühle etwas. Als du mich berührt hast, war da eine Verbindung, ich kann das nicht beschreiben. Aber ich verstand, wieso ihr euch liebt. Es ist wunderbar. Ich möchte dir etwas versprechen. Ich werde allen Neovikingern die Wahrheit sagen. Kein Kodex mehr! Keinem Kriegerfürsten darf jemals wieder erlaubt sein, zu entscheiden, wen man liebt.«
Gilfea schmunzelte: »Nicht so schnell. Du riskierst viel zu viel. Eure Kriegerfürsten werden nicht zulassen, dass man dir zuhört. Sie werden versuchen, dich zu diskreditieren. Deine Männer brauchen dich, opfer dich nicht für einen weitaus schwierigeren Kampf als ein Orkgemetzel. Doch wenn du es trotzdem tun willst, wir alle stehen hinter dir. Solltest du Probleme bekommen, Daelbar steht jedem offen.«
»Danke, doch dies hier ist meine Heimat. Ich muss etwas verändern. Andernfalls, dass sehe ich jetzt ganz klar, werden wir untergehen.«
Morten, Sören und Anger waren zu Lars hinzugetreten: »Lars, egal was du tust, wir stehen ebenfalls hinter dir.«
»Gut!«, rief Gilfea und grinnste Mithval an, »Da ist immer noch eine Orkfestung, die beseitigt werden will!«
Gilfea schwang sich in Mithvals Sattel, der sich sofort in die Luft erhob. Gildofal und Suman folgten, die vier Neovikinger nahmen den bodennahe Weg. Gilfea spürte Mithvals Wut. Sein Drache kochte, war kaum zu bändigen.
»Was ist los? Hältst du meine Entscheidung die Festung anzugreifen für falsch?«
»Gilfea, nein, mein Freund, meine Seele, ich bin nicht auf dich sauer!«, rief Mithval in Gilfeas Kopf entsetzt, »Diese Orks sind furchtbar. Ich weiß, sie können nichts dafür. Sie wurden so gezüchtet. Trotzdem, sie sind durch und durch böse. In ihnen ist nichts als Hass. Kein Freude am Leben, wie in Uskav. Sie wollen nur eins: töten, töten, töten! Gilfea, deine Skrupel ehren dich! Sie sind der Grund, warum ich dich liebe und verehre. Aber bitte, hilf mir, diese ekelhaften Geschöpfe zu besiegen. Ihr Gift, der Fluch der schwarzen Magie, tötet alles Leben.«
Gilfea antwortete, in dem er Mithvals Zügel in Richtung der Festung Goldors richtete. Dort angekommen, überließ Gilfea Mithval die Kontrolle: »Tu es!«
Wenige Wesen der lebenden Lande hatte jemals einen entfesselten Drachen gesehen und kein Wesen hatte jemals einen entfesselten Mithrildrachen gesehen. Mithval brüllte, dass sich die Neovikinger die Ohren zuhalten mussten. Bereits der erste Feuerstoß ließ die Feste in sich zusammenbrechen. Orks, tausende Orks strömten hinaus und begannen zu kämpfen. Sie hatten nicht die geringste Chance. Mithvals Zorn hatte Tingalen und Eargilin angesteckt. Gegen drei zu allem entschlossenen und entfesselten Drachen war Widerstand sinnlos. Der Kampf zog sich über drei Stunden hin. Die Orks versuchten sich zu sammeln und gegen die Drachen anzukämpfen, wurden aber jedesmal deutlich dezimiert. Es intressierte sie nicht. Ebenso entfesselt wie die Drachen, gerieten die Orks in Raserei und kämpften bis zum bitteren Ende. Nicht ein Ork gab auf, alle starben.
Wer nicht starb, war eine handvoll goldorianischer Soldaten. Obwohl sie ebenfalls versuchten die Drachen zu verletzen, wurden sie von den Echsen ignoriert. Ganz im Gegensatz zu den Neovikingern, die Auge in Auge den Kampf mit den Soldaten antraten. Es waren sechs, wovon einer von Lars und zwei von Morten erschlagen wurden. Die restlichen drei ergaben sich.
»Mein Name ist Lars, Anführer der Neovikinger, und ihr seid meine Gefangenen. Ihr habt widerrechtlich unser Land betreten, einen Stützpunkt errichtet und unser Gebiet mit dem Gift der Orks verseucht. Ihr werdet euch für eure Verbrechen vor einem Gericht der Neovikinger verantworten. Morten, Sören führt sie ab!«
Mit dem Angriff auf den nördlichen Posten Goldors schlugen die Drachenreiter und Neovikinger einen Weg ein, bei dem es kein Zurück gab. Eine Antwort des wesentlich stärkeren südlichen Postens würde nicht lange auf sich warten lassen. Interessanterweise kam die erste Reaktion von den Kriegerfürsten der Neovikinger, die anfänglich den Angriff der Drachenreiter auf die Goldorianer auf das schärfste verurteilten und Lars ultimativ aufforderten, die Kämpfe einzustellen. Doch hatten die Fürsten nicht mit ihrem eigenen Volk gerechnet. Als die Nachricht bekannt wurde, dass ein Teil der besetzten Landes von Feinden befreit wurde, brach öffentlicher Jubel aus. Der Druck auf die Krieger stieg, ihre zögerliche, teilweise sogar stillschweigend duldende Haltung gegenüber den inoffiziellen Besetzern endlich aufzugeben und zurückzuschlagen. Nur widerwillig entschied man, Lars ein paar Mann zur Unterstützung zu schicken. Ein Fehler. Der Zorn der Zivilbevölkerung kochte über. Lars war innerhalb weniger Stunden zum Held geworden. Ihm war mit Hilfe dreier Mann und ein paar Drachenreitern gelungen, wozu die Kriegerfürsten seit Jahren nicht in der Lage waren. Man fragte sich, wozu derart unfähige Kämpfer nützlich waren.
Plötzlich ging alles sehr schnell. Das mit Kriegern und Zivilisten gleich stark besetzte Parlament trat zu einer Sondersitzung zusammen. Mit Arroganz und penetranter Gelassenheit versuchten die Kriegerfürsten Lars Sieg klein zu reden und als Gefährdung für den Frieden darzustellen. Man wusste, wie man das Spiel im Parlament zu spielen hatte. Die Fürsten selbst stellten nur eine kleine Gruppe Abgeordneter innerhalb der Kriegerfraktion, besetzten aber alle Spitzenpositionen. Noch nie hatte jemand in der Fraktion gewagt, sich gegen die eigene Spitze zu stellen. Daher kam es regelmäßig zu einem Patt, die Zivilisten und Krieger blockierten sich gegenseitig.
Doch diesmal war alles anders. Mehr als die Hälfte der Krieger stellte sich offen gegen ihre eigenen Führer und auf die Seite der Zivilisten. Mit überwältigender Mehrheit wurden die Kriegerfürsten sämtlicher Ämter enthoben und die Verteidigung des Landes einer gemeinsamen Führung unterstellt. Der erste Befehl lautete: »Unterstützung für Lars!«
Innerhalb weniger Stunden trafen über dreißig Mann zur Verstärkung und fünf, um die Gefangenen zur Hauptstadt der Neovikinger zu führen, ein. Lars und seine Männer wurden wie Helden gefeiert. Ein Funke war übergesprungen und hatte das Volk der Neovikinger aus einem lange währenden Dämmerschlaf erweckt. Man hatte tatenlos zugesehen, wie Goldor mit seiner aggressiven Expansionspolitik Teile der Lande der Neovikinger besetzte und nichts unternommen, weil ihre militärische Führung dies für »wenig Weise« und »gefährlich« hielt.
Doch so vergleichsweise simpel der Angriff auf die erste Festung verlief, so kniffelig war die zweite, die südliche Festung. Sie war nicht nur doppelt so groß, in ihr waren auch Eliteverbände der Orks untergebracht. Die Zahl der menschlichen goldoriansichen Soldaten war hingegen dort ebenfalls recht gering. Späher und Kundschafter gingen von etwa zwanzig Mann aus. Neben der deutlich höheren Feindeszahl war natürlich auch der Überraschungsmoment nicht mehr gegeben. Die Nachricht vom Fall der nördlichen Feste hatte sich längst bis zur südlichen Feste verbreitet. Man hatte Zeit eine Gegenstrategie zu entwickeln und die Festung zu verstärken.
Gilfea entschied, dass schnelles Handeln angesagt war. Je weniger Zeit der Feind für Vorbereitungen erhielt, so besser für die Drachen und Neovikinger. Sobald sich alle Mann gesammelt hatten, brachen Lars und Gilfea auf. Die Aufgaben waren klar verteilt. Die Drachen sollten den Luftangriff übernehmen, während Lars Truppen den Bodenkampf übernahmen. Ohne die Drachen wäre der Angriff natürlich purer Selbstmord gewesen. Fünfundreißig Mann gegen rund zweitausend Orks stellte sicherlich keine militärische Option dar, doch der Einsatz von drei Drachen schaffte ausgeglichene Verhältnisse.
Die Drachen flogen los. Aus großer Höhe erkundeten die Echsen und ihre Reiter das Terrain. Die südliche Festung war direkt am Meer errichtet worden. Sie verfügte sogar über ein Bootshaus und einen kleinen Pier. Ansonsten war die Anlage klassisch aufgebaut. Dicke Mauern und Wehrtürme umspannten ein rechteckiges Gelände.
Wie es schien, war das Glück auf der Seite der Neovikinger. Offenbar war den goldorianischen Orktruppen zwar bekannt, dass sie einen Angriff erwarten mussten, dass dieser aber aus der Luft erfolgen würde, war ihnen offensichtlich unbekannt. Die Soldaten Goldors hatten ihre Orks für einen bevorstehenden Bodenangriff aufgestellt. Strategisch sehr klug, wollten sie die Neovikinger in einen Hinterhalt locken. Direkt vor der Feste wären Orks aus verborgenen Verbänden den Neovikingern in den Rücken gefallen. Ein guter Plan, solange man nicht mit Drachen rechnete.
Gilfea informierte Lars mit Hilfe Mithvals vom Plan der Goldorianer. Der Gegenplan bestand nun darin, den Goldorianern ebenfalls eine Falle zu stellen. Sie sollten die Neovikinger schlucken. Dazu mussten sie aber selbst ihre schützenden Positionen aufgeben und wurden dadurch für die Drachen zur leichten Beute.
Lars willigte sofort ein mit seinen Männern den Lockvogel zu spielen. Sie marschierten los. Die Drachen schraubten sich in die Luft und kreisten im Schutz der Sonne über den Truppen. Es kam wie geplant. Kaum hatte Lars die Feste erreicht, strömten von allen Seiten Orks mit schrecklich kreischendem Kampfgebrüll heran. Die Neovikinger zogen ihre Schwerter und machten sich bereit. Die Orks lachten. Ein jämmerlicher Haufen von fünfundreißig Mann hatte nicht die geringste Chance gegen eine fast tausendfache Übermacht.
Doch plötzlich stießen aus heiterem Himmel drei Drachen herab. Die ersten fünfhundert Orks gingen innerhalb weniger Sekunden in Mithvals Drachenfeuer auf. Suman und Gildofal rissen mit Tingalen und Eargilin tiefe Schneisen in die Linien der Orks. Eargilins bisher schwaches Drachenfeuer wurde immer kräftiger und röstete etliche Orks. Der Schlachtplan Goldors kippte. Man war von einem schnellen erbarmungslosen Schlag gegen die Neovikinger ausgegangen und nicht von Drachenangriffen aus der Luft. Die Feste war so gut wie unbesetzt und schutzlos. Nachdem die Drachen die Orks auf wenig mehr als 150 eingedampft hatten, signalisierte Lars, dass sie mit dem Rest selbst zurecht kommen würden. Die Drachen und ihre Reiter wandten sich der eigentlichen Feste zu.
Das heimtückische am Verrat ist, dass er immer dann zuschlägt, wenn man ihn am allerwenigsten erwartete. Gildofal, Gilfea und Suman setzten zum Sturzflug auf die Feste an, als sich in einer von Sumans Packtaschen etwas rührte. Voll auf den Kampf und den Angriff konzentriert, bemerkte er nicht, dass sich ein Wolf, der abtrünnige und verräterische Steinschlag, Suman von hinten näherte. Genau in dem Moment, als Gilfea Mithval die Festung mit Feuer einhüllen lassen wollte, schlug Steinschlag zu. Er sprang Suman in die Schulter und biss zu. Der Drachenreiter verlor sein Gleichgewicht. Tingalen versuchte Sumans Sturz abzufangen, doch das misslang. Durch den Sturzflug waren sie bereits zu tief, um geeignete Manöver fliegen zu können. Suman fiel in den Innenhof der Festung, nicht tief, so dass sein Sturz nicht lebensgefährlich war, doch tief genug, dass er sich nicht mehr rührte.
»Suman!«, rief Gilfea, während Mithval blitzschnell seinen Kopf hochriss, um sein bereits entfachtes Feuer in den Himmel zu entladen. Schließlich wollte er Suman nicht rösten. Von einer Sekunde zur nächsten wendete sich das Blatt erneut. Aus der Festung wurden Jagdlanzen auf die Drachen abgefeuert. Zum Glück handelte es sich um altmodische Exemplare ohne magische Suchköpfe, doch zwangen sie die Drachen sich zurück zu ziehen und ihren Freund und Geliebten zurück zu lassen.
Aus großer Höhe mussten Gilfea und Gildofal, Mithval, Tingalen und Eargilin mitansehen, wie eine Hand voll goldoriansicher Soldaten Suman packten und mit sich zu einem Rennboot schliffen. Die Soldaten gaben die Feste auf. Die Schlacht um die Freiheit der Neovikinger war gewonnen, doch zu welchem Preis? Suman war ein Gefangener Goldors.
Der Kampf um Daelbar
»Liebe geht durch den Magen«
Orksprichwort
»Eine Orkarmee?«, fragte Uskav nach, wobei sich seine Stirn verfinsterte. Thonfilas hatte sich still und ohne dabei aufzufallen von Uskav gelöst und blitzschnell angekleidet. Während Franciscus die von den Spähern Daelbars gelieferten Informationen erläuterte, brachte sich auch Uskav in einen gesellschaftsfähigen Zustand. Nachdem der Uruk sein immer noch erigiertes Glied in seiner Lederhose verstaut hatte, war es Franciscus auch möglich seinen Blick von Uskav loszureißen.
»Genaugenommen sind es zwei Heere. Eins kommt von Süden, das zweite von Osten angerückt. Sie werden sich in der Ebene von Daelbar vermutlich vereinigen.«
Die Ebene von Daelbar lag vor den Stadtmauern der Stadt. Daelbar selbst war an und auf den Hügeln und Bergen nördlich davon errichtet worden. Südlich davon erstreckte sich eine weite Ebene, umrahmt von Bergketten. Eine Heer, egal ob Orks, Menschen oder Zwerge, die sich auf dieser Ebene sammelten, beging einen tödlichen Fehler. Es gab wenig Rückzugsmöglichkeiten. Die Schluchten, die von Osten und Süden zur Ebene führten waren nicht sonderlich breit. Auf der Ebene selbst gab es wenig Deckung und Rückzugsmöglichkeiten. Zwei Hand voll Drachen genügten, um jeden Feind in Schach zu halten und, wenn nötig, zu vertreiben. Der Angriff zweier Orkheere auf Daelbar war somit äußerst ungewöhnlich.
»Das ist seltsam«, brachte es Roderick auf den Punkt, »Ein Orkheer, selbst dieser Größe, würden wir innerhalb kürzester Zeit aufreiben.«
»Ja«, pflichtete Uskav bei, »Da muss mehr hinter stecken. Das muss ich mir näher ansehen.«
Narsul war zwar immer noch eine Jungdrachendame, aber für einen Ausflug mit Uskav war sie auf jeden Fall alt genug, zumal Roderick auf Caransil, Akira Yamato und Johannes, alles erfahrene Reiter, Uskav begleiteten. Man flog in Formation. Akira Yamato mit Seregsil und Johannes auf Kifilan sicherten die Flanken. Roderick übernahm die Führung, während Uskav auf Narsul in der Mitte flog.
Uskav als amtierender Oberbefehlshaber der Streitkräfte und erfahrenster Stratege entschied, zuerst das von Osten heranströmende Heer anzufliegen, da dieses bei der Ankunft der Drachenreiter die Sonne vor sich haben würde. Uskav erhoffte sich daraus einen kleinen taktischen Vorteil zu ziehen. Da Narsul immer noch ein Jungdrache war und noch nicht zwischen den Welten fliegen konnte, benötigte man knapp zwei Stunden, um das Orkheer zu erreichen. Als es in Sicht kam mussten selbst die abgebrühten Drachenreiter, wie Johannes und Akira, schlucken. Das Heer war riesig. Wie eine schwarze, zähe Flüssigkeit strömten mehr als zwanzigtausend Orks in Richtung Daelbars.
»Das wird ekelhaft!«, war Uskavs einziger Kommentar. Vorsichtig steuerte er Narsul dichter an die Orks heran, doch plötzlich scheute Narsul.
»Was ist? Narsul, was hast du?«
»Diese Orks! Sie sind… widerlich!«, rief Narsul in Uskavs Kopf und klang dabei, als wenn sie von Ekel befallen war.
Normalerweise folgt ein Drachen den Fluganweisungen seiner Seele blind und ohne zu zögern. Doch Narsul konnte nicht näher an die Orks heranfliegen. So sehr sie sich selbst zwang, den Wunsch Uskavs zu erfüllen, so stark war auch der Widerwille weiter zu fliegen. Diese Orks waren widerlich. Narsul verstand es nicht. Wie alle Drachen hasste sie Orks und hätte keinen Wimpernschlag gezögert, über sie her zu fallen, doch sich diesen Orks zu nähern, war einfach unmöglich. Ja näher sie kam, desto größer stärker keimte in ihr ein Ekel auf, der sie regelrecht lähmte. Narsul musste abdrehen. Uskav fühlte, dass sein Drache Probleme hatte und überließ es Narsul, den Flugweg zu bestimmen.
»Uskav, es tut mir Leid, aber ich kann diesen Orks nicht näher kommen. Es ist… widerlich!«
»Es ist gut, meine Kleine! Es ist gut!«, tröstete Uskav Narsul und streichelte ihre Flanke, »Lass uns ein wenig zurück fliegen.«
Die kleine Flugstaffel drehte ab und flog ein gutes Stück zurück. Uskav beobachtete seine Freunde und stellte wenig überrascht fest, dass sie ebenfalls Probleme mit ihren Drachen hatten. Nachdem sie alle eine Strecke zurückgelegt hatten, für die die Orks gut zwei Stunden brauchen würden, ließ Uskav die Staffel landen.
»Was war da eben los? Was ist mit unseren Drachen?«, fragte er unmittelbar nach der Landung.
»Hast du es nicht gespürt?«, fragte Roderick verwundert.
»Was?«
»Dieser Ekel! Caransil und mir ist in der Nähe dieser Orks so übel und schlecht geworden, ich hätte mich fast übergeben.«
»Diese Orks sind widerlich! Ich komme nicht gegen sie an! Ich kann mich ihnen nicht nähern!«, erläuterte Caransil.
»Ihr habt alle das gleiche gespürt? Euch geekelt?«, fragte Uskav nach. Drachen und Drachenreiter nickten.
»Du nicht?«, fragte Akira.
»Nein, überhaupt nicht«, erwiderte Uskav nachdenklich, »Was auch immer mit diesen Orks ist, mich scheint es nicht zu betreffen.«
Uskav überlegte. Wenn er die Situation richtig einschätzte, hatte jemand ein Mittel gefunden, das Orks für Drachenreiter und Drachen unangreifbar machte. Zwei Heere dieser neuen Art Orks marschierten auf Daelbar zu. Die Stadt war schutzlos. Kein Drache und Drachenreiter würde gegen diese Orks kämpfen können. Damit war die Stadt verloren. Die Bäcker, Tischler, Lehrer, Maurer und Händler der Stadt waren keine Krieger. Vielleicht konnten die Zauberer in der Drachenreiterschule etwas gegen einige der Orks ausrichten, aber nicht gegen zwei riesige Heere von insgesamt über 50.000 Orks.
Jemand hatte ein Mittel gefunden mit dem man Daelbar besiegen konnte. Man brauchte ein Gegenmittel. Mann? Nein, Uskav brauchte ein Gegenmittel. Nur wie sollte man dies beschaffen, wenn man nicht wusste, was es war, das die Drachen und ihre Reiter zurückweichen ließ.
»Uskav, mein Freund, was überlegst du?«, Roderick hatte sich zu Uskav gesetzt.
»Turondur hat die Verantwortung über Daelbar in meine Hände gelegt. Und momentan sieht es so aus, als wenn unsere Stadt unter meinen Händen zerstört werden wird. Die Drachen können nicht gegen diese Orks kämpfen. Die Stadt ist wehrlos. Fliehen? Die Drachen könnten fliehen, aber was ist mit all den anderen, die in Daelbar leben? Wir sind ihr Schutz. Sie geben uns Drachen ein Heim und Nahrung, während wir ihre Stadt, ihren Frieden und ihre Freiheit beschützen. Wir können nicht fliehen. Wir müssen diese Orks besiegen!«
»Wie sollen wir das tun?«, fragte Roderick, »Du hast keine Vorstellung davon, wie lähmend der Ekel vor diesen Orks ist. Wäre Caransil näher herangeflogen, wir wären ohnmächtig geworden.«
»Dann gibt es nur eine Lösung!«, Uskav hatte einen Entschluss gefasst, »Wir müssen erfahren, was an diesen Orks anders ist. Da ich der einzige bin, der sich ihnen nähern kann, werde ich gehen. Ich werde mich unter sie mischen und versuchen, etwas in Erfahrung zu bringen. Wir müssen schnell handeln. Für eine Weile muss ich wieder Uskav, die Mordmaschine werden.«
»Aber nicht so! Du siehst nicht mehr aus wie ein Ork noch riechst du so!«, mischte sich Narsul ein.
Der Drache hatte recht. Uskav roch zwar herb und würzig, aber er stank nicht mehr nach Blut und Tod. Uskav überlegte. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit nach Uruk zu stinken: ein ordentliches Blutbad.
»Ihr habt Narsul gehört?«, alle nickten, Uskav riss sich sein Kettenhemd von der Brust, knöpfte sein Schwertgehänge ab und reichte beides Roderick, »Heb dies bitte für mich auf. Es ist zu elegant und sauber für einen Ork. Ich werde jetzt in die Wälder rennen und ein paar Wildschweine erlegen, zerfleischen und in ihren Blut baden. Ich kann verstehen, wenn ihr euch den Anblick nicht antun wollt.«
»Ich bleibe!«, entgegnete Roderick fest, »Ich weiß, dass das nicht du bist!«
Uskav ging auf Roderick zu, umarmte ihn und küsste ihn tief und intensiv: »Ich liebe dich, mein Freund!«
»Beiß mich!«, antwortete Roderick und schockierte Uskav.
»Was sagst du?«, Uskav war entsetzt.
»Du weißt so gut wie ich, dass Wildschweinblut nicht überzeugend ist. Nicht diese Orks! Doch der Geruch von frischem menschlichen Blut…«, Roderick sprach nicht weiter.
»Ich weiß, was du meinst, aber das kann ich nicht tun!«, rief Uskav, wohl wissend, dass sein Freund recht hatte. Wollte er als umherstreunender Uruk durchgehen, musste er wie ein Uruk riechen.
»Doch du kannst und du wirst es tun!«, entgegnete Roderick fest entschlossen, »Beiß mir ins Bein oder in meine Schulter! Caransil wird mich sofort nach Daelbar bringen, wo mich die Heiler sofort behandeln werden. Es kann nichts passieren.«
Die anderen Drachenreiter standen sprachlos daneben. Was Roderick vorschlug, war schockierend und beängstigend. Aber der Neovikinger hatte wirklich Recht.
Uskav ging auf Caransil zu: »Was sagst du?«
»Kannst du Roderick beißen, ohne ihn zu verstümmeln oder zu töten?«
Uskav sah dem Drachen direkt in die Augen: »Ja, das kann ich. Ich liebe diesen Mann, ich würde mich eher selbst töten, als Roderick Schaden zuzufügen.«
»Dann tu gefälligst, was er sagt!«
Uskav grinste. Dies war eine typische Drachenantwort. Der Uruk ging zurück zu Roderick: »Schulter oder Bein?«
Der Neovikinger schloss seine Augen: »Schulter!«
»Ich liebe dich, Neovikinger!«, sprachs und rammte seine Fänge in Rodericks Schulter. Dieser brüllte vor Schmerzen auf. Uskav hatte tief und fest zugebissen, ohne jedoch dabei eine wichtige Ader verletzt zu haben. Trotzdem blutete es kräftig, außerdem fehlte ein Stück von Rodericks Schulter.
»Schnell, Verbandszeug!«, rief Uskav, der Roderick in seinen Armen hielt. Akira war als erstes mit Verbandsmaterial zurück und Uskav konnte wieder einmal seine detaillierten Kenntnisse über menschliche Anatomie unter Beweis stellen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er Rodericks Blutungen gestoppt und die Wunde fachgerecht versorgt.
»Und, wie schmecke ich dir?«, fragte Roderick mit einem schmerzverzerrten Grinsen auf den Lippen.
»Ehrliche Antwort?«, antwortete Uskav mit blutverschmiertem Mund.
Roderick nickte: »Immer!«
»Delikat!«, grinste Uskav und wurde danach sofort ernst, »Schnell, setzt ihn auf Carasil und fliegt alle zurück nach Daelbar. Narsul, meine Liebe, du bleib bitte in der Nähe. Sollte ich Erfolg haben, werde ich dich brauchen.«
Uskav half noch mit Roderick auf Caransil zu setzen und in seinem Sattel festzubinden. Kaum bereit, sprang Caransil in die Luft, beschleunigte und tauchte mit einem Blitz zwischen die Welten ein. In wenigen Momenten würde Roderick in guten Händen sein.
»Meine Freunde, fliegt auch ihr zurück. Mobilisiert die Stadt. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchen werde, um Antworten zu finden. Die Zeit könnte knapp werden. Daelbar muss vorbereitet sein!«
Die anderen Drachenreiter nickten schweigend. Sie wussten nur zu gut, dass Uskav aller Wahrscheinlichkeit nach in seinen sicheren Tod rannte. Denn die Chancen wirklich etwas zu erfahren, waren verschwindend gering. Uskav hatte viel größere Chancen, zum Appetithappen einer seltsamen neuen Orkrasse zu werden.
»Was du heute für Daelbar tust, wird niemals vergessen werden!«, sprach Johannes aus, was alle dachten.
Nachdem die Drachenreiter in Richtung Daelbar aufgebrochen waren, begann Uskav in die entgegengesetzte Richtung zu rennen, den Orks entgegen. Uruks waren Wesen von erstaunlicher Kraft und Ausdauer. Es dauerte nicht lange, da konnte er das Orkheer bereits hören. Uskav schlug sich in die Büsche, abseits des Hauptwegs und wartete.
Orkheere marschieren nicht, wie die Armeen der Menschen, in strammer und geordneter Linie, sondern ungeordnet und chaotisch. Rangeleien und sogar Schlägereien unter den Orks gehörte zur Tagesordnung und wurde von den höhergestellten Uruks teilweise geduldet, teilweise mit harter Hand unterbunden.
Verborgen in seinem Versteck musste Uskav nicht lange warten, bis die ersten Orks an ihm vorbeimarschierten. Von Sekunde zu Sekunde wurden es mehr, bis ihn bald eine wahre Orkflut umströmte. Obwohl Uskav tief in sich hineinhörte und fühlte, verspürte er keinen Ekel oder Benommenheit, wie seine Drachenreiterfreunde und Drachen. Doch etwas war an diesen Orks anders. Sie rochen anders, sie sahen auch etwas anders aus und wirkten kräftiger, als normale Orks. Dieser Geruch erinnerte Uskav an etwas.
»Dann mal los!«, dachte Uskav und erhob sich aus seinem Versteck, um im Strom der Orks einzutauchen. Wie er erwartet hatte, bemerkte niemand, dass er nicht dazu gehörte. Viel mehr hielten die Orks eher etwas Abstand zu Uskav, schließlich war er ein Uruk, dessen Zorn man nicht erregen wollte.
»Gut, das hat schon mal geklappt!«
Selbst Uskav als verwandte Art mochte keine Orks. Sie waren dumm, gewalttätig und nur bedingt kontrollierbar. Doch ihr schlimmster Fehler war ihre enervierende Redseligkeit, doch gerade auf die setzte Uskav seine ganze Hoffnung. Er musste nur zuhören, früher oder später, so hoffte er, würde einer etwas interessantes ausplappern.
»Oh, wie ich mich auf das Drachenfleisch freue!«, gackerte ein Ork.
»Träum weiter! Die Drachen sind nur für die Oberen. Wir bekommen nur den Abschaum!«
»Einen Elben? Sag mir, kann ich einen Elben fressen?«
»Du? Einen Elben? Du bekommst vielleicht einen fetten alten Zwergen zu fressen, aber bestimmt keinen Elben!«
»Auch gut!«, rief der erste Ork, voller Vorfreude, »Oh, diese widerlichen Echsenmenschen werden Augen machen, wenn sie uns sehen!«
Uskav spitzte seine Ohren. Das Gespräch schien interessant zu werden.
»Oh ja!«, pflichtete dem ersten Ork ein anderer bei, »Sie sind so jämmerlich, diese Drachen, sie können niemanden ihrer Art töten und fressen.«
»Stimmt!«, dachte Uskav, »Das machen nur Orks und Uruks.«
Uskav stutzte. Niemand ihrer Art? Was bedeutete das? Waren die Orks Drachen? Uskav wäre fast vor Schreck stehen geblieben. Dieser neue Geruch der Orks, sie rochen ganz entfernt nach Drachen. Wie konnte das möglich sein?
»Das Drachenblut!«, gleißend hell flammte die Erkenntnis in Uskavs Schädel auf. Wozu hatte Boldin Drachenblut benötigt? Um eine neue Orkarmee zu züchten, gekreuzt mit der magischen Essenz der Drachen. Kein Wunder, dass die Drachen sich ekelten. Für die Drachen waren die Orks ein Scheußlichkeit, die sie krank machten. Das Drachenblut muss, so überlegte Uskav, durch Beschwörungen und schwarze Zauberkraft in etwas dunkles und böses verwandelt worden sein. Wie Schwarzelben für andere Elben, war die Nähe zu diesen Orkdrachenbastarden für die Drachen pures Gift. Der einzige Grund, warum Uskav immun war, schien daran zu liegen, dass er ein Uruk war und schwarze Magie durch seine Adern pulsierte.
Doch was bedeutete dies für Daelbar und seine Bewohner? Gab es eine Rettung? Uskav hatte Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, zu bedrückend war die Erkenntnis um das Geheimnis der Orks. Uskav musste plötzlich an Thonfilas und Roderick denken, seine Freunde, die ihm das Wesen der Liebe gezeigt hatten. Er konnte sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Er, Uskav, musste eine Lösung finden.
»Uskav!«, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme in seinem Kopf, »Du kennst die Lösung - Drachenblut!«
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