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Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt
Teil 12
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Informationen
- Story: Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt
- Autor: Neskaya
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Inhaltsverzeichnis
XXXIII
Der Himmel brannte lichterloh. Flammen in allen Regenbogenfarben züngelten über den Horizont, tauchten das Land in gespenstisches, unstetes Licht. Immer wieder explodierten zwischen den schillernden Flammen rote Feuerbälle mit lautem Donnern, wie wenn sie gegen ein unsichtbares Hindernis prallen würden. Vor dem Gasthof sah Felix, wie die durch den Drachen angelockten Elben mit schreckverzerrten Gesichtern Richtung Osten blickten und wild durcheinander schrien. Er beugte sich gerade aus dem Fenster, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, als ein dumpfes Grollen ihn instinktiv nach dem Fensterrahmen greifen ließ. Keinen Augenblick zu früh, wie er in aufkeimender Panik feststellen musste.
Welle um Welle ließen starke, wuchtige Stösse die Erde erbeben. Der Boden schwankte unter Felix' Füßen. Eine kleine, an der Wand befestigte Malerei fiel hinunter. Felix stürzte hart auf den Fußboden. Mit blutig aufgeschrammten Händen und Knien kauerte er sich unter dem Fenster an die Wand. Glas splitterte krachend, als die offenen Fensterflügel gegen die Wand schlugen. Schützend hielt Felix seine Hände vors Gesicht, als die Scherben wie ein Eishagel auf ihn niederregneten. Er musste hier unbedingt raus. Es war lebensgefährlich, bei solch einem Beben im Haus zu bleiben. Rasiermesserscharfe Splitter bohrten sich unbarmherzig in die aufgeschürfte Haut, als er auf allen Vieren zur Tür kroch. Immer wieder drückte Felix sich flach auf den Boden, wenn eine neue Welle das Haus erschütterte, schützte seinen Kopf vor herab fallenden Putzstückchen.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht erreichte er atemlos die Türe, lehnte sich gegen den stabil wirkenden Türrahmen. Sein Herz hämmerte hart gegen seine Rippen. Gepeinigt blickte er auf seine Hände. Kleine Glassplitter steckten in den Schnittwunden, glitzerten unheilvoll. So konnte er unmöglich weiter. Felix biss die Zähne zusammen und zog die spitzen, blutbeschmierten Splitter aus seinen Wunden, so gut es ihm alleine, mit zerschundenen Fingern, möglich war. Sein linker Hemdsärmel musste daran glauben. Felix krallte die verletzte Hand in den weichen Stoff, stieß zischend den angehaltenen Atem aus. Schmerz wütete in seinen Handflächen. Entschlossen riss er den Ärmel herunter, teilte ihn mit Händen und Zähnen in zwei Streifen, die er sich mühsam um die mit Blut und Staub verschmutzen Hände wickelte.
Stille. So schnell wie die krachenden Blitze, die kräftigen Erdstöße über sie hinweggefegt waren, so schnell waren sie verschwunden. Lediglich schwache Nachbeben ließen den Boden leicht erzittern. Das Schlimmste schien überstanden. Doch Felix traute der trügerischen Ruhe nicht. So gut es ihm in seiner Verfassung möglich war, lief er auf wackeligen Beinen durch die Tür, den schmalen Flur entlang und stieg vorsichtig, dennoch in ängstlicher Eile, die schmale Treppe hinunter. Trotz stechender Schmerzen, die bei jeder Berührung wie Feuer durch seine Arme schossen, klammerte er sich fest ans Geländer. Die Beben mochten schwächer geworden sein, doch immer wieder schwankten die vermeintlich sicheren Stufen unter seinen Füßen. Nur knapp entging er einem Sturz, als eine augenscheinlich unbeschädigte Stufe plötzlich unter ihm durchbrach. Haltsuchend krallten sich seine Hände fest: Schmerzgepeinigt schrie er auf, zog sich hoch bis seine Füße wieder sicheren Boden unter sich spürten. Endlich im Erdgeschoss angekommen blickte er sich hastig um. Überall waren Spuren der Verwüstung zu sehen, lagen zerbrochene Bilder, Lampen oder Blumentöpfe am Boden.
Felix hörte ein klägliches Wimmern und blickte sich suchend um. Neben der Tür, die zum Speisesaal führte, lag Lucanja neben einer umgestürzten Kommode. Ihr Arm stand in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Er eilte zu ihr, kniete sich neben die verletzte Ba'nei. »Lucanja.« Ihre Lider flatterten, sie kam zu sich. »Jungchen, was ist hier los?«, fragte sie ihn mit matter Stimme. Verwirrt blickte sie ihn an. Ihr sonst zu einem straffen Knoten geschlungenes Haar hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht, Blut und Schmutz klebten an ihrer Stirn. »Woher kommen diese Beben?«
»Wir müssen schnell hier raus! Der gesamte Horizont steht in Flammen. Ich fürchte, dass Zadok dahintersteckt.« Behutsam, um sie nicht noch mehr zu verletzen, schlang er einen Arm um ihre Taille und zog sie hoch.
Lucanja machte das Zeichen gegen das Böse. »Mögen die Götter uns davor bewahren. All die Jahrhunderte war unser Reich vor ihm sicher, schützte uns Ishans Bann. Ishan, großer Lichtgott, steh uns bei.« Bann? Felix brannten unzählige Fragen auf der Zunge, doch nun war keine Zeit für so etwas. Auch wenn es der kleinen Ba'nei nicht klar war, sie mussten hier schnellstens raus, bevor das nächste starke Beben noch das Haus zum Einstürzen brachte.
Felix wankte. Seine behelfsmäßigen Verbände waren blutig, pochende Schmerzen wüteten in seinen Handflächen. Den Schmerz ignorierend zog er die Ba'nei näher um sie besser stützen zu können. Nach wenigen Minuten erreichten sie die Haustür und stolperten ins Freie.
»Manju«, Yagoda zog am Ärmel des Elben, wies auf das hinter ihnen liegende Gasthaus. »Hilf den beiden! Hier unter freiem Himmel sind sie am sichersten, so lange diese Beben anhalten.« Bedrückt blickte der Grünling wieder zum fernen Horizont, tiefe Sorgenfalten gruben sich auf seine Stirn. Wie viele Stöße würden die Gebäude der Stadt noch aushalten können?
»Felix, Lucanja, kommt ich helfe euch.« Der Elb stützte die beiden, zog sie mit sich, hinaus auf die Wiese. Sachte ließ er Lucanja zu Boden gleiten. Yashi beugte sich über sie, untersuchte mit kundigem Blick ihre Verletzungen.
Felix kauerte sich neben Manju und Yagoda ins Gras, blickte jedoch fasziniert und gleichzeitig voller Angst auf das schillernde Farbenspiel am Horizont. »Yagoda, diese Flammen, Lichter, die Erdstöße, was ist das?«
»Zadok greift die Ba…«
»Passt auf!« Manju brüllte den anderen Elben Warnungen zu, presste sich auf den Boden, als ein neuerliches starkes Beben die Erde aufstöhnen ließ. Laute Schreie, Rumpeln, ersticktes Stöhnen drangen aus der Stadt zu ihnen. Grimmig deutete Manju auf den Flammenhimmel. »Wenn dies nicht bald aufhört, steht in der Stadt kein Stein mehr auf dem anderen. Akshareen wurde nicht gebaut, um solchen Erdbeben standzuhalten.«
Mit bleichem Gesicht wandte er sich an die beiden Grünlinge. »Ist dies der Beginn? Wie lange wird die Barriere diesen geballten Angriffen noch standhalten können?«
Yashi blickte ihn ernst an. »Die Barriere Ishans hält, zumindest im Augenblick. Beten wir, dass sie es auch weiterhin tun wird.«
Ein ungutes Gefühl stieg in Felix auf. Er hatte seine Freunde noch nie so erlebt. Der leichte Anflug von Hoffnungslosigkeit in Manjus Stimme. »Was geschieht, wenn sie diesen Bann brechen können?«
»Du bist bereits einigen von Zadoks Dienern begegnet. Es waren immer nur wenige, die durch kleine Risse in der Barriere eindringen konnten. Doch wenn es Zadoks Heerscharen gelingt, als Ganzes durchzubrechen…«
»Sie werden wie Heuschrecken über Akshar herfallen«, flüsterte Felix erschüttert. Yashi nickte.
»Ja. Es werden aber nicht nur Dunkelelben sein. Keiner weiß, welche abscheulichen Kreaturen der Finsternis noch in Zadonia lauern, nur zu gerne bereit ihre Klauen in unsere Körper und Seelen zu schlagen.«
Sie rasteten an den Ufern des Bashnu. Es war erst früher Nachmittag und Panjaru wäre lieber bis zum Abend durchgeflogen, doch er musste an seine Seelengefährtin denken. Sie war ein junger Drache, der bisher noch nie mit mehr als einem Reiter geflogen war. Auch wenn die Sorge um seinen Bruder sich wie eine Stahlklaue um sein Herz legte, Goldauge brauchte eine kleine Verschnaufpause.
Kaum waren ihre Reiter abgestiegen flitzte Goldauge zum Fluss. Panjaru schmunzelte. Manchmal erinnerte sie ihn wirklich an einen Seedrachen. Genau wie diese fühlte sie sich von Wasser magisch angezogen. Er füllte die leeren Flaschen auf, während Goldauge, Kopf unter Wasser, nach Flussbarschen fischte um sich zu stärken.
Panjaru ließ sie weiterfressen, kehrte zu Konjaru zurück. Es schnürte dem jungen Drachenkrieger die Kehle zu. Seinen Bruder so geschwächt zu sehen erschütterte sein Weltbild. Konjaru, der große Drachenkrieger, der bereits in so jungen Jahren den Rang eines Hauptmanns innehatte. Seine innere Gelassenheit und Kraft waren Vorbild für viele Rekruten. Panjaru konnte sich noch gut daran erinnern, wie seine Mitschüler in der Akademie abends in den Aufenthaltsräumen mit ehrfürchtigem Flüstern Geschichten über einen der jüngsten Offiziere ihrer Geschichte erzählten. Er straffte die Schultern. Egal welche Mühen er auf sich nehmen musste, niemand außer den Heilern sollte seinen Bruder in diesem Zustand zu Gesicht bekommen. Dies war er ihm und der Familie schuldig.
Der junge Krieger setzte ein gelassenes Gesicht auf, kniete neben seinen Bruder, der sich gegen die Provianttaschen gelehnt ausruhte. »Hey, versuch etwas zu trinken.« Sachte half er ihm auf, setzte die Flasche an seine Lippen. Konjaru trank, lächelte Panjaru zu.
»Danke, kleiner Bruder.« Erschöpft schloss er die Augen, ließ sich zurück ins Gras sinken. Bald würden sie weiterreisen, doch er war so müde, unendlich müde.
Goldauge hatte sich wieder zu ihnen gesellt, stupste ihren Gefährten sanft mit der Schnauze an. Panjaru seufzte, wandte sich um und streichelte über ihre Nüstern. Große, amethystfarbene Augen blickten ihn besorgt an. Er seufzte, schlang die Arme fest um ihren schlanken Hals, presste sein Gesicht gegen sie. Ihre Frage hallte durch seinen Kopf, erinnerte an einen hellen Glockenklang. Auch jetzt noch, sieben Monde nach ihrer Verschmelzung, erstaunte und beglückte ihn der telepathische Kontakt jedes Mal aufs Neue.
»Ich weiß, Goldauge. Er wird immer schwächer.« Er spürte die Kraft und Energie, die durch den Körper des Drachen pulsierte, genoss den stummen Austausch mit seiner Seelengefährtin. Ein letztes Mal liebkoste Panjaru die silbergoldenen Schuppen, bevor er sich von ihr löste um seinem Bruder auf ihren Rücken zu helfen. Sobald auch er sicher hinter Konjaru auf Goldauge saß, stieß sie sich vom Boden ab, erhob sich in die Lüfte und flog weiter Richtung Heimat.
Es geschah, als sie das östliche Hügelland überquerten. Panjaru informierte seinen Bruder über die neuesten Ereignisse zu Hause, lenkte ihn ab. Plötzlich schrie Goldauge auf, in seinem Kopf hämmerte es. «Was ist los, meine Schöne?« Doch sie brauchte ihm nichts mehr zu erklären. Eben noch aufrecht vor ihm sitzend sackte Konjaru bewusstlos in sich zusammen. Nur das beherzte Zugreifen Panjarus bewahrte ihn vor einem tödlichen Sturz in die Tiefe. Der Drachenkrieger zog seinen Bruder eng an seine Brust, nestelte mit der anderen Hand die Schärpe von seinen Hüften, schlang sie eilig um den Bewusstlosen, band ihn an sich fest. Konjarus Kopf fiel nach hinten. Er war aschfahl. Kleine Schweißperlen rannen über sein Gesicht, die Atmung wurde immer flacher. Mit fliehenden Händen tastete Panjaru nach Konjarus Puls. Verzweifelt schrie er auf. «Goldauge, er stirbt! Er stirbt uns weg. Hilf mir!« Seine Furcht und Verzweiflung schwappten wie eine dunkle Welle auf seine Gefährtin über. Ungeweinte Tränen brannten in seinen Augen.
«Panjaru, so lange noch Leben durch Silberklaues Adern pulsiert, so lange wird sein Seelengefährte am Leben bleiben. Die Ältesten werden alles in ihrer Macht stehende versuchen, damit wir unseren Lichtdrachen nicht verlieren. Wenn wir es rechtzeitig schaffen wollen, werde ich Deine Hilfe brauchen.«
Die wärmende Kraft des Drachens hüllte ihn ein. Langsam drangen ihre Worte durch seinen verzweifelten Geist, beruhigten ihn. Sie hatte Recht, er musste einen kühlen Kopf bewahren. «Was kann ich tun? Wir sind über eine Tagesreise vom Drachenreich entfernt. Selbst Silberklaue brauchte für die gesamte Strecke zwei Tage.«
Goldauge schnaubte verächtlich in seinem Kopf. Er trug mehrere Passagiere auf seinem Rücken, die zudem keine Draconi waren. Man sollte meinen, dass ihr auf der Akademie auch Drachenzauber durchgenommen habt.«
«Nein! Du bist nicht frisch ausgeruht. Deine Kraft…«
«Reicht vollkommen aus, wenn Du, Panjaru, nicht an meinen und Deinen Fähigkeiten zweifeln würdest. Hältst Du mich etwa für einen dummen Drachen? Nein? Gut!« Etwas sanfter fuhr sie fort. «Wir sind eins, mein Seelengefährte. Jede Faser meines Seins leidet mit Dir, fürchtet um Konjarus Leben. Vertrau dem magischen Kern Deiner Seele, vertraue mir und wir werden noch heute Abend zuhause sein.«
Panjaru nickte, schloss die Augen, ließ sich fallen. Sein Geist, seine Seele verschmolz mit seiner Gefährtin, ihre Gedanken, ihre Magie, ihr Herzschlag waren eins. Er spürte die gewaltigen Kräfte, die in dem doch noch so jungen Drachenkörper steckten. Die Luft um sie herum flirrte, als Goldauge den Zauber webte. Pure Energie schoss durch ihre Körper, hüllte sie ein. Überrascht riss Panjaru die Augen auf. Es war, als ob sie auf einem Strahl reinen Lichtes durch die Lüfte reiten würden. Die Landschaft unter ihnen glitt immer schneller an ihnen vorbei, bis außer dem Licht nichts mehr zu sehen war.
Mit wackeligen Knien erhob Felix sich, half der verletzten Lucanja auf die Beine, so gut es mit den notdürftig bandagierten Händen möglich war. Es war vorbei, vorerst zumindest. Wären nicht seine Verletzungen, die besorgten Gesichter seiner Freunde und die immer noch schwach aufflackernden Flammen am Horizont, er hätte dies für einen schrecklichen Alptraum gehalten. Während Manju Befehle brüllte, die überall verstreuten Elben in der Nähe des Gasthofes zu sich rufend, blickte Felix sich um. Die Erdstöße hatten großen Schaden angerichtet. Etliche Dachziegel hatten sich gelöst, lagen zerschmettert vor dem Haus. Risse zogen sich durch die Fassade, Bodenplatten waren gesprungen. Aus der Stadt drang Geschrei und Wehklagen zu ihnen. Felix dachte an die oft eng zusammengebauten Häuser, die belebten Straßen und Gassen. »Hoffentlich ist der Schaden so gering wie möglich«, murmelte er.
»Ich fürchte, es wird viele Verletzte, sogar einige Tote geben. Vom Schaden an den Gebäuden ganz zu schweigen.« Yagoda schwebte neben ihm. »Geh mit Lucanja zu Vadins Tempel. Die Priester sind ausgebildete Heiler. Die meisten werden wir in der Stadt brauchen, doch es werden sicherlich einige zurückbleiben. Lucjanas Bruch muss unbedingt gerichtet werden, ihre Schnitt- und Schürfwunden verarztet. Auch Deine Hände sollte sich ein Heiler ansehen. Du wirst sie noch brauchen, unverletzt.«
Er verließ Felix, schwebte zu Manju hinüber, der inzwischen die Elben um sich versammelt hatte. Zwei Torwachen hielten einen verletzten Kameraden in ihrer Mitte, die behelfsmäßig angebrachten Verbände um Brust und Kopf waren vollgesogen mit Blut. Yagoda schüttelte den Kopf. »Bringt ihn sofort zu einem Heiler!«
Der Grünling wandte sich an die Elben. »Oberleutnant Manju, nehmt die unverletzten Männer, holt Heiler und bringt sie in die Stadt. Wir müssen wissen, wie schwerwiegend die Schäden sind, wie es dem Volk geht. Kehrt anschließend zurück, erstattet dem Rat Bericht.«
Manju nickte. »Ich werde mich umgehend darum kümmern, Ratsherr Yagoda.«, passte er sich der förmlichen Anrede durch den Grünling an. Dass überhaupt noch jemand wusste, dass er in seiner Jugend in der aksharischen Armee gedient hatte. Seit Jahren hatte er zusammen mit einer handvoll ausgesuchter Krieger nur noch Sonderaufgaben für seinen Onkel erledigt.
Doch egal ob aktiv im Dienst oder nicht, wenn ein Mitglied des Rates einen Befehl erteilte, würde er ihn befolgen. Er straffte sich, bellte einige knappe Befehle. Zufrieden stellte er fest, dass seine Männer trotz der erschütternden Ereignisse des Morgens genau so handelten, wie es sich für Soldaten geziemte. Nach einem letzten Gruß eilten die Elben in verschiedene Richtungen davon. Einzig zwei Torwachen blieben auf ihren Posten.
»Yashi«, Yagoda wandte sich an seinen ehemaligen Schüler. »Bring den Jungen und Lucanja zu Vadins Tempel. Suche danach den Dekan der Universität auf. Finde alles, was über den Bann je geschrieben wurde. Wir haben uns immer darauf verlassen, dass er uns schützen wird.« Er blickte müde. »Ich werde Baumagier und Schutzmagier zusammenrufen. Gebäude müssen stabilisiert werden, die Stadtmauern mit Schutzzaubern besprochen werden. Im Gegensatz zu den Grenzstädten erschien es uns nie nötig, für Akshareen dieselbe komplexe Schutzmagie in die Mauern einzuweben.«
»Ihr Herren, habt ihr meinen Jungen gesehen?« Lucjanas Stimme zitterte, als sie das Gespräch der beiden Grünlinge unterbrach. Doch ihre Sorge ließ sie vergessen, dass sie als Ba'nei sich nicht einfach in Unterhaltungen eines Ratmitgliedes einmischen sollte. »Wo ist Tano?«
»Wo hast Du ihn das letzte Mal gesehen, Lucanja?« Yagoda schwebte neben sie, legte seine Hand beruhigend auf ihre Schulter.
»Er sollte die Gästezimmer saubermachen. Ich habe ihn hoch geschickt, kurz bevor das Beben begann.«
»Ihr da«, Yagoda winkte die Torwachen zu sich. »Begleitet Yashi ins Gasthaus.« »Yashi, nimm die Wachen mit, sucht nach dem Jungen. Ich bleibe mit Felix hier bei Lucanja.« Die beiden Grünlinge tauschten einen langen Blick. Die klaffenden Risse in der Fassade des Gebäudes verhießen nichts Gutes. Aufmunternd plauderte Yagoda mit der Ba'nei, während sie mit bangen Blicken zum Gasthof blickte, den Yashi und die Wachen eben betreten hatten.
XXXIV
Sie waren nun seit über einer halben Stunde im Gasthof, doch von Lucanjas Sohn keine Spur. Ratlos blickten die Wachen den kleinen Grünling an. »Seid ihr sicher, dass der Junge hier drin sein soll?«, fragte der eine. »Wir haben das Haus von Kopf bis Fuß durchsucht, doch keine Spur von ihm.«
»So sagte es seine Mutter. Kommt, kehren wir zurück. Sie sollte erfahren, dass er nicht im Haus ist.«
Als die drei aus dem Gasthof traten, wurden sie bereits von den anderen erwartet. Lucanja eilte zu Yashi. Vergessen waren die Verletzungen, die Schmerzen, es zählte nur ihre Sorge um ihren Sohn. Seit dem Tod ihres Mannes war er das Einzige, das ihr von ihm geblieben war.
»Wo ist Tano?« Verwirrt blickte sie sich um. »Weshalb habt ihr ihn nicht mit hinausgebracht?« Panisch krallte sie sich in Yashis Tunika fest, starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Wo ist mein Sohn?!?«
Behutsam löste Yashi ihre verkrampften Finger aus seiner Tunika, strich ihr sanft übers Haar. »Keine Bange, Lucanja. Dein Tano war nicht im mehr im Haus. Er wird sich hinaus gerettet haben, versteckt sich. Er ist sicherlich bald wieder zuhause bei Dir.«
Tränen der Erleichterung traten in Lucanjas Augen. »Ihr Götter seid gepriesen!« Sie umarmte dankbar Yashi und lachte vor Freude.
Felix freute sich. Er mochte diesen stillen schüchternen Jungen, der ihn immer so bezaubernd anlächelte, wenn er ihm begegnete. Ob Tapani das Beben ebenfalls überlebt hatte? Ein Schatten huschte über sein Gesicht, bei dem Gedanken daran, dass Tapanis Platz in ihrem Bett heute Morgen wieder leer gewesen war.
Während sich Lucanja noch überschwänglich bedankte und die Götter pries, schlenderte Felix durch den Vorgarten des Gasthauses. Völlig in Gedanken versunken achtete er nicht auf den Weg. Plötzlich stolperte er, fiel beinahe zu Boden. Ärgerlich wirbelte er herum, und erstarrte.
Mitten auf dem Weg, halb zwischen Lucanjas heißgeliebten Rosenbüschen lag ein junger Mann, regungslos, die dunkelblonden Haare blutverklebt. Die Stelle war vom Haus aus nicht einsehbar, daher hatten sie ihn bisher nicht entdeckt. »Yashi! Kommt schnell!« Felix brüllte. Sein Blick ruhte unverwandt auf dem regungslosen, zierlichen Körper. Er kniete sich hin und drehte ihn vorsichtig, geradezu behutsam, auf den Rücken. Entsetzt sprang Felix auf. Glasige Augen starrten ihn an, brannten sich tief in sein Gedächtnis. Es war Tano. Sein Kopf lag in einer Blutlache, eine klaffende Wunde zog sich über die rechte Seite des Kopfes, wo der heruntergefallene Dachziegel sich tief in den Schädel des Jungen gebohrt hatte. Leichenblass drehte Felix sich zu den anderen um, zitterte am ganzen Leib.
Das Blut rauschte in seinen Ohren, sein Atem stockte. Eisige Kälte machte sich in ihm breit, schlug die Klauen tief in sein Herz, bis er glaubte, es würde aufhören zu schlagen. Sein Magen verkrampfte sich und Wellen der Übelkeit stiegen in ihm auf. Würgend stürzte er davon, kniete sich nieder, übergab sich. Immer wieder hatte er das Bild des Jungen vor sich, wie er mit eingeschlagenem Schädel in seinem Blut lag. Nie mehr würde er das scheue Lächeln auf Tanos Lippen sehen, nie mehr würde das helle, klare Lachen des Jungen durch den Gasthof schallen. Etwas in Felix zerbrach, während etwas anderes, tief in ihm erwachte. Jemand würde dafür bezahlen müssen.
Seine Augen brannten vor ungeweinten Tränen. Es war nicht gerecht, so sinnlos. Tano hatte sein gesamtes Leben noch vor sich, bevor Zadoks Angriffe auf die Barriere diesem ein jähes Ende setzten. Wütend, verzweifelt begrub er das Gesicht in seinen Händen, bevor er aufstand, zu den anderen zurückkehrte.
Yashi reichte ein Blick in das entsetzte, blasse Gesicht des Jungen, als dieser davon stürzte. Etwas Schreckliches musste geschehen sein. Doch es war zu spät, um Lucanja diesen Anblick zu ersparen. Mit einem lauten Aufschrei stürzte sie zu ihrem Sohn, warf sich über seinen leblosen Körper, brach schluchzend zusammen. Das herzzerreißende Wehklagen Lucanjas erfüllte die Luft, als einer der Torwächter sie sanft an sich zog, sie von der Leiche wegbrachte. Wimmernd barg sie den Kopf an seiner Brust. Yashi zog seinen Umhang aus, legte ihn über Tanos Gesicht. Keine Mutter sollte ihren Sohn jemals so sehen müssen.
Felix sah, wie ein grüner Funke von Yagodas Finger sprang, die verzweifelte Mutter einhüllte. Lucanja sank gegen die Brust des Elben. Sie schlief.
»Yagoda?«
Yagoda blickte Felix traurig an. »Mehr kann ich für sie nicht mehr tun. Selbst Magie kann eine derartige Verletzung, wie Tano sie hat, nicht heilen. Lucanja ist selbst verletzt. Sie wird noch viel Kraft für die kommende Zeit brauchen. Sie muss sich erholen, sonst wird sie daran zerbrechen. Die Wachen werden sie ins Ratsgebäude bringen, dort sind Heiler, die ihr helfen werden. Außerdem gibt es freie Gästezimmer, die ihr benutzen könnt. Ich denke nicht, dass ihr im Gasthof schlafen solltet, bevor nicht ein Baumagier bestätigt, dass dieses Haus sicher ist.«
Felix blickte ihn schmerzerfüllt an. »Warum musste Tano sterben? Es ist nicht gerecht.«
Yagoda erschrak ob der tiefen Trauer in Felix Blick. Er hatte vergessen, dass dieser nicht viel älter als der junge Tano war. Ein junger Mann, der die Grausamkeit des Lebens wohl noch nie so klar vor Augen hatte. »Das ist der Tod so gut wie nie, mein Junge. Komm, begleite mich. Ich muss zur Ratsversammlung und Du brauchst einen Heiler für Deine Hände.« Yagoda zog den widerstrebenden Felix mit sich, überließ es Yashi Darshans Priesterinnen zu rufen. Sie würden den Leichnam des Jungen aufbahren, die Verbrennungszeremonie vorbereiten. Bis zum Abend würde auch Lucanja wieder in der Lage sein, Abschied von ihrem Sohn zu nehmen.
Noch einmal strich er über die dichten, schwarzbraunen Locken, die sich in einer Flut auf die Kissen ergossen, blickte in glasige, weit aufgerissene Augen.
Der zarte, beinahe schon magere Körper lag leblos da, zeugte von der erlittenen Qual der letzten Stunden. Dumme Sklavin. Glaubte dieses Halbblutmädchen wirklich, dass sie ihm, dem Herrscher Zadonias einfach widerstehen konnte? Sein Finger strich langsam über ihre aufgeplatzten Lippen, die blauen Flecken und Quetschungen, welche sich dunkel von der fahlen Haut abhoben.
Ihre Schreie, ihr Widerstand, das Schluchzen und Flehen bis sie sich schlussendlich wimmernd ergab, das knackende Geräusch des brechenden Genicks. Der letzte Schritt war so leicht gewesen. Nicht anstrengender, als ein Streichholz zu zerbrechen. Ein kurzes, befriedigtes Lächeln umspielte seine Lippen bei den Gedanken an die vergangene Stunde. Törichtes Wesen, es hätte sich nicht wehren sollen, schließlich war es nicht einmal mehr jungfräulich gewesen. Es hätte geehrt sein sollen, dass er es sich nahm.
Doch nun war es genug. Zadok erhob sich vom Bett, griff nach dem seidenen Morgenrock. »Paruk!«, donnerte seine Stimme durch sein Schlafgemach und die angrenzenden Räume. Gerade schlang er den Gürtel um die Hüften, verknotete ihn, als die Tür aufging. Ein älterer, von zahllosen Narben entstellter Mann trat ein, verneigte sich tief.
»Ihr habt gerufen, mein Gebieter.«
Zadok wies auf das große Bett, das mit den wuchtigen Pfosten, den schweren dunklen Vorhängen den Raum dominierte. Paruk trat näher ans Bett, sah den leblosen Körper mit dem seltsam abgewinkelten Kopf zwischen den zerwühlten Laken liegen. Mit unbewegter Miene blickte er auf, direkt in Zadoks Gesicht.
»Herr, die übliche Beseitigung für Sklavenleichen oder habt ihr einen besonderen Wunsch?«
»Was kümmert es mich, wohin Du es schaffst. Wirf es über die Klippen, verfüttere es an die Geier. Entferne es umgehend aus meinen Gemächern, lass die Laken wechseln.«
Geistesabwesend schweifte Zadoks Blick ein letztes Mal über die Tote. »Wie alt war es wohl, Paruk? Vierzehn, fünfzehn? Ein Alter, in dem es bereits Kinder haben könnte.«
Paruk nickte. »Das Mädchen, Amalina, war fünfzehn Winter alt. Sie hinterläßt einen kleinen Sohn, noch keine zwei Winter alt.«
Zadoks Augen leuchteten kurz auf. »Herkunft?«
»Vermutlich ein elbischer Vater, ein Angehöriger der Palastwache. Da jedoch die Mutter bereits ein Bastard war, ist es schwer zu sagen.«
Die Priester würden sich freuen. Kinder waren viel bessere Opfergaben an die Dämonen als die halbverhungerten Seltlingssklaven, die sonst ihr Leben auf den Altären aushauchten. Sollte er auch noch von zwei Seiten her elbisches Erbe in sich tragen, würde sein Blut den Wert des Opfers um ein vielfaches erhöhen.
»Finde den Knaben und bringe ihn zu den Priestern. Sie werden dieses Opfer zu schätzen wissen.«
Der Diener nickte. »Wie ihr wünscht und befehlt, mein Gebieter.«
»Ach ja noch etwas, Paruk.« Zadok wies erneut auf die Leiche. »Sorg dafür, dass dies schnell beseitigt wird. Es erfreut mich nicht länger.« Mit diesen Worten wandte er sich ab, trat auf den Balkon. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel. In der Ferne sah er die auflodernden Flammen, die Bayuna und ihre Leute unermüdlich gegen diesen verfluchten Bann schleuderten. Nicht mehr lange und sie würde fallen. Triumphierend reckte er die Faust gen Himmel. »Bald, sehr bald Illari werde ich mich rächen. Dann wird auch für Akshar nie mehr die Sonne scheinen.«
Den zarten Körper in den Armen verließ Paruk das Schlafgemach seines Herrn, trug sie durch die dunklen Flure. Arme, kleine Amalina. Erst Freiwild für die Palastwache, wie es alle Sklavinnen mit Seltlingsblut waren, nun dieser sinnlose Tod. Nein, er würde »es« nicht einfach wie Müll entsorgen. Er brauchte nur bis zur Nacht zu warten. Trotz des ewigen Dämmerlichtes in Zadonia war es noch zu hell, um ungesehen aus dem Palast zu entkommen.
»Du wirst ein Begräbnis erhalten, wie es sich gehört, meine geliebte Enkelin«, flüsterte er ihr zu. Schweren Herzens dachte er an einen kleinen Jungen, der wohl gerade in der Küche spielte. Nichtsahnend, dass sein Schicksal besiegelt war. Vor den scharfen Dolchen der Priesterschaft gab es kein Entkommen.
Eine einzelne Träne rann über Paruks Wange.
Angesichts der Opfer beschloss der Rat, erst am nächsten Tag die Geschehnisse zu erörtern. Das Volk brauchte nun Zeit zu trauern.
An diesem Abend brannten viele Feuer, erhellten den nächtlichen Himmel über Akshareen mit ihrem Schein, erinnerten an die Opfer, die dieser erste Angriff Zadoks auf die Barriere gekostet hatte.
Felix, Yashi, Yagoda, Lucanja und Tanos Verwandte versammelten sich vor der Stadt um den Scheiterhaufen, auf dem die Priesterinnen Darshans Tanos Leichnam aufgebahrt hatten. Selbst Manju, der mit der Koordination der Aufräumarbeiten alle Hände voll zu tun hatte, stand neben Felix, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.
Umgeben von einem Blumenmeer wirkte er friedlich, als würde er nur schlafen. Die Flammen loderten hoch gen Himmel, begleitet von den melancholischen Totengesängen der Priesterschar, als sie endgültig Abschied nahmen.
XXXV
Eine Hand legte sich auf Felix' Schulter. Er wandte den Kopf. Im Schein der erlöschenden Glut erkannte er eine der grau gewandeten Priesterinnen Darshans, die die Verbrennungszeremonie geleitet hatten. Sie schob ihre Kapuze zurück. Eine unendliche Ruhe ging von ihr aus, umgab sie wie eine zweite Haut. Sie hob die Hand, wischte ihm mit einem Zipfel ihres Ärmels die Tränen von den Wangen. »Dein Freund ruht nun in Darshans Schoß, befreit von allen irdischen Bürden. Sei gewiss, dass er nicht leidet. Es sind wir, die zurückbleiben und trauern.«
Sie legte ihm die Hände auf den Kopf, segnete ihn. Felix fühlte ein leichtes Prickeln. Spürte, wie seine aufgepeitschten, wirren Gefühle von Wut und Trauer ruhiger wurden. Dankbar blickte er sie an. »Ich…« Er brach ab. Es war Trauer, die nun in ihrem Blick lag. Verwirrt forschte er in ihrem Gesicht.
»Die Auserwählten der Götter haben nie einen leichten Weg vor sich. Zürne nicht länger dem Schicksal. Denke immer daran, dass der Tod nicht Dein Feind ist, er ist nur eine andere Form des Lebens. Geh nun, Junge. Deine Freunde sind bereits in die Stadt zurückgekehrt, schöpfen frische Kraft für all die Aufgaben, die noch vor ihnen liegen. Wir werden hier wachen, bis auch die letzte Glut erloschen ist. Es waren viele Feuer, die heute Nacht brannten. Möge der Segen Darshans mit Dir sein.«
Sie wandte sich ab, ließ Felix alleine. Er war verwirrt. Ob der Segen der Todesgöttin wirklich mit ihm sein sollte? Felix wusste es nicht. Diese Priesterin war eine erstaunliche Frau. Kurz fragte er sich, was sie bei der Segnung gesehen hatte.
Die Straßen Akshareens waren menschenleer. Auf dem Marktplatz, wo sonst das pure Leben herrschte, stand ein großes Zelt, in dem die Heilerinnen und Heiler der Stadt die Verletzten versorgten. Die Lichtkugeln, die durch das Beben heil geblieben waren, zeigten schonungslos, welch Unglück die Stadt heimgesucht hatte. Es gab kaum ein Haus, durch dessen Fassade sich keine Risse zogen, vor dem keine Mörtelbrocken oder Dachziegel lagen. Die dicht aneinander gebauten Häuschen der Ba'nei hatte es am Schlimmsten getroffen. Beim Anblick von eingestürzten Wänden, in sich zusammengefallenen Häusern überlief Felix ein kalter Schauer. Er schlang die Arme um sich, lief eilig weiter.
Die Torwachen vor dem Eingang zum Ratsbezirk ließen ihn ohne Schwierigkeiten durch. Doch Felix ging nicht in sein neues Schlafquartier. Er ließ sich vor dem Gasthaus ins Gras sinken. Kühler Wind fuhr ihm durchs Haar, er fröstelte. Ob Tapani in einem der zerstörten Häuser gewesen war? Warum war er nicht hier, bei ihm. Der Ba'nei musste doch wissen, dass er sich Sorgen machen würde. Felix seufzte. Es konnte doch nicht sein, dass Manju mit seinem Verdacht Recht behalten würde. Nein, es konnte einfach nicht sein. »Oh Tapani, wo bist Du nur?«
»Felix?« Eine vertraute Gestalt kam auf ihn zu, humpelte. Im Schein der Lichtkugeln, die den Weg zum Ratsgebäude säumten, erkannte er den Geliebten. Schrammen im Gesicht, schmutzige Kleidung, zerrissenes Hemd. Das Beben war auch an Tapani nicht spurlos vorbeigegangen.
»Wo warst Du? Verdammt noch mal, ich hatte Angst um Dich. Du hättest genau so tot sein können, wie der arme Tano!« Wütend schrie er den Ba'nei an, stürmte auf ihn zu. Tapani zuckte zusammen.
»Tano ist tot? Arme Lucanja…«
»Ja, er ist tot. Was glaubst Du, wie ich mich gefühlt habe? Erst stiehlst Du Dich mitten in der Nacht aus unserem Bett, verschwindest ohne einen Ton zu sagen und kommst erst jetzt zurück!« Felix redete sich in Rage. Angst, Wut, Enttäuschung, alles entlud sich in seinen Worten.
Tapani erbleichte. Was war nur mit seinem kleinen, anschmiegsamen Freund geschehen? »Glaub mir, ich wollte Dich nicht beunruhigen. Ich war in der Stadt wegen dringender Geschäfte, schließlich kann ich nicht einfach tagelang auf der faulen Haut liegen.« Treuherzig blickte er den Jüngeren an, seine Augen heischten um Vergebung.
»Was für eine Arbeit erfordert es bitte schön, dass Du mitten in der Nacht aus unserem Bett schleichst? Ich verstehe nicht, wie Du ohne ein Wort zu sagen immer wieder Stunden, wenn nicht gar Tage einfach spurlos verschwinden kannst.« Felix blitzte Tapani wütend an.
Tapani widerstand der Versuchung die widerspenstige Strähne, die Felix ins Gesicht fiel, zurückzustreichen. Im Augenblick würde seine Hand wohl weggeschlagen werden. Wie konnte er Felix nur dazu bringen, ihm zu glauben, zu vertrauen?
»Felix, versteh bitte. Es war für mich eben nicht anders möglich. Ich habe vor unserer Begegnung noch einige Aufträge angenommen, bereits dafür die ersten Anzahlungen kassiert. Ich musste diese noch erledigen. Doch nun ist die Arbeit getan. Ich werde Dich nicht mehr alleine lassen.«
Ein langer, kalter Blick. Felix brauchte nicht zu sagen, dass er ihm kein Wort mehr glaubte. Tapani seufzte. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Er durfte Felix nicht verlieren. Angestrengt dachte er nach, nagte an seiner Unterlippe.
Mit hängendem Kopf druckste er herum. »Felix, ich… ich glaube, dass Du ein Recht hast, alles zu erfahren. Können wir uns irgendwo drinnen unterhalten? Die Nacht ist frisch und ich friere ohne meinen Umhang.
Felix überlegte kurz, nickte. »Wir haben neue Schlafkammern im Ratsgebäude. Bevor nicht ein Baumagier bestätigt, dass dieses Haus sicher ist, dürfen wir es nicht betreten. Du wirst in der Stadt ja sicher auch festgestellt haben, dass viele der Leute die Nacht nicht in ihren Häusern verbringen. Also komm.«
Ohne zurückzublicken wandte er sich ab, lief mit eiligen Schritten auf das Ratsgebäude zu. Er wollte diese Unterhaltung endlich zu Ende bringen. Nach kurzem Zögern straffte sich Tapani, eilte hinter seinem Freund her. »Ramuo, sei gnädig« murmelte er, darum betend, dass Felix ihn wieder in seine Arme schließen würde.
»Wohin wollt ihr?« Die Wachen am Eingangstor versperrten ihnen den Weg, musterten sie abfällig.
»Wir sind Gäste des Rates. Diese Nacht schlafen wir hier, so lange der Gasthof gesperrt ist. Vielleicht sollten wir Ratsherr Yagoda rufen, um die Wahrheit meiner Worte bestätigen zu lassen.« Felix platzte beinahe der Kragen. Er hatte es so satt, dass Elben ihn immer wieder so verächtlich musterten, als wäre er nichts weiter als Dreck unter ihren Schuhen.
Der jüngere Elb wandte sich an seinen Kameraden, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er musste wohl Felix erkannt haben, denn nun machte man ihm und Tapani bereitwillig Platz. »Geht nach links, dann die Treppe hinunter. Ratsherr Yagoda hat die reservierten Kammern beschriften lassen.«
Kein Wort der Entschuldigung, nichts. Doch Felix wollte sich nicht mit der Wache streiten. Er winkte Tapani hinter sich her. Schweigend stiegen sie die Stufen hinunter zu den Gästequartieren, vorbei an den kleinen Lichtkugeln, die den langen Flur nur spärlich erhellten.
Genau wie es der Elb gesagt hatte. An jeder der vielen Türen hing ein kleines Pergament. Die Bewohner des Gasthofes waren wohl nicht die Einzigen, die heute Nacht hier untergebracht waren. Nach kurzem Suchen fanden sie die richtige Kammer. Mit leisem Knarren öffnete sich die massive Holztüre, als Felix dagegen drückte. Sie traten ein. Die Kammer war nur spärlich eingerichtet. Ein Bett, ein kleiner Waschtisch und ein Stuhl waren die einzigen Möbelstücke. Eine an der Wand befestigte Öllampe sorgte für etwas Licht. Gewiss war dies besser, als draußen unter freiem Himmel zu nächtigen. Doch Felix sehnte sich nach dem hübsch eingerichteten Zimmer des Gasthauses.
Tapani schloss die Tür hinter sich. Hier, zusammen mit Felix in diesem kleinen Raum kam ihm die Distanz zwischen ihnen noch größer vor. »Felix.«
»Ja? Du wolltest mit mir drinnen weitersprechen. Wir sind hier.« Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen die Wand. »Ich habe es satt, dass Du immer nur dann auftauchst, wenn Du mit mir schlafen willst. Bedeute ich Dir überhaupt etwas?« Felix senkte im letzten Augenblick seine Stimme. Es brauchte nicht jeder ihren Streit mitzubekommen.
Tapani schluckte leer, räusperte sich. »Natürlich bedeutest Du mir etwas. Wie kannst Du nur glauben, dass es mir nur darum geht, Dich ins Bett zu kriegen? Du weißt doch, dass ich der Händler- und Schmugglergilde angehöre. Meine Geschäfte beginnen nun einmal nicht erst nach dem Frühstück und sind vor dem Abendbrot beendet. Wenn meine Kunden oder Auftraggeber ein Treffen im Morgengrauen wünschen, muss ich mich danach richten.«
»Diese Leier hatten wir doch schon, Tapani. Diese ewigen Ausreden mit Deinem Geschäft. Ja, ich weiß, dass Du Dein Geld nicht immer auf legalem Weg verdienst. Aber dennoch, Du verletzt mich und ich möchte nicht verletzt werden.« Felix zischte den Ba'nei an, seine Augen brannten. »Sag mir endlich, wo Du warst.«
Tapani schwieg. Er trat an den Waschtisch, goss Wasser ins das verbeulte Kupferbecken. Felix beobachtete ihn. Musste er sich erst eine Ausrede einfallen lassen und wusch sich deswegen erst den Straßenstaub von der Haut?
Tapani wandte sich seinem Freund zu. Kleine Wasserperlen rannen über seine Haut, durchnässten das halbgeöffnete Hemd. Doch er konnte ihm nicht in die Augen blicken. Nervös nestelte er einen kleinen Lederbeutel aus seinem Gürtel, drehte ihn nervös zwischen seinen Fingern hin und her.
»Gut, Du hast mich erwischt, Felix. Ich habe keine Geschäfte in der Stadt erledigt. Zumindest nicht meine üblichen Handelsgeschäfte.« Zögerlich reichte Tapani ihm den Beutel. »Hier, nimm. Eigentlich wollte ich es Dir erst geben, wenn ich auch die dazugehörende Kette fertig gestellt habe. Aber ich glaube, dass Du das Recht hast zu erfahren, warum ich Dich immer wieder verlassen habe.«
Misstrauisch öffnet Felix den verknoteten Beutel, dreht ihn um und schüttet den Inhalt in seine geöffnete Hand. Seine Augen weiteten sich. Es war eine herrliche Schmiedearbeit, die da an einer geflochtenen Lederkordel hing. Ein bronzener sichelförmiger Mond, reich verziert mit fein gearbeiteten Details, geheimnisvollen Zeichen. Die Mondsichel umschloss einen glatt polierten Mondstein, dessen milchigweiße Oberfläche im Licht der Öllampe sanft schimmerte.
»Das ist wunderschön.« hauchte er.
Verlegen kratzte sich Tapani am Hinterkopf. »Deswegen war ich immer wieder weg. Ich musste erst das Material verdienen und Ramor, der Schmied, stellte mir seine Werkstatt nur nachts zur Verfügung. Ich wollte es Dir am Fest zu Ramuos Ehren in zwei Wochen überreichen. Komm, lass es mich Dir umbinden.«
Er trat auf Felix zu, nahm ihm das Schmuckstück aus den Händen, band ihm die Kordel um den Hals. »Ein Mond, das Zeichen Illaris. Es war Schicksal, dass wir uns begegneten, uns gefunden haben. Es soll Dank an Illari und das Zeichen meiner Gefühle für Dich sein.«
Er umfasste Felix' Gesicht mit beiden Händen. Mit großer Zärtlichkeit suchte sein Blick den seines Geliebten. »Bitte verzeih mir noch einmal. Ich wollte Dich nie verletzen, mein Geliebter. Vertrau mir.«
Felix fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wie kann ich Dir dies glauben? Der Anhänger ist wunderschön. Doch Du hast mich belogen. Mir nie gesagt…«
»Lass es mich Dir beweisen. Ich werde Dir nichts mehr verheimlichen. Dich nicht mehr wortlos einfach verlassen.« fiel Tapani ihm ins Wort. »Gib mir noch eine Chance.«
Felix blickte ihn an, forschte in seinem Gesicht. Tapani rührte sich nicht, hielt den Blicken des Geliebten stand. Felix sah nichts als Reue, Unsicherheit, einen leisen Hoffnungsschimmer, doch nicht alles vermasselt zu haben. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Nein, er war sich nicht sicher, ob der Ba'nei ihm diesmal alles gesagt hatte. Doch was er in seinen Augen las, genügte ihm.
Er trat einen Schritt auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen, strich mit seinem Mund neckisch über Tapanis Lippen. Erfreut spürte er, wie ein Zittern den Körper des Ba'nei durchlief. Er legte ihm die Hände auf die Schultern, massierte sie leicht, während seine Zähne an Tapanis Unterlippe knabberten. Mit einem Stöhnen drängte sich dieser an ihn, öffneten sich die Lippen. Felix Kuss wurde drängender, seine Hände streichelten über Tapanis Körper, ihre Zungen umspielten einander.
Seine Hände glitten unter Tapanis offenes Hemd, schoben es von den breiten Schultern, bis es an den Handgelenken des Ba'nei hängen blieb, dessen Hände zur Untätigkeit verdammten. Felix strich liebkosend über Tapanis Bauch, umspielte neckend den tiefsitzenden Hosenbund.
Tapani sog scharf den Atem ein. Die leichten Berührungen von Felix' Händen weckten sein Begehren, seine Muskeln spannten sich, wurden hart. Ihm wurde heiß. Kehlig stöhnte er auf. »Felix!« stieß er mit tiefer, rauer Stimme hervor. »Lass mich Dich berühren.«
»Mache ich Dich verrückt, Tapani?« wisperte er, und das Gefühl der Macht über diesen sonst so selbstsicheren Ba'nei stieg ihm zu Kopf wie schwerer Wein. Bevor Tapani antworten konnte, legte Felix ihm einen Finger auf die Lippen, gab ihm einen Stoß, bis Tapani sich auf dem Bett liegend wieder fand.
Felix beugte sich über ihn, begann mit Lippen und Zunge seine Brust zu liebkosen. Tapanis Haut fühlte sich heiß an. Er hörte, wie der Atem des Ba'nei stockte, seine Muskeln sich spannten, als er den locker verknoteten Gürtel löste, Tapanis Hose langsam über seine Hüften und Schenkel hinunterzog, ihn mit seinen Lippen umschloss.
Tapani wurde beinahe schwarz vor Augen. Seine Hände krallten sich in die Laken, seine Brust hob und senkte sich immer schneller. Dieser kleine Teufel trieb ihn an die Grenze seiner Selbstbeherrschung. Auf einmal griff er knurrend nach Felix, zog ihn zu sich hoch. »Du treibst mich in den Wahnsinn.«, keuchte er heiser. Ihre Zungen trafen sich zu einem leidenschaftlichen Tanz, ihre schweißnassen Körper wälzten sich über die Laken, bebten vor Verlangen. Hastig zerrten sie Felix Kleidung von seinem Leib, ließen sie achtlos zu Boden fallen. Ihre Körper vereinigten sich in einem sich zur Ekstase steigernden Rhythmus.
Erschauernd sank Tapani über Felix zusammen. Sein heißer Atem strich über Felix' Nacken, als er sich an eng an seinen Liebsten schmiegte, mit ihm in den Armen sanft einschlummerte.
XXXVI
Der Ratssaal war brechend voll. Nicht nur die Ratsmitglieder, auch viele Edle und ein großer Teil der Priesterschar waren anwesend. So fiel es nicht auf, dass Felix, mit zerzaustem Haar und einem Lächeln auf den Lippen, verspätet durch die Tür schlüpfte, Hand in Hand mit seinem Geliebten. Yashi winkte sie zu sich. »Kommt her.« Sie stellten sich neben ihn. Felix spürte die feindseligen Blicke. Was hatten sie denn nun schon wieder? Zadok hatte die Barriere angegriffen, nicht er.
»Ruhe!« bellte Basaju durch den Raum. »Die Sitzung des Rates beginnt. Ihr werdet gehört, doch sprecht nacheinander, nicht alle auf einmal.« Jemand kicherte, doch ein Blick des alten Elben reichte, um auch den Letzten zum Schweigen zu bringen. Zufrieden lehnte sich Basaju zurück in seinen Sessel. »Gut. Als erstes werden wir unseren geschätzten Oberleutnant Manju hören, der von Ratsherr Yagoda mit der Organisation der Hilfsarbeiten und dem Schutz der Stadt betraut worden ist. Tretet vor.«
»Oberleutnant?« wisperte Felix leise. Yashi nickte. »Yagoda hat sich daran erinnert, dass Manju ja nie offiziell aus der Armee ausgetreten ist. Hat ihn sozusagen auf der Stelle wieder in den aktiven Dienst versetzt. Doch nun hör zu.«
Manjus Schilderungen, die Diskussionen über das weitere Vorgehen, die Sorgen und Nöte der Anwesenden, nichts davon nahm Felix bewusst war. Seine Finger spielten gedankenverloren mit dem Armreif, glitten über die Vertiefungen die aussahen, als ob vor langer Zeit Juwelen dort ihren Platz gehabt hätten. Wie er wohl früher ausgesehen hatte? Es schien ihm, als würde der Armreif unter seinen Fingern zum Leben erwachen, Energie durch ihn pulsieren. »Ah!«, gerade noch konnte Felix einen Schrei unterdrücken. Wie bereits einmal brannte der Reif heiß auf seiner Haut, schlang sich wie ein Band aus glühendem Feuer um seinen Arm. Tapani und Yashi tauschten einen besorgten Blick. Was war auf einmal mit dem Jungen los?
Pochende Schmerzen schossen durch Felix' Schläfen, das Blut rauschte in seinen Ohren. Die Welt um ihn herum verblasste. Was sollten diese endlosen Reden, das Herumreden um den heißen Brei? Zadok würde triumphierend in Akshareen einmarschieren, während die Anwesenden immer noch darüber debattierten, wie nun vorzugehen sei.
Vor seinem inneren Auge sah er wieder die Geschehnisse des gestrigen Tages an sich vorbeiziehen, blieb an jenem Bild hängen, das sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt hatte. Tanos blutüberströmtes Gesicht, glasige, weit aufgerissene Augen.
Bloß jetzt nicht weinen, keine Schwäche zeigen. Felix verbarg seine Trauer um den Jungen tief in sich. Sie wandelte sich langsam, verband sich mit jenem Teil in ihm, der erst am Tag zuvor in ihm erwacht war. Zusammen wuchsen sie, festigten sich zu einer ungeahnten Entschlossenheit. Felix fühlte, dass er etwas unternehmen musste. Spürte, dass er endlich seinen vorbestimmten Weg beschreiten musste. Es war seine Aufgabe, sein Schicksal.
»… deswegen beschließen wir, dass ihr, Lar Manju, wieder euren Platz in der Armee einnehmen werdet. Nehmt die besten Krieger und verstärkt die Patrouillen an der Grenze, baut eine funktionierende Verteidigung für den Fall auf, dass Zadok den Kampf gegen Ishans Bann gewinnen sollte.«
Allmählich tauchte Felix wieder in die Realität ein, hörte diese letzten Worte Basajus. Manju sollte sie verlassen? Sein Arm glühte, der Reif schien zu vibrieren. Unwillig schüttelte er Tapanis Hand und den nachhallenden Schwindel in seinem Kopf ab, trat vor den Rat.
»Verzeiht die Unterbrechung, Ratsvorsitzender Basaju, doch ich muss euch widersprechen.«, sprach Felix mit gefestigter Stimme, seine eigene Angst verbergend.
Getuschel wurde laut. Wie konnte es dieser Fremdling wagen, dem Rat zu widersprechen. Fauchend sorgte Shi'Maj für Ruhe, beugte sich vor, musterte Felix aus zusammengekniffenen Augen. »Was hast Du zu sagen?«
»Ihr müsst euch einen anderen Befehlshaber für die Grenzwachen suchen. Der Ja'neisa Manju wird mich begleiten. Er wird mir folgen, nicht euren Befehlen.«
Basajus Antwort ging in den empörten Aufschreien der Anwesenden unter. »Unglücksbringer! Mögen die Götter Dich verfluchen!« Ein orangegewandeter Amitpriester schoss aus der Menge auf Felix zu, das Gesicht hassverzerrt, den schweren, zeremoniellen Holzstab zum Schlag erhoben. »Ausgeburt der Hölle Zadonias! Mit Deinem Erscheinen begann unser aller Unglück!«
Zustimmende Rufe wurden aus der Menge laut. Felix wusste, dass Amits Priester in geheimen Kampftechniken ausgebildet wurden. Ein Schlag mit diesem Stab konnte ihm den Schädel einschlagen. Doch er wich nicht zurück, bot dem religiösen Eiferer die Stirn. Wenn er wollte, dass sie ihm zuhörten, durfte er keine Angst zeigen.
»Du weißt genau, dass Du dich irrst. Nicht ich bin euer Feind, Zadok ist es. Um ihn zu bekämpfen bin ich hier und niemand in diesem Raum wird mich daran hindern können, meine Aufgabe zu erfüllen!«
»Häresie! Dies liegt nur in der Macht der Götter. Stirb durch die strafende Hand Amits!« Der Priester holte aus, Felix hob die Hand zur Verteidigung. Weißes Feuer sammelte sich in seiner Handfläche, strömte durch seine Adern, erfüllte seinen Körper mit Wärme. Es wäre so leicht, er bräuchte die Kraft nur loszulassen.
»Es reicht!« Eine helle klare Stimme drang aus dem Publikum an Felix Ohr, er schloss die Hand. Nein, er würde den Priester nicht töten.
Erstaunte Rufe wurden laut, die Menge teilte sich. Eine in tiefblaue Seide gehüllte Frau trat vor den Rat, ihr langes schwarzes Haar wehte hinter ihr her. Der in ihrem Stirnreif eingelassene Amethyst leuchtete hell. Licht fiel durch die hohen Fenster der Halle, hüllten die Fremde in einen hellen Schein. Die Anwesenden verneigten sich in ehrfürchtigem Staunen. Entsetzt starrte Felix' Angreifer sie an, keuchte auf und sank zu Boden.
Basaju fand als erstes seine Stimme wieder, räusperte sich. »Grosse Illari. Eure Anwesenheit hier in diesen Hallen…«
»Schweig! Schweigt alle! Ihr stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Ohne den Schutz des Herzens droht Kalanja'neiu die größte aller Gefahren. Ich brachte euch mein Werkzeug, auf dass er alles tue um diese Welt zu retten. Doch was tut ihr?! Ich werde es nicht länger dulden, dass engstirnige Fanatiker mit ihrem blinden Hass und Misstrauen Zadok in die Hände spielen.«
Illaris Augen blitzen zornig, doch als sie auf Felix zu trat, wurde ihr Blick sanft. Sie umarmte ihn, küßte seine Stirn. »Nun hast Du Deine Aufgabe endlich erkannt. Heil Dir, mein Auserwählter. Eile, rette unser aller Schicksal.«
So wie sie aufgetaucht war, verschwand sie wieder. Keiner im Saal rührte sich. Alle starrten den Jungen, der aufrecht vor ihnen stand an, teils ehrfürchtig, teils entsetzt über das eben Geschehene.
Manjus Onkel erhob sich aus seinem Sessel, wandte sich an Felix. »Nun, ich denke, dass ich im Namen des ganzen Rates spreche. Es waren klare Worte, die wir eben vernahmen. Sag uns, wie viele Soldaten Du für Deine Reise benötigst und wir werden...«
Felix winkte ab. »Keine Soldaten. Nur eine kleine Gruppe.«
»Aber, wen möchtest Du mit Dir nehmen?«
»Aus dieser Halle? Genau drei Leute. Euren Neffen, den Grünling Yashi und den Ba'nei Tapani Ba'zru.« Felix lächelte. Der Armreif brannte nicht mehr, das Summen in seinem Kopf verschwand. Die Götter schienen mit seiner Wahl zufrieden zu sein. »Nun entschuldigt mich, Ratsherr Lasaju. Bevor wir aufbrechen ist noch viel zu erledigen.«
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