zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt

Teil 13

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

XXXVII

Sein Puls raste, das Herz hämmerte hart gegen seine Rippen. Doch er wagte es noch nicht aufzuatmen. Er musste aus dem Saal hinaus, bevor einer der Anwesenden bemerkte, dass ihn das eben Geschehene mehr mitgenommen hatte, als er sie alle glauben gelassen hatte. Noch immer kribbelte sein ganzer Körper, zuckten seine Finger. Er fühlte die leichten Stromstöße der Energieblitze unter seiner Haut, wie sie sich erneut in seinen Handflächen sammelten. Wie sollte er bloß lernen, diese gewaltige Energie in sich zu beherrschen, sich nicht selbst von ihr beherrschen zu lassen, fragte er sich verzagt. Selbst jetzt fühlte Felix den Drang, sich den Weg aus dem Ratssaal durch einige gezielte Feuerbälle zu bahnen. Er musste aus diesem Gebäude hinaus, solange er diesen noch unterdrücken konnte.

So in Gedanken versunken schritt er, so schnell es ihm möglich war ohne panisch zu wirken, zur Tür. Schweigend teilte sich die Menge, öffneten die Palastwachen die schweren Flügel des reich verzierten Tors und ließen den jungen Fremdling passieren. Basaju räusperte sich. Doch erst ein zorniges Fauchen Shi'Majs riss die Leute aus ihrer Erstarrung. »Danke, meine Liebe.« Basaju blinzelte der Shinmari-Königin zu, bevor er sich erneut an die Anwesenden wandte. »Das eben Geschehene ist nicht leicht zu verstehen oder gar zu akzeptieren. Mir ist bewusst, dass viele von euch es nicht wahrhaben wollen, dass ein Fremder, der keinen Funken magisches Blut in sich trägt für solch eine gewaltige Aufgabe auserkoren wurde. Doch in ihm muss mehr stecken, als er uns bisher offenbarte. Hat nicht die große Illari selbst sich in unsere Mitte begeben um uns ihren Willen kundzutun?« Der alte Elb ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, fixierte eine kleine Gruppe orange gewandeter Priester. »Auch ihr, als Diener Amits solltet nicht so vermessen sein, dem Schicksal trotzen zu wollen. Akshar stehen schwere Zeiten bevor auch ohne dass wir uns gegen die eigenen Götter stellen.«

Während der immer noch aufgewühlte und erschütterte Rat nun die weiteren Schritte beratschlagte, verabschiedeten sich Manju, Yashi und Tapani. Hier war für sie nichts mehr zu tun. Doch was erwartete sie nun? Gedankenversunken schritten sie zügig durch die leeren Flure, als der Elb plötzlich stehen blieb und sich an den Grünling wandte. »Yashi, was ist nur in den Jungen gefahren?« Manju fuhr sich verwirrt durchs Haar. »Er war… er war nicht er selbst. So bestimmt und fordernd. Und… und hast Du seine Hände gesehen?« Manju erschauerte. »Da war wieder dieses blendende weiße Licht. Genau wie damals am Tor zum Ratsbezirk, als Felix es auf mich schleudern wollte. Wenn Du und Konjaru nicht…« Manjus Stimme brach. Gequält schloss er die Augen. Konjaru. Hoffentlich konnten die weisen Drachen seinen Liebsten retten.

Yashi legte sachte seine Hand auf die Schulter des Elben, drückte sie ermunternd. »Kopf hoch, mein Freund. Dein Krieger ist zäh. Aber mit einem hast Du sicherlich Recht. Felix ist nicht der Junge, der er gestern noch war.«

Wie auf ein Kommando sah Tapani in zwei Augenpaare, die ihn lauernd musterten. Abwehrend hob er seine Hände. »Ich habe damit nichts zu tun. Felix war bereits in dieser seltsamen Stimmung, als ich ihn gestern Abend vor dem Gasthof angetroffen habe. Er war immer noch sehr aufgewühlt wegen des Todes von Lucanjas Sohn. Aber das ist ja auch verständlich. Immerhin ist dieses Erlebnis noch sehr frisch.«

Yashi rieb sich übers Kinn, nickte bedächtig. »Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass der gestrige Tag in Felix einiges ausgelöst hat. Doch beten wir, dass er auch weiterhin die Selbstbeherrschung aufbringen kann wie eben im Ratssaal.«

»Was hat dies alles mit Felix' Selbstbeherrschung zu tun, Yashi?« Tapani blickte den Kleinen verwirrt an. Doch Manju hatte seinen Mentor verstanden.

»Yashi sprach vom weißen Feuer«, erklärte er dem Ba'nei. »Es war dieses Mal noch stärker als in der Nacht am Tor. Ich glaube, es wäre ihm ein Leichtes gewesen, nicht nur den Amitpriester sondern alle Anwesenden im Saal zu einem kleinen Häufchen Asche zu verbrennen.«

Tapani schwieg, verdaute diese neuen Informationen. »Der Junge ist doch kein Magier? Woher sollte er all diese Kräfte haben, die ihr ihm zuschreibt?«

Doch er erhielt keine Antwort. Mochte er sich bisher auch nicht als Verräter entpuppt haben und Felix' Vertrauen genießen, in jedes Geheimnis wollten sie ihn nicht einweihen. »Kommt«; überspielte Yashi die eingetretene Stille. »Wir sollten uns auf die Suche nach Felix machen. Ich glaube, wir sind alle gespannt zu erfahren, was er denn nun unternehmen will.


Völlig übernächtigt und innerlich erschöpft tigerte Panjaru durch die gewaltige, hell erleuchtete Halle, in der Rubinkralles Bibliothek untergebracht war. Groß genug, um einem ausgewachsenen Drachen genügend Bewegungsfreiheit zu ermöglichen, fühlte sich Panjaru darin völlig verlassen und verloren. Immer wieder blickte er verzweifelt zu jener Seitentür, durch die sie seinen Bruder weggebracht hatten. In jenen Raum, in dem auch Silberklaue auf Rubinkralles Aufforderung hin wohnte, seit er rapide an Kraft und Magie verloren hatte. Zu Beginn hatten sie alle noch gehofft, dass beide sich wieder erholen würden, sobald sie wieder vereint waren, doch sie irrten sich. Seit Stunden kämpften sie nun schon mit allen Mitteln um Konjarus Leben, und somit auch um das seines Seelengefährten, doch bisher war es den Heilern nicht gelungen, wenigstens einen der beiden aus seiner tiefen Starre zu erwecken.

Panjaru fröstelte. Ihm war so kalt. Nicht einmal das helllodernde Feuer im breiten Kamin konnte ihn wärmen. Morgen würde die Familie eintreffen. Wie konnte er ihnen noch in die Augen blicken, sollte sein Bruder die nächste Nacht nicht überleben? Es war seine Aufgabe gewesen den Bruder heil zurückzubringen, doch was er zurückbrachte war nur eine kalte, leblose Hülle in der kaum noch ein Hauch von Leben steckte.

Erschöpft und voller Selbstzweifel ließ sich der junge Krieger in einen der wuchtigen tatzenfüßigen Sessel fallen, die Rubinkralle für seine menschlichen Gäste in seinem Hort hatte aufstellen lassen. Nachdenklich strich er mit den Fingern über den roten Samt. Panjaru war noch nie zuvor in diesen Hallen gewesen. Zu großen Teilen in die schroffen Felsen hineingebaut, war der große Hort mit seinen vielen Räumen bekannt dafür, dass sich in seinem Innern so manche Kostbarkeit verbarg. Sein Blick schweifte über die hohen, aus Masari-Eiche gefertigten Regale, in denen sich Bücher und Schriftrollen stapelten. Tiefe Rillen und Kratzer im steinernen Boden bewiesen, dass der Herr des Hortes sich öfters für ein Nickerchen vor dem breiten Kamin zusammenrollte. Gobelins mit historischen Szenen zierten die hohen Wände und magische Fackeln erhellten Rubinkralles privates Reich mit ihrem ewigen Licht. Doch Panjaru war nicht fähig, sich an der schlichten Eleganz und Schönheit des Raumes zu erfreuen. Seine Gedanken waren schon längst wieder bei seinem Bruder, bei ihrer Ankunft in der vergangenen Nacht.

Panjaru glaubte noch immer die ungeheuerliche Kraft in sich zu spüren, die Goldauge und ihn eingehüllt und mitgerissen hatte. Noch nie hatte er etwas derart Unglaubliches gefühlt. Es hatte nicht mehr Goldauge und ihn gegeben als zwei getrennte Wesen. Sie waren eins geworden. Jeder Atemzug, jeder Herzschlag erfolgte in unendlicher Harmonie. Für einen Augenblick hatte er sich vollkommen in diesem Gefühl verloren, sein eigenes Ich vergessen. Nichts auf der Welt war mehr wichtig gewesen, außer dieser Verschmelzung. Erst als Goldauge den Zauber gelöst hatte um in den Landeanflug überzugehen, hatte er wieder zu sich gefunden.

Dank des Zaubers war es ihnen gelungen noch vor Mitternacht Dracaron zu erreichen, das gleich hinter den mächtigen Drachenbergen lag. Der große Alte und die besten Heiler des Landes hatten sie bereits auf der steinernen Landeplattform des großen Hortes, so wurde Rubinkralles Heim genannt, erwartet. Während die Heiler den zusammengebrochen Konjaru von Goldauges Rücken gezogen und weggetragen hatten, kümmerte sich der große Alte um die erschöpfte Goldauge, sorgte für Unterkunft und ihr leibliches Wohl.

Kurz regte sich in ihm ein schlechtes Gewissen. Er hätte Goldauge längst in ihrem Quartier aufsuchen sollen, doch er konnte nicht. Er konnte diesen Raum hier nicht verlassen, bevor er nicht wusste, wer den Kampf um Konajrus und Silberklaues Leben gewann: Darshan oder die Heiler.


Wieder einmal stand Felix auf den marmornen Stufen vor dem großen, mit verschlungenen Mustern und Monden verzierten Eisentor. Doch diesmal standen die schweren Türflügel weit offen und einige der in violette Roben gehüllten Priester pflegten die Blumen und Sträucher rund um das Heiligtum. Seine Schritte hallten durch das Tempelinnere, während er die Stufen hinunter stieg, die Halle durchquerte und vor dem Altar niederkniete. Wie konnte er glauben, gegen Zadok bestehen zu können. Was wusste er schon von Kämpfen, Krieg führen oder davon, wie er seine »Macht« wirkungsvoll und zielgerichtet einsetzen konnte? Nicht noch einmal wollte er um Haaresbreite der Versuchung der Magie erliegen und beinahe einen seiner Freunde in die Luft sprengen.

Sein Blick verging sich im sanften Glühen des Amethysts, der im Schoß von Illaris steinernem Abbild lag. Das Schicksalsauge. Felix schloss die Augen, sah wieder jene Vision vor sich, die ihm das Auge in jener Nacht gezeigt hatte, in der Illari ihm den Amethyst in die Hände gelegt hatte. Kälte, Dunkelheit, Stille, Alles war tot, nichts und niemand war mehr da. Felix erschauerte, war aufgewühlt. Die kommenden Ereignisse machten ihm Angst, doch die Furcht vor dieser düsteren Zukunft überwog. Wie könnte er sich vor seiner Rolle in diesem Stück drücken, wo doch so viel auf dem Spiel stand?

Nachdenklich verließ Felix den Tempel. Atmete die frische Luft ein, rollte seine verspannten Schultern. Ein warmes und entspannendes Bad wäre nun gerade das Richtige. Während er quer über die Wiesen zurück in Richtung Ratsgebäude ging, sah er eine Elbenpatrouille, die auf einem der Hauptwege marschierte. Zielstrebig eilte er auf die kleine Gruppe zu. »Verzeiht, wenn ich euch einfach so aufhalte. Aber könnt ihr mir sagen, wo ich hier das nächste Badehaus finde?«, wandte sich Felix an die Elben. Nach kurzem Gemurmel wandte sich der Anführer an ihn. »Für die Angehörigen des Rates, deren Gäste, Verwandte und Gefolge, sowie für die Priesterschaft gibt es ein Badehaus auf der hinteren Seite des Hügels. In der Nähe von Akis Tempel. Wenn Du weiter nach Norden gehst, an Ramuos Tempel vorbei, kannst Du es nicht verfehlen.«

Nach einem kurzen Marsch rund um den Ratshügel fand Felix das beschriebene Badehaus. Von Außen wirkte das niedrige Gebäude sehr schlicht und einfach. Umso größer war Felix' Überraschung, als er den weißgrau gekachelten Eingangsbereich betrat. Im Gegensatz zum Badehaus in der Stadt gab es hier keine Holzzuber und Bretterverschläge für die Duschen. Die Decke wurde durch Marmorsäulen gestützt und in den Boden eingelassene, mit kunstvollen Mosaiken gekachelte Becken in verschiedenen Größen und Tiefen dominierten das Bild. In einer der Ecken waren Duschen in die Wand eingelassen, die vermutlich aus einer Zisterne auf dem Dach gespeist wurden.

Zwischen zwei üppig wuchernden Farnen entdeckte Felix ein kleines Holzregal mit vielen Fächern, auf dem eine Reihe Handtücher lag. Das war dann hier wohl gedacht, um die eigenen Kleider zu verstauen. Rasch zog er sich aus, legte seine Sachen in eines der leeren Fächer, schlang sich eines der Handtücher um die Hüften und wandte sich den verschiedenen Becken zu.

Zu dieser Tageszeit war das Badehaus nur spärlich besucht, worüber Felix froh war. Im Augenblick wollte nur seine Ruhe haben. Er entschied sich für jenes Becken, aus dem leichte Nebelschwaden emporstiegen und mehrere in das Becken eingearbeitete Sitzgelegenheiten vollkommenes Entspannen verhießen. Ob das Becken beheizt wurde oder gab es hier eine heiße Quelle? Es interessierte ihn nicht wirklich. Rasch ließ er das Handtuch fallen und stieg ins Wasser. Mit einigen kräftigen Zügen schwamm er zum Ende des Beckens und setzte, vielmehr legte sich auf die breite Bank, die durch einen großen Farn leicht abgeschirmt wurde. Er legte einen Arm auf den Beckenrand und glitt mit einem wohligen Seufzer noch ein kleines Stück tiefer ins Wasser, bis kleine Wellen seine Brust umspielten.

Das warme Wasser entspannte seine Muskeln auf eine sehr angenehme Art und Weise. Er fühlte, wie sich seine Verspannungen lockerten. Genüsslich schloss er die Augen und ließ den Kopf nach hinten gegen den Beckenrand sinken. Ein sinnliches Lächeln umspielte seine Lippen. Er dachte an Tapanis überraschtes Gesicht, als er letzte Nacht die Kontrolle an sich gerissen hatte, wie er den sonst so beherrschten Ba'nei beinahe um den Verstand gebracht hatte und dieser zu Wachs in seinen Händen geworden war. Und dies bestimmt nicht zum letzten Mal, da war sich Felix sicher. Seine Hand glitt über seine Brust und allmählich tiefer, während er sich in den erregenden Erinnerungen an Tapanis heiße Lippen auf seiner Haut und dessen kräftigen und doch sanften Händen verlor. Felix spürte, wie sein Körper heftig reagierte. Doch da das Badehaus beinahe leer war und er sich alleine in dieser abgelegenen Ecke aufhielt, machte er sich keine Gedanken.

Getuschel. Gekicher. Unsanft wurde Felix aus seinen Tagträumen gerissen. Ärgerlich und erschrocken zugleich wandte er den Kopf, nur um gleich darauf bis zum Kinn ins Wasser zu sinken. Schlagartig klang seine Erregung ab, schoss Blut in seinen Kopf. Eine kleine Gruppe Elbenmädchen stand neben dem Becken. Ihre aufreizenden Blicke glitten genüsslich und unverhohlen über seinen nackten Körper und blieben an seiner Körpermitte hängen. Kokett zwinkerten sie ihm zu während sie bereits Anstalten machten, ihm im warmen Wasser Gesellschaft zu leisten. Puterrot versuchte Felix, irgendwie den Blicken zu entgehen. Er glitt eilig von der Bank und zog sich in die die Mitte des Beckens zurück. Wassertretend verfluchte er innerlich das kristallklare Wasser, welches kein Detail seines Körpers vor den neugierigen Blicken der Elbinnen verbarg. In den Augenwinkeln sah er, dass die erste Elbin bereits nackt am Rand saß und Anstalten machte, zu ihm ins Becken zu steigen. Er musste hier dringend weg.

In dem Augenblick riss Felix überrascht und erschrocken die Augen auf. Aus dem Wasser stieg dichter Nebel auf, legte sich wie eine schützende Decke über die Wasseroberfläche und versperrte den Elbinnen so die Sicht auf seinen Körper. Diese schrien erschrocken auf und wichen zurück. Misstrauisch beäugten sie den dichten Nebelschleier. Das ging hier eindeutig nicht mit rechten Dingen zu. Mochte der hübsche junge Mann auch wie ein netter Zeitvertreib gewirkt haben, so war er es doch nicht wert, sich in dieses verhexte Becken zu begeben. Ärgerlich schnatternd verließen sie Felix und verschwanden in Richtung der Duschen. Er atmete auf. Doch woher kam bloß dieser dichte Nebel? Ein leises, kehliges Lachen erklang hinter ihm. Felix drehte sich wassertretend um und sank vor Schreck unter Wasser. Hustend und Wasser spuckend kam er wieder an die Oberfläche. »Illari?!« Langsam lichtete sich der Nebel wieder. Erneut sank er bis zum Kinn ins Wasser und versuchte sich mit einer Hand zu bedecken.

Die Göttin grinste ihn schelmisch an, ihre amethystfarbenen Augen funkelten mutwillig. Das lange Haar umschmeichelte ihren Körper unter Wasser wie eine schwarze Wolke. Doch auch so konnte Felix erkennen, dass sie, wie auch alle anderen Badegäste, vollkommen nackt war. Verlegen blickte er zur Seite, stammelte. »Was... was willst Du denn hier? Ich meine…«

»Ach, auch wir baden hin und wieder gerne«, neckte sie ihn. »Aber keine Angst, mein kleiner Held, ich verführe keine Kinder Vadins… es wäre ja ohnehin eine vergebene Liebesmüh. Wobei, bei Dir könnte ich wirklich versucht sein, einmal eine Ausnahme zu machen…«, sie taxierte ihn mit einem schelmischen Blick, schürzte nachdenklich die Lippen und lachte hell auf, als sie Felix' bestürzte Miene gewahrte.

Als Felix merkte, dass die Göttin ihn hochnahm grummelte er vor sich hin und versuchte, von seiner Verlegenheit abzulenken. »Aber warum bist Du hier?«

»Was geschah mit dem Wasser, als die Mädchen Deinen Körper bewundert haben?«

Felix errötete, doch dann runzelte er die Stirn. »Der Nebel. Das warst…«

Die Göttin fiel ihm ins Wort. »Nein, das warst alleine Du, mein Junge. Ich bin nur hier, um Deine Frage aus dem Tempel zu beantworten.«

Felix' Augen weiteten sich. »Ich… wie? Welche Frage?«

»Ja, Du hast die Nebel beschworen. Du weißt, dass das Herz die Kraft hat, die Erde erbeben zu lassen. Es ist das Herz der Erde, also auch verbunden mit den elementaren Kräften, die in dieser ruhen. Du hast Dich gefragt, wie Du Deine Kraft einsetzen sollst. Hier meine Antwort: Lerne, lerne so viel Du kannst. Suche Gelehrte und Magier auf, lasse Dich unterweisen. Auch wenn die Zeit drängt, ohne Wissen um Deine Möglichkeiten wird Dir kein Glück beschieden sein.«

Felix wollte ihr noch weitere Fragen stellen. Doch wo eben noch die Schicksalsgöttin vor ihm im Wasser geschwommen war, glitzerte ihm nur die spiegelglatte Wasseroberfläche entgegen. Eilig kletterte Felix aus dem Becken, schlang sich das Tuch wieder um die Hüften und lief zur Umkleide, bevor noch ein weiterer Gott oder Göttin auf die Idee kam, mit ihm zu baden.

XXXVIII

Äußerst zufrieden schritt Zadok durch seine Gemächer und trat auf den kleinen Balkon. Jede Faser seines Körpers spürte, dass die Barriere geschwächt worden war. Doch dieser erste, heftige Ansturm gegen das Verdikt der Götter hatte auch Opfer in seinen eigenen Reihen gefordert.

Er beugte sich über die steinerne Brüstung des Balkons, um sich einen Überblick zu verschaffen. Mit seinen magisch geschärften Sinnen nahm er jedes Detail in sich auf. Wie kleine Ameisen streiften seine Krieger durch das Lager am Fuße des schwarzen Berges. Eigentlich als Nachschub für die Truppen hinter der Barriere gedacht, wirkten sie alles andere als kampfbereit. Die Beben, welche auch hier nur allzu gut zu spüren gewesen waren, hatte sie erschüttert. Er würde mehr Kraft und Unterstützung benötigen, um seinen Männern zu beweisen, dass die Gunst der Stunde auf seiner Seite lag. Nur mit seiner Magie alleine würde er die Barriere nie vollständig zerstören können. Doch hierzu waren weitere Schritte notwendig. Nichts wäre fataler, als ohne die notwendigen Vorkehrungen vor IHN zu treten.

Zadok verließ den Balkon und blieb vor dem Kamin stehen. Er schloss die Augen, atmete tief und regelmäßig. Seine Lippen bewegten sich lautlos, murmelten Beschwörungen in einer längst vergessen geglaubten Sprache. Als er seine Augen wieder öffnete, glühten diese in einem unheilvollen, pulsierenden roten Licht. Nun würde er bald beginnen können.

Es klopfte. Zornig fuhr Zadok herum. Nur einen Augenblick später und diese kleine Störung hätte ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen können. »Herein!«, bellte er. Er war bereits unterbrochen worden, also konnte er sich auch anhören, wer so vermessen war, ihn in seinen privaten Gemächern aufsuchen zu wollen. Die Tür öffnete sich. Bayuna trat ein und sank sogleich vor Zadok in die Knie. Die enge, lederne Kriegskleidung mit den getrockneten Blutflecken und der Geruch nach Kampf und Tod, der die junge Halbelbin umgab, erregten ihn. Doch dafür war nun keine Zeit. Erst musste er von ihr erfahren, wie die Lage entlang der Barriere war. Es musste einen Grund geben, warum sie ihre Stellung verlassen und nach Nazru zurückgekehrt war. »Erkläre Dich!«

»Herr, ich bin nicht grundlos nach Nazru zurückgekehrt. Doch lasst mich euch erst versichern, dass die Angriffe bisher sehr erfolgreich verlaufen sind.«

»Dann haben die Steine also wie erhofft ihre Wirkung entfaltet.«

Bayuna nickte. Sie wusste nicht, auf welche Art und Weise Zadok die vielen Opalsplitter mit Magie versehen hatte, doch auch noch Stunden nachdem sie einen mit der bloßen Hand berührt hatte, kehrte nur sehr langsam und unter unangenehmem, kaltem Kribbeln das Gefühl wieder in ihren Arm zurück. »Wir haben die Splitter sowohl auf die Barriere abgefeuert, als auch möglichst nah an ihr in den felsigen Boden gerammt.« Ermutigt durch Zadoks triumphierende Miene fuhr sie fort.

»Im Süden kam es zu einigen kleineren Scharmützeln zwischen unseren Dunkelelben und Shinmari-Grenzpatrouillen, als unsere Männer versuchten, durch einen neu entstandenen Spalt in der Barriere nach Akshar zu gelangen.«

»Verluste?«

»Die Shinmari haben niemanden entkommen lassen. Lediglich jene, die noch nicht durch den Spalt feindlichen Boden betreten hatten, überlebten. Es kam außerdem zu mehreren Zwischenfällen entlang der Barriere. Die Beben und Explosionen verursachten einen Felssplitterregen, der viele unserer Männer verletzte, vereinzelt leider auch erschlug.«

»Sonstige Vorkommnisse?«, fragte Zadok mit scharfer Stimme. Er runzelte die Stirn. Sollte Bayuna wegen solcher Lappalien ihren Posten verlassen haben, würde sie seinen Zorn zu spüren bekommen.

Bayuna zuckte zusammen und blickte zu Boden, während sie ihren Bericht fortsetzte. Sie musste ihm die guten Neuigkeiten mitteilen, bevor sich sein Zorn auf sie richtete. »Fast zwei Dutzend der Lagersklaven nutzten das Durcheinander für einen Fluchtversuch, den wir verhindern konnten. Ich habe die Rädelsführer bereits vor Ort hinrichten lassen. Der Rest wartet nun, in Ketten gelegt und von Saronern bewacht, vor den Toren auf die ihre Bestrafung. Sie werden es nicht wagen, die Echsen mit einem erneuten Fluchtversuch herauszufordern.«

In Zadoks Augen blitzte es zufrieden auf, seine Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. Er würde Bayuna verzeihen. Beinahe zwei Dutzend Sklaven genügten, um ihn und somit auch seine Truppen zu stärken. »Lass sie draußen vor den Toren festketten. Heute Abend nach Einbruch der Nacht werden sie uns mit ihrem Blute SEINE Gunst sichern. Ja, ihr Blut wird uns zum Sieg gereichen.«

Ängstlich und gespannt wartete die junge Halbelbin auf weitere Anweisungen. Ein kalter Schauer rann über ihren Rücken. Sie konnte es sich nicht erklären, doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass außer ihnen beiden noch etwas anderes, etwas Fremdes im Raum war. Zadok trat auf sie zu, strich über ihre Wange, legte seine Finger unter ihr Kinn und zwang sie, den Kopf zu heben und in sein Gesicht zu blicken.

Bayuna schluckte leer. Dämonenaugen, glühendrot und unheilvoll wie Blutrubine funkelten ihr entgegen. Beinahe erwartete sie, Reißzähne aus seinem Mund ragen zu sehen, doch nichts geschah. Also waren es wohl wahre Gerüchte, stimmten die geflüsterten Geschichten über einen Pakt zwischen Zadok und dem Ungenannten, dem namenlosen Dämonenfürsten.

Begierig sog Zadok ihre Angst in sich auf. Oh ja, er konnte förmlich riechen, wie das Adrenalin durch ihren Körper schoss, ihr Puls raste. Ja, heute Abend würden Leben ausgehaucht werden, doch nun würde er sich nehmen, wonach sein Körper verlangte.

Hart riss er die immer noch kniende Halbelbin zu sich hoch, die Finger fest in ihren schwarzen Locken vergraben. Lüstern und roh begannen seine Lippen und Hände ihren Raubzug. Ungeduldig zerrte er an ihrer Kleidung, riss das mit Metallplättchen verstärkte Ledermieder ihrer Rüstung herunter und machte sich gierig über den halb entblößten Leib her. Grob quetschte er das weiche Fleisch, während er sie vor sich her in sein Bett drängte. Bayuna stöhnte gepeinigt auf, als er sich zwischen ihre Schenkel drängte und sich hart und rücksichtslos nahm, was er wollte.

Sie biss sich auf die Unterlippe, schmeckte den metallenen Geschmack von Blut auf ihrer Zunge. Bloß nicht schreien, nicht seinen Zorn erregen.

Ein heiserer Aufschrei, ein letzter Stoß. Schwer atmend sank er auf ihrem Körper zusammen. Sachte, schon beinahe zärtlich strich er ihr das zerzauste Haar aus dem Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Meine schöne Kriegerin. Wahrlich, es gelingt Dir immer wieder aufs Neue, meine Sinne zu erfreuen. Nun geh, bereite Dich vor. Heute Nacht sollst Du an meiner Seite der Zeremonie beiwohnen.«

Mit diesen Worten rückte er seine Robe zurecht, glättete die entstandenen Falten und verließ den Raum. Bayuna erhob sich mit zitternden Gliedern, schluchzte hysterisch auf. Eben noch glaubte sie, den Akt mit ihrem Leben bezahlen zu müssen und nun zeichnete er sie derart aus. An seiner Seite der Zeremonie beizuwohnen, zu seinen Füßen neben dem steinernen Thron zu sitzen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er sie seinen Untertanen offiziell als Führerin seiner Truppen, Vertraute und Konkubine präsentierte. Stolz warf sie den Kopf zurück. Keiner würde mehr an den Makel in ihrer ansonsten reinen Dunkelelbenabstammung erinnern und sie mehr Halbblut nennen. Als Zadoks' Geliebte würde sie über mehr Macht verfügen, als es ihr als Heerführerin je möglich gewesen wäre. Wenn Leid und Schmerz nötig waren um sich seine Gunst zu sichern, würde sie es mit Freuden auf sich nehmen.

Dumpfe Trommelschläge und die monotone Gesänge der Priester erfüllten die Nacht, nur unterbrochen durch das Wehklagen der verurteilten Sklaven. Zadok stand vor den hohen Fenstern seiner Gemächer. Es war eine düstere Nacht. Kein Stern erhellte das Dunkel. Selbst der Mond blieb hinter schwarzen Wolken verborgen. Er selbst hätte die Szenerie nicht besser vorbereiten können. Doch nun wurde es Zeit. Die Stunde der Zeremonie nahte. »Paruk!«, donnerte Zadoks Stimme durch die Gänge des Schlosses.

»Zu Euren Diensten, mein Gebieter.« Der alte Mann verneigte sich, so tief es seine steifen Glieder noch zuließen. »Die übliche Robe, Herr?«

»Nein. Heute Nacht soll es die Schwarze sein.«

Schweigend half Paruk seinem Herrn die schwere, goldbestickte Robe aus schwarzem Samt anzulegen und gürtete sie mit einem kostbaren, rubinbesetzten Gürtel. Der dazu passende Umhang, dessen lange Ärmel über den Boden schleiften, mehrere schwere Ringe sowie der goldene Stirnreif mit dem in der Mitte eingelassenen schwarzen Opal vervollständigten das Bild. Zadok trat zu seinem Arbeitstisch und öffnete eine längliche, abgenutzt wirkende Kiste aus Ebenholz. Auf einem Kissen aus tiefrotem Samt lag die juwelenbesetzte und blutbefleckte Scheide seines Zeremoniendolches. Der Knauf des Dolches war die Nachbildung eines dämonischen Schädels mit weit aufgerissenem Mund und blutroten, unheilvoll funkelnden Augen.

Während Zadok sich die Scheide an den Gürtel hängte befahl er Paruk dafür zu sorgen, dass Bayuna ihn in der Halle erwartete.

Diese erwartete ihn bereits am Fuße der großen steinernen Treppe, die von der Eingangshalle in das Stockwerk mit seinen privaten Gemächern führte. »Hohepriester«, Bayuna versank in einem tiefen Knicks während die anwesenden Sklaven sich zu Boden warfen und ihre Gesichter auf die kühlen Steinplatten drückten. Sie verharrten regungslos, warteten. Doch dieses eine Mal fürchteten sie sich grundlos. An diesem Abend brauchte Zadok nicht noch mehr Sklaven, die ihn nach Zadoran begleiteten.

Sein Blick schweifte wohlwollend über seine Truppenführerin. Das lange, tiefblaue Kleid mit dem enganliegenden Mieder schmeichelte ihrer Figur und die hochgesteckten, mit silbernen Spangen festgehaltenen, schwarzen Locken betonten ihren schlanken Hals.

Sie bebte innerlich vor Freude. Er trug das Zeremoniengewand des Hohepriesters. Sie würde heute nicht nur an der Seite des Herrschers sitzen sondern zeitgleich an der Seite des großen Hohepriesters. Die ihr erwiesene Ehre wurde immer bedeutender. Es war sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie auch mit Worten offiziell zur Frau an seiner Seite erklärte.

Stumm ergriff Bayuna seinen dargebotenen Arm und legte ihre Finger locker auf seinen Unterarm. So schritten sie zusammen an den salutierenden Wachen vorbei zum Ostturm des Schlosses, flankiert von vier Fackelträgern.

Paruk, der hinter dem Paar herging beobachtet die beiden. »Naive Bayuna«, dachte er. Es war nicht zu übersehen, dass sie in die großmütige Geste mehr Bedeutung legte, als eine einfache Laune ihres Herrschers. Oh ja, sie war eine schöne, eiskalte Frau mit einem wachen Verstand und einer unstillbaren Gier nach Macht. Doch die Närrin war Zadok in keinerlei Hinsicht gewachsen. Wenn es ihm gefiel würde er sich ihrer mit einem Fingerschnippen entledigen.

Vor der schweren Tür des Ostturmes blieben sie stehen. Die Finger des dunklen Magiers glitten geübt über die kleinen Unebenheiten der Mauer und fanden ihr Ziel. Mit einem leisen Klick schwang die massive Tür langsam auf und gab ihnen den Weg frei. Mit einer herrischen Kopfbewegung befahl er Paruk, dass er ihn weiter begleiten solle. Überrascht gehorchte der alte Mann. Normalerweise mussten die Bediensteten den steilen und beschwerlichen Pfad nehmen, der sich zwischen den scharfen Felsen Nazrus hinabschlängelte. Nur Zadok und der Priesterschaft war es gestattet, dies zu umgehen und auf der Plattform nach unten zu fahren. Schweigend betraten sie den Raum und blieben in der Mitte stehen. Mit einem leichten Rumpeln bewegte sich der Boden unter ihren Füßen und glitt in die Tiefe. Nur das Licht der Fackelträger erhellte ihre Reise in die Tiefen von Nazru, dem schwarzen Berg. Nach wenigen Minuten hielt die Plattform. Die kleine Gruppe verließ sie und folgte, vorbei an vielen schmalen Holztüren, hinter denen die Priester ihre Reliquien und Zeremoniengegenstände aufbewahrten oder die Opfer vorbereiteten, dem schmalen Gang nach draußen. Zadoran, die Opferstätte an den Hängen es schwarzen Berges, lag hell erleuchtet vor ihnen. Erschaffen durch Magie und den Schweiß unzähliger Sklaven wirkte der Platz, der früher die Spitze von Nazrus' kleinerem Zwillingsberg gewesen war, wahrlich furchteinflößend.

Der Klippenrand wurde durch scharfe Felskanten gesäumt in den, in regelmäßigen Abständen mit magischen Symbolen versehene, eiserne Fackelhalter eingearbeitet waren. Auf einem von vier gewaltigen Steinkrallen eingerahmten Podest stand der massive Altar aus schwarzem und ölig glänzendem Felsgestein. Tiefe Rillen zogen sich von ihm aus durch den Boden, führten zu den Steinkrallen, wo kupferne Auffangschalen standen. Getrocknete Blutspuren legten stummes Zeugnis ab über deren Rolle an diesem schaurigen Ort.

Teilweise noch kaum den Kinderschuhen entwachsen kauerten die verurteilten Sklaven frierend, streng bewacht durch Dunkelelben und Saroner und an Händen und Füssen zusammengekettet, in einer Ecke des Platzes. Sie waren nackt. Priester in schwarzen Kutten waren dabei, mit Tierblut Formeln und Beschwörungen auf die bloßen Leiber zu malen während andere, ein Mantra singend, den Altar neun Mal umkreisten, bevor sie sich, immer noch singend, in respektvollem Abstand zum Altar aufstellten.

Als Zadok die Opferstätte betrat verstummten sie. Einer der Priester löste sich aus der Schar, trat vor seinen Herrn und verneigte sich. Seine schwarze Robe war mit einer blutroten Borte eingefasst als Zeichen seines Ranges als Zadoks' Stellvertreter in religiösen Dingen. »Erhabener Zadok, Hohepriester. Ich wusste nicht, dass Ihr heute höchstpersönlich die Zeremonie leiten wollt. Ansonsten...«

Zadok hob die Hand und unterbrach den Redeschwall des Priesters. »Nicht die gesamte Zeremonie, Sarun. Nur das Erste soll durch mich in SEINE Hände übergehen.«

Sarun nickte. »Ich werde es gleich herbringen lassen. Es ist noch in der Kammer und wird vorbereitet.«

»Dann möge die Zeremonie nun beginnen«, verkündete Zadok mit tiefer, weithin vernehmbarer Stimme.

Über dem Eingangstor in den Berg, genau gegenüber dem Altar, auf einem etwas erhöhten Felsvorsprung, stand ein massiver Thron aus schwarzem Obsidian. Er war ein Bildnis des Schreckens. Der Stein war so geschliffen und geformt, dass es den Anschein erweckte, als sei der Thron aus schwarzen Knochen gefertigt worden. Die Rückenlehne erinnerte an einen breiten Brustkorb, die Rippen offen und gebrochen, so dass man sich zurücklehnen konnte und die Armlehnen endeten in kindskopfgroßen Schädeln, in deren Augenhöhlen blutrote Kristalle funkelten und deren Kiefer mit beängstigend langen und spitzen Zähnen besetzt waren.

Schmale, steile Stufen, seitlich in die Felswand des Nazru geschmiegt, führten hinauf bis zu den Füssen des Throns, welcher auf einer Schicht schwarzer steinerner Schädel stand. Auf diesen, genau zu Füßen des Thrones nahm Bayuna auf Geheiß ihres Herrschers Platz. Bewundernd blickte sie auf die Szenerie. Es würde eine überwältigende Zeremonie werden, denn normalerweise eröffnete der Hohepriester nur am höchsten Festtag die Feierlichkeiten.

Paruk postierte sich neben den Stufen, die zum Thron hinaufführten. Noch immer zermarterte er sich den Kopf darüber, warum Zadok ihm die Teilnahme an der Zeremonie befohlen hatte.

Die monotonen Gesänge der Priester erfüllten erneut die Nacht, mischten sich mit dem Wehklagen der angeketteten Sklaven, während Zadok auf den Altar zuschritt, ihn einmal umrundete und hinter dem Altar, mit Blick auf das Tor, stehen blieb. Flankiert von vier Saronern, deren schuppenbesetzte Schwänze mit einem schabenden Geräusch über den Boden strichen, wurde das erste Opfer auf ihn zugeführt.

Barfuß, eingehüllt in eine schlichte, schneeweiße Robe schritt es auf den Hohepriester zu. Kurze, schwarzbraune Locken umrahmten das schmale Gesicht, betonten die großen, von dichten Wimpernkränzen umrahmten, braunen Kinderaugen, die neugierig und ein wenig ängstlich umherblickten. Am liebsten wäre er wieder hineingerannt, doch er blieb folgsam, wenn auch völlig verunsichert zwischen den vier Saronern stehen. Auch wenn er erst zwei Jahre alt war wusste der Kleine schon sehr genau, dass er den Priestern und Wachen zu gehorchen hatte.

Paruks Augen weiteten sich und er keuchte entsetzt auf. Benar, sein Urenkel. War sein Leid denn nie zu Ende? Schweren Herzens hatte er nach Amalinas Tod den Jungen zur Priesterschaft getragen. Doch dass er nun gezwungen war, das letzte Mitglied seiner Familie mit eigenen Augen sterben zu sehen, brachte ihn schier um den Verstand. Er blickte hoch, direkt in Zadoks eiskalte Augen. »Er weiß es!«, fuhr es ihm durch den Kopf. »Er weiß, dass ich Amalina unerlaubt nach den alten Riten Darshans beerdigt habe, statt ihre Leiche den Aasfressern zu überlassen.« Paruk schluckte leer und senkte demütig seinen Blick zu Boden und rang verzweifelt die Hände, während er krampfhaft die Tränen unterdrückte.

Die Gesänge wurden lauter. Die Saroner schnitten dem Kleinen mit ihren Klauen die Robe vom Körper, legten den zarten, blassen Leib auf den Altar und stellten sich je neben einer der Steinkrallen auf. Vier der Priester traten vor, ergriffen Benars Gliedmaßen und streckten den kleinen schmächtigen Körper auf der Altarfläche aus. Bayuna beugte sich vor. Wilde Erregung pulsierte durch ihren Körper. Gleich würde es beginnen.

Der Junge blickte sich verwirrt um. Ihm war kalt und er wollte wieder zurück in die warme Küche, wo seine Mutter ihn so oft hatte spielen lassen. Er drehte seinen Kopf und blickte genau in Paruks Gesicht. Benar lächelte erleichtert, wenn auch etwas zaghaft. Wenn sein Urgroßvater hier war, dann würden sie sicher bald zusammen wieder nach hause gehen. Dem alten Mann traten Tränen in die Augen und er hatte das Gefühl, ihm würde die Kehle zugeschnürt. Unendliches Vertrauen lag in diesen großen, warmen Kinderaugen, Vertrauen, das er nicht verdient hatte.

Zadok trat langsam näher zum Altar, zog feierlich den gezackten Zeremoniendolch, an dessen Heft und Griff blutrote Edelsteine glitzerten, aus der Scheide und hob den Arm.

Der Knabe, dessen Blick noch immer unverwandt auf seinem Urgroßvater ruhte, drehte im letzten Moment den Kopf und sah die Klinge auf sich niedersausen. Sein kurzer fiepender Aufschrei verstummte, als sich der Dolch tief in seine Brust bohrte und die Lunge durchstach. Gurgelnde Laute entrannen dem kleinen zuckenden Körper und Blut quoll zwischen den Lippen des Knaben hervor. Der Kopf des Kleinen sank zur Seite. Mit weit aufgerissenen Augen ruhte sein letzter, sterbender Blick auf seinem Urgroßvater, als mit einem letzten Zucken der Blick brach und glasig wurde. Noch bevor das Herz seinen letzten Schlag tun konnte schnitt Zadok mit dem scharfen Dolch die zarte Brust des Knaben weiter auf. Mit lautem Knacken brach er den Brustkorb des Jungen auf, legte seine Hand um das noch warme Herz Benars und riss es heraus. Triumphierend hielt er das kleine Herz in den sternenlosen Nachthimmel. Die Ärmel seiner Robe waren blutgetränkt und seine dunkle Robe schimmerte feucht vom Blut seines Opfers. Mit irrem Blick aus den weitaufgerissenen, rotglühenden Augen starrte er in die Nacht, während der kleine Leichnam langsam ausblutete und das Blut in die Rillen im Altar sickerte.

Tiefe, gutturale Laute kamen aus seiner Kehle, während er IHN, den Herrscher über alle Dämonen beschwor und ihm huldigte.

Paruk brach zusammen, jammernd fiel er auf die Knie und schrie auf wie ein waidwundes Tier. Wie in stummer Anklage fühlte er die glasigen Augen des Jungen auf sich ruhen. Durch einen dichten Tränenschleier sah er, wie Zadok das kleine Herz in die Obsidianschale am Fuße des Altars fallen ließ, die Priester das warme Blut seines Urenkels auffingen, um damit die in die Steinkrallen eingemeißelten Abbilder der Dämonen und Nachtgeschöpfe zu weihen. Ein tiefes Summen erfüllte die Luft und die Steinkrallen erstrahlten in einem unheilvoll pulsierenden roten Glühen.

Während die Priester gleichgültig die den schlaffen Körper des Jungen etwas abseits vom Altar zu Boden warfen, brachten die Wachen bereits den nächsten Sklaven. Es würde noch eine lange Nacht mit vielen Opfern werden und zu dem zarten Kinderkörper würden sich noch weitere Leichen gesellen.

Nachlässig wischte Zadok das Blut von der Klinge, steckte sie wieder zurück in die Scheide. Mit einem düster lächelnden Blick auf seinen alten Diener leckte er sich das Blut des Jungen von der Hand, bevor er den Altar verließ und die Stufen zu seinem Thron hinauf stieg. Zufrieden registrierte er, dass Paruk seine Lektion gelernt hatte. Er hätte ihn hinrichten lassen können für diesen Frevel. Doch zu sehen, wie der Junge ums Leben kam und seine weggeworfenen Überreste von den Saronern verzehrt wurden, war die grausamere Strafe und würde ihn lehren, mehr noch als eine Verurteilung zum Tode, seinem Herren nie wieder zu trotzen.

Kaum hatte er auf seinem Thron Platz genommen schmiegte sich Bayuna gegen sein Knie. Er lächelte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Zeremonie zu, ihr dabei beiläufig über das seidene Haar streichelnd.

XXXIX

»Wo treibt sich der Junge nur rum?«, schimpfte Manju. Seit über einer Stunde suchten sie nun schon überall nach Felix, vergebens.

»Wir werden ihn schon finden. Er kann sich ja nicht einfach so in Luft aufgelöst haben.«

»Da wäre ich mir an Deiner Stelle nicht so sicher«, grummelte der Elb vor sich hin. »Wer weiß schon, was in seinem Kopf vorgeht oder zu was er fähig ist, seit diesem Auftritt heute Morgen vor dem Rat.«

Yashi seufzte. Solange Manju hungrig war, konnte man mit ihm schlichtweg nicht vernünftig diskutieren. Doch bevor sie sich ums Essen kümmern konnten, mussten sie erst Felix wieder finden.

»Yashi« , der kleine Grünling blieb abrupt wie angewurzelt stehen, als ein stechender Schmerz durch seinen Kopf fuhr. »Bei allen Göttern was war das denn?«

Tapani und Manju blickten ihn zweifelnd und fragend an. »Was war was?« erkundigte sich Tapani. »Ach nichts«, grummelte Yashi und schüttelte seinen Kopf, um wieder klar denken zu können. Er musste sich diese Stimme eingebildet haben, kein Wunder nach all dem Stress in den letzten beiden Tagen.

Erneut bohrte sich ein stechender Schmerz wie ein scharfes Messer durch seinen Kopf. Der kleine Grünling taumelte. »Yashi, kannst Du mir sagen, ob das Ganze funktioniert? Ich versuche es schließlich das erste Mal. Nun ja, falls es doch klappen sollte; ich bin in der Nähe des Gasthofs.«

Der kleine Grünling rieb sich den schmerzenden Kopf. Felix! Das war des Rätsels Lösung. Aber dass der Junge auch so schreien musste. Grinsend wandte er sich an seine beiden Begleiter. »Kommt, wir sollten es noch einmal beim Gasthof versuchen.«

»Weswegen?«

»Blick mich nicht so misstrauisch an, Manju. Mein Kopf klingelt immer noch. Aber um Deine Frage zu beantworten: es sieht so aus, als ob unser junger Freund anfängt mit seinen Fähigkeiten zu experimentieren.«

»Gedankensprache?«

»Ich würde es eher Gedankenschreien nennen. Wir müssen ihm unbedingt beibringen zu sprechen, ohne dass der Empfänger gleich das Gefühl bekommt, als würde ein glühender Pfeil durch sein Kopf gebohrt.«

Manju griente. »Besser Dein Kopf als meiner. Also los, sammeln wir unseren kleinen Schüler auf.«

Eben dieser saß mit überkreuzten Beinen auf der Wiese vor dem Gasthof und kniff die Augen fest zusammen. Kleine Schweißperlen traten auf seine Stirn während er vor sich hin murmelte, bis er mit einem entnervten Fluch aufgab. Es schien nicht zu funktionieren, also musste er wohl oder übel auf die normale Art und Weise nach seinen Freunden suchen. Felix löste seine in die Hosenbeine verkrallten Finger und erstarrte. Langsam hob er seine Hände, spreizte die Finger und blickte ungläubig auf deren Innenfläche. Ehrfürchtig fuhr er mit den Fingerspitzen über seine linke Handfläche. Kein Schnitt, ja nicht einmal die kleinste Narbe war noch zu sehen. In der ganzen Aufregung seit der vergangenen Nacht hatte er gar nicht bemerkt, dass er die Verbände nicht mehr benötigte. »Ist das die Macht, von der Illari gesprochen hat?«

»Warum starrst Du denn so nachdenklich auf deine Hände, kleiner Vertan?«, hörte er eine tiefe Stimme neben sich. Felix blickte hoch. »Tapani?« Der Ba'nei blickte grinsend auf den verwirrten jungen Mann hinunter. Ja, das war wieder der Felix, den er kannte. Schmunzelnd zog er seinen Freund hoch und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. »Wir haben Dich gesucht.«

»Wir?«

»Yashi, Manju und ich. Erst brüskierst Du den gesamten Rat und die anwesenden Priester und Adeligen und dann verschwindest Du so schnell, dass wir noch gar nicht erfahren haben, was Du als nächstes tun willst.«

Felix schlang seinen Arm um Tapanis Hüften und wandte sich Yashi und Manju zu, die schweigend die kleine Begrüßung der beiden beobachtet hatten. Er runzelte die Stirn. »Waren sie sehr beleidigt?«, in Felix' Stimme schwang Besorgnis mit. »Ich wollte ja nicht unhöflich sein, aber es ist doch einfach keine Zeit für belangloses Geplauder.«

»Gut, dass mein Onkel das nicht auch noch gehört hat. Er versucht immer noch, sich von heute morgen zu erholen.« Manju gluckste und blinzelte Felix vergnügt zu. »Mach Dir keine Sorgen darum, ob Du die Leute brüskiert hast oder nicht. Außerdem hast Du uns einen unvergesslichen Auftritt der Göttin beschert.« Der Elb blickte ehrfürchtig. »Ich kannte bisher nur ihr Abbild. Sie in dieser Gestalt vor uns zu sehen… eine größere Ehre wurde mir bisher noch nie zuteil.«

»Manchmal könnte man auf diese Ehre aber auch verzichten«, brummelte Felix vor sich hin, der sich noch viel zu gut an die Episode im Badehaus erinnerte. Er blickte auf, direkt in die schockierten Gesichter der anderen. Felix errötete heftig und fühlte sich bemüßigt, seine zugegebenermaßen sehr undankbar und respektlos klingende Aussage zu erklären.

»Ich wollte die Göttin nicht beleidigen.«

»Sondern?« Manju zog, auf eine Erklärung wartend, stumm eine Augenbraue hoch.

»Ach verdammt«, platzte es aus Felix heraus. »Warum musste sie auch nackt im Badehaus auftauchen?!« Dies brachte ihm noch weit neugierigere Blicke ein, welche ihn dazu zwangen, gewisse Ereignisse, die er viel lieber vergessen hätte, genauer zu erläutern.

Viel Gelächter und gestammelte Erklärungen später wussten die anderen drei alles über Felix' kleines Abenteuer im Badehaus.

Glucksend grinste ihn Yashi an. »Das war also der Grund für Dein Geschrei. Aber ich muss Illari Recht geben. Du musst wahrlich noch viel lernen. Mir klingeln jetzt noch die Ohren.«

»Geschrei? Du hast mich also gehört?« Felix strahlte. Sein erster Versuch sich durch Gedanken zu verständigen hatte also doch funktioniert. »Aber warum habe ich dann keine Antwort von Dir bekommen?«

Yashi zuckte die Schultern. »Es gibt unzählige Möglichkeiten. Zum einen die fehlende Übung, dann Dein Geschrei. Ich denke, wir können Deine Ausbildung damit beginnen.«

»Meine Ausbildung?« Felix blickte den kleinen Grünling verdutzt an.

»Immer noch eine sehr gebräuchliche Form um zu lernen. Du hast Dir mit uns Dreien sehr unterschiedliche Begleiter ausgesucht, um Dich auf Deinem Weg zu begleiten. Ein jeder hat seine besonderen Fähigkeiten, welche Dir von Nutzen sein können. Manju ist einer der besten Spurenleser und Bogenschützen des Reiches, um nur zwei seiner Fähigkeiten zu nennen. Dein Freund«, Yashi nickte in Tapanis Richtung, »versteht es meisterhaft, sich wie eine Katze anzuschleichen und aus allen möglichen Situationen herauszuwinden.«

Felix lächelte. »Und Du selbst kannst mir dabei helfen, dieses Telepathie-Ding zu lernen. Ich glaube, ich habe Dich verstanden Yashi.«

Manju räusperte sich und blickte Felix erwartungsvoll an. »Ich unterbreche ja nur ungern eure Unterrichtsplanung. Aber nachdem Du jetzt so etwas wie unser ‚Anführer' bist, würde ich von Dir gerne wissen, wann und wohin wir aufbrechen.«

Tapani und Yashi nickten zustimmend. In diesem Moment wurde Felix bewusst, dass er auf dieser Reise nicht mehr einfach hinter den anderen herstapfen würde. Doch wie plante man so etwas? Sie brauchten Vorräte, mussten ihre Sachen packen und vieles mehr. Er verzog das Gesicht und grinste Manju schief an. »Ich weiß weder, was ein Anführer machen soll, noch was wir alles erledigen müssen, bevor wir aufbrechen können.« Bittend legte er seine Hände auf Yashis und Manjus Unterarme. »Ich brauche euch dazu. Das Schicksal mag mir eine besondere Rolle in diesem Spiel zugedacht haben, aber ohne euch werde ich es nicht schaffen.«

Yashis Augen glitzerten zufrieden, während sie sich auf den Weg in die Stadt machten. Ja, der Junge würde seinen Weg machen. Eine erste Lektion hatte er bereits gelernt. Zuzugeben, dass man etwas nicht konnte und um Hilfe zu bitten war keine Schande und oftmals klüger, als blindlings einfach loszustürmen.


Die gewaltigen Türflügel der Bibliothek schwangen langsam auf. Rubinkralle betrat den Raum, begleitet von einem hochgewachsenen, in dunkelblaue Seide gehüllten Paar, das Ruhe und stoische Gelassenheit ausstrahlte. Nur wer unter diese Schale blicken konnte, bemerkte die Anspannung und Sorge in ihren Gesichtern. »Vater!« Panjaru erhob sich aus dem Sessel. Er widerstand dem Drang einfach loszurennen und sich seinen Eltern in die Arme zu werfen. Nein, das wäre das Benehmen eines Kindes und nicht eines Kriegers. Stumm blieb er aufrecht stehen und wartete. Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen, als ihm aus dem so vertrauten Gesicht seines Vaters Konjaru entgegenblickte. Einzig das von silbernen Strähnen durchzogene dunkelbraune Haar und die feinen Fältchen im Gesicht bewiesen, dass nicht der Geist seines Bruders vor ihm stand. Schon immer war die Bindung zwischen Vater und Sohn viel tiefer gegangen. Mochte ihr Vater auch all seine Kinder lieben, so galt die größte Zuneigung doch seinem Erstgeborenen.

Panjaru neigte den Kopf und erwies seinen Eltern die Ehre. »Seid gegrüßt meine Eltern. Doch bringe ich euch keine guten Nachrichten. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass es mir nicht gelungen ist, euch meinen Bruder gesund zurück zu bringen.« Er straffte die Schultern und blickte fest in die Augen seines Vaters. Doch er las keine Enttäuschung in ihnen. Vielmehr sah er Besorgnis aber auch Stolz. Panjaru war verwirrt. Eine weiche Hand legte sich sanft auf seinen Arm. Er neigte den Kopf und lächelte liebevoll. Mutter. Auf den ersten Blick sanft wie Seide war sie innerlich so stark wie frisch geschliffener Stahl. Mit ihrer Wärme und Liebe war sie der Mittelpunkt der Familie.

»Sei kein Dummkopf, Panjaru. Dazu habe ich Dich nicht erzogen. Rubinkralle hat uns alles erzählt und auch die Unterhaltung mit deiner Seelenschwester war sehr aufschlussreich. Du bist über Dich selbst hinausgewachsen, um Deinen Bruder nach Hause zu holen. Die vollständige Verschmelzung von Drache und Reiter ist ein sehr machtvoller und komplexer Zauber. Nur sehr wenigen gelingt es, diese Magie im ersten Jahr der Vereinigung zu weben. Doch Dir ist es gelungen. Noch kaum an eine Verbindung gewöhnt habt ihr beide es geschafft vollkommen eins zu werden und so auf dem Licht zu reiten. Nein mein Sohn, wir sind nicht enttäuscht von Dir.« Sie zog seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn auf die Stirn. Tränen schimmerten in ihren Augen. Dann zog sie ihn heftig an sich und umarmte ihn.

Panjaru erwiderte die Umarmung und blickte über den Kopf seiner Mutter hinweg zu seinem Vater. Konjan nickte. »Sora spricht die Wahrheit, mein Sohn. Du hast mehr vollbracht, als man von einem jungen Mann so kurz nach Verlassen der Akademie erwarten würde. Mein Herz ist erfüllt vor Stolz, denn Du hast der Familie wahrhaftig große Ehre erwiesen.« Er trat zu den beiden und legte die Arme um sie. »Die große Mutter hat mich mit einer Familie gesegnet, die mich mit Glück und Stolz erfüllt. Doch nun lasst uns zu ihr beten.«

Rubinkralle, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat etwas näher. Der Boden vibrierte bei jedem seiner Schritte. »Ja, Du bist wahrlich gesegnet, mein Freund. Wartet hier, ich werde die Heiler aufsuchen und sie befragen, wie es um Deinen Sohn steht. Ich muss euch nicht sagen, dass ich mir ernsthafte Sorgen mache. Wir haben die besten Heiler des Landes hier und dennoch hat sich bisher nichts verändert.« Konjan wollte gerade etwas erwidern, als ein scharfer Schmerz durch seinen Körper fuhr. Der Aufschrei Regenbogens, seines Drachens, hallte in seinem Innern wieder. Aufkeuchend hielt er sich an seiner Familie fest und sah, dass auch sie sich nur noch mit Mühe aufrecht halten konnten. Ob auch sie die Schreie ihrer Drachen vernahmen? Alarmiert fuhr Konjan herum. »Rubinkralle! Was geht hier vor?« Die Augen des Drachens waren weit aufgerissen. Unendliches Leid spiegelte sich in ihnen wider. »Das Licht eines Drachens beginnt zu erlöschen.«

»Silberklaue?« Sora hatte sich aus der Umarmung ihrer Familie gelöst und trat vor den großen Alten. »Sag es mir Rubinkralle. Ist es Silberklaue?« Angst schwang in ihrer Stimme mit. Der Drache nickte.

Gepeinigt schloss Sora die Augen. Als sie sie wieder öffnete, rannen Tränen über ihre Wangen. »Keiner kann ohne seine Seele überleben. Wenn Silberklaue stirbt…« Mit einem Aufschrei wirbelte sie herum und warf sich an die Brust ihres Mannes. Ihre Tränen durchnässten seine Tunika. »Konjan, unser Sohn… wir werden unseren Sohn verlieren!«

Lesemodus deaktivieren (?)