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Ronny
Teil 4
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Informationen
- Story: Ronny
- Autor: Nico
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Coming Out, Lovestory
Zusammenfassung Teil 3
Ronny hatte also seinen ersten richtigen Sex mit einem Boy - mit Holger. Der Junge, in den er sich so schnell verliebt hatte und für den er wohl alles getan hätte, spielte aber nur mit ihm und seinen Gefühlen und zeigte Ronny am Abend deutlich, dass er sonst nichts von ihm will. Ronny war am Boden zerstört und traurig. Sabine aus Roberts Klasse, die zufällig die Cousine von Flocke war, hatte mittlerweile allen erzählt, dass ihr Cousin, Ronny mit einem Gayheft erwischt hatte. Frank begrüßte Ronny gleich mit einem derben Spruch und so musste Ronny denken, dass Robert sein Wort gebrochen und den anderen erzählt hat, dass er schwul ist. Ronny war verzweifelt, schlägt seinen besten Freund und läuft weinend nach Hause. Durch Frank erfährt er, wie die Geschichte wirklich war und will sich unbedingt bei Robert entschuldigen.
Langsam drehte ich mich um und sah in zwei braune Augen, die mich erwartungsvoll ansahen. Sicher hätte ich etwas sagen müssen, aber was? Mein Gegenüber war schneller mit der Suche nach Worten.
»Was machst du mitten in der Nacht in fremden Gärten?«
Robert sprach ruhig und unbetont. So hatte ich ihn noch nie gehört. Hatten wir uns eigentlich schon jemals ernsthaft über etwas unterhalten? Haben wir nicht immer nur rumgealbert? Ich kannte diesen ernsten Ton in seiner Stimme nicht und er machte mir Angst und ich war unsicher.
»Ich bin hier um meinen besten Freund um Verzeihung zu bitten. Ich habe mich ihm gegenüber wie ein riesen Arschloch verhalten und hoffe, dass er mir verzeihen kann.«
Ich wagte bei diesen Worten nicht, Robert ins Gesicht zu sehen.
»Und was denkst du? Wird er dir verzeihen?«
»Ich hoffe es.«, sagte ich noch leiser und mein Blick senkte sich immer mehr zum Boden.
Robert antwortete nicht. Ängstlich hob ich meinen Kopf und wagte ihn in die Augen zu blicken. Er schaute mich immer noch irgendwie erwartungsvoll an.
»Und was machst du hier im Garten so alleine? Warum bist du nicht in deinem Zimmer um diese Zeit?«, fragte ich.
»Ich war am Teich, dort bin ich immer wenn ich traurig bin.«
Immer wenn er traurig ist? Wann war Robert traurig? Wir hatten doch immer nur Spaß zusammen. Robert lachte und strahlte doch eigentlich ständig und von ihm kam doch immer irgend ein Blödsinn nach dem anderen. Es konnte doch nicht sein, dass er manchmal traurig war, oder? Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, dass auch er Probleme haben könnte und bei dem Gedanken daran, fühlte ich mich noch schlechter. Ich sagte ihm immer, ich sei sein bester Freund. War ich das wirklich? War ich wirklich immer für ihn da? Was sind das nur für scheiß Gedanken? Haben wir nicht gestern noch zusammen im Sandkasten gespielt und waren unsere einzigen Probleme nicht die, wer den großen Bagger zum spielen bekam, oder wessen Sandburg größer war?
»Komm mit.«, sagte er plötzlich zu mir.
Robert nahm meine Hand und führte mich durch den dunklen Garten. Noch ein ungewohntes Gefühl. Er hatte einfach so meine Hand genommen. Er war also nicht böse auf mich?
Wir gingen durch den Garten, an dessen Ende sich der recht große Teich befand. Unter ein paar alten Bäumen stand eine kleine Bank. Wir setzten uns.
Robert nahm einen kleinen Stein und warf ihn ins Wasser. Es war recht dunkel, aber im Schein des Mondlichtes, beobachtete ich die gleichmäßigen Wellenbewegungen, die der Stein verursachte. Es war irgendwie beruhigend. Kam es mir bis eben noch so still vor, so hörte ich plötzlich immer mehr Geräusche. Das zirpen von Grillen, Frösche, Rascheln im Gras ... Es waren beruhigende Geräusche. Laute die an diesen Platz gehörten und die ganz anders klangen, als die Hektik des Tages und der Lärm der Stadt. Noch nie hatte ich schweigend neben Robert gesessen. Ruhe war nie unser Ding gewesen. Das hatte schon so mancher Lehrer in seinem Unterricht verflucht.
Wir lehnten uns beide zurück und ich schaute wieder zu Robert.
»Bist du oft traurig?«, wagte ich zu fragen.
Ich sprach nur leise, aber in der Stille des Abends kam es mir fast wie ein Schrei vor.
»Nein nicht oft,«, lächelte er: »aber manchmal schon.«
»Und warum bist du dann traurig?«
»Als meine Schwester gestorben ist, war ich oft hier. Ich habe immer versucht mit ihr zu reden. Ich habe gehofft, sie gibt mir mal irgend ein Zeichen, ob sie mir verzeihen kann?«
Robert seine kleine Schwester war vor vier Jahren durch die große Glasscheibe an der Eingangstür gestürzt und hatte sich so schwer verletzt, dass sie verblutet ist. Robert war dabei, stand aber so schwer unter Schock, dass er keine Hilfe holen konnte.
»Warum verzeihen Robby? Du konntest doch nichts dafür?«
»Ich weiß nicht. Ich war doch dabei. Vielleicht wäre sie nicht verblutet, wenn ich eher reagiert hätte.«
»Quatsch. Was hättest du tun sollen? Du warst doch noch viel zu klein.«
»Ich vermisse sie noch heute und ich frage mich oft, wie es wohl wäre, wenn sie noch leben würde. Ich bin aber auch traurig, weil ich noch keine Freundin habe. Markus, Mike, Olli und Floppe - alle erzählen von ihren geilen Erlebnissen mit Frauen und ich? Ich hab noch nicht mal ein Mädchen geküsst.« Robert senkte seinen Blick. »Ich habe mir immer gewünscht, dass wir zwei gleichzeitig 'ne Freundin finden und dann zu viert genau so viel unternehmen können, wie wir das bis jetzt zu zweit gemacht haben. Na ja, oder es kann ja bei dir auch ein Freund sein, wenn du nicht so scharf auf Mädchen bist. Und jetzt bist auch du mir da um Längen voraus. Du hast Holger und ich bin immer noch alleine. Bald wirst Du nur noch mit Holger zusammen sein wollen und ich bin ganz alleine.«
Holger! Ja richtig, Robert wusste ja von der ganzen Geschichte noch gar nichts. Ich überlegte eine Weile, ob und was ich ihm erzählen sollte. Robert sah traurig in's Wasser und ich begann langsam ihm die ganze Geschichte zu beichten mit allen Einzelheiten. Als ich ihm erzählte, was ich abends vor dem Kino erlebt hatte, wurde mir das ganze noch mal richtig bewusst und ich konnte mich nicht gegen eine kleine Träne wehren, die unbedingt an die frische Luft drängte. Ich weiß nicht, ob ich richtig traurig war. Ich glaube, ich war mehr wütend, dass ich auf diesen Kerl hereingefallen bin, dass ich so naiv war zu glauben, er könnte mich wirklich lieben.
Sowie ich mit meiner Erzählung fertig war, legte Robert seinen Arm um meine Schulter und mit einem mal wurde ich wieder viel ruhiger.
»Robby?«, fragte ich flüsternd.
»Ja?«
»Du bist mir doch nicht mehr böse, wegen heute Abend? Verzeih mir bitte, aber ich war so fertig. Es tut mir leid, dass ich dir misstraut habe.«
»Ist schon ok, du Held. Ab morgen suchen wir für dich einen neuen Freund. Einen der so einen Pfundskerl wie dich auch verdient hat.«
»Ja und für dich eine hübsche Freundin und dann fahren wir zusammen irgend wo hin. Am besten mit dem Zelt irgendwo campen.«
Wir grinsten uns an. Noch nie war mir so bewusst, wie wichtig mir die Freundschaft zu Robert war. Noch nie hatten wir so miteinander gesprochen und noch nie habe ich mich in seiner Gegenwart so wohl gefühlt.
Ich musste an Holger denken.
»Robby, auch wenn das mit Holger anders gekommen wäre, oder wenn ich mal einen anderen Jungen kennenlerne, Du wirst immer mein bester Freund bleiben.«
»Ja, ich weiß.«, und nach einer kleinen Pause: »Vielleicht ist ja dein Quartiergast der übermorgen kommt ein süßer Typ, der auch auf Jungs steht.«
Richtig wir bekommen ja Besuch aus der Schweiz, aus unserer Partnerstadt.
»Glaub ich nicht. So viel Glück habe ich bestimmt nicht. Unser lieber Herr Klassenlehrer war ja so nett, die Aufteilung schon vorher festzulegen. Der Typ der zu uns kommt heißt Roland. Beate meinte, er wäre ein richtiges Arschloch. Sie hat ihn im vorigen Jahr kennengelernt, als sie mit der Oberstufe in der Schweiz war. Gott sei Dank schläft er im Gästezimmer, da habe ich wenigstens meine Ruhe. Sag mal, wie spät ist es eigentlich?«
»22 Uhr 30«
»WWWWWWWWWWWWaaaaaaaaaaaaaaaaasssssssssssssss? Meine Mutter wird schon die Polizei verständigt haben. Mama ist schon 20 Minuten zu Hause und hat bestimmt schon voll die Panik. Ich muss unbedingt heim.«
»Na dann los, ich glaube du brauchst heute nicht noch mehr Ärger.«
»Stimmt Robby, aber es war schön mit dir zu reden. Danke.«
»Gleichfalls, mein Schatz.« Robert hatte den verschmitzten Ausdruck in seinen Worten wieder.
Also wirklich wieder alles beim alten.
***
Zu hause angekommen beeilte ich mich mein Fahrrad in der Garage zu verstauen und schnell ins Haus zu kommen. Meine Mutter saß in der Küche und sah mich mit großen, erwartungsvollen Augen an.
»Wo warst du nur Ronny, ich habe mir Sorgen gemacht?«
Ihre Stimme klang ruhig und gar nicht so aufgeregt, wie ich es eigentlich vermutet hätte.
»Nabend Mam, ich war noch bei Robby. Entschuldige, aber wir mussten noch was wichtiges besprechen, da ist es etwas später geworden.«
»Aha und sonst ist alles in Ordnung, oder gibt es was zu berichten?«
»Nein, alles ok. Ich geh dann ins Bett.«
»Na dann: Gute Nacht mein Sohn.«
»Nacht Mami.«
Das lief ja besser als gedacht. Eigentlich war sie viel zu ruhig. Ich hatte eine riesen Standpauke erwartet. Ob irgend etwas nicht in Ordnung war?
Ich lief sofort ins Badezimmer und begann mit den allabendlichen Verrichtungen. Ich konnte mich nicht mal richtig auf das Zähneputzen konzentrieren. Ich musste ständig daran denken, was wohl morgen in der Schule passiert. Immerhin hatten ja nun von dem Vorfall eine ganze Menge meiner Freunde mitbekommen.
Nun wurde es aber wirklich Zeit fürs Bett. Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer und glaubte fast, mir blieb das Herz stehen. Verdammt daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Scheiße! Ich fing an zu zittern und meine Gedanken rasten noch schneller, als sie das an diesem Tage eh schon getan hatten.
Vor mir, mitten im Zimmer, lag ein kleiner Berg Papiermüll - die zerrissenen Gayheftchen. Wie konnte ich das nur vergessen. In meiner Aufregung vorhin, hatte ich sie einfach liegen gelassen. Ich dachte ja auch, dass ich vor meiner Mutter wieder zurück bin.
Vielleicht war sie ja nicht in meinem Zimmer? Doch sie war, denn sie wusste ja, dass ich nicht da war und sie kommt immer noch mal zu mir rein, wenn sie von Arbeit kommt.
Vielleicht hat sie sich das ja gar nicht so genau angesehen? Schwer zu glauben. So sorgfältig war ich in meiner Zerstörungswut nicht. Schon ganz oben auf dem kleinen Haufen lag ein großes Bild, dass zwei nackte Jungs zeigte, die es miteinander trieben. Das war schon von der Tür aus deutlich zu erkennen und einige Seiten waren ganz heil geblieben.
Ich setzte mich auf mein Bett. Mein Kopf wurde schwer und ich musste ihn auf meine Hände stützen.
WAS NUN???
Wie viel Ärger verträgt ein fast 16Jähriger an einem Tag? Wer um alles in der Welt wollte das heute nur gerade an mir testen? Wenn vor ein paar Minuten noch tausende Gedanken durch meinen Kopf schwirrten, so war ich jetzt absolut leer. Gefühlslos saß ich da und einige Minuten war ich wie weggetreten. Langsam kamen wieder ein paar Bilder in meinen Kopf. Ich sah meine Mutter in der Küche sitzen. Was würde sie jetzt denken? Ob sie nun weiß, dass ich schwul bin. Vielleicht nimmt sie es ja auch gar nicht so ernst. Sie weiß ja auch gar nicht, ob diese Schnipsel überhaupt von mir sind. Vielleicht sage ich ihr, ich habe den 'Schweinkram' nur gefunden und gleich zerrissen. Nein ich will nicht wieder lügen.
Ich stopfte die Schnipsel in meinen Papierkorb. Eigentlich tat es mir schon wieder leid um die Hefte. Sie waren das einzige, was mir bisher Spaß bereitet hatte und wie es aussah, war auch kein anderer Junge in Sicht, der sie hätte ersetzen können. Ich hatte geglaubt, ich könnte mein Schwulsein mit diesem Papier zerreißen, aber ich war nach wie vor schwul.
Ich saß wieder auf meinem Bett und versuchte einen Weg zu finden, um das alles zu erklären. Sollte ich einfach sagen: »Mama ich bin schwul«? Und dann?
Plötzlich stand ich auf und ohne richtig zu wissen, was ich eigentlich sagen sollte, stand ich keine Minute später wieder vor meiner Mutter. Sie saß immer noch in der Küche und war scheinbar nicht sonderlich überrascht mich noch einmal zu sehen. Wir sahen uns ein ganze Weile nur in die Augen.
»Du warst doch in meinem Zimmer, nicht wahr?«
»Ja klar, wie jeden Abend.«
»Und die Papierschnipsel... Ich... Ich meine hast du dir sie angesehen?«
»Nun Ronny, es war nicht zu übersehen was es ist.«
»Und was denkst du jetzt?«
»Ich weiß nicht. Ich hatte gehofft, dass du mir sagst was ich denken soll.«
Wieder schwiegen wir beide eine ganze Weile.
»Mami ich glaube ich mag Jungs lieber wie Mädchen. Ich... Ich meine ich möchte viel lieber einen Freund als eine Freundin, verstehst du?«
Ich ging ein Stück auf meine Mutter zu. Was hatte ich da gesagt? Ich hatte doch gar nicht mehr darüber nachgedacht. Es kam einfach aus mir raus. Es hatte mich nicht gefragt. Mein Mund sprach diese Worte und sie waren raus. Meine Mutter nahm meine Hand und zog mich an sich heran. Sie nahm mich fest in den Arm und fing leise an zu weinen. Ich bekam Angst. Ich wollte nicht, dass sie weint. Ich wollte doch das sie glücklich ist, ich habe sie doch lieb.
»Sei mir bitte nicht böse. Ich kann doch nichts dafür. Bitte weine doch nicht. Bitte. Ist es denn so schlimm für Dich?«
»Ich bin dir nicht böse, aber ich bin deine Mutter und ich wünsche mir nichts so sehr, als das du glücklich bist. Es ist nicht schlimm, wenn Du lieber einen Freund haben willst, aber ich weine weil ich weiß, dass du es nun im Leben nicht immer leicht haben wirst und das dir viele weh tun werden, deshalb bin ich traurig.«
Sie drückte mich noch fester an sich heran und wenn ich das eigentlich in der letzten Zeit gar nicht mehr mochte, heute war es mir sehr wichtig und ich genoss es.
»So und nun geh ins Bett mein Großer, morgen ist ein neuer langer Tag.«
Es war das erste mal, dass sie »mein Großer« zu mir sagte.
»Ja gute Nacht.«
***
Wie das nun mal so ist, wenn man auf irgend eine Katastrophe wartet - sie kommt nicht. Wenn das Schicksal noch am Vortag ständig meine Belastungsgrenze erforschen wollte, hatte es an diesem Tag scheinbar nicht den kleinsten fiesen Einfall für mich. Mit Frank hatte ich gleich am Morgen gesprochen und ihm so weit alles erklärt, dass er zumindestens einigermaßen im Bilde war. Mit ihm konnte man immer über alles reden und er schien auch immer alles ohne viel Fragen zu verstehen.
Frank nahm in unserer Klasse eine Sonderstellung ein. Er war sehr gut in allen Fächern, war der beste im Sport und er war der absolute Mädchenliebling. Er sah super aus und hatte ein tollen Körper. Jeder wollte ihn gern als Freund haben, aber so richtig traute sich niemand, ihn darum zu bitten. Er war einfach zu perfekt. Ganz perfekt? OK nicht ganz. Er wusste, dass er sich es leisten konnte, immer das zu sagen, was er gerade denkt und so war manchmal eben sein Mund schneller als seine Gedanken, aber niemand hätte sich je getraut, ihm etwas übel zu nehmen und es hätte sich auch keiner mit ihm angelegt.
Von den anderen kam überhaupt keine Reaktion zum Vorabend. Der ein oder andere fragte zwar, ob ich mich mit Robert wieder vertrage, aber zum Thema »Schwul« nicht die geringste Reaktion.
Das was ich mir eigentlich so sehr gewünscht hatte, beunruhigte mich jetzt fast, aber ich hütete mich von selbst dieses Thema anzusprechen und ich hätte die Ereignisse am Kino selber schon fast vergessen, wenn mich nicht Sabine nach dem Mittag angesprochen hätte. Ich war gerade damit fertig in dem, was unsere Schulküche als Essen zu bezeichnen wagt, so lange herum zu rühren, dass ich meinte genug Interesse geheuchelt zu haben, als sie mich kurz zur Seite nahm:
»Sag mal Ronny, Du warst doch vorgestern nicht wegen einem Skateboardunfall zu Hause, oder?«
»Wenn Du schon so fragst, dann weißt Du wohl besser Bescheid als ich.«
»Nun... «, Sabine wurde richtig verlegen. »Vielleicht hätte ich das gestern mit dem Heft nicht erzählen sollen, aber ich war einfach stinksauer auf dich.«
»Auf mich? Stinksauer? Weil mich dein Cousin verprügelt hat?«
Das war ja wohl schwer zu verstehen.
»Nein. Ich dachte, wenn du solches Zeug liest, dann bist du doch bestimmt schwul, oder?«
»Dein Scharfsinn sei gepriesen, aber was willst du damit sagen?«
»Nun ich hatte eigentlich immer mal gehofft... Ich meine das wir... na ja, du und ich ... das wir ... Na du weißt schon.«
Ich fasse es nicht. Wollte sie mir damit etwas sagen...
»Du wolltest mich als Freund?«
»Ja, eigentlich schon lange. Ich habe es mir nur nie getraut es dir zu sagen. Als Flocke mir das von dem Heft erzählt hat, war ich erst traurig und dann eben sauer. Ich weiß ja das du nichts dagegen machen kannst. Ich habe das ja gestern gar nicht so mitbekommen. Ich habe nur gesehen, dass Robby Tränen in den Augen hatte. Ich habe überhaupt nicht nachgedacht, was alles passieren kann, wenn ich so was erzähle. Es tut mir leid.«
»Ist schon ok. Ich finde es toll, dass du mir das erzählt hast. Ich meine, dass Du mich gern als Freund wolltest.«
»Ja, ich meine, wenn du dir es vielleicht noch mal irgendwann überlegst... ich meine, wenn du vielleicht doch lieber Mädchen willst, dann dachte ich ist es besser, wenn du es weißt.«
Sabine stand da und schaute schüchtern auf ihre Schuhe.
»Lieb von dir, aber ich glaube ich muss dich enttäuschen. So leicht wird sich das nicht ändern lassen.«
»Schade, das hab ich schon befürchtet. Seid ihr eigentlich ein Paar, du und Robert?«
»Nein.« Ich musste grinsen. »Robert ist mein bester Freund, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich aber dann mal einen Freund haben werde, kann ich mich doch darauf verlassen, dass du ihm nicht aus Eifersucht was ins Essen mischt, oder?«
»Nein, keine Angst und wenn er aus unserer Schule kommt, dann hätte ich doch eh keine Chance. Wer an unser Schulessen gewöhnt ist, der verträgt auch jedes andere Gift.«
***
Am nächsten Abend war es dann so weit. Ich war mit meiner Mutter zur Schule gefahren und die meisten von meinen Klassenkameraden waren auch schon da und warteten auf den Bus mit unseren Schweizer Gästen. Sie sollten für eine Woche bei uns bleiben und im nächsten Jahr würden wir dann in die Schweiz fahren.
»Hast du es schon gehört?«, kam Frank auf mich zugelaufen.
»Gehört? Was denn?«
»In Mikes Haus gab es eine Gasexplosion?«
»Bei Mike?«, fragte ich besorgt. »Ist er verletzt?«
»Nein es war niemand im Haus, aber jetzt wohnen sie erst mal im Hotel.«
Das war nun natürlich Gesprächsthema Nummer 1 und so hätten wir fast nicht bemerkt, wie der von uns erwartete Bus auf den Hof fuhr.
Es war ein munteres und lautes kreischen, plappern und durcheinander reden. Die einen suchten ihren Koffer oder ihre Taschen und andere beschwerten sich, weil sie lieber zusammen zu einer Gastfamilie wollten und nun getrennt wurden. Ein völlig überforderter und durch die Fahrt schon gestresster schweizer Lehrer machte das Treiben nur noch verrückter als es eh schon war. Seine Bemühungen etwas Ordnung und Ruhe in die Meute zu bringen, scheiterten kläglich. Sein Akzent war grausam und ich war froh, dass unsere Lehrer wenigstens deutsch sprachen.
Roland, unser Gast, hatte sich gleich bei mir beliebt gemacht, in dem er sagte:
»Na gibt es denn ein paar geile Schnecken bei euch, die auf so einen coolen Typen wie mich warten?«
Ich ersparte mir einen Kommentar, lächelte nur mitleidig und er sagte weiter:
»Na ja die Tussis werden schon bald merken, dass ich mehr zu bieten habe als die Babyrambos bei euch.«
Dabei zeigte er auf eine Gruppe Jungs aus meiner Klasse. Ich wollte ihm noch 'Gute Besserung' wünschen, aber er hatte sich schon zu einem seiner Mitschüler gewandt und setzte seine Reden unter der Rubrik »Sprüche, die die Welt nicht braucht« fort.
»Ronny. Kommst Du mal.«, hörte ich meine Mutter rufen.
Sie stand bei Herrn Maier unserem Klassenlehrer und sie unterhielten sich mit dem schweizer Lehrer.
»Ronny, es gibt da ein Problem. Durch den Unfall bei Mike fehlt eine Unterkunft. Was meinst du? Du hättest doch noch eine Schlafcouch in deinem Zimmer, wollen wir Mikes Gast mit übernehmen? Er könnte sonst nur in der Schule beim Hausmeister übernachten und das ist doch auch nicht so schön, wenn er da ganz alleine ist.«
Noch einer? Vielleicht ein zweiter Roland? Begeisternd war diese Vorstellung nicht gerade, aber es wäre ja recht unhöflich gewesen, dass zu sagen.
»Na ja, von mir aus. Ist ja nur für eine Woche.«
Vielleicht hatte ich ja so die Chance noch einen Verbündeten gegen Roland zu gewinnen. Das könnte es etwas erträglicher machen. Ich drehte mich um und hörte Roland rufen:
»He Julian, hast du schon gehört, dass Haus in das du kommen solltest ist explodiert. Du kannst also auf der Straße pennen.«
Ein hämisches Grinsen untermalte diese nutzlosen Worte.
Ich versuchte mich nach dem angesprochenen umzusehen, denn irgendwie war ja zu erwarten, dass es sich dabei um unseren zweiten Gast handelte. Der war aber scheinbar gerade im Bus verschwunden um seinen Koffer zu holen. Ich machte mich also erst mal mit Roland auf dem Weg zu unserem Auto.
»Ihr habt aber 'ne kleine Karre. Meine Alten haben 'nen 7er BMW.«, gab Roland bekannt.
»Sehr schön für deine Eltern, hast du denn noch keinen eigenen?«
Roland kam nicht dazu mir zu antworten, den in diesem Moment kam meine Mutter mit unserem zweiten Quartiergast um die Ecke.
»Julian Du? Ich hoffe ich muss nicht mit dir das Zimmer teilen. Ich brauche nämlich viel Platz. Kannst Du nicht wo anders unterkriechen?«, kam es besorgt von Roland.
»Keine Angst.«, beruhigte meine Mutter. »Du hast das Gästezimmer für Dich. Julian schläft bei Ronny.«
Eben dieser Julian stand jetzt vor mir und gab mir höflich die Hand.
»Hi, ich bin Julian, ich hoffe ich mach dir keine Umstände.«
»U ... Umstände. N ... Nein wieso denn?« Man sah der Junge gut aus. Ich kam richtig ins stottern.
»Na ich bin ja eigentlich nicht eingeplant«.
»Nein ist doch ok, nicht wahr Mami?« , und diese nickte eifrig.
Roland grinste verächtlich, als ich zu meiner Mutter »Mami« sagte. Ein Mann wie er würde das natürlich nie tun. Julian hatte das wohl mitbekommen, den er hatte irgend etwas zu ihm gesagt, dass ich allerdings auf Grund des Dialektes nicht so genau verstand, aber es klang sooooo süß aus seinem Mund. Da ich im Auto mit vorn saß, hatte ich leider keine Gelegenheit ihn mir noch einmal genauer anzusehen, aber der erste Eindruck war wirklich nicht schlecht. Er musste wohl so meine Größe haben, war sportlich gebaut und hatte scheinbar einen sehr guten Geschmack, was seine Kleidung anbelangte.
»Wir haben aber ein größeres Haus.«, entschied Roland als wir bei uns zu Hause angekommen waren und ich war froh, dass er erst mal für ein paar Minuten in seinem Zimmer, was also unser Gästezimmer war, verschwinden wollte.
»Ist der immer so?«, fragte ich Julian, mit dem ich auf dem Weg in mein Zimmer war.
»Nein keine Angst, meistens ist er noch viel schlimmer.«, lächelte er mich an.
Er hat gelächelt!!! Was für ein Blick! Verliebe Dich nicht gleich wieder Ronny!!! Denke daran, du hast erst eine schlechte Erfahrung hinter Dir. Das waren dann aber auch schon die letzten mahnenden Gedanken, mit denen sich meine Vernunft verabschiedete.
»Du hast es schön hier Ronny. Richtig gemütlich.«
»Danke. Schön wenn es dir gefällt. Hauptsache mein Zimmer ist dir nicht zu klein. Bei Mike hättest Du mehr Platz gehabt.«
»Zu klein? Nö. Bei mir zu hause habe ich nicht mal so viel Platz. Das größere Kinderzimmer hat meine Schwester.«
»Du hast eine Schwester?«
»Ja Marie. Die ist echt nervig. Zum Glück war sie jetzt zwei Wochen in Berlin bei ihrem Freund. Hast du keine Geschwister?«
»Nein, hab ich nicht. Einen Bruder hätte ich mir immer gewünscht.«
»OK, dann stelle ich mich für eine Woche als Bruder zur Verfügung.«
Welch süße Vorstellung.
»Sehr schön. Könnte sich mein neuer Bruder denn ein wenig bemühen deutsch zu sprechen, damit ich auch etwas von dem verstehe, was er sagt.«
»Entschuldige bitte,«, sagte Julian verlegen, »ich gebe mir ja schon Mühe. Ich weiß mein Dialekt ist Scheiße.«
Eigentlich ist er ja soooo niedlich, aber das sagte ich lieber nicht.
»Kann ich hier ein paar Sachen von mir hinlegen?«
»Ja klar. Warte ich mach dir noch etwas Platz.«
»Danke.«
Julian nahm ein paar T-Shirt's aus seinem Koffer und dabei fiel ein Bild auf den Boden. Ich hob es auf und gab es ihm. Auf dem Bild waren zwei Jungs zu sehen, etwas älter wie wir, die sich küssten.
Julian lächelte verlegen.
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