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Am Strand, da bin ich frei

Teil 1

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Vorwort

Vorwort

Dies ist nun meine 2. Story, oder sollte ich sagen erste, denn eigentlich hatte ich diese vor Just a Step Away geschrieben. Allerdings nur grob in den Grundzügen abgetippt ohne großen Sinn und Verstand.

Aber ich hab zurzeit etwas freie Zeit, und da ich an der anderen Story etwas hänge, hab ich mich entschieden, an dieser etwas weiterzuarbeiten.

Also viel Spaß beim Lesen, und ich hoffe, dass nicht zu viel aus dieser Story in meine andere eingeflossen ist.

 

Leon verließ fluchtartig den Vorlesungssaal. Ihm war es egal, was die anderen dachten, ihm war auch egal, ob er irgendwen umrannte oder die Einrichtung zu Bruch ging, er wollte nur weg. Weg von alledem, weg von den Mitstudenten, die ihn sowieso hassen würden, wenn sie wüssten, was er wirklich war. Beinahe hätte er sich verplappert, als in der Biologievorlesung Homosexualität thematisiert wurde, beinahe hätte er es seinem Sitznachbarn gesagt, doch im letzten Moment wurde die Angst übermächtig, und er floh. Er wusste nicht mal, wohin er fliehen sollte. Zu seinen Eltern? Sein Vater würde ihn nur wieder als Memme abstempeln, die noch nichts im Leben erreicht hatte: In seine Studentenbude? Was sollte er da? Dort war er auch nur alleine und verzweifelt. „What is going to happen“ schoss ihm mantraartig immer wieder durch den Kopf. Oh wie er diese Scrubs-Folge verfluchte! Ständig hatte er, seitdem er diese Folge gesehen hatte, diese Liedzeile im Kopf, wenn die Situation für ihn ausweglos schien. Und das war in letzter Zeit bei weitem zu oft. Er brauchte Ablenkung, Freunde, doch wie sollte er Freunde finden? Irgendwann würden die rausfinden, dass er einer dieser „perversen Schwuchteln“ war, und ihn ablehnen, da blieb er lieber allein. Ganz unbemerkt hatte ihn sein Weg in Richtung des Strandes geführt. In letzter Zeit war er oft hier, er setzte sich dann abseits und beobachtete all die „normalen“ Paare, die spazieren gingen oder in der Sonne lagen. Oft starrte er auch einfach in die Wellen. Am Meer, nein am Wasser im allgemeinen fühlte er sich wohl, denn das Wasser konnte ihn nicht verurteilen, das Wasser konnte seine Tränen aufnehmen und sie klein erscheinen lassen, konnte seine Probleme klein erscheinen lassen. Er hatte schon oft darüber nachgedacht, ob es nicht am besten wäre, einfach des Nachts hinauszuschwimmen, bis er nicht mehr konnte, und dann in die See zu gleiten, doch bisher fehlte ihm einfach der Mut dazu, und auch war da noch ein Teil von ihm, der leben wollte, der ihm sagte, alles könne besser werden. Leon merkte, wie er langsamer wurde, ihm seine Beine den Dienst versagten und er einfach in den Sand fiel und weinte.

Lukas war an diesem Tag früh aufgestanden, so wie jedem Tag, an dem er Vorlesung hatte. Auch wenn er sicherlich länger hätte schlafen können, schließlich lag seine Vorlesung erst im Nachmittagsblock ab 14 Uhr, hielt er doch daran fest, um 7 Uhr aufzustehen. Schließlich musste es im Leben ein gewisses Maß an Ordnung geben, wie er immer sagte, wobei dies vermutlich das einzige war, was er so ordentlich und gewissenhaft anging, denn eigentlich war er eine mittelgroße Naturkatastrophe, was Ordnung anging. Doch was hätte er von einem anders gestalteten Tagesplan gehabt? Hier an dem Ort, wo er noch 4 1/2 weitere Jahre studieren würde, hatte er keine Freunde, geschweige denn den einen Freund, den er sich herbeisehnte. Nach dem Frühstück ging er also einkaufen, machte seine Hausarbeiten für die Uni oberflächlich und stellte, als er auf die Uhr schaute, fest, dass er immer noch fast 5 Stunden bis zum Vorlesungsbeginn hatte. Natürlich hätte er in der Zeit die Hausarbeiten vertiefen oder im Internet nach neuen Stories Ausschau halten können, doch so wirklich Lust hatte er auf keines von beiden. Er beschloss also, zum Strand zu fahren. Als Segler liebte er das Wasser, und auch wenn es ihn traurig stimmte, dass er nur noch so selten segelte, da er hier in der Studentenhochburg kein Boot hatte, spazierte er gern am Strand entlang und hing seinen Gedanken nach. Die Seeluft ließ ihn immer klarer denken. Er schwang sich also auf sein Rad und düste los, wie immer ohne richtig wahrzunehmen, was um ihn herum geschah. Er wusste, dass er so nie jemanden finden würde, egal ob als Freund im allgemeinen oder Freund im spezielleren, und auch wenn er sich immer wieder vornahm, offener auf die Leute zuzugehen, gelang ihm das doch eher selten. Am Strand angekommen schloss er sein Rad ab und stellte sich einen Timer, schließlich musste er noch zurück ins Wohnheim, seine Unterlagen holen, und zu spät zur Vorlesung wollte er eigentlich nicht erscheinen, schließlich war das nicht seine Art. Der Strand war leer an diesem Herbstmorgen, und es wehte eine doch recht frische Brise. Von den Touristen, die die letzten Monate den Strand überflutet hatten, war nichts mehr zu sehen. „Umso besser“, dachte sich Lukas, „so kann ich wenigstens niemanden umrennen, wenn ich wieder zu tief in meine Gedanken versinke.“. So wanderte er einige Zeit umher und versank tatsächlich immer mehr in Gedanken. Er stellte sich vor, wie schön es doch wäre, mit jemandem Arm in Arm hier entlangzuwandern und einfach einander zu genießen. Auch wenn er nach außen hin eher den Eindruck des unnahbaren Einzelgängers machte, war er eigentlich ein Romantiker. Nach einiger Zeit schaute er auf die Uhr und merkte, dass er immer noch genug Zeit hatte, was ihn dazu veranlasste innezuhalten und nach einem geschützten Platz zu suchen, wo er einige Zeit das Meer beobachten konnte, ohne dass der Wind ihn zu sehr auskühlte. Der einzige Platz, der ihm geeignet erschien, war aber leider schon besetzt. Ein junger Mann, der ebenfalls in seinem Alter sein musste, saß dort und starrte gedankenverloren aufs Meer hinaus. Einen Moment dachte Lukas daran, einfach weiterzugehen und einen anderen Platz zu suchen, doch dann fielen ihm seine Vorsätze wieder ein, offener auf Leute zuzugehen, und er entschied sich, zumindestens ein fröhliches „Moin Moin“ zum Besten zu geben, und vielleicht entwickelte sich daraus ja ein Gespräch. Im Näherkommen bemerkte er, dass er den, der dort saß, vom Sehen her kannte. Schnell war er sich ziemlich sicher, dass dies einer der Studenten aus dem Mathelehramtsstudium war, das er auch besuchte. „Nun ja, das macht den Gesprächsbeginn einfacher“, freute sich Lukas innerlich, „wenn ich mich nur an seinen Namen erinnern könnte; Leonard, Lars, egal irgendwas mit L eben“, bis ihm einfiel, dass Leon - endlich war ihm der Name wieder eingefallen - doch zu dieser Zeit eigentlich die Biovorlesung besuchen müsste, wenn ihn nicht alles täuschte. Dies war einer der Momente, in denen sich Lukas ärgerte, kein Smartphone zu besitzen. Er hätte zu gerne seine Mathelernpartnerin, die mit Leon zusammen in der Biologievorlesung saß, per WhatsApp gefragt, ob irgendwas vorgefallen sei. Doch irgendwas stimmte mit Leon ganz offensichtlich nicht, denn je näher er kam, desto sicherer wurde er, dass Leon weinte.

Leon merkte gar nicht, wie Lukas sich näherte. In Gedanken war er frei, losgelöst und ohne Angst, in seinen Gedanken konnte er das sein, wovor er in der Realität Angst hatte, in seinen Gedanken konnte er schwul sein. Er stellte sich vor, wie es wäre, mit dem Freund zusammen einen Film zu schauen oder einfach nur hier im Sand zu sitzen, aneinander gelehnt und glücklich. Immer noch flossen seine Tränen, und immer noch fragte er sich, wie die Realität nur so grausam sein konnte. Doch irgendwas störte seine Gedanken, erst merkte er es gar nicht, doch plötzlich wurde ihm klar, dass ihn jemand ansprach. Er schaute auf und sah Lukas. „Auch das noch“, verzweifelte Leon innerlich, „der weiß sicherlich, dass ich heute morgen durchgedreht bin, und hat seine Schlüsse gezogen.“ In Erwartung dessen, dass Lukas eine Schimpftirade über Schwule loslassen würde, wurde Leon schlecht, doch er wusste aus Erfahrung, dass es nichts brachte, sich den übermächtigen Peinigern zu stellen. Am besten war es, sich unterzuordnen und es durchzustehen. Insgeheim hoffte er, dass ihm diese Schimpftirade den letzten Anstoß geben würde, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Eigentlich wollte er gar nicht wissen, was Lukas sagte, seiner Meinung nach wusste er sowieso, was kommen würde. Doch auf einmal stutzte er. Selbst wenn er nicht hörte, was Lukas sagte, so merkte er doch, dass Lukas ihn gar nicht beschimpfte, vielmehr schien er sich wirklich mit ihm zu unterhalten wollen. Leon richtete seine Konzentration also auf Lukas, er wusste, dass er immer noch Tränen in den Augen hatte, doch das war ihm egal. Morgen würde sowieso niemand mehr seine Anwesenheit erdulden müssen.

„Hi Lukas“, flüsterte er.

„Ah, du bist ja doch noch unter den Lebenden“, kam es halbamüsiert zurück. „Ich dachte schon, du bist geistig im Meer versunken.“

„Damit liegst du gar nicht so falsch“, dachte Leon und sagte „Ne, war nur in Gedanken.“

„Sag mal, hast du jetzt nicht die Bio-Vorlesung, oder macht der Prof mal wieder einen auf Krankfeiern?“

„Ne, ich hab’s in Bio nicht mehr ausgehalten, aber das weißt du sicher schon“, erwiderte Leon müde.

„Woher soll ich das wissen?“

„Na das wird doch auf WhatsApp schon die Runde machen.“

„Dann kann ich es ja nicht wissen“, sagte Lukas und zeigte Leon sein altes Samsung Slider Handy „WhatsApp kann dieses Teil nicht.“

Bei Lukas hatte es nun „klick“ gemacht. Leons Reaktion, die eine Mischung aus totaler Erschöpfung und Hass auf die Welt war, sowie die Tränen in seinen Augen veranlassten ihn, die oberflächliche Plauderei in eine andere Richtung zu lenken. Er wusste, das Leon noch weniger Sozialkontakte hatte als er selbst und wollte helfen, zumal Leon auch recht niedlich war. Eigentlich benutze Lukas dieses Wort ungerne, doch immer wenn er Leon sah, kam ihm dieses Wort in den Sinn.

„Mensch Leon, was ist denn passiert? Ich merk doch, dass es dir schlecht geht.“

„Ach lass mich in Ruhe, Lukas, das interessiert dich sowieso nicht.“

„Leon, ich weiß, dass du niemanden hast, mit dem du redest, und du allen sagst, dass du auch niemanden brauchst, aber ich bin nicht blind. Ich sehe doch, dass dich etwas bewegt, über das du unbedingt reden willst. Ich sehe, dass es dich auffrisst, und ich glaube zu spüren, dass du einen Entschluss gefasst hast, den ich als den größten Fehler, den du tun kannst, bezeichnen würde. Du musst mir nichts sagen, aber ich fänd‘s schön, dich als Freund zu gewinnen. Ich denke, in dir steckt mehr als die meisten sehen und glauben, vielleicht sogar mehr als du selbst weißt oder hoffst.“

Leon war verwundert. Anstatt dass Lukas ihm wegen seines Verhaltens Vorwürfe machte, war es ihm sogar wichtig, wie es ihm ging. „Ich scheine ihm irgendwie wichtig zu sein“, wunderte sich Leon, „könnte es sein, dass er schwul ist und mir hilft, da er sich in mich verguckt hat?“ Doch Leon verwarf diesen Gedanken gleich wieder, zu abstrus erschien er ihm. Lukas und schwul - niemals.

„Du hast recht“, antwortete Leon Lukas. „Ich will wirklich nicht drüber reden.“

Etwas enttäuscht, aber dennoch zuversichtlich gab Lukas zurück: „Nun gut, aber wenn du reden willst, bin ich da. So, und jetzt sollten wir uns aber zur Mathe-Vorlesung aufmachen. Ich schaff es ja nicht mal mehr, meine Sachen zu holen.“

„Ich geh heut nicht zu Mathe.“

„Doch, du kommst mit, und wenn ich dich zwingen muss!“ Lukas‘ Stimme hatte einen Befehlston angenommen. „Ich lass dich nicht hier in der Kälte sitzen.“

Leon wusste, dass Widerrede zwecklos wäre. Zwar kannte er Lukas kaum, dennoch hatte er mitbekommen, dass dieser, wenn er sich was in den Kopf setzte, daran festhielt.

Lukas wusste, dass es besser war, gemeinsam mit Leon zu gehen, daher ließ er sein Fahrrad am Strand stehen und ging zusammen mit Leon zurück zur Uni. Auch wenn es nicht gut war, dass er seine Unterlagen vergessen hatte, aber einen Stift und Papier konnte er sich von Alex, seiner Mathelernpartnerin und das, was einer guten Freundin noch am nächsten kam, leihen.

Auf dem Weg zu Uni unterhielten sich Leon und Lukas noch etwas über den Mathestoff, und sie merkten beide, dass sie sich gegenseitig vielleicht im Stoff helfen könnten, da ihre Stärken entsprechend verschoben waren. Wobei für Leon eigentlich klar war, dass es dazu nicht kommen würde, schließlich würde er dazu nicht mehr lange genug da sein.

Auch wenn Lukas nicht wusste, was Leon dachte, hatte er eine Ahnung. Er selbst war auch schon sehr verzweifelt gewesen und hatte an den einfachen Ausweg des Suizides gedacht. Leo verhielt sich ähnlich wie er damals. Eigentlich wirkte er schon sehr entschlossen, und das machte Lukas Angst. Er nahm sich daher vor, Leon erstmal nicht aus den Augen zu lassen und ihm zu helfen.

Leon hatte Angst, wie die anderen Studenten reagieren würden. Schließlich war er der Außenseiter und hatte schon den ein oder anderen verbalen Seitenhieb abbekommen, und nach der Nummer vom Vormittag rechnete er schon damit. Doch niemand begann deswegen auf ihm rumzuhacken. Einige hatten es vielleicht nicht bemerkt, aber Leon hatte eine andere Vermutung, und die hieß Lukas. Lukas griff niemand an, und wer mit Lukas unterwegs war, genoss einen gewissen Schutz. Woher das kam, wusste Leon nicht, er bekam vieles, was sich zwischen den Studenten abspielte, nicht mit, und so wusste er auch nicht, dass Lukas schon recht früh seine Homosexualität unter den anderen Studenten publik gemacht hatte, und die Souveränität, mit der er damit umging, alle davon abhielt, ihn blöd anzumachen. Viele bewunderten ihn auch für seine Offenheit. Leon hingegen glaubte eher daran, dass Lukas sich durch eine Prügelei den entsprechenden „Credit“ erworben hatte und seitdem von allem in Ruhe gelassen wurde.

Die Vorlesung begann. Normalerweise hätte Leon ganz hinten in der Ecke gesessen, doch Lukas hatte ihn dazu gebracht, sich neben ihn zu setzten.

Nachdem Lukas sich von Alex (eigentlich Alexandra, doch alle nannten sie Alex) Stift und Papier geborgt hatte, wollte Alex wissen, was denn nun mit Leon los sei, denn sie hatte seinen Abgang bemerkt und war besorgt. Alex war eine Retternatur, wo immer es jemandem schlecht ging, wollte sie die Welt retten, auch wenn ihr das oft nicht möglich war. Leon schwieg und Lukas auch, allerdings schrieb er Alex etwas auf einen Zettel. Sie taten dies oft, damit niemand sie hörte, und damit das Ganze auch noch reizvoll war, verschlüsselten sie dies.

Lukas schrieb also (hier natürlich im Klartext zu lesen):

Hab Leon vorhin weinend am Strand gefunden, muss wohl irgendwas passiert sein. Ich glau,b ihm geht es sehr schlecht. Ich will ihm helfen und hab Angst, dass er sich was antun könnte.

Hast du denn einen Plan?

Ja, ich denke, ich werde ihn mal mit zu mir nehmen zum Lernen. Er kann vieles, was mir Probleme bereitet und umgekehrt, so kann ich ihm auch zeigen, dass ich für ihn da sein will als Freund. Und vielleicht erzählt er mir dann, was ihn bedrückt.

Sicher, dass du nur EIN Freund sein willst?

Nein, bin ich nicht, er ist wirklich niedlich, aber auch wenn er nicht schwul ist, so kann ich das akzeptieren. Dennoch kann ich so einen guten Freund gewinnen, wenn alles glatt läuft.

Ok, aber eines noch: wenn ich nicht schon wüsste, dass du schwul bist - nachdem du das Wort niedlich verwendet hast, wüsste ich es ganz sicher!

Manchmal nervst du, weißt du das?

Das ist meine beste Eigenschaft!

Ich weiß, und deswegen red ich so gern mit dir!

Wenn Lukas so drüber nachdachte, hatte er in Alex wirklich eine Freundin gefunden und nicht nur eine Lernpartnerin. Er nahm sich vor, sich mit ihr häufiger mal außerhalb von Uni und Lernen zu treffen, doch das musste warten.

Leon ärgerte sich, er sah, dass Alex und Lukas Zettel austauschten, doch er konnte nicht lesen, was dort stand, alles war nur eine Suppe aus Buchstaben. Lukas riss ihn aus seinen Gedanken:

„Hast du heut nachmittag nach der Vorlesung eigentlich noch etwas vor?“

Leon war überrumpelt, so überrumpelt, dass er einfach „Nein“ sagte.

„Gut, dann kommst du mit zu mir, und wir lernen!“

„Aber…“

„Kein aber, das ist jetzt so beschlossen!“

„Aber…“

„Glaub mir, Leon, wenn der sich was in den Kopf setzt, ist er sturer als ein Elefant“, mischte sich Alex ein.

„Hey, vergleich mich nicht mit ‘nem Elefanten. So dick bin ich schon lange nicht mehr!“

„Ah, der feine Herr will also nicht mit dem Landtier mit dem vermutlich besten Gedächtnis nach dem Menschen verglichen werden.“

„Du und dein dämliches Bio-Studium!“

„Hey, wenigstens darf ich da Fische sezieren.“

Lukas und Alex stritten sich nicht wirklich, sie feixten gern auf Kosten des anderen. Die Mathe-Vorlesung war auch immer wie eine Schlaftablette, sie lernten das lieber gemeinsam hinterher, nur diesmal nicht. Diesmal wollte Lukas mit Leon lernen, und Alex ahnte, dass es besser wäre, wenn sie sich da raushielte.

„Ich unterbreche euch Turteltauben ja ungern“, unterbrach Leon die beiden, „aber die Vorlesung ist vorbei!“

Lukas und Alex waren perplex. Leon hatte sich nicht still verdrückt oder gewartet, sondern hatte seine eigenen Ängste etwas überwunden, auch wenn es noch ein langer Weg war.

Allerdings brachen Lukas und Alex erstmal in Gelächter aus. Die Vorstellung, dass sie Turteltauben seien, fanden sie zu komisch, schließlich war Alex lesbisch und in festen Händen , was Leon nicht wissen konnte, und Lukas war schwul, was Leon zwar wissen konnte, aber verpasst hatte. Dieser Lachanfall brachte Leon aus der Fassung, und Lukas merkte das. Bevor noch irgendetwas passieren konnte, verabschiedete er sich von Alex, schnappte sich Leon und war schon auf dem Weg nach Hause.

Mit dem Fahrradabholen wird das heut wohl nichts mehr, dachte er sich nebenbei.

Bei Lukas im Studentenwohnheim angekommen begannen die beiden erstmal zu lernen. Sie merkten, wie gut sie sich ergänzten, und vergaßen die Zeit, da sie auch noch über alles Mögliche redeten. Sie stellten fest, dass sie viele Gemeinsamkeiten hatten, wie z.B. ihre Liebe zum Wasser, woraufhin Lukas kurzerhand Leon zu einem Segelwochenende einlud. Leon hatte den ganzen Abend gute Laune und nahm vorerst Abstand von seinen anderen Plänen, auch wenn er sie nicht auf Eis legte. Schließlich, so dachte er, würde diese Freundschaft, die sich mit Lukas anbahnte, spätestens enden, wenn Lukas erführe, dass er schwul war. Bevor sie sich versahen, war es 23 Uhr, und Lukas bot Leon an, bei sich zu übernachten. Da am nächsten Tag keine Vorlesungen waren, bot sich dies an, und Leon nahm nach einigem Zögern dankend an. Lukas sagte, er schaue noch schnell etwas online nach, bevor er Leon das Sofa fertig machen würde, sodass Leon sich aufs Klo verzog und sich bettfertig machte.

Lukas schaute unterdessen auf dbna und SJ, ob es irgendetwas Neues gab, musste aber feststellen, dass dies nicht der Fall war. Ohne die Browser-Fenster zu schließen, ging er los, eine Decke und ein Kopfkissen zu besorgen.

In der Zeit kam Leon aus dem Bad und sah, dass Lukas seinen Laptop noch an hatte. Ohne es wirklich zu wollen, sah er hin, auf welchen Seiten Lukas so surfte, und erschrak. Er kannte die Seiten, hätte aber nie erwartet, daß Lukas, der Lukas, der Einzelgänger, den man durchaus als Mädchenschwarm bezeichnen konnte, auf diesen Seiten surfte. Ihm blieb die Luft weg, ein dumpfes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, er wollte weg, wusste aber nicht warum, war doch sein Traum in Erfüllung gegangen. Ihm begannen Tränen übers Gesicht zu laufen, und er brach wimmernd zusammen.

Im Nebenraum hörte Lukas das Stöhnen und war alarmiert. Was war passiert? Hatte Leon die Seiten entdeckt und ein Problem mit Schwulen? Wobei das ja ausgeschlossen war, schließlich wusste doch jeder, dass er schwul war, oder etwa doch nicht? Schnell lief Lukas zurück in den Hauptraum und sah Leon am Boden. Er war perplex. Was war los? Hatte Leon sich was angetan, hatte er eine allergische Reaktion? Er beugte sich zu Leon, wusste nicht, was er sagen sollte. Bis er merkte, er musste gar nichts sagen. Stattdessen nahm er vorsichtig Leons Hand, der sich anfangs noch wehrte, dann aber aufgab, und streichelte Leon mit der anderen Hand über die Wange.

Mit der Zeit beruhigte sich Leon. Aber er konnte Lukas nicht ansehen, zu verwirrt war er. Lukas soll schwul sein? Das war ein Missverständnis, ein blöder Scherz! ‚Lukas wollte sich nur über mich lustig machen. Das hat er mit Alex zusammen geplant, irgendwo ist eine Kamera, und morgen machen sich alle über mich lustig‘. Leon wollte in diesem Moment nur noch sterben, die ganze Freude des Nachmittags war hinweggewischt. Doch warum hielt Lukas dann seine Hand? Warum streichelte er ihn? Leon verstand gar nichts mehr, doch er wollte auch nichts mehr verstehen, wollte nichts sein. Er wollte Lukas in die Augen sehen, konnte es aber nicht, er hatte Angst, dass seine letzte Hoffnung von dem Blick hinweggewaschen würde. Plötzlich merkte er, wie sich Lukas‘ Hand aus seiner löste und er sanft seinen Kopf in seine Hände nahm und ihn drehte. Leon hatte Angst. ‚Jetzt zwingt Lukas mich auch noch, in seine Augen zu sehen, er will seinen Triumph richtig auskosten‘. Leon schloss seine Augen. Seine Kraft reichte nicht, um Lukas‘ Blick standzuhalten, glaubte er. Plötzlich hörte er Lukas‘ Stimme, doch sie war wider Erwarten sanft:

„Leon, bitte sag mir, was los ist. Ich mach mir Sorgen um dich!“

Leon glaubte Lukas nicht, nicht mehr, er glaubte an eine Finte von Lukas, damit der den finalen Triumpph auskosten konnte. ‚Erst so tun, als ob er mich auffangen will, und mich dann in ein noch tieferes Loch werfen‘, dachte Leon. ‚Wenigstens ist es das letzte Mal, dass mir sowas passieren kann‘: Er war sich nun endgültig sicher, den Schlussstrich zu ziehen. Doch plötzlich spürte er, wie etwas Warmes, Salziges, Flüssiges auf sein Gesicht tropfte.

„Weint Lukas etwa oder ist das nur ein weiterer Trick?“, fragte sich Leon.

Auch wenn er mit dem Leben abgeschlossen hatte, so siegte seine Neugier, und er öffnete die Augen. Und tatsächlich, Lukas weinte. Seine tiefen braunen Augen fixierten Leons, und Leon erkannte, dass sie eine ehrliche Traurigkeit ausstrahlten, aber auch eine Erkenntnis und einen Entschluss. Leon konnte seine Augen nicht abwenden, er fühlte sich in Lukas‘ Blick geborgen, wollte nie wieder wegschauen. Erneut wirbelte in seinen Kopf alles durcheinander. ‚Was ist wahr, was ist falsch?‘, fragte er sich immer wieder. ‚Ist dies wirklich ein Trick oder nicht?‘ Konnte jemand so gut schauspielern? Leon wusste es nicht. Leon wusste gar nichts mehr, er versank immer tiefer in diesen Augen und wurde innerlich immer entspannter.

Lukas wusste nicht, wie lange er bei Leon kniete, seine Hand hielt und ihm über die Wange strich. Er wusste nicht, was in Leon vorging, er hatte eine Ahnung. Hätte Leon ein Problem mit Schwulen, würde er sich nicht so einfach von einem streicheln lassen. Viel eher glaubte Lukas, dass Leon selbst schwul war, dies aber nicht zeigen konnte oder wollte. Warum dies so war, wusste er nicht, er wusste nur eines: er wollte für Leon da sein, egal wie, er war sich sicher, dass er in Leon verliebt war, doch Leon reagierte seltsam. Lukas fühlte, dass Leon ihm entglitt, dass er mit seiner Vermutung, die er schon den ganzen Tag über hegte, recht haben könnte, dass Leon sich was antun könnte. Nein, das konnte er nicht zulassen, auch wenn sie sich noch nicht lange kannten. Er wusste, dass er Leon brauchte, und er wusste, Leon brauchte auch ihn. Irgendwann nahm er Leons Kopf in seine Hände und drehte ihn so, dass er Leon in die Augen schauen konnte. Er wusste, dass er, wenn er Leon nur anschauen, ihm ganz tief in die Augen schauen könnte, wissen würde, was mit Leon war, und auch, dass Leon dann begreifen würde, was er fühlte. Doch Leon kniff die Augen zu und verweigerte sich diesem intimen Moment, in dem die Seelen verbunden sein würden und für sie beide ein neues Leben beginnen würde. Nach einiger Zeit begann Lukas zu weinen, er wusste nicht mal genau warum, er tat es einfach, und plötzlich öffnete Leon die Augen, und ihre Blicke fanden sich. Lukas sah Verwirrung in Leons Blick, sah, dass Leon Dinge erlebt hatte, die er noch nicht, vielleicht sogar niemals begreifen konnte, erkannte, dass er deswegen Angst hatte, was passieren würde, und erkannte, dass Leon das Ganze vielleicht missgedeutet hatte. Lukas blickte einfach nur in Leons wasserblaue Augen, und ihm war klar, dass Leon zu ihm gehörte, dass er sich ein Leben ohne Leon nicht vorstellen konnte, und er sah, dass Leons Bick in seine Augen dazu führte, dass sich auch bei Leon eine Erkenntnis breit machte, die Erkenntnis, dass Lukas ihm nichts Böses wollte, die Erkenntnis, dass sie zusammengehörten. Als Lukas merkte, wie Leon sich entspannte, wusste er, was zu tun war. Er bewegte seinen Kopf in Richtung von Leon, er merkte, dass Leon erst nicht verstand, dann aber erkannte, was Lukas vorhatte, und ihm entgegenkam. Als sich ihre Münder zu einem scheinbar endlosen Kuss fanden, der für beide der erste ihres Lebens war, war das Band zwischen den beiden untrennbar geschmiedet. Nichts im Leben würde sie jemals trennen können.

Nach dem Kuss fielen sie sich in die Arme und weinten vor Freude. Worte waren keine nötig, sie verstanden sich auch so. Lukas half Leon vom Boden auf, und gemeinsam gingen sie ins Bett, wo sie eng aneinander gekuschelt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht einschliefen.

Der nächste Morgen kam leider viel zu früh. Als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster fielen, erwachten beide und schauten sich lange in die Augen.

Leon wollte zu einer Erklärung seines Verhaltes ansetzten, doch Lukas sagte nur: „Du brauchst nichts zu sagen, ich weiß es schon.“

„Woher?“, hauchte Leon.

„Ich spürte es zum ersten Mal am Strand, doch Gewissheit hatte ich erst, als ich dir gestern Abend in die Augen geschaut habe, als ich sah, wie deine Zweifel verflogen, als ich sah, wie du deine düsteren Pläne aufgegeben hast, als nur noch Liebe übrig blieb. Ich liebe dich, Leon!“

„Ich dich auch, Lukas!“

Nachdem sie aufgestanden waren und gefrühstückt hatten, gingen sie zum Strand, dahin, wo alles angefangen hatte. Sie blickten gemeinsam in die Wellen, aneinander gelehnt, und obwohl sie kein Wort wechselten, erzählten sie einander mehr über sich, als mit Worten auszudrücken ist.

Einige Wochen waren vergangen, seitdem Leon und Lukas zueinander gefunden hatten. Zuerst war Leon noch skeptisch gewesen, ob er seiner Umwelt zeigen sollte, dass er schwul und in einer Beziehung war, doch Lukas gab ihm Kraft, und so gelang es ihm, sich dem zu stellen. Auf dem Campus wusste schnell jeder Bescheid, und kaum einen störte es. Die anderen nahmen es einfach hin. Alex war natürlich überschwänglich aufgeregt, als Lukas und Leon sich ihr offenbarten, und verwundert, wie gut Lukas‘ Menschenkenntnis in bestimmten Situationen doch war. Lukas und Leon waren inzwischen zusammengezogen und wohnten gemeinsam in Leons Bude. Auch wenn viele fanden, dass dies zu früh sei, so ließen sie sich nicht davon abhalten. Schließlich wussten sie, dass sie sich nie trennen würden.

Lukas‘ Eltern wussten bereits, dass ihr Sohn schwul war, er hatte es ihnen kurz nach seinem 18. Geburtstag erzählt. Auch wenn ihre Reaktion nicht negativ war, wirklich akzeptieren konnten sie ihn nicht, oder es war ihnen einfach vollkommen egal, was ihr Sohn fühlte.

Da Lukas‘ Eltern eine Unterkunft bezahlten, war es ihnen irgendwann aufgefallen, dass er weniger Geld ausgab, und fragten ihn, warum dies so sei. Und so erzählte er ihnen, das er mit seinem Freund zusammenwohnte.Auch wenn sie zuerst besorgt waren, ließen sie es gut sein, sie wollten, das er seinen eigenen Weg fand, seine eigenen Erfahrungen machte. Persönlich kennengelernt hatten sie ihren zukünftigen Schwiegersohn aber noch nicht, doch Lukas hatte sich vorgenommen, dies baldmöglichst nachzuholen. Und was für ihn noch viel wichtiger war, er wollte seine Großeltern an seinem Glück teilhaben lassen.

Die Beziehung zu seinen Großeltern war inniger als die zu seinen Eltern, was vor allem daran lag, dass er, bevor er in den Kindergarten oder die Grundschule kam, fast nur von seinen Großeltern erzogen wurde, Seine Eltern arbeiteten zu dem Zeitpunkt beide noch. Erst später musste sein Vater aufgrund eines Burn-Outs seinen Job aufgeben, und auch wenn er so immer da war, konnte er sich aufgrund der Krankheit nur wenig kümmern. Lukas war auf seine Großeltern geprägt, sie waren immer da für ihn, sie hörten ihm zu, sie interessierten sich für ihn und sie nahmen sein Outing damals wesentlich besser auf als seine Eltern.

Leon hingegen war ungeoutet. Nachdem er schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht hatte, hatte er zu viel Angst, seiner Familie zu erzählen, dass sie statt einer Schwiegertochter einen Schwiegersohn haben würden. Doch nun kamen seine Eltern zu Besuch. Dies war an sich nichts neues, vor allem, da sie nicht weit weg wohnten, doch es war das erste Mal, seitdem er und Lukas zusammengezogen waren, und dementsprechend nervös war Leon. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung, wie er der Konfrontation mit seinen Eltern entgehen konnte, doch er fand keine, die ihn wirklich überzeugte.

Lukas bemerkte, dass Leon nervöser war als sonst, hatte Angst, dass Leon in alte Verhaltensweisen zurückfallen würde, und so sprach er Leon direkt drauf an.

„Was hast du Leon?“

„Ach, gar nichts, wird nur der Uni-Stress sein.“

„Red keinen Stuss, im Moment stehen keine Prüfungen an!“

Leon wandte sich ab und schaute betrübt zu Boden

„Mensch Leon, ich bin doch dein Freund! Egal was ist, du musst das nicht alleine durchstehen.“

„Du hast ja recht“, beschämt blickte Leon weiterhin zu Boden, „aber ich hab Angst, was du über mich denkst, wenn ich es dir sage.“

„Warum sollte ich anders über dich denken? Es gibt nichts, was mein Liebe zu dir schmälern könnte.“

„Na du weißt doch, du gehst so offen mit deiner Sexualität um, du versteckst dich nicht.“

„Vergisst du nicht, dass wir in der Uni beide als Paar geoutet sind?“

„Ach, das mein‘ ich doch gar nicht.“

„Dann sag, was du meinst!“ Lukas wurde fast schon flehend bei dem Versuch, seinem Freund zu helfen.

„Deine Familie weiß doch von uns, also ich mein‘ von uns als Paar.“

„Ja, meine Familie weiß, dass ich schwul bin.“ Lukas wusste nicht, worauf Leon hinauswollte.

„Nun, meine Familie weiß dies nicht, und ich hab Angst, was passiert, wenn sie es herausfinden.“ Leon rannen die Tränen übers Gesicht

„Hey“, Lukas nahm seinen Freund in den Arm, „du musst ihnen nichts sagen, wenn du nicht willst, aber egal wie du dich entscheidest, ich werde hinter dir stehen.“

„Ach, das ist nicht das, was ich meine, oder doch und doch nicht.“

„Ich verstehe nicht.“

„Meine Eltern kommen am Wochenende vorbei, und sie werden doch merken, dass ich hier nicht alleine wohne.“

„Ah, jetzt verstehe ich, aber nur weil du nicht alleine wohnst, heißt das doch nicht, dass du unbedingt in einer Beziehung mit mir lebst.“

„Was soll es denn sonst bedeuten!“ Leon war der Verzweiflung nahe.

„Wir könnten auch einfach aus praktischen Gründen eine WG gegründet haben, oder ich bin nur ein Freund, der durch einen dummen Zufall aus seiner Bude rausmusste und nun für einige Wochen auf deinem Sofa nächtigt.“

„Aber hier stehen überall Bilder von uns als Paar“

„Ach Leon, wenn du es deinen Eltern nicht sagen willst, unterstütze ich dich dabei. Ich kann dich nicht dazu zwingen, und alles andere ist nur eine Frage dessen, wie gut unsere Geschichte ist.“

„Aber ich bin kein guter Schauspieler.“

„Das musst du auch nicht. Du musst dir nur die Geschichte merken, und wenn du ins Schwimmen gerätst, dann grätsch‘ ich rein und fang dich auf.“ Lukas war nun beinahe schon amüsiert über Leon.

„Das meinst du ehrlich, du würdest dich für mich verstecken?“

„Hey Leon, schau mir in die Augen, für dich würd ich noch viel mehr tun!“

Als Leon aufblickte und erneut wie so oft in den letzten Wochen in Lukas‘ Augen versank; wusste er erneut, das ihm mit Lukas an seiner Seite nichts passieren konnte. Lukas kannte immer einen Weg, oder zumindest schien es so. Auch wenn Leon sich von Zeit zu Zeit fragte, weswegen er Lukas verdiente, hatte er erkannt, dass Lukas auch von seiner Nähe profitierte. Lukas hatte Leon, nachdem Leon irgendwann nicht mehr konnte und unter Tränen die ganze Wahrheit erzählt hatte, was er damals an jenem Tag, der sein Leben veränderte, fühlte und welchen Entschluss er bereit gewesen war, in die Tat umzusetzen, einfach nur in den Arm genommen und ihm gesagt, er wisse, was er durchgemacht habe. Leon wusste nicht, was Lukas damit meinte, schließlich konnte es doch nicht sein, dass Lukas, der Starke, nicht Kleinzukriegende, jemals so tief am Boden war. Leon hatte sich damals vorgenommen, Lukas zu fragen, doch er hatte bisher nie den Mut gefunden. Doch nun fragte er Lukas.

Lukas war zunächst überrascht, dass Leon ihm genau jetzt diese Frage stellte, doch er wartete schon länger darauf, dass Leon ihn endlich fragen würde. Und so erzählte er Leon alles, zuerst zögerlich, dann immer ausführlicher und mit mehr Emotionen. Am Ende weinte er, denn obwohl er diese Episode seines Lebens eigentlich schon lange hinter sich gelassen hatte und dachte, er hätte sie aufgearbeitet, waren da doch noch mehr aufgestaute Emotionen als er dachte. Als er endete, sah er Leon an. Der schwieg nur noch und sah Lukas nun mit andere Augen, und dennoch dachte er nicht schlechter von ihm, endlich verstand er endgültig und in letzter Konsequenz, was Lukas dazu bewogen hatte, ihn damals am Strand aufzugabeln und ihn mit zu sich zu nehmen. Allerdings hatte Lukas eine Frage nicht vollends geklärt.

„Wer hat dir damals geholfen, wieder aus dem Abgrund deiner Gedanken hinauszukommen?“

„Ein Teil ist mir selbst zuzuschreiben. Ich habe das Thema zerdacht, bis ich es akzeptieren konnte; einen anderen Teil der Anerkennung verdient Alex, sie ging mit mir früher in eine Klasse und war die erste, die hinter meiner damaligen Fassade der Abschottung jemanden sah, der sich eigentlich nicht von allen abschotten wollte, sondern einfach nur nicht wusste, mit sich und den anderen Menschen um ihn herum umzugehen. Sie war die erste, der ich mich damals anvertraute, und sie gab mir den Mut, mich vollständig zu outen und so einen Teil meiner Dämonen abzulegen. Mit den anderen rang ich noch eine Weile, aber der Kampf eskalierte nicht mehr. Seitdem hatte ich nie wieder einen Gedanken daran verschwendet, meinem Leben ein Ende zu bereiten.“

„Alex ist für dich echt eine gute Freundin, oder?“

„Ja, auch wenn ich das erst spät erkannt habe. Aber sie ist nicht nur eine Freundin für mich, auch dich hat sie ins Herz geschlossen. Und keine Sorge, dass ich dir ihretwegen untreu werde - sie ist lesbisch!“ Lukas grinste übers ganze Gesicht. Endlich hatte er sich ausgesprochen und dabei auch noch einen Witz eingebaut. Er sah, dass auch Leon sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.

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