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David

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Vorwort

Als Reaktion auf meine Story »Rafael« haben mir viel Leute geschrieben, dass sie gerne noch mehr von Rafael hören wollten. Ich habe alle gewarnt, dass es sicher nicht so ausfallen würde, wie sie es sich vorstellen. Trotzdem habe ich mich schließlich breitschlagen lassen und Rafael nochmals in den Ring geschickt. Sagt aber nicht, ich hätte euch nicht gewarnt...

Obwohl das hier eine eigenständige Geschichte ist, wird man vieles nur verstehen können, wenn man zuvor »Rafael« gelesen hat, da es von denselben Personen handelt und die Geschichte auch direkt an das Ende von »Rafael« anschließt.

Wenn euch die Story gefallen hat, und natürlich auch, wenn sie euch nicht gefallen hat, lasst es mich wissen.

 

1

David war schon lange gegangen. Ich saß immer noch auf der Bank. Ich hatte noch seinen Geruch in der Nase. Ich wollte mochte mich gar nicht trennen. Irgendwann raffte ich mich dann auf. Zum ersten Mal kam ich mit mir und der Welt zufrieden nach Hause. Die Aussicht, möglicherweise doch wieder einen Freund zu finden, was mir nach Tims Tod eigentlich unmöglich schien, ließ mich die Zukunft schon etwas rosiger sehen. Ich konnte es gar nicht erwarten, Oliver und Rasmus von David zu erzählen. Ich wollte auch Petra fragen, ob David am nächsten Tag zum Abendessen bleiben könnte. Voller positiver Energie kam ich zu Hause an. Dort herrschte allerdings dicke Luft. Ich hörte schon, als ich reinkam, Johannes laute und erregte Stimme:

»Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen! Du hast wohl den letzten Rest deines Verstandes verloren! Noch mal hole ich dich nicht daraus! Ich hoffe, das war dir eine Lehre!«

Es war Rasmus, der da so von Johannes runter gemacht wurde. Er stand ganz bedröppelt da und hörte sich die Schimpftiraden von Johannes an. Oliver klärte mich auf, was passiert war.

Rasmus war in der Schule beim Hasch Rauchen erwischt worden. Johannes hatte mit Engelszungen auf den Schuldirektor eingeredet, um einen Schulverweis zu verhindern. Während er sich in der Schule noch hinter Rasmus gestellt hatte, machte Johannes ihn jetzt dermaßen zur Sau, dass einem Angst und Bange werden konnte. Auch Oliver war schließlich eingeschüchtert. Ich hatte Johannes noch nie so erlebt, selbst nicht, als Oliver am Anfang einen Klassenkameraden, der ihn »Knasti« tituliert hatte, verprügelt hatte.

Schließlich schickte er Rasmus auf sein Zimmer. Oliver folgte ihm. Als die beiden das Zimmer verlassen hatten, atmete Johannes spürbar aus.

»War das nun so nötig?«, fragte ich ihn. Ich fand seine Reaktion etwas übertrieben. Schließlich hatte Rasmus doch kein Heroin gespritzt oder sonstige harte Drogen genommen. Auch ich hatte in meinem früheren Leben öfters mal einen Joint geraucht.

»Ja, Rafael, das war so nötig«, antwortete er, »auch wenn es mir mindestens genau so weh getan hat wie Rasmus. Es geht mir nicht um diesen einen Joint. Das ist sicher nicht schlimm. Aber irgendwo muss er das Zeug ja her haben. Und derjenige, der Hasch verkauft, verkauft auch andere Sachen. Und Rasmus, ihr alle seid noch nicht so weit gefestigt, dass ihr der Versuchung in jeder nur möglichen Situation widerstehen könntet. Und einen Junkie würde unsere immer noch junge Familie nicht aushalten. Deshalb musste ich so hart reagieren, obwohl mir das nicht leicht gefallen ist.

Und jetzt geh Rasmus trösten und richte ihn wieder ein bisschen auf. Ich verlass mich auf dich», setzte er noch hinzu und zwinkerte mir zu.

Ich folgte den beiden auf ihr Zimmer. Oliver stand etwas hilflos an seinem Schreibtisch. Rasmus saß auf seinem Bett und heulte vor Wut.

»Ich haue ab«, schleuderte er mir entgegen. »Hier will mich ja doch keiner.«

»Doch, ich will dich«, antwortete ich und setzte mich zu ihm aufs Bett.

»Ich auch«, murmelte Oliver.

»Aber Johannes nicht. Er hasst mich.«

»Das stimmt nicht. Glaub mir, er liebt dich wirklich mehr als du denkst.«

»Und warum behandelt er mich dann so. So was Schlimmes hab ich doch nun nicht verbrochen?«

»Weil er Angst um dich hat. Er hat Angst, dass du ihm entgleitest und du wieder in dein früheres Leben zurückfällst oder noch schlimmer.«

»Aber ich wollte doch nur mal ausprobieren..«

»Manche Dinge probiert man halt nicht nur mal aus. Rasmus, du hast doch selbst am eigenen Leib erlebt, wie gefährlich gewisse Dinge sein können und wie schnell man sich in irgendwas reinreiten kann.«

»Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte Rasmus weinerlich.

»Erst einmal beruhigst du dich und dann entschuldigst du dich bei Johannes.«

»Ich hab aber Angst, dass er mich noch mal so anschreit, und überhaupt...«

»Mach dir mal keine Sorgen. Das wird er nicht tun«, unterbrach ich ihn. »Ich komme auch mit dir mit.«

Ich nahm Rasmus in den Arm, bis er sich beruhigt hatte. Dann gingen wir zu Johannes.

»Tschuldigung«, presste Rasmus heraus und sah dabei Johannes mit so einem Dackelblick an, dass jedenfalls ich ihm noch weit Schlimmeres verziehen hätte. Und auch Johannes konnte ihm natürlich nicht widerstehen. Er drückte ihn ganz fest in seine Arme.

»Mach so was nie wieder«, flüsterte er ihm ins Ohr. Rasmus schüttelte heftig den Kopf.

»Kleiner, ich mach mir doch so große Sorgen um dich«, setzte er noch hinzu.

Rasmus kamen wieder die Tränen, mir aber auch. Wir dachten wohl beide dasselbe. Die Erfahrung, dass sich jemand Sorgen um uns machte, kannten wir erst seit einem halben Jahr. Das war für uns immer noch keine Selbstverständlichkeit.

Durch die Geschichte mit Rasmus geriet mein Erlebnis erst mal in den Hintergrund. Außerdem war Petra sowie noch nicht da, so dass ich das ganze auf das Abendessen verschob. Die abendliche Mahlzeit war uns heilig. Während Frühstück und Mittagessen jeder einnahm, wann es passte, saßen wir beim Abendessen immer alle am Tisch. Das war auch der Zeitpunkt, wo dann alle wichtigen Ereignisse des Tages durchgesprochen wurden.

Rasmus hatte natürlich Angst, dass sein Fauxpas nochmals zur Sprache kam, aber da hatte ich ja ein gutes Ablenkungsmanöver.

»Petra, ich bekomme morgen nachmittag Besuch. Kann ich ihn fragen, ob er zum Abendessen bleiben will?«, fing ich an.

»So, wer kommt denn?«

»Ach, nur David, ein Klassenkamerad«

»Klassenkamerad oder Freund?« fragte Johannes und schmunzelte.

»Freund oder Freund?«, schrie Oliver dazwischen, was ihm einen Fußtritt von Rasmus einbrachte.

»Aua, man wird doch wohl noch fragen dürfen«, beschwerte er sich.

»Ich weiß es doch auch noch nicht«, gab ich mit hochrotem Kopf zur Antwort.

»Aber du möchtest schon mehr als Klassenkamerad«, schloss Petra. »Natürlich kann er zum Abendessen bleiben, wenn er will.«

Glücklicherweise ersparte mir Johannes weitere Diskussionen, indem er sagte:

»So, jetzt reicht es, lasst den armen Rafael in Ruhe, sonst müssen wir noch andere Vorkommnisse dieses Tages diskutieren.«

Rasmus brach daraufhin sofort jegliche Stichelei ab.

Als wir den Tisch abgeräumt hatten und ich in mein Zimmer gehen wollte, umarmte mich Petra noch kurz und flüsterte mir ins Ohr:

»Ich wünsch dir ganz viel Glück, mein Großer. Ich bin ja so froh, dass du mal auf andere Gedanken kommst.«

»Danke, kann ich brauchen.«

Ich war kaum in meinem Zimmer, als auch schon Oliver und Rasmus hereingestürmt kamen.

»Los, erzähl«, legte Rasmus auch gleich los.

»Nun sei mal nicht so neugierig. Ich habe ja bei deiner Bettina auch nicht gefragt.«

»Hättest du aber können.« Schlagfertig war der Junge ja.

Also erzählte ich ihnen was am Mittag passiert war.

»Du hast ihm wirklich alles erzählt? Auch, was wir im Knast so alles getrieben haben?«

»Musste ich ja, sonst hätte die ganze Geschichte ja keinen Sinn gegeben.«

»Das finde ich jetzt aber nicht so toll«, maulte Oliver. »Jetzt muss ich jedes Mal, wenn der mich anguckt, denken, was für intime Dinge der über mich weiß.

»Ich find das zwar auch nicht so toll, aber Rafael hat schon recht, ohne die intimen Details kann man die Geschichte gar nicht verstehen«, meinte Rasmus.

»Isser denn schwul?«, fragte Oliver.

»Keine Ahnung, darüber haben wir nicht gesprochen.«

»Wenn er dich nach der Story so in den Arm genommen hat, muss er schwul sein«, folgerte Rasmus.

»Wir werden das schon herausfinden«, tönte Oliver.

»Ihr werdet gar nichts. Das geht euch überhaupt nichts an. Und ihr werdet mir jetzt beide versprechen, dass es morgen keine zweideutigen Anmerkungen oder Fragen gibt. Ist das klar?«

»Wenn's denn unbedingt sein muss. Aber wir sind stark im Verkuppeln. Aber wenn du unbedingt auf unsere Dienste verzichten willst...«

»Blödmann«, lachte ich und schmiss ihm ein Kissen an den Kopf. Das war für die beiden der Startschuss sich auf mich zu stürzen. Einen hätte ich ja leicht abfertigen können, aber bei zweien war das schon sehr viel schwieriger und ehe ich mich versah, lag ich am Boden und die zwei saßen so auf mir, dass ich mich kaum bewegen konnte.

»Gewonnen«, schrie Oliver. »Ergibst du dich?« Und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, begann er mich durchzukitzeln.

»Ja, ich ergebe mich«, konnte ich so gerade noch glucksen. Oliver hörte auf zu kitzeln und lächelte mich an. Ich glaube, wir hatten alle gleichzeitig denselben Gedanken. Oliver gab mir einen Kuss und stand dann auf. Auch Rasmus gab mich wieder frei.

»So nahe waren wir uns schon lange nicht mehr«, sagte er.

»Ich bin so froh, dass ich wenigstens euch habe«, erwiderte ich. Ich nahm die beiden in den Arm und wir kuschelten noch eine Zeitlang zusammen, bevor sie in ihr Zimmer gingen.

Ich legte mich ins Bett, aber ich war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Ich hoffte so sehr, dass ich diesmal ein bisschen Glück haben würde. Irgendeine Macht lenkt alles in die richtige Richtung, hatte Johannes damals gesagt. Ich hoffte so sehr, dass er recht behielt. Ich war einfach hoffnungslos verliebt.

2

Mir so froher Erwartung bin ich noch nie in die Schule gegangen. Ich traf David bereits kurz vor der Schule. Er sah einfach toll aus mit seinen halblangen schwarzen Haaren. Ich fragte mich, wie ich das im letzten halben Jahr hatte ignorieren können.

»Klappt das heute nachmittag«, bestürmte ich ihn gleich.

»Klar, hatten wir doch abgemacht.«

»Kannst du vielleicht auch noch zum Abendessen bleiben?«

»Das muss ich erst zu Hause abklären, aber wahrscheinlich geht das schon.«

Die Schule nahm an dem Tag natürlich kein Ende. Ich wurde fast verrückt. Als es dann doch zum letzten Mal klingelte, seufzte ich erleichtert auf.

»Bis später« verabschiedete ich mich in dem Park von David.

Glücklicherweise kam er am Nachmittag pünktlich. Als es klingelte, stürzte ich zur Tür. Als ich in seine grünen Augen schaute, hätte ich ihn am liebsten gleich umarmen wollen. Bevor ich aber irgendwelche Anstalten machen konnte, streckte er mir die Hand entgegen. Etwas enttäuscht gab ich ihm dann die Hand. Ich hätte schon gerne noch etwas an ihm gerochen. Na ja, vielleicht sollte ich das doch etwas langsamer angehen.

»Boh, hast du aber ein tolles Zimmer«, staunt David als wir dort angelangt waren.

Ich fand mein Zimmer auch gut. Es war recht groß. Es hatte ja schließlich auch für zwei reichen sollen. Die Einrichtung war hell und freundlich, wenn es auch keine Designermöbel waren. So viel Geld hatten Johannes und Petra dann doch nicht. Sie bekamen zwar vom Jugendamt Geld für uns, aber wir kosteten sie ja auch einiges. Immerhin hatten sie uns allen neue Möbel besorgt. Und da es ja auch für Tim hätte reichen sollen, hatte ich halt alles doppelt.

David lag genau auf meiner Wellenlänge. Wir unterhielten uns prächtig zunächst natürlich über die Schule. Erst wurden alle Lehrer durchgehechelt, dann kamen wir auf unsere Klassenkameraden. David hatte praktisch keinen Kontakt zu ihnen.

»Die sind mir einfach alle zu blöd«, meinte er.

Ich fand das dann doch etwas zu hart. Ich hatte zwar auch keine Lust gehabt, mit ihnen rumzualbern, aber so gänzlich unsympathisch waren sie mir doch nicht.

Irgendwann kamen wir dann wieder auf mich zu sprechen:

»Und du hast echt auf der Straße gelebt und bist anschaffen gegangen?«, fragte er und sah mich dabei fast bewundernd an.

»Ja, hab ich dir doch erzählt«. Mir war das jetzt fast ein bisschen peinlich.

»Aber warum denn, du hattest doch ein zu Hause?«

»Zu Hause würde ich das jetzt nicht nennen. Es war die Hölle für mich.«

David nickte sinnierend.

»Dagegen schien mir das Leben auf der Straße wie der Himmel. Keiner, der einem Vorschriften machen wollte, keiner, der einen unter Druck setzen wollte, keiner, der einen verprügeln wollte. Es war Freiheit pur. Dazu kam vielleicht auch ein bisschen Abenteuerlust. Man konnte sich so schön als Outlaw fühlen. Dass das ganze dann doch nicht so toll war, habe ich eigentlich erst erkannt, als ich Tim kennengelernt hatte. Und seit ich hier bei Johannes und Petra wohne, bin ich mir ganz sicher, dass ich die eine Hölle gegen eine andere eingetauscht hatte.«

»Aber wenn das jetzt nicht passiert wäre, würdest du wahrscheinlich die Straße immer noch dem Leben bei deinen Eltern vorziehen?«

»Das auf alle Fälle.«

»Eigentlich hast du ganz schön Schwein gehabt«, meinte David und lächelte etwas verkrampft.

»Wenn man es so sieht, vielleicht«, meint ich.

Der Nachmittag verging wie im Fluge. Allerdings hielt David doch sichtlich Abstand von mir. Während ich es darauf anlegte, ihn zu berühren, versuchte er das zu verhindern. Ich fand das schade, aber vielleicht war ich auch zu schnell. Ich sollte einfach mehr Geduld haben.

Das Abendessen verlief ohne Probleme. Oliver und Rasmus hielten sich wie versprochen zurück. Johannes und Petra verhielten sich freundlich.

Als David weg war kamen Oliver und Rasmus sofort in mein Zimmer.

»Und?«, fragte Rasmus.

»Nix und, wir haben uns gut unterhalten.«

»Habt ihr noch nicht gepoppt?«

»Oliver, du bist ein versauter Blödmann.«

»Bei Tim war das aber anders.«

»Das war ja auch eine ganz andere Situation.«

Na ja, ich hätte mir das auch gern etwas anders gewünscht. Aber das konnte ja noch kommen. Ich durfte halt nicht zu ungeduldig sein.

Auf jeden Fall verbrachte ich nun jede freie Minute mit David. Wir trafen uns entweder bei mir oder gingen in die Stadt, ins Kino oder Shopping. Leider konnten wir nicht zu ihm gehen. Seine kleine Schwester würde derartig rumzicken, das würde mir sicher keinen Spaß machen. Seine Schwester war zwei Jahre jünger als er und ging in unsere Schule, zwei Klassen unter uns. Ich hatte sie zwar noch nie gesehen und David machte auch keine Anstalten, sie mir vorzustellen. Ihr Verhältnis musste wohl nicht so toll sein. Seiner Beschreibung nach musste sie ein richtiges Ekelpaket sein. Ich hätte sie ja schon gerne mal kennengelernt. Aber ich drängte ihn auch nicht. An seiner Schwester war ich ja nicht interessiert. Dafür umso mehr an ihrem Bruder. Ich wurde fast wahnsinnig in seiner Gegenwart. Ich hätte ihm gerne durch seine langen Haare gewuselt, ich hätte so gerne an seinem süßen Ohrläppchen geknabbert, ich hätte so gerne seinen Duft in mich aufgesogen, von anderen Sachen mal ganz zu schweigen.

Aber leider entzog er sich immer noch jeder Berührung, geschweige denn, dass er Anstalten machte, mich zu berühren. Nicht mal ein simples Umarmen zur Begrüßung oder zum Abschied ließ er zu. Ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushalten würde.

»Du musst einfach mehr rangehen«, riet Oliver. Na toll. Ich hatte keine Lust, gleich alles aufs Spiel zu setzen. Aber lange konnte das nicht mehr so weitergehen. Ich würde mir was überlegen müssen.

3

»Hi Rafael«. Es war Martin, ein Klassenkamerad, der mich da während einer Pause ansprach. Ich hatte schon öfter mal mit ihm gesprochen. Er war eigentlich ein ganz umgänglicher Zeitgenosse.

»Hi«, antwortete ich.

»Na, du hängst ja jetzt die ganze Zeit mit David ab.«

»Fällt das so auf?«

»Na ja, das erste halbe Jahr haste praktisch mit keinem geredet, und jetzt seid ihr fast unzertrennlich. Es geht mich zwar nichts an, aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf, sei vorsichtig mit dem. Es hat schon seinen Grund, dass er hier keine Freunde hat. Wir alle haben da unsere Erfahrungen gemacht.«

Was sollte das denn jetzt? War Martin komplett verrückt geworden? Warum wollte er mir die Freundschaft zu David madig machen? Wahrscheinlich hatte David doch Recht, dass der Rest der Klasse alle Arschgesichter wären.

Ehe ich noch was erwidern konnte, ließ Martin mich stehen. Ich wollte ihm zwar nach, aber das Pausenklingeln zwang mich wieder in die Klasse.

Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, warum Martin mich angesprochen hatte. War es Missgunst, Eifersucht, aber worauf? Oder war da doch ein Körnchen Wahrheit? Scheiße, der hat doch wohl ein Rad ab. Ich wollte David am Nachmittag mal vorsichtig darauf ansprechen. Aber ausgerechnet heute musste er seiner zickigen Schwester Nachhilfeunterricht in Mathe geben. Seine Eltern hätten darauf bestanden. Ich begann langsam seine Schwester zu hassen.

Immerhin hatte ich so mal Zeit nachzudenken. Ich beschloss, dass es so nicht weitergehen konnte. Morgen würde ich mal etwas gezielter vorgehen auf die Gefahr hin, dass er mich zurückweisen würde. Ich hatte nachts schon feuchte Träume von ihm. Na ja, zugegeben, oft genug hab ich auch nachgeholfen. Aber ich wollte jetzt nicht immer nur von ihm träumen, ich wollte ihn ganz reell in den Arm nehmen.

Am nächsten Tag war alles wieder wie immer. Wir hingen in meinem Zimmer und quatschten über alles mögliche. Irgendwann kam David wieder meine Zeit als Stricher zu sprechen. Ich wusste nicht, warum ihn dieses Thema so interessierte. Mir ging es schon langsam auf den Wecker. Aber diesmal war es mir ganz recht.

»Weißt du noch, als ich dir das zum ersten Mal erzählt habe«, begann ich.

»Hm.«

»Danach hast du mich ganz lieb in den Arm genommen und mich getröstet. Das fand ich ganz toll. Ich hätte dich damals nie wieder loslassen mögen. Ich habe das unheimlich genossen. Ich wünschte mir, dass du mich noch mal so...«

»Ich bin aber nicht schwul. Ich find das ganze pervers und ekelhaft«, unterbrach David mich harsch..

Das war schlimmer als zehn Ohrfeigen. So hatte mich noch nie jemand abgekanzelt. Ich konnte nicht anders, mir stiegen die Tränen hoch. Ich wollte zwar nicht, dass er mich für eine Heulsuse hielt, aber es tat so weh.

David war auch erschrocken, wohl auch über seine eigene Reaktion. Er schaute mich auf einmal ganz lieb an, fast so wie damals im Park.

»Entschuldigung. Ich wollte dir nicht weh tun. Es tut mir so leid. Ich mag dich wirklich, Rafael. Aber ich bin nun mal nicht schwul. Ich kann das einfach nicht.« Das sagte er jetzt mit einer ganz sanften, lieben Stimme.

Aber auch wenn das jetzt viel lieber formuliert war, das Ergebnis blieb doch das gleiche. David konnte und wollte nicht mein Boyfriend werden.

»Aber ich habe mich furchtbar in dich verliebt. Ich kann an nichts anderes mehr denken, Tag und Nacht.«

»Rafael, bevor ich dich kennengelernt habe, hätte ich mit einem Schwulen nicht mal gesprochen, so pervers, abartig und ekelhaft fand ich das. Als ich dich dann getroffen habe, fand ich dich sympathisch einfühlsam und liebeswert. Darum hab ich dich ja auch angesprochen. Als du mir dann gesagt hast, dass du schwul bist, hab ich mir gedacht, dass du trotzdem derselbe Mensch bleibst. Aber Zärtlichkeit und Sex zwischen Jungs finde ich immer noch ekelhaft. Rafael, ich mag dich sehr und möchte dich auch gerne als Freund behalten, aber eben nur als Freund.«

Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte. Aber den Kontakt ganz abzubrechen hatte ich auch nicht den Mut. Vielleicht hatte ich im Geheimen ja auch noch die Hoffnung, dass....

»Ich werd mich zwar neben dir verzehren, aber ich möchte dich auch als Freund behalten«, antwortete ich unter Tränen.

»Danke«, und dann fügte er hinzu, mehr zu sich selbst gesprochen: »Wo ich doch so schwer Freunde finde.«

Ich saß etwas deprimiert beim Abendessen. Auch Oliver schaute unglücklich drein. Seine Freundin hatte sich von ihm getrennt. Allerdings war das schon seine zweite und der Liebeskummer hielt bei ihm nicht sehr lange an. Rasmus pflegte zu sagen, die Mädchen ständen bei ihm Schlange und würden sich fast die Augen ausstechen, wer ihn denn trösten dürfte.

Bei mir war es aber schon zu Ende, bevor es überhaupt angefangen hatte. Und bei mir stand leider keiner Schlange, um mich zu trösten. Halt, Rasmus und Oliver und auch Johannes und Petra versuchten mich zu trösten. Aber sie konnten mich ja auch nur in den Arm nehmen und sagen, dass ich sicher noch meine große Liebe finden würde. Viel half das allerdings nicht. Ich hatte ja meine große Liebe schon gefunden. Das Problem war ja, dass meine große Liebe mich nicht wollte. Ich verbrachte mal wieder eine schlaflose Nacht. Ich brach in Gedanken mindestens hundert mal den Kontakt zu David ab, aber hundert mal überlegte ich mir Strategien, wie ich ihn doch noch bekommen könnte.

4

David war am nächsten Morgen merkwürdig zurückhaltend. In der ersten Pause sagte er mir, dass ihm schlecht sei und dass er nach Hause gehen würde. Am Nachmittag müsste er wieder seiner Schwester Nachhilfe geben, so dass wir uns nicht sehen könnten. Irgendwie war mir das auch ganz recht. Ich musste erst mal mit mir selbst klar kommen.

Ich ging an diesem Nachmittag zu Tims Grab. Ich war nur noch einmal dort gewesen, als Johannes einen kleinen Stein hatte aufstellen lassen. Ich verband mit dem Ort keine Erinnerung an Tim. Der Körper, der dort unten von den Würmern gefressen wurde, hatte für mich nichts mehr mit Tim zu tun. Das war mir seit dem Kuss in der Leichenhalle klar. Die Erinnerung an ihn war in unserer Zelle verbunden. Aber dort konnte ich natürlich nicht hingehen.

Irgend jemand hatte eine weiße Rose auf sein Grab gelegt, komisch. Der Stein wurde bereits von Moos überwachsen.

Tim Breker

*27.2.1981

+15.10.1997

Mehr stand nicht auf dem Stein. Obwohl mich hier nichts an Tim erinnerte, lag über dem Ort doch eine seltsame feierliche Stimmung, wie es halt auf einem Friedhof so ist.

»Lieber Gott, Johannes sagt immer , dass du alles in die richtige Richtung lenkst. Du hast mir ja auch eine neue Familie gegeben. Dafür bin ich dankbar. Kannst du mir nicht auch einen Freund geben? Du hast mir Tim genommen, was ich bis heute nicht verstehen kann, und jetzt willst du wohl auch, dass ich David nicht bekomme. Habe ich so Schlimmes getan, dass du mir alle Freunde wegnimmst? Bitte gönne mir doch etwas Glück.«

Das murmelte ich vor mir hin. Ich glaubte zwar nicht, dass jemand das erhören würde, aber ich fühlte mich doch ein wenig erleichtert. Ich wurde sogar ein bisschen positiv gestimmt. Wenn ich auch David nicht als Lover haben konnte, so wollte ich ihn wenigstens als Freund behalten. Immerhin hatte er mich so akzeptiert wie ich war, wenn man betrachte, was für ein Schwulenhasser er vorher gewesen sein musste. Und eine klitzekleine Hoffnung hatte ich doch noch, dass er seine Meinung da auch noch ändern würde. Schließlich war das alles ja vollkommen neu für ihn. Ich musste wieder an diesen Mittag im Park denken. Ich war mir damals ganz sicher gewesen, dass hinter seiner Umarmung mehr steckte als ein reines Trösten. Aber hier war wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedanken.

Am nächsten Tag war David wieder ganz normal. Wir verbrachten den Nachmittag zusammen als wäre nichts gewesen. Aber irgendwann kam er wieder auf meine Zeit am Bahnhof zu sprechen. Mir ging das langsam auf den Geist.

»Was soll eigentliche diese ständige Fragerei und Bohrerei über mein Leben als Strichjunge?«, fragte ich ihn genervt. »du bist doch nicht schwul. Warum willste das denn so genau wissen?«

»Vielleicht will ich dich ja besser verstehen«, antwortete er ebenso genervt.

Ob es das war, was zwischen uns stand? Bestimmt fand er es ekelhaft, dass ich mich an Männer verkauft hatte. Ich traute mich aber nicht zu fragen aus Angst vor der Antwort.

Jedenfalls war die gute Stimmung hin und David verschwand ziemlich bald.

Die nächsten Wochen waren ein auf und ab. Manchmal war es so wie früher, dann ohne Vorwarnung kam ein Stimmungswechsel und er war plötzlich extrem kühl zu mir. Aber eins änderte sich nicht: In seiner Gegenwart hatte ich immer noch ein Kribbeln, den fast unwiderstehlichen Drang, ihn in den Arm zu nehmen. Wenn ich gehofft hatte, dass das mit der Zeit nachlassen würde, hatte ich mich wohl getäuscht.

Allerdings wurden unsere Treffen außerhalb der Schule immer weniger. Mal musste er seiner blödsinnigen Schwester bei den Hausaufgaben helfen, mal hatte er einfach keine Lust. Was mich aber mehr beunruhigte, war, dass er immer öfter während der Schulzeit verschwand. Anfangs entschuldigte er sich noch mit Übelkeit oder Kopfweh, später verschwand er einfach ohne etwas zu sagen. Die nächste Mathearbeit ging voll in die Hose, obwohl Mathe eigentlich sein Spezialgebiet war. Als er dann zwei Wochen später auch noch die Englischarbeit in den Sand setzte, machte ich mir ernste Sorgen. Ich überlegte schon wieder, ob das nun an mir lag. Vielleicht kam er nicht damit zu Rande, einen schwulen Freund zu haben Wenn das so war, mussten wir die Freundschaft halt beenden. Auch wenn ich mir das nicht vorstellen mochte, wollte ich doch nicht schuld sein, dass er derartige Probleme in der Schule bekam. Dann würde ich halt leiden müssen und irgendwann würde sich das hoffentlich mal gegeben haben. Ich musste fast kotzen bei dem Gedanken.

Dennoch, als David sich am folgenden Montag mal wieder aus der Schule verdrücken wollte, griff ich ihn am Arm und wollte ihn in eine Ecke ziehen.

»Ich muss unbedingt mit dir reden.«

»Lass mich sofort los, du schwule Sau«, schrie er mich an. »Du bist einfach ekelhaft.«

Erstarrt vor Schreck ließ ich ihn los. Es hatte zwar niemand sonst gehört, aber so schlimm beleidigt hatte mich noch niemand. Ohne ein weiteres Wort drehte David sich um und rannte weg..

Jetzt reichte es endgültig. Das brauchte ich mir nicht gefallen zu lassen. Ich hatte alles versucht, was ich konnte. Ich hasste ihn. Ich wollte ihn nie wiedersehen.

Am Dienstag erschien David erst gar nicht in der Schule. ‚Hoffentlich ist er vor ein Auto gelaufen', dachte ich.

Am Mittwoch tauchte er auch nicht auf. ‚Er soll doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.'

Am Donnerstag blieb er immer noch verschwunden. ‚Er wird schon sehen, was er davon hat.'

Am Freitag fehlte er immer noch. ‚Ich an seiner Stelle würde mal langsam wieder auftauchen.'

Am nächsten Montag kam er auch nicht wieder. ‚Ich muss doch mal Martin fragen, ob er das immer so macht.'

»Du, Martin, darf ich dich mal was fragen?«

»Ja klar, geht es um David?«

»Genau, woher weißt du das?«

»Also, das sieht man doch. Du erlebst gerade das, was wir alle mit ihm erlebt haben. Zuerst ist er scheißfreundlich und du denkst, er ist der netteste Junge, den es überhaupt gibt. Und dann, irgendwann kriegt er plötzlich Aussetzer, schreit dich an oder will dich sogar verprügeln. Alles aus heiterem Himmel. So war's doch bei dir auch, oder etwa nicht?«

»Ja, ganz genau so.« Also hatte das wohl doch nichts mit meinem schwul sein zu tun. Es war ja schließlich unwahrscheinlich, dass die ganze Klasse schwul war. Irgendwie beruhigte das mich ein wenig.

»Hat er denn früher auch immer die Schule geschwänzt?«, fragte ich weiter.

»Ne, das macht er zum ersten Mal.«

Sofort spürte ich wieder ein Schuldgefühl. Verdammt, ich hatte ihm doch nichts getan. Wieso fühlte ich mich dann schon wieder schuldig?

Als David am Dienstag immer noch nicht erschien, entschloss ich mich, etwas zu unternehmen. Ich wollte ihn zu Hause aufsuchen und ein für alle mal klären, was denn nun eigentlich los war. Mist, ich hatte ja noch nicht einmal seine Adresse, geschweige denn seine Telefonnummer. Es fiel mir auf, dass David es immer vermieden hatte, über sein zu Hause oder seine Eltern zu sprechen. Die einzige, über die er sich von Zeit zu Zeit äußerte, war seine Schwester, die ihm tierisch auf den Geist zu gehen schien. Ich konnte sie ja eigentlich nach David fragen. Aber ich kannte sie ja auch nicht und wusste nicht einmal genau, in welche Klasse sie nun ging. Schließlich kam mir die rettende Idee. Ich konnte ja einfach im Sekretariat nach seiner Adresse fragen. In der großen Pause ging ich hin.

»Guten Morgen, Frau Weber. Ich bin Rafael Schumann. Ich bin in der Klasse 10b. Ich komme wegen David Jendralsky. Er fehlt seit einer Woche und ich würde ihn gerne zu Hause besuchen, hab aber seine Adresse nicht. Könnten Sie mir die vielleicht geben?«

»Fehlen ist gut, der schwänzt. Ich habe gerade einen Brief an seine Eltern geschrieben«, antwortete Frau Weber. »Seine Adresse kann ich dir leider nicht geben. Wir dürfen hier keine Daten von Schülern herausgeben.«

Ich muss sie wohl völlig enttäuscht angesehen haben. Jedenfalls fuhr sie fort:

»Ich kann dir aber einen Tipp geben. Normalerweise machen die Elternvertreter immer Klassenlisten mit den Namen, Adressen und Telefonnummern aller Schüler. Frag doch mal deine Eltern, sie haben bestimmt so eine Liste.«

Das stimmte, ich hatte sie ja am Anfang bekommen und an Petra weitergegeben. Aber es gab ja vielleicht noch eine weitere Möglichkeit.

»Frau Weber, David hat ja auch noch eine Schwester hier. Sie muss, glaube ich, in der 8a oder 8b sein. Vielleicht dürfen Sie mir ja sagen, in welche Klasse sie geht.«

»David hat keine Schwester, jedenfalls nicht auf unserer Schule.«

Ich hatte mich wohl verhört. Das konnte doch wohl nicht sein. Völlig fassungslos sah ich sie an. Wohl deshalb setzte sie noch hinzu:

»Bestimmt nicht, ich hatte mir ja seine Akte herausgesucht, um den Brief an seine Eltern zu schreiben.«

5

Was war das denn jetzt. War ich hier bei »Versteckte Kamera«? Ich sah mich suchend um, aber nichts passierte. Verdammt, warum lügt dieser Arsch mich so an. Was vor kurzem noch Liebe war, schlug jetzt endgültig in Hass um. Ich war noch nie so betrogen, hintergangen worden. Was bildete sich dieser Scheißer denn ein? Jetzt war ich endgültig mit ihm fertig. Aber das wollte ich ihm wenigstens noch persönlich ins Gesicht schleudern.

Also fragte ich Petra sofort, als ich zu Hause war, nach der Klassenliste. Es gab sie wirklich und sie enthielt tatsächlich alle Anschriften und Telefonnummern. Alle, außer einer. Bei David Jendralsky stand nichts, keine Anschrift, keine Telefonnummer. So ein Mist! Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit. Ich griff mir das Telefonbuch. Zum Glück hieß David nicht Meier. Immerhin, es gab auch 5 mal Jendralsky. Bei dreien stand auch eine Adresse dabei. Ich holte den Stadtplan. Es konnte ja nicht so weit weg von mir sein. Zumindest musste man es ja zu Fuß erreichen können. Zwei Jendralskys schieden sofort aus. Sie wohnte am anderen Ende der Stadt. Blieb einer übrig und die zwei ohne Adresse. Es gab natürlich auch noch die Möglichkeit, dass Davids Eltern gar nicht im Telefonbuch standen. Ich überlegt kurz. Ich wollte zwar nicht anrufen, sondern persönlich mit ihm sprechen. Aber zwei Jendralskys hatten nun mal keine Anschrift. Bevor ich mich vergeblich auf den Weg machte, wollte ich die beiden abklären. Ich wählte also die erste Nummer.

»Jendralsky«, meldete sich eine Frauenstimme.

»Guten Tag, ich hätte gerne den David gesprochen«, begann ich.

»Einen David haben wir hier nicht. Da müssen sie sich verwählt haben.«

»Entschuldigen Sie bitte die Störung.«

Blieben noch zwei. Bei der nächsten Nummer ging leider niemand ans Telefon. Also gut, dann würde ich doch erst die dritte Anschrift aufsuchen: Humboldtring 84. Mit dem Stadtplan bewaffnet machte ich mich auf den Weg. Ich brauchte eine viertel Stunde. Dann stand ich vor einem riesigen Mietsilo. An der Eingangstür standen mindestens 100 Namen. Es dauerte bestimmt 10 Minuten bis ich Jendralsky gefunden hatte. 5. Etage rechts stand da glücklicherweise. Ich wollte gerade klingeln, da fiel mir ein: Vermutlich würde er mich gar nicht reinlassen und dann stände ich hier unten und alles wäre vergeblich gewesen. Ich musste irgendwie in das Haus kommen und direkt an der Wohnungstür klingeln. Dann könnte er mir nicht mehr entwischen.

Glücklicherweise verließ kurze Zeit später ein Paar das Haus. Ich nutzte die Gelegenheit, um ins Haus zu schlüpfen. Mit dem Aufzug fuhr ich in den fünften Stock. Die Wohnungen lagen alle an einer nach außen offenen Galerie. Nach einigem Suchen fand ich schließlich die richtige Wohnung. Ich atmete tief durch und drückte auf den Klingelknopf.

Es ertönte ein zweitoniger Gong. Zunächst passierte nichts. Dann hörte ich ein Krachen, wie wenn ein Stuhl umfällt. Als nächstes hörte das Geräusch von Schritten, die sich der Tür näherten. Schließlich öffnete sich die Tür.

Ich sah eine Frau, nicht besonders groß. Sie trug einen Hausfrauenkittel. Wenn sie mal schön gewesen war, so war sie es zumindest jetzt nicht mehr. Ihr Gesicht sah verlebt aus. Die Haare waren ungepflegt und standen in alle Richtungen von ihrem Kopf ab. Die Augen waren glasig. Sie sah irgendwie durch mich hindurch.

»Was willst du«, lallte sie.

Kein Zweifel, die Frau war sturzbesoffen. Ich musste wohl doch die falsche Adresse erwischt haben. Eigentlich nur um etwas zu sagen, antwortete ich:

»Ich würde gern David sprechen.«

Statt einer Antwort brach sie in hysterisches Lachen aus. Ich war völlig entsetzt.

»Was ist denn los? Wer ist denn da?«, hörte ich eine tiefe Stimme aus der Wohnung. Kurze Zeit später erschien ein Hüne von Mann in verfleckter Hose und Feinrippunterhemd.

Die Frau hörte auf zu lachen.

»Da will einer David sprechen«, flüsterte die Frau.

»David gibt es hier nicht mehr«, begann der Mann fast flüsternd. »Den kannst du am Bahnhof suchen, wo er hingehört.« Sein Ton steigerte sich. »Dieser Schwanzlutscher, dieser Hinterlader. Und wenn dieser Bastard es wagen sollte, hier noch einmal aufzutauchen, trage ich ihn eigenhändig an den Bahnhof zurück, nachdem ich ihm jeden einzelnen Knochen gebrochen habe.« Der Mann schrie jetzt schon fast. Dann sah er mich durchdringend an und begann wieder mit jetzt drohender Stimme:

»Und du? Gehörst du auch zu dieser Truppe?« Sein Gesicht nahm einen angeekelten Ausdruck an.

Ich hatte nur einen Gedanken: bloß weg von hier. Ich drehte mich um und lief, lief die 5 Etagen runter, bloß raus aus dem Haus. Auch draußen blieb ich nicht stehen. Ich rannte, ohne nach links oder rechts zu schauen, rannte bestimmt 15 Minuten, bevor ich völlig abgehetzt stehen blieb. Zufälligerweise war es genau der Park, wo ich damals mit David auf der Bank gesessen hatte. Meine Lungen taten weh beim Einatmen, so außer Puste war ich. Ich setzte mich hin.

Wie Schuppen war es mir von den Augen gefallen. Mit einem Mal war alles klar. Alles fügte sich wie ein Puzzle ineinander: die erfundene Schwester, die Stimmungsschwankungen, das ständige Fragen nach meiner Stricherzeit -ich Depp hatte ihm noch von dem anfänglichen Freiheitsgefühl erzahlt, den Rest wollte er wahrscheinlich gar nicht mehr hören-, sein Schulschwänzen und letztendlich sein Verschwinden.

Mir kamen die Tränen und ich heulte und heulte. Und als ob das Schicksal mich noch zusätzlich verhöhnen wollte, saß ich genau auf der Bank, wo vor nicht all zu langer Zeit alles angefangen hatte. Nur dass diesmal keiner da war der mich in den Arm nahm und mich tröstete. Und gerade heute war ich mir sicher, dass es mehr war als nur trösten. Aber diese Erkenntnis ließ mich nur noch mehr heulen.

6

Irgendwann machte ich mich auf den Heimweg. Zu Hause lief ich genau Johannes in die Arme. Als er mich so sah, zog er mich sofort in sein Arbeitszimmer.

»He, Großer, was ist denn los?«

»Ich bringe allen nur Unglück. Jeder, der sich mit mir einlässt, kann schon sein Testament machen«, sagte ich unter Tränen.

»Was ist denn nun los«, fragte er erschrocken, »jetzt erzähl mal schöne der Reihe nach.«

Ich erzählte ihm, was in der letzten Woche passiert war bis zu meinem Besuch bei Davids Eltern.

»Ich will doch immer nur das Beste. Aber alles, was ich anfasse, verkehrt sich ins Böse«, endete ich.

Johannes nahm mich in den Arm.

»Du überschätzt deine infernalische Macht, mein Junge. Das mit Tim war eine unglückselige Verkettung von Umständen, an denen du nun überhaupt nicht beteiligt warst. Und jetzt, die Geschichte mit David, das wäre früher oder später sowieso passiert. Vielleicht hast du es um ein paar Wochen beschleunigt, aber verhindert hättest du es nicht. Wenn man vorher gewusst hätte, unter welchem emotionellen Stress David stand, wenn er irgendetwas gesagt hätte, hätte man vielleicht etwas arrangieren können.

«Ich hab die Zeichen halt alle falsch gedeutet», jammerte ich.

«Nun hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Du konntest das nicht erkennen. Nachher sieht es immer so aus als hätte man es erkennen können. Aber das ist nicht der Fall.»

«Doch, ich hätte es erkennen müssen. Ich hab das ja alles selbst erlebt», flüsterte ich.

«Kopf hoch, vielleicht kann man ja deinem David doch noch helfen. Ich wird mal Kontakt zum Jugendamt aufnehmen, was sich machen lässt», versprach Johannes.

«Hat es Zweck, wenn ich dir verbiete, nach David zu suchen?», fragte er dann.

«Bitte tu das nicht, ich möchte dich nicht belügen müssen», antwortete ich.

«Du weißt, warum ich Bedenken habe?»

«Mach dir keine Sorgen. Ich habe hier etwas gefunden, was ich noch in meinem ganzen Leben nicht hatte: ein richtiges Zuhause. Ich werde das nicht aufs Spiel setzten.»

Johannes drückte mich und flüsterte mir ins Ohr: «Ich hoffe, du bist genug gefestigt.»

Ich nickte nur leicht mit dem Kopf.

Gleich am nächsten Tag, nachdem ich meine Hausaufgaben erledigt hatte, ging ich zum Bahnhof. Ich kam gegen 5 Uhr an. Das war gerade die richtige Zeit. Vorher waren normalerweise keine Jungs dort anzutreffen. Es war schon ein komisches Gefühl, nach mehr als einem Jahr dort wieder hinzugehen. Die Zahl der Fixer schien mir etwas geringer geworden zu sein. Ansonsten hatte sich nicht viel verändert. Die Gegend, wo die Stricher standen, war noch immer so unansehnlich wie früher. Einige Jungs waren schon da. David war nicht dabei. Von den anderen kannte ich auch keinen. Vielleicht kam er später, vielleicht würde er auch gar nicht kommen. Ich hatte mir früher, wenn ich genug Geld hatte, auch öfter mal eine Auszeit gegönnt. Ich stellte mich also möglichst unauffällig in eine Ecke und beobachtete das Geschehen. Automatisch begann ich die Szene durch das Auge einen Strichjungen zu sehen. Die Leute wurden eingeteilt in Kollegen/Konkurrenten, potentielle Freier und Bullen. Alle übrigen fielen durch das Raster und wurden praktisch nicht registriert. Alle Jungs am Bahnhof machten das so. Natürlich auch die anderen Jungs hier. Es dauerte auch nicht lange, bis einer der anderen Jungs, etwa 3 Jahre älter als ich, zu mir rüber kam.

«Hi»

«Hi», antwortete ich.

«Du bist neu hier.» Das war für ihn eine rhetorische Frage. Deswegen wartete er auch gar nicht auf eine Antwort, sondern fuhr direkt fort:

«Kennste die Regeln?»

Die Regeln waren: kein Preisdumping und keine Freier anmachen, an dem schon ein anderer dran war. Ich wusste noch alles genau.

«He, ich warte hier nur», antwortete ich. Der Junge sah mich nur verständnislos an.

«Ich suche jemanden», erläuterte ich ihm. Der Groschen schien bei ihm zu fallen.

«Also, bei dir würd' ich's auch für weniger machen.» Ich war jetzt für ihn in die Kategorie Freier gefallen, obwohl ich doch noch selbst so jung war.

«Ne, danke, ich suche einen bestimmten», versuchte ich weiter zu erläutern.

«Wieso, ich machs dir sicher besser», setzte der Junge hartnäckig fort. Ich musste jetzt schon fast lachen.

«Ich will keinen Sex, ich such nen Kumpel». Jetzt hatte er endlich verstanden.

«Ach so. Haste vielleicht mal 5 Mark für mich?» Das war die übliche Taktik, wenn einen ein Freier nicht wollte, um wenigstens etwas rauszuholen. Wahrscheinlich war ihm das so ins Blut übergegangen, dass diese Frage automatisch kam.

«He, du hast mehr Geld als ich», gab ich zurück.

«Wie kommste denn darauf?»

«War selber mal in dem Geschäft.»

«Und warum biste nich mehr?»

«Hab was besseres.»

«Wohnste bei nem Typen?» Das war immer eine komfortable Situation für einen Stricher. Einen Freier zu haben, bei dem man wohnen konnte. Dann hatte man das größte Problem, nämlich die Übernachtung und Verpflegung schon gelöst und braucht höchstens mal von Zeit zu Zeit etwas dazuzuverdienen.

«Ne, ich hab ne Pflegefamilie.» Das beeindruckte den Jungen natürlich nicht.

«Pffff», machte er verächtlich und wollte sich schon zum gehen wenden.

«Halt, warte mal.» Der Junge drehte sich wieder um. «Kennste einen David, lange schwarze Haare, grüne Augen?»

«Was willste denn von dem?», fragte der andere misstrauisch.

«Isn Kumpel vom mir. Hab gehört, dass er hier anschafft.»

«Ach so. War gestern noch da. Hab ihn heut noch nich gesehn. Vielleicht kommt er ja noch. Wie heißte denn überhaupt?»

«Rafael. Und du?»

«Tim.» Auch das noch!

«Ich zieh dann mal weiter», endete Tim und ließ mich stehen.

Wenigsten wusste ich jetzt, dass David wirklich hier war. Ich brauchte eigentlich nur zu warten, bis er auftauchen würde. Ich überlegte mir schon, wie ich ihn ansprechen wollte. Hoffentlich haute er nicht gleich wieder ab. Ich würde ihm vorschlagen, dass wir zusammen mit Johannes eine Lösung suchen könnten. Nach Hause konnte er auf keinen Fall zurück. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich meine Umgebung nicht beobachtete. So war ich richtig erschrocken als ein Mann mich ansprach.

«Biste neu hier? Was machste denn so?» Damit war natürlich gemeint, welche sexuellen Praktiken ich anbot.

«Ich warte hier nur», sagte ich bestimmt. Nein danke, das war nun wirklich vorbei, das musste nun wirklich nicht sein. Der Typ brabbelte etwas von «woanders warten» in sich hinein und zog von dannen.

Von da an war ich aufmerksamer und wechselte meinen Platz, sobald ich bemerkte, das ein Typ mich fixierte oder Blickkontakt suchte. Ich wartete noch zwei Stunden, dann hatte ich keine Hoffnung mehr, dass Tim noch kam und ging nach Hause.

7

Johannes fing mich direkt am Eingang ab und zog mich ins Arbeitszimmer.

«Und», fragte er.

«Ich hab ihn nicht gefunden, habe aber herausgefunden, dass er schon da war. Ich werde weiter nach ihm suchen.»

«Und was willst du machen, wenn du ihn gefunden hast?»

«Ich will ihm sagen, dass der Weg, den er gewählt hat, eine Sackgasse ist. Und ich werde ihm sagen, dass es einen anderen Weg gibt, ohne dass er zu seinen Eltern zurück muss.»

Johannes nickte: «Ich habe zwar noch keinen beim Jugendamt erreicht, aber es gibt da mit Sicherheit Möglichkeiten. So, jetzt aber zum Abendessen. Wir haben extra auf dich gewartet»

Diese letzte Entwicklung der Dinge wussten nur Johannes und Petra. Oliver und Rasmus hatten wir nichts erzählt. Dennoch merkten die beiden, dass irgendetwas nicht stimmte und kamen später noch zu mir.

«Was ist denn nun los? Du bist ja total neben der Kappe», legte Oliver los.

«Ach, ich bin halt immer noch traurig wegen David.»

«Vergiss den Blödmann doch. Wenn er dich nicht will, ist er selber schuld», riet Oliver.

«Da ist doch noch was anderes. Dass David dich nicht will, ist doch nicht alles», meinte Rasmus. Der Junge hatte eine schon fast unheimliche Sensibilität. Der spürte sofort, wenn etwas nicht stimmte.

«Komm, Rafael, du hast uns doch sonst auch immer alles gesagt. Vertraust du uns nicht mehr?» Er schaute mich dabei so traurig an, dass ich nicht anders konnte. Ich erzählte ihnen, was passiert war. Sie waren natürlich auch geschockt.

«Das ist ja furchtbar. Was willst du denn jetzt machen?»

«Jeden Tag zum Bahnhof gehen, bis ich ihn gefunden habe. Und dann muss ich versuchen ihn zu überzeugen, nach einer anderen Lösung zu suchen.»

«Wir kommen mit dir und helfen dir suchen», bot Oliver an. «Und wenn du mal nicht kannst, können wir ja auch alleine suchen.»

«Auf gar keinen Fall. Johannes wollte schon nicht, dass ich ihn suche. Wenn ich euch mit zum Bahnhof nehme, bringt er mich um.», wehrte ich ab. Johannes durfte nicht einmal wissen, dass die Beiden überhaupt diese Idee hatten.

«Na gut», fügten sich die beiden etwas traurig, «aber wenn wir dir irgendwie helfen können, sagst du es.» Ich versprach es.

Am nächste Nachmittag machte ich mich wieder zum Bahnhof auf. Ich wartete fast drei Stunden, aber David tauchte nicht auf.

Am Freitag brauchte ich keine Hausaufgaben zu machen. Das verschob ich auf den Samstagmorgen. Daher war ich schon um drei am Bahnhof. Vielleicht war ich ja immer zu spät gewesen, um ihn zu treffen. Trotz der früher Zeit waren schon zwei Jungs da. Einen von denen kannte ich bereits und fragte ihn nach David. Aber er hatte ihn schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Also wartete ich weiter. Ich wurde immer öfter von Männern angesprochen, aber ich sagte immer mein Sprüchlein, dass ich hier nur wartete. Das wurde natürlich auch immer unglaubwürdiger. Einige Typen, die mich bereits an den Vortagen angesprochen hatten, versuchten es wieder. Vielleicht hofften sie doch noch zum Erfolg zu kommen. Meine Antwort war natürlich schon etwas blödsinnig. Kein Junge wartet Tag für Tag an einer bestimmten Stelle, und schon gar nicht am Bahnhof. Den wahren Grund wollte ich aber nicht erzählen. Das ging keinen etwas an. Ich wartete also weiter und beobachtete die Szene. Irgendwann sah ich ihn. Ich musste zweimal hinsehen. Doch, es war kein Zweifel möglich. Er war es. Er war der einzige, vor dessen Begegnung ich mich gefürchtet hatte. Wenn ich dem Typen begegnet wäre, der mich vergewaltigt hatte, oder dem Sadisten, der mich verprügelt hatte und dann ohne Bezahlung aus dem Auto geworfen hatte, es wäre mir egal gewesen. Ich hätte ihnen ins Gesicht gespuckt. Aber er! Ich hatte wirklich gehofft, dass er nicht mehr hierher kommen würde. Ich überlegte kurz, ob ich davonlaufen sollte, aber ich war wie gelähmt. Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt.

8

Gerhard war einer meiner Stammfreier gewesen. Er kam fast jede Woche, auch wenn er keine Zeit hatte, mich mitzunehmen. Er brachte mir immer etwas mit, auch mal ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Er ging öfter mit mir Essen. Und er half mir auch so gut es ging, wenn ich Probleme hatte. Er war der einzige, zu dem ich in dieser Zeit einen emotionellen Kontakt hatte. Er war fast so etwas wie ein Vaterersatz für mich. Allerdings, er wollte eben auch mit mir ins Bett. Und das passte eben nicht so ganz zusammen. Dennoch, wenn er mich damals gefragt hätte, ob ich bei ihm bliebe, hätte ich es wahrscheinlich getan. Ich konnte mir ja nicht vorstellen, dass ich noch mal eine richtige Familie finden würde. Aber Gerhard hatte mich auch nie gefragt, da er verheiratet war und er das natürlich auch nicht aufgeben wollte. Meine Gefühle pendelten zwischen Dankbarkeit und Hass. Ich wusste echt nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.

Er hatte mich natürlich sofort entdeckt und kam freudestrahlend zu mir.

«Hi, Rafael, ich hatte nicht geglaubt, dass ich dich noch mal wiedersehe», begann er.

Ich auch nicht, dachte ich und lächelte gequält.

«Ich habe monatelang nach dir gesucht. Wo warst du denn?»

«Ich hab Mist gebaut. Ich war im Knast.»

«Was hast du denn angestellt?», fragte er.

«Ich hab nem Freier was geklaut.» Gerhard sah mich strafend an.

«War es das denn wert?»

Ja, dachte ich bei mir, das war es. «Nee, wahrscheinlich nicht», antwortete ich.

«Aber jetzt bist du wieder da», meint Gerhard.

«Ich bin nicht...», begann ich aber Gerhard ließ mich nicht zu Wort kommen.

«Ich hab dich schon sehr vermisst. Nachdem du aber verschwunden bliebst, habe ich dann nach jemand Neuem gesucht. Aber ich habe keinen gefunden, der so war wie du. Vor einigen Wochen habe ich dann jemanden gefunden, der mich sehr an dich erinnert hat. Aber leider scheint der auch schon wieder verschwunden zu sein.»

Ich hörte ihm kaum zu, weil ich wusste, was kommen würde. Ich überlegte fieberhaft, was ich machen sollte. Es dauerte auch nicht mehr lange, dann fragte er:

«Magst du mit mir kommen?»

Scheiße, scheiße, scheiße, dachte ich nur.

Ich antwortete ihm nicht, aber fast wie unter Zwang nickte ich.

Er ging mit mir, wie damals, in dieses Stundenhotel. Im Eingang saß noch derselbe schmierige Besitzer, wo man die 25 Mark für das Zimmer zahlte. Die Treppe war immer noch so dunkel mit dem verschlissenen Teppichboden, das Zimmer immer noch so schäbig. Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Tisch mit Stuhl und einem Waschbecken. Sonst brauchte man ja auch nichts. Für das, was man dort machte, war die Einrichtung völlig ausreichend.

Ich funktionierte, ja, so konnte man es wohl ausdrücke, ich funktionierte, nicht mehr und nicht weniger. Danach fühlte ich mich allerdings beschissen. Gerhard merkte, dass etwas nicht stimmte.

«Was ist los», fragte er.

«Ich bin nicht mehr auf dem Strich.»

«Wie?» Er blickte mich verständnislos an.

Ich erzählte ihm, was passiert war, dass ich durch das Gefängnis eine Familie gefunden hätte und jetzt dort eigentlich glücklich sei. Gerhard wurde blass.

«Warum hast du mir das denn nicht gesagt? Und warum bist du überhaupt mitgekommen?»

Wenn ich das mal selber gewusst hätte. Ich zuckte nur mit den Schultern.

«Und überhaupt, wenn du nicht mehr auf dem Strich bist, warum hängst du dann hier am Bahnhof rum?»

«Ich suche hier jemanden», antwortete ich. Gerhard sah mich fragend an.

Ich erzählte ihm in groben Zügen von David: dass ich mich ihn verliebt hätte, dass er aber nicht schwul sei, dass er schwierige Familienverhältnisse hätte und dass er wohl hier gelandet sei.

Gerhard wurde immer blasser während meiner Erzählung.

«David ist der Junge, von dem ich dir vorhin erzählt habe», flüsterte er fast.

Ich glaubte nicht richtig zu hören. David, der neue Strichjunge meines ehemaligen Stammfreiers? Ich, der ich ihn liebte, durfte ihn nicht mal umarmen und Gerhard durfte ihn für 100 Mäuse ficken. Ich merkte, wie die Wut in mir hochstieg.

«Du Schwein»; schrie ich ihn an. «Warum tust du ihm das an? Er ist doch noch nicht einmal schwul.» Gerhard zuckte zurück.

«Nun mach aber mal halblang. Ich habe ihn zu nichts gezwungen, das weißt du ganz genau. Er ist hier auf den Strich gegangen und ich war nicht mal sein erster Freier.»

Er hatte ja recht. Ich vermochte nicht zu sagen, ob das hier nun ein Lustspiel oder eine Tragödie war. David und ich hatten uns noch nie geküsst, geschweige denn Sex miteinander gehabt, aber ließen uns aber von ein und demselben Freier ficken.

«Aber trotzdem», begann ich.

«Und was sein schwul sein betrifft, der ist mindestens genau so schwul wie du, das kannst du mir glauben», schloss er.

«Aber er hat doch...», begann ich von Neuem.

«Wenn ich dich mal erinnern darf, was du mir immer erzählt hast: dass du dabei immer an eine geile Tussi denkst, sonst könntest du das gar nicht. Hast du das schon vergessen?»

Ich wurde rot. Er hatte ja recht. Ich hatte mir mein coming out schon so schmerzhaft wie nur irgend möglich gemacht. Aber warum machte David jetzt genau denselben Scheiß? Er wusste doch, was mir passiert war. Das konnte ich jetzt überhaupt nicht verstehen. Allerdings formte sich langsam in meinem Hirn eine Lösung. Wenn er wirklich schwul wäre, bräuchte er ja nur jemanden, der ihm bei seinem coming out helfen würde. Und das sollte doch wohl machbar sein. Gerhard merkte wohl, dass ich nachdachte.

«Wenn ich dir mal einen Rat geben darf. Wenn du deinem Freund helfen willst, musst du dich beeilen. Er hat angefangen, Kokain zu schnupfen. Und das letzte mal hat er mir erzählt, dass ihm ein Freier angeboten hätte, zu ihm zu ziehen. Der Freier würde ihn dann gleich mit Kokain versorgen. Und da er danach nicht mehr aufgetaucht ist, fürchte ich, dass er das Angebot angenommen hat.»

Auch das noch. Als ob das eine nicht schon reichen würde. Aber das änderte nichts an der Lösung, die ich mir ausgedacht hatte.

«Ich muss dann weg», sagte ich. Ich wollte kein Geld von Gerhard. Trotzdem steckte er mir einen 100er in meine Hosentasche.

«Du weißt nie, ob du's nicht vielleicht einmal brauchst», meinte er. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen wofür, behielt das Geld aber trotzdem. Ich würde es in meinen Schreibtisch legen. Was immer ich mir davon kaufen würde, es würde mich immer an diese Stunde in dieser schmierigen Absteige erinnern. Deshalb konnte das Geld meinetwegen im Schreibtisch verschimmeln.

«Machs gut», sagte Gerhard zum Abschied, diesmal wohl ein Abschied für immer.

«Machs gut.»

Dieses Kapitel meines Lebens war nach diesem Rückfall wohl endgültig abgeschlossen.

Immerhin wusste ich jetzt ganz genau, was ich machen wollte.

9

Sobald ich zu Hause war, stürmte ich zu Johannes in sein Arbeitszimmer.

«Hallo, was ist denn los? Du hast ja vielleicht eine Energie», empfing er mich.

«Ich habe eine Spur von David. Ich glaube, dass ich ihn innerhalb einer Woche finden kann.»

«Na, dann leg mal los», forderte er mich auf.

Ich erzählte ihm, was ich erfahren hatte. Den 100 Markschein, der in meiner Tasche knisterte, und wie ich zu ihm gekommen bin, verschwieg ich aber lieber.

«Und wie meinst du nun, dass es weitergehen sollte?», fragte er.

«Also, zunächst muss ich mal finden, und dann muss ich ihm helfen sich zu akzeptieren und dann...» Ich zögerte und sah Johannes mit meinem liebsten Dackelblick an.

«Sieh mal, Tim hatte doch auch noch bei uns wohnen sollen und in meinem Zimmer ist ja auch noch ein Bett frei. Ich dachte, David könnte vielleicht zu uns kommen.»

Johannes sah mich traurig an und schüttelte dann mit dem Kopf.

«So leid es mir tut, das geht nicht.» In mir brach eine Welt zusammen.

«Bitte», flehte ich ihn an, «warum kann das denn nicht gehen?»

«Also zunächst einmal weiß ich nicht, ob er schon soweit ist, sich so zu akzeptieren,»

«Das lass mal meine Sorge sein, das schaffe ich schon,» unterbrach ich ihn.

«Dann weiß ich gar nicht, ob er in unsere Familie passt,» setzte er fort.

«Das schaffen wir schon. Den biegen wir so zurecht, dass er passt. Rasmus und Oliver helfen mir sicher dabei. Wenn er erst wieder eine Familie hat, wird alles gut.»

«Und das dritte und schlimmste für mich ist, dass er drogensüchtig ist. Du hast selbst vor nicht allzu langer Zeit gesehen, dass wir uns da noch vorsehen müssen. Ich will keinen Süchtigen aufnehmen und damit unsere ganze Familie riskieren. David braucht jetzt, sofern er überhaupt will, eine hundertprozentige Betreuung.»

«Das hätte er doch bei uns.»

«Dabei geht aber dann unsere Familie vor die Hunde. Das Risiko ist mir zu groß.»

«Du hast vier Jungs aus dem Knast aufnehmen wollen. Da war dir das Risiko nicht zu groß», warf ich verzweifelt ein.

«Ich hatte ja mehrere Monate Zeit, euch zu beobachten. Das konnte ich schon einschätzen. Außerdem war keiner von euch drogensüchtig. Das einzige kleine Risiko -und das wollte ich dir eigentlich nie sagen-, das ich gesehen habe, war komischerweise das Verhältnis zwischen dir und Tim. Ich hätte nicht gewusst, was wir hätten machen sollen, wenn ihr euch in der veränderten Umgebung umorientiert hättet.»

«Das ist dir ja nun glücklicherweise erspart geblieben», sagte ich zynisch. Der hatte doch wohl ein Rad ab.

«Ich wollte dir nur sagen, dass ich auch bereit bin, ein Risiko zu übernehmen, wenn es abschätzbar ist.»

Das hörte ich schon gar nicht mehr.

«Du willst einfach nicht, dass ich glücklich bin. Du redest immer nur von Risiko, wenn dir was nicht passt. Du gönnst mir mein Glück nicht. Hättest du mich doch besser gelassen, wo ich war. Das wäre wenigstens ehrlicher gewesen», schrie ich ihn an.

«Ich hasse euch alle», setzte ich noch eins drauf stürzte aus dem Zimmer, schlug die Tür hinter mir zu und rannte an dem entsetzten Rasmus, der gerade vorbei kam schnurstracks in mein Zimmer. Ich warf mich auf mein Bett und heulte bitterlich. Hier würde ich nicht mehr länger bleiben. Wieder einmal war ich dermaßen enttäuscht worden. Ich heulte so sehr, dass ich nicht hörte, dass sich die Zimmertür leise öffnete. Ich schreckte erst hoch, als mich jemand vorsichtig am Kopf streichelte. Es war Rasmus, der auf meinem Bett saß

und mich trösten wollte.

«Hau ab»; schrie ich ihn an. «Ihr wollt mich ja alle nicht.»

«Doch, ich will dich», sagte er leise.

«Vielleicht du, aber Johannes nicht. Er tut alles, um mich unglücklich zu machen.»

«Das ist nicht richtig. Johannes tut alles für uns.»

«Wenn er mich lieben würde, würde er mir erlauben, David hier hin zu holen.»

«Vielleicht erlaubt er es gerade nicht, weil er dich liebt.»

«Das ist ja wohl Blödsinn.»

«Vielleicht will er nicht mit ansehen müssen, wie du zu Grunde gehst, weil du David eben nicht in den Griff bekommst.»

«Aber was kann ich denn sonst machen?»

«Hast du nicht mit ihm über andere Möglichkeiten gesprochen, David zu helfen?»

Ich schüttelte den Kopf. «Ich weiß keine andere.»

«Und nur, weil du nichts Anderes weißt, gibt es keine andere Möglichkeit? Warum fragst du Johannes nicht. Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, wird er dir sicherlich helfen.»

Ich hatte mich wohl so auf diese eine Lösung versteift, dass ich für nichts Alternatives offen war.

«Was soll ich denn jetzt machen? Ich habe Johannes doch so schlimm angeschrieen.»

«Dasselbe wie ich damals. Du gehst dich entschuldigen. Ich bin sicher, dass er mit dir nach einer Lösung suchen wird.»

Also schlich ich mit meinen verheulten Augen wieder in Johannes Arbeitszimmer. Es saß an seinem Schreibtisch und hatte ebenfalls rote Augen.

«Entschuldigung. Ich hab mich wohl ganz schlimm benommen. Ich war so fixiert, dass ich nichts anderes sehen wollte. Kannst du mir noch mal verzeihen?» Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm.

«Das hat mir schon sehr weh getan. Glaub mir, mein Großer, ich möchte nichts tun, was dir irgendwie schadet. Ich habe dich sehr lieb.»

«Das weiß ich doch. Aber ich war so verzweifelt.»

«So verzweifelt, dass du nicht einmal nach anderen Lösungen suchen wolltest.»

Ich nickte nur.

«Wollen wir denn jetzt mal gemeinsam nach Möglichkeiten suchen?»

Ich nickte wieder.

«Also, ursprünglich hatte ich gedacht, dass David in eine betreute Wohngruppe gehen könnte. Er hätte dann wieder normal zur Schule gehen können und alles hätte sich, wohin auch immer weiterentwickelt. Ich hatte mich da auch schon erkundigt.

Wenn er Kokain nimmt, ist das schwieriger. Da kommt er alleine nicht mehr los. Da braucht er schon professionelle Hilfe.»

«Ja, ich erinnere mich. Wenn die Fixer auf Entzug waren, hatten die höllische Qualen.»

«Bei Kokain ist das ein bisschen anders. Da leidet man keine körperlichen Qualen, wenn man es absetzt.»

«Dann dürfte der Entzug doch ganz einfacher sein.»

«Das stimmt nicht so ganz. Kokain ist perfide. Es gaukelt einem vor, ganz toll und ganz aktiv zu sein. Nur wenn die Wirkung vorbei ist, fällt man in ein Loch. Und je öfter man das Zeug nimmt, desto schlimmer ist dann die Depression danach. Und um die zu bekämpfen, braucht man dann wieder neues Kokain. Es tut einem zwar nichts weh, aber das ist fast noch schlimmer als bei Heroin.»

«Und was kann man da machen?»

«Das lässt sich fast nur in einer geschlossenen Umgebung machen. Aber das allerwichtigste ist, dass David das überhaupt will. Wenn er dazu keine Notwendigkeit sieht, hat es keinen Zweck. Wenn er nach dem Entzug nämlich dort wieder anfängt, wo er vorher aufgehört hat, ist er ganz schnell wieder da, wo er heute ist.»

«Und was kann ich dabei tun?»

«Das weißt du selbst vermutlich am besten. Du kannst versuchen ihm klarzumachen, dass er sich da in eine Situation manövriert, die am Ende genau so schlimm ist wie die, aus der er geflohen ist. Und du kannst versuchen, wenn er denn wirklich schwul ist, ihm bei seinem persönlichen coming out zu helfen, um diese seelische Anspannung von ihm zu nehmen.»

«Das ist ganz schön schwierig», sinnierte ich.

«Tja, das glaube ich auch.»

«Aber ich muss es wenigstens versuchen. Das bin ich ihm und mir schuldig.»

«Du liebst ihn immer noch?»

Ich nickte. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an diese eine Szene im Park denken musste. Das war das einzige Mal, an dem David natürlich mir gegenüber war. Und diesen David liebte ich. Und es verzweifelte mich, dass er das nicht mehr war. Ich bekam schon wieder feuchte Augen.

«Pass auf dich auf, Großer. Ich weiß, dass ich dich nicht davon abhalten kann, David zu suchen. Aber sei vorsichtig. Es ist keinem geholfen, wenn du dabei mit vor die Hunde gehst. Versprich mir das.»

«Ich verspreche es», schloss ich.

10

Ich verbrachte weiterhin meine gesamte freie Zeit am Bahnhof. Mittlerweile war ich dort schon überall bekannt, sowohl bei Strichern als auch bei Freiern. Aber ich wurde nicht mehr belästigt. Auch Gerhard habe ich noch mal wiedergetroffen. Er erkundigte sich nach dem Erfolg meiner Suche, fragte mich aber nicht mehr, ob ich mit ihm mitkommen wollte. Er war immer noch auf der Suche nach einem Ersatz für mich. Er tat mir schon fast leid.

Eines Tages bekam ich endlich das erste Lebenszeichen von David. Einer der Jungs erzählte mir, dass er eine Stunde zuvor da gewesen wäre. Er hatte wohl wirklich bei einem Freier gewohnt, der ihn praktisch mit Kokain zugeschüttet hätte. Aber der hatte wohl mittlerweile die Nase voll von ihm und hatte ihn vor die Tür gesetzt. Er wäre nicht gut drauf gewesen und auch bald wieder verschwunden.

Na, wenigstens etwas. Vielleicht würde er ja noch mal auftauchen. Ich wartete so lange ich konnte, aber David erschien nicht. Ich kam natürlich zu spät zum Abendessen und erntete strafende Blicke.

«Wie lange willst du das denn so weitermachen?», fragte Petra.

«Ich muss wenigstens einmal mit ihm gesprochen haben.» Immerhin konnte ich berichten, dass es jetzt wohl nicht mehr so lange dauern könnte.

Am nächsten Tag rannte ich am Bahnhof genau Tim in die Arme. Der machte mich gleich an:

«Deinen Kumpel kannst du glaub ich vergessen.»

«Wieso?»

«Der war gestern abend noch mal hier, total aggressiv. Hat die Leute angemacht und fast eine Schlägerei angezettelt, der Idiot. Auf jeden Fall hat er Ärger mit den Bullen gekriegt und die haben ihm Hausverbot erteilt. Ich bin mit ihm raus, um ihn zu beruhigen. Dabei sind wir genau nem Freier in die Arme gelaufen, der ein oder zwei Jungs übers Wochenende für ne Fahrt nach Berlin suchte. Ich mach so was nicht, obwohl der Typ Berlin in höchsten Tönen lobte: Da sei der Stoff billiger, die Szene viel größer und überhaupt, alles sei viel cooler. Das hier wäre dagegen reinste Provinz. Na ja, wie gesagt, ich mach so was nicht, hab da schon schlechte Erfahrungen gemacht. Aber David wurde ganz hellhörig. Er müsse sowieso erst mal ne Zeitlang hier weg, und in Berlin könnte er genauso anschaffen. Außerdem hätte er schon immer mal nach Berlin gewollt. Und dann ist er mit dem Typen abgezogen.»

Ach du Scheiße, das war's dann wohl. Ich musste die Suche wohl aufgeben. Johannes würde mir nie erlauben, nach Berlin zu fahren. Ich überlegte fieberhaft. Vielleicht war er ja doch nicht mitgefahren. Oder er kam nach dem Wochenende wieder. Ich beschloss, Anfang der folgenden Woche noch mal nach ihm zu suchen. Und wenn ich bis Dienstag noch kein Lebenszeichen von ihm hatte, würde ich ihm auch noch nach Berlin folgen. Es war zwar verrückt und ich musste wohl, ohne was zu sagen, abhauen. Johannes hätte das niemals erlaubt. Aber ich würde sonst keine Ruhe finden. In Berlin würde es zwar noch schwieriger sein ihn zu finden, andererseits konnte ich aber den ganzen Tag nach ihm suchen und nicht wie hier nur ein paar Stunden.

Ich fand David weder am Montag noch am Dienstag. Es hatte ihn auch kein anderer gesehen. Am Dienstag erkundigte ich mich schon mal nach Zugverbindungen nach Berlin.

70 Mark sollte die Fahrt kosten. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Schwarzfahren kam nicht in Frage, dafür war die Strecke zu lang. Da hatte ich keine Chance. Meine Taschengeldvorräte waren auch ziemlich aufgebraucht. Da fiel mir der Hundertmarkschein von Gerhard ein, der ja noch in meinem Schreibtisch vor sich hin gammelte. Ja, das ging. Dafür konnte ich ihn benutzen.

Ich überlegte, ob ich Rasmus und Oliver in meine Pläne einweihen sollte. Ich entschied mich dann aber dagegen, weil ich die beiden nicht in einen Konflikt stürzen wollte. Ich musste ja von ihnen verlangen dicht zu halten, während Petra und Johannes sie sicher ausquetschen würden, wo ich denn sei.

Ich beschloss schließlich, allen einen Brief zu schreiben.

Liebe Petra, lieber Johannes, lieber Rasmus, lieber Oliver,

ich weiß, dass ihr jetzt vielleicht enttäuscht seid, aber ich kann nicht anders handeln. Ich habe erfahren, dass David die Stadt verlassen ist. Ich habe auch herausbekommen, wohin er gefahren ist. Ich muss ihn einfach finden und mit ihm sprechen, egal wie der Ausgang ist. Sonst kann ich das nicht abschließen. Ich verspreche euch, dass ich spätestens Sonntag zurück bin. Bitte, macht euch keine Sorgen. Ich hoffe, dass ihr mir verzeihen könnt.

Euer Rafael

Dann nahm ich die Schulbücher aus meinem Schulrucksack und packte stattdessen einige Sachen rein. Bis zum Wochenende sollte das reichen.

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