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Quartett
Teil 15 - Palast
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Informationen
- Story: Quartett
- Autor: ratte-rizzo
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction, Fantasy und Mystery
21. Palast
Der Campingplatz und die Katastrophe um sie herum verblasste. Die Farben, das rotglühende Feuer und die verkohlten Überreste des Paradieses verschwanden. Die Menschen, die ohnehin noch in der Schockstarre der Feuerbrunst waren, bewegten sich noch langsamer als zuvor, als würde jemand langsam einen Film anhalten. Die Leichen überall auf dem Platz lösten sich glücklicherweise auch langsam auf und verschwanden zusehends.
Als schließlich alle Farbe aus dieser eigenartigen Welt verblichen und gleichzeitig zum Stillstand gekommen war, verschwand die einstige Idylle und das jetzige Inferno vollends in einem unscharfen undefinierbaren matschigen Grau. Ein bisschen wie in Watte gepackt kamen sich die drei Freunde vor. Alles war etwas dumpf, farblos, unbeweglich. Aber dennoch kuschelig, warm und weich. Obwohl die Welt um sie herum die Hölle auf Erden war, geriet niemand der drei Freunde in Panik, sie fühlten sich nach wie vor sicher. Genauso, wie es FX angekündigt hatte.
Jedoch hielt dieser Zustand nicht lange an.
Das eigenartige Grau, was einst der Campingplatz war, verschwand und plötzlich fanden sich die Freunde in einer riesigen Bibliothek wieder. Der Raum an sich war schon gigantisch. Vermutlich hatte er die Ausmaße eines Fußballfeldes, aber durch die unzähligen Regale waren seine Länge nur schwer zu schätzen. Einzig sicher war die Höhe, denn das waren definitiv mehrere Stockwerke voller Bücher. Und die Decke war unglaublich hoch, so dass man sie zwischen den Bücherregalen in der Unendlichkeit fast nicht mehr ausmachen konnte. Es schien fast so, als wenn sich die Regale rechts und links einfach irgendwann treffen würden.
Das, was die Freunde erspähen konnten, ließ ihren Atem stocken. Bücher, soweit das Auge reichte. Bücher rechts von ihnen, Bücher links von ihnen. Alle Wände und Regale waren übersät mit Büchern. Große und Kleine. Dicke Wälzer und dünne Heftchen. Es schien keinerlei Ordnung zu geben, außer der Tatsache, dass es nirgendwo Platz gab, um auch nur das dünnste Reclam-Heftchen dazwischen zu schieben. Alles schien etwas ungeordnet. Zumindest gab es kein sichtbares System für eine Sortierung. Es war ein kunterbuntes Durcheinander an Literatur. Um was genau es sich dabei handelte, konnte niemand erkennen. Die Freunde waren erschlagen ob der schieren Masse an Gedrucktem.
Die vier riesigen Ohrensessel aus dickem dunkelgrünem Leder mit ihren schweren goldenen Krallenfüßen und den unzähligen goldenen Knöpfen zur Verzierung hätten die Freunde fast übersehen, obwohl die kleine Sitzgruppe quasi vor ihrer Nase stand. Dahinter erstreckten sich dann mehrere lange Tische mit goldenen Tiffany-Lampen und den typischen grünen Schirmen. An jedem Tisch standen gleich mehrere Stühle. Zwar keine Ohrensessel, aber mit dunkelgrünem Samt dick aufgepolstert und vermutlich nicht minder bequem als die Sessel.
Wer auch immer hier recherchieren würde, es war alles auf jeden Fall sehr gemütlich und kuschelig. Es lud zum Verweilen und Lesen ein; was auch immer man suchen mochte, in dieser Bibliothek würde man es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit finden. Diese Bibliothek vermittelte ihnen bereits vom ersten Moment an den Eindruck, dass sie allwissend war. So eine Bibliothek würden sie sich in ihrer Uni auch wünschen. Nicht, dass sie eine schlecht ausgestattete Bibliothek hätten. Das Gegenteil war der Fall. Aber trotz der alten Burg mit den uralten Gemäuern, Rüstungen und dem ganzen Inventar, was wahrscheinlich zur damaligen Erstausstattung des Baus gehört hatte, war die Uni-Bibliothek dort das genaue Gegenteil der Burg: weiß, neu, modern, steril. Auch sie hatte ihren Charme, durchaus war sie ansehnlich und beeindruckend. Aber mit den vielen klaren Linien und geraden Konturen war es eine ganz andere Welt und passte nicht so recht in den Stil ihrer Uni-Burg. es machte immer den Eindruck, dass das Wissen mit Gewalt in die Burg hinein gepflanzt wurde und nicht in ihr gewachsen war. Und mit der Bibliothek hier, die einen altehrwürdigen Eindruck vermittelte, war sie definitiv nicht vergleichbar.
Und nun waren sie hier in dieser Bibliothek. So plötzlich. Genauso plötzlich, wie sie von ihrem wunderschönen Aussichtspunkt oberhalb der Stadt verschwunden waren, wo sie so schön gepicknickt und die Sternschnuppen beobachtet hatten. Genauso plötzlich, wie sie in dieser unwirklichen Welt mit dem nahenden Gewitter und dem verfallenen Schloss aufgetaucht waren. Genauso plötzlich, wie sie von dem modrigen Keller auf einen Campingplatz am Mittelmeer gewechselt waren. Ein Wechsel von Raum und Zeit folgte auf den nächsten. Es gab keinen Übergang. Es passierte einfach. Selbst wenn sie von einem Ort zum anderen wie bei Star Trek gebeamt worden wären, hätte es ja einen Übergang von einem Ort zum anderen gegeben. Aber das hier alles passierte einfach so. Es gab ein hier und es gab ein dort. Aber es gab nie einen Übergang dazwischen. Hier war einiges sehr sonderbar, weshalb Ben seinem Unmut auch sofort Luft machte: „Diggi was soll der Scheiß?”
„Ich glaube, ich schulde Euch jetzt endlich eine Erklärung ...” In FX’ Stimme schwang sowohl Erleichterung als auch Müdigkeit mit. Seitdem sie die verfallene Burg betreten hatten, während des gesamten Besuchs auf dem Campingplatz, der sich als die Hölle auf Erden entpuppt hatte, hatte FX nicht ein Wort mehr gesprochen. Daher war seine Stimme umso überraschender und präsenter denn je. Und dennoch klang sie alles andere als sicher.
„Wenn eine Erklärung mal ausreicht ...” brummte Henne halblaut, nahm in einem der Sessel Platz und kuschelte sich gemütlich in das Polster hinein, zog die Beine hoch und sah FX erwartungsvoll an.
„Wohin haste uns eigentlich gebeamt, Diggi?” Ben war wie üblich etwas angespannt.
„Also, das ist alles nicht so einfach”, begann FX und fuhr sich mit beiden Händen durch seine Zöpfe, „aber ich versuche es mal geradeheraus. Ihr werdet vielleicht nicht gleich die Antworten bekommen, die Ihr erhofft oder andersherum gesagt, wird es Euch mehr verwirren als dass es Euch hilft, aber die Puzzleteile werden sich nach und nach zusammenfügen, versprochen.”
„Alter, laber nich! Schenk ein, mach Striche!” Ben stand zwar noch, hatte sich aber immerhin schon einem der Ohrensessel genähert.
„Oh, da sagst Du was!” Michel hatte sich unterdessen etwas umgeschaut und am Rande ihrer gemütlichen Sitzgruppe ein kleines Tischchen gefunden, was mit den edelsten Tropfen ausgestattet war: „Was darf’s sein? Cognac, Port, Sherry, Grappa, diverse Brände oder Whisky?”
„Whisky”, kam es von Henne, „die hintere Flasche.” Ein Blick genügte ihm, um sein Lieblingsgetränk zu erspähen.
Michel griff nach der Flasche, die Henne ihm genannt, zog den Korken raus und roch daran.
„Hej, was ist das denn??? Boa ist das gruselig. Haben die damit den Kamin ausgewaschen? Das riecht ja total nach kaltem Aschenbecher! So was kann man trinken??? Und aussprechen kann man das auch nicht.” Mit runzeliger Stirn betrachtete er das Etikett und versuchte die Buchstaben, die dort eingeprägt waren, in sein Gehirn und dort in das Sprachzentrum zu leiten: „Lap… Lafro… Ach, egal. Name und Geschmack passen jedenfalls zusammen. Das Zeug ist ja ekelhaft!”
„Ich sag’s mal mit Bens Worten: Schenk ein, mach Striche! Und probiert hast Du auch noch gar nicht!”
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Michel in die Runde, um die Bestellung von FX und Ben entgegen zu nehmen. Ersterer antwortete knapp: „Sherry, Amontillado, dritte Flasche im Kühler, kleines Tulpen-Glas, bitte.”
„Das war ja mal eine präzise Angabe.” Henne füllte das nächste Glas, bevor er die letzte Bestellung aufnahm: „Und Ben? Was möchtest Du?”
„Antworten!” Geduld war definitiv nicht Bens Stärke. Nervös trommelte er schon seit Minuten mit den Fingern auf der Armlehne herum. Glücklicherweise war diese so weich gepolstert, dass sie keinerlei Laute von der Malträtierung von sich gab, sonst hätte er seine Freunde gleich mit in den Wahnsinn getrieben.
Nachdem alle außer Ben ihre Getränke in der Hand hielten und sich zugeprostet hatten, probierte ein jeder an seinem Glas, ließ die edlen Tropfen erst auf der Zunge herum rollen, verteilte es dann im Mund um es nach ein paar Augenblicken langsam und dosiert die Kehle herunter laufen zu lassen.
Jeder hatte ein Getränk gewählt, was er sehr gut kannte und mit Fug und Recht zu ihrem Lieblingsgetränk gehörte. Dennoch schmeckte es heute anders. Es schmeckte vertraut, keine Frage. Aber es schmeckte wesentlich intensiver, als sie es in Erinnerung hatten. Es war deutlich vielfältiger und facettenreicher in Geschmack und Geruch, als sie ihr jeweiliges Lieblingsgetränk in Erinnerung hatten. verdutzt schauten Michel und Henne zunächst in ihr Glas und dann sich gegenseitig an. Schließlich wanderte ihr Blick hinüber zu FX, der ihnen nur mit einem Auge zuzwinkerte.
Die bei der Verköstigung entstehende Pause und Stille brachte das Fass von Ben schließlich zum Überlaufen. Er sprang auf, ging zum Tisch und schenkte sich aus einer Flasche ein kleines Glas mit klarer Flüssigkeit ein. Noch im Stehen setzte er es an und trank es in einem Zug aus. Er schenkte sich nach und kam dann mit dem zweiten Glas Schnaps in die Runde zurück.
Erst jetzt tat er es den anderen gleich, fuhr seine Aufregung langsam herunter, roch an seinem Glas und nahm den intensiven Geruch frisch gerösteter Haselnüsse tief in sich auf. Auch er nippte diesmal nur an dem Glas und schmeckte den kräftigen, aber nicht zu scharfen Geschmack des Alkohols, der schließlich langsam seinen Hals hinunter rann und ihn von innen wärmte und auch ein Stück weit beruhigte. Er wusste gar nicht, was er da gegriffen hatte, aber es schmeckte lecker.
„Tschuldigung, aber ich bin solche Nummern nicht gewohnt.” Das erste Glas Alkohol ließ Ben deutlich entspannter wirken und zum ersten Mal seit geraumer Zeit atmete er tief durch und sank dann entspannt in die Tiefen seines Sessels hinein.
„Nein, ich bin derjenige, der um Entschuldigung bitten muss. Ich habe Euch, ohne um Erlaubnis zu bitten, einfach entführt. Aber ich habe es zu Beginn gesagt: Ihr seid hier sicher, absolut sicher.”
„Wo ist denn nun ‘hier’?” Michel unterstrich sein letztes Wort, indem er mit seinen Fingern kleine Striche in die Luft malte. „Ich meine, ‘hier’ jetzt ist ja ganz lauschig. Das vorhin ‘hier’ mit der Ruine war ja nicht so dolle. Und das ‘hier’ auf dem Campingplatz war … ”
„… grauenhaft!” beendete Henne Michels Satz, nachdem er um Worte gerungen hatte.
„Willkommen in meinem Gedächtnis-Palast.”
Schweigen.
„Ja, ich weiß, es klingt komisch und das ist es auch, aber ich versuche es zu erklären.” FX gönnte seinen Freunden nur eine kurze Pause, denn er wollte es vermeiden, dass sie neue Fragen stellten. Stattdessen war er bemüht, nun Erklärungen abzuliefern. „Alles, was ein Mensch erlebt, speichert er im Gehirn ab. Das ist bei Euch nicht anders als bei mir. Wenn man etwas braucht, dann zaubert das Gehirn das einfach hervor. Kann man sich an Dinge nicht mehr so gut erinnern, dann muss man länger grübeln. Manchmal ist das von Erfolg gekrönt und der rettende Gedanke kommt. Manchmal klappt‘s halt nicht. Das ist bei allen Menschen gleich. Da gibt es keine Unterschiede. Vieles vergisst man, einiges merkt man sich tief vergraben im Gedächtnis und das meiste findet man sofort, wenn man darüber nachdenkt.”
FX sah in die Runde und betrachtete die Minen seiner Freunde. Zurzeit schien es noch so, als wenn jeder folgen konnte. Alle drei warteten gespannt darauf, wohin die Geschichte führen würde, die FX begonnen hatte.
„Menschen, mit einem Superhirn, mit enormen Gedankenleistungen oder mit einem ultrahohen IQ optimieren das Ganze. Ihr habt es vielleicht mal im Fernsehen gesehen oder mal drüber gelesen, wenn sich Menschen in kürzester Zeit enorm viele Dinge merken können oder komplexe Rechenaufgaben im Handumdrehen lösen können. Wie funktioniert das? Nun, der Mensch ist, bedingt durch seine Evolution, sehr visuell geprägt. Das Gehirn braucht Bilder, braucht Geschichten, braucht Eselsbrücken, damit es noch effektiver funktioniert. Aber jedes Gehirn hat da andere Vorlieben. Einige Menschen stellen sich vor, sie machen einen Spaziergang und hängen am Wegesrand ihre Informationen und Gedanken auf. Ich hingegen sortiere meine Erinnerungen lieber in den Räumen ein. Nämlich in die Räume meines Palastes.”
Schweigen.
Die Gesichtsausdrücke seiner Freunde zeigten zusehends mehr Anzeichen von Verwirrung denn Erleuchtung und FX entschied sich dafür, eine kleine Pause einzulegen, damit sich die Gedanken der Drei etwas setzen und sortieren konnten.
Er erhob sein Glas und hielt es unter die Nase. Das kleine, tulpenförmige Glas war noch fast zur Hälfte gefüllt. Michel hatte es gut gemeint. Die Flüssigkeit darin war nussbraun und absolut klar. Das Glas war von außen beschlagen und auch seine Finger waren mittlerweile feucht vom Kondenswasser. Vorsichtig sog er die aromatische Luft aus dem Glas. Er roch die leichte Süße von Karamell in Kombination mit einer salzigen Meeresbrise und leicht muffige Sand. Amontillado, ein trockener Sherry, viele Jahre gereift in unterschiedlichen Fässern und immer wieder mit seinesgleichen verschnitten und umgefüllt. Nur eine kleine Region in Spanien durfte ihn produzieren und man roch sowohl die Seeluft als auch den zur Kühlung immer feucht gehaltenen Boden der Bodega. Sein Geist wanderte ab nach Spanien und er begann fast zu träumen.
Noch bevor FX den zweiten ersehnten Schluck aus seinem Glas nehmen konnte, wurde er von Henne zögerlich unterbrochen: „Du willst uns jetzt nicht sagen, dass wir gerade in Deinem Kopf sitzen und ein Gläschen zusammen trinken, oder?”
„Jein, nicht ganz, aber verdammt nah dran, dafür dass Du das noch nie erlebt hast”, ein Lächeln huschte über FX Gesicht und er sah Henne verzückt an. Woher hatte Henne das so schnell herausbekommen? Normalweise benötigen Fremde, die er in seinen Gedächtnispalast mit hineinnahm, viele Stunden, um genau das zu realisieren – wenn sie es denn überhaupt verstanden. Aber Henne schien irgendwie auf einer ähnlichen Wellenlänge zu ticken und hatte irgendwie ein Gefühl dafür, dass er gerade nicht in seinen Gedanken war, sondern offensichtlich in jemand anderen Gedanken.
„Sitzen tun wir alle nach wie vor dort, wo wir zuletzt waren: Auf dem kleinen versteckten Platz über der Stadt mit dem herrlichen Blick auf das Meer. Allerdings habe ich Euer Bewusstsein kurzerhand mit zu mir genommen und in Gedanken seid Ihr nun tatsächlich in meinem Kopf beziehungsweise in meinem Gedächtnispalast.”
„Diggi willste mir sagen, dass ich nur mit dem Finger schnippen muss und dann wieder da aufwache, wo wir vorhin waren?” Auch wenn diese Erklärung nicht das war, was sich Ben anfangs erhofft hatte, war es doch immerhin eine Erklärung und nicht das diffuse und ausweichende Geschwafel, was FX sonst von sich gab. Ben war ein kleines bisschen zufriedener, als er es noch vor wenigen Augenblicken war.
„Ja. Ihr müsst es nur wollen, dann seid Ihr sofort raus hier aus meinem Gedächtnis und zurück auf dem Berg, wo wir uns vorhin die Hand gegeben haben”, und nach einer kleinen Kunstpause fügte er noch breit grinsend hinzu: „Aber Ihr wollt nicht!”
„Naja, es hat ja anscheinend einen Grund, warum wir hier sind.”
„Ja. Ich wollte Euch etwas erzählen. Ich habe Euch etwas erzählt. Aber, naja”, FX druckste herum und war froh, dass Henne ihm ins Wort fiel.
„Also das, was da auf dem Campingplatz passiert ist, das kann man glaube ich auch nicht so ohne weiteres erzählen … Das muss man erlebt haben. Ober lieber nicht. Eggsy war auch da. Der sah ja aus, als wenn er mal eben von einem Strandkiosk zum anderen rüber gegangen wäre.”
Michel war erwacht und in mit der Verarbeitung dieser neuen Informationen ebenfalls wieder voll dabei: „Und dann war da noch jemand. Der sah aus wie Du. Oder Dein jüngerer Zwillingsbruder. Und dessen Eltern.”
„Ja, richtig beobachtet. Das war ich und das waren meine Eltern. Ich war damals fünf Jahre alt und es sollte der letzte große Urlaub vor meiner Einschulung sein.”
„Diggi, aber das passt alles nich zusammen! Die Zeitung! Erinnert Ihr Euch noch? Das ist alles über 50 Jahre her! Das stimmt doch alles vorne und hinten nich.”
„Ben, hast Du nicht zugehört? FX hat doch gesagt, dass das seine Erinnerungen sind. Erwartest Du da die Zeitung von heute?”
„Jo, aber doch nich die Zeitung von 1978! FX is doch auch vierundzwanzig, wie wir alle. Das haben wir doch schon am ersten Tag in der Uni festgestellt. Diggi, überleg doch mal. Das passt doch vorn un hinten nich!”
„Ben war in Mathe zwar noch nie ‘ne Leuchte, aber wo er Recht hat, hat er Recht”, kam es nachdenklich von Michel. „Irgendetwas passt hier nicht zusammen. Entweder Du hast Dich verdammt gut gehalten, FX, oder Du hast Dich in Deinem Gedächtnispalast etwas verlaufen.”
Michel prostete FX grinsend zu, hatte er ihn, so dachte er, überführt und ertappt. Kurz bevor er seinen Cognac-Schwenger an den Mund setzte, hielt er inne, überlegte kurz und fragte vorsichtig, weil er sich nicht sicher war, ob er die Antwort hören wollte oder nicht: „Mal was anderes, was Technisches. Dieser köstliche Cognac hier, trinke ich den wirklich oder bilde ich mir das nur ein oder bildest Du Dir das nur ein oder bildest Du Dir ein, dass ich mir einbilde oder ...”
„Hej hej hej, mach Dir nicht zu viele Gedanken! Das gibt im günstigsten Falle nur Kopfschmerzen ...”
„Und im ungünstigsten?” Henne unterbrach FX neugierig und schaute ihn fordernd an. Er fand das Thema total spannend, in die Köpfe anderer Leute hinein zu schauen und vielleicht dort Dinge zu tun, die derjenige gar nicht wollte.
„Im ungünstigsten Falle wirst Du schizophren und bringst Dich irgendwann selbst um”, entgegnete FX mit ernster Miene.
Kurz darauf fuhr er jedoch mit einem leichten Lächeln auf den Lippen fort: „Regel Nummer eins bei solchen Exkursionen: Das menschliche Gehirn ist in der Regel zu klein, um alles bis ins letzte Detail zu beleuchten und zu hinterfragen. Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden. Und um auf Deine Frage zu antworten: Es ist alles richtig, was Du gerade gesagt hast. Ich stelle Euch in meinem Gedächtnis diese Bibliothek zur Verfügung, so wie Ihr sie seht. Ihr schaut Euch um und findet edle Tropfen. Also stelle ich Euch in meinem Gedächtnis ebenfalls das Geschmackserlebnis davon zur Verfügung. Aber es bleibt dabei: Ihr wolltet etwas trinken. Ihr habt etwas getrunken. Aber Ihr habt genau das geschmeckt, was ich immer schmecke, wenn ich es trinke. Ihr trinkt es freiwillig, aber Ihr schmeckt meine Erinnerungen. Deswegen schmeckt Euer Lieblingsgetränk vielleicht etwas anders, als Ihr es gewohnt seid. Ich bin also immer dazwischen und habe Euch das ganze ermöglicht, weil Ihr noch in meinem Kopf seid. ”
„Wolln wa hier vielleicht mal raus? Ich vermisse mein Board.” Ben sprach in seinen Worten aus, was alle mehr oder weniger fühlten oder dachten. Je mehr sie davon erfuhren, was hier vor sich ging, desto unwohler fühlten sie sich gerade.
Ärgerlich stellte FX fest, dass er es gerade etwas übertrieben hatte. Wie oft hatte Eggsy ihm eingebläut, dass ein Besuch in seinem Gedächtnispalast für Menschen, die das nicht gewohnt sind, äußerst verwirrend ist. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Das, was damals in Tarragona erlebt hatte, konnte er bis heute nicht in Worte fassen. Er hatte keine andere Möglichkeit, seinen Freunden diesen Teil seiner Vergangenheit zu erzählen. Aber er hätte diese Show hier eher beenden sollen. Eggsy hatte, wie immer, Recht.
„Ja, Ihr habt Recht, lasst uns gehen”, meinte FX und leerte sein Glas in einem Zug. „Wenn Ihr wollt, können wir auf dem Plateau weiterreden. Das ist eine vertrautere Umgebung.”
Die anderen taten es ihm nach. Nur Michel zögerte. Nach dem kurzen Monolog von FX war er sich immer noch nicht ganz sicher, ob er nun wirklich trank oder er es sich einbildete. Aber den Geschmack bildete er sich definitiv nicht ein. Der war so real, so intensiv, so lecker. Das konnte einfach keine Einbildung sein. Schließlich entschied er sich dafür, genau wie alle anderen auch sein Getränk auszutrinken. Egal, ob es nun in seinen oder FX Gedanken war. Es war einfach zu schmackhaft, um es weg zu schütten.
„Als Gastgeber solltest Du vorweg gehen”, witzelte Ben und machte eine Geste, dass FX an ihm vorbeischreiten solle.
Ihr Weg führte sie aus der Bibliothek heraus durch eine mächtige und schwere Eichentür. Diese hätte zweifellos auch aus ihrer Universität stammen können. Auch dort waren überall diese uralten Holztüren verbaut, deren Holz so alt und trocken war, dass es steinhart und sehr dunkel geworden war. Obwohl die Tür von beachtlicher Größe war, war sie dennoch winzig im Vergleich zur Deckenhöhe und den nicht enden wollenden Büchern.
Neugierig schaute Henne auf ein paar Buchrücken und studierte diverse Buchrücken: „Mein erster Besuch bei Cathrin”, „Mit Jean-Luc auf Entdeckertour”, „Bei Tiberius zuhause” als er plötzlich ein Räuspern hinter sich hörte. Mit hochrotem Kopf schreckte er hoch und es war ihm unendlich peinlich, gerade von FX erwischt worden zu sein.
„Stöberst Du immer in anderer Leute Sachen?”, kam es tadelnd von FX. „Und was noch viel schlimmer ist: Stöberst Du immer an anderer Leute Gedanken herum?”
„Ich … Also … Naja, ich wollte, … Ich dachte, … ” Hennes Gesicht lief sofort knallrot an und er wusste nicht, was er sagen sollte. Peinlich berührt schlug er sich mit der flachen Hand vor den Mund. Einerseits war es ihm tatsächlich sehr unangenehm, dass er beim Auskundschaften erwischt worden war, auch wenn es bei seinem besten Freund war. Aber er musste sich selbst überraschenderweise eingestehen, dass er diese Art der Indiskretion gerade sehr spannend fand. Und noch reizvoller keimte in ihm der Gedanke auf, andere Menschen zu etwas zu bringen, was sie eigentlich gar nicht wollten.
„Schon okay, damit muss man rechnen, wenn man sich Gäste ins Haus holt”, grinste FX und die Sache war vergessen. Wobei auch nicht so ganz. Denn irgendwie kamen Henne diese Namen alle bekannt vor. Er wusste nur nicht so recht, wer das war.
Sie traten aus der Bibliothek heraus und standen nun in einer riesigen Eingangshalle, die vermutlich nicht minder hoch war als die Bibliothek, sich jedoch im Gegensatz zu ihr durch eine absolute Leere auszeichnete. Neben der beiden breiten und kunstvoll geschwungenen Treppen, die offensichtlich ins Obergeschoss führten, war der einzige Einrichtungsgegenstand der Halle ein monströser Kronleuchter an der Decke, der den Raum in ein funkelndes Licht füllte und wo sich durch das Kristall hier und da ein kleiner Regenbogen an der sonst schneeweißen Wand abbildete.
Durch das nicht minder imposante Portal traten sie ins Freie und draußen zeigte sich das Wetter von seiner besten Seite. Die Sonne schien, es war angenehm warm und die Vögel zwitscherten, während sie über eine saftig grüne Wiese schritten, die einem Meer aus Wildblumen glich.
Ben drehte sich noch einmal um und warf einen Blick auf das Gebäude. Bei diesem Anblick klappte ihm die Kinnlade herunter. Es sollte einer der wenigen Momente sein, an denen er sprachlos war.
„Ja”, meinte FX lapidar, ohne sich selbst umzudrehen oder Ben anzuschauen, „ich weiß, mein Gedächtnispalast kann sein Erscheinungsbild ändern. Es ist immer abhängig von meinem Gemütszustand ...”
Als die anderen beiden das hörten, drehten auch sie sich um und staunten nicht schlecht. Michel war der Erste, der wieder Worte fand, auch wenn es nur ein kleiner Tadel war: „Anscheinend geht manchmal die Fantasie etwas mit Dir durch!”
Sie waren soeben aus dem Schloss Neuschwanstein herausgetreten!
Hinter ihnen lag das eindrucksvolle Schloss nun auf einem kleinen Hügel, mitten auf einer bunten Sommerwiese mit all seinen Zinnen und Türmen. Ganz verspielt und als sei nie etwas gewesen, stand es einfach nur dort. Ein seltsamer Anblick, fehlten doch die Berge, die zum originalen Schloss dazu gehörten. Sollte das Aussehen des Gedächtnispalastes wirklich FX’ Gemütszustand widerspiegeln, so musste es ihm jetzt ziemlich gut gehen.
Nach einem kurzen Spaziergang erreichten sie eine kleine Baumgruppe, wo das Gras nicht ganz so hoch war. FX blieb stehen und streckte wieder seine beiden Arme aus: „Lasst uns wieder den Kreis schließen, bitte. Das ist der standesgemäße Weg heraus aus meinen Erinnerungen zurück in die Realität.”
Diesmal griffen alle ohne zu zögern nach den Händen ihres Nachbarn und so schloss sich der Kreis der vier Freunde ganz schnell. Ben, der FX’ rechte Hand in seiner hatte, merkte kurz, wie FX ihn etwas zu sich hinzog, als sein vormals gestreckter rechter Arm nun auf einmal angewinkelt war und wieder im Gips steckte.
Sie waren wieder da. Sie waren wieder auf dem weichen Moos des Aussichtspunktes. Sie hatten wieder diese grandiose Aussicht zur Küste hinunter Küste und natürlich auch zur Stadt. Sie waren wieder zurück in der realen Welt.
Michel schluckte, denn sein erster Blick galt genau dem Stadtstrand von Tarragona. Der Strand, an den sie gerade in FX’ Gedanken hingereist waren. Der Strand, wo sich am 11. Juli 1978 eine verheerende Katastrophe ereignet hatte. Das Inferno, an dem FX seine Eltern verloren und einen neuen Menschen kennengelernt hatte. Der Strand, der den Wendepunkt in seinem Leben markieren sollte.
Mit trockenem Mund und zugeschnürtem Hals krächzte Michel: „Magst Du uns noch etwas mehr erzählen?”, und nickte dabei in Richtung Tarragona und dem Ort des damaligen Geschehens.
„Ja, natürlich. Ich habe es Euch versprochen. Also, ich war damals schon hier. Ihr habt wirklich mich gesehen. Ihr habt meine Eltern gesehen. Und Eggsy natürlich. Es war schrecklich. Damals wurden über 400 Menschen verletzt und 217 starben. Meine Eltern waren unter ihnen. Meine Mutter war sofort tot. Mein Vater wurde nach einem halben Tag gefunden und in ein provisorisches Krankenhaus gebracht, das eigentlich ein Kloster war. Aber es war in der Nähe und vor allem war es der einzige Ort, an dem noch etwas Platz und halbwegs qualifiziertes Personal war. Mein Vater starb vier Tage später.”
Die Stimme von FX war gefasst und sicher. Kein einziges Zögern, Vibrieren oder Unsicherheit war heraus zu hören. Er erzählte seine eigene Geschichte so neutral, wie es ein Sprecher der Tagesschau nicht besser konnte. Lediglich anhand der Tränen, die seine Wangen herunterrannten, konnte man erkennen, dass er nach wie vor sehr aufgewühlt bei der Erinnerung an das Unglück war.
„Eggsy hatte mich damals vor den Flammen bewahrt. Ihr habt es ja gesehen. Er hatte seine Anweisungen. Ich habe ihn gehasst dafür. Viele Jahre lang habe ich ihn einfach nur gehasst. Ich wäre am liebsten gestorben, zusammen mit meinen Eltern. Ich habe ihn lange aus tiefster Seele gehasst dafür, dass er mich gerettet hat. Aber er hat es einfach nur ausgehalten. Er hat mir das gegeben, was meine Eltern nicht mehr konnten. Er war mein Vater und meine Mutter zugleich, auch wenn ich das lange nicht wahrhaben wollte. Alles, was ich bin, alles was ich habe, alles was ich kann, verdanke ich ihm.”
Das mussten die drei Freunde erst einmal verarbeiten. Das hatte auch FX erkannt. Er lehnte sich zurück und legte sich flach auf das weiche Moos und schaute in den Himmel, in die unendliche Weite. Er wusste, was gleich passieren würde. Er liebte es. Er schloss die Augen und ließ sich langsam ein auf diese Welt. Gleich, wenn er vollkommen zur Ruhe gekommen wäre, würde er spüren können, wie sich die Welt um die eigene Achse drehte und wie sich die Erde um die Sonne drehte. Nach viel Übung und Konzentration war er mittlerweile sogar in der Lage zu spüren, wie ihr Sonnensystem durch die Galaxis düste.
Doch so weit kam er nicht, denn er wurde jäh von Ben unterbrochen und zurück in die Realität katapultiert: „Diggi und was is nu mit der Zeitung? Für über fuffzich haste Dich gut gehalten!”, lachte er.
„Eggsy hat nicht nur meine Eltern ersetzt”, FX hatte sich wieder in den Schneidersitz gesetzt und musterte seine Freunde, bevor er fortfuhr. Er wollte sicher sein, dass keiner von ihnen den Anschluss verpasste. Zu wichtig für ihre gemeinsame Zukunft war all das hier jetzt.
„Ich bin nie zur Schule gegangen. Also zumindest nie zu einer Schule, wie Ihr sie kennt. Eggsy war mein Lehrer. Eggsy war mein Meister. Er hat mir alles beigebracht, was ich wissen muss. Und noch vieles mehr …”
„Jo, aber wie alt biste denn nu? Wasn nu mit 1978?”
„Damals war ich fünf.”
„Dann bist Du also ...”
„Das kann nicht sein!”
Zwischen den drei Freunden entbrannte eine wilde Diskussion und Spekulation über FX. Wobei eigentlich jeder der Drei nur halblaut vor sich her sprach und eigene Gedanken entwickelte und wieder verwarf. Eine wirkliche Diskussion gab es gar nicht. Es glich eher einem wild gewordenen Hühnerhaufen, der vor sich hinplapperte.
„Naja, so einfach ist das nicht. Es ist so zu sagen mehrdimensional”, begann FX seinen Satz, wurde aber von Michel unterbrochen: „Schon klar, lass mich raten, Du bist ein Zeitreisender!” Womit er lautes Gelächter erntete. Zumindest von Ben und Henne.
FX hingegen blieb ernst und stumm. Erst, als die anderen bemerkten, dass FX auf diesen Witz nicht angesprungen war, kehrte schlagartig Ruhe in die kleine Runde ein.
„So, Junx, überlegt doch mal: Der Herr der Ringe. Harry Potter. Star Trek. Glaubt Ihr wirklich, dass man sich so etwas Verrücktes einfach ausdenken kann? So eine durchgeknallte Fantasie hat doch kein Mensch!” FX blickte herausfordernd seine Freunde an.
Dieser Gedanke musste bei seinen Freunden erst einmal keimen. Das war für seine Freude sehr starker Tobak an einem Tag. FX hatte mit Eggsy lange darüber gesprochen, was sie verkraften würden und was sie erst später erfahren sollten. Eggsy, der normalerweise immer ein Fan von “Lernen durch Überforderung” war, war diesmal sehr zurückhaltend und mahnte FX zur Mäßigung. Aber FX war gänzlich anderer Meinung und felsenfest davon überzeugt, dass die Drei mit den vielen neuen und abgefahrenen Tatsachen durchaus zurechtkommen würden. Sie waren gut, sie waren stark und er wusste, dass in ihnen mehr steckte, was nur darauf wartete, hervorgelockt zu werden.
Nachdem sich Eggsy den Mund fusselig geredet hatte musste er feststellen, dass FX seine Entscheidung längst gefällt hatte und dass es unnütz war, dagegen zu argumentieren. Einen Joker hatte er allerdings noch in der Hinterhand: „Und was ist mit dem Club?”
„Der kann mich mal!”
„Hej, Du bist zwar gerade im Urlaub, aber Du solltest es Dich mit denen nicht verscherzen. Du weißt, dass man schnell vom Jäger zum Gejagten werden kann.”
„Ich weiß. Und ich weiß, was ich tue. Vertrau mir. Meine Freunde können das.”
„FX, Du weißt, wo Du herkommst, Du weißt alles von mir. Du weißt alles über mich. Und Du weißt, dass ich Dir blindlings vertraue!”
Beide, sowohl Eggsy als auch FX wussten, dass sie immer und zu jeder Zeit alles für den anderen geben würden. FX‘ Ausbildung und danach ihre gemeinsame Arbeit hatten sie quasi unzertrennbar zusammengeschweißt. Sie kannten sich nach all der langen Zeit so gut, dass jeder wusste, was der andere dachte, was der andere machen würde, was der andere im Schilde führte. Und dennoch, obwohl das Ergebnis und der Weg dorthin beiden von vorneherein klar waren, führten sie immer wieder Diskussionen und Streitgespräche. Einfach nur so, weil das Kabbeln miteinander so viel Spaß machte.
Meistens trafen sie sich dazu im Weiß. Dann kam zu der verbalen Auseinandersetzung auch noch eine Körperliche. Es hatte sich einfach so ergeben, dass sie das als willkommene und abwechslungsreiche Übungsstunden einfach so mitnahmen. Manchmal führten sie diese Diskussionen aber auch in der Öffentlichkeit. Besonders Eggsy liebte es, mit lauten und emotionalen Diskussionen andere unfreiwillige Mithörer einzubeziehen und sie beim Fremdschämen in feinster Bravour heimlich zu beobachten.
„Also nur nochmal für Dummies: Du bist ein Zeitreisender???” Michel sprach aus, was alle anderen ebenfalls dachten, aber er hatte schlichtweg als erster seine Sprache wiedergefunden.
„Ja, das bin ich. Auch wenn ich den Namen nicht so mag. Klingt wie ein Tourist. Aber das ist kein Urlaub, sondern das ist mein Beruf. Oder noch treffender, meine Berufung.”
„Diggi, das ja krass cool!” Ben war ganz aus dem Häuschen und rückte näher an FX heran. „Und du kannst einfach so hier aus der Zeit raus beamen und woanders hin? Wasn Deine Lieblingszeit?”
„Auch wenn es komisch klingt: Das Hier und Jetzt. Ich bin nicht umsonst gerade hier. Denn ich habe Urlaub genommen.”
„Wie? Urlaub? Du studierst doch mit uns.” Henne verstand nicht, was FX sagen wollte.
„Urlaub von meinem Job. Urlaub von den Zeitreisen, wie Ihr es nennt.”
„Oh. Und wann ist dieser Urlaub zu Ende? Wann haust Du wieder ab?” Henne meinte, es jetzt verstanden zu haben, aber nun macht sich auch Angst in ihm breit, Angst davor, seinen neuen Freund schon bald wieder zu verlieren.
„Das wiederum ist ein Vorteil in meinem Job. Zeit spielt bei mir keine Rolle. Ich kann so lange Urlaub nehmen, wie ich will, ohne irgendetwas zu verpassen.”
„Diggi, das ja genial!” Ben musste sich sehr beherrschen, damit er nach wie vor halbwegs ruhig sitze blieb. „Dann lebst Du also auch unendlich lange?”
„Naja. Unendlich ist relativ. Ich bin nicht unsterblich, wenn Du das meinst. Wenn mich jemand umbringt, bin ich tot. Aber in der Regel weiß ich vorher, dass mich jemand umbringen will.”
„Krass, Diggi, das stelle ich mir ja genial vor, wenn man unendlich lange lebt! Erzähl mal.”
„Klar ist das cool. Aber leider gibts auch die Kehrseite der Medaille. Du siehst, wie alle Menschen, die Dir etwas bedeuten, sterben. Immer und immer wieder. Und es hört nicht auf.”
Mit nur einem Satz hatte FX es fertiggebracht, die lockere und ausgelassene Stimmung zu zerstören. Der ständig wiederkehrende Verlust von wichtigen Menschen ist nicht unbedingt zur Routine für ihn geworden, jedoch machte es die Vielzahl der Vorkommnisse in seinem Leben es mittlerweile etwas erträglicher. Für die wenigen Außenstehenden, denen er seine Fähigkeiten preisgab, war das jedoch immer wieder ein sehr bitterer Beigeschmack. FX hatte sich ganz bewusst dazu entschieden, diese dunkle Seite seines Tuns möglichst früh zu offenbaren, denn er hatte im Laufe der Zeit festgestellt, dass es später nicht besser wurde, diese Wahrheit auszusprechen.
„Aber hej, es gibt ja nicht nur schreckliche Seiten! Nennt mir beliebige Dinge aus Funk, Fernsehen und natürlich der Zukunft und ich werde Euch bestätigen, dass es das schon gibt. Naja, oder geben wird. Wie gesagt: Diesen ganzen Science-Fiction Kram hat man sich ja nicht umsonst ausgedacht.”
„Kommunikator!” Michel war der erste, der dankbar nach diesem Strohhalm der guten Hoffnung griff.
„Diggi, du Idiot, den gibt’s doch schon. Guck mal in deiner Tasche! Nennt man aber Handy!” Auch Ben war froh, dieses trübe Thema zunächst erst mal beiseite zu schieben.
„Oh.”
„Warp-Antrieb!”
„Jup. Kommt. Aber erst 10 Jahre später als in Star Trek vorhergesagt. Also erst im Jahr 2073. Das hat damals zu großen Enttäuschungen geführt in der Trekkie Gemeinde. Aber die Ingenieure damals hatten mit Maulwürfen und Saboteuren zu tun, die alles darangesetzt haben, das zu sabotieren. Sie hatten Angst vor der unglaublichen Geschwindigkeit, dass es die Moleküle zerfetzt, dass Außerirdische kommen und die Erde vernichten und, und, und. Eigentlich hat sich seit der Erfindung der Eisenbahn bei den Menschen nichts geändert. Auch damals hatten die Gegner Angst vor der Geschwindigkeit und dessen Auswirkungen und haben auch damals alles sabotiert, was sie konnten.”
„Damals???”
„Naja. Ja. Ich war dabei, ich hab’s gesehen. Also für mich damals. Und schön dran denken: Nicht zu viel nachdenken, gibt nur Kopfschmerzen!”
„Beamen?”
„Jup, gibts auch. Kommt aber nach dem Warp-Antrieb.”
„Androiden?”
„Data ist cool! Ich hab mal mit ihm zusammengearbeitet ...”
„Telepathie?”
„Guter Gedanke! Ja, auch Telepathen gibt es, wenn auch sehr selten. Und die Guten sind schwer zu finden. Naja okay, die meisten können sich auch ganz gut verschleiern.”
„Außerirdische?”
„Du meinst extraterrestrische Zivilisationen? Ja. Viele. Wir sind nicht allein in diesem Universum. Die meisten Zivilisation haben glücklicherweise festgestellt, dass es sich in Frieden viel besser leben lässt als im Krieg.”
„Wer bist Du, FX???”
„Michel, ich bin Dein Freund! Ich bin Euer aller Freund! Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich Euch das alles erzählt habe.”
„Diggi ich mach Dir daraus keinen Vorwurf! Is ja auch irgendwie nich das Thema, womit man einfach mal so hausieren geht und sagt: Guten Tag, ich bin der FX und ich bin Zeitreisender von Beruf. Darf ich sie irgendwohin mitnehmen?”
„Magst Du vielleicht lieber über Dich reden als über den Rest der Welt? Oder des Universums?”
„Ja. Deswegen sind wir ja hier. Wegen mir ...”
Anfangs war FX sehr unsicher und zögerlich, seine Stimme hatte häufig ein leichtes Vibrato und er machte viele Pausen, in denen er sich erst einmal wieder sammeln musste. Seine Freunde kannten diese Seite von FX nicht, war er doch sonst immer als der sichere und geradlinige Mensch aufgetreten. Aber jeder von ihnen verstand mittlerweile, dass der Bericht von diesem Lebensabschnitt, eine ganz besondere Herausforderung für ihn war, die er nicht alle Tage zu bewältigen hatte.
Innerlich dankte FX seinen Freunden, dass sie ihn trotz seiner häufigen Unterbrechungen nie ins Wort fielen, sondern ihm die Zeit gaben, seine innere Unruhe zu bändigen. Und im Laufe seiner Erzählungen wurde er auch zusehends sicherer und flüssiger.
Nach dem grauenvollen Tod seiner Eltern hat Eggsy den kleinen Felix zu sich genommen. An dieser Stelle vermied er es absichtlich, über den Club zu sprechen und dass die Order, an die sich Eggsy gehalten hatte, von dort gekommen war. Aber früher oder später würde auch dieses Thema auf den Tisch kommen. Zurzeit jedoch passte dieses Thema so gar nicht, denn jetzt ging es gerade ausschließlich um ihn, um FX und seine Vergangenheit.
Eggsy war für Felix alles in einer Person: Vater, Mutter, Lehrer und Freund. Alles immer abwechselnd und jeweils zu einer Zeit, zu der es sinnvoll war. Die Ausbildung von Eggsy war unerbittlich und hart. Neben den normalen Dingen, die jeder in der Schule lernt, musste Felix auch noch all seine versteckten Fähigkeiten trainieren, von denen er bis zu dem Inferno nicht einmal etwas geahnt hatte. Andersherum war er rückblickend betrachtet aber ganz froh, dass sich diese neue Welt quasi gleichzeitig mit dem Inferno um Tarragona und seinen Eltern aufgetan hatte. So hatte er zumindest genug Möglichkeiten gehabt, sich abzulenken und sich auf neue und spannende Dinge zu konzentrieren.
Eggsy war ein meisterhafter Spürhund und Perfektionist. Er fand unglaublich viele versteckten Talente in Felix und kitzelte alles aus ihm heraus, was es zu finden gab. Jeder noch so kleine Funke würde so lange geschürt, bis ein loderndes Feuer in ihm brannte und er seine Fähigkeit bis in den Schlaf hinein und rückwärts anzuwenden vermochte.
„Du wirst mich hassen”, hatte Eggsy immer wieder gesagt. „Ich werde Dich auspressen wie eine Orange und Du wirst mich dafür hassen. Aber glaube mir, eines Tages wird es ‚klick‘ machen, und dann ergibt alles einen Sinn, dann siehst Du das gesamte Bild und dann wirst Du verstehen, warum ich das alles von Dir verlange. Und dann wird es auch Dir Spaß machen, glaub mir.”
Sie trainierten unerbittlich und ununterbrochen. Sowohl beim physischen Training als auch auf der psychisch-spirituellen Seite erwartete Eggsy Perfektion. Absolute Perfektion. Wann immer es ging, nahm er ihn mit ins Weiß, jener Zwischenwelt ohne oben und unten, ohne Raum und Zeit. Dort hatten sie alle Zeit der Welt, weil sie dort unbedeutend war. Das war der Trainingsort für Felix.
Immer wieder aufs Neue brach Felix sein Training ab. Er verließ Eggsy, verschwand einfach. Er hatte keine Lust mehr. Felix hasste seinen Meister noch immer aus tiefstem Herzen. Er hatte seine Eltern nicht gerettet. Er hatte nur ihn gerettet. Er hatte ihn nicht sterben lassen. Er hasste ihn dafür. Felix lief weg, plan- und ziellos. Weit weg, einfach nur weg.
Aber Eggsy wartete geduldig, bis Felix sich wieder beruhigt hatte, dann reiste er ihm nach, sammelte ihn wieder ein und setzte das Training fort. Eggsy hatte irgendwann aufgehört, zu zählen, wie oft Felix durchgebrannt war. Seine Angebote, über das Geschehene und das Warum zu reden, hatte Felix immer ausgeschlagen. Eggsy war der Letzte, mit dem er darüber reden wollte. Schließlich war er der Grund dafür, dass Felix nun ohne seine Eltern weiterleben musste.
Diese fortwährenden Unterbrechungen von Felix wurden immer schwieriger für Eggsy, je mehr er seinem Schützling beibrachte. Die ersten Male lief Felix einfach nur davon und wurde wenige Tage wenige Kilometer weiter in der Umgebung wieder aufgesammelt. Es kam jedoch, was kommen musste, denn als Felix die Teleportation beherrschte, wurden seine Fluchtversuche komplizierter, schneller und weiter. Die Jagd erstreckte sich über die gesamte Welt und darüber hinaus. Mit dem Erlernen von Zeitreisen wurde es schließlich multidimensional und Eggsy hatte seine liebe Mühe, seinen Kleinen zu lokalisieren.
Was Felix damals noch nicht wusste war, dass all dies kein Weglaufen, keine Flucht, kein Abbrechen seiner Ausbildung war. Das Gegenteil war der Fall. Eggsy sah es als eine Art Prüfung an, in der Felix auf hervorragende Weise immer wieder Neuerlerntes anwendete und während seines Umgangs damit auch weiter perfektionierte.
Eines Tages, Eggsys Zögling hatte wieder einmal das Weite gesucht und er war ihm mit dem nötigen Respektabstand gefolgt, tappte er das erste Mal in eine Falle, die der kleine Große ihm gestellt hatte. Unter normalen Umständen eines Trainings hätte sich Eggsy extrem geärgert, jedoch sollte dies der glücklichste Tag in seinem Leben sein, denn war dies das das eindeutige Zeichen, dass sein Lehrling endlich verstanden hatte, seine Fähigkeiten effektiv einzusetzen und ihm, einem Großmeister, eins auszuwischen.
Während Eggsy also festsaß, kam Felix aus seinem Versteck heraus und umrundete ihn mehrfach, ohne auch nur ein Wort von sich zu geben. Eggsy überlegte noch, ob er einen Fluchtversuch unternehmen sollte, entschied sich jedoch dagegen, weil er davon ausging, dass FX noch mehr vorhatte, als ihn dort schmoren zu lassen. Allein die Tatsache, dass er, Eggsy, jemand anderen auf den Leim gegangen war, war schon Schmach genug. Aber Felix hatte mit Sicherheit noch mehr vor.
„Du hast mir meine Eltern genommen!” Felix war stehengeblieben und fixierte Eggsy mit seinen leuchtend blauen Augen, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Eggsy lief ein Schauer den Rücken hinunter.
„Du hast mir mein Leben geschenkt, obwohl ich es nie wollte!” Felix umrundete seinen Gefangenen ein weiteres Mal.
„Du hältst mich fest und bringst mir Tricks bei, um die ich Dich nie gebeten habe!” Felix drehte eine weitere Runde.
„Aber der Felix, den Du damals vor dem Feuer versteckt hattest, diesen Felix gibt es nicht mehr. Ob es Dir passt oder nicht, er starb in den Flammen mit meinen Eltern. Meine Eltern Ludwig und Iris.”
Felix wandte sich von Eggsy ab und blickte in die Ferne.
„Sie sind fort. Für immer. Du hast sie mir genommen. Ich darf sie mir nicht zurückholen. Gefangen bin ich in der Ewigkeit. Allein. Wegen Dir!”
Mit den letzten Worten drehte sich Felix um und Eggsy traf so viel Hass, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Weder bei Felix noch bei irgendeinem seiner Gegner. Angst machte sich langsam in ihm bemerkbar. Ein Gefühl, welches er schon seit sehr langer Zeit nicht mehr hatte. Es war nicht viel, glücklicherweise, aber sie war da und sie lauerte darauf, mehr von Eggsy in Anspruch zu nehmen, denn dies war nur der Anfang.
„Meine Eltern Ludwig und Iris sind fort. Verschwinden sollen auch ihre Initialen aus meinem Namen. Mögen sie in Frieden ruhen.”
Die Verwirrung ließ sich Eggsy nicht anmerken. Nach außen hin mimte er nach wie vor den gefühlskalten Lehrer, der seinem Schüler auf dem Leim gegangen war. Aber gerade hatte er keine Ahnung, was Felix vorhatte.
„Ich möchte, dass Du mich fortan FX nennst, denn Du hast sie aus meinem Leben gestrichen, Du sollst ihren Namen nicht mehr aussprechen. Für Dich sind meine Eltern Ludwig und Iris, die mit den Initialen E L und I ein Teil meines Namens sind, ab sofort verboten”
Eggsys Verwirrung war nach dieser Ansprache nicht geringer geworden. So richtig verstanden hatte er es immer noch nicht, was der Kleine nun von ihm wollte. Aber vermutlich war das auch einfach ein Problem der Pubertät. Dennoch akzeptierte er dessen Wunsch umgehend und fortan war der Name ‚Felix’ nicht mehr Bestandteil seines Vokabulars.
Eines Tages, FX hatte aufgegeben die Jahre zu zählen, die ins Land gegangen waren, meinte Eggsy zu ihm, dass der Zeitpunkt gekommen sei.
„Welcher Zeitpunkt?” FX war irritiert.
„Deine Ausbildung ist beendet. Zumindest der offizielle Teil. Der Club hat entschieden, dass man Dich jetzt auf die Menschheit loslassen darf.”
Vor lauter Überraschung sagte FX zunächst einmal nichts, was Eggsy zum typisch gehässigen Kommentar verleitete: „Ich weiß, ich finde das auch keine gute Idee, weil ich Angst um den Rest der Welt habe, aber was solls? Befehl ist Befehl.”
Ja, Befehl ist Befehl. Auch diese Diskussion hatten sie gefühlt nahezu täglich gehabt. FX hatte immer wieder gefragt, warum nur er gerettet wurde und nicht seine Eltern. Warum hatte Eggsy seine Eltern zurückgelassen? Warum mussten so viele Menschen sterben? Eggsy hätte sie alle problemlos retten können. Er hätte zumindest seine Eltern retten können. Die zwei Menschen weniger, die gestorben wären, das wäre niemandem aufgefallen.
Eggsy hatte sich nie wirklich auf eine Diskussion zu diesem Thema eingelassen. Seine Antwort war, wenn es überhaupt eine gab, ein schlichtes “Befehl ist Befehl”. Manchmal, wenn er sehr gesprächig war bei dem Thema, fügte er noch ein „Du wirst es eines Tages verstehen. Vielleicht.” Sicher, auch ihm war es nicht leichtgefallen und schon damals hatte er all diese Diskussionen vorhergesehen und durchlebt. Auch er hatte geweint um die Eltern von FX. Hatte mit FX zusammen geweint. Hatte allein geweint. Auch er verstand nicht alle Befehle, die er bekam. Aber das musste er auch nicht. Das war nicht seine Aufgabe. Und auch nicht die von FX.
Mit dem Ende seiner Ausbildung durfte FX schließlich sein Alter wählen. Nicht, dass er das vorher nicht auch schon gekonnt hätte, denn als Zeitreisender kann man beliebig in der Zeit vor und zurückspringen und sich seinen Körper und sein Alter mehr oder weniger aussuchen und dann quasi einfrieren. Aber am Ende der Ausbildung war es Tradition, dass man im Kreise des Clubs feierlich verabschiedet wird und alle Zweiundvierzig zusammen in die Zeit reisen, aus der man sein Alter mitnehmen möchte.
„Diggi, das heißt also, dass Du zu allen möglichen Zeiten schon auf der Welt gelebt hast? Und alle Orte?”
„Ja, Ben. Und nicht nur auf dieser Welt. Aber glaube ja nicht, dass das das Paradies ist. Ja, anfangs, wenn alles neu ist, dann ist alles großartig und aufregend. Es gibt so viele Dinge zu entdecken. Und es ist wirklich spannend. Ich habe gesehen, wie die Pyramiden gebaut wurden und ich habe auch gesehen, wie die USS Enterprise, also das Raumschiff, nicht das Kriegsschiff, gebaut und vom Stapel gelassen wurde. Aber irgendwann hat man fast alles gesehen. Irgendwann sehnt man sich nach einem Zuhause. Und wenn zum hundertsten Male die besten Freunde sterben, weil sie keine Zeitreisenden sind und sie einfach alt sind, dann verflucht man das langsam.”
Ben, der anfangs noch Feuer und Flamme war und an FX’ Lippen gehangen hat, sah betroffen zu Boden. Wurde ihm doch gerade auch klar, dass er eines fernen Tages von dieser Welt gehen und FX’ wieder allein zurücklassen würde.
„Im Laufe der Zeit lernt man, Abschied zu nehmen. Es gibt keine Routine, nein. Aber man kommt schneller wieder drüber weg. Meistens zumindest.”
Eine bedrückende Stille mischte sich mit der untergehenden Abendsonne auf dem kleinen Idyll, wo sie immer noch saßen. Wie lange waren sie jetzt dort oben auf ihrem kleinen Aussichtspunkt? Ganz genau sagen konnte das außer FX keiner. Sie hatten dort am späten Nachmittag gepicknickt. Sie hatten Sternschnuppen gesehen. Und jetzt war es wieder Abend. Es muss also mindestens ein ganzer Tag ins Land gegangen sein.
„Wir sollten etwas essen”, lenkte FX die trüben Gedanken Aller wieder in die Realität zurück. „Bei so vielen neuen Informationen und Eindrücken vergisst man oft, dass der Körper durchaus weltliche Bedürfnisse hat. Im Rucksack müsste noch etwas Leckeres zu finden sein.”
Michel, der am nächsten an dem Rucksack saß, auf den FX gezeigt hatte, sah ihn ungläubig an. Sie hatten beim Picknick doch die letzten Krümel des vorzüglichen Käses aufgefuttert. Da war garantiert nichts mehr in dem Rucksack drin, sonst hätten sie sich bereits am Abend zuvor darum gestritten.
Henne kombinierte schneller als alle anderen: „Das ist doch bestimmt wieder so ein Trick von Dir. Du hast doch vermutlich noch mehr auf Lager, oder?”
Zur Belohnung erntete er ein Augenzwinkern von FX und die Erklärung gleich dazu: „Ja. Wobei es verschiedene Möglichkeiten gibt, den Rucksack zu füllen. Ist jetzt aber auch nicht so wichtig. Sucht Euch einfach einen Trick aus, wie ich das gemacht haben könnte. Und auch was zum Essen. Es ist genug da. Und wenn nicht, dann organisiere ich noch was.”
Nach dem zweiten Picknick bei herrlicher Aussicht waren sich alle einig, dass sie trotz der fortgeschrittenen Stunde wieder zurück zum Strand wollten und keine weitere Nacht hier verbringen sollten.
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