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Jason

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

8. Camouflage

Das klappte ja besser, als ich es mir erhofft hatte. Dadurch, dass die Einladung von Dad kam, konnte ich mir einiges an Erklärungen sparen. Ich hängte mich sofort ans Telefon und wurde nach dem achten Klingeln automatisch mit der Rezeption verbunden. Dort bekam ich die Auskunft, dass Elvis gerade unterwegs war - zu irgendeinem Pressetermin. Ob ich eine Nachricht hinterlassen wollte? Ich überlegte kurz und entschied mich dann dagegen. »Danke, ich rufe später wieder an. Bye.« Ich legte auf, etwas verwundert darüber, dass Elvis nicht da war. Wir hatten doch ausgemacht, dass ich ihn wieder anrufen wollte?

Ich erzählte Jason kurz davon. »Naja, dann wird er wohl unterwegs sein«, meinte er nur. »Mach' dir darüber mal keine Sorgen.« Ich nickte. »Stimmt. Elvis ist schließlich alt genug, um selbst entscheiden zu können, was er macht.« »Sag' mal, Richie, ist das deine Gitarre da in der Ecke?« »Ja, wieso?« »Kannst du spielen?« »Naja, ein bisschen.« Jason grinste. »Dann lass' doch mal hören.« »Aber nur unter einer Bedingung«, forderte ich. »Und die wäre?« Jetzt grinste ich. »Du singst.«

Jasons Augen bekamen ungefähr die Größe von Teetassen und er hob abwehrend die Hände. »Auf gar keinen Fall. Sorry, beim besten Willen nicht. Ich singe wie eine sterbende Kuh.« Jetzt musste ich lachen. »Ich weiß, das steht auf irgend einer Homepage mit drauf.« »Da steht, dass ich singe wie eine sterbende Kuh?« Ich nickte, immer noch lachend. »Ja. Sogar als Zitat von dir.« Jason überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Stimmt. Das habe ich mal in irgendeinem Interview gesagt.« »Okay, wie auch immer. Auf jeden Fall trittst du jetzt den Beweis an.«

Ich stand auf und nahm meine Gitarre aus dem Koffer. »Da drüben steht ein schwarzer Ordner. Gibst du mir den bitte mal 'rüber?«, bat ich ihn. Während er nach dem Ordner griff, fragte er: »Willst du dir das wirklich antun, Richie?« »Was?« »Meinen Gesang.« »Ja, natürlich. Die Frage ist eher, ob du noch schlechter singst als ich spiele.« Jason schluckte betont auffällig. »Na, das kann ja heiter werden.« Ich stimmte meine Gitarre und griff probehalber ein paar Akkorde. Ich hatte schon eine Weile nicht mehr gespielt. Dann versuchte ich mich erst mal an »First Time« von Robin Beck. Jason grinste und suchte den Text heraus. Nach der ersten Strophe hörte ich mit dem Singen auf und bedeutete Jason, dass er übernehmen sollte.

Am Anfang konnte er zwar den Ton nicht halten, aber beim übernächsten Song - »Slow Hand« - war er voll dabei. »Wie war das mit der sterbenden Kuh?«, fragte ich, als wir auch mit diesem Song fertig waren. »Naja, es geht doch besser, als ich dachte«, meinte er, etwas verlegen. Ich gab ihm einen Kuss. »Du bist süß, wenn du rot wirst.« Jason blätterte noch etwas in der Mappe herum und fand schließlich einen Song, den er nicht kannte. »Was ist das denn für ein Stück?«, fragte er. »Welches?« »Es heißt 'Camouflage', von einem Typen namens Stan Ridgway.« »Das kennst du nicht? Okay, dann lass' mich mal loslegen. Aber Vorsicht: Es ist ein recht trauriges Stück. Achte auf jeden Fall mal auf den Text.«

In Camouflage geht es um einen jungen Soldaten im Vietnam-Krieg. Er ist allein im Dschungel verschollen, abgeschieden von seinen Kameraden und fürchtet um sein Leben. Plötzlich taucht ein anderer Marine auf und nimmt ihn unter seine Fittiche. Nach seinem Namen gefragt, antwortet er: »Die Jungs nennen mich einfach nur Camouflage«, das englische Wort für »Tarnung«. Die beiden überstehen diese Nacht gemeinsam und unser junger Erzähler wird von seinem Kollegen zurück zu seinem Camp gebracht, wo er seinen Vorgesetzten Rede und Antwort stehen muss. Er erzählt ihnen von seinen Erlebnissen und wird schließlich von einem der Ärzte beiseite genommen, der ihn zu einem Zelt bringt. Der Arzt macht ihm klar, dass er ihm glaubt, obwohl »Camouflage« bereits seit einer Woche im Lazarett war und in der Nacht zuvor gestorben ist. Sein letzter Wunsch sei es jedoch gewesen, einem jungen Marine zu helfen, der in Schwierigkeiten steckt.

Als ich den Song beendet hatte, sagten wir beide eine Weile gar nichts. Wir ließen den Song einfach auf uns wirken. Jason wirkte auf mich ziemlich betroffen. »Komisch... ich habe mit der Army nie etwas im Sinn gehabt, aber der Song beeindruckt mich doch ziemlich.« Als ich genauer hinsah, fiel mir auf, dass seine Augen etwas feucht glänzten. »Es ist einfach die traurige Geschichte, die dahintersteckt«, sagte ich nachdenklich. »Kennst du zufällig den Hintergrund?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Ich habe das gesamte Web schon abgesucht, aber es ist nichts zu finden - nicht im Web, nicht in den Newsgroups, nicht mal in den Diskussionsforen.« »Schade. Das hätte mich mal interessiert.« Ich nickte. »Ja, mich auch.«

Ich spielte noch einige andere Songs - schlafen konnten wir sowieso noch nicht und außerdem hoffte ich immer noch auf einen Anruf von Elvis. Und gegen halb zwei klingelte tatsächlich das Telefon. Allerdings war nicht Elvis selbst dran, sondern wie ich mit einiger Überraschung feststellte, sein Vater. »John? Hast du die falsche Durchwahl erwischt?« »Nein, das nicht gerade, Richie - aber bei deinem Vater ist irgendwie ständig besetzt.« Rip hatte im Laufe des Abends etwas davon gesagt, dass er wegen der Hochzeit mit Elijahs Eltern telefonieren wollte, vermutlich zog sich das Telefonat etwas in die Länge. »Soll ich ihm irgend etwas ausrichten?« »Vielleicht kannst du mir ja auch helfen. Wir haben ein kleines Problem hier ... meinen Eltern geht es nicht sonderlich gut und wir würden gern für einige Tage zu ihnen fahren, um uns ein wenig um sie zu kümmern. Allerdings ist Elvis momentan nicht hier und ich würde die drei Kleinen nur ungern allein lassen.«

Ich grinste. »Die drei Kleinen« waren immerhin auch schon fünfzehn und würden sich durchaus einige Tage zu helfen wissen. »Lass' sie das aber bloß nicht hören, die Begeisterung dürfte sich in Grenzen halten. Aber ich denke du möchtest wissen, ob wir sie hier noch unterbringen können?« »Wenn das ginge, wäre das spitze. C.T. hat sich sowieso schon beschwert, dass ihr euch das ganze Jahr noch nicht gesehen habt«, erwiderte John. Ich lachte. »Na kein Wunder, wenn deine Jungs die ganze Zeit auf Tour sind. Ich werde Rip mal fragen, aber ich glaube nicht, dass etwas dagegen spricht. Bis wann musst du denn Bescheid haben?« »Hm ... am besten ...« John wich der Frage ein wenig aus. »Am besten gestern, ich versteh' schon. Ich werd' mal schauen, ob Rip noch wach ist und dann rufen wir gleich zurück. Ihr seid zuhause?« »Ja, sind wir. Und schon mal vielen Dank im Voraus, Richie, ihr seid unsere letzte Rettung.«

Immer noch grinsend legte ich den Hörer aus der Hand. Einen Moment lang dachte ich daran, dass Rip die Jungs ja sowieso eingeladen hatte, aber wenn ich mich darauf berufen würde, könnte er zu recht ein wenig ungehalten werden. Immerhin war das doch etwas kurzfristig. Ich sagte Jason Bescheid, der gerade ein wenig auf meiner Gitarre herumklimperte und machte mich dann auf die Suche nach Dad. Der kam mir auf dem Weg in sein Büro mit einem Becher Kaffee entgegen. »Ach hier bist du ... du wirst schon gesucht.« Er sah mich fragend an. »Von wem denn?« »John fragt an, ob er die Jungs vielleicht für ein paar Tage bei uns abladen könnte.« Ich erzählte Dad von unserem Telefonat.

Wie ich erwartet hatte, war er einverstanden. Solche Dinge waren innerhalb der Familie noch nie ein Problem gewesen und so gesehen hätte ich mir die Frage eigentlich auch sparen können. Ich wartete kurz, während Rip mit John telefonierte und die beiden machten aus, dass John in der nächsten Stunde noch die genauen Flugdaten per E-Mail schicken würde. »Ist einer von den Jungs eigentlich mittlerweile auch schwul?«, erkundigte sich Dad trocken bei mir. Dazu hätte ich etwas sagen können, aber ich hatte Elvis versprochen dichtzuhalten und so schwieg ich lieber. Ich setzte ein etwas überlegenes Grinsen auf. »Dad, ich dachte, du hättest kein Problem damit?«, fragte ich etwas ironisch. Ich hatte das Gefühl, dass es für ihn doch nicht so einfach war, wie er vorgab.

Er zögerte einen Moment, dann sagte er: »Richie, du bist mein Sohn und ich liebe dich so, wie du bist. Ich mag auch Jason sehr gerne - er macht auf mich einen sehr netten Eindruck. Und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr beide zusammenbleiben würdet. Aber jetzt auf einmal noch mehr Leute, bei denen man sich an den Gedanken gewöhnen müsste ... das wäre auch für mich ein bisschen viel des Guten.«

Ich konnte ihn recht gut verstehen, denn er hatte schlicht und einfach Recht mit dem, was er sagte. Für Außenstehende war das mit Sicherheit nicht einfach nachzuvollziehen. Jason und ich hatten uns schon länger mit dem Thema beschäftigt und aus diesem Grund fiel es uns nicht schwer, das zu akzeptieren. Allerdings wäre es auch für uns einfacher gewesen, wenn das alles nicht in so kurzer Zeit passiert wäre. Dad wechselte das Thema, wir einigten uns darauf, dass Jason und ich die Jungs vom Flughafen abholen sollten, während er selbst sich mit Julian und Natalie um die Einkäufe kümmern wollte.

Für mich war der andere Teil des Gesprächs aber noch nicht abgeschlossen. »Dad, um noch mal auf unser Gespräch von gerade eben zurückzukommen: Ich hatte wirklich das Gefühl, dass dir das Ganze ziemlich zu schaffen macht, oder?« Er griff zu seiner Zigarettenschachtel, steckte sich eines seiner französischen Krebsstäbchen in den Mund und bot mir auch eine an. »Danke, ich wollte noch Spaß am Rauchen haben.« Mit diesen Worten steckte ich mir eine von meinen eigenen an. »Du rauchst sowieso zuviel, Richie.« Ich runzelte die Stirn. »Moment mal. Ich komme mit einer Schachtel zwei Tage aus und du brauchst ungefähr anderthalb Schachteln am Tag. Wer raucht dann wohl zuviel? Außerdem ist das momentan nicht das Thema, Dad.«

Ich hasste es, wenn mich jemand aufs Rauchen ansprach - wenigstens auf die Art. Zum einen hielt sich mein Zigarettenkonsum in Grenzen und zum anderen war ich mir durchaus bewusst, dass es nicht das Gesündeste war. Und last but not least interessierte mich das im Moment herzlich wenig. Es gab wichtigeres zu besprechen und dessen waren wir beide uns durchaus voll und ganz bewusst. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mein Vater versuchte ein wenig vom Thema abzulenken. Dad lächelte. »Okay. Der Punkt geht an dich.«

Nach einer Weile fuhr er fort: »Weißt du, Richie, bis vor ein paar Tagen war das für mich noch gar kein Thema und jetzt werde ich schlagartig damit konfrontiert. Wie gesagt, ich habe keine Probleme damit, aber bitte gib' mir etwas Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen, okay?« »Klar. So war das auch gar nicht gemeint. Es war nur so aus dem Gefühl heraus.« »Und wie meistens hast du damit richtig gelegen, Richie. Auf deine Menschenkenntnis kannst du wirklich stolz sein«, sagte Dad.

»Findest du?« Dad nickte. »Auf jeden Fall. Und wenn du dir bei Jason nach so kurzer Zeit so sicher bist, dann wird das mit euch beiden auch klappen.« Ich lächelte. Das hoffte ich selbstverständlich auch. »Was fasziniert dich eigentlich so an ihm?«, fragte Dad. Da brauchte ich nicht lange überlegen. »Ganz einfach: Er hat Humor, er hat Charakter, ein wunderschönes Lächeln und er sieht verdammt gut aus. Alles in allem die perfekte Mischung.« Dad lächelte. »Du bist wirklich in ihn verliebt, nicht war?« »Woran merkt man das?«, fragte ich trocken. »Die Frage war ja wohl rein rhetorisch, oder?«, lautete Dads ebenso trockene Gegenfrage. Ich nickte.

»Gut. Sag' mal, was war eigentlich vorhin mit ihm los?« »Wieso, was soll mit ihm losgewesen sein?« »Na ja, als ich hereinkam, hatte ich das Gefühl, dass irgendwas in der Luft hing. Außerdem hatte ich bei dir das Gefühl, dass du ihn nicht in Verlegenheit bringen wolltest.« »Hm. Ich denke, Jason wird dich irgendwann auch noch darauf ansprechen, aber erst mal hat er mich gebeten, dass das Ganze unter uns bleibt. Okay?« Dad nickte. »Okay, dann werde ich auch nicht weiter nachfragen.« Das schätzte ich so an meinem Vater - er fragte nie zuviel. Aber es war auch typisch für ihn, dass er sofort gemerkt hatte, was los war. Man konnte so schnell einfach nichts vor ihm verbergen.

Dad überprüfte noch einmal seine E-Mails, zwischenzeitlich war auch eine Nachricht von John eingetroffen. Die Jungs würden am Abend um 19:15 landen, zumindest planmäßig. »Dann hoffen wir mal, dass wenigstens dieses Mal das Gepäck mitkommt, oder?« »Naja, die Airline kann ja nicht jedes Mal die Koffer am falschen Flughafen landen lassen. Und zur Not müssten die Jungs auch noch Klamotten hier haben«, erwiderte ich. Dad nickte. »Hoffentlich, denn morgen abend noch etwas einkaufen, könnte zu knapp werden. Und wenn du noch drei Leute versorgen musst, dürften auch dir irgendwann die Kleidungsstücke ausgehen«, fügte er lachend hinzu. »Och, zur Not bleiben Jason und ich eben den ganzen Tag im Bett.« Dad schüttelte, immer noch lachend, den Kopf. »Das hättest du wohl gern. Und jetzt solltest du dich langsam hinlegen, es ist nach halb vier. Ich mach' hier auch Schluss.«

Als ich in mein Zimmer kam, war Jason schon eingeschlafen. Eine Weile stand ich da und betrachtete ihn im Licht der Schreibtischlampe, die noch eingeschaltet war. Er sah friedlich aus und ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu wecken. Ich zog mich leise um und legte mich dann zu ihm. Es dauerte nicht lange und ich war ebenfalls eingeschlafen.

9. What a difference a day makes

Dad ließ uns ungefähr bis elf schlafen, aber dann sorgte er dafür, dass Julian uns aus dem Bett warf. Nachdem wir auf mehrere Weckversuche nicht reagiert hatten, wickelte er mich schließlich in meine Bettdecke ein und schleppte mich ins Badezimmer. Erst als ich aufrecht stand, merkte ich was los war und konnte gerade noch verhindern, dass er mich, so wie ich war, unter die kalte Dusche stellte. »Soll ich Jason auch wecken?«, fragte mein Bruder mich zuckersüß. »Danke, das übernehm' ich selbst. Bei dir am frühen Morgen könnte er einen Schock bekommen.«

Eine halbe Stunde später saßen wir gähnend am Tisch. Außer Kaffee und ein paar Croissants war nicht viel übrig geblieben, der Tisch war schon abgeräumt und Dad war in der Praxis. Anne hatte den Dienst übernommen. Julian hatte um zwei die nächste Vorlesung an der Uni und war wieder in sein Zimmer verschwunden, um sich darauf vorzubereiten. Er nahm sein Studium sehr ernst und auch in den Semesterferien verbrachte er in meinen Augen viel zu viel Zeit mit dem Lernen.

Elijah lag mit der Zeitung auf der Terrasse und ließ sich braten. Als er uns in der Küche sah, faltete er die Zeitung zusammen und kam zu uns herein. »Na Jungs, auch schon wach?« Wir gähnten eine Zustimmung - vor meinem ersten Kaffee war ich ziemlich unausstehlich. Elijah spielte den Gentleman und schenkte uns Kaffee ein. »Seid ihr eigentlich schon wach genug, dass man mit euch reden kann?« Ich nickte. »Wenn du nicht gerade die Weltpolitik mit uns diskutieren willst, kein Problem.« Jason nickte ebenfalls.

Elijah winkte ab. »Keine Sorge, darum geht es nicht.« »Sondern?« Jason sah ihn erwartungsvoll an, während er seinen Kaffee umrührte. »Hm ... ich wollte ... also wenn es euch nichts ausmacht ...« Er stotterte ein wenig und ich sah, dass seine Ohren langsam rot wurden. Jason und ich grinsten uns an - wir ahnten beide was kommen würde. »Du wolltest?«, hakte ich nach. Elijah schluckte. »Ich wollte wissen, wie das ist, wenn man ... naja, wenn man in einen Jungen verliebt ist.« Jason zuckte mit den Schultern. »Vermutlich auch nicht anders, als wenn man in ein Mädchen verliebt ist.« Elijah sah in an. »Sicher?« Jason nickte. »Ich hab' zwar nicht viele Vergleichsmöglichkeiten, aber ich denke schon.«

Mein zukünftiger Schwager trank einen Schluck von seinem Kaffee. »Ich kann mir das gar nicht so richtig vorstellen.« Ich setze mich etwas enger neben Jason und legte ihm demonstrativ einen Arm um die Schultern. »Was kannst du dir nicht vorstellen?«, fragte ich. »Zum Beispiel einen Jungen zu küssen.« »Och, das ist ganz einfach.« Jason schluckte sein Croissant herunter und sah mich dann fragend an. Ohne ein weiteres Wort beugte ich mich zu ihm herüber und wir küssten uns lange und intensiv.

Elijahs Gesichtsfarbe war noch ein wenig dunkler geworden. »Super, jetzt weiß ich mehr.« Jason sah mit einem mitleidigen Blick zwischen uns beiden hin und her. »Also wenn es dir nichts ausmacht, können wir das auch gern ausprobieren.« Jetzt schoss Elijah wirklich die rote Farbe ins Gesicht. »Äh ... so war das ...« Jason sah mich fragend an. »Du oder ich?« Ich grinste. »Das überlass' ich dir. Elijah, versteh' das nicht falsch, aber wenn ich das mit dir zusammen ausprobieren würde, wäre mir der Zorn meiner Schwester sicher. Und Jason ist da eher neutral.« Jason lachte. »Na super. Oder ich bin derjenige, der den Schwall dann abbekommt. Vielen Dank auch, mein Schatz.«

Jason stand auf und sah Elijah erwartungsvoll an. Der schluckte - so ganz wohl war ihm offensichtlich immer noch nicht bei der Sache. »Okay, aber nur ein Kuss.« Nach einem kurzen Zögern fügte er hinzu: »Dann kann ich wenigstens mitreden.« Elijah stand ebenfalls auf. Ich verfolgte das Schauspiel interessiert, schließlich bekam man es ja nicht alle Tage zu sehen, dass zwei recht ansehnliche Jungs Zärtlichkeiten austauschten. Jason legte Elijah einen Arm um die Schulter und sagte: »Wenn es dir lieber ist, mach' die Augen zu.« Elijah nickte unsicher. Jason trat einen Schritt zurück.

»Hey, wenn du das nicht willst, du musst nicht.« Elijah grinste schwach. »Nun mach schon. Ich denke bei Richie bist du auch nicht so schüchtern, oder?« »Das ist was anderes. Aber bitte, wie du meinst.« Elijah schloss die Augen, Jason nahm ihn sanft in den Arm und küsste ihn dann auf die Lippen. Nicht so kurz, dass er gar nichts davon mitbekam, aber auch nicht so lange, dass ich eifersüchtig werden könnte.

Elijah öffnete die Augen wieder. »Hm.« Jason setzte sich wieder neben mich. »Und? War es so schlimm?« Elijah schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht. Aber ... ich weiß nicht, irgendwas fehlte mir.« Mit den Händen deutete er kurz weibliche Brüste an. Jason lachte. »Sorry, aber damit kann ich dir nicht dienen und darüber bin ich ehrlich gesagt auch ganz froh. Hey - wenn Richie und ich Sex haben, brauchen wir uns wenigstens keine Gedanken darüber machen, dass einer von uns schwanger wird.« Elijah wurde wieder knallrot und in diesem Moment kam Anne herein.

»Wer ist schwanger?« Jason und ich prusteten los und Elijah drehte sich schnell von ihr weg. »Keiner, Schwesterchen, mach' dir keine Sorgen. Wir haben nur ...« Elijah sah mich mit einem beschwörenden Blick an. Anne merkte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war und sah abwechselnd mit durchbohrendem Blick von einem zum anderen. »Jungs, was ist hier los?« Der Ton duldete keinen Widerspruch und Elijah gab sich geschlagen. »Jason und ich haben uns geküsst, weil ich wissen wollte, wie das ist, mit einem Jungen 'rumzuknutschen.« Anne musterte ihn. »Soso. Und?« Jason winkte ab. »Mach' dir keine Sorgen, Anne - ich denke wir haben es nicht geschafft ihn zu konvertieren.« Anne streichelte Elijah sanft mit der Hand über seinen Oberschenkel, woraufhin der sich schnell hinsetzte. »Na dann ist ja alles gut.« Sie küsste Elijah auf die Wange. »Und alles weitere erörtert ihr bitte ohne praktischen Unterricht. Ist übrigens noch Kaffee da?«

»Für dich immer.« Jason schob ihr die Kanne hin, während Elijah Anne unsicher ansah. »Du bist doch nicht sauer, Schatz?« Anne sah ihn mit einer Mischung aus Belustigung und Rührung an. »Es ist mir lieber wenn du das jetzt mal ausprobierst und merkst, dass du nichts damit anfangen kannst, als wenn du in ein paar Jahren einen Flash bekommst und unbedingt mit 'nem Typen 'rummachen willst. Alles klar?« Elijah lächelte dankbar. Auch wenn es nicht so ganz 'rüberkam, aber ich kannte Anne gut genug, um zu wissen, dass sie nicht wirklich wütend war. Aber ich wusste auch, dass sie bei mir vermutlich anders reagiert hätte. »Übrigens stand ich schon ein paar Minuten hinter der Tür, ich hab' alles mitbekommen. Also keine Sorge.«

Wir sahen sie überrascht an. »Du hast gelauscht?«, fragte Elijah. »Nein, aber ich hab' mitbekommen, dass Jason zu dir gesagt hast 'Du musst nicht, wenn du nicht willst' und da dachte ich, vielleicht platz' ich besser nicht rein. «Sehr rücksichtsvoll», meinte Elijah - etwas zynisch. Ich konnte mal wieder meine vorlaute Klappe nicht halten. «Dann sei' froh, dass du nicht erst 'reingekommen bist, als wir uns über Sexpraktiken unterhalten haben. Stell' dir mal vor, wir hätten Elijah ...» Weiter kam ich nicht, denn Anne warf lachend eine Zeitung nach mir. «Bruderherz, pass auf was du sagst.» «Typisch Frau, immer gleich brutal werden. Was machst du eigentlich hier, ich denke du bist in der Praxis?» Sie nickte. «Ja, eigentlich schon. Aber Dad hat gerade ein etwas ausführlicheres Beratungsgespräch mit einem Patienten und den Eltern, darum bin ich mit meiner Schicht fertig. Ab zwei bist du übrigens dran.»

Ich stöhnte auf. »Ach, Mist ... stimmt ja. Und nachher müssen wir die Jungs vom Flughafen abholen.« Anne nickte. »Ja, Dad hat beim Frühstück etwas davon erzählt. Das heißt dann wohl für die nächsten Tage volles Haus.« »Außer uns vier noch die Drillinge, Elijah und Jason. Wir hatten schon mehr Gäste hier«, meinte ich achselzuckend. »Um auf deine Schicht zurückzukommen: Von heute vormittag ist alles erledigt, allerdings spinnt die Praxissoftware ein wenig. Ich kann bei den Patientendaten die Krankenkasse nicht ändern und eine Umstellung von GÖZ auf die US-Tarife ist auch nicht möglich.« Ich sah sie fragend an. »Was willst du denn damit? Hast du dich bei der Eingabe verklickt oder was?« Anne sah mich missbilligend an. »Ich hab' das Teil zwar nicht programmiert, aber ich kann damit umgehen. Aber Chantal und Pierre Lévêque ziehen mit ihren Eltern nach Torrance und zumindest Pierre besteht darauf, bei Dad seine Behandlung abzuschließen.«

»Sorry, aber den Fall hatten wir noch nie, soweit ich mich erinnern kann. Und Dad wollte damals, dass man das über die Software nicht ändern kann. Aber ich kann die Datenbankeinträge per Hand ändern.« Anne lächelte. »Dann mach' das doch einfach und erzähl' mir nichts über die Technik. Ich bin für die sensiblen Patienten zuständig, während ihr Jungs das Grobe macht.« Jason und ich räusperten uns gleichzeitig. »Naja, Ausnahmen bestätigen die Regel. Und jetzt würde ich sagen: Ich überlasse euch eurem Frühstück und kümmere mich ein wenig um meinen Schatz.« Ich konnte nur erahnen, welchen Weg ihre Hand unter dem Tisch nahm, aber Elijahs Gesicht verriet mir genug.

Die beiden verschwanden, und Jason sah mich fragend an. »Das heißt, du musst heute nachmittag arbeiten?« Ich nickte. »Ja. Ich wäre eigentlich auch gestern dran gewesen, aber weil ich vorgestern für Anne eingesprungen bin ...« Jason lächelte. »Zum Glück. Kann ich in der Praxis bei dir bleiben, oder würde das stören?« Ich sah ihn überrascht an. »Bitte? Du? Eine Zahnarztpraxis betreten? Freiwillig?« Jason zuckte mit den Schultern. »Wenn ich mit dir zusammen bin ...« »Ich kann Dad ja mal fragen. Heute nachmittag ist nicht viel los, da wird er hoffentlich nichts dagegen haben. Aber wenn du da bist, rechne damit, dass er dich mit zur Arbeit einspannt.« »Arbeit?« »Laufbursche. Patienten aufrufen und so. Wäre insofern nicht schlecht, als dass ich mich dann in Ruhe um die Software kümmern könnte.«


Rip war einverstanden, aber an diesem Nachmittag war in der Praxis ohnehin wenig zu tun. Ich schaffte es, die Fehler in der Software zu beseitigen und Rip entließ uns beide bereits um halb fünf in den Feierabend. Wir hatten noch genügend Zeit uns umzuziehen und waren schon um halb sieben am Flughafen, um meine Cousins abzuholen. Durch die Bauarbeiten für die neue U-Bahn-Linie war eine der Zufahrtsstraßen gesperrt, aber trotzdem lief der Verkehr recht flüssig. Den Aufenthalt nutzten wir für einen Kaffee - oder wenigstens die für meinen Geschmack viel zu dünne Brühe, die als solcher verkauft wurde. Da Jason allerdings zufrieden war, lag das wohl doch eher daran, dass ich stärkeren Kaffee bevorzugte.

Um zwanzig nach sieben hörte ich, wie jemand quer durch die Empfangshalle meinen Namen rief - C.T., der sich durch die Menge kämpfte. »RICHIE! Hier sind wir!« C.T. winkte mir zu. Er und seine Brüder waren nicht zu übersehen, standen sie doch inmitten einer kleinen Ansammlung von Koffern. Außerdem hatte C.T. sich gerade seinen Pony blondiert, was zu seinen ansonsten sehr dunklen Haaren einen scharfen Kontrast bildete. Jason und ich begrüßten die Jungs und ich stellte ihnen Jason zunächst nur als einen Freund von mir vor, der auch für einige Tage bei uns zu Besuch war. Jason und ich hatten uns auf diese Variante geeinigt und auch meine Familie entsprechend geimpft, weil ich die Jungs mit dieser Nachricht nicht überfallen wollte.

»Wo gibt es hier was zu essen? Ich hab' einen Bärenhunger«, meldete sich Mikey zu Wort. Bobby, der dritte im Bunde, schüttelte den Kopf. »Du wirst dich doch mit Sicherheit noch ein paar Minuten gedulden können, oder? Ich denke Onkel Rip wird schon dafür sorgen, dass du nicht verhungerst.« Und zu mir meinte er grinsend: »Mikey frisst in letzter Zeit wie ein Scheunendrescher, also denk' dir nichts dabei.« Ich winkte ab. »Schon okay, das scheint wohl in der Familie zu liegen. Wir können aber für Mikey auch gerne noch ein belegtes Brötchen holen, wenn er es nicht mehr bis nach Hause aushält.« Mikey grinste. »Och, zwei Bigmacs würden mir für die Fahrt schon reichen.« Selbst C.T. fiel die Kinnlade herunter und der ließ sich normalerweise nicht so schnell aus der Ruhe bringen.

Also brachten wir schnell das Gepäck zum Auto und legten dann einen Zwischenstop beim nächstbesten Schnellrestaurant ein. Während des Essens erzählten die Jungs von ihren aktuellen Plänen, die ich aber teilweise schon von Elvis kannte. Weder Jason noch mir entgingen die verstohlenen Blicke, die die Jungs Jason zuwarfen. Ich grinste, sagte aber nichts. C.T. war schließlich derjenige, der Jason direkt fragte: »Sag' mal, du bist doch sicher auch ein Patient von Onkel Rip, oder?« Jason nickte. »Ja, bin ich. Wieso?« Die drei Jungs sahen sich abwechselnd fragend an. Mikey wurde es schließlich zu bunt und er fragte Jason direkt nach seinen Filmen. So war auch diese Frage schnell geklärt, und Mikey widmete sich seinem zweiten Bigmac. »Wenigstens kam keine Frage nach 'nem Autogramm«, raunte Jason mir ins Ohr. Bobby hatte mitgehört und grinste. »Die kommen später, keine Sorge.«

Als wir gegen neun Uhr zuhause waren, saß Rip mit der Zeitung und einem Glas Wein vor sich in der Küche. Die Jungs begrüßten ihn und natürlich gab es das übliche »Ihr seid ja groß geworden!« und was so dazugehörte. Mikey warf einen Blick auf den Herd und strahlte. »Schön, es gibt noch was zu essen.« Rip musterte ihn. »Es sollte mich wundern, wenn du noch Hunger hast, wo ihr doch schon ein paar Burger verdrückt habt?« Mikey sah ihn überrascht an. »Woher weißt du das denn?« Rip grinste. »Ganz einfach: Du hast noch Senf auf deinem Pulli. Aber um dich zu beruhigen: Ja, es gibt einen Auflauf mit Nudeln und Schinken.«

Die einzigen, die wirklich reinhauten, waren Mikey und Rip. Wir anderen waren noch satt von unserem Fast Food, aber Rip hatte den ganzen Abend noch nichts gehabt und Mikey aß momentan für drei, wie wir mittlerweile wussten. Nach dem Essen packten die Jungs erst mal ihre Sachen aus, während Jason und ich noch mit einem Glas Rotwein bei Rip saßen. »Und, wissen die Jungs Bescheid?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, es hat sich noch nichts ergeben, aber ich denke irgendwann werden wir es ihnen sagen müssen. Immerhin wäre es peinlich, wenn uns einer von ihnen plötzlich überraschen würde.« Rip zuckte mit den Schultern. »Naja, die Jungs sind 15. Und die werden auch schon das eine oder andere Angebot von männlichen Fans bekommen haben.« Ich nickte. »Ja, das ist aber immer noch was anderes.«

»Wie macht ihr das eigentlich normalerweise, wenn die Jungs da sind? Unternehmt ihr was mit ihnen?«, erkundigte sich Jason. »Wenn man die ganze Bande unter einen Hut bekommt, ja. Aber das ist schwierig.« Rip grinste. »Ihr könnt ja mal zu fünft für einen Tag in den Heidepark Soltau fahren.« Ich tippte mir an die Stirn. »Aber klar doch. Mit einer ganzen Horde Teeniestars in einen Freizeitpark.« »Hey!« Jason knuffte mir in die Rippen. »Also den Teeniestar habe ich ja wohl überhört. Aber ansonsten hast du wohl recht.« Er streckte sich. »Aber trotzdem bin ich dafür, dass wir uns das morgen überlegen, ich würde nämlich gern ins Bett gehen.« Der Blick, den er mir zuwarf, war eindeutig - schlafen wollte er noch nicht.

Wir wünschten Rip eine gute Nacht und gingen dann nach oben. »Wer geht zuerst duschen, du oder ich?«, fragte ich ihn. Er zuckte mit den Schultern. »Mir ist es egal, wir können auch gern zusammen gehen.« Ich grinste. »Ob das so eine gute Idee ist?« Ich ließ meine Hand unter sein T-Shirt gleiten und streichelte ihm über den Bauch. Er schnurrte und meinte: »Na und wenn schon - um die Zeit wird uns wohl kaum noch jemand stören. Julian schläft doch heute bei Natalie, oder?« Ich nickte. »Ja und die Jungs haben ein eigenes Bad. Also komm.«

Wir stellten uns gemeinsam unter die Dusche und ich seifte Jason vorsichtig den Rücken ein. Noch immer waren auf seinem Rücken die blauen Flecken zu sehen und ich passte auf, dass ich ihm nicht weh tat. Trotzdem zuckte er ein paar Mal zusammen. Ich küsste ihn sanft in den Nacken. »Keine Sorge, hier passiert dir nichts.« Er drehte sich um und nahm mich in den Arm. »Ich weiß und es ist auch nicht deine Schuld. Aber ich bin eben ziemlich empfindlich.«

Er musterte mich von oben bis unten, und sein Blick blieb an meinem besten Stück hängen. »Sag' mal ... seit wann rasierst du dich eigentlich da unten?« »Puh ... gute Frage. Seit mindestens einem Jahr, im Sommer ist es einfach angenehmer.« »Tut das weh?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mit ein bisschen Übung. Wenn man das mit einem Nassrasierer macht, hat man dasselbe Risiko, wie auch bei einer Rasur im Gesicht, dafür wird es aber gründlicher«, erklärte ich. »Hm. Ich hab' das noch nie ausprobiert.« Ich grinste. »Wenn du willst, zeig ich's dir«, bot ich ihm an. »Wächst das denn wieder nach?« Ich nickte. »Ja, schneller als dir lieb ist, glaub' mir. Hier, fühl selbst.« Er strich mit der Hand über meine leicht stoppelige Haut.

»Wenn du nichts dagegen hast, würd' ich dir gern erst mal dabei zusehen.« Ich nickte. »Kein Problem. Gib' mir bitte mal den Rasierschaum, der steht hinter dir.« Die Rasur war ziemlich schnell erledigt und meine Haut war wieder so glatt, wie ich es mochte. Jason strich noch einmal sanft darüber. »Fühlt sich gut an.« »Auf jeden Fall. Und bei gewissen Praktiken ist es angenehmer, wenn man keine Haare zwischen den Zähnen hat.« Jason fiel die Kinnlade herunter. »Wow, das war ziemlich direkt, du Lustmolch.« Ich grinste. »Was du schon wieder von mir denkst ...« Jason schüttelte lachend den Kopf. »Vermutlich genau das richtige. Aber okay, ich probier' es aus. Wenn ich mir dabei was abschneide, bist du aber Schuld.«

»Na dafür wird der normale Rasierer wohl kaum reichen. Aber wenn du willst, kann ich das auch übernehmen.« Jason sah mich mit großen Augen an. »Äh ... im Ernst?« Ich nickte. »Ja. Wäre nicht das erste Mal, ich hab' es Julian irgendwann mal gezeigt.« Jason sah mich verblüfft an. »Wie kam das denn zustande?« »Natalie hat mich irgendwann mal versehentlich dabei überrascht und fand es gut und da hat sie Julian so lange bekniet, bis er nachgegeben hat. Frag' mich aber nicht, ob er das immer noch macht.«

»Also ich weiß nicht ... ich würd' es ja schon gern mal ausprobieren, aber mir hat noch nie jemand ... na du weißt schon.« Ich küsste ihn auf die Lippen. »Überleg' es dir in Ruhe, muss ja auch nicht heute abend sein.« »Ach, was soll's ... viel schief gehen kann nicht. Und wenn doch, leidest du mindestens genauso darunter wie ich«, fügte er hinzu. »Aber den Rasierschaum trag' ich selbst auf, sonst kommen wir nämlich gar nicht mehr dazu.« Jason griff nach der Dose mit dem Schaum und verteilte diesen großzügig auf die zu rasierenden Hautstellen. »Und nun?«

»Ich hoffe, du bist nicht kitzelig. Das könnte jetzt nämlich zu unangenehmen Nebenwirkungen führen, also reiß' dich bitte zusammen. Und spann' die Bauchmuskeln an.« Er sah mich fragen an. »Ist das wichtig?« Ich grinste. »Nein, aber es fühlt sich gut an.« Er knurrte, lachte aber dabei. »Und jetzt leg' los.« Vorsichtig fing ich an und da Jason es schaffte still zu halten, war die ganze Prozedur nach ein paar Minuten beendet. Wir beide begutachteten das Ergebnis. »Sieht gut aus«, befand ich. Jason nickte. »Ja, aber ist ziemlich ungewohnt.« »Glaub' mir, daran gewöhnst du dich schnell.«

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Jason. »Hier in der Dusche oder gleich im Bett?« Er grinste. »Keine weiteren Fragen.« Wir duschten uns ab, putzten uns die Zähne und kuschelten uns dann ins Bett. Jason legte seinen Kopf auf meine Schulter und streichelte mir mit der Hand über den Bauch. »Es hat sich viel geändert in den letzten Tagen.« Ich kraulte ihm den Nacken. »Oh ja. Aber ich denke, bisher hat doch alles sein gutes gehabt, oder?« Jason lachte leise. »Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Jeremys Tipp, mal zu deinem Vater zu gehen, solche Folgen haben könnte.« Er schmiegte sich an mich und jedes weitere Wort war überflüssig ...

10. Original Sin

Am nächsten Morgen wurde ich von Jason wachgeküsst. »Hm ... das war schon immer mein Traum«, seufzte ich und schlang einen Arm um seine Schultern. »Hast du gut geschlafen?« »Ja, und du?«, erkundigte sich Jason. Ich nickte. »Bestens.« Ich schlug die Augen auf und grinste ihn an. »Das muss an deiner Gegenwart liegen.« Jason legte sich unter der Decke auf mich und küsste mich intensiv. In dem Moment, in dem er seine Zunge zwischen meine Lippen schob, ging plötzlich die Tür auf. Mikey stand darin und seine Gesichtsfarbe wechselte binnen weniger Sekunden von leicht gebräunt zu knallrot.

»Oh Shit ... ich glaub' ich stör' gerade.« Mit einem bedauernden Gesichtsausdruck glitt Jason wieder neben mich. Ich winkte Mikey heran. »Mach' die Tür zu und setz' Dich. Irgendwann hätten wir es euch ja sowieso sagen müssen«, stellte ich fest. »Ich ... äh ... ich wollte euch wirklich nicht stören, aber ich hab' euch reden gehört und dachte, ihr seid schon wach«, stotterte Mikey. Ich nickte. »Ja, wie du siehst sind wir das.« Mikey setzte sich aufs Sofa und betrachtete uns mit einer Mischung aus Überraschung und Neugier. »Ihr seid schwul?«, fragte er. Jason lächelte. »Wie man sieht, ja.« »Hm.«

Jason und ich sahen abwechselnd uns und Mikey an. Der sah abwechselnd zwischen uns hin und her und wusste nicht so richtig, was er sagen sollte. »So richtig schwul?«, hakte er nach. »Das kommt drauf an, was du unter richtig schwul verstehst.« Seine Gesichtsfarbe, die zwischenzeitlich wieder normal geworden war, wurde wieder etwas rötlicher. »Mein lieber kleiner Mikey, Du warst doch sicherlich auch schon mal verliebt, oder?«, erkundigte ich mich. Mikey nickte. »Ja, was hat das damit zu tun?« »Alles?«, antwortete ich. »Versteh' ich nicht.«

Jason zuckte mit den Schultern. »Na, das ist doch ganz einfach. Wenn du in jemanden verliebt bist, ist es egal, ob es ein Mann oder eine Frau ist, oder?«, erklärte er. »Ja, aber es ist doch ein riesiger Unterschied ob man was mit einem Mann oder einer Frau anfängt«, warf Mikey ein. »Technisch vielleicht«, antwortete ich. Mikey stand auf. »Sorry, Jungs, aber ich brauch' erst mal ein wenig Zeit.« »Äh ... Sekunde mal. Was wolltest du eigentlich, als du reingekommen bist?«, fragte ich. Er winkte ab. »Ist nicht so wichtig. Bis später.«

»Hm. Das hätte besser laufen können«, meinte Jason nachdenklich. Ich seufzte. »Naja, bisher lief alles ziemlich gut und über kurz oder lang war damit zu rechnen, dass jemand da etwas weniger Verständnis für hat. Außerdem ist der Kleine erst 15, also gib' ihm einfach etwas Zeit.« »Das sowieso. Aber trotzdem find' ich es schade. Was machen wir mit den anderen beiden, Bobby und C.T.?« Ich überlegte. »Am besten sagen wir es ihnen heute im Laufe des Tages. Es ist wohl besser, wenn sie es von uns erfahren, als von Mikey.« Jason nickte. »Na das auf jeden Fall. Soll ich dabei sein, oder willst du erst allein mit ihnen reden?« »Mal schauen was sich ergibt. Ich denke nur, dass wir nicht drumherum reden sollten, falls uns jemand allein fragt.«

Ich ging als erster ins Bad und dann nach unten in die Küche, um Kaffee zu kochen. Bobby war bereits da und stand vor dem Herd. Ich schnupperte. »Hm, Pfannkuchen?« Er nickte. »Ja, ich brauch' morgens etwas warmes im Magen.« Ich grinste. »Na ich hoffe, du hast an alle gedacht, ich denke mal, du bist nicht der Einzige, der sich damit anfreunden kann.« Er deutete kommentarlos auf die große Teigschüssel, die neben dem Herd stand. Während Bobby frischen Teig in die Pfanne goss, setzte ich Kaffee auf und fing dann an, den Tisch zu decken.

»Sag' mal, was war eigentlich vorhin mit Mikey los?«, fragte Bobby. Insgeheim hatte ich mit der Frage gerechnet. Ich lauschte kurz nach oben - Jason war offensichtlich noch im Bad. »Mikey ist heute morgen in mein Zimmer 'reingeplatzt und hat Jason und mich ... naja, in einer etwas verfänglichen Situation erwischt?« »Beim Poppen, oder was?«, lautete die ziemlich trockene Gegenfrage. Ich spürte, dass ich rote Ohren bekam - und das passierte nicht häufig. »Nein, so direkt dann doch nicht. Wie kommst du darauf?« Er zuckte mit den Schultern. »Das war blind geraten. Aber ich hatte gestern abend schon das Gefühl, dass ihr beide nicht nur Freunde seid.«

»Und du hast nichts gesagt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, wieso sollte ich? Das ist erstmal eure Sache. Und auch, wann ihr es wem sagt.« Ich nickte. »Freut mich, wenn du das so siehst. Allerdings sollte es auch euch gegenüber kein Geheimnis bleiben, sondern wir wollten auf den richtigen Moment warten.« Bobby grinste. »Zum Beispiel auf die Vorbereitungen fürs Frühstück?« Ich lachte. »Ja, zum Beispiel. Wie stehst du denn dazu?« »Richie, von mir aus könnt ihr machen, was ihr wollt. Ich hab' mir schon länger gedacht, dass du schwul bist und allein die Blicke, die du gestern ein paar Mal mit Jason getauscht hast, haben Bände gesprochen. C.T. denkt sich übrigens auch seinen Teil. Er ...«

Ich hob die Hände. »Moment, Timeout. Wieso denkt er sich seinen Teil? Hat er dich darauf angesprochen?« Bobby nickte. »Ja. Er hat zumindest dieselbe Vermutung geäußert, wie ich auch.« »Und wieso das?« »Ich weiß es nicht ... vielleicht hat er es einfach im Gefühl gehabt, vielleicht ist ihm auch aufgefallen, dass du ihn offenbar ganz besonders magst.« Ich errötete ein wenig. »Ich hatte gehofft, dass das keiner merken würde.« »Das dachte ich mir, Richie. Aber du erinnerst dich vielleicht noch an den einen Nachmittag, als C.T. den Abflug von seinem Skateboard gemacht hast. Du hast ihn verbunden und total lieb getröstet, während Mikey und ich nur daneben standen und nicht wussten, was wir tun sollte. Aber allein wie du ihn in den Arm genommen hast, das sprach für sich.« »Hey, das hätte ich bei dir oder Mikey aber auch getan, wenn es notwendig gewesen wäre. Außerdem war in dem Moment sicher kein anderes Interesse im Spiel.«

Bobby lächelte und legte mir eine Hand auf den Arm. »Keine Sorge, das behauptet auch keiner. Es ist mir nur einfach aufgefallen. Und offensichtlich nicht nur mir. Aber ich denke, das soll dir C.T. selbst erzählen.« »Meinst du, ich kann mit ihm darüber reden? Ich möchte nicht, dass das so endet wie mit Mikey.« Bobby seufzte. »Mikey ... das ist momentan ein ganz anderes Problem. Er ist so ein bisschen unser Spätzünder in manchen Dingen, dazu könnte dir Onkel Rip sicherlich noch was sagen.« Ich grinste. Dads Einsatz in Sachen Patientenrekrutierung machte auch vor der Familie nicht halt, wie ich aus eigener Erfahrung wusste. Und während von den Jungs C.T. das Glück gehabt hatte, um eine Behandlung drumherum zu kommen und Bobby und Elvis das ganze schon hinter sich hatten, war Mikey der einzige, dessen Behandlung noch nicht abgeschlossen war.

»Das ist aber nicht der einzige Grund«, fuhr Bobby fort. »Mikey hat eine Zeitlang ziemlich viel Fanpost von einem Typen bekommen, der sich offensichtlich in ihn verknallt hatte. Und nicht genug damit, dass er sich einmal pro Woche gemeldet hat, irgendwann stand er bei uns vor der Tür und hat Mikey zur Begrüßung erst mal abgeschleckt. Der war davon nicht gerade begeistert und der Typ ist erst abgezogen, als Dad ihm ziemlich deutlich gemacht hat, dass er Mikey in Ruhe lassen soll«, erklärte er. »Hm ... dann kann ich Mikey zumindest ein bisschen verstehen. Kannst du nochmal mit ihm reden?«, bat ich Bobby. Der schüttelte den Kopf. »Nein, Richie. Ich denke, das solltet ihr selbst mit ihm klären. Mikey mag dich genauso sehr wie wir alle, aber das solltest du - oder ihr beide - direkt mit ihm klären.« Ich seufzte. »Ja, da wirst du wohl recht haben.«

Bobby stellte schwungvoll den mittlerweile recht vollen Teller auf den Tisch. »So und wenn der Rest der Familie langsam auftaucht, können wir eigentlich frühstücken.« Wie aufs Stichwort kamen Jason und Rip herein. »Hm, das riecht gut hier. Kaffee und Pfannkuchen, das ist ja fast wie früher zuhause«, grinste Rip. Ich nickte. »Ja, bedank' dich bei Bobby, der steht seit über einer halben Stunde in der Küche.« »Und wenn wir hier noch länger 'rumstehen, wird das Essen kalt. Also haut 'rein.« Bobby setzte sich an den Tisch und lud sich den Teller voll, während ich Jason im Vorbeigehen einen Kuss gab und dann Kaffee verteilte. Rip hielt mir wortlos seine Tasse hin, er trank den ersten Becher morgens schwarz.

Nach und nach trudelte auch der Rest der Familie ein und für eine Weile waren wir alle mit dem Frühstück beschäftigt. Elijah, Jason und die drei Kleinen teilten sich ein Exemplar der London Times, während Dad, Anne und ich das Hamburger Abendblatt durchblätterten. Mikey sah ein paar Mal zu mir herüber, sagte aber nichts und hielt sich auch aus dem anschließend aufkeimenden Gespräch heraus. »Was habt ihr denn heute so vor?«, erkundigte sich Dad. Ich sah C.T., Bobby und Mikey an. »Wenn ihr Lust habt, können wir gern mal wieder 'ne kleine Sightseeing-Tour machen, oder sonstwas unternehmen. Jason hat auch noch nicht viel von Hamburg gesehen.« »Also ich nicht«, sagte Mikey knapp. Rip sah mich fragend, aber wortlos, an.

»Stand am Flughafen nicht gestern ein Schild 'rum, dass da eine neue U-Bahn-Linie eingeweiht werden soll, mit Party und allem drum und dran?«, fragte Bobby. Rip nickte. »Ja, aber die Einweihung soll erst im September sein, das ist also noch ein paar Wochen hin.« Rip sah auf die Uhr. »Himmel, es ist ja schon fast zehn ... gleich kommen die ersten Patienten. Anne, bist du startklar?« Sie nickte. »Ja, ich komme sofort.« Die beiden standen auf und gingen aus der Küche. Elijah trank seinen Kaffee aus und stand dann auch auf. »So, ich werde mich mal fertigmachen, ich muss noch was einkaufen. Bis später, Jungs.«

Schweigen breitete sich am Tisch aus. Bobby sah mich erwartungsvoll an, während sich C.T. noch ein Glas Milch einschenkte. »Und?«, fragte er niemand bestimmten. »Und was?«, kam von Mikey, leicht gereizt, zurück. »Woah ... da hat wohl jemand schlecht geschlafen.« »C.T., halt' die Klappe«, fuhr ihm Bobby über den Mund. Ich zündete mir eine Zigarette an. »Okay, jetzt mal ganz ruhig, alle miteinander. Mikey - hast du keine Lust etwas zu unternehmen, oder willst du einfach gerade keine Zeit mit Jason und mir verbringen?« Mikey sah mich kurz an, schüttelte den Kopf und stand dann auf. Ohne ein Wort ging er aus der Küche. »Mikey! Warte mal«, rief Bobby hinter ihm her, doch Mikey hörte nicht auf ihn. Bobby sah mich an. »Ich bin gleich wieder da. MICHAEL! Jetzt warte doch mal!«

C.T. schüttelte den Kopf. »Könnte mir bitte mal einer sagen, was los ist? Mikey ist schon den ganzen Morgen so komisch drauf.« Ich nickte. »Ja, das ist unsere Schuld.« Er sah mich überrascht an. »Wieso das denn?« Jason warf mir einen fragenden Blick zu. »Bobby weiß schon Bescheid. C.T. ... Jason und ich sind schwul. Und Mikey ist heute morgen in unser Zimmer 'reingeplatzt und hat uns überrascht.« C.T. grinste. »Also hab' ich doch richtig gelegen, dass du schwul bist. Meinen Glückwunsch, euch beiden.« »Danke«, gab ich trocken zurück.

Bobby kam wieder in die Küche und schob Mikey vor sich her. »So, jetzt setz' dich hin und red' wenigstens mit den Beiden.« Mikey sah ihn wütend an. »Du bist nicht Dad, also schreib' mir gefälligst nicht vor, was ich zu tun und zu lassen habe, okay?« C.T. legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder auf den Stuhl. »Dad ist momentan nicht hier und einer muss ja auf Dich aufpassen.« Mikey schlug seine Hand weg. »Misch' du dich da nicht auch noch ein.« »Jungs, jetzt beruhigt euch bitte mal. Bobby, C.T., ihr beide haltet euch jetzt bitte mal für einen Moment da 'raus. Und Mikey, du kannst mir vielleicht einfach mal sagen, was du für ein Problem mit uns hast.«

Mikey schnaubte. »Du willst wissen, was ich für ein Problem damit habe, dass du mit 'nem Typen 'rummachst? Richie - für dich mag das normal sein, für mich ist es das noch lange nicht.« Jason schüttelte etwas irritiert den Kopf. »Das ist deine Sache. Aber trotzdem hat es nichts mit dir zu tun, wenn Richie und ich schwul sind. Im Gegenteil - falls du Angst hast, dass dich einer von uns anbaggert, darf ich dich daran erinnern, dass wir beide zusammen sind. Also droht dir von uns keine Gefahr.« Der Tonfall, den alle Beteiligten anschlugen, gefiel mir überhaupt nicht - und noch weniger gefiel mir, dass sich die Jungs unseretwegen in die Haare bekommen hatten. Jason war merklich gereizt und da war er nicht der einzige.

Mikey sah Jason einen Moment lang an und sagte dann: »Und du glaubst allen Ernstes, ich lass' mir von einem Arschficker wie dir etwas sagen?« Mein erster Impuls war vom Tisch aufzuspringen, aber ich hielt mich zurück. Im Gegensatz zu C.T., der sich nicht ganz so gut im Griff hatte: Er gab Mikey eine Ohrfeige. »Pass' gefälligst auf, wie du mit den beiden redest, okay? Auch wenn es dir nicht passt, Richie ist dein Cousin und wenn Jason mit ihm zusammen ist, gehört er genauso zur Familie«, fauchte er seinen Bruder an.

Mikey hatte Tränen in den Augen und von seiner Lippe lief langsam ein schmales Rinnsal Blut herab. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und rannte nach draußen. C.T. stand wie erstarrt da. »Oh Scheiße. Das war wohl überzogen.« Ich nickte. »Allerdings. Ich werd' mal nach Mikey sehen.« Bobby hielt mich zurück. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, wenn du jetzt zu ihm hingehst?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sicher bin ich mir nicht. Aber ich denke momentan ist es ziemlich egal, wer bei ihm auftaucht, also kann ich auch genauso gut versuchen mit ihm zu reden.« C.T. starrte immer noch fassungslos seine Hand an. »Ich hab' Mikey noch nie geschlagen«, sagte er leise. Bobby nickte mir zu. »Okay, geh' du zu Mikey, ich kümmere mich um C.T.«


Mikey saß allein auf seinem Bett. Er sah mich nur schweigend an, als ich hereinkam. Ich zog ein Taschentuch aus der Hosentasche. »Du blutest.« Er nickte. »Ja, ich weiß.« »Halt' mal still, ich wisch' es ab.« Er bewegte sich nicht, als ich ihm die Tränen und das Blut aus dem Gesicht wischte. Ich warf das Taschentuch in den Papierkorb und hockte mich dann vor ihn hin. »Bobby hat mir erzählt, was dir vor ein paar Wochen passiert ist, mit diesem durchgeknallten Fan.« »So?« Ich nickte. »Ja. Mikey, ich weiß, dass es blöd klingt, aber das hätte genauso gut ein Mädchen oder eine Frau sein können.« »Ja, hätte. Es war aber nun mal ein Mann«, erwiderte er.

»Aber sind deswegen alle Schwulen gleich?« Er schnaubte. »Sieht so aus.« Ich schüttelte den Kopf. »Glaubst du denn allen Ernstes, dass ich erst seit ich Jason kenne, weiß, dass ich schwul bin?« Er sah mich an. »Was hat denn das damit zu tun? Du bist schwul und das reicht mir.« Ich nickte. »Ja, das bin ich. Aber ich bin es nicht erst seit gestern, ich weiß es von mir selbst schon seit einigen Jahren. Ich hab' es nur nie jemandem erzählt.« »Worauf willst du hinaus, Richie?« »Zum Beispiel darauf, dass du auch schon mit mir in einem Bett geschlafen hast. Und ich kann mich nicht erinnern, dass ich dir an die Wäsche gegangen wäre.« Er starrte an mir vorbei auf irgendeinen Fleck an der Wand oder auf dem Fußboden. »Nein, bist du nicht.«

»Siehst du. Bin ich je in der Dusche über dich hergefallen? Oder bin ich dir sonst irgendwie zu nahe getreten?« »Nein, aber ...« Ich schüttelte den Kopf. »Kein aber. Mikey, du bist mein Cousin und ich liebe dich wirklich. Aber auf eine völlig andere Art als Jason. Eher so wie Anne oder Julian.« Mikey sah mir in die Augen. »Richie, ich hab' momentan einfach ein Problem damit. Tu' mir bitte den Gefallen und akzeptier' das und versuch' nicht, mir das auszureden. Das würde nicht gutgehen.«

Ich stand auf. »Okay. Es ist deine Entscheidung. Ich möchte nur, dass du weißt, dass du jederzeit mit Jason oder mir reden kannst, wenn du willst, okay?« »Ich komme drauf zurück«, erwiderte Mikey. Allerdings klang es nicht so, als würde er es ernst meinen. Er legte sich auf sein Bett und schloss die Augen. Ich sah ihn noch einmal an, bevor ich aus dem Zimmer ging. Ich lehnte mich an die Wand und atmete tief durch, bevor ich wieder nach unten ging.

In der Küche sahen mich alle gespannt an. »Und? Wie ist es gelaufen?«, fragte Bobby. Ich winkte ab. »Vergiss' es. An Mikey kommt man momentan nicht 'ran.« C.T. saß immer noch zusammengesunken auf seinem Stuhl. »Das ist alles meine Schuld«, sagte er leise. »Nein, das ist es sicher nicht. Aber trotzdem solltest du dich bei Mikey entschuldigen.« Er sah mich an. »Jetzt gleich?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht und seit heute morgen kann ich ihn gar nicht mehr einschätzen. Ihr beide kennt ihn besser. Ich würde aber noch etwas ...« In diesem Moment klingelte das Telefon.

»Richie Masters«, meldete ich mich. »Rechtsanwälte Jameson & Bernstein, Scarborough, guten Tag. Ich verbinde Sie mit Mr. Jameson.« Es klickte kurz in der Leitung und dann meldete sich eine sonore Bassstimme. »Francis Jameson.« »Richard Masters. Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte ich mich etwas verwirrt. »Bin ich richtig verbunden, mit dem Anschluss von Dr. Ripley Andrew Masters?« »Ja, das ist mein Vater.« »Ist Dr. Masters zu sprechen? Es geht um eine dringende Familienangelegenheit.« »Äh ... einen Moment bitte, ich verbinde.« Ich wählte die Nummer des Empfangs in der Praxis, Anne ging sofort an den Apparat. »Ich hab' hier einen Rechtsanwalt Jameson, der will mit Dad sprechen«, erklärte ich ihr. »Stell' das Gespräch 'rüber, ich hole Dad.« Ich legte auf und setzte mich dann wieder an den Frühstückstisch.

»Was war denn das?«, fragte Jason. »Ich habe beim besten Willen keine Ahnung. Ein Rechtsanwalt aus Scarborough möchte Dad in einer dringenden Familienangelegenheit sprechen.« »Ich wusste gar nicht, dass ihr auch Verwandtschaft in England habt«, erwiderte Jason. »Ich auch nicht.« Ich sah ratlos in die Runde. Bobby, C.T. und ich grübelten eine Weile darüber nach, worum es gehen konnte, kamen aber zu keinem Ergebnis.

Nach ein paar Minuten kam Anne herein. »Ich weiß zwar nicht, was dieser Anrufer wollte, aber Dad hat mich kurzfristig gebeten alle Termine für die nächsten Tage abzusagen und Julian anzurufen. In einer halben Stunde sollen wir bei ihm im Büro sein.« Wenn Dad die Termine für die Praxis absagte, war es wirklich etwas ernstes - das hatte ich bisher nur einmal erlebt, als er mit einer schweren Grippe im Bett gelegen hatte. »Hat er gar nichts gesagt worum es ging?«, fragte ich. Anne schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hab' nur noch mitbekommen, dass er anschließend beim Flughafen angerufen hat.«

»Was ist mit uns, sollen wir auch dabei sein?«, fragte Bobby. Anne schüttelte den Kopf. »Nein, sorry. Rip hat mir extra gesagt, dass er erst mal nur mit Richie, Julian und mir sprechen will.« Jason sah Bobby und C.T. an. »Dann müssen wir wohl sehen, dass wir die Zeit anders totschlagen.« C.T. grinste. »Also ich hätte da durchaus noch ein paar Fragen an dich. Und ansonsten können wir ja draußen eine Runde Basketball spielen.« »Aber vorher räumen wir hier noch auf«, unterbrach ich C.T.s Ideenfluss. Bobby grinste. »Ihr räumt hier auf, ich hab' das Frühstück gemacht. Und ich werde mich in der Zwischenzeit mal um Mikey kümmern.«

Der Tisch war schnell abgeräumt und Jason und C.T. boten sich an abzuwaschen. Anne und ich gingen für einen Moment an die frische Luft. »Dad sah vorhin überhaupt nicht gut aus«, sagte Anne. »Wieso?« »Ich kann es dir nicht genau sagen, aber ich hatte den Eindruck als wäre er völlig durch den Wind. Du kennst Dad - er ist manchmal schwer zu durchschauen.« Das stimmte allerdings. Es kam nicht oft vor, aber manchmal war es einfach unmöglich dahinter zu kommen, was in Dad vorging.

Anne und ich überlegten noch einen Moment, was passiert sein konnte, hatten aber immer noch keine Idee. Auch Julian, der zwischenzeitlich eingetroffen war, konnte sich nicht vorstellen was los war. Die nächste Überraschung erlebten wir, als wir in Dads Büro kamen: Es war das erste Mal, dass wir unseren Vater weinen sahen ...

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