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Little Lies
Teil 8
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Informationen
- Story: Little Lies
- Autor: Rick
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Coming Out, Lovestory
Luke saß im Wohnzimmer in Gedanken versunken auf der Couch. Als ich hereinkam, blickte er auf. »Hey, Kleiner.« »Hi Großer. Darf ich mich zu dir setzen?« An irgend etwas erinnerte mich diese Frage ... ich kam nur im Moment nicht drauf, was es war. »Blöde Frage ... natürlich. Und vielleicht kannst du mir erklären, was vorhin los war?« Ich nickte. »Ja, aber bitte sag' Mum nicht was passiert ist, okay?« »Jetzt erzähl' erst mal«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an.
»Dass ich schwul bin, hast du dir wohl mittlerweile denken können, und auch dass Lars mein Freund ist.« Luke nickte. »Ja. Ich hätte zwar nicht damit gerechnet, aber das war vorhin offensichtlich.« Ich wusste nicht so recht wie ich weitererzählen sollte. Luke sagte nichts und ließ mich gewähren. »Was hast du vorhin eigentlich mitbekommen?« »Hm ... ich war dabei, etwas für eine Vorlesung vorzubereiten. Plötzlich hab' ich deinen Schrei gehört und bin sofort zu dir ins Zimmer. Dort standet ihr beide, Lars hatte seine Hand in deiner Hose - und du hattest offensichtlich gerade ausprobiert, ob du es schaffst, ein Glas mit der Hand zu zerdrücken.«
»Das war aber nicht die Schuld von Lars. Wir wollten uns einfach ein bisschen näher kommen, und ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich plötzlich von meinen Erinnerungen eingeholt werden würde. Das Glas ... das wollte ich einfach nur zur Seite stellen.« Luke schüttelte langsam den Kopf. »Oh Mann, wie lange wird es wohl noch dauern, bis du das endlich hinter dir hast, hm?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Luke, ich weiß es wirklich nicht. Karin und Rip haben mich beide gewarnt, dass das passieren könnte, aber ich wollte ja nicht auf sie hören.« »Inwiefern haben sie dich gewarnt? Wussten sie schon etwas davon?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke sie haben eher mit einem Mädchen gerechnet, und dann hätte das ganze vielleicht noch anders ausgesehen. Aber beide haben mich gewarnt, dass ich bei sexuellen Kontakten mal ein Déjà-vu-Erlebnis haben könnte.«
Luke schwieg, und schließlich fragte ich ihn: »Ich hoffe, du kannst damit umgehen, dass ich schwul bin?« Luke zog die Augenbrauen hoch und knuffte mich sanft in die Rippengegend. »Hey, Kleiner - du bist mein Bruder, ich liebe dich - das ist überhaupt keine Frage. Die entscheidende Frage ist aber, wie du damit umgehen kannst.« »Hm, ich denke, das wird schon.« Luke legte mir - in bester Erinnerung an frühere Zeiten - seinen Arm um die Schulter. Dass er keine Probleme damit hatte, mich zu berühren, wertete ich schon mal als positives Zeichen. »Janosch, ich denke, ich kann auch für Mum mit sprechen, wenn ich dir jetzt sage, dass wir alles tun werden, um dir zu Seite zu stehen - ich glaub' 'Dir zu helfen' wäre jetzt wohl der falsche Ausdruck, oder?« Ich grinste ein wenig. »Ich weiß es nicht. Heilbar ist das ja angeblich eh' nicht, und wenn ich an Lars denke, dann will ich das auch gar nicht. Ich bin einfach glücklich mit ihm.«
»Das hoffe ich. Janosch, egal was ist, Du bist mein kleiner Bruder und wirst es immer bleiben.« Als Luke das sagte, musste ich an die Zeit vor drei Jahren denken - Luke war derjenige gewesen, der den Stein ins Rollen gebracht hatte. Plötzlich wurde ich müde - der Nachmittag war doch recht anstrengend gewesen, ich war erschöpft und wurde von meinen Erinnerungen überrollt - Erinnerungen an die schönen Momente, die ich mit Luke und Mum verlebt hatte. Es dauerte nicht lange, und ich schlief ein ...
Ungefähr eine Stunde später wachte ich wieder auf - Luke war ebenfalls eingeschlafen. Ich sah nach draußen, der Himmel hatte sich bezogen. Gerade fielen die ersten Regentropfen, begleitet von einem dumpfen Grollen. Das sah mir ganz nach einem Gewitter aus. Ich holte mir meine Regenjacke und schrieb dann eine kurze Nachricht für Luke, die ich ihm auf den Tisch legte. Nach kurzem Überlegen schrieb ich noch dazu, dass er Mum erst mal nichts sagen sollte, und steckte ihm den Zettel zusammengefaltet in seine Zigarettenschachtel.
Die Luft draußen war richtig feucht und warm - man ging drei Schritte und war sofort durchgeschwitzt. Ich war froh, dass ich unter meiner Jacke nur ein dünnes T-Shirt anhatte. Ich lief die Straße hinunter in Richtung Elbufer. Bei diesem Wetter würden dort unten nicht viele Leute sein, und ich wollte einfach ein bisschen nachdenken und den Kopf freibekommen. Das konnte ich am besten, wenn ich einen Spaziergang machte. Ich machte noch einen kurzen Abstecher zu Rips Haus und nahm Rinty mit, der sich über den Auslauf bestimmt freute - er konnte zwar auf dem großen Grundstück nach Herzenslust herumtoben, aber über einen Spaziergang hatte er sich auch noch nie beschwert. Nick war dabei, in der Praxis die Quartalsabrechnung zu machen, und Jason kümmerte sich ums Abendessen für den Masters-Clan. Richie war vor einigen Tagen nach Los Angeles geflogen, um sich dort an der UCLA vorzustellen.
Von Rips Haus aus waren es ungefähr vierhundert Meter bis an die Elbe, und der Weg, den ich dort immer ging, war ruhig und abgelegen. Zum Glück war diese Ecke von Hamburg nicht so sehr von Touristen überflutet, und der nächste Fähranleger war einige Kilometer weiter flussabwärts gelegen. Hin und wieder stand ich einfach nur am Ufer und beobachtete die Schiffe mit ihren unterschiedlichen Namen und Landesflaggen. Und manches Mal hatte ich mir während solcher Nachmittage gewünscht, einfach so mit irgendeinem dieser Schiffe mitzufahren, irgendwo hin. Amerika würde mir natürlich gefallen - Rip hatte uns alle letztes Jahr eingeladen, und wir hatten drei Wochen in Kalifornien verbracht. Ich durfte dort, wenn jemand dabei war, sogar selbst Auto fahren, aber Mum war strickt dagegen, dass ich mit 16 schon meinen Führerschein machte.
Und jetzt war auf einmal alles anders. Ich hatte Lars ... ich liebte ihn, und er liebte mich offensichtlich auch. Das war etwas völlig anderes als die Art von Liebe, die ich bisher gekannt hatte. Wenn ich an Lars dachte, spürte ich dieses gewisse Kribbeln. Und gleichzeitig hatte ich Angst davor, wie ich beim nächsten Mal reagieren würde, wenn wir versuchten, ein bisschen zärtlich zueinander zu sein. Mir war heute Nachmittag deutlich klar geworden, dass ich meine Gefühle noch nicht im Griff hatte, und das tat mir irgendwie weh. Ich konnte es nicht beschreiben, aber am treffendsten wäre wohl der Ausdruck Wut - Wut auf mich selbst, weil ich nicht aufgepasst hatte (und Rip und Karin nicht zugehört hatte), und Wut auf meinen Vater, dem ich diesen Schlamassel überhaupt zu verdanken hatte.
Plötzlich sah ich wieder Lars' verzweifelten Blick vor mir, die Angst, irgendetwas falsch gemacht zu haben, die ihm deutlich in die Augen geschrieben stand. Mir wurde kalt, und ich sehnte mich einfach nur danach, ihn in den Arm zu nehmen und ihn ein bisschen zu trösten. Und gleichzeitig brauchte ich jemanden, der mich ein bisschen aufbaute ... als hätte Rinty etwas gemerkt, stupste er mich mit seiner Schnauze an und leckte mir dann freundschaftlich über die Hand. Hatte nicht mal irgendjemand gesagt: »Je besser ich die Menschen kenne, desto mehr liebe ich die Tiere?« Einerseits passte das, andererseits auch wieder nicht - ich hatte ja nichts gegen die Menschen um mich herum.
»Hey, Janosch, was machst du denn hier?« Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und blickte auf. Norman stand vor mir, ein Junge aus unserer Gruppe, der etwas älter war als ich. »Ich hab' einen kleinen Spaziergang gemacht.« Rinty, der Norman schon vor mir bemerkt hatte, stellte die Nackenhaare auf und spitzte die Ohren. Ich streichelte Rinty über den Kopf. »Ganz ruhig, Kleiner, das ist ein Freund von mir.« Norman lächelte. »Beißt der?« »Nur wenn er nicht gefrühstückt hat, sagt sein Besitzer immer, aber ich glaube das hat er. Eigentlich ist er ganz zutraulich, nur auf Fremde reagiert er immer übervorsichtig.«
Norman ging in die Hocke und hielt Rinty dann vorsichtig seine offene Hand hin. »Alles okay, ich tu' dir nichts«, sagte er dann leise. Rinty beschnupperte ihn und war offensichtlich derselben Ansicht, jedenfalls hatte er sich ganz schnell wieder beruhigt. »Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte Norman mich dann. Ich nickte. »Klar. Was verschlägt dich eigentlich um diese Zeit hierher?« Ich hatte Norman schon ein paar Mal in unserem Viertel getroffen und wusste auch aus der Gruppe, dass er hier wohnte, aber das war das erste Mal, dass wir uns außer der Reihe unterhielten.
»Ich war bei meinen Großeltern zu Besuch, Rasenmähen und so - die können das beide einfach nicht mehr so gut. Und ich lauf' gern hier lang, gerade wenn nicht viel los ist.« Ich grinste. »Geht mir genauso - hier kann man gut nachdenken.« Norman sah mich fragend an. »Wieso, gibt's einen besonderen Grund dafür?« Ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, was los war - andererseits musste er nicht gleich alles wissen. »Sag' mal, erinnerst du dich noch, dass Karin uns vor ein paar Sitzungen mal gesagt hat, dass wir damit rechnen müssten, mit unseren Erinnerungen konfrontiert zu werden?« Norman nickte. »Ja, klar. Oder meinst du etwas bestimmtes?« »Naja ... wenn man einem Menschen bewusst näherkommt.«
»Hm ... ja. Ich denke, die Erfahrung wird jeder von uns machen, früher oder später.« Ich überlegte mir jedes Wort genau - ich wusste selbst, wie ich auf manche Dinge reagierte und wollte Norman nicht verletzen. Schließlich entschied ich mich doch für die direkte Frage. »Ist dir das schon mal passiert?« Er grübelte ein wenig über die Frage nach, und ich zündete mir währenddessen eine Zigarette an. »Hast du einen besonderen Grund, dass du danach fragst?« Er warf dabei einen prüfenden Blick auf meine verbundene Hand. Ich nickte nur, statt wirklich zu antworten.
Norman erzählte einfach ein bisschen. »Als ich letztes Jahr meine Freundin kennengelernt habe, hat es sehr lange gedauert, bis wir uns überhaupt mal in den Arm genommen haben. Sie wusste natürlich von nichts, und ich hatte einfach noch keine Gelegenheit gehabt, ihr alles zu erzählen. Ich wollte es auch nicht, weil meine erste Freundin danach mit mir Schluss gemacht hatte und meinte, ich wär' dann ja wohl sowieso 'ne Schwuchtel.« Bei dem Begriff zuckte ich zusammen. Norman ließ sich nicht anmerken, ob er davon etwas bemerkt hatte, und erzählte weiter. »Naja, schließlich trafen wir uns mal in der Stadt, als ich gerade auf dem Weg zur Gruppe war. Sie sah, wo ich hinwollte, und am nächsten Tag erzählte ich ihr schließlich doch alles. Naja, sie hat mir erst mal zugehört, und dann haben wir alles Weitere ganz ruhig angehen lassen. Ich find's einfach genial, wie sie damit umgeht - sie geht total auf mich ein, mittlerweile läuft echt alles super zwischen uns.«
Er machte eine Pause und fragte dann: »Hast du einen besonderen Grund danach zu fragen?« Ich überlegte noch, wie weit ich ihm davon erzählen sollte, aber einerseits konnte ich jetzt nicht mehr zurück und andererseits schien Norman mir nicht der Typ zu sein, der Menschen nach irgendwelchen Klischees beurteilte. »Ja, habe ich ... ich war heute soweit«, antwortete ich. »Und? Erzähl', wenn du magst.« »Naja, ich hab' sämtliche Ratschläge von Karin in den Wind geschossen und es einfach drauf ankommen lassen. Und das Resultat war ein Flashback erster Güte. Ich hab' erst wieder mitbekommen was um mich herum passiert ist, als ich ein Glas mit der Hand zerdrückt hatte.« Norman nickte in Richtung des Verbandes. »Kommt der davon?« Ich nickte. »Ja.«
»Und, hast du ihr anschließend davon erzählt - ich meine, deine Vorgeschichte?« Ich druckste ein wenig herum. »Na ja ...« Norman wartete, ob noch etwas kam, was aber nicht der Fall war. »Oder warst du in dem Moment zu fertig?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, erzählt habe ich es schon - ich weiß nicht, was sonst passiert wäre, aber wir wären wohl beide durchgedreht.« »Aber? Da kommt noch doch was hinterher?« Ich nickte. »Nicht ihr, sondern ihm.« Norman sah mich fragend an. »Wem?« »Naja ... meinem Freund. Eine Freundin gibt es nicht und wird es wohl auch nicht geben.« »Ach, daher weht der Wind.« Ich nickte nur. Norman lächelte ein wenig. »Das erklärt dann wohl auch, warum du gerade eben einen Moment lang so zusammengezuckt bist, hm?«
»Was meinst du?« »Naja, als ich von meiner ersten Freundin erzählt habe. Ich hab's gemerkt, Janosch, aber ich wollte in dem Moment nicht nachfragen.« Dann hatte ich ihn wohl doch unterschätzt. »Hey, mach' dir keine Sorgen - ich hab' nichts gegen Schwule, ehrlich nicht.« »Dann hätte ich dich auch sehr falsch eingeschätzt. Aber ich hab' mir gerade eben schon ein wenig Sorgen gemacht, und ich fühlte mich so ein bisschen in die Enge gedrückt.« Norman legte mir vorsichtig eine Hand auf den Arm. »Tut mir wirklich leid, Janosch - ich wusste nichts davon, sonst hätte ich das anders formuliert.« Ich nickte. »Ist schon in Ordnung.«
»Weiß deine Familie eigentlich etwas davon?« »Mein Bruder mittlerweile, ja - der ist vorhin 'reingeplatzt, als das mit Lars passiert ist.« Okay, das konnte Norman noch nicht wissen, also erzählte ich ihm kurz was passiert war. Als ich davon erzählte, wie ich von diesen Erinnerungen an meinen Vater überrollt wurde, wusste ich nur zu gut, dass er mich verstand - schließlich hatte er das selbst erlebt, allerdings noch viel brutaler. Er hatte heute noch einige Narben im Gesicht, die aus dieser Zeit stammten.
»Und wann willst du es deiner Mutter erzählen?« »Mal schauen, ich denke, heute Abend. Luke wird ihr bestimmt nichts erzählen, aber irgendwann muss ich es ihr wohl sagen.« »Hast du Angst davor?«, erkundigte sich Norman. »Nein. Meine Mutter ist wirklich in Ordnung, sie hat mir auch damals sehr geholfen. Bis auf meinen Vater ist meine Familie echt okay, aber ich denke, der hätte Stress gemacht.« Norman nickte.
Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. Es war für uns beide das erste Mal, dass wir außerhalb der Gruppe miteinander Kontakt hatten, und wir verstanden uns hervorragend. Das lag mit Sicherheit nicht nur daran, dass wir ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Auch sonst lagen wir in vielen Dingen auf einer Wellenlänge. Und was ich auch als gutes Zeichen wertete: Rinty mochte Norman offensichtlich. Jedenfalls war er friedlich geblieben und ließ sich irgendwann sogar von ihm streicheln, und das tat er nun wirklich nicht bei jedem.
Als es langsam dunkel wurde, brachen wir beide auf. Wir gingen den Weg ein Stück zusammen zurück, aber schließlich bog ich ab, weil ich ja noch Rinty bei den Masters abliefern musste. Nick und Jason saßen auf der Terrasse und spielten eine Partie Schach, während Rip sich der Zeitung widmete. »Hi Janosch, lange nicht gesehen«, begrüßte er mich lächelnd. »Tja, du weißt doch - Schüler haben in den Ferien absolut keine Zeit.« Rip sah mich prüfend an. »Sag' mal - ohne dir zu Nahe treten zu wollen, aber irgendwie siehst du seltsam aus. Einerseits glücklich, andererseits hundemüde. Was ist los mit dir?«
»Schachmatt«, grinste Jason in diesem Moment in Nicks Richtung und unterbrach damit unser Gespräch. Nick schaute mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck auf das Spielfeld und nickte dann. »Jo - da war beim besten Willen nichts mehr zu machen. Glückwunsch.« Er reichte Jason die Hand, und dann begrüßten die zwei mich ebenfalls. »Setz' dich, Janosch, willst du was trinken?« »Irgendwas Kaltes, aber macht euch keine Umstände wegen mir.« »Kein Problem, ich hol' dir was.« Nick stand auf und kam kurze Zeit später mit ein paar Flaschen Malzbier wieder.
»So, und jetzt erzähl' - was ist los?«, wollte jetzt auch Jason wissen. Wieder diese Unsicherheit - wobei ich mir gerade bei Nick und Jason keine Sorgen zu machen brauchte, und auch Rip würde damit wohl kein Problem haben. Trotzdem - so ganz daran gewöhnt hatte ich mich noch nicht. Aber irgendwo war das hier meine letzte Generalprobe, bevor ich Mum einweihen konnte. »Naja, ich bin ... ich ... ich hab' da jemanden gefunden«, fing ich an. Rip lächelte. »Unser kleiner Janosch ist jetzt also auch in festen Händen? Erzähl'.« Jason grinste ebenfalls. »Genau - wer ist die glückliche?«
Jetzt grinste ich. »Er heißt Lars, ich hab' ihn vor gut zwei Wochen hier bei Euch kennengelernt.« Rip sah kaum anders aus als vorher, aber Nick und Jason waren ziemlich überrascht. »Du auch???« Ich nickte. »Ja, ich auch.« Jason stand auf und nahm mich in den Arm. »Hey, Janosch - versteh' mich jetzt bitte nicht falsch, aber das freut mich um so mehr.« Ich erwiderte die Umarmung. »Keine Sorgen, ich denke ich weiß schon wie das gemeint ist.« Nick begnügte sich mit einem Handschlag. »Also, vermutet hätte ich das ja nicht unbedingt.« Rip nickte zustimmend. »Ja, ich ehrlich gesagt auch nicht - vor allem bei deiner Vorgeschichte, Kleiner.« Er verwuschelte mir die Haare ein bisschen.
»Hm ... am Anfang war's auch nicht ganz einfach, aber ich denke, wir werden das hinbekommen.« Rip nickte. »Da bin ich mir sicher. Und zur Not hast du ja drei kompetente Ansprechpartner, die schon ein bisschen Erfahrung haben, oder, Jungs?« Jason nickte stellvertretend für Nick und für Richie, der nicht dabei war. »Kein Problem, Janosch - wenn du Fragen hast, sprich' einfach einen von uns an.« »Sag' mal, wissen Lynn und Luke eigentlich schon Bescheid?«, erkundigte sich Rip. Das war mal wieder typisch für ihn - er dachte immer an alles.
Ich schüttelte den Kopf »Nein, zumindest Mum weiß noch nichts, aber Luke hat es vorhin ... naja, sagen wir mal, unfreiwillig erfahren.« Fragende Blicke - das war klar. Ich erzählte die ganze Geschichte von Anfang an. Als ich bei der Stelle mit dem Glas und den Erinnerungen angekommen war, waren alle drei deutlich betroffen. »Ich denke, das wird dir noch manches Mal passieren, Janosch«, sagte Rip nachdenklich. »Wie hat Lars denn reagiert, nachdem du ihm alles erzählt hattest?« »Er hat wohl ziemlich gut reagiert, denke ich - auch wenn er selbst nicht so recht wusste, was er jetzt tun sollte. Ich denke, er wird noch einige Fragen haben, und so wie ich ihn einschätze, wird er jetzt sehr vorsichtig sein.«
Jason und Nick standen auf. »Wir lassen euch zwei mal ein bisschen alleine, dann könnt ihr ungestört miteinander reden«, sagte Nick. Im Vorbeigehen klopfte er mir auf die Schulter. »Janosch, ich wünsch' euch beiden alles gute, und wie gesagt - wenn du Fragen hast, dann melde dich, okay?« Ich nickte. »Mach' ich, danke, Nick.« Er zwinkerte mir zu. »Kein Problem, gern geschehen.« Rip lehnte sich zurück. »Wann willst du Lynn davon erzählen? Oder willst du damit noch warten?« »Ich denke, ich werd's ihr nachher sagen, wenn ich nach Hause komme. Mum wird sowieso fragen, was mit meiner Hand passiert ist, und ich mag es nicht, ihr etwas vorzulügen. Außerdem wisst ihr zwei schon Bescheid - du und Luke - und für euch wär's auch blöd, wenn ihr ständig aufpassen müsstet, euch nicht zu verquatschen.«
»Hm.« Rip zog eine Augenbraue hoch. »Das ist zwar lieb von dir gedacht, Janosch, aber du solltest erst mal an dich denken und nicht an uns.« Ich nickte. »Ja, trotzdem. Ich mache mir eigentlich keine Sorgen darüber, wie Mum das Ganze aufnehmen wird, und warum sollte ich es ihr nicht sagen? Ich hab' auch keine Lust mich mit Lars vor ihr zu verstecken.« Rip nickte. »Verständlich.« Ich grinste. »Und vielleicht habt ihr dann ja auch bei eurem nächsten Rendezvous etwas zu bereden.« Wenn ich das Thema hätte wechseln wollen - das war mir gelungen. Rip sah mich etwas überrascht an. »Wie meinst du das denn?«
»Naja, ihr trefft euch in letzter Zeit immer öfter - Kino und so, ihr wart zusammen essen, und wenn ihr zusammen seid ... Rip, bitte. Ich kenne diese verliebten Blicke noch von Luke und Jessica, auch von Jason und Richie. Außerdem hast du mich vor ein paar Tagen gefragt was ich dazu sagen würde, du erinnerst dich?« Rip nickte. »Ja, klar.« »Na also. Wie gesagt - ich würde mich für euch beide freuen.« Rip lächelte. »Ich hatte gehofft, dass ihr damit einverstanden seid.« »Wissen deine Kids schon was los ist?« Rip schüttelte den Kopf. »Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber ich denke, sie werden sich auch ihren Teil denken können.«
»Sag' mal, wie spät ist es eigentlich? Ich hab' meine Armbanduhr im Badezimmer liegen gelassen.« Rip sah auf die Uhr. »Kurz vor elf.« »Ups. Dann sollte ich langsam mal zusehen, dass ich nach Hause komme.« Rip stand auf. »Ich bring' dich schnell hin, wenn du willst - ich brauch' eh' noch Zigaretten.« Eigentlich lohnte es sich nicht wirklich, die paar Meter mit dem Auto zu fahren, aber ich war schon ein wenig müde und hatte nichts dagegen einzuwenden.
Auf der Fahrt wechselte Rip noch einmal völlig das Thema. »Janosch, ich hätte da noch mal 'ne Frage an dich.« »Klar, schieß' los.« »Richie ist ja momentan in L.A., und Nick wird nächste Woche für drei Wochen nach Scarborough fliegen, um Daveys Eltern zu besuchen - du erinnerst dich vielleicht noch an sie, sie waren ja mal hier.« Ich erinnerte mich nicht nur deswegen daran - schließlich war auch David eine Zeit lang dort untergekommen. Außerdem hatte ich eine dunkle Ahnung, worauf Rip abzielte. »Und weiter?«, hakte ich nach. »Naja ... Julian übernimmt in der Praxis die Assistenz, aber wir bräuchten noch jemanden, der ein paar Tage am Empfang mit aushilft. Das ist nicht besonders schwer, und ich würde dir die Arbeit selbstverständlich bezahlen.«
Ich hob die Augenbrauen. »Äh ... ich weiß nicht, Rip. Du erinnerst dich vielleicht, dass ich im Normalfall schneller aus der Praxis 'rausgerannt bin als ich drin war?« Rip nickte. »Klar. Darum bitte ich dich ja auch nicht um Stuhlassistenz, sondern lediglich um den Verwaltungskram. Janosch, du musst das selbstverständlich nicht machen. Aber ich kenne dich, ich vertraue dir, und dadurch dass du oft bei uns bist, kennst du auch den Ablauf in der Praxis schon ein bisschen. Außerdem bist du fit in Sachen EDV, das ist mir auch wichtig.« Das klang ja alles lieb und nett, und Rips Vertrauen ehrte mich, aber trotzdem war ich mir nicht wirklich sicher, ob das der richtige Nebenjob für mich war.
»Wir sind da«, unterbrach mich Rip in meinen Gedanken. »Du kannst es dir ja noch mal überlegen. Janosch, ich bin dir nicht böse, wenn du das nicht willst, ehrlich nicht.« Ich nickte. »Okay, ich überleg's mir mal und ruf' dich dann an, okay? Und danke fürs Mitnehmen.« Rip winkte ab. »Keine Ursache. Gute Nacht und viel Glück für euer Gespräch.« Ich nickte. »Das wird schon klappen, darüber mache ich mir die wenigsten Sorgen.« Rip zwinkerte mir noch einmal zu. »Und grüß' Lynn bitte lieb von mir, ja?« Ich grinste. »Mach' ich.«
Mums Büro war der erste Raum, den man sah, wenn man in den Flur kam. Unter der Tür war Lichtschein zu sehen, und ich hörte, dass Mum telefonierte. Offensichtlich mit ihrem Chef, jedenfalls klang ihr Ton nicht unbedingt ruhig. Die beiden hatten in letzter Zeit etwas Stress miteinander gehabt. Mum gehörte zu den Leuten, die ihre Meinung sagten, und ihr Chef war noch eher vom alten Schlag - er duldete nur ungern Widerspruch, erst recht nicht von einer Frau. Da war natürlich Stress vorprogrammiert, und ich kannte Mum zu gut - wenn sie glaubte, dass sie recht hatte, gab sie keinen Zentimeter nach.
Nachdem sie aufgelegt - oder, der Geräuschkulisse nach zu urteilen, den Hörer auf die Gabel geworfen - hatte, klopfte ich vorsichtig bei ihr an. »Hi, ich bin wieder da.« »Hi Janosch.« Sie warf einen Blick auf den Bildschirm. »Manchmal hasse ich den Job. Hast du was vor oder hast du Lust auf 'nen Eistee?« Ich nickte. »Gern.« »Okay.« Sie fuhr den Rechner herunter, schaltete das Licht aus und schob mich aus der Tür. »Was hast du denn mit deiner Hand gemacht?«, fragte sie. »Äh ... das ist eine längere Geschichte, und wenn du ein bisschen Zeit hast, würde ich sie dir gern erzählen.« Mum nickte. »Okay.«
Wir gingen in die Küche hinüber, wo Mum uns etwas zu trinken fertigmachte. Ich setzte mich aufs Sofa und zündete mir eine Zigarette an. »Kannst du mir auch eine anmachen?« »Klar.« Ich gab ihr meine, die schon brannte, und steckte mir eine neue an - immer schön brav mit einer Hand, die andere war noch nicht wirklich zu gebrauchen. »Schöne Grüße von Rip soll ich dir übrigens bestellen, der hat mich hergebracht.« Mum setze sich zu mir und fragte dann: »Danke. Warum ist er nicht noch mit hochgekommen?« Hm ... gute Frage. »Na, ich denke weil er wusste, dass wir miteinander reden wollten.«
Mum zog die Augenbrauen hoch. »Nanu? Das klingt nach einem längeren und vor allem ernsthaften Gespräch.« Ich nickte. »Ja, ich denke das wird es wohl werden.« Sie setzte sich bequemer hin. »Na, dann schieß' mal los.« Ich atmete tief durch. »Okay ... ich weiß nur noch nicht so ganz wo ich anfangen soll.« Langsam wurde ich wirklich nervös. Bei Rip, Nick und Jason war es mir viel leichter gefallen, mich zu outen. Aber das konnte auch daran gelegen haben, dass ich dort wusste, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Naja, jetzt musste ich jedenfalls versuchen, hier erst mal einen Anfang zu finden.
»Ich hoffe ganz stark, dass ich dein Weltbild jetzt nicht schon wieder durcheinanderbringe.« Mums Blick wurde noch etwas fragender. »Wieso schon wieder?« »Naja, die Sache mit Dad vor drei Jahren ...« Mum legte mir ihre Hand auf den Arm. »Janosch, dafür konntest du nichts. Wenn sich hier jemand Vorwürfe machen müsste, dann ich, weil ich nicht viel eher gemerkt habe, was passiert ist und nicht eingegriffen habe.« »Trotzdem warst du damals ganz schön geschockt.« Mum nickte. »Klar ... ich hatte absolut keinen Schimmer, und plötzlich rief Rip mich an, bat mich vorbeizukommen und erzählte mir dann was los war. Ich habe Rip im ersten Moment kein Wort geglaubt, ich war stocksauer auf ihn.« »Ja, Luke hat mir damals auch erst nicht geglaubt - bis er dann das erste Video gesehen hat.«
»Nichtsdestotrotz war das nicht deine Schuld, Janosch. Du warst in dem Moment völlig machtlos, und deswegen ist dir mit Sicherheit keiner böse. Außerdem ist diese Zeit vorbei, und ich denke, wir haben auch ohne Jochen unseren Weg gemacht, oder?« Ich nickte. »Ja, zum Glück.« »So, und was wolltest du mir jetzt erzählen?«, hakte Mum noch einmal nach. »Mum, ich ... « ... wusste immer noch nicht wo ich anfangen sollte, aber für einen Rückzieher war es mittlerweile auch zu spät. Dann eben doch kurz und knapp. »Mum, ich bin schwul.«
Mum hielt mitten in der Bewegung inne und stellte dann ganz langsam ihr Glas aus der Hand. Sie atmete tief durch und fragte dann: »Hab' ich das richtig verstanden?« Ich nickte langsam. »Wenn du verstanden hast, dass ich schwul bin - ja, dann hast du das richtig verstanden.« Mum zog einmal ziemlich stark an ihrer Zigarette und drückte sie dann im Aschenbecher aus. »Das erklärt natürlich einiges«, sagte sie dann.
Ich hatte mit vielen Reaktionen gerechnet - Schock, Überraschung, Ablehnung (okay, damit nicht wirklich) und einigen anderen - aber nicht mit dieser Antwort. »Wie meinst du das?«, fragte ich. »Ganz langsam, Janosch, und der Reihe nach. Erst mal vorne weg: Ich hab' mir nach den letzten Tagen schon fast so etwas gedacht. Seit du Lars kennengelernt hast, warst du wie ausgewechselt. Du warst besser gelaunt, einfach gut drauf, und ... ich weiß nicht, anders, jedenfalls hatte ich das Gefühl, dir ging es besser. Als wäre nach dem Schlamassel von damals, bei dem einiges durcheinandergeraten ist, endlich das letzte Puzzlestück wieder eingesetzt worden. Verstehst du was ich meine?«
Ich nickte. »Ja, ich denke schon.« »Siehst du. So, und dann kam der Tag vor gut zwei Wochen, als Lars bei dir war und recht schnell wieder gegangen ist. Du wolltest nicht mit mir reden, und ich hab' in dem Moment befürchtet, dass du ihm vielleicht gesagt hast, was bei dir abläuft, und er damit nicht umgehen konnte. War es das?« Ich lachte. »Nein, im Gegenteil. Lars hatte eine CD dabei, wir waren ein bisschen im Internet und haben uns seine Linksammlung angeschaut, und da war auch etwas von einer schwulen Jugendgruppe dabei. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass er schwul ist und hab' im ersten Moment nicht gewusst, wie ich reagieren sollte. Das hat er dann falsch verstanden.«
Mum lächelte. »Okay ... aber es hatte schon etwas damit zu tun.« Ich nickte. »Ja, das hatte es.« »Magst du erzählen, wie es dann weiterging?«, fragte Mum. »Klar. Ich hab' mir die Seite mal in Ruhe angeschaut, als Lars weg war, und viele Jungs hatten dort erzählt, wie sie ihr Outing erlebt hatten, Erfahrungen mit Freunden und Eltern, und was mir wichtig war: wie sie selbst überhaupt gemerkt hatten, dass sie schwul sind. Naja, einiges davon kam mir bekannt vor, und dann hab' ich noch mal über Lars und mich nachgedacht - und dann war mir ziemlich schnell klar, dass ich auch mit dazugehör'.« »Alles an dem Tag?« »Naja, an dem Tag hat's wohl endgültig geklickt. Ich hab' mir schon vorher mal Gedanken darüber gemacht, besonders weil mir die Geschichte mit David damals nicht aus dem Kopf gegangen ist.«
Mum sah mich einen Moment lang schweigend an und fragte dann: »Das war es, was du mir sagen wolltest, oder?« Ich nickte. »Ja, genau.« Ich zögerte noch etwas und sprach dann aus, was mir schon die ganze Zeit durch den Kopf ging. »Mum, hast du ein Problem damit?« Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, Janosch, bestimmt nicht. Du bist mein Sohn und daran wird sich nichts ändern, egal was kommt. Ich liebe dich.« Das war die Antwort, auf die ich gehofft und mit der ich gerechnet hatte ...
Mum und ich hatten an diesem Abend noch lange zusammengesessen und uns unterhalten, und gegen drei Uhr morgens waren wir beide endlich ins Bett gegangen - ich war nur noch schnell unter die Dusche gesprungen, weil ich vom Nachmittag völlig durchgeschwitzt war. Mir machten das späte Einschlafen nichts aus, weil ich abends sowieso meistens lange auf war, aber Mum war es einfach nicht gewöhnt. Trotzdem war sie offensichtlich schon vor mir aufgestanden, denn das Erste, was ich am Morgen mitbekam, war, dass es an meiner Tür klopfte. »Janosch, bist du schon wach?« »Nicht wirklich«, brummelte ich. »Trotzdem hast du Besuch.«
Als ich die Augen aufschlug, stand Lars lächelnd vor meinem Bett. »Du bist süß, wenn du schläfst.« sagte er. Ich gähnte erst mal. »Guten Morgen, und danke für die Blumen.« Ich streckte mich und versuchte langsam wach zu werden. Lars stand etwas unschlüssig neben dem Bett. »Wenn du magst ... du kannst dich gern zu mir legen«, bot ich ihm an. Die Situation war der vom Vortag ein bisschen ähnlich, und trotzdem hatte ich diesmal ein besseres Gefühl dabei. Lars zögerte einen Moment, zog dann seine Schuhe aus und legte sich neben mich aufs Bett. Ich drehte mich auf die Seite, sodass wir uns in die Augen sehen konnten.
»Und, was treibt dich zu so früher Stunde hierher?«, fragte ich ihn. Er grinste. »Es ist kurz nach zwölf, mein Kleiner.« »Echt?« Er nickte. Dann hatte ich gut neun Stunden geschlafen ... »Naja, ich wollte dich einfach sehen und wissen ob es dir gut geht«, fügte Lars hinzu. Ich nickte. »Ja, auf jeden Fall. Mum und Luke wissen Bescheid.« Lars lächelte wieder. »Ich weiß, deine Mutter hat mir vorhin ganz spontan das 'Du' angeboten.« Wenn ich es nicht schon gestern Abend gewesen wäre, dann konnte ich mir spätestens jetzt sicher sein, dass Mum mit Lars und mir als Paar keine Probleme hatte.
Ich sehnte mich danach, Lars in den Arm zu nehmen. »Wenn du magst, kannst du auch mit unter die Decke rutschen.« Er sah mich fragend an. »Sicher, Janosch? Ich will nicht ...« Ich küsste ihn sanft auf die Lippen. »Keine Sorge, Lars ... ich weiß was ich tue. Ich hoffe es wenigstens.« So ganz überzeugt war Lars noch nicht, aber er zog sich seine Hose und sein Hemd aus und kroch dann zu mir unter die Bettdecke. Ich kuschelte mich an ihn und konnte sein Herz in seiner Brust schlagen hören - es war ein beruhigendes Geräusch.
Lars legte mir seinen Arm um die Schulter und streichelte mich sanft. »Ach, Janosch ... ich bin so froh, dass es dich gibt«, sagte er leise. Ich umarmte ihn etwas fester. »Das beruht auf Gegenseitigkeit.« Eine Weile lagen wir einfach nur schweigend da, irgendwann steckte ich meine Hand unter sein T-Shirt und fing an, seine Brust und seinen Bauch zu streicheln. Zärtlich kamen wir uns langsam näher ... ich spürte, dass wir heute weitergehen würden. als es vorher je der Fall gewesen war, und ich hatte ein gutes Gefühl dabei.
»Hey, Du?«, sagte Lars irgendwann. »Hm?« »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dir gern die Führung überlassen ... ich möchte nicht schon wieder einen großen Fehler machen.« Ich nickte. »Okay ... aber ich hab' noch gar keine Erfahrung, Lars.« »Besonders viel hab' ich auch nicht.« Stimmte es, dass ich noch gar keine Erfahrung hatte? Mein Puls beschleunigte sich, und ich merkte plötzlich, dass ich schneller atmete - wieder kam die Erinnerung an Dad hoch. Zum Glück bemerkte ich es diesmal rechtzeitig und hatte diese Bilder genauso schnell wieder beiseitegeschoben, wie sie aufgetaucht waren. Und diesmal waren sie wirklich verschwunden.
Ich zog Lars sein T-Shirt ganz aus. Sein Körper war warm, seine Haut war glatt und kaum behaart. Ich konnte es insgeheim kaum glauben - ich lag hier im Bett, mit einem Menschen aus Fleisch und Blut, einem Menschen, den ich liebte. Fast ehrfurchtsvoll streichelte ich sanft über seine Brust. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas so schönes berührt, und noch nie in meinem Leben war ich so glücklich wie in diesem Moment. Ich spürte, dass mir eine Träne über Wange lief.
Lars zog mich vorsichtig zu sich heran. »Hey, mein Kleiner, ist alles in Ordnung mit dir?« Ich nickte. »Ja, keine Sorge - ich kann's nur noch nicht glauben, dass wir zwei hier zusammen sind.« Er küsste mich auf die Wange. »Glaub' mir, Janosch, es ist wahr - und ich bin genauso glücklich darüber wie du.« Ich drehte meinen Kopf ein wenig, meine Zunge suchte sich den Weg zwischen seine Lippen. Im ersten Moment war Lars wohl etwas überrascht, aber er wusste, worauf ich hinauswollte, und er zog schnell mit. Er legte seine Hand auf meinen Oberkörper und fing dann langsam an, meine Brustwarzen zu streicheln und zu liebkosen.
Ich genoss dieses Gefühl - es war, als würde mein Körper langsam auf angenehme Art elektrisiert werden. Langsam arbeiteten wir uns weiter vor, Schritt für Schritt, ohne Hast und ohne Eile. Ich streichelte Lars mit der Hand über den Oberschenkel, und schließlich suchte er sich vorsichtig und unsicher seinen Weg in den Bund meiner Shorts. Als ich die Berührung sanft erwiderte, wusste er jedoch, dass ich damit einverstanden war. Es dauerte nicht mehr lange, und wir lagen nackt nebeneinander. Und diesmal war es okay - dieses Mal war ich mir sicher, dass wir uns einfach nur miteinander beschäftigen konnten und keine Geister mehr zu erwarten waren ...
Nachwort zum 2. Abschnitt
Etwas weniger Story, etwas mehr Nachwort - so endet also der zweite von insgesamt drei Abschnitten. Janosch hat seinen Weg gemacht, er ist älter geworden, und die Ereignisse, die seine Vergangenheit zerstört haben, hat er mittlerweile so ziemlich überwunden. Natürlich hatte er am Anfang noch mit vielen Problemen zu kämpfen, aber diese haben sich dann ja zum Glück im Laufe der Zeit gelegt.
Ich habe bereits nach Teil 7 einige Reaktionen erhalten, und einige waren überrascht (fast ein bisschen enttäuscht), dass Janosch »auch schwul geworden« ist. Ich möchte mich jetzt nicht über das Thema »Wie ist oder wird man schwul« auslassen, nur eines möchte ich dazu sagen. Über ein Thema wie das in dieser Story schreibt man nicht, ohne sich nicht vorher gründlich damit auseinandergesetzt zu haben. Wenn man selbst keine Erfahrung damit hat (darüber bin ich wirklich froh), kann man sich nur auf Bücher verlassen; und auf Personen, die in irgendeiner Art und Weise Erfahrungen dieser Art gemacht haben. Worauf ich hier hinaus will, ist eigentlich nur der Umstand: durch das, was Jochen mit Janosch angestellt hat, ist Janosch mit Sicherheit nicht schwul geworden.
Und genau um diesen Punkt ging es mir eigentlich die ganze Zeit in der Story: In Therapien, die nach sexuellem Missbrauch erfolgen, stellen sich die meisten Opfer irgendwann die Frage, ob sie dadurch jetzt schwul geworden sind. In der Regel wird ein Therapeut dann antworten: »Nein, bist du nicht.« Und das ist im Prinzip ja auch richtig - nur, wer in dieser Situation achtet schon auf solche Details? Im Zweifelsfalle wird ein Junge in Janoschs Situation erst mal ziemlich durcheinander sein, und wenn er es dann akzeptiert hat ... nun, so ein Flashback wie Janosch ihn erlebt hat, ist auch keine Erfindung von mir. Ich denke aber, der Kleine hat seinen Weg gemacht und wird immer sicherer in seinem Gang.
Auch dieser 8. Teil ist deutlich kürzer als der Rest - das liegt im Wesentlichen daran, dass bei mir in den letzten Wochen ziemlich viel los war und ich auch noch nicht mit dem Update gerechnet hatte. Ich denke, auch Ihr habt mehr davon, wenn ich dann lieber etwas weniger schreibe als dafür mehr Text - und mehr Blödsinn *grins*. Doch eines kann ich euch versichern: Little Lies ist noch nicht am Ende. Es wird einen 9. und mit Sicherheit auch einen 10. Teil geben, wir werden dort einige alte Bekannte wieder treffen, und ... tja, mehr wird noch nicht verraten, schließlich soll das Ganze ja auch ein bisschen spannend bleiben.
Bis dahin liebe Grüße und »Keep on reading«,
Rick
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