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KeYNamM

Teil 7

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Inhaltsverzeichnis

20 Mordbuben

Auf dem Weg zu Ennands Hof kamen KeYNamM, Ikken und Aylal schnell voran, da die Pferde ausgeruht waren. Als sie bei Anbruch der Dämmerung den dichten Galeriewald am Ufer gegenüber des Anwesens durchquerten, riss Ikken ein schrilles Pfeifen aus seinem Halbtraum. Er stutzte, „Hiyya! Das muss Hiyya sein, Aylal. Sie muss irgendwo hier in einem Baum nach uns Ausschau halten. Schau dich um Aylal, irgendwo hat sie sich versteckt und traut sich nicht hervor!“

Beide suchten die dichten Kronen der Bäume, das Unterholz und die Schilfbestände am Rand des Pfades nach Hiyya ab. Vergebens! KeYNamM, der ein Dutzend Pferdelängen hinter ihnen ritt, schaute sich ebenfalls vergebens um, dann rief er, „Hiyya, Hiyya! Wir sind es doch! Erkennst du uns wegen unserer Kleidung nicht? Wir sind jetzt Wüstensöhne, Imuhagh. Erkennst du uns nicht? Wir sind es doch, Ikken, Aylal und der Amestan!“

Plötzlich sprang eine schlanke Gestalt von einem dicken Ast, der quer über dem schmalen Pfad hing, und landete hinter Ikken auf der Kruppe des Pferdes. Ikken braucht sich nicht umzusehen. Er war sich sicher! Es musste Hiyya sein. Er erkannte sie an der Art, wie sie ihn umarmte, an ihrem Geruch! „He du! He Hiyya! Wo hast du dich versteckt? Ich konnte dich nirgends entdecken, nicht in den Büschen, nicht im Röhricht, nicht zwischen den Zweigen! Im Baum verschwindest du wie eine Nachtigall zwischen den Zweigen und dann stürzt du dich auf mich wie ein Habicht auf eine Maus! Hiyya, liebe Hiyya.“ Aylal, der erschrocken war, als Hiyya hinter Ikken auf dem Pferd landete, strahlte. „Hiyya, wo sind Anirt und Amimt? Warum sind die uns nicht entgegengekommen? Ich hab so viel erlebt! Ich muss es ihnen sofort erzählen.“

KeYNamM hatte die Situation schnell erfasst. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte er besorgt, „Was ist los? Du hast bestimmt nicht auf uns gewartet! Bewachst du den Weg zum Hof? Sind die Büttel des Imperators wieder unterwegs?“

Hiyya schüttelte den Kopf und schluckte, „Nicht die! Nein, nein schlimmer! Jetzt ziehen die Söldner Areksim's durchs Tal. Sie überfallen Dörfer und Höfe!“ Sie war jetzt richtig empört, „Sie haben das Dorf niedergebrannt, in dem unsere Verwandten wohnten. Jetzt wohnen sie alle bei uns, alle Tanten, Onkels, alle Cousins und Cousinen!“ Dann fügte sie hinzu, „Zum Glück konnten sie ihr Vieh retten. Auch das ist jetzt bei uns!“

„Auf dem Weg hierher sind wir auf keinen Söldner getroffen. Wir haben auch nichts Ungewöhnliches gesehen. Von dieser Seite des Flusses droht also heute keine Gefahr mehr!“, beruhigte KeYNamM sie. Dann wollte er wissen, „Steigst du wieder in dein Versteck oder reitest du mit Ikken und Aylal zu eurem Hof? Mach dass ruhig. Ich löse dich hier ab!“

„Brauchst du nicht Amestan-amo. Vater will dich unbedingt sehen. Er fragt schon die ganze Zeit nach dir, denn alle im Draa brauchen dich, brauchen deine Hilfe.“ Hiyya setze sich auf dem Pferd hinter Ikken zurecht, „Ich komme mit euch. Wenn es dunkel wird, löst mich ohnehin einer meiner Cousins ab. Weißt du, tagsüber wache ich oder einer der jüngeren Cousins, am frühen Abend lösen uns dann die großen Cousins ab und nachts wachen die Männer. Wir bewachen alle Zugänge zum Hof!“


Als der Amestan mit Aylal und Ikken so unerwartet auftauchte, waren Ennand und Ayri glücklich. „Amestan! Wir waren besorgt Amestan! Die Söldner Areksim's kehrten geschlagen zurück, aber du tauchtest nicht auf, KeYNamM, auch Ikken nicht und Aylal. Niemand wusste wo ihr seid, ob ihr gesund seid, ob ihr noch lebt! Auch deine Freunde, die Imuhagh, sind hier nicht aufgetaucht“, begrüßte ihn Ayri.

„Aber die Söldner kamen doch besiegt zurück, da hättet ihr wissen müssen, dass die Wüstensöhne die Truppe des Gouverneurs geschlagen haben.“

„Ja! Aber ihr kamt nicht! Nur die geschlagenen Söldner kamen, die verfluchten Mordbuben! Die überfallen, rauben, vergewaltigen, töten!“, schimpfte Ayri jetzt, „Kaum hatten diese Halunken die Grenze zum Unland überschritten, schon begannen sie mit ihren Raubzügen.“

„Die Wüste hätte sie geschlagen, nicht der Wüstenkönig und nicht seine Imuhagh, verbreiteten sie. Sie kamen hungrig an und wir vom Draa haben ihnen zu Essen und Trinken angeboten! Aber was tat das undankbare Pack? Sobald sie nur etwas zu Kräften gekommen waren, begannen sie mit ihren Raubzügen, ihren Morden!“, stimmte Ennand seiner Frau zu.

„Wir dachten, sie würden geschlagen ins Imperium zurückkehren und sich dort in alle Winde zerstreuen!“, warf der Amestan ein.

„Hätten sie ja! Sogar gerne! Aber!“, Ennand schnaufte empört, „Aber sie haben Angst, Angst vor dem Gouverneur! Der ließ gleich die Ersten, die nach Tinghir zurückkamen, einen Kopf kürzer machen! Feiglinge waren sie für ihn, Verräter, heimatlose Gesellen!“, er schüttelte den Kopf, „Die ehemaligen Söldner schlottern jetzt vor Angst! Sie ziehen das Leben als Gesetzlose dem Tod vor!“

Inzwischen hatten sich Ennands Verwandte um die Drei versammelt. Brüder, Schwäger, Tanten, Onkels und eine Menge Kinder, alle umstanden die Drei. Bestimmt mehr als zwei Dutzend. Der Älteste von ihnen, ein graubärtiger mit kahlem Schädel, begann von den Überfällen der Söldner zu berichten. „Die ersten Söldner kauften uns die Ziegen noch ab, die nächsten brachen einfach in die Pferche ein und nahmen die fettesten Tiere mit und die dann kamen, zündeten das Dorf von drei Seiten an. Wir kämpften uns den Weg frei und zogen dann auf Schleichwegen hierher zu Ennand's Hof. Zum Glück hatten wir nach den ersten Überfällen unser Vieh im Wald versteckt und konnten es so retten.“

„Nicht nur uns geht es so!“, ergänzte ein jüngerer Mann, „Von überall entlang des Draa hören wir ähnliche Schauergeschichten.“ Dann zeigte er in die Runde, „Schau Amestan, schau! Wir haben den Hof in eine Wehrburg verwandelt. Tag und Nacht bewachen wir alle Zugänge, die vom Fluss, die durch den Galeriewald, ja sogar die kleinsten Pfade und Wildwechsel.“

„Gott sei Dank, Amestan!“, begann eine alte Frau und küsste KeYNamM's Hand, „Gott sei Dank bist du zurück, Amestan! Wenn du den Befehl über das Unland übernimmst, wird alles gut!“


Während die Anderen noch von den Gräueltaten der Söldner berichteten, hatten Anirt und Amimt, die Zwillinge, Aylal schon zu ihrem Versteck hinter dem Ziegelstall entführt. Dort begannen sie ihn neugierig auszufragen. Alles wollten sie wissen, besonders ob die Mädchen bei den Imuhagh ebenso hübsch wären wie sie, ob sich Aylal in eine von ihnen verliebt hätte, ob die Jungen auch hübsch wären und, und, und! Als Aylal von Tarit's drei Frauen zu erzählen begann, wunderten sie sich, warum der Freund KeYNamM's drei Frauen hatte und ihr Vater nur eine! „Wir möchten keine zwei Mütter oder gar drei!“, erklärten sie sofort. „Wir brauchen nur eine zum Liebhaben!“ „Aber Tamimt, Dihya und Lunja sind auch lieb, nicht nur zu Tarit und seinen Söhnchen, auch zu mir! Bei ihnen durfte ich machen, was ich wollte und bekam immer Süßigkeiten.“

Hiyya wollte mit Ikken ebenfalls allein sein. Sie nahm ihn an der Hand, flüsterte „Ich muss dir etwas zeigen!“ und zog ihn zwischen die dichten Büsche am Waldrand. Dort, außer Sicht, drückte sie sich ganz fest an ihn, „Oh Ikken, mein Ikken. Liebst du mich noch? Liebst du mich auch so wie ich dich liebe?“ Ikken dachte an Yufayyur, der diese Frage auch immer stellte, wenn sie nur eine Stunde voneinander getrennt gewesen waren. Er dachte an seinen Freund und sofort fiel ihm ein, was der beim Abschied von ihm verlangt hatte: Du musst in Übung bleiben, wenn wir getrennt sind! Also gab er Hiyya nach, zog sie an sich und begann sie zu streicheln. Dann zog er sie zu Boden und begann sie zu küssen, wie Yufayyur es ihm gelehrt hatte. Zuerst war Hiyya erstaunt, dann lächelte sie glücklich und küsste zurück. Sie hätten noch lange so weitermachen können, aber dann hörte Hiyya ihre Mutter rufen. Sie mussten zum Hof zurück.

Auf dem Weg fragte Ikken Hiyya, „Wer hat dich gelehrt so zu küssen? Deine Küsse sind süßer als süß! Sag nicht das dir das angeboren ist!“ „Mein Cousin Tanan!“, war Hiyya's ehrliche Antwort, „Aber du küsst viel besser als er!“, und nach einem Moment, „Auch besser als die anderen Cousins! Die haben alle versucht mich zu küssen!“ Dann flüsterte sie verschwörerisch. „Warte nur bis heute Nacht, dann zeig ich dir, was ich noch gelernt habe!“


Für ein ausgiebiges Freudenfest war die Situation auf dem abgelegenen Hof zu besorgniserregend, doch ein kleines Fest musste sein. Eine Ziege wurde geschlachtet und während sich die jungen Burschen maulend zu ihren Wachposten aufmachten, versammelten sich die Erwachsenen und Kinder um das Feuer, über dem die Ziege röstete. KeYNamM, Ikken und Aylal erhielten Ehrenplätze und ihre Gegenleistung war die ausführliche Schilderung der Kämpfe gegen die Söldner des Gouverneurs. Bald fielen Aylal die Augen zu und Ikken trug seinen kleinen Bruder ins Haus.

Das Haus war überfüllt. Die zwei Räume, die sich sonst Fünf teilten, mussten jetzt mehr als ein Dutzend Gäste beherbergen. Als Ikken seinen Bruder ins Haus trug, folgte ihm Hiyya und zeigte ihm, wo der Platz für Aylal reserviert war, nämlich zwischen den Zwillingen. Dann zog sie ihn auf die andere Seite des dunklen Raums.

Auch Hiyya teilte ihr Bett mit ihren Cousinen und Cousins. Jetzt war es noch leer. Sie kroch hinein, zog Ikken zu sich und dann rückte sie ganz an die Wand. Ikken rutschte nach. Er war müde, aber als sie zu küssen begann, machte er gerne mit. Erst küsste er nur ihren Mund und streichelte ihre Haare. Als sie zurückstreichelte, begann er sie vorsichtig zu betasten, wie er und Yufayyur es immer getan hatten. Ihr Körper fühlte sich anders an als seiner, runder, weicher, einfach anders. Wo bei seinem Freund die raue Haut die harten Armmuskeln eng umspannte, ließ sie sich bei Hiyya leicht verschieben, obwohl ihre Armmuskeln fast so kräftig waren, wie die seines Freundes. Nach kurzem Zögern schob Ikken Hiyya's weites Hemd hoch, tastete nach dem Nabel. Der war bei ihr in einer Grube versteckt und stand nicht hervor wie bei Yufayyur. Mit dem Zeigefinger bohrte er neugierig in dem Loch herum, worauf Hiyya zu kichern begann. Seine Hände glitten höher. Hiyya's Brüste waren noch klein, fast wie die seines Freundes, aber als er eine ihrer Brustwarzen zwischen Daumen und Zeigefinger rubbelte, wurde sie lang, hart und spitz, größer als die von Yufayyur. Er tastete nach der anderen Brustwarze. Er brauchte sie nicht zu streicheln, sie war bereits hart geworden. Jetzt drehte er Hiyya auf den Rücken, um sie noch besser betasten zu können. Während er sie küsste, schob er eine Hand langsam zwischen ihre Beine und suchte den Spalt zwischen ihnen. Erst drückte Hiyya die Oberschenkel fest aneinander. Als er jedoch die Innenseite der Schenkel zu streicheln begann, spreizte sie sie weit und Ikken fand mit den Fingerspitzen schnell ihre weichen Schamlippen.

Das war Neuland für Ikken! Ihre Schamlippen waren wie kleine, weiche Kissen, zart und feucht. Mit dem Zeigefinger versuchte er in den Spalt zwischen ihnen einzudringen. Hiyya kicherte, zuckte jedoch zunächst zurück und schloss die Beine. Dann aber öffnete sie sie wieder und erlaubte ihm den Zeigefinger tief in ihren Spalt hineinzustecken. Die Haut dort war heiß, feucht und nass von einer glitschigen Flüssigkeit. Die Wände der warmen Höhle waren mit Runzeln übersät und pulsierten. Ikken versuchte jede einzelne Wölbung und Runzel zu erfühlen. Er war erregt, sein Glied war hart geworden, es zuckte im Rhythmus seines Herzschlags und wollte unbedingt auch in die heiße Höhle hinein. Als er seine Hand einen Moment zurückzog, drehte sich Hiyya plötzlich vom ihm weg, aber ohne von ihm wegzurücken. Sie streckte ihm plötzlich ihren weichen Po entgegen. Das kannte Ikken von seinen Spielen mit Yufayyur. Bei ihm hatte er sein hartes Glied immer in der Furche zwischen Yufayyur harten Pobacken hin und her gerieben und war dann in ihn eingedrungen. Auch jetzt begann er erregt die schmale Furche zu pflügen. Als sein Spitz die Öffnung nicht sofort fand, fasste Hiyya hinter sich, packte sein hartes Glied und führte es zum Ziel.

Hiyya hatte wohl mit dem gerechnet, was nun folgen sollte. Sie hatte ihr Löchlein mit Hammelfett geschmeidig gemacht und als Ikken jetzt versuchte in sie einzudringen, schob sie ihm den Po entgegen. Zuerst gelang es ihm nicht einzudringen, aber dann, nach einigen Stößen, überwand er den Widerstand und die Spitze seines Gliedes drang tief in Hiyya ein.

Ikken atmete einen Moment tief durch und blieb still liegen. Er überlegte, ob es sich da drin bei Hiyya anders anfühlte als bei Yufayyur. Es war anders, aber genauso schön. Es war warm und eng wie bei seinem Freund. Und nun begann er rhythmisch zu stoßen. Hiyya machte jede Bewegung mit.

Plötzlich drängte sich jemand von hinten an sie heran, legte einen Arm um ihn und Hiyya und drückte ihm einen Kuss in den Nacken. Ikken erschrak, fast wäre sein Spitz aus der warmen Öffnung herausgeglitten, aber dann sagte eine Jungenstimme, „Ist Hiyya nicht gut? Ich habe es ihr beigebracht. Es macht ihr Spaß. Aber sie liebt mich nicht, sie hat immer nur von dir phantasiert, Ikken, wenn wir uns liebten.“ Während der Unbekannte noch flüsterte, spürte Ikken wie er versuchte in ihn einzudringen. Er war geschickt und hatte sofort Erfolg.

Jetzt erkannte Ikken die Stimme. Es war Tanan, Hiyya's Cousin. Der hatte ihm schon verschwörerisch zugeblinzelt, als sie sich am Abend zum ersten Mal gesehen hatten. Als am Feuer ein Platz neben Ikken frei geworden war, hatte Tanan sich sofort neben ihn gesetzt, ihm den Arm um die Schultern gelegt und ihn Bruder genannt und auf die Wange geküsst. Jetzt schmiegte Hiyya's Cousin sich ganz eng an ihn und drang geschickt immer tiefer in ihn ein, indem er Ikken's Stöße in Hiyya ausnutzte. Ein Moment lang störte Ikken das unerwartete Eindringen, bald aber fanden die Drei einen gleichmäßigen Rhythmus, der allen drei Spaß machte. Als sie viel später verschwitzt und erschöpft einschliefen, war Ikken stolz über die neue Erfahrung. Er wusste, das musste er Yufayyur als erstes erzählen, wenn sie sich wiedersahen. Er überlegte. Wer könnte dann der Dritte sein? Vielleicht ???? Aber dann schlief er auch schon.

21 Wiedersehen mit Tinghir

Erschöpft hing Ikken vornübergebeugt im Sattel. Der Schaukelschritt des trottenden Pferdes drehte ihm fast den Magen um. Mühsam drehte er den Kopf und blickte über die Schulter zu Tanan, der hinter ihm ritt. Seinem neuen Freund schien es nicht besser zu gehen. Auch Tanan war der Kopf auf die Brust gesunken und er schien erschöpft zu schlafen. KeYNamM, der an der Spitze der Drei über die Steppe zwischen dem Galeriewald am Draa und dem Waldstreifen, der die Grenze zwischen Unland und Grenzland bildete, ritt, war schon zwischen den Bäumen verschwunden. Der hat es jetzt gut im Schatten, dachte Ikken, während uns noch die Mittagssonne den Rücken verbrennt.

Noch vor dem Morgengrauen hatte KeYNamM Ikken, der eingeklemmt zwischen Hiyya und Tanan geschlafen hatte, aus den Träumen gerissen. Jetzt konnte sich Ikken nicht mehr an den Traum erinnern. Aber er war schön, das wusste er. Bestimmt hatte er von Yufayyur geträumt! Das nahm er einfach an, denn sonst wäre er bestimmt nicht so hart gewesen.

Da die Drei aus Platzmangel Löffelchen gemacht hatten, waren Hiyya und Tanan auch aus dem Schlaf gerissen worden, als KeYNamM Ikken wachrüttelte. „Wir müssen nach Tinghir, kleiner König Gaya! Wir reiten sofort, die Pferde sind bereit!“ Ikken protestiere, aber KeYNamM blieb ungerührt „Ich brauche dich dort! Ich brauche deine Hilfe! Du kennst dich dort aus!“ und zog ihn aus dem Bett.

Als Tanan das Wort Tinghir hörte, begann er sofort zu betteln, „Nimm mich mit Amestan! Bitte Amestan, ich muss in die Stadt - ich muss nach Tinghir - dort bin ich geboren - dort lebt meine Mutter!“ Er hatte diese Bitte ohne einmal Atem zu holen hervorgestoßen und als KeYNamM sie ihm abschlug, begann er zu betteln. „Nimm mich mit! Bitte Amestan! Bitte! Ich muss hin! Ich habe meine Mutter seit über zwölf Jahren nicht gesehen! Seit ich drei Jahre alt war!“ Als auch diese Begründung den Amestan nicht überzeugte, versuchte er ihm damit zu überreden, „Meine Mutter hat eine kleine Herberge in Tinghir, dort können wir wohnen! Sie heißt „Zum Durstigen Qurbac!“ - „Zum Durstigen Kamel!“ Dort wird es dir gefallen! Wirklich! Ich schwöre es!“

Als Ennand die Aussagen Tanan's bestätigte und dann noch hinzufügte, „Seine Mutter Tirizi wurde mit Zwölf von den Häschern des Imperators entführt. Erst musste sie in der Hauptstadt leben und als sie mit Tanan schwanger wurde, durfte sie nach Tinghir ziehen und die Herberge aufmachen.“ Dann seufzte KeYNamM's Freund tief, „Das durfte sie aber nur, nachdem sie geschworen hatte, ihren kleinen Sohn zu ihren Eltern im Draatal zu geben, bevor er drei Jahre alt war. Jetzt sind seine Großeltern tot. Tanan lebt seither bei seinen Verwandten, mal da mal dort, mal besser mal schlechter!“


Ikken kannte die Herberge „Zum Durstigen Kamel“. Sie hatte keinen besonders guten Ruf, wie alle die Herbergen, die von ehemaligen Freudenmädchen geführt wurden. Unter diesen aber hatte das Durstige Kamel den besten. Auch Tirizi kannte Ikken und sie machte ihrem Namen „Hell wie der Mond“ alle Ehre. Ihr Ruf bei den fahrenden Händlern und Bauern, die zum Markt kamen, war gut und zu Waisenjungen, wie ihm und seinem Bruder Aylal, war sie immer großzügig gewesen. Tirizi hatte ein großes Herz und für ihn stand jetzt schon fest, Tanan hatte das gute Herz von seiner Mutter geerbt. Woher hatte er aber die kecke Art, vielleicht vom Vater?

Ikken konnte vorlaute Jungen eigentlich nicht leiden. Aber Tanan hatte er ins Herz geschlossen, wenn auch vom ersten Augenblick an, aber seit ihrem Zusammensein diese Nacht auf jeden Fall. War es wegen seiner Art oder war es, weil Yufayyur sich solch einen Lehrmeister für Ikken gewünscht hatte? Wer weiß? Von Tanan konnte er allerhand lernen, das stand jetzt schon fest, zumindest was Mädchen anging. Ikken war daher mit Tanan als Begleiter einverstanden. Tanan's Begleitung erleichterte ihm auch den Abschied von Hiyya. Aber etwas machte ihm Sorgen. KeYNamM hat ihm immer noch nicht verraten, warum er so dringend nach Tinghir musste.

Als sie endlich den Waldstreifen durchquert hatten, war es schon früher Nachmittag und die heißeste Zeit des Tages, viel zu heiß um weiterzureiten. Also legten sie eine Rast im Schatten eines Argahnbaumes ein. Vom Rastplatz am Waldrand konnten sie die Ebene bis hin zu den Bergen überblicken. Ikken erinnerte sich. Im Norden lag die Kristallmine, dann kamen die leicht bewaldeten Hänge des Jbel Sarhro und weiter im Süden musste Tinghir liegen. Während Ikken noch versuchte die ersten Anzeichen seiner Geburtsstadt in der flimmernden Luft zu entdecken, hatten KeYNamM und Tanan schon die Pferde gefüttert und getränkt. Jetzt stärkten sich die beiden im Baumschatten mit Fladenbrot und den Bratenresten des vergangenen Abends.

Ikken hatte auch Hunger, aber keine Lust zu essen. Er trank nur Wasser, um seinen Durst zu löschen. Müde vom Ritt von der Quelle der Meryem zu Ennand's Hof am Tag zuvor, der anstrengenden Nacht mit Hiyya und Tanan und dem langen Ritt am heutigen Vormittag schlief er sofort ein. Als Tanan seinen neuen Freund schlafen sah, fielen ihm auch die Augen zu. Er kuschelte sich an Ikken, legte seinen Kopf auf dessen Bauch und schlief ebenfalls sofort ein. KeYNamM setzte sich neben den Beiden nieder und lehnte sich an den Stamm des Argahnbaumes und schloss die Augen.

Als der Amestan am Spätnachmittag aufwachte, hatte er zum ersten Mal Zeit Tanan in Ruhe anzusehen und mit Ikken zu vergleichen. Er schätzte Tanan nur ein paar Fingerbreit kleiner als Ikken. Er war jedoch kräftiger und bulliger als sein Sohn, eben ein Junge vom Land. Tanan hatte ein rundliches Gesicht, das von dunklen Kraushaaren eingerahmt war und das strahlte selbst im Schlaf noch Kraft und Zuversicht aus.

KeYNamM fühlte sich zu Tanan hingezogen, aber auf völlig andere Art als zu Ikken und Aylal. Schon als er die beiden zum ersten Mal im Quellkeller von Tinghir sah, dachte er, so müssen meine Söhne sein. Mit Tanan war das anders. Er fühlte sich zu ihm hingezogen, hegte jedoch keine väterlichen Gefühle für ihn. Als sich eine Fliege auf Tanan's Nase setzte, versuchte KeYNamM sie mit der Hand wegzuscheuchen. Der schwache Luftzug weckte den Jungen auf. Er öffnete langsam die Augen. Die Iris war dunkel, fast so schwarz wie die Pupille. 'Die Öffnung zu Tanan's Seele ist dunkel! Was steckt dahinter?', dachte er.

Tanan fing KeYNamM's Hand noch in der Luft ab, zog sie zum Gesicht und streichelte damit seine Wange. „Magst du mich Amestan? Ich mag dich! Ich mag dich, weil DU du bist und Ikken dein Sohn.“ Dann richtete er seine dunklen Augen auf KeYNamM, „Amestan, nur du weißt, was du in Tinghir willst. Du musst es uns nicht sagen, weder mir und noch Ikken. Wir helfen dir! Wir helfen dir immer!“

Ikken war inzwischen auch aufgewacht. Noch im Liegen wollte er wissen, „Warum sollen wir dich nach Tinghir begleiten? Du hast bisher immer gesagt, das sei zu gefährlich für uns, für Aylal, für mich und dich! Der Gouverneur sucht uns immer noch und erst recht wird er uns suchen, weil sein Feldzug gegen die Wüstensöhne unseretwegen gescheitert ist!“

KeYNamM zögerte und stellte dann eine Gegenfrage, „Hast du deinen roten Hut mit, den Tukumbut, der einst König Gaya gehörte?“ Als Ikken nickte und entgegnete „Den habe ich immer dabei!“, fuhr der Amestan fort, „Ein König verteidigt sein Volk, er hat keine Angst, nicht einmal vor dem stärksten Feind. An der Seite Yufayyur hattest du keine Angst, wovor solltest du jetzt Angst haben?“

Als er Ikken so eingeschworen hatte, legte er die Gründe für das Vorhaben dar und entwickelte einen Plan. „Wenn wir den Gouverneur nicht unschädlich machen, dann geht das Morden in Draatal weiter und nicht nur im Draatal, sondern auch im Grenzland und in den Bergen. Wir müssen ihn unschädlich machen, damit die Söldner nach Hause zurückkehren können. Dann wird ein neuer Gouverneur die entflohenen Mörder fangen und zur Kristallmine zurückbringen.“ Nun sah er seinen Sohn fest in die Augen, „Du Ikken kennst die Stadt wie kein anderer. Du hast gezeigt, dass du mutig bist und jemanden befreien kannst, den der Gouverneur für den Tod bestimmt hat. Außerdem weiß ich, dass du deinen Vater rächen willst und alle Unschuldigen, die der Gouverneur ermorden ließ. Zusammen mit dir und mit Tanan's Hilfe werden wir den Gouverneur besiegen.“

Beide, Ikken und Tanan schluckten vor Überraschung. Tanan fasste sich als erster und wollte wissen, „Was ist meine Aufgabe dabei?“

„Du kannst uns helfen und vielleicht auch deine Mutter. In der Herberge erfährt sie bestimmt alles was in der Stadt geschieht und sie wird zornig werden, wenn sie sieht, dass sie den besten Sohn der Welt nicht hatte heranwachsen sehen.“

Tanan strahlte, „der beste Sohn der Welt“, so hatte ihn noch nie jemand genannt. Doch dann wurde er ernst und verbeugte sich vor Ikken, „Ich wusste nicht, dass du der Nachfolger des großen Gaya bist, des größten Königs der Wüstensöhne.“ Er zögerte, „Vergib mir, ich habe dich für einen jungen Mann gehalten wie mich.“ Als ihn Ikken bei der Schulter nahm und ihn aufrichtete, stammelte Tanan, „Besonders was ich gestern im Bett mit dir gemacht habe bereue ich. Bitte verzeih mir mein Prinz!“

Jetzt war es an der Zeit für Ikken laut zu lachen, „Ich kann dir nicht verzeihen, solang ich mich nicht dafür gerächt habe.“ Dann grinste er übers ganze Gesicht, „Warte nur bis wir alleine sind, Tanan, dann wird Prinz Gaya ganz fürchterlich Rache nehmen!“


Am Spätnachmittag des nächsten Tages sahen sie endlich die Stadtmauern von Tinghir in der Ferne. Das „endlich“ galt für beide Jungen, sowohl für Ikken als auch für Tanan, doch aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Ikken war glücklich, bald wieder durch seine Stadt reiten und seine alten Freunde wiedersehen zu können. Ihm war jedoch bewusst, dass dies erst dann möglich sein würde, wenn ihr Vorhaben geglückt war.

Tanan war gespannt und aufgeregt. Er sehnte sich nach seiner Mutter, konnte sich aber kaum an sie erinnern. „Wird meine Mutter glücklich sein, wenn ich plötzlich vor ihr stehe?“, fragte er Ikken, „Wird sie mich überhaupt erkennen. Damals war ich klein und jetzt? Will sie mich überhaupt sehen?“ Diese Gedanken ließ Tanan nicht los. „Überhaupt! Weiß sie wie ich aussehe? Die hält mich bestimmt für einen Fremden! Vielleicht denkt sie sogar ich bin noch ein kleiner Junge!“, er seufzte, „Aber jetzt bin ich groß, wahrscheinlich größer als sie!“

Tanan wiederholte seine Zweifel immer und immer wieder, bis KeYNamM ihn beruhigte. „Nimm es wie es kommt! Aber ich wette, sie wird glücklich sein, dich endlich zu sehen. Wenn sie dich nicht am Aussehen erkennt, dann bestimmt an deinem Geruch. Mütter vergessen nie wie ihre Kinder duften! Sie wird dich in den Arm nehmen und niemals mehr fortlassen wollen!“

Dieser letzte Gedanke wiederum gefiel Ikken nicht all zu sehr. Er wollte nicht schon wieder einen Freund verlieren und außerdem, wie konnte er sich „rächen“, wenn Tanan von Tirizi ganz in Beschlag genommen würde. Als er sich im Weiterreiten ausmalte, wie er sich an Tanan rächen wollte, wurde er ganz zappelig vor Ungeduld.

Endlich tauchte die Stadtmauer in der Ferne auf und Ikken jubelte „ Jetzt Tanan, schau! Die Stadtmauer, dort!“, und er deutete aufgeregt auf die Häuser die sich an den Berghang schmiegte, „Dort Tanan! Heute Abend weißt du mehr!“

Als sie an der Stadt angekommen waren, wollte KeYNamM zum Stadttor abbiegen, aber Ikken protestierte. “Zuerst müssen wir nachsehen, ob mein Versteck in der Stadtmauer noch existiert. Durch das Versteck können wir im Notfall ungesehen aus der Stadt gelangen. Hoffentlich ist der Zugang von der Stadt her nicht vollständig zugeschüttet. Muhme's Hütte davor soll doch abgebrannt sein!“ Auf Tanan's Nachfrage erklärte er ihm das Geheimnis seines Verstecks und versicherte ihm. „Wenn unser Vorhaben schiefgeht, dann können wir durch den Gang in der Mauer aus der Stadt flüchten. Das haben wir schon einmal gemacht, KeYNamM, Aylal und ich.“


Gemeinsam mit Tanan räumte Ikken den Reisighaufen vor dem Eingang ins Versteck an der Stadtmauer weg. Dabei scheuchten sie Vögel aus ihren Nestern, die in Ikken's Abwesenheit die Reisighaufen in Besitz genommen hatten. „Ein gutes Zeichen!“, bemerkte KeYNamM, der aufpasste, dass niemand die Aktivität der beiden bemerkte. Auch der enge Durchgang zur Wohnkammer war noch offen. Ikken kroch als erster in den dunklen Gang, der zur Kammer führte, gefolgt von Tanan. An der Klappe zur Wohnkammer hielt er einen Augenblick inne und lauschte auf Geräusche vom Soukh. Nichts war zu hören, nur das Schimpfen der Spatzen vor der Stadtmauer, nichts, als das leise Atmen von Tanan, der inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte.

Für Tanan war dieser Ausflug ins Dunkle keine ernste Sache, sondern ein Abenteuerspiel. Als er in dem dunklen Schlauch aus Versehen mit dem Kopf auf Ikken's hochgereckten Po stieß, stecke er schnell seine Nase in die Ritze zwischen dessen Pobacken, „Iii Ikken, hier riecht es seltsam. Hast du deinen Po seit gestern nicht gewaschen?“ Als Ikken ihn „Spinner!“ nannte, kicherte Tanan, „Aber ich mag den Geruch! Ich kann nicht genug davon kriegen!“ und er begann vernehmlich an Ikken's Pospalte zu schnuppern. Tanan's Bemerkung löste Ikken's Spannung. Er wiederholte, „Spinner!“ und stieß dann die Klappe zur Wohnkammer auf.

Durch einen schmalen Spalt nahe der Decke fiel Licht in Ikken's ehemalige Wohnkammer. Früher war sie nur durch einen Vorhang hinter einem Regal vom Verkaufsstand der Muhme abgetrennt gewesen. Jetzt war dieser Durchgang mit Bretten unordentlich zugenagelt und Licht, dass durch Spalten zwischen den Brettern fiel, tauchte den Raum in Dämmerlicht.

In der Wohnkammer hatte sich nichts verändert. Auf dem Schlafplatz lagen noch die unordentlich hingeworfenen Decken, genauso wie sie Ikken und Aylal bei der Flucht zurückgelassen hatten. Auf den Boarden an der Wand standen noch die verschlossenen Behälter mit Vorräten. Als er einen öffnete, roch das Gewürz darin noch so frisch wie am ersten Tag.

Alles war so wie Ikken den Raum verlassen hatte. Nur die Laterne fehlte. Aber die hatten sie ja bei der Flucht mitgenommen, erinnerte er sich jetzt. Ikken setzte sich einen Moment aufs Bett und erinnerte sich an die Jahre, die er hier mit Aylal verbracht hatte. Dann versuchten er und Tanan die Bretter, die den Eingang versperrten, zu lockern. Vergebens. Wahrscheinlich lag noch der Brandschutt vor dem Eingang.

Sie krochen durch den Gang zurück zum Ausgang in der Stadtmauer. Vom Ausgang signalisierte Ikken KeYNamM, der in einiger Entfernung Wache hielt, dass in der Wohnkammer alles in Ordnung sei. Als sie vor der Stadtmauer angekommen waren, räumten Ikken und Tanan das Reisig wieder sorgfältig vor das Loch in der Mauer. Anschließend ritten sie gemeinsam mit dem Amestan zum Südtor der Stadt.

Alle drei hatten sich wie Bauern aus dem Grenzland gekleidet und fielen daher auf dem gesamten Weg vom Draa zur Stadt Niemandem besonders auf. Nur die kleinen schnellen Pferde hätten Verdacht erregen können, da Bauern solche grazilen Tiere gewöhnlich nicht besaßen. Auch jetzt hatten sie Glück. In der Hitze des Spätnachmittags hatten sich die müden Torwächter in die Kühle des Wachhauses zurückgezogen und waren eingenickt. Nicht einer bemerkte, dass drei Fremde durch das Tor in die Stadt ritten. Ikken, der wusste, dass die Herberge „Zum Durstigen Kamel“ in der Nähe des Westtors lag, ritt den anderen durch enge, glutheiße und daher fast leere Gassen voraus.


Das Tor der Herberge „Zum Durstigen Kamel“ stand einen Spalt breit offen. KeYNamM drückt es auf und die drei Besucher ritten vorsichtig in den viereckigen Innenhof. Die Herberge war ähnlich wie eine Karawanserei gebaut. Links war das Wohnhaus mit der großen Wirtsstube, an die sich die Wohnräume von Tirizi anschlossen. Die Rückseite des Anwesens beherbergte Ställe und Futterkammern und rechts des Tores lagen die Räume, in denen Gäste übernachten konnten. KeYNamM klopfte an die Wirtsstube und als niemand antwortete, stellten sie die Pferde in einen offenen Stall und ruhten sich auf Strohbündeln, die dort lagen, aus.

Bei Anbruch der Dunkelheit trafen nacheinander weitere Gäste ein. Da weder von der Herbergswirtin, also von Tanan's Mutter Tirizi, noch von ihren Dienern etwas zu sehen war, stellten auch sie ihre Pferde in den Ställen unter. Einer, der wohl hier öfters zu Gast war, kannte das Versteck der Schlüssel zu den Gästekammern, öffnete sie und holte anschließend gekühlten Tee aus der Wirtsstube, von dem sich jeder frei bedienen konnte.

Während die anderen Gäste begannen sich im Hof im Schein von schnell entzündeten Fackeln mit Brettspielen die Zeit zu vertrieben, wurde Tanan immer unruhiger. Nachdem er den kurzen Weg zwischen Stall und dem Eingangstor schon vier Dutzend Mal hin und her getigert war, sprach ihn ein weißhaariger Mann an, „Du da! Auf was wartest du? Kannst du nicht erwarten, dass Tirizi mit ihren Mädchen zurückkommt? Bist so nervös, weil du deine Unschuld noch nicht verloren hast?“ Dann lachte er laut, „Die Jugend will doch immer das Eine. Das kannst du heute Nacht bestimmt noch haben, auch wenn die Mädchen heute alle traurig sind.“

Als Tanan mit hilflos hängenden Armen vor dem Alten stehenblieb, mischte sich KeYNamM ein, der die Frage unpassend fand. „Was ist los Alter, kannst du den meinen Sohn nicht in Ruhe lassen. Siehst du nicht wie nervös er ist? Er ist nicht wegen der Mädchen hier, bestimmt nicht.“

„Warum denn sonst Bauer? Aber du hast Recht, an so einem Tag sollte man eigentlich nicht an so etwas denken. Die Mädchen haben nämlich ihre ermordete Freundin zu Grabe getragen!“ Als KeYNamM zusammenzuckte, fügte der alte Krämer hinzu, „Sei beruhigt, Fremder, sie ist nicht hier ermordet worden, hier ist es sicher. Jemand hat sie in der Stadt abgepasst, entführt, missbraucht und dann tot über die Stadtmauer geworfen. Aber sei unbesorgt, die Polizei fahndet schon nach dem Mörder und der neue Ankläger wird dafür sorgen, dass die Suche erfolgreich wird.“

22 Trauer und Freude

Erst als die Sterne schon am mondlosen Himmel leuchteten, kamen Tirizi, die Herbergsmutter, und ihre Mädchen durchs Tor. Sie alle waren in lange, schattenblaue Umhänge gehüllt, hatten die Haare mit Spitzentüchern bedeckt und der Klang von schweren silbernen Halsketten begleitete ihre Schritte. Die Herbergsmutter, die die Gruppe anführte, blieb mitten im Hof stehen, „Freunde! Fremde! Gäste! Heute ist ein trauriger Tag. Wir haben unsere Rosenknospe zu Grabe getragen, Tadla, meine jüngste Tochter. Sie zählte noch nicht einmal vierzehn Jahre! Sie wurde vom Baum des Lebens geschnitten, sie ist verwelkt, sie wird niemals mehr Aufblühen! Euch meine Freunde und euch Fremde …“, dabei sah sie zu KeYNamM hinüber, „… lade ich ein, unserer Rosenknospe mit einer kleinen Feier zu gedenken, eine Feier wie Tadla sie liebte!“ Damit öffnete sie die Wirtsstube und lud alle ein einzutreten.

Tanan hatte sich gewünscht, dass ihn seine Mutter sofort erkennen und in die Arme schließen würde. Er hatte sich getäuscht, natürlich! Woher sollte sie auch wissen, dass der junge Mann am Tisch in einer dunklen Ecke der Wirtsstube ihr Tanan, ihr Sohn, war? Tirizi und ihre Mädchen machten sich zunächst bei den anderen Gästen zu schaffen und beluden die Tische mit Speisen und Getränken. Jeden Anwesenden bewirteten Tanan's Mutter Tadla zu Ehren wie einen König. Erst spät wurde die Herbergsmutter auf den Fremden aufmerksam, der mit seinen jungen Begleitern von seinem Tisch im Halbdunkel die Geschehnisse im Gastraum gespannt beobachtete.

Tanan war unruhig. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Endlich kam seine Mutter an ihren Tisch. „Fremder …“, begrüßte Tirizi den Amestan, „… sicher haben du und deine prächtigen Söhne schon von dem Unglück gehört, welches unsere Rosenknospe getroffen hat. Seid trotzdem willkommen, Ihr Tod darf uns nicht vom Leben abhalten.“ Sie schwieg einen Augenblick, dann neigte sie kurz ihr Haupt, „Mein Name ist Tirizi. Das heißt „Hell wie der Mond“! Aber heute ist meine Seele verdunkelt!“, sie musterte KeYNamM, „Aber wie heißt du, Herr. Denn ein Herr bist du wohl, obwohl du dich als Bauer verkleidet hast!“ Der Amestan schaute zu ihr hoch, „Ich habe keinen Namen und sie nennen mich daher „KeYNamM“, der „der ohne Namen“ ist. Aber diese Beiden haben einen Namen. Dies ist Ikken, der Sohn König Gaya's, des Vorfahren aller Wüstensöhne.“ Dann forderte er Tanan mit einer Geste auf sich zu erheben und vor die Herbergsmutter zu treten. „Den solltest du jedoch kennen, Tirizi!“ Als die Herbergsmutter Tanan verwundert anblickte und dann ratlos auf KeYNamM blickte, fuhr der Amestan fort. „Er wird Tanan genannt. Erinnerst du dich an den Namen „Tanan“? Erinnerst du dich an einen den du selbst Tanan genannt hast? Erinnere dich und deine Seele wird nicht mehr trauern!“

Tirizi schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern. Sie erinnerte sich an den Namen, aber der starke junge Mann konnte es nicht sein, nein, niemals, ihr kleiner Tanan! Nein, nein, nein!! Dann aber blieb ihr fast das Herz stehen, als KeYNamM fortfuhr, „Ja, es ist dein Tanan, dein Sohn! Schau ihn genau an! Erkennst du ihn? Er wartet schon mehr als zehn Jahre darauf, dass du ihn in die Arme schließt! Hier!“ Damit stieß er Tanan vorwärts, sodass sich Mutter und Sohn direkt in die Arme fielen und fügte dann hinzu, „Erkennst du ihn jetzt, deinen Sohn Tanan? Deinen Tanan!“

Plötzlich ergoss sich ein Strom von Tränen aus Tirizi's Augen. Sie breitet ihre Arme aus und fiel ihrem Sohn um den Hals. Sie war wirklich klein, kleiner als Tanan. Da stand der junge Mann nun, hielt seine Mutter in den Armen und wusste nicht, was er als nächstes tun sollte, vor Freude lachen oder vor Rührung weinen. Tanan entschied sich für ersteres. Er strahlte, seine Augen strahlten, sein Gesicht strahlte, sein ganze Körper begann zu strahlen, er schien zu wachsen, er hob seine Mutter hoch, wirbelte sie im Kreis und als beiden schwindlig wurden, plumpste er in den nächsten Stuhl, seine Mutter noch immer in den Armen.

Tirizi fasste sich endlich. Sie küsste Tanan auf die Stirn und umarmte ihn dann so fest, dass ihm beinahe die Luft wegblieb. Unter Freudentränen fragte sie KeYNamM, „Hast du gemacht, dass wir uns endlich wieder sehen, Fremder? Hast du bewirkt, dass er mich endlich besucht, obwohl ich mich solange nicht um ihn gekümmert habe?“ Als KeYNamM den Kopf schüttelte, setzte sie hinzu, „War er es der mich suchte? Ich habe ihn nie vergessen, aber ich fürchtete, dass er mich nach so langer Zeit nicht sehen will. Aber das war es nicht allein! Ich fürchtete, dass er mich ablehnt, weil ich so ein Haus führe, weil ich diese Vergangenheit habe.“

„Tanan ist ein großartiger Junge. Frage Ikken meinen Sohn. Die beiden brauchten nur einen Tag, um gute Freunde zu werden. Frag die Menschen in deiner Heimat am Draa, die halten alle große Stücke auf Tanan.“

Da nahm Tirizi Ikken's Hand. „Ihr seid Freunde?“, sie wartete nicht auf seine Antwort, „Ihr seid Freunde! Ich sehe es! Ihr ergänzt euch wie Sonne und Mond, wie Sommer und Winter, das sehe ich. Ich danke dir Gaya's Sohn.“

Tirizi war plötzlich vollständig verwandelt! Sie strahlte trotz Tränen in den Augen. Sie kletterte auf den nächsten Tisch: Sie klatschte in die Hände! „Gäste!“, rief sie, „Heute ist wahrlich ein trauriger Tag. Wir haben unsere Rosenknospe zu Grabe getragen. Sie wurde vom Zweig geschnitten und wird niemals Aufblühen!“ Als alle Gäste zu ihr aufblickten, fuhr sie fort, „Heute ist aber auch ein freudiger Tag, der freudigste meines Lebens. Hier!“, sie zeigte auf Tanan, zog ihn zu sich auf den Tisch hinauf und sagte voller Stolz, „Stell dich neben mich mein Sohn Tanan, stell dich neben deine Mutter.“ Dann rief sie in die Wirtsstube „Hier! Das ist Tanan, mein Sohn, den ich so lange vermissen musste!“ Sie schaute zu ihm auf, denn er war mindestens einen halben Kopf größer als sie, „Hier, seht ihr den schönsten und besten Sohn, den eine Mutter haben kann! Er hat mich gesucht und gefunden. Nicht ich habe ihn gesucht, er hat mich gesucht! Er liebt mich, er liebt mich wirklich!“ Sie strahlte noch einmal in die Runde, „Feiert Freunde, seid heute meine Gäste! Feiert mit uns! Feiert, denn so ein Tag kehrt nicht sooft wieder, ein Tag an dem Trauer und Freude so nahe beieinander liegen!“


Die Feier war zu Ende. Tanan und Ikken hatten sich zurückgezogen und schliefen schon. Erst jetzt konnte sich KeYNamM die Zeit nehmen, Tanan's Mutter kritische Fragen zu stellen. „Tirizi, warum hast du Tanan als Kleinkind weggegeben? Du liebst ihn doch!“

„Damals!“ seufzte sie, „Damals, konnte ich nicht anders. Wenn ich ihn nicht bei meinen Eltern in Sicherheit gebracht hätte, wäre er jetzt tot. Das Todesurteil stand schon fest und Schergen warteten an der Tür!“

„Wer kann so grausam sein, ein Kind ermorden zu wollen? … Wer?“, bohrte er nach, als sie schwieg.

„Wer, wer hat die Macht in diesem Land? Wer setzt diese Macht in dieser Stadt durch? Wer leitet daraus die Macht ab, Menschen ungesühnt zu töten? Wer hat Rosenknospe getötet? Du kennst den Namen! Wer diesen Namen in Zusammenhang mit dem Mord an Tadla bringt, bringt sich selbst in Gefahr! Ich schweige!“ Dann nach einen Moment des Nachdenkens, „Es ist besser, du nimmst Tanan wieder mit. Geh KeYNamM, nimm Ikken mit, nimm Tanan mit! Euch sucht er, das weiß ich. Und Tanan, mein lieber Tanan? Ich weiß nicht, ob das Urteil von damals noch weiter besteht!“

Als KeYNamM in das Zimmer ging, indem Ikken und Tanan eng aneinandergedrückt schliefen, wusste er, der Gouverneur muss sterben, je früher, desto besser!


Am nächsten Morgen wurde in aller Früh an das verschlossene Tor der Herberge „Zum Durstigen Kamel“ gehämmert. Tirizi, ihre Mädchen, ihre Hausdiener und die Gäste der Herberge wurden durch das Poltern aus dem Schlaf gerissen. Noch bevor einer der Hausdiener am Tor war, spähte Tirizi schon durch ein geheimes Guckloch nach draußen. Sie war besorgt. Im Traum hatte sie Tanan im Haus des Gouverneurs gesehen. Ihr Sohn stand vor ihm und hielt etwas Blinkendes in der rechten Hand. Sie glaubte an Vorahnungen. Was hatte Tanan im Haus des Gouverneurs zu schaffen?

Durch das Guckloch sah sie zwei Polizisten. Sie erschrak, kamen sie um Tanan abzuholen? Hatte sich seine Ankunft schon bis zum Gouverneur herumgesprochen? Dann wurde sie jedoch ruhiger. Die beiden Männer waren nicht Häscher des Gouverneurs, sondern der Kleidung nach Stadtpolizisten. In ihrer Mitte stand ein junger Mann. Er hatte zwar noch nie ihre Herberge besucht, sie erkannte ihn aber sofort. Es war Ankläger Anir, der junge Staatsanwalt von Tinghir. Sie hatte bisher nur gutes von ihm gehört. Wenn der dabei war, ging es wohl um den Mord an Tadla, schloss sie haarscharf, und nicht um ihren Sohn.

Der Hausdiener öffnete das Tor. Tirizi lief in den Hof, hieß die frühen Gäste willkommen und bat sie in die Gaststube. Während die beiden Polizisten am Eingang zur Gaststube Aufstellung nahmen, kam der Ankläger mit hinein. Da die geräumige Wirtsstube noch unaufgeräumt war, bat sie ihn in ihre eigene kleine Wohnstube dahinter. „Was verschafft mir die Ehre, Herr Staatsanwalt? So früh? Wir haben gestern Abend Abschied von Rosenknospe genommen. So jung und schon aus dem Leben gerissen! Sie war meine liebste Tochter!“

„Ja, die Polizisten kannten sie. Sie beschworen, dass Tadla wirklich so jung und schön war, wie du sagst, Tirizi, dazu wohlerzogen, scheu und zuverlässig. Sie soll hier nur gearbeitet haben, um ihre alten Eltern im Grenzland zu unterstützen!“ Tirizi fiel ein Stein vom Herzen. Es ging nicht um Tanan, sondern wirklich um Rosenknospe. Als sie aufseufzte, fuhr Anir fort, „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so wohlerzogenes Mädchen sich ohne Not in eine Gefahr begibt, die mit ihrem Tod endet. Ich muss die Vorgeschichte wissen, damit ich die Untersuchung mit Aussicht auf Erfolg führen kann.“

KeYNamM, der dem Gespräch vom Nebenzimmer aus zugehört hatte, betrat jetzt das Wohnzimmer, verbeugt sich leicht vor dem frühen Gast und setzte sich ihm gegenüber neben Tirizi an den Tisch, als gehöre er zur Familie. Das erstaunte Anir, da die gut unterrichteten Polizisten ihm versichert hatten, dass die Herbergsmutter allein lebe. Interessiert begann er KeYNamM's Gesicht zu studieren. Ihm fielen zuerst die wachen Augen des Mannes auf. Sie prüften sein Gesicht so intensiv und gespannt, wie er das seines Gegenübers prüfte. Woher kenne ich ihn, dachte der Ankläger, woher bin ich so sicher, dass ich mit dem Mann schon zu tun hatte?

Als Tirizi den Namen des Gastes nannte, „KeYNamM“, erinnerte er sich augenblicklich. KeYNamM, der Amestan, der König vom Unland war das also! Aber der, der ihm jetzt gegenüber saß, war nicht mehr der, dessen Tod der Gouverneur unbedingt wollte. Der Mann, der jetzt vor ihm saß, sah aus, als wäre er aus dem Jungbrunnen gestiegen. Sein Gesicht war glatt, bartlos und sauber, die Haare ordentlich geschnitten, nur kraus vom Schlaf. Aber seine Haltung war genau so wie damals vor dem falschen Schwurgericht. Erst jetzt bemerkte Anir, dass sein Gegenüber ihn auch erkannt hatte, aber er konnte keine Angst in seinen Augen entdecken, nur Wachsamkeit.

Anir war so in Gedanken gewesen, dass er den Gesprächsverlauf nicht gefolgt war. „Was sagtest du gerade Tirizi? Tadla wollt nur zum Soukh und dort Perlen für eine Kette zu kaufen? Dort bieten viele Händler Glasperlen feil. Weißt du welchen sie aufsuchte?“

„Ja. Als sie bei Einbruch der Dunkelheit nicht zurück war, habe ich den Diener zum Soukh geschickt. Tadla hat an einem der Stände Perlen gekauft und an einem anderen Faden. Beide Händler sahen dann wie sie den Soukh verließ und sich auf den Heimweg machte. Wir suchten den ganzen Rückweg ab und fragten die Anwohner, ob sie Tadla gesehen hätten. Die Bewohner der ersten Häuser hatten sie gesehen. Aber die Bewohner der Häuser zwischen dem steil ansteigenden Weg, der zum Plateau hinter der Gouverneursvilla führt, und der Herberge nicht mehr.“

„Habt ihr den Weg zum Plateau abgesucht?“

Bevor Tirizi antworten konnte, öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer erneut. Zwei Jungen standen hintereinander in der Türöffnung. Der vorne, ein kräftiger Halbwüchsiger mit dunklen Locken, lächelte Anir mit seinen kohlschwarzen Augen ohne Scheu an, der dahinter, hochgeschossen und mit fast blonden Haaren, richtete seine graublauen Augen kritisch auf ihn. Anir schätzte sie auf vierzehn oder fünfzehn.

Waren es Brüder? Auf den ersten Blick, würde er sie nicht für Geschwister halten. Daher war er erstaunt, als KeYNamM sie mit „Meine Söhne!“ vorstellte, ohne jedoch ihren Namen zu nennen. Die beiden setzten sich an den Tisch, der dunkelhaarige neben Tirizi, der hellhaarige neben den Amestan. Das passt schon besser, dachte der Ankläger, denn der dunkelhaarige ähnelte der Herbergsmutter und der hellhaarige dem Amestan. Der Anblick der beiden, war für ihn der Lichtblick am frühen Morgen, trotz der traurigen Aufgabe, die ihm bevorstand.


Anir war stolz darauf, dass er die Fähigkeit entwickelt hatte, den Charakter von Menschen schnell einschätzen zu können und an den Vier, die ihm gegenüber saßen, fand er keine Falschheit. Folgerichtig wollte er den Amestan gerade fragen, „Sind beide wirklich deine Söhne oder doch nicht nur der Blonde?“, als die Tür von der Wirtsstube zum Wohnzimmer aufflog und einer der Polizisten hereinplatzte. „Der Gouverneur hat einen Boten geschickt. Es ist dringend! Ankläger, Sie sollen schnell zum Gericht kommen, dort wartet ein wichtiger Fall. Der Tod der jungen Nutte sei jetzt Nebensache, lässt er ausrichten!“

Tirizi protestierte vehement, „Tadla war kein Freudenmädchen, sie war eine Tänzerin, eine die mit ihren Aufführungen jedermann erfreute.“ Dann wandte sie sich an Anir. „Staatsanwalt, der bestialische Mord an diesem unschuldigen Mädchen muss gerächt werden! Es gibt nichts was wichtiger ist, denn wird eine der Blüten des Landes hingeschlachtet ohne gerächt zu werden, dann sind keine Rosenknospen in unserem Land mehr sicher!“ Sie schluckte einen Augenblick, „Staatsanwalt, Ankläger Anir! Sucht den Mörder! Es sind in dieser Stadt schon zu viele Rosen geköpft worden, ohne dass je ihr Mörder dingfest gemacht wurde!“

Auch KeYNamM starrte wütend auf den Ankläger und stieß dann hervor, „Sag Ankläger, frag den Vertreter des Imperators, frag ihn! Deckt er den Mörder oder hat er die Mädchen selbst hingeschlachtet und über die Stadtmauer den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen? Und auch die Knaben? Seine Vorliebe für unschuldige Mädchen und kleine Jungen sind in der ganzen Stadt bekannt. Auch dir sollten inzwischen die Gerüchte über geschändete Mädchen und hingeschlachtete Jungen nicht verborgen geblieben sein!“

„Was unterstellst du mir, Amestan! Was unterstellst du dem Gouverneur? Warum bist du eigentlich nach Tinghir gekommen? Du weißt, ich könnte dich sofort festnehmen lassen, denn du wirst immer noch gesucht“, dann schwieg er kurz, „Was den Gouverneur angeht, so fehlen dir die Beweise! Ohne Beweise kann niemand angeklagt und verurteilt werden!“

„Mit diesen Worten gibst du selbst zu, dass du einen ähnlichen Verdacht hegst!“ Da Anir schwieg, fuhr der Amestan fort, „Du brauchst nicht zu antworten. Ich weiß, du wirst dein Bestes tun. Du wirst den Mörder von Tadla überführen! Du wirst den Mörder all der Mädchen und Jungen finden, die geschändet und tot am Fuß der Stadtmauer gefunden wurden. Dessen bin ich sicher Ankläger! Hast du überlegt, warum die Leichen immer an einer Stelle über die Stadtmauer geworfen werden, an einer Stelle, die von der Gouverneursvilla ungesehen erreicht werden kann?“

Tirizi ergänzte, „Falls du das nicht weißt Ankläger, Tadla's Leiche war nicht die erste, die dort gefunden wurde. Frag deine Polizisten, frag den Stadthauptmann! Schon zehn oder zwölf geschändete Körper sind an dieser Stelle aufgefunden worden.“

Als der Polizist zum zweiten Mal den Kopf durch den Türspalt steckte, verabschiedete der Ankläger Anir sich mit den Worten, „Wir sehen uns wieder!“ Dann wandte er sich an die beiden Jungen, machte ein besorgtes Gesicht, „Seid vorsichtig, ihr habt das Leben noch vor euch!“


Seit dem Moment, an dem der Körper der toten Tadla am Fuß der Mauer entdeckt worden war, schwirrten Gerüchte über den Mord das junge Mädchen durch Tinghir. Alle fragten sich, „Warum wurde gerade sie ermordet?“ Frömmelnde Weiber fragten: „War es ihr Lebenswandel? Was musste sie als Tänzerin auch die Männer aufreizen?“ Unvoreingenommene Frauen oder solche, die Tadla gut kannten, fragten „War es ihre Schönheit? War es ihre Freundlichkeit? Ihr entgegenkommendes Wesen? Ihre Gutgläubigkeit?“ Andere wiederum fragten, „War sie ein Zufallsopfer?“ Alle aber, Bigotte, Unvoreingenommene, Freunde und Bekannte, ja sogar völlig Fremde, waren sich einig, dass eine Bestie den Mord begangen haben musste, eine Bestie in Menschengestalt und kein böser Geist. Die, die sich erinnern konnten, und das waren nicht wenige, fragten sich: „Ist Tadla das zehnte oder zwölfte unschuldige Opfer, welches dort am Fuß der Mauer gefunden wurde? Treibt ein Serienmörder sein Unwesen in der Stadt, der seine Mordgier an den unschuldigen Mädchen und zarten Jungen der Stadt auslebt?“

KeYNamM versuchte soviel wie möglich über die Morde zu erfahren. Daher wandte er sich an Tirizi. Die rief einen alten Hausdiener und zwei ihrer langjährigen Töchter, die schon lange in Tinghir lebten, ins Wohnzimmer. Sie sollten berichteten, an welche Morde sie sich erinnern konnten. Tirizi wollte versuchen das Bild zu vervollständigen.

Bald war der Amestan in der Lage sich ein ziemlich genaues Bild von den Morden der letzten zwei Dutzend Jahre zu machen. Dabei zeigte sich, dass eine Vielzahl der unaufgeklärten Morde deutliche Ähnlichkeiten mit dem Mord an Tadla aufwiesen.

Für eine Mordserie sprachen die Verletzungen der Opfer, die Uhrzeit, zu der die Leichen entdeckt worden waren, der Fundort der Leichen am Fuße der Stadtmauer, der nicht mit dem Ort des Mordens identisch sein konnte. Alle, auch Tadla, mussten in der Stadt, wahrscheinlich in einem Gebäude, ermordet, dann zur Stadtmauer geschafft und über die Mauer geworfen worden sein.

In der Nähe des Fundortes von Tadla's Leiche waren im letzten Jahrzehnt mindestens zehn, vielleicht auch zwölf Ermordete gefunden worden. Über die Zahl waren sich Tirizi und ihre Angestellten nicht ganz einig. „Nur der Stadthauptmann und der Staatsanwalt werden genau wissen wie viele, denn sie führten Buch“, meinten sie.

Aber nicht nur der Fundort sprach für eine Mordserie. Alle Ermordeten waren sehr, sehr junge Mädchen oder kleine Jungen. Alle stammten nicht aus der Stadt, sondern kamen von außerhalb und hatten nur kurz in Tinghir gelebt. Die meisten stammten entweder aus dem Grenzland oder dem Unland, was auf den ersten Blick an ihren hellen Haaren und blauen Augen zu erkennen war.

Was sprach darüber hinaus noch für eine Mordserie? Alle waren vor ihrem Tod auf ähnliche Weise bestialisch gemartert und verstümmelt worden. Zuerst wollten weder Tirizi noch die anderen über die Verstümmlungen sprechen, aber dann brach es aus ihnen heraus. „Wie bei Tadla hatte der Mörder seinen Opfern die Brüste abgeschnitten und den Bauch von der Scheide bis zum Nabel aufgeschlitzt, sodass das Gedärm herausquoll. Allen hatte er die Kehle durchschnitten.“ Als Tirizi dies schluchzend berichtete, liefen ihr die Tränen über die Wangen und sie stöhnte, „Ich bete zu Gott, dass der Sadist ihnen zuerst die Kehle durchgeschnitten und sie erst dann verstümmelt hat.“

„Und die kleinen Jungen, wie waren sie verstümmelt?“, wollte KeYNamM wissen. Voll Abscheu stöhnte der alte Diener, „Die Jungen? Keiner von Ihnen war über zehn, bestimmt nicht! Unschuldige Kinder!“, er schüttelte voller Abscheu den Kopf, „Immer hatte das Monster ihnen den Penis abgeschnitten und die Hoden! Immer hatte das Monster ihnen einen spitzen Holzpfahl in den After gerammt“, KeYNamM sah einen erschütterten Mann, „und oftmals fehlten auch ihre Ohren und ihre Nase.“

Da KeYNamM genau wissen wollte, wer in der Nähe des Fundortes wohnte, erklärte ihm Tirizi die Örtlichkeiten. „Die Stelle, an der die Ermordeten über die Mauer geworfen wurden, liegt etwa gegenüber dem Brunnenhaus in der Oberstadt. Unterhalb des Brunnenhauses beginnt die eigentliche Stadt, oberhalb liegt nur das Stadthaus, das auch der Amtssitz des Gouverneurs ist, das Gerichtsgebäude und Gefängnis. Dort beginnt auch der Weg hinauf zum Berg über der Stadt. Er führt an drei Häusern vorbei zur Villa des Gouverneurs und weiter hinauf.“

„Und hat die Polizei diese Häuser durchsucht, auch das des Gouverneurs?“

„In den drei Häusern wurden nie Spuren gefunden, die von den Morden stammen könnten.“

„Und das Stadthaus mit dem Gerichtsgebäude, dessen Zellen oder die Gouverneursvilla. Wurden die durchsucht?“

„Von denen war nie die Rede. Die Polizei durfte das wohl nicht!“

Jetzt machte sich eines der Mädchen bemerkbar, die bisher meist stumm dabeigesessen hatten, „Ich will ja nichts Unwahres in die Welt setzen, aber der Gouverneur hat seltsame Vorlieben. Manche meiner Schwestern kam schon von einer Nacht mit dem Gouverneur zurück und zeigten mir ihre blauen Flecken, ihre Schnittwunden und Verletzungen. Anstatt mit ihnen seinen Spaß zu haben, wurden sie vom Gouverneur gefesselt, gewürgt, geschlagen. Wer einmal zu ihm eingeladen worden war, hat keine zweite Einladung angenommen. Der Gouverneur ist ein Sadist!“

Im Laufe der Besprechung erfuhr KeYNamM von den beiden Mädchen ziemlich genau, wie es in der Gouverneursvilla aussah. Im Unterstock wohnten nur die beiden alten Dienerinnen des Gouverneurs. Die Ältere, Lalla, seine ehemalige Amme, war fast taub aber scharfäugig. Ihre jüngere Schwester, Kella, war halbblind, hatte dafür ein Gehör wie eine Maus. Beide waren scharfzüngig und gemein. Sie bissen jede andere Dienerin, die der Gouverneur einzustellen versuchte, aus dem Haus. Sie waren ihm voll ergeben und beschützten ihn wie eine Glucke ihre Küken. Im Gegenzug ließ der Gouverneur nichts auf die beiden kommen.

Im Oberstock mit dem Ausgang zum Garten, lagen nach vorn zum Pfad auf den Berg hinauf hin, neben einigen Arbeitsräumen, ein Prachtraum, indem der Gouverneur Hof halten und Gäste empfangen konnte. In der rückwärtigen Hälfte des Hauses, also zur Bergwand hin, schien nur der riesige Schlafraum des Gouverneurs zu liegen. Dieser Raum war immer kühl und bekam sein Licht durch kleine Luken hoch oben in der Wand zum Garten. Dieser Raum wäre besser ausgestattet als selbst der Schlafraum des Imperators, berichteten die Mädchen.


Mit dieser Information vor seinem geistigen Auge, überlegte KeYNamM, wie er am unauffälligsten an den Gouverneur herankommen konnte, um ihn unschädlich zu machen. Ein Eindringen durch die Haustür war kaum möglich. Zum einen, weil die Polizei in unregelmäßigen Abständen vor dem Haus patrouillierte und zum anderen weil ein Eindringen durch die Haustür von den beiden Schwestern bemerkt werden konnte, besonders dann, wenn jemand die Treppe zum Oberstock hochstieg. Es blieb also nur der Weg durch den Garten.

Zunächst müsste er also unbemerkt in den Garten eindringen. Er konnte natürlich nicht das Gartentor nehmen, sondern müsste sich vom Plateau oberhalb des Gartens abseilen oder am Ende des Gartens über die Mauer steigen. Dafür benötigte er auf jeden Fall die Hilfe von Ikken, der die Stadt wie seine Hosentaschen kannte. Dann musste er vom Garten her in das Haus eindringen und sich im Dunklen bis zur Tür des Schlafraumes des Gouverneurs vortasten. Alles musste lautlos geschehen. Und was dann?

KeYNamM's ursprünglicher Plan war gewesen, den Gouverneur in aller Öffentlichkeit zur Rede zu stellen, ihn anklagen, ihm die Rechtsverletzungen und Morde vorzuwerfen, ihn so in die Enge zu treiben, dass ihm nichts anderes bliebe, als seine Schuld einzugestehen. KeYNamM wusste, dass dies ein schöner Traum war. Nein, er musste den Gouverneur entweder entführen oder, wenn das nicht möglich wäre, töten oder für seine Verbrechen hinrichten.

Den Gouverneur zu entführen, um ihm anschließend den Prozess zu machen, erschien KeYNamM kaum möglich. Er stand daher vor der Frage, konnte er, KeYNamM, die Tötung, also die Ermordung von Gouverneur Gwasila vor der Öffentlichkeit rechtfertigen, vor allem aber, konnte er sie mit seinem Gewissen vereinbaren?

Lange befragte sich KeYNamM. Dann kam er zum Schluss. Er würde den Gouverneur nicht entführen, er würde ihn an Ort und Stelle töten. Denn des Gouverneurs Tötung war kein Mord, es war die Hinrichtung eines Monsters. Ja! Eindeutig Ja! Es war die Hinrichtung wegen der vielen, vielen Verbrechen, deren sich der Gouverneur im Laufe der Jahre schuldig gemacht hatte.

KeYNamM resümiert nochmals: Gouverneur Gwasila hatte sein Leben verwirkt, wegen der schändlichen Morde an den unschuldigen Mädchen und Jungen; er hatte es verwirkt, wegen der Hinrichtung von Ikken's und Aylal's Vater und ihrer Muhme und der vielen anderen, die er ermorden ließ, weil sie seinen Plänen im Wege standen; er hatte es verwirkt, wegen der Kämpfe auf der Himmelsleiter, bei der er zwei Männer gegeneinander hetzte, nur um den Blutrausch des Stadtvolks zu befriedigen; er hatte es verwirkt wegen der Ausbeutung und Erniedrigung der Gefangenen in der Kristallmine und er hatte es verwirkt wegen der Raubzüge, Vergewaltigungen und Morde, die seine Knechte im Unland am Draa in seinem und des Imperators Namen begangen hatten.

KeYNamM war sich im Klaren darüber, dass er den Gouverneur lautlos, schnell und ohne Erbarmen töten musste. Das Aufdecken der Verbrechen des Gouverneurs, auch des Mordes an Tadla, müsste später geschehen. Er musste es anderen überlassen, beispielsweise dem Ankläger. Ja, Anir der Ankläger war der Richtige. Er musste die Bestialitäten des Ruchlosen ans Tageslicht bringen und dem Imperator bekanntmachen.

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