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Zuckersüß und zum Dahinschmelzen

Teil 4 - Pastell Buttercreme

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Es ist ein weiterer, ausnahmsweise sonniger Tag in Karins Paradies. Immer wieder erwische ich mich dabei etwas verstohlen zu Fin zu sehen. Angeblich soll ich ihm gut tun. Zumindest wenn es nach Alex geht.

Vorsichtig und mit gekonnten Handbewegungen, wird die pastellfarbene Buttercreme von ihm auf den fluffig gebackenen, marmorierten Teig getürmt. Fin hat schöne Hände. Sanft. Nicht wie meine, die eher rau sind und übersät mit diversen Narben von unvorsichtiger Arbeit am Grill und vom Training, bei dem ich generell vergesse Handschuhe anzuziehen.

Fin ist wirklich das absolute Gegenstück meiner Wenigkeit. In mir kommt die Frage auf, ob ich mich selbst so sehr verabscheue, dass ich anfange alles Gegenteilige zu lieben. Moment...lieben?

Ich wende den Blick von meinen Händen ab und richte ihn auf das hübsche Seitenprofil dieses kauzigen Kerls. Die wenigen Strahlen der Sonne, haben ihm noch ein paar mehr Sommersprossen auf die leicht gebräunte Haut gezaubert. Sollte mir so etwas wirklich auffallen? Wieso bin ich so besessen von ihm? Ich gehe der Frage partout aus dem Weg. Ich will wohl einfach nicht wissen, wieso ich mich so gerne in seiner Nähe aufhalte und wieso ich pausenlos an ihn denken muss. Selbst gestern, als ich nach Feierabend noch im Training war, konnte ich einfach nicht damit aufhören. Es ist seltsam, aber als ich mir so die anderen Kerle angesehen habe, hat es sich nicht so angefühlt, wie bei ihm. Da ist in keinster Weise dasselbe Verlangen da.

„Möchtest du ein Foto von mir?“

Mist. Voll erwischt. Grimmig sieht er zu mir und mustert mich.

„Entschuldige bitte. Ich bin irgendwie nicht ganz auf der Höhe.“

Ein wahnsinnig schönes Lächeln ziert sein feines Gesicht.

„Das bist du nie, Trottel.“

Trottel. Irgendwie mag ich den Spitznamen, den mir seine Schwester gegeben hat, ein wenig lieber. Nichts desto trotz schlägt mein Herz vier Takte schneller, als er plötzlich die Hand auf meinen Unterarm legt und mich so freundlich anlächelt, wie noch nie zuvor. Beinahe verzaubert von der Geste und dem Anblick, lasse ich alles stehen und liegen und trete noch einen Schritt näher an ihn heran. Ich kann die Nähe schon spüren. Die Wärme seines Körpers und den Duft, den ich so sehr verehre. Er wehrt sich nicht und solange dieses liebevolle Lächeln zu sehen ist, wiege ich mich auf der sicheren Seite, als dieses sich plötzlich zu einem gemeinen, für ihn typisches Grinsen verändert. Im nächsten Moment merke ich nur, wie mir eine Hand voll rosafarbene Buttercreme auf die Wange geklatscht wird. Ich hätte es wissen müssen.

„Idiot.“ höre ich ihn nur kichernd sagen, als ich mir das klebrige Zeug vom Gesicht wische.

„Na vielen Dank auch.“

„Jetzt stell dich nicht so an. Du machst es mir einfach ein bisschen zu leicht.“

Da hat er wohl Recht. Ich würde jedes Mal wieder aufs Neue auf ihn hereinfallen.

Gerade als ich mich weiter an die Arbeit machen will, werde ich plötzlich am Kragen gepackt und an ihn heran gezogen.

„Du hast da was übersehen...“

Alles passiert so schnell, dass ich nur noch das leichte Kitzeln der Zungenspitze auf meiner Haut vernehmen kann, gefolgt von einem Herzrasen, das mir in höherem Alter wohl einen klaren Herzinfarkt beschert hätte.

„Feli, Feli, Feli!“ ruft es vom Pass und kurze Zeit später tänzelt Karin mit ihrem Handy in der Hand in die kleine Küche. Blitzschnell werde ich wieder von ihm geschoben. So richtig verarbeitet habe ich das soeben Geschehene noch nicht.

„Schau mal. Ich hab hier ein paar...“

Karin beäugt erst mich und dann ihren Bruder mit misstrauischem Blick.

„Was ist hier los? Ich fühle eine seltsam erotische Spannung in diesem Raum.“

Hilflos sehe ich zu Fin, der sich mit einem frechen Grinsen über die Lippen wischt und nur mit der Schulter zuckt. Macht es ihm denn wirklich gar nichts aus, dass sie es ahnt? Nein, wieso auch? Karin wäre die Art Mensch, die das vermutlich noch promoten würde. Aber wieso hat er mich dennoch von sich geschoben, als sie herein gekommen ist?

„Okay, ich behalte euch Beide im Auge. Aber zurück zu dir, Süßer. Eine Freundin von mir und Alex ist zu ihrem Freund gezogen und damit wäre ihre Wohnung frei.“

Interessiert, aber noch immer leicht zittrig, lasse ich mir die Bilder der 1 ½ Zimmer Wohnung zeigen.

„Die ist echt schön.“ gebe ich zu.

„Ja! Total. Ich meine, es ist jetzt kein Penthouse, aber sie hat einen kleinen Balkon, liegt ziemlich zentral und bezahlbar ist sie auch! Außerdem verfügt sie über eine neue Einbauküche und ein frisch renoviertes Badezimmer mit Wanne.“

Karins Enthusiasmus ist immer wieder aufs Neue ansteckend. Ich liebe es nach einem langen Arbeitstag einfach nur entspannt in der Badewanne zu verweilen.

„Moment. Wo ist der Haken?“ wird sie von ihrem Bruder gefragt, der dem Ganzen wie immer mit gewohntem Pessimismus begegnet. Erst als ich auf Karins Reaktion aufmerksam werde, halte ich die Zweifel ebenfalls für angebracht. Nervös tippelt sie hin und her, als müsste sie dringend mal wohin. Zudem weicht sie meinem Blick aus.

„Raus mit der Sprache.“ fordert Fin mit bestimmter Stimme.

„Also,...die Wohnung..., sie gehört jemanden.“

Ich ahne Schlimmes. Wer hätte genug Geld um die Wohnung zu besitzen und sorgt gleichzeitig bei mir und bei Fin für leichte Übelkeit? Ich schätze die Antwort ist klar und dem verzweifelten Kopfschütteln des Schönen neben mir zufolge, liege ich damit verdammt richtig.

„Evan?“ frage ich vorsichtig.

„Ja, aber sieh das doch mal positiv. Ich bin mir sicher, dass du die Wohnung auf jeden Fall bekommen würdest.“ versucht sie sich aus der Affäre zu reden.

„Ach so und die Kaution bezahlt er dann in Naturalien, oder wie?“ mischt sich Fin ein. Ist er etwa eifersüchtig? Irgendwie...süß.

„Nein, du weißt doch, dass Evan durchaus in der Lage ist Geschäftliches und Privates zu trennen.“

„Reden wir von dem Evan, der seine Sekretärinnen nach deren Körbchengröße auswählt?“ will er von ihr wissen.

Berechtigter Einwand. Soviel habe ich auch schon über den Kerl erfahren.

„Aber das ließe sich doch regeln. Ich meine, letztendlich wird ja alles vertraglich abgeklärt und dann haben persönlichen Angelegenheiten keinen Platz mehr. Ich habe schon mit Ev gesprochen. Er würde dir die Wohnung heute Abend kurz zeigen, Feli.“

Zum ersten Mal fühle ich mich schuldig. Schuldig mir gegenüber, dass ich tatsächlich eine Chance auf ein nettes Zuhause sausen lassen würde, nur um Fin nicht auf die Füße zu treten und natürlich auch schuldig Fin gegenüber, dem ich damit alles andere als einen Gefallen tun würde.

„Karin, ich...weiß nicht.“ stammle ich vor mich her.

„Du solltest sie dir wenigstens einmal ansehen.“ meint sie.

Ich sehe zu ihm. Fin seufzt und wendet sich seiner Arbeit zu. Ich kann richtig spüren, wie genervt er davon ist.

„Finni, wieso gehst du nicht einfach mit?“ schlägt Karin vor.

„Wozu?“

Oh je, er ist wirklich wütend.

„Na ja, wenn du dabei bist, wird Ev sich schon eher zusammenreißen.“ erklärt sie. Manchmal muss ich mich wirklich fragen, wieso sie mit Evan überhaupt befreundet ist. Bisher habe ich Evan nur als einen ziemlich triebgesteuerten, leicht perversen Kerl mit Kohle kennengelernt. Ist er echt so ein übler Kerl? Ich meine, schließlich durfte er ganze drei Jahre mit Fin zusammen sein. Verdammt, ich würde Fin vermutlich auf Händen tragen und ihm jeden Wunsch von den perfekten Lippen ablesen. Ich hatte bisher noch keine ernsthafte Beziehung, aber ich weiß ziemlich genau, dass ich ihn so schnell nicht wieder gehen lassen würde. Moment. Was denke ich denn da?

„Kein Bedarf.“ lehnt der Schöne ab.

„Fin! Jetzt fang nicht wieder damit an. Du weißt, dass ich dich lieb habe, aber projiziere den Ärger den du mit Ev hast nicht auf Feli!“

Ups. Woher kommt den der forsche Ton auf einmal? Karin kann also auch anders?

„Feli kann machen was er will. Es ist mir vollkommen egal.“ gibt Fin kühl zurück.

Autsch.

Den restlichen Tag über, verhielt Fin sich sehr reserviert. Nicht nur mir, sondern auch seiner Schwester gegenüber. Letztendlich ist es meine Entscheidung, aber... ich halte es wirklich nicht mehr in dieser billigen Absteige von Motel aus. Erst gestern kam bräunliches Wasser aus dem Wasserhahn. Mal ganz abgesehen von meinen kürzlich zugezogenen Nachbarn, deren Hauptbeschäftigung ganz klar das gegenseitige Begatten und das lautstarke Verkünden der diesbezüglichen Freuden, sind. Es ist ja nicht nur, dass ich kaum ein Auge zubekomme, sondern auch, dass dieses nette Paar von nebenan mir Nacht für Nacht aufzeigt, was mir fehlt. Aber vor allem das Thema Intimität, vergrabe ich unter anderen Aktivitäten. Irgendwas in mir sträubt sich einfach zuzulassen einen derartigen Gedanken zu hegen. Besonders mit... Ihm.

Ich hänge gerade die Cap an die Garderobe, als er sich an mir vorbei drängt. Sehr nah, da die Räumlichkeiten kaum für zwei normal große Menschen ausreichen. Kurz treffen sich unsere Blicke und der Körperkontakt löst eine heftige Hitze in mir aus. Nervös räuspere ich mich, als er mich endlich passiert hat und nach seiner Jacke greift.

„Was?“ fragt er genervten Blickes.

„Nichts.“ gebe ich zurück. Es ist seltsam. Ich will ihn so viel fragen, ihm so viel sagen und letztendlich... verschlägt es mir nur immer wieder die Sprache, wenn er mich so wütend angeht.

„Dann steh nicht so im Weg herum.“

Schnell weiche ich zur Seite. Fassungslos kopfschüttelnd drängt er sich erneut an mir vorbei und verschwindet einfach ohne ein weiteres Wort.

„Lass ihn. Manchmal braucht er das einfach.“

Karin kommt auf mich zu und tätschelt mir das Gesicht.

„Ich verstehe ihn einfach nicht, Karin.“ gebe ich zu.

„Das tut keiner. Nicht mal ich und ich habe mir mit ihm denselben Uterus geteilt. Ich kann dir nur sagen, dass du dir nicht zu viel von ihm gefallen lassen solltest. Er testet gerne seine Grenzen aus.“

Die Problematik hierbei ist ganz klar, dass ich dazu bereit wäre mir alles von ihm gefallen zu lassen.

„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, Süßer. Konzentriere dich lieber auf die Wohnung.“

Einfacher gesagt, als getan. Seitdem ich hier arbeite, schwirrt da kein anderer Gedanke mehr in meinem Kopf herum, als der an diesen blonden Schönling.

Die Adresse ist schnell gefunden. Erst an der berühmten Fressmeile vorbei und dann direkt neben einer kleinen Autowerkstatt, wo um die Uhrzeit wohl noch gewerkelt wird. Ich kann mich erinnern, mit vierzehn den tiefen Wunsch gehegt zu haben, mit einem Klassenkameraden zu tauschen, da der sich darüber beschwert hatte, die Werkstatt seines Vaters übernehmen zu müssen. Nichts wäre mir lieber gewesen, als den ganzen Tag über dem Motor zu hängen, anstatt mich mit dem Filetieren eines Fisches zu beschäftigen. Diesen Wunsch habe genau ein einziges Mal laut und vor meinen Eltern ausgesprochen. Danach nie wieder. Dafür hatten die Beiden effektiv gesorgt.

Neugierig werfe ich einen Blick in die kleine Garage, wo ein älterer, kräftiger Mann mit roten Haaren gerade irgendein Teil auszuwechseln scheint. Die Hände sind ölverschmiert und schmutzig, aber die Arbeit sieht ziemlich interessant aus.

Ich höre leise Schritte auf dem Kies.

„Wie lange willst du mich denn noch warten lassen?“ werde ich von Evan gefragt, den ich zuerst gar nicht erkannt hätte, so ganz ohne Anzug und in ganz normaler Straßenkleidung. Irgendwie seltsam.

„Tut mir Leid.“

„Bist du etwa auch so ein Autoenthusiast?“

Er deutet auf die Garage, als wir auch schon von dem älteren Mann bemerkt werden.

„Herr van Leeuwen.“ grüßt der Rothaarige in unsere Richtung mit einem kurzen Nicken und äußerst wenig Emotion.

„Achim, mein Bester. Lange nicht gesehen.“ grüßt Evan zurück. Der Mann scheint wenig angetan von Evan. Kein Wunder. Die arrogante Art dieses Typen kann kaum sympathisch auf Andere wirken.

„Der Chef ist nicht da.“ gibt der Mann kurz zu verstehen.

„Zu Nico will ich heute auch nicht. Ich möchte nur meinem potentiellen neuen Mieter, die schöne Gegend zeigen.“

Verachtenden Blickes, spuckt der Rothaarige in die Ecke der Garage.

„Schöne Gegend. Garantiert.“

Purer Sarkasmus.

„Hat mich gefreut dich zu sehen Achim und liebste Grüße an den Chef.“

Evan zwinkert dem Alten zu, was den sowieso schon gestressten Mann, noch mehr zu verärgern scheint. Schnaubend widmet der Rothaarige sich wieder dem Wagen.

Es steht fest. Nicht nur mir ist Evan eine eher unliebsame Bekanntschaft.

Evan deutet mir ihm zu folgen. Will ich wirklich einen Vertrag mit diesem Teufel eingehen? Sicher habe ich auch Rechte als Mieter, aber Tatsache ist, dass mein potentieller Vermieter hauptberuflich genau diese verdreht. Ich könnte mir in diesem Zuge sehr gut vorstellen, dass Evan zu gerne große Konzerne vertritt, die sich der Herstellung von Pelzen und anderen grausamen Luxusartikeln verschreiben. Passender wäre es natürlich, würde er wieder einen der perfekt sitzenden Anzüge tragen, aber selbst in dieser beinahe gewöhnlichen Chinohose und dem hellen Hemd, könnte er gut als der klassische Bösewicht durchgehen. Wie konnte er nur so nah an Fin heran kommen? Sicher, sieht Evan gut aus, aber...

Wir bleiben vor einem sehr jungen Gebäude stehen. Modern und hoch. Ich mag die Lage tatsächlich. Es ist ruhiger, als ich es von der Gegend erwartet hätte. Von außen erkennt man schon die großen Fenster der Wohnungen.

„In welchem Stock befindet sich die Wohnung?“ frage ich ihn. Irgendwie ist mir ein wenig mulmig zu mute, als er sich zu mir umdreht und wieder einmal den persönlichen Mindestabstand ignoriert.

„Im Fünften. Ganz oben. Die im dritten Stockwerk, wäre aber auch in etwa einem Monat zu haben.“

Ich weiche einen Schritt zurück.

„Gehört die auch dir?“

„Der ganze Komplex gehört mir. Entsprechend empfehle ich dir aber wirklich das oberste Stockwerk. Es gibt einen funktionierenden Aufzug und du hättest das Stockwerk ganz für dich alleine. Das Dach ist bestens isoliert, weshalb man sich auch keine Sorgen über heiße Sommer und zu kalte Winter machen muss.“

Seltsam. Irgendwie hatte ich einen dämlichen Spruch erwartet. Bis auf die physische Annäherung, die nicht ganz ausbleibt, scheint er wohl doch Geschäftliches von Privatem trennen zu können.

„Hört sich ganz gut an.“

Ich folge ihm durch die gläserne Eingangstür und zu dem modernen Aufzug. Zwei Aufzüge sind es gesamt. Ganz sinnvoll, bei einem Gebäude dieser Höhe und Fläche. Kaum zu glauben, dass das alles ihm gehören soll. Wie reich ist dieser Typ wirklich?

Mein Blick wandert zu Evan, der sein Handy aus der Hosentasche holt. Natürlich nur das neueste Smartphone. Von Bescheidenheit keine Spur. Obwohl man das nicht macht, erlaube ich mir ein kurzes Lugen auf den breiten Bildschirm. Er checkt wohl seine E-Mails. Wirkt alles sehr geschäftlich. Ob Fin oft alleine war, während ihrer Beziehung? Ich kann mir vorstellen, dass jemand wie Evan eher wenig von Freizeit hält. Vielleicht ist es genau das, was Fin gebraucht hat. Zeit für sich und dennoch das Wissen, dass da jemand ist. Ich könnte das wohl nicht. Nein, würde Fin mir auch nur die geringste Chance geben, weiß ich ziemlich genau, dass ich jede freie Minute mit ihm verbringen wollen würde. Na ja, nicht nur jede freie Minute, sondern natürlich auch die, die wir auf Arbeit miteinander zu tun haben.

„Da wären wir.“ gibt er an und wieder kommt da keine anzügliche Phrase. Eigenartig. Habe ich mich doch ein bisschen in ihm getäuscht?

Er zückt einen Schlüssel und schließt die schwere Tür auf. Einbruchssicher ist die ganz bestimmt.

Plötzlich hält er inne und ich glaube zu sehen, dass er irgendwie erschaudert. Fiesen Blickes dreht er sich wieder zu mir um.

„Hm, jetzt bin ich schon ein bisschen nervös. Du und ich...wir könnten die neue Küche feierlich einweihen.“

Ich räuspere mich verlegen.

„Nein danke. Ist schon gut.“

„Den anderen kannst du vielleicht etwas vormachen, aber ich weiß, dass du eine echt düstere Seite an dir hast.“

Seine Fingerspitzen gleiten über meine Brust.

„Du bist nicht so brav, wie du dich gibst. Ich brenne richtig darauf, diese dunkle Seite zu entdecken.“

„Ehm... ich... denke nicht, dass ich so bin.“

„Und ob. Wenn du willst, zeige ich sie dir.“

Ich muss schlucken. Er meint das wohl ziemlich ernst. Oder doch nicht? Er lässt von mir ab und deutet mir ihm in die Wohnung zu folgen. Mir ist irgendwie ganz schummrig. Entweder drehe ich jetzt ganz durch, oder die Neugier übermannt mich allmählich. Ich spiele wirklich mit dem Gedanken, mich auf diesen Teufel einzulassen. Nein! Niemals. Alles wäre verspielt und wofür? Dafür, dass ich dann doch feststelle nicht auf Typen zu stehen oder maximal eine ganz nette Nummer geschoben zu haben? Das ist es nicht wert. Nicht wenn ich mir in Gedanken rufe, wie schön es mit Fin bisher war. Viel ist ja nicht passiert, aber diese wundervollen, kleinen Gesten machen mich wahnsinnig glücklich.

Erst jetzt komme ich wieder in der Realität an. Vor mir erstreckt sich ein großer Wohnraum. Hohe, große Fenster, die einen beeindruckenden Ausblick gewähren. Unter anderem auf die kleine Werkstatt, wo soeben das Licht wieder angegangen ist.

„Nicht schlecht, oder? Sie ist nicht groß und ich würde mich hier im Leben nicht wohl fühlen, aber sie hat irgendwie Charme.“

Ich zucke zusammen, als sich seine Hand auf meinen unteren Rücken verirrt, während er neben mir auftaucht. Kurz drehe ich den Kopf in seine Richtung. Erstmals muss ich mich wirklich zusammenreißen. Ich weiß, dass ich mir mit Fin nicht alles verscherzen darf, und das würde ich garantiert, ließe ich mich jetzt auf diesen Kerl ein, der nicht nur sein Exfreund, sondern auch unglaublich gemein zu ihm ist.. Seine Hand wandert über meinen Rücken und weiter zu meinem Nacken. Das ist kein gewöhnliches Gefühl. Etwas an dem Gedanken, dass mich ein anderer Mann berührt, lässt mich erschaudern. Ziemlich angenehm erschaudern. Aus einem schier unerklärlichen Grund, schließe ich die Augen und im nächsten Moment spüre ich die kalten Lippen an meinem Hals. Vielleicht ist das der Fluch der Menschheit, aber wenn es um die Triebe geht, neige auch ich dazu ganz kurz das rationale Denkvermögen zu verlieren. Ich ziehe ihn weiter an mich heran. Ich will wissen, wie er sich anfühlt und lasse die Finger durch das Haar gleiten, als mir wieder klar wird, was ich hier mache. Und vor allem mit wem. Schnell lasse ich von ihm ab.

„War's das schon?“

„Sorry. Das geht einfach nicht.“

„Wieso nicht?“

„Ich...“

„Fin würde nie davon erfahren.“

„Entschuldige, aber das geht wirklich nicht. Ich sollte besser gehen.“

Ich will einfach nur noch so schnell wie möglich hier raus. Es fühlt sich an, als hätte ich etwas ziemlich Unrechtes getan. Etwas, das nicht nur mir schaden würde. Und dabei ist eigentlich nichts passiert...

Im Motel schnappe ich mir meine Trainingskleidung und versuche die Gedanken durchs Laufen irgendwie aus dem Kopf zu bekommen. Ich habe das alles so weit von mir weggeschoben, dass es jetzt mit voller Wucht auf mich einprasselt.

Völlig außer Atem komme ich im Park zum Stehen. Es ist dunkel und die Laterne über mir flackert wie verrückt. Der Gedanke bohrt sich wieder in meinen Schädel. Es steht wohl fest. Ich bin nicht hetero. Wieso wühlt es mich so auf? Vielleicht weil es wieder etwas ist, dass man mir nicht ansieht? Wieder etwas, das so sehr von meiner optischen Erscheinung abweicht und nur noch mehr bestätigt, dass mein inneres Ich und mein Körper ziemlich asynchron agieren.

„...Mist...“,fluche ich und setze mich auf die kalte Bank.

Es ist keine Hiobsbotschaft, aber was fange ich jetzt mit dieser Information an? Mach ich jetzt die Clubs unsicher, auf der Suche nach einem Typen, der es irgendwie mit mir aushält? Was für ein Unsinn. Ich weiß ganz genau, dass da nur dieser Eine ist, den ich will.

Die Frage ist jetzt nur...wie? Eventuell könnte mir die Party bei Karin und Alex diesbezüglich zu Gute kommen lassen. Noch habe ich zwei Tage Zeit.

Müde blicke ich auf mein Handy. Das Bedürfnis darüber zu sprechen besteht, aber zeitgleich habe ich gelernt, dass ich damit selbst klar kommen muss. Es gibt kaum jemanden mit dem ich darüber sprechen könnte. Na ja, außer... Onkel David. Ich verfasse eine kurze Nachricht mit den nötigsten Updates, entscheide mich aber dann doch gegen das Absenden der Nachricht. Was würde er dazu sagen? David ist mit Abstand der offenste Typ den ich kenne, aber ich habe keine Ahnung wie er darauf reagieren würde, wüsste er, dass mein Objekt der Begierde keine bildschöne Frau, sondern ein... wunderschöner Mann ist.

Überfordert von der Situation, trete ich den Heimweg an und hole nochmal alles raus, was geht.

Irgendwie bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich wirklich so glücklich bin. Jetzt bin ich einfach nur müde und überfordert. Außerdem könnte ich schon wieder ausrasten bei dem ekelhaften Wasser, das hier aus dem Hahn fließt und wirklich konstant die Farbe ändert. Nach dem Duschen ist man dann doch eher noch schmutziger, als zuvor.

Schnell ziehe ich mir etwas über und marschiere geradewegs runter zur Rezeption wo die gelangweilte, junge Frau gerade ihre Nägel feilt.

„Können Sie irgendwas bezüglich des Wassers machen?“ fange ich ohne wirklichen Kontext an.

Sie sieht mich kurz an, lächelt flüchtig und konzentriert sich dann wieder auf die viel zu langen, schwarz lackierten Fingernägel.

„Hab schon 'nen Klempner angerufen. Kommt frühestens in zwei Tagen.“ gibt sie mir zu verstehen.

„Und was zur Hölle, soll ich bis dato machen?“

Wieder mustert sie mich.

„Du kannst gerne bei mir Duschen.“

Dieses dämliche Drecksloch. Ich stampfe gerade wieder nach oben, als mein Handy zu vibrieren beginnt. Eine Nachricht..., von Fin?

Er will wissen, wie die Wohnungsbesichtigung war. Wahnsinn, wie ein paar einfache Worte, meine Laune von Grund aus ändern können. Ich bin schon wieder viel besser drauf.

Noch im Treppenhaus, setze ich mich auf eine der Stufen und überlege, was ich ihm antworten soll. Vor allem überlege ich wie oder was ich ihm zurückschreiben soll. Mein schlechtes Gewissen bietet sich gerade einen ziemlich heftigen Kampf mit der Freude über sein Interesse an mir. Ich bin kein Freund vom Schreiben, also rufe ich ihn einfach an. Seine Stimme zu hören, würde mir jetzt so gut tun. Tatsächlich nimmt er ab.

Es ist echt spät.“ grummelt er. Ob er schon im Bett liegt?

„Hey, ich... wusste nicht was ich dir zurückschreiben sollte... und jetzt weiß ich auch nicht was ich sagen soll.“

Fang einfach damit an meine Frage zu beantworten. Wie war die Besichtigung?“

„Die Wohnung ist echt schön, aber...ich weiß einfach nicht ob ich Evan als Vermieter haben möchte.“

Ein leises Lachen.

Möchtest du garantiert nicht, aber wenn es eine anständige Wohnung zu einem vernünftigen Preis ist, solltest du zuschlagen. Ich habe auch ständig Ärger mit meiner Vermieterin.“

Wie schön es ist mit ihm zu sprechen.

„Würde es dich denn gar nicht stören?“ rutscht es mir heraus. Stille. Bin ich zu weit gegangen?

Ein bisschen schon, aber es ist wirklich deine Entscheidung. Irgendwie habe ich auch akzeptiert, dass er die Flossen nicht von dir lassen kann.“

Ich muss meinen ganzen Mut zusammen nehmen um die nächste Frage zu stellen.

„Fin, würdest du...,mit mir...,also nur, wenn du möchtest...“

Es ist gut so wie es ist, Feli.“ unterbricht er mich. Damit dürfte mir klar sein, dass ich nicht bekommen würde, was ich mir wünsche.

„Okay.“

Lass uns einfach so weitermachen wie bisher. Das ist wirklich das Beste, glaub mir. Du und ich...,das wird nie funktionieren.“

„Okay.“ wiederhole ich mich und merke wie die Euphorie wieder aus meinem Körper weicht.

Nimm die Wohnung, wenn sie dir gefällt, okay? Ich will nicht, dass du zu viel Wert auf meine Meinung legst. Letztendlich bin ich nur dein Arbeitskollege.“

Man kennt es. Da schläft man die ganze Nacht nicht ein und wenige Minuten vor dem Klingeln des Weckers, fallen einem urplötzlich die Augen zu. Gut, ich habe die halbe Nacht damit verbracht das Wasser abzukochen. Entsprechend gestresst, tauche ich jetzt auch auf Arbeit auf. Vor dem Laden steht ein Motorrad. Ein echt nettes Teil, das mir irgendwie bekannt vorkommt. So richtig zuordnen kann ich es aber nicht. Neugierig betrete ich den Laden und höre lautes Lachen aus der Küche. Karin und...

„...unmöglich!“ höre ich mich selbst sagen. In der Küche steht in er in der Tat vor der kleinen Blonden. Diese Lederjacke hätte ich überall erkannt. Irgendwas ist aber anders.

„Oh Feli! Du willst mich wohl auf den Arm nehmen! Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du auch einen Zwillingsbruder hast?!“ meint Karin aufgeregt. Natürlich scherzt sie. Meine und Davids Ähnlichkeit ist reiner Zufall. Außerdem hat der Mistkerl plötzlich dunkelblonde Haare und ist knapp fünf Jahre älter als ich.

„Baby!“ ruft der Kerl auf Augenhöhe und umarmt mich wie gewohnt. Ich freue mich nach einem kurzen Moment der Realisierung natürlich extrem.

„Was machst du hier?“ frage ich ihn.

„Ich hatte irgendwie so ein Gefühl, dass du mich brauchen könntest.“

„Und jetzt die Wahrheit?“

Er grinst.

„Hab gesehen, dass du ewig lang geschrieben hast und dann kam die ganze Nacht nichts. Dein Vater hat mir erzählt, dass du jetzt hier bist, also wollte ich einfach mal nach meinem Baby sehen.“

Ich werde ein weiteres Mal umarmt, wobei er mich fast zerquetscht. Er hat mich schon „Baby“ genannt, als wir klein waren. Die fünf Jahre Altersunterschied hätten ihn eher zu einer Art großen Bruder für mich machen sollen, aber stattdessen hat er lieber die Rolle einer Mutter übernommen. Vielleicht wäre ich emotional noch verkommener, ohne den Einfluss dieses Freigeistes. Zu schade, dass wir so weit voneinander weg gewohnt haben.

„Geht es dir gut?“ will er von mir wissen.

„Ja, natürlich.“

„Stimmt nicht. Ich sehe doch, dass dich was bedrückt. Ist es diese bezaubernde Lady hier? Könnte ich absolut nachvollziehen.“

David legt den Arm um Karins Schultern und zieht sie an sich heran. Wird sie etwa rot? Tatsache.

„Ach, du bist mir ja einer...“ murmelt sie leise vor sich her. Sie ist tatsächlich verlegen. Bei mir ist sie das nie.

„Wie lange bleibst du denn?“ will ich von ihm wissen.

„Keine Ahnung. Ich wollte eigentlich nur kurz vorbei schauen, aber jetzt wo ich dich so sehe, glaube ich meinen Aufenthalt verlängern zu müssen.“

„Das musst du wirklich nicht. Es geht mir gut.“

Er zieht eine Augenbraue hoch.

„Kein bisschen. Das ist eindeutig das Gesicht eines gebrochenen Herzens. Also wer ist sie?“

Mit ihrem Kichern, macht Karin ihn auf sich aufmerksam.

„Kannst du mir die Frage beantworten, meine Schöne?“ fragt er sie, unterdessen ich mich frage, wo eigentlich Fin abgeblieben ist. Er kommt doch sonst nicht so spät.

„Liebeskummer ist es ganz bestimmt, aber ich kann dir nicht mehr sagen.“

David sieht mich wieder an, als plötzlich die Tür aufgetreten wird und ein richtig mies gelaunter Fin in die Küche stürmt. Da hat jemand wohl noch weniger Schlaf abbekommen, als ich. Irgendwie tut es weh ihn zu sehen, aber gleichzeitig freue mich auch. Es ist verrückt.

Fin sieht mich nur kurz an, dann seine Schwester und bei David verharrt er einen Moment.

„Was... was ist das denn jetzt?“

Wie David nun einmal ist, reicht er dem grimmigen Kerl die Hand und setzt das perfekte Lächeln auf.

„Ich bin Felis Onkel. David.“ stellt er sich vor.

„Fin. Hatte schon Angst, dass es jetzt noch einen von der Sorte gibt.“

Woher diese extreme Abneigung mir gegenüber wohl kommt? Ohne Davids Hand zu ergreifen, drängt er sich an seiner Schwester vorbei.

„Charmant.Wer ist das?“ meint David und sieht ihm kurz hinterher.

„Das war Fin. Mein... Arbeitskollege.“ antworte ich ihm. Tut echt ein bisschen weh, ihn auf das zu reduzieren. Einen Arbeitskollegen.

Karin läuft ihrem Bruder hinterher und als die Bürotür zugeht, hört man die Beiden auch schon diskutieren.

„Tut mir leid. Normalerweise herrscht hier nicht so ein Tumult.“ entschuldige ich mich.

„Was? Ich dachte soeben, dass es genau das Richtige für dich ist. Hier kochen die Emotionen richtig hoch. Ist eine willkommene Abwechslung zu deinem früheren Umfeld, findest du nicht? Ich meine, das sind wenigstens ehrliche Menschen.“

Ich weiß nicht ob er jetzt auf mein recht kaltes Elternhaus oder auf meinen ehemaligen Arbeitsplatz anspielt, aber in jedem Fall bin ich gezwungen ihm Recht zu geben. Seitdem ich hier bin, fühle ich mich tatsächlich viel lebendiger.

„Ehrlich sind sie wirklich.“

„Ein recht interessantes Umfeld, aber nach wie vor würde mich interessieren, was mit dir los ist.“

Er deutet auf meine Augen, die wohl von dunklen Ringen geschmückt werden.

„Im Moment siehst du älter aus als ich.“ hängt er noch an und hat verdammt recht mit seiner Behauptung.

„Ich hab nur zu wenig geschlafen, die letzten Nächte.“

„Weißt du was? Wir Beide gehen heute Abend einen Trinken und dann reden wir nochmal darüber.“

Er würde nicht locker lassen, bis ich ihm davon erzähle. Kann ich ihm wirklich erzählen, dass ich von einem Kerl abserviert wurde?

Ein grausames Schweigen, das zwischen Fin und mir herrscht. Ich weiß nicht so richtig, was ich falsch gemacht habe, aber letztendlich ist es auch egal. Zum Glück haben wir genug zu tun, sodass wohl keiner so richtig darüber nachdenken muss.

Erst nach Feierabend, übermannt mich das Gefühl wieder, ziemlich traurig über die Abfuhr zu sein. Genau wie am Abend zuvor, verschwindet er einfach wortlos. Schwer seufzend setze ich mich noch an die kleine Bar, wo Karin mir ein Bier ausgibt.

„Du tust mir so leid, Süßer. Irgendwie fühle ich mich auch ein bisschen mitschuldig. Ich habe dich ja auch dazu animiert.“ fängt sie an.

„Nein, alles in Ordnung.“

Demnach hat Fin ihr wohl von dem gestrigen Telefonat erzählt.

„Igitt. Was ist das hier für eine Trauerstimmung?“

Diese Stimme. Der hat mir gerade noch gefehlt. Ohne weitere Vorwarnung setzt Evan sich neben mich.

„Willst du etwas hören, das dich aufmuntert? Ich habe soeben entschieden, dass du die Wohnung haben kannst.“ merkt er an.

„Was willst du dafür?“ frage ich berechtigter Weise nach.

„Nichts. Nur deine Unterschrift und die üblichen Unterlagen.“

Beiläufig wird mir von der anderen Seite auf die Schulter geklopft. Alex setzt sich ebenfalls zu mir.

„Evan, gib ihm doch noch ein bisschen Bedenkzeit. Vielleicht hat er ja noch andere Wohnungen, die er sich ansehen will.“ gibt der freundliche Russe seinem Freund zu bedenken.

„Nein, ich...würde die Wohnung tatsächlich gerne nehmen.“

„Perfekt. Wann kannst du einziehen?“ will Evan von mir wissen.

„Am liebsten sofort. Die Absteige in der ich wohne, macht mich nur noch verrückt.“

„Morgen Abend wäre auch in Ordnung? Ich muss den Vertrag noch aufsetzen und alles weitere mit der Verwaltung klären. Bis dahin bist du nach wie vor herzlich im Casa de Evan eingeladen.“

Wieso wundert es mich nicht, dass er zur Untermalung seines Angebotes, die Hand auf meinen Schoß legt. Ich sehe zu Evan. Waren meine Schuldgefühle umsonst? Ich schätze, dass ich noch die Chance hätte, wenigstens kurzfristig ein bisschen aufgemuntert zu werden. Nein, jetzt wird er mein Vermieter. Es ist sicherer diesen Gedanken schnell wieder zu verwerfen.

Ich sehe auf mein Handy.

„Eine Nacht halte ich schon noch aus. Ich muss auch langsam los. Treffe mich noch mit David.“ kündige ich an und stehe auf.

„Wer ist David?“ will Evan wissen.

„Mein Onkel. Ich geh mit ihm in den Pub.“

Wieso zur Hölle habe ich das gesagt? Natürlich folgen die drei mir jetzt.

Vor dem hölzernen Gebäude steht schon das Motorrad und aus dem Pub grölt es. Im Chor ertönt die mir bekannte Trinkphrase „Simsala-peng-peng-peng-peng“. Ein Trinkspiel, das David irgendwann mal erfunden hat und dessen Sinn lediglich darin besteht, so schnell wie möglich betrunken zu werden. Als wir den Pub betreten, sitzt er tatsächlich auf der Bar und lässt sich von der netten Barkeeperin einen Kurzen nach dem anderen einflößen. Lautes Gejubel, als er wohl auch den letzten Shot problemlos herunterwürgt.

Ich spüre, wie Evan mich an sich heran zieht, ohne mich dabei anzusehen.

„Ist er das? Ist das Onkel David?“ völlig fixiert auf mein liebstes Familienmitglied, beißt er sich auf die Unterlippe.

„Ja...aber er steht so gar nicht auf...“

Meinen Satz kann ich nicht beenden, da stolziert Evan schon auf die Bar zu. Ein seltsames Bild, das in mir wirklich eigenartige Gefühle aufkommen lässt. Ev steht vor David und für einen Moment starren sie sich einfach nur an. David wirkt eher irritiert, während Ev garantiert genau weiß, was er will. David hüpft von der Theke und reicht Evan die Hand. Ich kann nicht hören, was sie zueinander sagen, da das Trinkspiel im Hintergrund noch in vollem Gange ist, aber was auch immer es ist..., wird mir vermutlich verraten, wie David tatsächlich zu Beziehungen homosexueller Natur, steht.

Davids Lächeln schwindet. Hoffentlich bricht er Evan nicht die Nase. Ich sehe schon zur Seite und fange an zu beten, als Karin plötzlich aufgeregt auf und ab hüpft. Entweder hasst sie Evan so sehr, dass sie sich jetzt darüber freut, oder...

Ein flüchtiger Blick Richtung Bar und mir wird schlagartig klar, was David von Evan hält. Ich räuspere mich, wobei dieses Räuspern eher einem Verschlucken ähnelt.

„Onkel David scheint... nett zu sein.“ meint Alex und versucht den kreischenden Flummi, der einst seine Freundin war, etwas zu beruhigen. Sie liebt so etwas wirklich, während mich dieser Anblick nur noch verstört. Lautes Jubeln, als David von Evan ablässt und mir kurz zuwinkt. Wie ein Schluck Wasser hängt der sonst so selbstbewusste Evan an meinem Onkel, mit dessen Reaktion wohl nicht einmal der fiese Anwalt gerechnet hatte.

Ich schüttle den Kopf und versuche irgendwie das Gesehene zu verarbeiten. Onkel David, der einen anderen Kerl küsst? Nein, das war ja nicht nur ein flüchtiger Kuss. Das war wirklich mehr.

„Baby, komm her!“ ruft David und deutet mir an die Bar zu kommen. Mir ist wirklich nicht wohl dabei. Zum Glück folgen mir die anderen Beiden. Ich bin nicht sehr glücklich darüber, dass David jetzt so von Evan angehimmelt wird. Ob ich auch so dämlich aussehe, wenn ich Fin ans..., egal. Ist ja nun kein Thema mehr.

Wie immer stellt David sich nun auch bei Alex mit einem höflichen Handschlag und einem filmreifen Lächeln vor.

„Freut mich sehr, David. Evan hast du ja schon kennengelernt.“ meint Alex mit einem leicht besorgten Grinsen in Evans Richtung.

„Ich liebe Onkel David.“ kommt es nur von Evan. So schnell bin ich also abgeschrieben. Finde ich das jetzt gut, oder nicht?

„Das ist gut. Wir sollten uns heute so richtig heftig betrinken. Ich glaube, dass das uns allen gut tun würde.“

Davids Lösung für jedes Problem. Betrinken. Deswegen hat er wohl auch die Bar damals eröffnet. Dabei muss ich mich fragen, wie er sie jetzt einfach geschlossen lassen kann.

Ich warte, bis David sein Trinkspiel auch mit Karin, Alex und zuletzt mit Evan durchlaufen hat. Letzterer ließ sich ziemlich schnell begeistern.

„Und jetzt du, Baby.“ fordert David und deutet der Barkeeperin schon mal die nächste Flasche aufzumachen.

„Gleich, ich... wollte eigentlich mit dir reden. Nur kurz.“ fange ich vorsichtig an und hoffe ihm nicht zu sehr den Spaß zu verderben.

David lächelt leicht.

„Baby, sag das doch gleich. Komm, wir setzen und kurz an den Tisch da hinten.“

Wir überlassen das Trinkspiel einem Touristenpaar, das sich heftig abfüllen lässt.

„Also, leg los.“

„Was... was war das gerade mit... Evan?“

David sieht mich verwirrt an.

„Was meinst du?“

„Na das was du gerade mit ihm..., du hast ihn geküsst.“

David nickt zustimmend und wirkt, als würde ich ihm gerade erzählen, dass Wasser nass ist.

„Und?“

„Warte, aber... hä?“

„Dachte ich mir schon. Enzo hat nie ein Wort darüber verloren.“

Mein Vater hat nie viel über David gesprochen.

„Worüber denn?“

„Du warst damals noch in der Ausbildung und musstest an Silvester arbeiten. Deine Mutter hatte mich eingeladen und so bin ich mit meiner damaligen Flamme aufgetaucht.“

Ich weiß nicht worauf er hinaus will und zeige ihm das mit einem fragenden Blick.

„Meine damalige Flamme hieß auch David.“

Jetzt dämmert es mir. Es muss das Familienfest gewesen sein, das ihm quasi die endgültige Verbannung einhandelte. Sonderlich bedauern scheint er es nicht, so wie er jetzt lächelt.

„Dein dämlicher Dad hatte Angst, dass ich dich „anstecken“ könnte. Der Typ hat einfach nur einen Schaden.“

David und mein Erzeuger, konnten sich nie wirklich leiden. Kaum verwunderlich, wenn ich mir das so anhöre.

„Also bist du...“

„...frei von auf dem Geschlecht basierendem Auswahlkriterium.“

„Hätte ich das mal vorher gewusst.“

„Wieso?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Vielleicht hast du mich ja wirklich „angesteckt“.“ scherze ich.

„Das überrascht mich jetzt aber...“

Er hält kurz inne.

„...kein bisschen. Baby, wir sind uns nicht nur äußerlich ähnlich. Ich befürchte ja immer noch, dass ich eigentlich deine wirkliche Mutter bin.“

„Wieso willst du immer meine Mutter sein?“

„Baby, weil ich eine grandiose Mutter bin und jetzt erzähl mir mal von dem Kerl, der dir den Schlaf raubt.“

Ich erzähle David von Fin. Tatsächlich erzähle ich ihm einfach alles, auch von dem Telefonat, das dem Ganzen einen Gnadenstoß verpasst hatte. Es tut gut, darüber zu sprechen und macht die Sache irgendwie... erträglicher.

„Na dann solltest du froh sein, dass nicht mehr daraus geworden ist. Ich schätze, dass es mit jedem Tag schmerzlicher geworden wäre.“

Da hat David wohl Recht. Noch ist ja nichts passiert. Ich weiß nur, dass ich Fin wirklich gerne etwas näher kennengelernt hätte.

„Hallo?! Wo bleibt ihr denn? Ich hab schon richtig Sehnsucht nach dir, Onkel David.“

Evan taucht neben David auf.

„Es sollte mir nicht so gut gefallen, wenn du mich so nennst.“ gibt David zurück und lässt mich etwas unbehaglich fühlen. Die Beiden können das scheinbar ganz hervorragend. Sie mögen sich wohl auch ziemlich. David zieht Evan an der schicken Krawatte zu sich nach unten und wieder wird wild herumgeknutscht. Ich sehe schnell weg. Irgendwie muss ich das nicht sehen. Als Evan sich plötzlich auf Davids Schoß platziert, beschließe ich schnell das Weite zu suchen und geselle mich zu Karin und Alex, die sich prächtig mit dem Touristenpaar amüsieren. Ich setze mich auf einen der Barhocker und ziehe das Handy aus der Hosentasche. Ich habe noch nicht viel getrunken, aber der Drang ihn anzurufen, ist definitiv da. Aber was will ich ihm noch sagen? Er hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass es nichts werden kann. Was ich überhaupt dabei gedacht habe, ist mir jetzt umso mehr ein Rätsel. Ich war irgendwie völlig geblendet von meinen eigenen Gefühlen, dass ich seine nie hinterfragt habe. Wenn er drei Jahre mit Evan zusammen war, dann ist er womöglich doch auf den Luxus fixiert. Etwas, das ich ihm nie im Leben geben könnte. Ich mag meinen Job und irgendwie hat das Wohlbefinden einen höheren Stellenwert, als das Geld. Außerdem hat Evan ein unübertroffenes Selbstbewusstsein. Fin ist garantiert eine Nummer zu groß für mich. Mehr als ein nettes Gesicht und den Körper, habe ich nicht zu bieten.

Ich werde aus dem Gedanke gerissen, als David neben mir auftaucht. Natürlich Evan im Schlepptau.

„Ich wollte dir noch mit voller Ernsthaftigkeit eine epische Frage stellen, über die du die ganze Nacht nachdenken würdest und die den Lauf deiner Geschichte völlig ändern wird.“ fängt er an.

„Ja?“

„Gibst du Fin schon auf?“ fragt Evan stattdessen. Ob das wirklich die Frage war, die David stellen wollte? Jedenfalls wird Evan jetzt von David mit einem echt lüsternen Lächeln gemustert.

„Du hast keine Ahnung wie scharf es mich macht, wenn du so in meinem Kopf herumwühlst.“

Evan grinst selbstgefällig, bevor er sich wieder auf David stürzt. Was ist das nur? Als würden zwei Bomben versuchen sich gegenseitig in die Luft zu jagen. Statt Dynamit ist es eben Leidenschaft und davon garantiert nicht zu wenig. Ich muss mich buchstäblich aus der Situation ziehen. Mir ist sind da die Begriffe Familie und Sexualität etwas zu nah aneinander.

Auf gut Glück, gehe ich nach draußen und frage einen der dortigen Raucher nach einer Zigarette. Mit dem Mist sollte ich echt nicht anfangen, aber anders ertrage ich das da drin kaum.

Ich bin müde und muss leider wirklich über die Frage nachdenken. Gebe ich ihn schon auf? Ich erinnere mich daran, wie gut es sich anfühlt ihm nahe zu sein.

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