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Nackt

Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

17. BUCH - Blitz Und Donner

Oder ... Wie neugierig doch Nachbarn sind

»Love shouldn't lie to me
Love couldn't lie to me
Love wouldn't lie to me
But it did«

(»Love wouldn't lie to me« von Trisha Yearwood, Text: Don Schlitz and Terry Rodigan)

»Was macht ihr da?«, schrie die Stimme, die soeben zum Tür herein gekommen war.

Die drei zuckten zusammen. Tom und Martin wichen auseinander. Tom brachte kein Wort heraus. Er wollte etwas sagen, aber wie Martin versagte auch ihm seine Stimme.

»Hast du etwa ein Problem damit?«, fragte Anna.

»Was? Du duldest das auch noch? Du bist ja genauso widerlich wie die beiden hier. Und das soll mein Sohn sein. Warte nur! Ich prügel dir schon deine Flausen aus dem Kopf. Komm nur her!«

Mit schnellem Schritt ging Max auf die beiden zu. Instinktiv wichen sie zurück.

»Wenn du einem der beiden auch nur ein Haar krümmst, dann schlitze ich dich auf.«

Anna hatte sich das große Messer aus dem Block gegriffen und ging langsam auf Max zu.

»Ihr seid alle krank, und du, du Miststück, reiß dich zusammen, sonst kannst auch du was erleben.«

»Kinder, geht in Martins Zimmer und schließt die Tür ab. Das hier regle ich.«

Annas sonst so ruhige und sanfte Stimme hatte plötzlich etwas Durchdringendes, ja sogar Verletzendes an sich. Die Worte trafen auch Tom und Martin wie kleine Nadelstiche. So schnell sie eben konnten, liefen sie ins Zimmer. Martin drehte blitzartig den Schlüssel herum.

»Deine Mutter wird doch nicht ...?«

»Ganz sicher nicht. Aber wenn wir leise sind, dann hören wir bestimmt, was die beiden sagen, bessergesagt, sich an den Kopf brüllen.«

Währenddessen standen Anna und Max noch immer in der Küche. Anna hatte mittlerweile das Messer neben sich auf die Ablage gelegt. Nah genug, damit sie noch immer sofort zugreifen konnte, aber das brauchte sie nicht. Max blieb neben dem Kühlschrank stehen und wagte nicht, sich zu bewegen.

»So, und jetzt hör mir gut zu. Ich werde das nur ein einziges Mal sagen. Mit deinem Ausbruch eben bist du zu weit gegangen. Das war das letzte Mal, dass du dieses Haus betreten hast. Keiner hier will dich jemals wieder sehen.«

»Aber ...«

»Nichts aber. Seit Jahren kannst du nur rumschreien. Du hast es keinen einzigen Tag geschafft mit deinem Sohn normal zu reden. Sobald er aus seinem Zimmer kam, hast du ihn nur angemeckert. Nichts konnte er in deinen Augen richtig machen. Absolut nichts. Was glaubst du, warum er, wenn er daheim war, immer nur in seinem Zimmer saß. Nicht, weil er nichts mit uns zu tun haben wollte. Nein, er wollte einfach nicht von dir angeschrien werden. Wir beide waren froh, wenn du mal wieder auf einer sogenannten Geschäftsreise gewesen bist. Oder sollte ich lieber sagen, bei deiner Geliebten. Was hat sie, was ich nicht habe? Ist sie jung? Ist sie hübsch? Sicher ist sie das. Groß, gut gebaut, blond. Wahrscheinlich auch blöd. Wer mit dir was anfängt, muss blöd sein. Ich war auch blöd, aber ich bin aufgewacht. Hast du etwa geglaubt, dass ich nicht bemerken würde, dass du eine Freundin hast? Da brauchst du nicht so überrascht zu schauen. Denkst du wirklich, ich wäre so blöd? Du tust mir leid. Selbst so wie du hier stehst, merke ich es dir an. Ich rieche es. Der Duft ihres ekelhaften, blumigen Parfums, der noch immer in deinen Haaren hängt. Der kleine Schatten ihres pinken Lippenstifts, den sie notdürftig von deinem Hemdkragen entfernt hat. All das sehe ich. Sag mir nur eines. Warum?«

Max stand mit offenem Mund da und hatte sich die ganze Zeit über nicht geregt. Zögernd fand er wieder Worte.

»Du willst wissen warum? Ich sag es dir. Du bist einfach schlecht im Bett.«

»Oh du armer Irrer. Willst du mich jetzt damit verletzten? Wie lächerlich. Glaubst du denn im Ernst, es hätte mir mit dir Spaß gemacht. Gut, am Anfang war es toll, aber als Martin da war, da wolltest du gar nicht mehr. Und wenn, dann dachte ich, ein Tier liegt auf mir. Es hat mich geekelt. Und nach 4 Minuten war eh alles vorbei - zum Glück. Glaubst du, das findet eine Frau toll?«

Anna hatte mittlerweile einen Teller in der Hand, den sie aus der Spüle genommen hatte. Mit voller Wucht schmiss sie ihn vor Max Füße.

»So, ich glaube es ist alles gesagt. Du solltest jetzt gehen, und dich nie wieder in unserer Nähe blicken lassen, oder ich rufe die Polizei. Und das hässliche Geschirr deiner Schwester kannst du mitnehmen. Ich fand es schon immer schrecklich.«

Sprachs und öffnete die Schranktür und warf einen Teller nach dem anderen über ihre Schulter. Laut krachte das Geschirr gegen die Wand und auf den Boden.
Anna drehte sich langsam um. In der Hand hielt sie eine teure Kristallschüssel. Demonstrativ hob sie sie vor Max Augen.

»Nein, tu das nicht. Nicht die Kristallschüssel von meinen Eltern. Das ist ein Erbstück.«

»Ach ja, aber was soll's. Fick dieses unhandliche Teil.«

Mit Schwung ließ Anna die Schüssel zu Boden fallen. Sie zerbrach in 1000 kleine Stücke. Max verschwand aus der Küche und ging ins Wohnzimmer, zu seinem Schreibtisch.

»Was willst du noch. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?«

Anna warf einige Fotos und Ziergegenstände nach Max, aber keines der Teile traf, da Max ihnen auswich.

»Hör jetzt auf, du Schlampe, sonst werde ich ...«

»Was wirst du? Was? Na, sag schon. Klar jetzt versagt dir die Stimme.«

Buch um Buch flog aus dem Regal auf Max zu. Anna warf einen Stuhl um, als sie auf Max zuging. In der Hand hatte sie eine weitere große Kristallschüssel. Mit ruhigem, bestimmten Ton sprach sie, während sie Max Augen fixierte. In ihren Augen war kein Gefühl zu sehen. Weder Hass, noch Wut, noch irgendeine ander Gefühlsregung. Nur ihre Stimme bebte. Man konnte deutlich die Anstrengung spüren, die es sie kostete, nicht einfach loszubrüllen.

»Ich sage es dir zum letzten Mal. Lass uns allein! Verschwinde, für immer. Oder muss ich dir erst die Schüssel an den Schädel werfen, damit du kapierst, dass ich es ernst meine?«

Langsam, den Blick immer auf Anna gerichtet ging Max zur Wohnzimmertür. Als er sie erreicht hatte, rannte er in den Flur, riss die Haustür auf, stürzte die Treppe hinab. Oben an der Tür stand Anna.

»Ach ja, ich schick dir deine Sachen zu deiner Schnepfe. Die Adresse hab ich ja ... Und ich hoffe Sie hatten Spaß an diesem Gespräch, Frau Schmitt.«

Danach drehte sie sich um, ging ins Haus und knallte die Tür zu. Verdattert stand eben erwähnte Frau Schmitt da, schüttelte kurz den Kopf und ging dann in ihre Wohnung. Im Flur sagte sie noch vor sich hin. »Das wurde auch höchste Zeit.«

Nachdem Anna die Tür geschlossen hatte, sank sie, den Rücken an die Tür gelehnt, zu Boden. Sie legte ihre Arme auf die Knie und ließ ihren Kopf sinken. Bis jetzt war sie stark geblieben, aber jetzt liefen die Tränen nur so an ihren Wangen herunter.

»She sits among the pieces
Of broken glass and photographs
Reluctantly releases
The last of what was her past

It struck without a warning
Or did she just ignore the signs
In those dark clouds froming
Behind her silver lines

A broken jewel box dancer
Lies in pieces down the hall
She's finding out the answers
Don't change nothing at all

It's time that she stopped searching
For who's to blame or what went wrong
The only thing for certain
Is he's gone, she's gotta move on

Then the door, it slammed like thunder
And the tears they fell like rain
And the warnings from her family
Whirl like a hurricane
She's drowning in emotion
And she cannot reach the shore
She's alive
But can she survive
The storm»

(»The Storm« von Garth Brooks; Text: Garth Brooks, Kent Blazy and Kim Williams)

18. BUCH - Aufnahme

Oder ... Warum man Kinder nicht wieder umtauschen kann

Kurz nach dem Streit zwischen Anna und Max machte sich Tom auf den Nachhauseweg. Er wollte Martin zwar noch von seiner seltsamen Begegnung am gestrigen Tag erzählen, aber das konnte warten. Anna würde Martin jetzt dringender brauchen.

Daheim saßen seine Eltern in der Küche, redeten aber nicht. Tom zog seine Schuhe aus und streckte den Kopf zur Tür herein.

»Hallo.«

»Warte, nicht so schnell. Wir müssen reden. Komm bitte rein und setzt dich.«

Tom tat wie ihm geheißen.

»Was gibt's?«

»Wir wollten nur mit dir darüber reden, was du vorgestern mitbekommen hast.«

»Ich weiß, ich hätte nicht einfach weglaufen sollen, aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst hätte tun können. Ich hab das gehört und wollte einfach nur noch raus. Wohin war mir egal.«

»Wir haben uns Sorgen gemacht. Zum Glück hat uns Marion noch angerufen, als du zu ihr kamst.«

»Das war mir schon klar, dass sie euch angerufen hat. Sie meinte zwar sie hätte nur Martin angerufen, aber ganz blöd bin ich auch nicht.«

»Gibt es sonst noch etwas, was du uns sagen willst«, mischte sich jetzt auch Sonja ein.

»Ähm ... Nein, eigentlich nicht.«

»Dann hast du keine Fragen wegen Donnerstag?«

»Doch, aber das sind Fragen, die ich mir selbst beantworten kann, oder die auch ihr nicht wisst.«

»Welche Fragen wissen wir denn nicht?«

»Was mit Monika, so heißt doch meine leibliche Mutter, ist? Wo sie lebt? Und all diese Dinge.«

»Also, Monika ist der Name deiner Mutter. Sie ist verheiratet, und lebt in der Nähe von Köln. Sie kennt dich sogar von Bildern.«

»Aha, habt ihr auch eines von ihr?«

»Leider nicht.«

»Was ist das eigentlich für eine Abmachung, die ihr mit Monika habt?

»Nunja. Wir haben ihr immer von deinem Geburtstag und anderen Feiern Bilder von dir geschickt. Dafür darf sie aber nie nach dir suchen, oder versuchen dich zu sehen.«

»Nur so eine Frage. Ihr wisst, wo sie wohnt ... Und wenn ich sie jetzt sehen oder besuchen will? Was dann?«

»Darüber haben wir uns eigentlich nie Gedanken gemacht, denn eigentlich solltest du nie erfahren, dass du adoptiert bist.«

»Naja, aber wenn ich sie gerne sehen würde?!?«

»Sag doch gleich, dass du mit uns nichts mehr zu tun haben willst«, Sonjas Stimme war zittrig.

»So eine Unfug, Mama. Du bist und wirst immer meine Mama bleiben und du mein Papa. Daran ändert Monika auch nichts. Trotzdem will ich sie gerne kennen lernen. Immerhin hat sie mich zur Welt gebracht. Und ich will auch gerne wissen, wieso sie mich weggegeben hat. Und wer mein Vater ist. Das könnt ihr hoffentlich verstehen ...«

»Sicher. Es ist nur so schwer. Ich kann das nicht beschreiben. Ich habe einfach Angst dich zu verlieren.«

»Das werdet ihr sicher nicht. Ihr habt mich groß gezogen«, Tom ging zu seinen Eltern und nahm sie in den Arm. »Und außerdem muss ja auch jemand meine Ausbildung finanzieren.« Dabei grinste er sie frech an.

»Sonja, war bei der Adoption nicht auch ein Rückgaberecht dabei?«

»Leider nicht.«

Sonja atmete schwer aus und alle drei mussten jetzt lachen.

Die drei redeten noch eine Weile miteinander. Sie redeten über alles Mögliche und auch alte Erinnerungen, als Tom noch ein kleiner Junge war, wurden hervor gekramt. Etwa zwei Stunden später ging Tom in sein Zimmer. Er sah noch etwas fern und hörte Musik, bevor er sich zum Schlafen legte. Aber vorher rief er noch Martin an. Dessen Mutter ging es wieder gut, sie hatte noch zusammen mit Martin die Scherben ihres Wutausbruchs beseitigt. Tom verabredete sich mit Martin für den nächsten Vormittag zum Shoppen. Während des Einschlafens fragte er sich, warum er ausgemacht hatte, dass sie sich um 10.00 Uhr in der Innenstadt treffen würden. 12.00 hätte doch auch gereicht, und er hätte länger ausschlafen können.

19. BUCH - Einkaufstüten Können Schwer Werden

Oder ... Wieso man manche Menschen immer wieder sieht

Pünktlich um kurz vor zehn war Tom am verabredeten Treffpunkt. Martin wartete schon auf ihn am großen Brunnen.

»Guten Morgen, Tom.«

»Morgen, Martin, du siehst fertig aus.«

»Danke, du mich auch«, grinste Martin frech zurück.

»So, wollen wir uns schnell noch einen Kaffee holen, ich hab erst eine Tasse heute morgen bekommen, da ich verschlafen habe.«

»Gerne, aber dann will ich auch noch ein Stück Gebäck. Ich hab's nicht mal mehr geschafft was zu essen.«

»Dahinten ist eine kleine Bäckerei mit Stehkaffee wollen wir da hin.«

»OK, lass uns gehn.«

In der Bäckerei bestellten die beiden sich je einen Kaffee und Martin noch eine Quarktasche. Sie plauderten ein wenig über den gestrigen Tag, und Tom erzählte noch von seiner Aussprache mit seinen Eltern.

»Das ist schön, dass ihr wieder alles geklärt habt. Aber du wolltest mir gestern eigentlich noch was erzählen, bevor meine Mutter heimkam, und dann ...«, er stockte mitten im Satz. Die Sache mit seinem Vater ging ihm doch näher als er zugeben wollte.

»Ja, naja, es war total verrückt. Und ich glaub irgendwie, dass ich geträumt hab, aber ich höre jetzt noch jedes Wort, dass mir dieser Tobi erzählt hat. Und ich seh all die Türen noch immer vor mir. Seine Worte waren so bedeutungs- und geheimnisvoll ...«

»Das freut mich, aber könntest du etwas genauer erzählen, was los ist? Ich versteh bis jetzt nur Bahnhof.«

Also erzählte Tom so genau er konnte, was sich Donnerstag Nachmittag zugetragen hatte. Interessiert hörte Martin zu und stellte, wenn er es für nötig erachtete, Zwischenfragen.

»... Und kaum war seine Stimme verklungen, war ich wieder unter der Dusche und sah aus wie ein Elefantenhintern - total verschrumpelt. Ich weiß jetzt nicht, ob ich spinne, oder ob das alles wahr war.«

»Naja, es hört sich sehr verrückt an, aber ich hatte am Donnerstag auch ein seltsames Erlebnis, das ich nicht verstehe, daher könnte schon was Wahres dran sein. Ich hab mein Zimmer aufgeräumt, und etliche Sachen weggeschmissen. Darunter auch eine kleine Murmel. Als ich den Müllsack weggeschmissen hatte, lag in der Mitte von meinem Raum wieder diese Murmel. Ich hab sie dann wieder in den Mülleimer geschmissen, und als ich aus dem Bad zurück kam, war sie an der gleichen Stelle, von der ich sie schon einmal aufgehoben hatte. Warte, ich hab das Teil sogar dabei.«

Martin holte die Kugel aus seiner Hosentasche. Tom betrachtete sie kurz und in seinen Augen war ein Funkeln zu sehen, das Martin aber nicht bemerkte.

»Das ist keine Murmel, das ist, wenn mich nicht alles täuscht, ein Rosenquarz, also ein Edelstein. Das erklärt zwar noch nicht, warum er nicht von dir weichen will, aber immerhin ist er wertvoll.«

»Was willst du jetzt eigentlich machen. Wirst du nächstes Wochenende auf den Jahrmarkt gehen?«

»Klar, ich fahr so gerne Autoscooter und wenn ein Volksfest bei uns in der Umgebung ist, dann bin ich immer dort. Willst du mich nicht begleiten?«

»Gerne, und dann werden wir auch sehen, ob es dieses Zelt, das 'Die verwunschene Magie' heißt, wirklich gibt.«

»Klar, aber jetzt lass uns endlich einkaufen gehen, wir haben schon zu lange hier rumgestanden. Und ich brauch dringend ein paar neue Klamotten.«

»Na dann, los.«

Martin schnappte sich seinen Rucksack. Kurz darauf waren die beiden schon im ersten Kaufhaus und Tom fing an, in den diversen Ständern zu wühlen, um das Passende zu finden. Auch Martin probierte einige Sachen, aber das meiste gefiel ihm dann doch nicht, so dass er nur eine schwarze Schlaghose und zwei kurzärmlige Oberteile kaufte. Tom hatte sich auch für eine neue Schlaghose entschieden, allerdings war seine weiß und eine neue verwaschene Jeans mit Bootcut kaufte er sich auch noch. Und fünf neue Oberteile in verschiedenen Farben. Ein schwarzes hautenges ärmelloses T-Shirt war auch dabei, das ihm besonders gut gefiel. Bepackt mit Tüten gingen sie noch in einen kleinen Kruschladen. Tom suchte noch eine Kette, wie sie jetzt viele trugen. Er fand auch eine und auch einen modischen Ring aus Metall, der ihm wie angegossen passte. Martin kaufte sich ebenso einen silbernen Ring, der eine interessante Schnitzerei hatte. Man konnte es nicht als Gravur bezeichnen, dafür war es zu grob. Wenig später waren sie in einem Musikgeschäft und stöberten in den CD-Regalen nach neuen Errungenschaften.

»Hey Martin, sie dir mal das an.«

»Was denn?«

»Hier, ich hab die Scheibe schon wie ein Verrückter gesucht. Ich war schon in 20 Läden, aber nirgendwo war die CD aufzutreiben.«

»Jetzt hast du sie ja. Aber ich hab auch was gefunden. Die ging mir in meiner Roxette Sammlung noch ab.«

»Cool, suchst du noch was oder kön...«

Plötzlich stockte Tom mitten in seinem Satz und starrte in Richtung Lager. Dort war die Tür aufgegangen und ein junger Mann trug einen Karton zu einem der Regale und begann etwas einzusortieren.

»Tom, was ist? Hast du deine Sprache verloren?«

»Nein, aber der Typ da hinten, das ist Tobi, der Typ in meinem Tagtraum.«

»Was? Ach, du siehst Gespenster.«

»Nein, wenn ich es dir sage, ich bin mir ganz sicher.«

»Na gut, dann lass uns näher hinsehen.«

Martin packte Tom, der noch immer wie angewurzelt da stand, am Arm und zog ihn hinter sich her. Aber der Angestellte des Musikladens sah zu den beiden, lächelte kurz und verschwand wieder im Lager.
Martin und Tom gingen dann zur Kasse und bezahlten ihre CD's. Mit vollen Tüten und leeren Geldbeuteln machten sich die beiden mir der S-Bahn auf den Nachhauseweg.

»Martin, was ist? Du wirkst so nachdenklich.«

»Ja, ich hab diesen Typ in dem Laden auch schon einmal gesehen. Ich weiß aber nicht mehr wo, und jetzt habe ich in meiner Erinnerung gekramt, aber es fällt mir nicht ein. Das alles ist sehr komisch, findest du nicht?«

»In der Tat, aber lass und jetzt an was anderes denken. Zum Beispiel, was wir machen, wenn wir bei mir daheim angekommen sind.«

Toms Augen blitzen auch, und Martin wusste genau, woran Tom dachte ...

»There's a painter painting his masterpiece
There are some sqirrels jumping in the trees
There's a wide-eyes boy with a red balloon
All my life I've longed for this afternoon«
('June Afternoon' von Roxette; Text: Per Gessle)

20. BUCH - Kaffeekränzchen

Oder ... Was man halt so beim Frühstück bespricht

Am Sonntag wachte Tom schon relativ früh auf. Martin lag noch in Morpheus Armen und bemerkte nicht, dass Tom aus dem Bett stieg und unter die Dusche ging. Tom genoss die heiße Dusche richtig, hatte er doch gestern Abend geschwitzt. Aber er war zu müde gewesen, um noch kurz unter die Dusche zu springen.

Tom stellte das Wasser ab, zog sich an und ging nach unten, um zu frühstücken.

»Morgen, Mama.«

»Morgen, Tom. Gut geschlafen?«

»Ja, ich denke schon.«

»So hat es sich auch heute Nacht angehört. Man hatte das Gefühl als würden zwei Dampfloks in deinem Zimmer im Kreis fahren.«

»Klar, und bei euch waren die Möbelpacker beschäftigt.«

Sonja wurde rot und suchte schnell nach einem anderen Thema.

»Ach, Papa ist übrigens in der Garage, du solltest ihn nicht stören. Er bastelt gerade an was.«

»An was denn?«, fragte Tom neugierig.

»Nichts wichtigem, aber du hast 'Garagen-Verbot'.«

»Sag halt gleich, dass er was für meinen Geburtstag bastelt.«

»Du bist echt schon zu groß, als dass man dir etwas vormachen könnte. Aber wenn wir eh schon darüber reden. Was hast du denn vor?«

»Naja, ich dachte, dass wir am Nachmittag ein kleines Kaffeekränzchen machen, mit Verwandten und engen Freunden, und dass ich am Abend eine Party für meine Freunde gebe.«

»Klar, so lange es nicht 100 Leute werden, ist es OK. Wen willst du denn am Nachmittag einladen?«

»Naja, ich dachte da an dich und Papa, an Oma und Opa, wenn sie Zeit haben, an Tante Norma, an Martin und seine Mutter und an Monika.«

»Monika auch?« Anna war doch etwas überrascht.

»Ja, wenn es euch nicht stört ...«

»Nein, aber denkst du denn es ist gut, wenn du sie zum ersten Mal siehst, wenn auch die ganze Verwandtschaft da ist? Du sollst ja auch Zeit für die haben, nicht nur für Monika.«

»Klar, ich hab mir gedacht, dass Monika schon am Freitag kommt, dann können wir etwas reden, bevor am Nachmittag die Verwandtschaft eintrifft und die Party losgeht, und am Sonntag fährt sie dann wieder heim.«

»Naja, klingt ganz OK, aber ich weiß nicht, ob es so gut ist, wenn Oma und Opa auf sie treffen.«

»Wissen sie etwa nicht ...?«

»Doch, doch ... Naja, es ist dein Geburtstag. Und das mit Monika geht sicherlich in Ordnung.«

»Super, ich werd sie, wenn Martin weg ist, anrufen.«

»Willst du mich etwa schon los werden?«

Martin stand nur mit einer Short und einem T-Shirt bekleidet im Türrahmen und blickte grinsend zu Tom. Seine Haare standen wirr vom Schlafen ab.

»Noch nicht, aber bald«, grinste Tom zurück. »Morgen, erstmal.«

»Guten Morgen.«

»Morgen Martin, hast du gut geschlafen?« erkundigte sich Sonja.

»Danke, sehr gut, ich bin nur noch etwas verschlafen, also gebt mir noch ne Minute.«

»Schon gut, wir lassen dich ja in Ruhe. Auf der Anrichte ist Kaffee und auch Tassen.«

»Genau das, was ich jetzt brauche.«

Danach widmeten sich alle ihrem Frühstück oder der Zeitung - BamS - was anderes gibt's ja sonntags nicht ...

**********************************

Nachdem Martin fertig gefrühstückt hatte, ging er ins Bad. Also er zurück in Toms Zimmer ging, um sich frische Klamotten anzuziehen, saß ein frech grinsender, und nur mit einer Short bekleideter Tom auf seinem Bett.

»Aha, ich kann mir fast vorstellen, was du schon wieder vorhast.«

»Soso, du kannst es dir vorstellen. Aber damit du dir ganz sicher bist, solltest du lieber ins Bett kommen und es überprüfen. Dann weißt du danach ganz sicher, was ich vorhatte.«

Gesagt, getan. Martin ließ sein Handtuch zu Boden fallen und stieg zu Tom ins Bett ...

Später an diesem Tag hielten sich Martin und Tom im Arm und schauten sich verträumt an.

»An was denkst du, Martin?«

»Mir ist nur zuvor unter der Dusche eingefallen, woher ich den Kaufhaus-Typen kannte.«

»Na sag schon, oder muss ich es aus dir herausquetschen?«

»Du kannst dich doch noch an die Murmel erinnern?« Tom nickte. »Ich habe nie gewusste, wie ich eigentlich an das Teil gekommen bin. Aber jetzt weiß ich es, zumindest kann ich mich an einen Traum erinnern. Ich war am Strand, auf einer Klippe, und da war ein Junge, der mich einfach an der Hand packte und sich mit mir ins Wasser stürzte. Wir tauchten immer tiefer runter, bis er etwas vom Grund des Wassers aufhob und es in meine Hand lege. Die ganze Zeit über traute ich mich nicht, ihn anzusehen. Als ich dann erschöpft am Strand lag, konnte ich für einen kurzen Moment sein Gesicht sehen, bevor es schwarz um mich wurde. Und das Gesicht war eben das von diesem Typen aus dem Kaufhaus.«

»Ich find das alles sehr komisch. jedes Mal, wenn etwas Seltsames passiert, dann ist irgendwie dieser Junge involviert. Seis bei deiner Murmel oder bei meinem Tagtraum. Sehr merkwürdig.«

»Glaubst du, ich finde das nicht auch komisch. Ich frag mich nur, was das soll?«

»Nicht nur du, aber ich denke mal, es nützt nichts, wenn wir uns weiter den Kopf darüber zerbrechen. Das war bestimmt nur Zufall ...«

Tom sagte es zwar mit großer Überzeugung, aber so sicher war er sich nicht. Die Fragen schossen nur durch seinen Kopf, aber Antworten fand er keine. Vielleicht würde ja dieses Zelt etwas Licht ins Dunkle bringen ...

21. BUCH - Klingelgeräusche

Oder ... Was man bei Gesprächen immer beachten sollte

Monika war gerade beim Abwasch, als ihr Telefon an diesem Sonntag Nachmittag ging. Sie trocknete ihre Hände ab und nahm den Hörer in die Hand.

»Maier.«

»Guten Tag, Frau Maier. Ich hoffe ich störe nicht.«

»Nein, aber wer spricht da bitte.«

»Oh entschuldig Sie, mein Name ist Tom Huber.«

Hatte Monika da gerade richtig gehört, ihr Sohn, ihr eigener Sohn rief sie an. Wieso rief er sie an? Woher hatte er ihre Nummer? Diese und tausend andere Fragen rauschten durch ihren Kopf.

»Hallo? Sind Sie noch da?«

»Ja, entschuldige bitte, aber bist du nicht ...«, sie konnte nicht weiter reden.

»Genau, ich bin Ihr Sohn. Ich weiß, mein Anruf ist unerwartet, aber ich habe vor kurzem erfahren, dass Sie meine leibliche Mutter sind. Und ich würde Sie gerne kennen lernen, wenn Sie das auch wollen würden.«

»Äh ... ja ... sicherlich, aber, so weit ich weiß, wohnst du bei München, und ich in der Nähe von Köln. Da wird es sicher schwer sich zu treffen.«

»Das stimmt, aber ich habe doch in zwei Wochen Geburtstag ...«

»Ja, am Samstag.« Mittlerweile hatte sich Monika wieder etwas gefangen, nur eine kleine Träne lief ihre Wange herunter.

»Genau, und da dachte ich mir, falls Sie Zeit haben, dann würde ich Sie zu mir einladen.«

»Gerne, aber was sagen deine Eltern dazu? Sind sie damit überhaupt einverstanden?«

»Ja, das sind sie. Sie würden Sie auch gerne wieder sehen«, Tom wusste zwar, dass sie das nie so gesagt hatten, aber es klang einfach höflicher.

»Dann komme ich gerne. Ich muss nur meinen Mann informieren, dass ich an diesem Wochenende nicht da bin.«

»Warten Sie kurz einen Moment.«

Tom legte den Hörer beiseite und ging in die Küche.

Während Monika wartete, malte sie sich in Gedanken schon aus, wie das Wochenende ablaufen würde. Wie sie mit Tom zusammen lange Gespräche führen würde. Wie sie zusammen etwas unternehmen werden ...

»Frau Maier, ich habe gerade meine Eltern gefragt, und sie meinten, dass Sie, wenn sie wollen, auch ihren Mann mitnehmen können, und natürlich auch ihre Kinder, wenn die noch zu klein sind um alleine daheim zu bleiben.«

»Ich habe leider keine Kinder, aber meinen Mann würde ich gerne mitnehmen. Wo wohnt ihr denn genau? Damit ich weiß, wo ich ein Hotelzimmer buchen muss.«

»Das wird nicht nötig sein. Wir haben ein großes Gästezimmer, in dem Sie gerne übernachten können. Aber wenn Sie lieber in einem Hotel wohnen wollen, wir leben in Freising.«

»Ich werde das mit meinem Mann klären, und dir dann Bescheid geben. Übrigens kannst du mich duzen.«

»Alles klar.«

Tom gab Monika dann noch seine Telefonnummer und legte dann auf.

Monika ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Sie heulte einfach daruf los. Nicht, weil sie traurig war, nein, ganz im Gegenteil. Sie war überglücklich, endlich würde sie ihren Sohn sehen. All die Fragen, die noch immer unbeantwortet waren, würden nun beantwortet werden. Hat er schon seine erste Freundin? Wie er wohl mittlerweile aussehen mag? Das letzte Bild, das sie erhalten hatte, war auch schon über ein halbes Jahr alt. Tausend Dinge, die sie wissen wollte, rauschten durch ihren Kopf. Sie musste sich setzten ...

22. BUCH - Luftspiegelung

Oder... Wie man Übelkeit in der Achterbahn umgehen kann

Im Laufe der Woche passierte nicht viel. Monika rief einmal an, und gab Tom Bescheid, wann sie ankommen würden und dass sie ein Hotel nehmen würden. In der Schule lief alles wie gewohnt. Am Freitag verteilte Tom die Einladungskarten in seiner und den Parallelklassen.
Tom und Martin waren gerade beim Umziehen in der Umkleide. Die letzte Stunde an diesem Tag war vorbei und alle anderen schon verschwunden, nur Tom brauchte mal wieder eine Ewigkeit, bis er endlich fertig war.

»Tom, gehen wir jetzt heute Nachmittag auf dem Jahrmarkt, oder doch nicht?«

»Sicher gehen wir, ich will ja wissen, was ich denn da finden soll.«

»Wann und wo treffen wir uns?«

»Da hätte ich einen Vorschlag: Warum kommst du nicht gleich mit zu mir, und wir gehen dann nach dem Essen zum Jahrmarkt?«

»Klingt gut, aber eigentlich sollte ich noch heim. Ich muss duschen, ich stinke wie ein alter Bock.«

»Lass mal riechen.«

Tom ging vorsichtig mit seiner Nase zu Martin und atmete ganz zaghaft ein.

»Das stimmt, aber ein Bock ist noch untertrieben.«

»Na warte, dir zeig ich's.«

Und schon nahm Martin sein verschwitztes T-Shirt und klatschte damit Tom auf den Hintern, da dieser sich gerade bückte, um einen Schuh anzuziehen. So herausgefordert nahm Tom auch sein T-Shirt und schlug Martin damit auf den rechten Arm. Kurz darauf waren die beiden in einem unerbittlichen Kampf und lachten vor sich hin.

»Wenn die beiden Herren dann langsam ihre Kindereien einstellen würden, dann könnte ich auch hier endlich absperren. Oder muss ich euch erst mit meinem Handtuch gehorchen lehren.«

Herr Weinberger, der Sportlehrer, stand im Türrahmen, sah mit einem Grinsen den beiden Kampfhähnen zu und schwenkte demonstrativ sein Handtuch im Kreis.

»Entschuldigung, aber Tom war frech zu mir, da musste ich ihn gehorchen lehren«, grinste Martin frech zu Herrn Weinberger.

»Das ist mir eigentlich egal, was ihr miteinander anstellt, aber macht endlich, dass ihr rauskommt, ich hab heute auch noch was anderes vor als euch beim Kleinkriegspielen zuzusehen.«

Herr Weinberger war ein recht junger Lehrer. Etwa Mitte 20. Er absolvierte gerade sein Referendariat. Wenn er kein Lehrer gewesen wäre, hätte man ihn glatt attraktiv gefunden. Mit seinem spitzbübischen Grinsen und seinem glatten griechischen Gesicht hätte man ihn auch für einen Schüler im Abschlussjahr halten können. Sein Körper war gut gebaut, aber nicht übertrainiert, und auch seine gesamte Ausstrahlung hatte noch immer Teile des Charmes eines Schülers.
Tom und Martin zogen sich fertig an, schnappten ihre Sachen und gingen nach draußen.

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»I take you on a skyride
A feeling like you're spellbound
The sunshine is a lady
Who rox you like a baby«
(»Joyride« von Roxette, Text: Per Gessle)

»Tom, wenn du endlich fertig werden würdest, dann könnten wir auch mal losgehen.«

»Moment, ich bin gleich da, ich muss mir nur noch den Schaum runter spülen.«

»Red nicht so viel und komm lieber in die Gänge, sonst kommen wir heute nie an.«

Nach über einer viertel Stunde war Tom endlich fertig und die beiden gingen los, nicht aber ohne sich vorher ein bisschen Geld von Sonja zu holen, zumindest Tom.
Auf dem Jahrmarktsplatz war reger Betrieb. An allen Fahrgeschäften standen Leute an, und auch die Zelte waren gut gefüllt. Die beiden schlenderten über den ganzen Platz, einerseits um zu sehen, was es für Attraktionen gibt, andererseits wollten sie auch wissen, ob es dieses Zelt wirklich gibt. Aber nirgendwo konnten sie es finden.

»Ich hab's doch gewusst. Dieses Zelt gibt es nicht. Ich hab das alles nur geträumt«, etwas Enttäuschung war in Toms Stimme zu hören.

»Ist doch egal, wenn wir schon mal hier sind, dann können wir auch ein bisschen die Fahrgeschäfte ausprobieren.«

Und so gingen die beiden zum Top-Spin, um sich erst mal richtig durchschütteln zu lassen. Sie probierten jedes Fahrgeschäft aus, Hauptsache es war schnell und machte viele Überschläge und Martin schoss sogar einen großen Elefanten. Sie amüsierten sich prächtig und lachten viel.

Mittlerweile war es schon dunkel geworden und die beiden wollten sich langsam auf den Nachhauseweg machen, als Martins Blick auf ein kleines dunkelblaues Zelt viel. Das Zelt sah aus, als wäre es zwischen zwei Schießbuden gequetscht worden.

»Tom, sieh mal da, dein Zelt.«

»Komisch, das stand da aber vorher noch nicht da, oder haben wir es etwa nur übersehen?« Tom war etwas verwirrt.

»Ich hab es zuvor auch nicht gesehen, aber vielleicht haben wir es einfach nicht bemerkt.«

»Lass uns rüber gehen.«

Tom und Martin gingen quer über den Platz und standen vor der Tür. Vorsichtig schob Tom den Vorhang auf die Seite und trat ein …

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