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Geheime Liebe
Teil 1
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Informationen
- Story: Geheime Liebe
- Autor: sonnenschein
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Da saß er nun in seinem Büro Tür an Tür mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder und kümmerte sich um die juristischen Probleme anderer Leute. Wie oft hatte er sich schon gefragt, warum er unbedingt Jura hatte studieren müssen, um dann in die renommierte Anwaltskanzlei seines Vaters einzutreten, obwohl er es im Grunde genommen genau wusste. Es war ja nicht so, dass er sich nicht für die Juristerei interessieren würde, aber es gab eigentlich nur einen Grund warum er das alles tat. Vor allem an so Tagen, wenn sich mal wieder Nachbarschaftsrechtsstreitigkeiten an Forderungssachen mit so geringen Streitwerten, dass sich die Bearbeitung für die Kanzlei hinten und vorne nicht rechnete, reihten, erinnerte er sich an jenen Tag vor 16 Jahren zurück. Aber zum Glück war es ja nicht immer so, auch wenn sein Vater zumeist die ganz dicken Fische für sich beanspruchte. Zumindest vertrat er die Mandanten nach außen hin, aber die Bearbeitung der Sachen blieb dann an ihm hängen. Wie nannte sein Vater es immer so schön: Er solle sich in den Bereich einarbeiten, damit er als sein ältester Sohn mal seine Geschäfte übernehmen könne.
Sein Bruder hatte es schon richtig gemacht, als er sich auf Arbeitsrecht und Verkehrsrecht spezialisierte. Und seitdem er in beiden Bereichen seinen Fachanwalt hatte, fuhr er richtig Kohle ein. Vor allem waren die meisten Mandate schnell abgewickelt und dauerten – nicht so wie bei ihm – Monate oder Jahre. Überhaupt schien sein Bruder Michael alles besser zu machen als er. Er war sozusagen das Idealbild des erfolgreichen Anwalts, verheiratet mit einer hübschen und intelligenten Frau, die selbst mit beiden Beinen im Arbeitsleben stand. Das erste Kind hatte sie eben so bekommen und kurz nach der Geburt wieder angefangen zu arbeiten. Das zweite war auch schon unterwegs. Das Haus, in dem sie wohnten, war ein Traum – das musste er ja neidlos zugeben – überhaupt war eigentlich alles ein Traum. Aber war es auch sein Traum? Wenn er ehrlich war, nein. Alles, was er wollte, war einen Partner, der sein Herz, von dem er fast schon nicht mehr wusste, wo es saß, zum Pochen brachte. Er wollte wieder Schmetterlinge im Bauch haben so wie damals in Berlin mit Mark. Mit Wehmut dachte er an seine Referendarzeit zurück. In Berlin hatte er endlich so sein können wie er war, musste nicht stets darauf bedacht sein, dass ihn sein Vater mit einem anderen Mann sehen könnte. Selbst sein Bruder hat etwas Zeit gebraucht, bis er halbwegs normal mit seiner Homosexualität umgehen konnte. Was er damals vor 17 Jahren von ihm wollte, als er in sein Zimmer stürmte, wusste er nicht mehr, aber an den Gesichtsausdruck seines Bruders konnte er sich noch gut erinnern. Ihm waren förmlich die Augen aus dem Kopf gefallen, als er ihn und seinen damaligen Freund beim Sex überraschte. Zuerst hatte er sie nur angestarrt, um sich dann blitzschnell umzudrehen und davonzulaufen. Natürlich nicht ohne die Türe hinter sich zuzuschlagen. Er wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken, aber sein damaliger Freund fing einfach nur an zu lachen. Dass er vergessen hatte abzuschließen, ärgerte ihn noch heute. Aber wahrscheinlich hätte es sein Bruder dann irgendwie anders erfahren. Sein Bruder Michael war damals gerade 15 geworden und hatte seine erste Freundin. Für ihn war es eh schon eine komische Zeit, so dass er anscheinend erst einmal selbst mit dem Gesehenen klar kommen musste. Eine Woche hatte es gedauert, bis er ihm die ersten Fragen gestellt hatte. Bis dahin hatte er nur das Nötigste mit ihm gesprochen. Sie hatten bis heute nie wirklich darüber geredet, was in Michael in dieser Woche vorging. Erst nach und nach hatte er mehr wissen wollen. Und irgendwann stellte er auch die Frage nach dem Warum. Ja, warum war er schwul? Eine Antwort musste er ihm schuldig bleiben, obwohl er heimlich zahlreiche Fachbücher zu dem Thema gewälzt hatte. Also hatte er die Frage seines Bruders mit einer Gegenfrage beantwortet. Warum stehst du auf Frauen? Michael hatte zwar zahlreiche Vorzüge eines weiblichen Körpers angeführt, aber eine wirkliche Antwort hatte er ihm auch nicht geben können. Warum er nicht offen zu seinen Gefühlen stand, hatte er ihn nicht gefragt. Das brauchte er auch nicht, schließlich tat ihr Vater bei jeder Gelegenheit seine Meinung zur Homosexualität kund. Und sich gegen den allmächtigen Vater aufzulehnen kam nicht in Frage. Er wusste genau, was die Folge gewesen wäre. Der Vater hätte ihn verstoßen und enterbt. Dabei wäre noch nicht einmal der finanzielle Verlust das Schlimmste gewesen. Nein es war die Familie um die es ihm leid tat. Dass sein Vater Mittel und Wege kannte, um das auch wirklich zu realisieren, wusste er von seinem Großvater, dem er sich mit 12 Jahren anvertraut hatte. Sein Großvater war schon immer sein Verbündeter gewesen. Und so hatte er ihm als einzigen von seinen Gefühlen für einen anderen Jungen in seiner Klasse erzählt. Zu ihm war er auch immer gegangen, wenn er mal wieder nicht weiter wusste. Kurz vor seinem Tod hatte sein Großvater ihm dann von dem Bruder seines Vaters erzählt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er gar nicht gewusst, dass er überhaupt einen Onkel hatte. Danach wusste er auch warum. Also hatte er beschlossen zu schweigen. Michael wusste von dem alles nichts, aber auch für ihn war klar, mit welchen Problemen sein Bruder zu rechnen hätte wenn es heraus käme. Mit der Zeit war es normal für ihn geworden, seinen Bruder zu decken, wenn er mal wieder ein heimliches Date hatte. Nicht ganz ein Jahr später wurde bei ihrer Mutter erneut Krebs festgestellt. Die Metastasen waren schon im ganzen Körper verstreut, so dass sich ihr Zustand binnen kurzer Zeit rapide verschlechtert hatte. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, der ihre Mutter kaum besucht hatte, hatte er jeden Tag an ihrem Krankenbett gesessen und ihre Hand gehalten. So auch an jenem Tag, als sie ihn plötzlich direkt in die Augen blickte und ihm mit ungewöhnlicher fester Stimme das Versprechen abnahm, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und sich eine nette Frau zu suchen und Nachwuchs zu zeugen. Er wusste zu diesem Zeitpunkt zwar nicht, wie er dieses Versprechen einlösen sollte, aber er versprach es ihr. Danach hatte er noch eine ganze Zeit an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gehalten. Als er gedacht hatte, dass sie endlich eingeschlafen sei, war er aufgestanden, um sich einen Kaffee aus der Cafeteria zu holen. Unvermittelt hatte sie die Augen aufgeschlagen und er hatte sie mit einer energischen Stimme – die er zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr gehört hatte, weil sie ganz einfach keine Kraft mehr hatte – sagen hören: Bring keine Schande über deinen Vater, indem du dich mit anderen Männern einlässt. Denk daran, was mit Onkel Otto passiert ist."
Er war im ersten Moment so geschockt gewesen, dass seine Mutter offensichtlich von seiner Homosexualität und vor allem von ihrem Schwager wusste, dass ihm die Worte fehlten. Warum hatte sie nie etwas gesagt und warum hatte sein Großvater ihm erst auf dem Sterbebett von Onkel Otto erzählt, wusste er es womöglich von seiner eigenen Tochter? Das war zu viel für ihn gewesen, er vergaß vollkommen, wo er sich befand und dass seine Mutter dem Tode nah war und brüllte sie an.
Ob seine Mutter nun wirklich deswegen gestorben war oder ob andere Faktoren eine Rolle spielten, hatte man nie aufklären können, und so schleppte er seit nunmehr fast 14 Jahren diese Schuldgefühle rum. Aber wie lange würde er das noch durchstehen können? Er wusste es nicht. Warum war er nicht einfach in eine andere Stadt gegangen, wenn nicht schon nach Berlin, wo ihn alles an Mark erinnerte, dann doch wenigstens woanders hin, wo er so leben konnte, wie er wollte. Schwul und glücklich. Aber nein, er musste ja unbedingt zurückgehen und in die Kanzlei seines Vaters einsteigen. Manchmal überkam es ihn von jetzt auf gleich wie mit einem Hammerschlag. Dann stürzte wieder alles auf ihn ein. Selbst wenn er nach außen hin vorgab der souveräne und selbstbewusste Anwalt zu sein, der er gerne immer wäre, gab es Momente in seinem Leben, in denen er sich ganz klein fühlte.
In einem solchen klopfte es an der Türe. "Kommst Du? Wir wollen essen gehen. Vater wartet schon unten."
"Ja sofort Michael. Geh schon mal vor, ich muss noch eben in der Fristsache von heute telefonieren. Ich komme dann nach", versuchte er seinen Bruder abzuwimmeln. Er brauchte einfach noch einen Moment für sich. Heute war es genau 16 Jahre her, dass seine Mutter gestorben war, und keiner schien davon Notiz zu nehmen, weder sein Bruder, geschweige denn sein Vater. Anscheinend gab sich sein Bruder damit zufrieden, jedenfalls hörte er, wie die Kanzleitüre zufiel.
Als er sicher war, dass die Angestellten alle zur Pause gegangen waren und er sich damit alleine auf der Etage befand, beschloss er, sich etwas frisch zu machen. Das kühle Wasser im Gesicht und auf den Pulsadern vertrieb zwar nicht seine düsteren Gedanken, aber wenigstens fühlte er sich jetzt halbwegs in der Lage, seinem Vater und seinem Bruder in die Mittagspause zu folgen. Er wäre gerne die ganze Mittagszeit über im Büro geblieben, aber das hätte ihm nur wieder misstrauische Fragen seines Vaters eingebracht. Also biss er lieber in den sauren Apfel und ging nach unten. Wohin wollten sie noch essen gehen? Ach ja, ins Dolce Vita, ihr einstiges Stammlokal, das wegen des Todes des Pächters jedoch vor einiger Zeit hatte schließen müssen. Jetzt hatte es anscheinend wieder geöffnet. Hunger hatte er nicht wirklich, aber als er das Restaurant betrat, stieg ihm sofort der Duft von Bruschetta mit Tomaten und einem Hauch Knoblauch in die Nase, die gerade ein Gast verzehrte, der in der Nähe der Eingangstür saß. Unwillkürlich lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Wenn sie nur halb so gut schmeckten wie die von Luigi dem alten Pächter... Bei so einer Vorspeise brauchte er fast keinen Hauptgang mehr. Gerade noch rechtzeitig bevor sich der Gast umdrehte und mitbekommen konnte, dass er auf seinen Teller gestarrt hatte, wurde er von einem Kellner angesprochen und zu dem Tisch geleitet, an dem sein Vater, sein Bruder und noch weitere drei Anwälte saßen. Natürlich wurde er auf seine Verspätung angesprochen, und wieder brachte er seine Entschuldigung mit der Fristsache vor. Während alle anderen am Tisch sich damit zufrieden gaben und sich wieder ihrem Essen widmeten, hakte sein Vater nach und wollte wissen, um welche Sache es bei dem Telefonat ging. Auf die Schnelle fiel ihm keine vernünftige Antwort ein, weil ihm klar war, dass sein Vater die Akten ebenso gut kannte wie er, und da gab es einfach keine Sache, die ihm dafür geeignet erschien. Zum Glück erschien in diesem Moment der Kellner mit der Karte, so dass er die Antwort zunächst einmal schuldig blieb. Aber kaum war der Kellner wieder verschwunden, hakte sein Vater sofort wieder nach. Inzwischen hatte er sich eine Erklärung aus den Fingern gesogen, die seinen Vater zwar anscheinend nicht gerade zufrieden stellte, wie er an seinem Gesichtsausdruck ablesen konnte, aber wenigstens fragte er nicht weiter nach und widmete sich lieber seinem Hauptgang. Kurz darauf wurde ihm auch seine Vorspeise serviert – natürlich Bruschetta mit Tomaten. Bereits der ersten Bissen machte ihm klar, dass der neue Koch – auch wenn er es nie für möglich gehalten hätte – noch bessere Bruschettas machte als Luigi. Dasselbe galt für den Hauptgang und das Dessert. Bevor er losgefahren war, hatte er gedacht, dass er eh – wenn überhaupt – nur eine Kleinigkeit essen würde, aber die Aromen, die mit seinen Geschmacksknospen in Kontakt kamen, ließen ihn tüchtig zulangen. Er nahm sich vor, später in der Küche vorbeizuschauen. Eigentlich war es in solchen Lokalitäten alles andere als üblich, dass die Gäste in die Küche durften, aber bei Luigi hatte er immer sozusagen hinter die Kulissen schauen dürfen. Dort hatte er sich wohler gefühlt als vorne bei den Herren Juristen. Mit der Zeit hatten er und Luigi sich angefreundet, und manchmal, wenn das Restaurant nicht ganz so voll war, hatte er ihm kleine Tricks gezeigt, die er dann zu Hause ausprobiert hatte, wenn auch nicht mit immer so ganz durchschlagendem Erfolg. Aber Spaß gemacht hatte es ihm allemal. Kurz nachdem Luigi bei dem Autounfall ums Leben gekommen war, hatte er mit dem Kochen aufgehört. Die Erinnerungen an die gemeinsamen Stunden in der Küche taten einfach zu weh. Ohne ihn war es einfach nicht mehr das gleiche. Mit der Zeit hatte er es geschafft, die Erinnerungen zu verdrängen, indem er versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Seine Tischpartner im Glauben lassend, dass er noch einmal auf die Toilette müsse, ging er schließlich in Richtung Küche. Auf dem Weg dorthin lief ihm Claudio über den Weg, der schon bei Luigi Beikoch gewesen war. Nach einer herzlichen Begrüßung wurde er sofort mit in die Küche gezogen. Der äußerst angenehme Geruch, der ihm in die Nase stieg, versetzte ihn sofort zurück in die Vergangenheit. Fast hätte er den Mann, der so flink mit den Pfannen und Töpfen hantierte mit "Luigi" angesprochen, dabei hatte dieser – von der üblichen Kochkleidung mal abgesehen – nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Koch. Der Mann war wesentlich jünger und attraktiver, wie er feststellen konnte, als dieser sich halb zu ihm umdrehte. Claudio stellte sie einander vor und ihm verschlug es glatt die Sprache, als er in die braunen Augen seines Gegenübers blickte. Gab es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick?
Hatte er jemals so braune Augen gesehen? Dazu dieses verschmitzte Lachen…Himmel ne…Jetzt stand er hier in der Küche und ihm fehlten glatt die Worte. Warum musste er immer so unsicher werden, wenn ihm ein Mann gefiel? Bei Mark, seinem Ex-Freund, war es nicht anders gewesen. Auch da hatte nicht er den ersten Schritt gemacht und hinterher…ja hinterher hatte es zwar immer Männer gegeben, die ihn interessiert hatten, und das nicht nur rein optisch, aber es ging einfach nicht, sonst wäre alles herausgekommen. Dabei sehnte er sich doch nach einem Mann, der sein Herz wieder zum Schwingen brachte und mit er sein Leben teilen konnte. Mark hätte der Mann sein können, aber es hatte nicht sollen sein. Ihre Liebe war einfach nicht stark genug gewesen, um die örtliche Trennung zu überstehen. Warum hatte Mark auch unbedingt dieses Auslandssemester machen müssen? Aber wer weiß, ob er ihn nicht irgendwann auch so an einen anderen Mann verloren hätte. Sicher war nur der Tod. Wenigstens hatte er den Anstand besessen und hatte ihm von dem anderen von sich aus erzählt, bevor mehr zwischen den beiden passiert war als ein Kuss. Er hoffte jedenfalls, dass Mark ihm in dieser Hinsicht die Wahrheit erzählt hatte. Mark hatte ihm bei diesem Gespräch sofort die Hoffnung genommen, dass es nur eine Bettgeschichte war. Von ihm zu hören, dass sich Miguel, wie der andere Mann hieß, langsam in sein Herz geschlichen hatte und er versucht hatte, seine Gefühle zu verdrängen, weil er ihn immer noch liebte, hatte sehr weh getan. Er hatte Mark trotz des leicht verzögerten Bildes der Webcam ansehen können, dass ihm dieser Schritt nicht leicht gefallen war. Immerhin waren sie zu diesem Zeitpunkt nicht nur ein paar Tage zusammen gewesen. Im Gegenteil…sie hatten sogar geplant nach Marks Auslandssemester zusammenzuziehen. Und mit einem Mal war alles aus und vorbei und er hatte wieder alleine in seiner Studentenbude gehockt. Erst nach ein paar Wochen war er halbwegs mit der Situation klargekommen, hatte sich gesagt, dass Mark nichts für seine Gefühle konnte. Sie waren eben da oder halt nicht. Das war wohl der Lauf des Lebens. Bis er an diesen Punkt gekommen war, hatte er öfter überlegt, ob er Mark eine Affäre mit diesem Miguel hätte verzeihen können und ob es Sinn machte, ihn zurückgewinnen zu wollen. Aber je öfter er darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass es vollkommen sinnlos war. Mark hatte während der Zeit nicht einmal angerufen. Ein paar Wochen später hatte er ihm dann erzählt, dass er ihm nicht noch mehr weh tun wollte und dass es für ihn auch schwer wäre, ihn so zu sehen. Er hatte sich gleich mehrfach dafür entschuldigt, aber er könnte einfach nicht anders. Marks Liebe zu Miguel war in der Zwischenzeit nur noch mehr gewachsen, das hatte er zwischen den Zeilen hören können. Während des Telefonates musste Miguel wohl gerade nach Hause gekommen sein. Es hatte ihn verletzt, mitzubekommen, wie vertraut die beiden miteinander umgingen. Alles hatte er schon rein akustisch nicht verstanden, aber das, was er verstanden hatte, hatte ihm gereicht. Unweigerlich hatten sich wieder die Tränen ihren Weg in die Augen gebahnt und er hatte nur mit Mühe verhindern können, dass Mark etwas davon mitbekam. Er hatte einfach nicht gewollt, dass er ihn so sah.
Es hatte lange gedauert, bis er über Mark ganz hinweg war. Es hatte seitdem zwar ein paar Männer gegeben, die ihn interessiert hatten, aber entweder waren sie sowieso liiert oder er war einfach zu feige gewesen, sie anzusprechen. Bald darauf war er auch in die Kanzlei seines Vaters mit eingestiegen. Von da an hatte sich die Frage irgendwie nicht mehr gestellt. Obwohl die Sehnsucht immer noch groß war, die Angst, entdeckt zu werden, war einfach stärker. In seiner alten Umgebung wurde er so gut wie täglich an die Vergangenheit erinnert. Also hatte er sich vornehmlich auf seinen Beruf konzentriert. Die wenigen Stunden mit Luigi in der Küche bildeten da eine große Ausnahme. Die Restaurantküche war über die Zeit so etwas wie seine persönliche kleine Zufluchtstätte geworden. Dort fühlte er sich wohl und vor allem frei. So nebenbei hatte er auch gleich etwas Italienisch gelernt. Die kleinen "Auszeiten" hatten ihm nach Luigis Tod sehr gefehlt und auch die Gespräche mit den anderen Angestellten. Mit ihnen hatte er sich locker unterhalten können, hatte nicht ständig auf die Etikette achten müssen, konnte einfach so sein wie er war, auch schwul. Natürlich war er nicht damit ins Haus gefallen und hatte lange versucht, seine Homosexualität auch dort zu verstecken, aber als Luigi nicht aufhörte, ihn ständig mit einer seiner vielen Cousinen und Nichten verkuppeln zu wollen und ihm irgendwann keine Ausreden mehr einfielen, war es ihm rausgerutscht. Was hatte er danach für eine Panik gehabt, dass Luigi damit nicht klarkommen würde. Immerhin war er gläubiger Katholik, aber er hatte nur gegrinst und gemeint, dass einer seiner Brüder auch schwul wäre. Seine Familie in Italien würde das nicht so leicht nehmen, aber der Teil des Familienclans, der in Deutschland lebte, habe inzwischen kein Problem mehr damit, hatte Luigi ihm erzählt. Seine ganze Lebensgeschichte hatte er nicht vor ihnen ausbreiten wollen, von daher hatte er nur das Nötigste preisgegeben und sie gebeten, Stillschweigen über seine Homosexualität zu bewahren. Von da an war das Thema auch nicht mehr aufgekommen.
Und nun stand er hier vor Antonio Perla...einem Bruder von Luigi....
Er wusste nicht, ob er traurig oder froh sein sollte, dass Antonio – der von allen scheinbar nur Toni genannt wurde – so wenig Zeit für ihn hatte. Wahrscheinlich wäre es eh nur peinlicher für ihn geworden, wenn er sich noch länger mit ihm unterhalten hätte müssen. Nein, "müssen" war irgendwie das falsche Wort, "dürfen" traf es da schon eher. Was hätte er darum gegeben, noch länger dem Klang seiner Stimme lauschen zu können...Man merkte ihm deutlich an, dass er Italiener war. Ihn schien es nicht zu stören, dass er der deutschen Sprache nicht ganz sooo mächtig war. Und was tat er? Bekam noch nicht mal richtig den Mund auf....Was musste Toni von ihm denken? Dafür, dass er erst seit kurzem in Deutschland war, schien er ziemlich gut informiert zu sein, was ihn betraf. Er wusste offensichtlich von seinen "Kochstunden" in der Küche und er hatte ihn auch nicht mit Johannes angesprochen, sondern mit Gian. So hatte ihn eigentlich nur Luigi genannt. Er hatte "Johannes" nicht aussprechen können und da hatte er einfach die italienische Variante seines Vornamens – Giovanni – benutzt, und nur, wenn sie unter sich gewesen waren, hatte er diesen auf Gian verkürzt. Für die Küchencrew war er immer der Giovanni gewesen. Giovanni klang auch viel besser als Johannes, fand er. Nicht zu vergessen seinen zweiten Vornamen: Lukas, den er dem Großvater mütterlicherseits zu verdanken hatte. Seinen Bruder hatte es allerdings auch nicht wirklich besser getroffen mit Matthäus.
Erst als er wieder in seinem Auto saß, schien sein Gehirn wieder halbwegs zu funktionieren...Hatte Toni ihn wirklich für heute Abend eingeladen? Er konnte es noch nicht so ganz glauben. Toni schien es wirklich zu bedauern, dass er gerade in dem Moment eine größere Bestellung fertig machen musste. Oh Gott...wenn er nur an ihn dachte, wurden seine Knie schon ganz weich. Wie er ihn angesehen hatte...und seinen Namen ausgesprochen hatte..."Gian" Es klang jetzt noch in seinen Ohren. Aber was war das jetzt? Etwa ein...er traute es sich noch nicht mal zu denken, aber...konnte es sein...konnte es wirklich sein, dass Toni eben jener schwule Bruder von Luigi war und er ihn zu einem Date eingeladen hatte? Verdammt, jetzt hatte er es doch gedacht...Das konnte einfach nicht sein...oder doch? Und selbst wenn es jener welcher war, das musste doch noch lange nicht heißen, dass er sich für ihn interessierte, oder? Nein...rief er sich gedanklich selbst zur Ordnung. Das sind doch alles nur Hirngespinste, Wunschträume...Es war einfach zu schön um wahr zu sein. Warum sollte er mal Glück haben? Bestimmt wollte er nur mit ihm sprechen, weil er seinen Bruder gut gekannt hatte, vielleicht nur aus reiner Höflichkeit...Sein Handy, riss ihn aus seinen Gedanken. Als er die Büronummer auf dem Display sah. Es war seine Sekretärin, die ihn an den 15-Uhr-Termin erinnern wollte. Shit, er war viel zu spät dran, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest. So lange war er doch gar nicht in der Küche gewesen. Hatte er etwa die ganze Zeit im Auto verträumt? Sein Vater würde alles andere als begeistert sein, wenn er davon erfuhr. Ausgerechnet Herrn Hallhuber, einen langjährigen und zahlungskräftigen Mandanten musste er versetzen... Kaum hatte er aufgelegt, klingelte erneut das Telefont. Sein Vater! Er ließ die Schimpftirade über sich ergehen, Gegenwehr wäre eh zwecklos gewesen. Er wäre jetzt überall anders lieber hingefahren als ins Büro...Das waren so Momente, in denen er sich fragte, warum er sich das jeden Tag aufs Neue antat. Er hatte keine Lust auf den anstrengenden Mandanten und schon gar nicht auf seinen Vater. Sollte er doch die Besprechung durchführen...die beiden Herren waren eh im gleichen Alter. Herrn Hallhuber, seines Zeichens Diplom-Ingenieur, hatte er sowieso noch nie leiden können. Alles wusste er besser...in fast jedem Schriftsatz fand er etwas, was ihm nicht zusagte, und inzwischen war man soweit, dass Schriftsätze vor der Versendung grundsätzlich an den Mandanten geschickt wurden. Dabei war es vollkommen egal, ob Herr Hallhuber bei dem Diktat des Schriftsatzes dabei gewesen war oder nicht. Manchmal fragte er sich wirklich, warum die Damen und Herren Mandanten überhaupt einen Anwalt konsultierten, wenn sie im Grunde genommen die Schriftsätze selbst verfassen wollten. Aber das würde er wohl nie verstehen...So, Schluss mit der Grübelei, schalt er sich selbst und begab sich so schnell wie irgendwie möglich zum Besprechungsraum.
Leider war Herr Hallhuber nicht der einzige Mandant an diesem Tag, oder sollte er besser Patient sagen? Diese Nachbarschaftsstreitigkeiten raubten ihm noch einmal den letzten Nerv. Teilweise kam er sich echt vor wie im Kindergarten, klangen die Ausführungen der entsprechenden Mandanten doch sehr nach "Wäh, der hat mein Förmchen geklaut und der da hat mit Sand geworfen." Einzig und allein die Aussicht auf den gemeinsamen Abend mit Toni ließ ihn den Besprechungsmarathon durchhalten. Fast hätte er auch noch diese kleine Freude in den Wind schießen können. Zwischen seinen Terminen hatte ihm sein Vater nämlich erklärt, dass er ihn um 20 Uhr in seinem Zimmer erwarte. Zum Glück war er nicht sofort dazu gekommen, Toni abzusagen. Um 18 Uhr hieß es nämlich auf einmal, der Termin könne nicht stattfinden, weil die Beurkundung, die eigentlich für 18.00 Uhr vorgesehen war, sich um 1 Stunde verzögere, weil der Flieger der einen Vertragspartei Verspätung habe. Aber aufgeschoben, war bekanntlich nicht aufgehoben...dann würde er eben am nächsten Morgen sich seinen Segen vom Klosterkamp abholen, der ihn zwangsläufig erwartete. Was sollte es sonst für einen Grund haben, wegen dem sein Vater mit ihm sprechen wollte?
Für 20.30 Uhr hatte ihn Toni eingeladen...Die Zeit bis dahin schien zu kriechen. Kaum hatte er den letzten Mandanten verabschiedet, meldeten sich die Schmetterlinge zu Wort. Mit jeder Minute wurde er nervöser. Es war kurz nach 7, als er sich dazu entschloss, doch noch kurz nach Hause zu fahren, um zu duschen und sich etwas anderes anzuziehen. Er wollte aus dem Anzug raus und diesen lästigen Schlips los werden. Auf dem Weg nach Hause beschlichen ihn leise Zweifel. Was würde Toni wohl denken, wenn er so offensichtlich frisch gestriegelt im Restaurant auftauchte? Was war, wenn es für ihn nicht mehr und nicht weniger als eine Höflichkeitseinladung war? Dann machte er sich doch zum Affen...Ach verdammt...Er würde das jetzt durchziehen, sollte Toni doch denken was er wollte. Das war allerdings, bevor er sein Spiegelbild im Badezimmer betrachtet hatte. Gott, er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Das musste er sofort abstellen...Toni sollte doch nicht sehen, wie sehr er sich über die Einladung freute...Seine Nervosität war eher noch gestiegen. Zum guten Schluss war er fast soweit gewesen, im Restaurant anzurufen und abzusagen. Irgendeinen Grund zu erfinden war nicht schwer...Aber das wäre feige gewesen...Diese Schmetterlinge in seinem Bauch gaben aber auch keine Ruhe...Fast hätte er sich mit seiner Rasiercreme die Zähne geputzt.
Eine ganze Weile hatte er vor dem Restaurant im Auto gesessen, weil er sich nicht rein getraut hatte. Aber er war eh viel zu früh dran gewesen, hatte es nicht mehr ausgehalten zu Hause. Wenn er noch länger gewartet hätte, wäre er womöglich gar nicht erst los gefahren. Aber nun stand er hier, mit weichen Knien und rasendem Herzen... Hoffentlich sah man ihm das nicht schon vom Weitem an...Er versuchte sich einzureden, dass Toni ihn nur aus reiner Höflichkeit eingeladen hatte...
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