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Regenbogenfamilie
Kapitel 6 - Opas überraschendes Angebot
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Informationen
- Story: Regenbogenfamilie
- Autor: Sonntagskind55
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
„Das hättet ihr sehen sollen, was ich im Dachgeschoss vorgefunden habe“, sagte er an uns gewandt. „Die drei haben nicht etwa gemeinsam einen Film angeschaut oder gespielt, nein, sie lagen friedlich aneinander gekuschelt auf dem Bett und haben friedlich geschlafen, Kevin in der Mitte. Ich wollte sie fast nicht aufwecken, also machte ich erst mal mit meinem Smartphone mehrere Bilder von den drei Schlafenden. Ihr könnt euch die Bilder später anschauen hier am Smartphone oder nach dem Essen im Wohnzimmer auf dem großen Fernseher, aber sagt erst mal noch nichts, sie wissen nicht, dass ich heimlich Fotos von ihnen gemacht habe.“
Jetzt hörte ich die drei, wie sie von oben herunterkamen, und meinte in die Runde: „Die Bilder sollten wir uns besser später ansehen, dann haben die Jungs auch etwas davon. Wenn wir jetzt nicht bald essen, dann ist alles wieder kalt und schmeckt nicht mehr so gut. Die Bilder laufen uns auch nicht davon, denke ich.“
Wir warteten noch kurz, bis Kevin, Philipp und Marcus ebenfalls im Esszimmer waren, und ich meinte dann nur: „Das Buffet ist eröffnet, greift zu, solange der Vorrat reicht.“ Klar waren die Jungs die ersten, die am Buffet standen und sich ihren Teller füllten. So nach und nach hatte dann jeder etwas Essbares auf seinem Teller und setzte sich zu den anderen an den Tisch.
Während wir alle mit dem Essen beschäftigt waren, blieb es ruhig im Raum. Zwischendurch ging der eine oder andere nochmals zum Buffet und holte sich Nachschub von der langen Tafel. Sicherlich wurde das eine oder andere besprochen, aber von den Bildern war nie die Rede, meistens ging es nur darum, wie das eine oder andere schmeckt und was besonders zu empfehlen sei.
Nachdem die meisten mit dem Essen fertig waren und nur noch gelegentlich an ihrem Glas nippten, blickte ich kurz auf unser Buffet und meinte: „Ich sehe, da ist nicht mehr viel übrig, seid ihr denn alle satt geworden?“ Ich blickte in die Runde und stellte fest, dass wohl alle satt waren, zumindest sah es nicht so aus, als sei noch einer nicht gesättigt. Dabei bemerkte ich, dass Kevin unruhig auf seinem Stuhl umher rutschte und Philipp gelegentlich anstieß. Ich fragte ihn: „Kevin, was ist los, musst du etwa zur Toilette? Du weißt doch, dass du dann jederzeit aufstehen und rausgehen darfst.“
„Nein“, antwortete er, „Ich möchte mir nur endlich den Film mit Philipp und Marcus zu Ende anschauen.“
„Wieso?“, wollte ich nun von ihm wissen. „Ihr hattet doch lange genug Zeit, um einen ganzen Film bis zum Ende anzuschauen.“ Kevin überlegte wohl kurz, was er mir darauf antworten sollte, und legte dann los.
„Wir konnten den ganzen Film leider nicht bis zum Ende anschauen, Opa. Onkel Marcus ist einfach eingeschlafen und Onkel Philipp hat dann den Fernseher leiser gedreht, dass Marcus nicht aufwacht von der Lautstärke. Irgendwie sind mir dann auch die Augen zugefallen und ich habe auch geschlafen, bis Papa uns geweckt hat.“
Jetzt meldete sich Philipp und erzählte weiter: „Wie schon von Kevin erklärt, zuerst ist Marcus eingeschlafen, ich konnte das verstehen, er hatte letzte Nacht ja nicht allzu viel geschlafen. Als aber kurze Zeit später auch noch Kevin schlief, habe ich den Film abgeschaltet. Zuerst beobachtete ich noch eine Zeit lang die beiden Schlafenden und irgendwann hat es dann wohl auch mich noch erwischt.“
Ich für meinen Teil und auch Thomas konnten das gut verstehen, die letzte Nacht mit all ihren Ereignissen war für uns alle verdammt kurz gewesen. Na gut, teilweise waren wir ja auch selbst mit schuld daran, wir hätten ja eher ins Bett gehen können, aber den fehlenden Schlaf hätten wir deswegen auch nicht bekommen. Ich blickte wieder in die Runde und stellte fest, dass einige der Anwesenden sich ein Grinsen nicht verkneifen konnten.
„Bevor ihr drei noch einmal nach oben verschwindet, immer unter der Voraussetzung, dass Kevins Eltern damit überhaupt einverstanden sind, solltet ihr noch ein wenig hierbleiben, Christoph hat noch eine kleine Überraschung für uns.“ Ich hoffte doch schwer, dass die Jungs bisher nichts von den Fotos wussten, und ihren Gesichtern nach zu urteilen hatten alle drei keine Ahnung, was da auf sie zukommen wird.
„Bevor aber Christoph mit seiner Überraschung für uns alle dran ist, sollten wir hier kurz Ordnung schaffen, wenn jetzt keiner mehr Hunger hat und noch etwas essen will“, kam nun von Thomas. Nachdem klar war, dass alle satt waren, schnappte sich Thomas die beiden großen Jungs und fing schon an, die ersten Teller in die Küche zu bringen.
Die beiden Jungs und Thomas blieben gleich in der Küche, um zum einen den Geschirrspüler zu befüllen und zum anderen die noch verbliebenen Reste entweder zu entsorgen oder für die weitere Aufbewahrung vorzubereiten. Christoph und ich übernahmen den Part, alles Weitere zu den Dreien in die Küche zu bringen, damit sie dort ungestört weitermachen konnten. Als wir den Esstisch bis auf die Gläser geleert hatten und die lange Tafel ebenso leer war, fragte ich Christoph: „Hilfst du mir den langen Tisch gleich abzubauen, jetzt werden wir ihn hoffentlich nicht mehr brauchen in den nächsten Tagen.“
Christoph meinte nur: „Das denke ich auch, aber zu Weihnachten werden wir ihn wohl wieder benutzen, falls es da wieder zu einem größeren Familientreffen kommen sollte.“ Wir machten uns an die Arbeit; zuerst entfernte ich die beiden Tischtücher, die ich aber nur schlampig zusammenlegte, sie mussten sowieso in die Waschmaschine, bevor sie wieder in den Schrank konnten. Mein Schwiegersohn bemerkte, dass sein Kleiner immer zappeliger wurde, und fragte ihn: „Willst du uns helfen, Kevin?“ Klar wollte er, er hüpfte sofort von seinem Stuhl und kam zu uns.
„Willst du die beiden Tischdecken gleich mal in den Waschkeller von Opa bringen, damit sie gewaschen werden können.“ Kevin schnappte sich die beiden Teile und war auch sofort verschwunden damit. Wir zerlegten nun die beiden Buffet-Tische in ihre Einzelteile, so konnten sie wieder platzsparend im Keller aufbewahrt werden.
Christoph und ich waren mit dem Zerlegen der beiden Tische fast fertig, als Kevin vom Keller wieder ins Esszimmer zurückkehrte. Ein Blick zum Esstisch zeigte mir, dass wir mit unserem Krach, den wir dabei veranstaltet hatten, alle Opas und Omas vertrieben hatten. Nur Martina saß noch am Tisch und schaute uns interessiert zu. Ich fragte die beiden: „Wissen eigentlich Christophs Eltern schon, dass sie nochmal Großeltern werden?“
„Nein“, antwortete Martina, „wir wollten es ja gestern auf der Geburtstagsfeier verkünden, aber nachdem es da nicht mehr funktioniert hat, wissen die beiden und auch Christophs Geschwister bisher nichts davon. Wir werden sie in den nächsten Tagen besuchen und das Ganze schnellstens nachholen.“
Zwischenzeitlich waren Marcus und Philipp aus der Küche ebenfalls wieder ins Esszimmer zurückgekommen, in der Küche war auch alles erledigt, nur Thomas war noch nicht wieder zurück, und so fragte ich kurzerhand: „Wer hilft mir schnell, die Teile in den Keller zu bringen, bis dahin sollte dann auch Thomas mit allem anderen fertig sein.“
Philipp und Marcus schnappten sich ein paar Teile und schon waren sie unterwegs in Richtung Keller, zusammen mit Christoph und Kevin ergriffen wir die letzten Teile und folgten den beiden nach unten. Da Philipp ja wusste, wo alles untergebracht werden sollte, brauchte ich mir keine Gedanken dazu machen, wo sie das einfach abstellen würden. Unten angekommen, übergaben wir unsere Teile noch den beiden, die sie im Regal verstauten.
Zusammen ging es dann zurück nach oben. Die drei Jungs stürmten gleich ins Wohnzimmer, ich ging in die Küche, um nach Thomas zu sehen, und Christoph ging ins Esszimmer zu Martina. Thomas war aber nicht mehr in der Küche und so ging ich gleich weiter ins Esszimmer. Dort fand ich dann Thomas mit Martina und Christoph.
„Ich denke, wir sollten auch rüber ins Wohnzimmer gehen, die Meute ist sicher schon gespannt auf die Überraschung, die Christoph noch zu bieten hat“, meinte ich. Zusammen bewegten wir uns weiter ins Wohnzimmer, die Omas und Opas waren wieder in Gespräche vertieft, die wohl wieder unsere Kindheit zum Thema hatten; diesmal beteiligten sich sogar Gabis Eltern an dem Gespräch.
Kevin, Marcus und Philipp hörten den Erzählungen mit offenem Mund zu, so viele Dinge über die Kindheit ihrer Eltern oder Großeltern zu erfahren hat man auch nicht alle Tage. Christoph schaltete den Fernseher ein, den er dann mit seinem Handy koppelte. Ja, ja, die Technik, schon faszinierend, was man heutzutage alles so mit einem TV-Gerät machen konnte, vor allem unsere älteren Herrschaften waren dann doch darüber verblüfft, das erste Foto von den drei Schlafenden zu sehen.
Philipp war der erste, der reagierte, und meinte: „Das ist ganz schön gemein von euch, uns einfach im Schlaf zu fotografieren und dann vor allen herzuzeigen.“ Ich betrachtete das Bild auf der Mattscheibe genauer und entdeckte dabei, dass Kevin seinen Arm um Marcus geschlungen hatte und Philipp, der hinter Kevin lag, ebenfalls mit seinem Arm bei Marcus war.
Christoph lachte und sagte zu den Jungs: „Ihr habt so schön geschlafen, da konnte ich es mir einfach nicht verkneifen, die Bilder zu machen. Außerdem, wann werde ich noch einmal so eine Gelegenheit haben. Ich denke, diese Bilder sind einmalig. So schnell werde ich sicher keine Gelegenheit mehr bekommen, euch drei so im Schlaf zu erwischen, damit ich solche Fotos machen kann.“
Die Omas meinten nur: „Wie süß, da hätten wir gerne Abzüge davon.“ Christoph meinte dann nur: „Kein Problem, die könnt ihr gerne von mir bekommen.“ Die anderen Bilder von den Dreien zeigten sie nur aus anderen Blickrichtungen. Christoph wollte noch wissen, welches von den Bildern er nun verwenden solle, aber die Omas waren sich in der Hinsicht einig, sie wollten von allen Bildern einen Abzug.
Die Opas waren dann doch mehr an der Technik interessiert; sie wollten wissen, wie es möglich sei, Fotos vom Handy auf den Bildschirm zu bringen. Christoph und Philipp versuchten, ihnen das zu erklären, wobei sie als erstes erklärten, dass dies nur mit neueren Fernsehern möglich sei, die alten TV-Geräte würden das einfach noch nicht beherrschen.
Mein Vater meinte, er hätte zwar so einen neuen Fernseher auf Mallorca, aber dass man damit auch Fotos anschauen könne, hätte er noch nicht gewusst. Sicher, Videos anschauen, das kannte er. Eine Digital-Kamera hatte er sich vor einigen Jahren schon gekauft, aber die Bilder bisher immer nur am Computer angesehen oder sich Abzüge machen lassen. Er wolle das aber nach der Rückkehr sofort ausprobieren, deshalb ließ er sich das ganz genau von den beiden erklären.
Kevin fand alles langweilig und so fing er wieder an zu nerven. Er wollte auf alle Fälle noch den Film mit Marcus und Philipp zu Ende schauen. Ich sagte zu den zwei Jungs: „Jetzt schnappt euch schon Kevin und verschwindet mit ihm nach oben und schaut den Film bis zum Ende an, bevor seine Eltern mit ihm nach Hause wollen. Christoph kann das sicher auch ohne dich und ansonsten kann ihm Thomas oder ich helfen.“
Die beiden verschwanden mit Kevin nach oben und im Wohnzimmer kehrte wieder etwas mehr Ruhe ein. Ich setzte mich mit Thomas zu den Omas und Martina. Wir unterhielten uns mit ihnen über alles Mögliche und Unmögliche, während Christoph die beiden Opas weiter in die moderne Technik eines TV-Gerätes einführte.
Plötzlich sagte meine Mutter: „Ihr habt uns vorher zwar erklärt, wie es in nächster Zeit weitergehen soll, aber habt ihr euch das wirklich gut überlegt und bis zu Ende gedacht? Ich habe mit Vati schon darüber gesprochen, ob es vielleicht nicht sinnvoller wäre, wenn ihr alle hier ausziehen und in den mehr oder weniger leerstehenden Familiensitz umziehen würdet. Dort könntet ihr auch problemlos Thomas‘ Mutter mit unterbringen.“
In der Sitzecke war Ruhe eingekehrt; ich dachte über den Vorschlag meiner Mutter nach, konnte aber nur jede Menge Gründe finden, die einem Umzug dorthin widersprachen. Auch die anderen hier dachten wohl über diesen Vorschlag nach.
Nach einigen Minuten brach ich das Schweigen: „Bei allen Überlegungen, die ich mir bisher durch den Kopf habe gehen lassen, ist mir kein einziger vernünftiger Grund eingefallen, warum wir das tun sollten. Ich habe bisher nur negative Gründe gefunden. Wir sollten lieber gemeinsam das Für und Wider abklären. Auch die Opas sollten wir in diese Überlegungen mit einbeziehen.“
Da diese immer noch fasziniert Christophs Ausführungen lauschten, sprach ich sie an: „Ich hoffe, es stört nicht, wenn ich euch hier unterbreche, aber Mutter hat mir und Thomas einen Vorschlag unterbreitet, dem ich bisher mit meinen Überlegungen nichts abgewinnen kann. Wir wollen euch bei unserer Diskussion über das Für und Wider dabeihaben. Vielleicht habt ihr Ideen zu diesem Thema.“
Zuerst wollten sie eigentlich von Christoph weitere Einzelheiten wissen, bis mein Vater plötzlich fragt: „Geht es dabei etwa um das Thema, das ich heute schon mal kurz mit deiner Mutter angerissen habe?“
Als meine Mutter dies bejahte, sagte er nur noch: „Das ist wirklich wichtiger als die technischen Details des Fernsehers und das sollten wir mit allen Anwesenden besprechen, denn sie könnten auch davon betroffen sein.“
Da nicht alle auf der Sitzecke und auf den Sesseln Platz fanden, holten wir aus der Essecke noch die fehlenden Sitzgelegenheiten. Als dann alle sich gesetzt hatten, ergriff mein Vater das Wort.
„Mit Ausnahme von Elisabeth kennt ihr sicher alle unseren Familienbesitz in Martinskirchen und wisst, dass dieser nur etwa zehn Kilometer von hier liegt. Als wir vor rund fünfzehn Jahren nach Mallorca ausgewandert sind und keines unserer Kinder die Bewirtschaftung übernehmen wollte, haben wir das Gut verpachtet. Bei der Verpachtung haben wir alle landwirtschaftlichen Flächen und Gebäude verpachtet mit Ausnahme des Herrenhauses. Ehrlich gesagt, wollte der neue Pächter das Gebäude nicht nutzen, es war ihm schlicht und einfach zu groß. Das Herrenhaus steht seit dieser Zeit leer; es einzeln zu vermieten, ist uns bis heute nicht gelungen.“
Er trank einen Schluck Wasser und sprach weiter: „Wir haben bis heute darauf gehofft, dass eines Tages eines unserer Enkelkinder möglicherweise die Bewirtschaftung des Gutes übernimmt und dann dort einzieht. Das sieht aber derzeit nicht so aus, nachdem deine Schwester mit ihrem Mann und den Kindern in den hohen Norden gezogen ist. Bevor das Gebäude dauerhaft leer steht, haben wir heute Morgen darüber gesprochen, dass ihr zukünftig das Herrenhaus nutzen könntet.“
Wieder unterbrach mein Vater seine Ausführungen und so sprach Mutter weiter: „Wir haben uns gedacht, dass du, Peter, mit Thomas und den beiden Jungs dort einziehen könntet und auch Thomas‘ Mutter dort wohnen könnte. Vielleicht hätten Christoph und Martina Lust darauf, ebenfalls dort hinzuziehen. Gut, es müssten zuvor einige Umbauten am und im Gebäude durchgeführt werden, das Haus ist jedenfalls mehr als groß genug für alle.“
Jetzt mischte ich mich wieder ein: „Sicher, das Haus hätte die richtige Größe für alle, aber wer kümmert sich um den gesamten Umbau, die notwendige Planung und alles, was damit zusammenhängt? Ich habe nicht die Zeit dazu, mich um all das zu kümmern, ich bin in meinem Beruf zu sehr eingebunden, als dass ich die Zeit dafür hätte. Das gleich gilt auch für Thomas.“
Da ich jetzt schon mal am Abwehren war, setzt ich fort: „Philipp kommt auch nicht in Frage, der soll erst einmal im nächsten Jahr sein Abitur machen. Für Christoph und Martina kann ich nicht sprechen, aber ich denke, die haben in den nächsten Monaten auch nicht so viel Zeit, um sich damit zu beschäftigen.“
Ich unterbrach mich wieder und hoffte, dass einer der anderen etwas dazu sagen wollte. Da jedoch keiner was sagte, redete ich eben wieder weiter: „Ich glaube nicht, dass wir das heute alles endgültig klären können, zu diesem Thema sollten auch Philipp und Marcus mitreden können. Wir sollten das Ganze erst einmal vertagen und vielleicht in den nächsten Tagen vor eurer Abreise nochmal darüber reden. Zwischenzeitlich kann sich jeder so seine Gedanken machen und dann sollten wir das erneut besprechen.“
Wieder stoppte ich kurz mit meinen Ausführungen und stellte dann die Frage in den Raum, ob denn meine Geschwister von dieser Idee wüssten und wie sie dazu stünden.
Meine Eltern schauten mich an und Mutter antwortete mir: „Nein, wir haben mit deinem Bruder und deiner Schwester noch nicht über dieses Thema gesprochen. Wir waren der Meinung, dass wir erst mit ihnen reden wollten, wenn mit euch alles geklärt ist.“
Ich schaute meine Mutter vorwurfsvoll an und erwiderte ihr: „Ach, ihr wolltet sie einfach vor vollendete Tatsachen stellen und den beiden kein Mitspracherecht in dieser Angelegenheit einräumen. Das ist nur ein Grund mehr für mich, dieses Angebot abzulehnen. Auch wenn das Verhältnis zu meinen Geschwistern in den letzten Jahren nicht immer das beste war, kann ich es nicht befürworten, so mit ihnen umzuspringen. Es ist und bleibt unser Familienbesitz und mich würde schon interessieren, wie sie darüber denken.“
Bei meinem Bruder sah ich da auch nicht das große Problem, er ist seit vielen Jahren glücklich verheiratet; da seine Ehe jedoch bisher kinderlos geblieben ist und wohl auch bleiben wird, wird er wahrscheinlich keine großen Besitzansprüche anmelden. Er wohnt zusammen mit meiner Schwägerin in einer großen Eigentumswohnung fast in der Stadtmitte. Da er keine gesetzlichen Erben haben wird, konnte ihm das ziemlich egal sein.
Wenn ich jedoch an meine Schwester denke, da sieht das Ganze schon etwas anders aus. Sie ist ebenfalls glücklich verheiratet, nur hat sie zwei Söhne und eine Tochter. Gut, sie ist vor fast zwanzig Jahren mit ihrem Mann in seine Heimat gezogen, um dort zu leben. Sie haben in der Zwischenzeit die Firma seines Vaters, ein größeres Autohaus, übernommen und werden sicher nicht hierher zurückkommen wollen. Aber wie sieht es mit meinen Neffen oder meiner Nichte aus, vielleicht will einer von denen das Gut bewirtschaften.
Mein Vater hatte mich bei meinen vorherigen Ausführungen komisch angeschaut, jedoch konnte er meine Gedanken, die mir jetzt durch den Kopf gingen, nicht so ohne weiteres folgen. Er ergriff nach kurzer Zeit das Wort und sprach dann.
„Das geht deine Geschwister gar nichts an, wie wir mit dem Gut verfahren, das bleibt ganz allein unsere Entscheidung. Im Übrigen, mit dem Geld und den Immobilien, die sie von uns bisher erhalten haben, haben sie sich in den letzten Jahren alle ihre eigene Existenz aufgebaut. Du warst bisher der einzige, der uns nie um Geld gebeten hat. Im Grunde genommen sind damit große Teile ihrer zukünftigen Erbansprüche bereits ausgezahlt und für ihre restlichen Ansprüche sollten die sich in unserem Besitz befindlichen Miethäuser problemlos ausreichen.“
Jetzt war ich derjenige, der große Augen machte; gut, ich wusste schon, dass die beiden in der Vergangenheit von ihnen Geld erhalten hatten, was mich nie sonderlich interessiert hatte, aber dass es bereits so viel war, ahnte ich bisher noch nicht.
Wieder war es eine ganze Weile ruhig, bevor meine Mutter meinte: „Vielleicht sollten wir wirklich besser mit den beiden vorher darüber reden; du hast Recht, es macht keinen Sinn, wenn wir hier etwas planen oder Tatsachen schaffen, die hinterher nur zu größeren Streitigkeiten führen.“
Zu Martina und Christoph gewandt sagte ich: „Könntet ihr beide bis morgen Abend euch darüber unterhalten? Wir, also ihr beide, Thomas und ich sowie Philipp und Marcus setzen uns morgen Abend zusammen und dann werden wir in aller Ruhe über den Vorschlag diskutieren.“
Ich für mich wusste jetzt schon, dass ich das auf alle Fälle verhindern wollte; ich war einfach nicht bereit, mich auf so ein Abenteuer einzulassen. Vor allem hatte ich noch immer keinerlei Lust, das Gut eines Tages zu bewirtschaften, und bei Philipp und Marcus ging ich fest davon aus, dass die beiden sicherlich auch nicht in diese Richtung tendierten. Von Philipp wusste ich, dass er gerne Betriebswirtschaft oder Jura studieren wollte, nicht jedoch Agrarwirtschaft. Damit hatte ich jetzt zwar Zeit gewonnen, aber das Problem leider nicht gelöst.
Ich war mir auch sicher darüber, dass Thomas‘ Mutter nicht so lange warten würde mit dem Umzug, bis in Sachen Herrenhaus, Planung und Umbau alles abgeschlossen wäre. Wenn ich es so richtig betrachtete, würde sicher mehr als ein Jahr vergehen, bevor alles fertig wäre und der Umzug stattfinden könnte. Sie wollte so schnell wie möglich hierher umziehen von Hannover.
Meine Gedankengänge wurden unterbrochen, als Martina sagte: „Ich denke, wir sollten so langsam nach Hause und Kevin ins Bett bringen, es war gestern schon ziemlich spät, heute sollte es nicht noch einmal so spät werden.“
Christoph meinte nur: „Ich denke auch, dass wir so langsam aufbrechen sollten. Ich werde gleich mal noch oben gehen und Kevin einsammeln.“
Gerade als er aufstehen wollte, hörten wir, dass die beiden Großen schon mit Kevin auf dem Weg nach unten waren; der Lärm, den die drei dabei veranstalteten, war einfach für keinen zu überhören.
Christoph und Martina waren gerade aufgestanden und fingen an, sich von den Großeltern zu verabschieden, als die Jungs ins Wohnzimmer polterten. Auch Thomas‘ Mutter war aufgestanden und verabschiedete sich ebenfalls bei allen Anwesenden, sie musste ja mit den Dreien mitfahren. Wir, also genau genommen Thomas und ich, begleiteten sie in die Diele und verabschiedeten die vier noch mit den Worten: „Bis morgen Abend, nicht vergessen, dann setzen wir uns wieder zusammen wegen dem Vorschlag von meinen Eltern.“
Wir waren kaum zurück im Wohnzimmer, als auch Gabis und meine Eltern meinten, es wäre langsam an der Zeit sich zu verabschieden. Wir, diesmal alle, die noch verblieben waren, folgten in die Diele und verabschiedeten uns von ihnen. Mein Vater sagte zum Abschied: „Denkt einfach in Ruhe über unseren Vorschlag nach und dann reden wir in den nächsten Tagen vor unserem Abflug noch einmal darüber.“
Ich blickte dabei in Philipps Gesicht und sah sofort die vielen Fragezeichen, die sich da bildeten. Marcus war nichts anzumerken, das lag aber eher daran, dass er andere Dinge im Kopf hatte und dem Satz von Philipps Opa nicht so eine große Bedeutung gab.
Ich begleitete die vier noch zum Auto und sagte zuletzt: „Kommt gut nach Hause, wir werden darüber nachdenken und dann sprechen wir nochmal in aller Ruhe darüber. Ihr solltet versuchen, zwischenzeitlich mit meinen beiden Geschwistern zu reden und mit ihnen alles zu klären.“
Als ich ins Haus zurückkam, erwarteten mich Marcus und Philipp noch immer in der Diele. Thomas war schon zurück ins Wohnzimmer und ich hörte, dass er eben dabei war, alle Gläser zusammenzustellen, damit wir sie in der Küche in den Geschirrspüler stellen konnten.
Mein Sohn schaute mich immer noch fragend an, so meinte ich nur: „Kommt mit ins Wohnzimmer, dann werden wir euch erzählen, was Großvater mit seiner Andeutung gemeint hat.“
Die beiden folgten mir also ins Wohnzimmer, wo Thomas, wie ich schon vermutet hatte, beim Aufräumen war. Marcus half ihm, die Gläser in die Küche zu tragen und in den Geschirrspüler einzuräumen. Zusammen mit Philipp brachte ich die Stühle aus der Essecke wieder an ihren Platz. Danach holte ich vier neue Gläser aus dem Schrank, stellte sie auf den Tisch und setzte mich danach auf die Couch. Für Thomas und mich schenkte ich ein, Philipp tat das Gleiche für sich und Marcus. Kaum hatte er es sich ebenfalls auf einem der Sessel bequem gemacht, kamen auch Thomas und Marcus aus der Küche zu uns ins Wohnzimmer.
Thomas setzte sich neben mich, nahm mich in seine Arme und meinte zu mir: „Ich habe schon gemerkt, dass du mit dem Vorschlag deiner Eltern so gar nicht einverstanden bist, ich habe dir das die ganze Zeit über angesehen.“
Philipp war anzumerken, dass er immer noch nicht wusste, um was es eigentlich ging, und Thomas‘ Aussage hatte ihn nur noch neugieriger werden lassen. Er sagte nur: „Um was geht es dabei eigentlich, ihr tut ja so geheimnisvoll und vor allem mit welchem Vorschlag von Oma und Opa kommst du nicht klar, Papa?“
Ich kuschelte mich noch näher an Thomas und deutete ihm, den beiden alles zu erzählen. Er informierte die beiden über das in ihrer Abwesenheit stattgefundene Gespräch und den Vorschlag, dass wir alle, also auch Martina, Christoph, Kevin und das Baby, Thomas‘ Mutter und wir vier doch ins alte Herrenhaus nach Martinskirchen umziehen könnten, dort wäre genügend Platz für alle und wir brauchten für Thomas‘ Mutter keine eigene Wohnung zu suchen. Es müsste nur nach unseren Wünschen und dem entsprechenden Platzbedarf umgebaut werden. Er erklärte auch, dass bis zum Umzug wahrscheinlich mindestens ein Jahr vergehen würde, bis alles endgültig fertig wäre.
Aus Philipps Gesicht konnte ich lesen, dass er, ebenso wie ich, nicht gerade begeistert von diesem Vorschlag war. Trotzdem hörte er Thomas zu, bis dieser geendet hatte.
Danach war es erst mal ruhig, Philipp dachte sicher über den Vorschlag nach und versuchte wohl genauso verzweifelt wie ich, dem Ganzen positive Seiten abzugewinnen. Auch Marcus schien darüber nachzudenken, für ihn hätte das auch gewisse Auswirkungen, aber eher im Hinblick auf sein Zusammenleben mit Philipp. Ihm war es in diesem Moment eher egal wo, wichtiger war für ihn eher das Wie, zusammen mit Philipp.
Nach geraumer Zeit fing Philipp dann doch zu sprechen an: „Ich glaub, ich weiß jetzt, was Thomas meinte, als er darüber sprach, dass du mit dem Vorschlag von Opa und Oma nicht klarkommst. Ich habe selbst so meine Zweifel, ob das aktuell sinnvoll ist. Wenn ich nur daran denke, dass Marcus und ich in knapp einem halben Jahr unser Abitur in der Tasche haben und danach studieren wollen, wir bis jetzt noch nicht einmal wissen, wo wir überhaupt studieren wollen, beziehungsweise uns je nach Studiengang von der Vergabestelle ein Studienplatz zugewiesen wird, macht das allein schon keinen Sinn. Bis der Umbau fertig wäre, könnte es sein, dass wir beide gar nicht mehr hier wohnen oder nur noch an den Wochenenden hier sein werden.“
Marcus mischte sich ein und meinte: „Okay, wie Thomas schon sagte, dort wäre jede Menge Platz für alle, trotzdem ist es für alle mit einem längeren Weg zur Arbeit verbunden. Selbst mit einem Studienplatz hier an der Universität müssten wir einen längeren Anfahrtsweg in Kauf nahmen.“
Jetzt musste ich mich wieder ins Gespräch einmischen: „Das sind alles nicht die wirklich entscheidenden Faktoren für mich, schlimmer ist derzeit die Tatsache, dass meine Eltern bisher nicht mit meinen Geschwistern darüber geredet haben, was sie sich über unsere Köpfe hinweg ausgedacht haben.“
„Gut, bei Onkel Dieter mache ich mir da nicht so große Gedanken, der ist kinderlos, also wahrscheinlich weniger daran interessiert, bei meiner Schwester Gerlinde könnte möglicherweise mehr Interesse bestehen. Dagegen spricht, sie und ihr Mann leben im Norden Deutschlands, sie besitzen ein großes Autohaus, aber was ist mit ihren Kindern, haben die vielleicht Interesse daran, eines Tages das Gut zu bewirtschaften?“
„Wir haben Opa und Oma versprochen darüber nachzudenken. Morgen Abend kommen Martina und Christoph mit Thomas‘ Mama zu uns, damit wir darüber reden können und uns dann möglicherweise entscheiden. Heute Abend kann ich mir nicht vorstellen, dass aus den Vorstellungen und Wünschen meiner Eltern etwas werden kann, ich warte einfach ab, was die drei anderen dazu zu sagen haben.“
„Wir sollten auch so langsam ins Bett, ihr beide habt morgen wieder Schule, wir dürfen in die Arbeit und vielleicht schaffen wir es, unser gewaltiges Schlafdefizit von letzter Nacht zu verringern.“
Nachdem von Thomas und den Jungs kein Widerspruch kam, räumten wir noch kurz unsere Gläser in die Küche und gingen dann alle nach oben in unsere Betten zum Schlafen.
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