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Regenbogenfamilie

Teil 110 - Planung Bettinas Trauerfeier

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Wie bereits gestern Abend noch angekündigt, holte mich mein Wecker eine viertel Stunde vor fünf Uhr morgens aus dem Schlaf, damit ich pünktlich um fünf Uhr dreißig im Büro sein würde. Ich brühte für mich nur eine Tasse Kaffee auf, da er sonst wieder kalt gewesen wäre, bis die restlichen Mitbewohner aufstehen würden. Völlig ereignislos verlief mein morgendlicher Besuch im Bad, war aber auch nicht anders zu erwarten gewesen.

Pünktlich saß ich in meinem Büro und wartete auf Kilian, der bereits fünfzehn Minuten nach mir eintrudelte. Auf dem Weg in die Bäckerei wollte ich von ihm wissen, wie das heute früh im Verwalterhaus abgelaufen ist, da er als einer der Ersten aufgestanden sei. Er erklärte, dass sein Mitbewohner Peter Burgmeister nicht bemerkt haben dürfte, dass er das Zimmer verlassen habe.

Unten im Esszimmer traf er auf Manuel und Daniel, die zu den Mitbewohnern gehören, die regelmäßig so zeitig aufstehen. Heute Morgen waren Jonas und Tim ebenfalls bereits aufgestanden und saßen gemeinsam mit Manuel und Daniel am Frühstückstisch.

In der Bäckerei angekommen, wurden wir vom Teilzeit-Bäckermeister Hermann Hauser und der Schichtleiterin Katharina Stolz bereits erwartet. Ich begrüßte die beiden Mitarbeiter und stellte sie Kilian vor. Danach stellte ich Kilian als den neuen Auszubildenden vor, der seine Ausbildung zum Bäcker bei uns fortsetzen wird. Kathi nahm Kilian unter ihre Fittiche und versprach, ihm alles zu zeigen und ihm seine restlichen Kolleginnen und Kollegen vorzustellen.

Davor ging sie mit Kilian in den Personalumkleidebereich, wo sie ihm einen Spind zuordnete. Dort hatte sie ihm auch seine neue Dienstkleidung bereitgestellt, wie mir Kilian am Nachmittag berichtete. Ich hatte noch ein Gespräch mit Hermann, bei dem ich mit ihm abklärte, wann er voraussichtlich in den Ruhestand gehen würde, damit ich mich rechtzeitig um einen Nachfolger bemühen könne, da es aktuell nicht so einfach sei, qualifizierte Mitarbeiter und Ausbilder ins Unternehmen zu bekommen.

Kurz vor sieben Uhr war ich wieder auf dem Weg in mein Büro, wo bereits im Flur Ludwig und sein Auszubildender Kevin auf mich warteten. Ich schaute die beiden an und meinte: „Mir ist bekannt, dass wir uns heute Morgen zusammensetzen wollten und über die Ergebnisse der Auftaktveranstaltung sprechen wollten. Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass wir einen so frühen Termin vereinbart haben.“

Ludwig grinst und sagte: „Stimmt, wir wollten uns auf Zuruf treffen und das Gespräch führen. Ich habe gestern noch mit Petra gesprochen und sie meinte, dass unser Termin gleich am frühen Morgen stattfinden sollte, da du nur bis Mittag im Büro bist und noch einige Problemlösungen auf dich warten. Sie erklärte mir, dass du spätestens gegen sieben Uhr morgens vom Termin in der Bäckerei zurück sein solltest und wir um diese Zeit auf dich warten sollen.“

Ich lachte und sagte: „Nicht schlecht ausgeklügelt von Petra. Trotzdem werde ich jetzt erst einmal in die Kaffeeküche gehen und frischen Kaffee für die Truppe aufsetzen.“

Kevin grinste und antwortete: „Peter, den Weg kannst du dir ersparen. Ludwig und ich haben die Wartezeit genutzt und frischen Kaffee aufgesetzt. Du kannst schon mit Ludwig ins Büro vorausgehen, ich bringe euch gleich eine Tasse Kaffee. Peter, du trinkst deinen Kaffee nur mit Milch und ohne Zucker. Oder hat sich da etwas geändert? Wundere dich bitte nicht, deinen Kaffeegeschmack hat mir Ludwig verraten.“

Ich bin inzwischen mit Ludwig in mein Büro angekommen und wir haben uns in die Besprechungsecke gesetzt. Nur kurze Zeit später betrat Kevin das Büro und hatte auf einem kleinen Tablett drei Haferl Kaffee mitgebracht, die er verteilte. Er setzte sich zu uns und als ich einen Schluck Kaffee genossen hatte, meinte ich: „Muss wohl sehr wichtig sein, wenn ihr euch die Mühe macht, so früh am Morgen in meinem Büro auf der Matte zu stehen.“

Ludwig konterte: „Wichtig ist relativ. Ich bin überrascht von der Resonanz der eingeladenen Architekten und den am Bau beteiligten Unternehmen, die wir ebenfalls eingeladen hatten. Wir haben am Mittwoch und bis gestern Abend über einhundert unterschriebene Verträge bekommen, wovon etwa zehn Prozent für mehr als zwanzig zahlungspflichtige Nutzer ausgelegt sind.

Von Philipp kommt die Information, dass wir in den nächsten zwei bis drei Wochen mindestens zehn neue Kunden bekommen, die ihren Server bei uns zentral aufstellen und deren Verwaltung von unserer IT übernommen wird. Das ist definitiv mehr, als wir uns für den Start erwartet haben. Mit den bereits vorhandenen Nutzern, die das bisher noch kostenfrei nutzen durften, haben wir damit knapp eintausend Anwender, die ab nächsten Monat Geld in die Kasse bringen.

Ich hoffe, dass wir bis zum ersten Abrechnungstermin sämtliche Kunden und die damit verbundenen Verträge angelegt haben. Dabei ist mir auch aufgefallen, dass wir die notwendigen Daten von Hand übernehmen. Sinnvoller wäre vermutlich eine digitale Übernahme der vom Kunden vorerfassten Daten oder eine Lösung, die nur Kontingente anbietet, die vom Kunden selbst verwaltet werden.

Wir hätten dabei nur den Kunden anzulegen und zu verwalten und die einzelnen Anwender werden direkt vom Kunden angelegt oder gelöscht. Solange der Kundenkreis noch so übersichtlich ist, ist das mit den Endnutzern vielleicht noch zu händeln. Je mehr Lizenzen wir vergeben und abrechnen, desto größer wird der Aufwand, wenn wir jeden einzelnen Anwender anlegen oder löschen müssen.

Ich werde das Thema Rationalisierung bei Bernhard und Noah ansprechen, denn in der Form können wir nur mit einem größeren Mitarbeiterstab die täglichen Veränderungen und Neuanlagen verarbeiten. Eventuell werden wir dich zu den Gesprächen hinzuziehen.

Ich schaute ihn an und sagte: „Ich bin davon ausgegangen, dass die Jungs eine Anwendung entwickeln, die in etwa deinen Vorstellungen entsprechen sollte. Denn nur, wenn der Kunde seine Daten selbst verwaltet, von der Neuanlage des Mitarbeiters bis hin zu allen Veränderungen, ergeben die niedrig kalkulierten Preise einen Sinn. Wenn wir die Arbeit erledigen, sind die Lizenzpreise viel zu niedrig angesetzt. Da stehe ich vollkommen hinter deiner Aussage.

Ich möchte vorsichtshalber andeuten, wenn ich dabei sein soll, solltet ihr schnell sein bei der Terminplanung und versuchen einen Termin am frühen Vormittag oder am späten Nachmittag anzupeilen. Nächste Woche ist der Freitag bereits komplett belegt, da an dem Tag die Beisetzung und der Leichenschmaus von Christinas Mama geplant ist.

Der Montag ist bereits komplett ausgebucht, da ich am Sonntag mit Felix nach Marktoberdorf fahre. Am Montag ist endlich der Notartermin für den Campingplatz und nachmittags gibt es noch einen Termin in der Verwaltungsgemeinschaft Biessenhofen. Am Donnerstag ist die Neueröffnung des Hofladens in der Gärtnerei Grubmüller. Auch da werde ich tagsüber nur sehr wenig greifbar sein.“

Ludwig erklärte: „Damit sind unsere Problempunkte angesprochen, die wir noch klären und verbessern müssen. Erfreulich ist die große Resonanz auf das Produkt bereits bei der Produktvorstellung. Ich habe nicht mit so einer enormen Nachfrage beim Start gerechnet und bin positiv überrascht. Ich werde mich mit Bernhard absprechen hinsichtlich der Änderungen bei der Registrierung.“

Beide verabschiedeten sich und gingen zurück ins IT-Gebäude. Da es inzwischen schon viertel vor acht Uhr war, überlegte ich erst einmal, wie mein Arbeitstag heute ablaufen soll, da ich maximal bis Mittag im Büro arbeiten wollte. Ob und wer mit mir nach München fahren würde, ergibt sich erst im Laufe des Vormittags.

Ich hörte, wie meine Assistentin in ihr Büro kam, stand auf und ging ins Nachbarbüro. Da ich mich fast geräuschlos angeschlichen habe, erschrak sie, als ich sie ansprach: „Petra, du hast Ludwig gestern den Tipp gegeben, dass er mich um sieben Uhr morgens im Büro überfallen soll, weil es ansonsten unmöglich sei, an diesem Freitag bei mir einen Termin zu bekommen. Vor allem, weil ich dir bereits angekündigt hätte, dass ich heute Nachmittag nach München fahren würde.“

Petra grinste und antwortete: „Peter, wenn Ludwig mich fragt, wann er dich am sichersten für eine kurze Besprechung erreichen kann, konnte ich ihm nur diesen Tipp geben. Alles andere wäre nur in ein ständiges Vertrösten ausgeartet, das wollte ich ihm nicht antun. Schön, dass er sein Gespräch mit dir schon am frühen Morgen führen konnte und hoffentlich konnte alles geklärt werden.“

Meine Reaktion darauf: „Leider ist dem nicht so. Denn für eines der Themen, und auch noch das Wichtigste, brauchen wir Bernhard und Noah. Das werden wir aber mit Sicherheit erst nächste Woche angehen können, wobei Montag, Donnerstag und Freitag bereits ausgeschlossen sind.“

Petra fragt nach: „Peter, Montag und Donnerstag ist klar, da wird der neue Hofladen in der Gärtnerei eröffnet, aber wieso auch der Freitag? Da sind meines Wissens noch keine Termine eingetragen.“

„Für Freitagvormittag ist die Beerdigung von Bettina Binder, der Mutter von Christina, eingeplant, mit anschließendem Leichenschmaus im Restaurant im Gutshof“, antwortete ich ihr und fuhr fort, „sofern die Beisetzung hier in der Nähe stattfinden wird. Anderenfalls findet der Leichenschmaus in der Nähe des Friedhofs statt, wo die Tote beerdigt wird.

Erst heute Abend, nach dem Besuch mit Christina in München und der Sichtung der vorhandenen Unterlagen können wir die endgültige Entscheidung treffen, wo die Beisetzung stattfinden wird. Christina ist sich fast hundert Prozent sicher, dass sie mit ihrer Mutter nie einen Münchner Friedhof betreten hat, was für die Beerdigung hier sprechen würde.“

Petra schaut mich verwirrt an und sagte: „Peter, wenn Bettinas Eltern nicht mehr leben, müssen sie doch irgendwo begraben sein. Ich würde behaupten, dass zumindest ein Grab für Bettinas Eltern und womöglich ihre Großeltern existieren sollte.“

Ich erwiderte ihr: „Petra, so einfach ist das heutzutage nicht mehr. Nimm, als ein einfaches Beispiel, du kannst dich bei einer Baumbestattung in einem Bestattungswald, aber auch auf Friedhöfen begraben lassen. Dort hast du keine Grabstelle im herkömmlichen Sinn, die regelmäßig zu pflegen ist. Diese Variante wird oft von Alleinstehenden bevorzugt, da sie keine nahen Verwandten haben, die die Grabstelle pflegen können.

Dazu kommt, dass ich bisher noch nicht ihren Geburtsort kenne. Sollten ihre Eltern irgendwo im Norden der Republik gelebt haben, kann dort durchaus ein Grab existieren. Nur macht es meines Erachtens wenig Sinn, Bettina dorthin zu überführen und begraben zu lassen. Das wird auch nicht in Christinas Sinn sein. Ein normales Grab macht nur dann Sinn, wenn es in der Nähe deines Aufenthaltsortes liegt und du dich um die Grabpflege kümmern kannst.

Vor allem kann uns keiner Auskunft darüber geben, wie das Verhältnis zwischen Bettina und ihren Eltern gewesen ist. Genauso gut könnte Bettina in einem Kinderheim aufgewachsen sein und ihre Erzeuger nicht einmal gekannt haben. Es gibt zu viele Möglichkeiten, warum die Situation so ist wie sie aktuell ist. Erst brauchen wir aussagefähige Unterlagen. Deshalb auch meine Aussage, frühestens heute Abend, nach dem Besuch in München, Entscheidungen treffen zu können.

Bettina hat zwar Anweisungen erteilt für den Fall, dass sie sich nicht mehr um Christina kümmern kann. Dabei ist sie davon ausgegangen, dass sie noch am Leben ist. Für den Todesfall findet sich nichts in ihren Aufgaben für mich. Diese Entscheidungen darf ich zusammen mit Christina treffen, so die Aussage des Familiengerichts, das mich als Vormund für Bettinas Tochter bestimmt hat.“

Petra schaute mich an und erklärte: „Peter, da hast du dir einige ordentliche Probleme eingehandelt, als du zum Vormund für Christina bestimmt wurdest. Klar gibt es alternative Möglichkeiten sich beerdigen zu lassen, aber solange sie einen nicht direkt betreffen, ignoriert man sie eher oder will sie nicht wahrhaben. Ich werde dir auf alle Fälle sofort den kommenden Freitag für irgendwelche Terminanfragen sperren, damit keiner Termine eintragen oder anfragen kann.“

Ich ging zurück in mein Büro und setzte mich wieder an meinen Schreibtisch. Kaum hatte ich mein Notebook gestartet, als es an der Tür klopfte und auf mein „herein“ öffnete sich die Tür und Christina, Raphael und Stephan erstürmten mein Büro und setzten sich in die Besprechungsecke. Da die Tür offenblieb, ging ich davon aus, dass Marion auch gleich ins Büro kommen würde.

Nach etwas mehr als einer Minute und der Erkenntnis, dass Marion nicht eintrat, fragte ich: „Warum habt ihr die Bürotür offengelassen? Erwartet ihr Marion oder eine andere Person? Ansonsten sollte der- oder diejenige, die als letzte in mein Büro eingetreten ist, die Bürotür zumachen.“

Stephan grinste mich frech an und antwortete: „Auf Mama kannst du lange warten. Sie bekam vorher einen Anruf und meinte anschließend nur, dass sie jetzt arbeiten müsste und war ruck zuck verschwunden. Auch meinte sie noch, dass sie erst im Laufe des Nachmittags wieder zurückkommen würde. Ich habe ihr über die Familiengruppe bei Whatsapp mitgeteilt, dass wir auf dem Weg zu dir ins Büro sind.

Sie hat mir kurz geantwortet, dass sie den Termin in der Hektik der letzten beiden Tage einfach ausgeblendet hatte. Wenn Mama erst irgendwann am Nachmittag zurückkommt, wird das heute nichts mit der Fahrt nach München, um in Bettinas und Christinas Wohnung wichtige Dokumente zu suchen. Nein, wir warten auf niemanden, der noch eintreten soll. Raphael, du bist zuletzt eingetreten. Also darfst du die Tür schließen.“

Während Raphael aufstand und die Bürotür schloss, stand ich ebenfalls auf und setzte mich zu den Kids in die Besprechungsecke. Da Raphael sich bereits wieder gesetzt hatte, erklärte ich den Kids: „Nur weil Marion keine Zeit hat, bedeutet das noch lange nicht, dass die Fahrt nach München abgesagt werden muss. Immerhin können wir auch zu viert nach München fahren, um die Unterlagen zu holen.,Immer unter der Voraussetzung, dass ihr mitfahren wollt.

Alternativ kann ich mir aber auch vorstellen, dass ich mit Thomas und Christina nach München fahre, wenn er mittags vom Büro zurückkommt. Ihr beide könnt dann hierbleiben und auf die Rückkehr eurer Mutter warten.“

Christina meinte: „Peter, ich habe kein Problem, mit dir, Stephan und Raphael zusammen nach München zu fahren. Wenn wir ohne Marion fahren brauchen wir doch nicht erst am Nachmittag nach München zu fahren. Wir könnten doch schon im Laufe des Vormittags aufbrechen und hätten vielleicht etwas mehr Zeit, um die nötigen Unterlagen zu suchen und alles vorzubereiten, was morgen oder in den nächsten Tagen aus der Wohnung geholt werden soll.“

Ich sagte: „Christina, so einfach ist das leider nicht. Dich mitzunehmen ist kein Problem. Denn ich bin dein Vormund und damit kann ich ohne Probleme mit dir unterwegs sein, um in deinen Angelegenheiten tätig zu werden. Das rechtfertigt jedoch nicht die Mitfahrt der beiden Jungs. Dazu bräuchte ich eine schriftliche Bestätigung von einem Elternteil, dass die beiden Jungs mit nach München mitkommen dürfen.“

Die drei schauten mich fragend an, so dass ich ergänzte: „Zumindest ihr beiden Jungs solltet wissen, dass Minderjährige einen höheren gesetzlichen Schutz haben. Ich kann euch nicht so ohne weiteres in mein Auto einsteigen lassen und nach München mitnehmen. Böse Menschen könnten behaupten, ich habe versucht euch zu entführen oder ich hätte euch in mein Auto gelockt, um mich an euch zu vergreifen.“

Stephan fing laut zu lachen an und erklärte: „Peter, wer so etwas behaupten würde, der kennt dich nicht wirklich. Du bist doch einer von denen, der eher den Minderjährigen hilft aus solchen Situationen ohne Blessuren herauszukommen. Mein Bruder und ich hätten kein Problem in dein Auto zu steigen und uns von dir mitnehmen zu lassen. Ich kann Mama bitten, dir eine Whatsapp zu schicken, in der sie dir bestätigt, dass du heute unser Aufpasser bist und wir mit dir nach München fahren dürfen, um Christina bei ihrem schweren Gang zu unterstützen.

Ich bin mir auch sicher, dass Barbara, vom Jugendamt, dir jederzeit helfen würde, wenn so ein Blödmann dich in diese Situation bringen würde. Außerdem hast du doch Papiere, dass du Christinas Vormund bist, sie jedoch bei uns vorläufig als Pflegekind untergekommen ist. Das sollte doch eigentlich ausreichen als Legitimation, wenn wir Christina als moralische Unterstützung nach München begleiten.“

Ich wollte schon lachen, konnte mir das gerade noch verkneifen. Ein Lächeln konnte ich nicht mehr verhindern. Ich bewunderte seine Logik, mit der er argumentierte, dass die Fahrt mit den Dreien eine ganz normale Angelegenheit sei. Im Grunde sah er das so, wie ich es auch sehen würde.

Ich sagte: „Stephan, so wie du das siehst, sehe ich das auch, wenn ich euch beide nach München mitnehme. Nur denken nicht alle Menschen so wie du und ich. Sag deiner Mutter, dass sie mir eine Nachricht schicken soll, dass ihr beide mich und Christina nach München begleiten dürft. Sobald die Nachricht eintrifft, steht unserer Fahrt nach München nichts mehr im Weg.

Wir sollten aber bis dahin abklären, was wir alles nach München mitnehmen wollen, damit wir nachher nichts vergessen und unverrichteter Dinge wieder zurückfahren müssen. Ich denke, wir sollten zumindest einige Umzugskartons mitnehmen, in die ihr Christinas Sachen einpackt und die wir eventuell gleich mitnehmen können. Dann brauchen wir den Wohnungsschlüssel. Ohne ihn brauchen wir gar nicht erst loszufahren.

Am besten, ihr nehmt eure Kinderausweise mit, damit ihr euch im Notfall auch ausweisen könnt. Christina, das gilt auch für dich. Ich will nicht, dass Marion oder Jens extra nach München kommen müssen, um euch als ihre Kinder zu identifizieren.“

Ich blickte zu Christina und fragte: „Hast du schon dein Notebook für die Schule und dein persönliches Smartphone bekommen?“

Sie erklärte, dass sich bisher keiner bei ihr gemeldet hat, um ihr ein Notebook und ein Smartphone zu übergeben. Ich rief in der IT bei Marcus an und fragte nach, wie der aktuelle Stand sei in der Angelegenheit Notebook und Smartphone für Christina sei. Da ich auf Laut hören schaltete, konnten alle die Antwort von Marcus hören.

„Peter, Noah hat schon ein paar Mal versucht, in Marions Wohnung anzurufen. Bisher hat keiner das Gespräch entgegengenommen. Marion ist auch nirgends zu erreichen. Sie scheint unterwegs zu sein und nimmt keine Gespräche entgegen.“

Stephan meinte: „Marcus, bei uns in der Wohnung kannst du noch ewig anrufen. Wir sind schon eine Ewigkeit bei Peter im Büro und Mama ist dienstlich zu einer Besprechung unterwegs und kommt erst am Nachmittag zurück. Warum seid ihr nicht auf die Idee gekommen, dass wir bei Peter sein könnten? Ich dachte ihr wüsstet, dass wir heute in die Wohnung von Bettina und Christina nach München fahren wollen.“

Marcus lachte und erklärte: „Stephan, da muss ich dich enttäuschen. In der IT wusste keiner, dass ihr heute nach München fahren wollt. Wenn ihr bei Peter seid werde ich Noah gleich zu euch schicken, damit er mit Christina die Einweisung machen kann, bevor ihr nach München verschwindet. Peter, können wir euch helfen, wenn ihr wieder aus München zurück seid?“

Ich erklärte: „Marcus, heute werden wir nicht so viel aus München mitbringen. Es geht hauptsächlich darum, die wichtigsten Dokumente sicherzustellen, damit Christina und ich weitere Entscheidungen treffen können. Wir werden aber auch bereits sondieren, wie wir Christinas Kinder- oder Jugendzimmer zerlegen und zum Gutshof bringen können. Vielleicht plündern wir Christinas Kleiderschrank und bringen ihre restliche Bekleidung oder einen Teil davon bereits mit.“

Marcus bedankte sich für den Anruf und versicherte uns noch einmal, dass er Noah sofort informieren und losschicken wird. Da es wenig Sinn ergab neue Punkte anzusprechen, erklärte ich, dass wir auf Noah warten, damit er Christina kurz einlernen kann. Ich schaute die beiden Jungs an und ergänzte, dass sie an Christina ihr Wissen weitergeben können, damit die Einarbeitung durch Noah nicht zu viel Zeit in Anspruch nimmt.

Es klopfte und die Tür öffnete sich. Noah trat ein. Er schaute kurz etwas verwirrt, als er neben Christina auch Stephan und Raphael erblickte. Er sagte: „Hallo Peter, hallo Christina, hallo Jungs. Wenn ich geahnt hätte, dass ihr bei Peter steckt, wäre ich schon vor gut zwanzig Minuten hier aufgetaucht. Selbst Marcus hatte keine Ahnung und vermutete sogar, dass ihr vielleicht in der Schule sein könntet.

Christina, freut mich dich kennenzulernen und dass ich die ehrenvolle Aufgabe erhalten habe, dir dein technisches Equipment übergeben zu dürfen und alles zu erklären. Solltest du nach der kurzen Schulung noch Schwierigkeiten mit der Technik haben, kannst du jederzeit Bernhard, Marcus oder mich ansprechen, damit wir dir bei der Lösung deiner Probleme helfen.“

„Noah,“ meinte ich, „ich habe mit den beiden Jungs, den Mitbewohnern von Christina, vereinbart, dass sie Christina nach deiner ersten Einweisung helfen, wenn sie Probleme oder Fragen hat. Erst wenn die beiden nicht mehr weiterhelfen können, wird sich Christina bei euch melden.

Lass dich nicht stören, wenn wir deiner Einweisung aufmerksam zuhören. Für mich ist es heute das erste Mal, dass ich bei einer Einführung mit dabei bin. Da ich in meinem früheren Berufsleben bereits mit Handys, Smartphones, PCs und Notebooks gearbeitet habe, bin ich bisher nie in diesen Genuss gekommen.“

Noah fragte Christina: „Bevor ich dir Sachen erkläre, die du bereits kennst, will ich von dir wissen, ob du bereits mit einem Notebook oder einem PC gearbeitet hast? Mich interessiert aber genauso, wie viel Erfahrung du bereits mit einem Smartphone hast?“

Christina grinste und antwortete: „Da ich bisher kein eigenes Smartphone hatte und nie auf einen PC oder Notebook zugreifen konnte, kann ich nicht behaupten, dass ich bereits große Erfahrungen damit habe. Mit Mamas Smartphone durfte ich gelegentlich ein Spiel zocken, weitere Kenntnisse habe ich nicht. Das war auch der Grund, warum ich Mamas Passwort für ihr Smartphone gekannt habe.“

Noah startete das Notebook und er erklärte Christina, dass sie sich als erstes mit dem Initialpasswort, das ihr Noah mitgebracht hatte, am Notebook anmelden soll. Sie wird dann aufgefordert ihr eigenes Passwort festzulegen, dass sie an keinen Dritten weitergeben darf. In den nächsten Schritten erklärte er, welche Programme auf den Rechnern der Kids standardmäßig installiert sind.

Solltest du weitere Programme benötigen, bitte nicht versuchen, selbst auf dein Notebook Programme aufzuspielen. Da kommst du besser zu uns in die IT und äußerst deine Wünsche. Sollte das Programm im Firmenverbund bereits eingesetzt sein, kann es kurzfristig auf deinem Rechner installiert werden. Andernfalls dauert es ein paar Tage, da das Programm extra für dich besorgt wird.“

Er erklärte weiter: „Bei den bisher installierten Anwendungen werden sich Stephan und Raphael sicher schon sehr gut auskennen und dir weiterhelfen können. Sollten trotzdem Fragen auftauchen oder du hast ein Problem, das ihr nicht selbst lösen könnt, ist es kein Drama, wenn ihr euch bei uns Hilfe holt.

Du kannst aber auch versuchen bei den Mitarbeitern im Unternehmen dir Tricks zeigen zu lassen, wie man in den einzelnen Programmen effektiver arbeiten kann. Peters Assistentin Petra hat zum Beispiel hervorragende Kenntnisse in den Office-Programmen und kann dir viele der vorhandenen Funktionen zeigen und erklären.“

Er übergab ihr das Smartphone und erläuterte Christina: „Du kannst damit nicht nur telefonieren. Wir haben zwei Messenger-Dienste installiert, bei denen du Nachrichten mit deinen Freunden oder Mitbewohnern austauschen kannst. Im Telefonbuch haben wir dir bereits die meisten der benötigten Telefonnummern der Gutshofbewohner hinterlegt.

Ein kleiner Tipp von mir: Für Nachrichten, deren Empfänger Mitbewohner des Gutshofes sind oder bei einem der Unternehmen des Gutshofgruppe beschäftigt sind solltest du ausschließlich den Messenger Dienst Threema verwenden, da er sicherer aufgebaut ist als jeder andere Messenger. Bei externen Personen oder bei Gruppenchats, an dem sowohl interne als auch externe Personen beteiligt sind, eignet sich besser der Dienst von Whatsapp.

Ein Beispiel dazu: Mit deinen Mitschülern ist es besser, wenn ihr den Messengerdienst von Whatsapp nutzt, da Whatsapp weiter verbreitet ist als Threema. Innerhalb der Familie oder den Gutshofbewohnern solltest du besser mit Threema arbeiten.“

Raphael erklärte: „Innerhalb der Familie nutzen wir die Gruppenfunktion von Threema. Wenn du mir deine Telefonnummer gibst, lege ich dich bei mir an und schicke dir eine Einladung in die Familiengruppe. Dann kannst du alles mitlesen, was wir in der Familie posten. Logischerweise kannst du selbst auch Nachrichten in die Gruppe schreiben.“

Dann teilte mir Stephan mit, dass seine Mama geantwortet habe und wir jederzeit ohne sie nach München fahren können. „Peter, sie schickt dir kurz eine Nachricht, dass Raphael und ich dich nach München begleiten dürfen und wünscht uns viel Erfolg bei der Suche nach den wichtigen Unterlagen.“

Noah beendete die Einführung von Christina in ihr technisches Equipment, so dass ich sagte: „Christina, Stephan und Raphael. Ich denke, ihr solltet kurz nach oben in eure Wohnung gehen und euch bereits für die Fahrt nach München umzuziehen. Wir treffen uns um elf Uhr dreißig in der Kantine, essen gemeinsam zu Mittag und direkt danach starten wir in Richtung München.“

Die drei Kids packten ihr Sachen und waren ruck zuck verschwunden. Noah schaute den dreien hinterher und fragte mich, warum wir am Nachmittag nach München fahren würden. Ich erklärte ihm, dass wir in der Wohnung von Christina und ihrer Mutter wichtige Unterlagen suchen würden, die wir für die Organisation der Beisetzung benötigen.

So wie er mich jetzt anschaute, war mir bewusst, dass Noah gern mitkommen und uns unterstützen will bei der Suche. Ich überlegte nicht lange, sondern fragte direkt: „Kannst du dir vorstellen, mich und die drei Kids bei der Suche zu unterstützen und uns nach München zu begleiten? Ich bin dir absolut nicht böse, wenn du mir wegen einer wichtigen Besprechung oder Programmierarbeiten eine Absage erteilen würdest.“

Noah grinste und erklärte: „Peter, ich befürchte du bekommst von mir keine Absage. Ich werde euch gerne nach München begleiten und mit euch die Unterlagen suchen. Heute ist Freitag. Da arbeiten fast alle nur bis Mittag und wichtige Sachen stehen in der IT an diesem Wochenende nicht an. Ich freue mich schon, dass ich auch einmal beim Helfen dabei sein kann.“

Ich erklärte: „Okay, dann informiere die Jungs der IT-Abteilung, dass du heute Nachmittag mit mir und den Kids von Marion nach München fahren wirst. Ich will nicht, dass sie dich vermissen und überall suchen. Fehlt dann nur noch, dass sie eine Vermisstenmeldung bei der Polizei aufgeben, während wir uns in München amüsieren. Vorher will ich von dir kurz wissen, wie du die Einführung und Einarbeit aus deiner Sicht bewerten würdest?“

Nach anfänglichen Überlegungen erklärte er: „Peter, wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich war mit dem Ablauf und dem Ergebnis nicht voll zufrieden. Das lag hauptsächlich daran, dass Christina nicht sehr aufmerksam war. Ich fand meine Erklärungen voll in Ordnung. Also muss ich davon ausgehen, dass für Christina derzeit andere Sachen wichtiger sind als ein Notebook oder ein Smartphone. Wie siehst du das aus deiner Sicht?“

Meine Antwort auf seine Frage: „Noah, inhaltlich waren deine Erklärungen und Erläuterungen so, wie ich sie von dir erwartet habe. Dass Christina im Moment andere Dinge im Kopf hat, ist eindeutig. Das ist sicher der Tatsache geschuldet, dass sie erst am Mittwoch ihre Mutter bei einem schweren Unfall verloren hat. Sie weiß sicher, dass sie am Gutshof bleiben darf und zwei Brüder als Geschwister bekommt. Es wird dennoch einige Zeit dauern, bis sie ihren gewaltigen Verlust verarbeiten kann und für sie wieder eine gewisse Normalität in ihrem Leben einkehren wird. Wenn du nach München mitfahren willst, erwarte ich dich um elf Uhr dreißig in der Kantine zum Mittagessen und, wie schon gesagt, nach dem Essen geht es direkt ab in die Großstadt.“

Noah verabschiedete sich von mir und meinte noch, dass er pünktlich zum Essen in der Kantine sei. Da es kurz vor der Zeit war, die ich mit den Kids und Noah vereinbart hatte, schaltete ich mein Notebook aus. Ich sperrte mein Büro ab, verabschiedete mich von Petra und wünschte ihr ein schönes Wochenende. Mein Weg führte mich nach oben in unsere Wohnung, um mir eine wärmere Jacke zu holen, da es draußen doch etwas kälter war, als ich erwartet hatte.

Im Jugendhotel wurde ich bereits von Noah und den drei Kids erwartet. Gemeinsam gingen wir in die Kantine und holten uns das Mittagessen. Dennis schaute mich fragend an: „Peter, habe ich etwas verpasst? So früh habe ich dich noch nie in der Kantine zum Essen gesehen.“

Ich antwortete ihm: „Wir haben beschlossen, nach dem Essen nach München zu fahren und in der Wohnung von Bettina und Christina nach wichtigen Dokumenten zu suchen. Gleichzeitig wird Christina noch einige persönliche Sachen einpacken und mitnehmen, da sie ab sofort dauerhaft am Gutshof bleiben wird. Wenn uns noch etwas Zeit verbleibt werden wir noch klären, wie wir Christinas Jugendzimmer kurzfristig demontieren und zum Gutshof holen können.

Über kurz oder lang muss eine Entscheidung zur Wohnungsauflösung gefällt und überlegt werden, was mit der restlichen Einrichtung geschehen soll. Nachdem, was ich von Christina gehört habe, sind die Möbel vor nicht allzu langer Zeit angeschafft worden. Da wäre es schade, wenn wir sie nur wegwerfen würden.

Sollen die Jungs mal Fotos von den Möbeln machen. Vielleicht ist ja das eine oder andere dabei, was ihr gebrauchen könnt. Ansonsten werde ich sie auch Florian, unserem Mitarbeiter für die Auszubildenden, anbieten. Er zieht im Sommer ebenfalls in eine der Wohnungen im Gutshof ein.“

Nach dem Essen ging es noch einmal kurz zurück ins Gutshaus, wo aus dem Keller einige Umzugskartons geholt wurden. Noah hatte sich vor der Abfahrt von Christina die Daten von unserem Ziel geben lassen und ins Navi eingegeben. Die Fahrt nach München verlief ohne größere Probleme, so dass wir kurz vor dreizehn Uhr dreißig unser Ziel im Nordosten von München erreichten.

Unterwegs hatte ich den Jungs erklärt, dass sie von den gesamten Möbeln in Bettinas Wohnung gute Fotos machen sollten, damit die Möbel nicht im Müll landen, sondern anderweitig genutzt werden. Ich erklärte ihnen, dass wir nur Fotos benötigen, von den Möbeln, die nicht von Christina oder Familie Habermüller übernommen werden. Wir haben junge Mitarbeiter, die im Sommer in die Wohnungen im Gutshof einziehen, die vielleicht das eine oder andere günstig erwerben wollen.

Mit dem Schlüsselbund, den wir in Bettinas Handtasche gefunden hatten, kamen wir ins Haus und in die Wohnung. Vor der Wohnungstür in der dritten Etage sagte Christina: „Ich werde kurz bei unserer Nachbarin klingeln und ihr sagen, dass sie sich nicht wundern soll, wenn jetzt jemand in unserer Wohnung ist, obwohl die nächsten Wochen niemand hier sein sollte.“

Nach kurzer Zeit öffnete sich die Wohnungstür und eine etwa vierzigjährige Frau stand im Türrahmen. Als sie uns erblickte erklärte sie sofort, dass sie an der Haustüre nichts kaufen würde. Als ihr Blick auf Christina fiel sagte sie: „Hallo Christina, hast du etwas Wichtiges vergessen, dass du mit deiner Betreuungsfamilie nach München kommen musstest, um das zu holen?“

Mein Blick auf das Klingelschild verriet mir, dass ich eine Frau Müller vor mir haben musste. Ich sagte: „Frau Müller, Christina hat nichts Wichtiges vergessen. Der Grund, warum wir hier sind, Christinas Mama ist am späten Mittwochnachmittag, auf der Rückfahrt nach München, auf der Autobahn tödlich verunglückt.

Wir sind hier, um uns wichtige Dokumente und Unterlagen zu holen, damit wir die Beisetzung, die heute in einer Woche stattfinden wird, vorbereiten können. Ich gehöre nicht zur Pflegefamilie, die Christina aufgenommen hat, sondern wurde vorerst zu ihrem Vormund bestellt, der sich um den Nachlass und alles Notwendige kümmern soll. Können sie mir sagen, ob Bettina jemanden im Haus beauftragt hat oder mit dem sie befreundet ist, der sich in ihrer Abwesenheit um die Wohnung und eintreffende Post kümmern sollte?“

Frau Müller antwortete: „Ich habe schon seit längerer Zeit einen Schlüssel zur Wohnung und sollte mich in den nächsten Wochen um die Blumen und die Post kümmern. Wir hatten abgesprochen, dass sich Bettina bei mir meldet, wenn sie im Krankenhaus wieder ansprechbar sei und ich ihr dann die Post vorbeibringen kann.“

Christina mischte sich ein und erklärte: „Tante Gabi, willst du nicht zu uns in die Wohnung kommen. Vielleicht kannst du Peter die Fragen beantworten, die ich ihm nicht beantworten konnte. Ich koche schnell Kaffee für euch und wir setzen uns zusammen, während die Jungs Fotos von den Möbeln machen, die nicht bei mir oder meiner zukünftigen Adoptivfamilie landen.“

Frau Müller blickte zu Christina und wollte etwas sagen, was ich unterband, indem ich erklärte: „Frau Müller, es ist schon okay, wenn mich Christina mit meinem Vornamen anspricht. Sie wissen sicher, dass Bettina und Christina am Ende der Sommerferien nach Rosenheim umgezogen wären. Ich war Bettinas oberster Boss und sie hat mir am Mittwoch ein Kuvert übergeben, dass ich nur dann öffnen dürfe, wenn sie sich nicht mehr persönlich um ihre Tochter kümmern kann.

Dort hat sie festgelegt, dass ich als Vormund für ihre Tochter agieren soll, bis sie in einer Familie, die am Gutshof lebt, integriert ist. Das Unternehmen steht dafür, dass alle Mitarbeiter nur mit ihrem Vornamen angesprochen wird und das gilt auch für alle Vorgesetzten. Ich denke, wir sollten das Angebot von Christina annehmen, einen Kaffee trinken und uns in Ruhe unterhalten. Du kannst mich problemlos nur Peter nennen, so wie alle anderen.“

Sie lachte und antwortete: „Okay, Peter, ich habe etwas Zeit und will euch gern Auskunft geben, über das, was ich von Bettina weiß. Ich hole nur kurz meine Wohnungsschlüssel, nicht dass ich mich am Ende aussperre. Das war auch der Grund, warum ich von Bettina den Wohnungsschlüssel bekommen habe, nachdem sie sich zweimal ausgesperrt hatte.“

Noah schaute mich an und sagte: „Peter, es reicht doch sicher, wenn Stephan und Raphael die Fotos von den Möbeln machen. Ich denke, ich kann euch mehr helfen, wenn ich beim Gespräch dabei sein kann. Oder später, wenn wir uns in der Wohnung auf die Suche nach den Dokumenten machen.“

Ich sagte ihm: „Wenn du auch eine Tasse Kaffee mittrinken willst, sag Christina, dass sie etwas mehr Kaffee für uns kochen soll.“

Während Noah bereits in die Wohnung ging, wartete ich noch auf Gabi. Mit ihr zusammen betraten wir die Wohnung, wo Gabi auf dem kürzesten Weg in die Küche ging. Dort erwarteten uns bereits Christina und Noah, wobei uns Christina aufforderte, am Tisch Platz zu nehmen. Nachdem sich alle gesetzt hatten, sagte Gabi: „Peter, kurz noch zu meinem besseren Verständnis. Du hast vorher die Aussage getroffen, dass du bis zu ihrem Tod Bettinas oberster Boss gewesen bist.

Wenn dem so ist, dann bin ich, ebenso wie Bettina, Mieterin einer Wohnung, die der Stiftung Sonneneck gehört. Diese Wohnanlage kam im Frühjahr letzten Jahres in euren Besitz, als unsere bisherige Vermieterin verstarb und alles der Stiftung Sonneneck vermacht hat. Bettina hat mir erzählt, dass ihr die dazugehörige Immobilien Verwaltungs- GmbH ebenfalls geerbt habt und die Firma im Spätsommer dieses Jahres nach Rosenheim umziehen wird.

Ich antwortete: „Das wusste ich bisher noch nicht, dass Bettina in einer Wohnung lebte, die im Besitz der Stiftung Sonneneck ist. Mit der Sichtung der Papiere von Bettina und Christina wäre mir das sicher aufgefallen. Das bedeutet, dass ich mich wegen der Kündigung des Mietvertrages an unsere eigene Verwaltungsgesellschaft wenden muss.

Ich schließe mich Christinas Aussage an, dass du als gute Nachbarin und Freundin uns viele Fragen beantworten kannst. Was mich brennend interessiert ist die Frage, wer sind ihre Eltern, leben sie noch oder wo liegen sie begraben. Will Bettina neben ihren Eltern begraben werden oder dort, wo ihre Tochter zukünftig leben wird?“

Gabi schaute mich an und erklärte: „Peter, Bettinas Eltern sind in der Nähe von Hamburg begraben, wo Bettina ursprünglich herkommt. Sie wurden in einem Friedwald anonym beerdigt. Bettina kam vor gut elf Jahren nach München, wo kurze Zeit später Christina auf die Welt kam. Ich kenne die Geschichte, warum Bettina nach München gekommen ist und warum ihre Eltern so früh beerdigt werden mussten.

Bettina wollte diese Geschichte Christina erzählen, wenn sie etwas älter ist und die Hintergründe besser versteht. Da Bettina nicht mehr lebt, wird sie Christina diese Geschichte nie mehr erzählen können. Es geht dabei auch darum, warum Christina ihren leiblichen Vater wahrscheinlich nie kennenlernen wird. Ich fürchte nur, dass Christina immer noch zu jung für die gesamte Wahrheit ist.“

Ich schaute Gabi an, blickte zu Christina und warf auch noch einen Blick zu Noah, bevor ich meinte: „Gabi, selbst wenn aus deiner Sicht dir Christina noch zu jung dafür erscheint, sie hat ein Recht darauf zu erfahren, wer zum einen ihr Erzeuger ist, warum ihre Mutter nach München geflüchtet ist und wieso ihre Großeltern so früh verstorben sind.

Willst du Christina nicht dein Wissen preisgeben und sie entscheiden lassen, wie sie damit umgehen will? Christina hat ihre Mutter verloren und damit die scheinbar einzige Person, die Licht ins Dunkle hätte bringen können. In ihrer aktuellen Situation, wo sie einen kompletten Neuanfang erlebt, ist meines Erachtens auch der richtige Zeitpunkt, ihr diese Informationen zu geben. Ich denke, wir sollten Stephan und Raphael, ihre zukünftigen Brüder, mit dazunehmen, die auch wissen sollen, was Christina und ihrer Mutter in ihrem bisherigen Leben widerfahren ist.“

Gabi überlegte, bevor sie erwiderte: „Peter, ich habe drei Möglichkeiten. Wobei die erste Variante wäre, dass ich mein Wissen mit ins Grab nehme. Alternativ warte ich ab, bis Christina aus meiner Sicht alt genug ist, was mit dem Risiko verbunden ist, dass ich in der Zwischenzeit versterben kann. Auch wenn mir die dritte Möglichkeit nicht gefällt, sie bleibt die einzige realistische Chance, Christina dieses Wissen zu ihrer Familiengeschichte hier und heute zu vermitteln.“

Ich meinte zu Noah, dass er doch bitte die beiden Jungs holen soll, damit sie ebenfalls mitbekommen, warum Christina in München zur Welt gekommen ist. Nachdem Noah den Raum verlassen hatte, sagte ich zu Christina: „Ich hoffe, du bist meiner Meinung, dass Gabi dir jetzt diese Geschichte erzählen soll, warum deine Mutter nach München geflohen ist und dich hier zur Welt gebracht hat.“

Christina nickte heftig mit ihrem Kopf, gab ansonsten keinen Ton von sich. Noah kam mit den beiden Jungs zurück, die wissen wollten, warum sie das Fotografieren der Möbel unterbrechen sollten. Ich erklärte ihnen, dass uns Gabi erzählen will, warum Christinas Mutter nach München gekommen und Christina in München zur Welt kam. Die beiden Jungs quetschten sich auf die kleine Bank zu Christina und ich forderte Gabi auf, loszulegen.

Gabi erzählte: „Ich kenne nicht sämtliche Details der Geschichte. Somit kann ich euch nur das erzählen, was ich von Bettina erfahren habe. Christina, deine Mutter und dein Erzeuger hatten bereits ihre Hochzeit geplant. Dabei kam es immer wieder zu Differenzen mit ihren Eltern, die nicht immer der gleichen Meinung waren. Bettina muss wohl im vierten Schwangerschaftsmonat gewesen sein, als es zur großen Katastrophe kam.

Eines Tages tauchte die Polizei bei ihr und deinem Erzeuger auf und informierten sie, dass ihre Eltern am frühen Abend des Vortages ermordet wurden. Was wiederum nur so schnell auffiel, weil sie am Morgen nicht zu einem Termin bei einem Arzt erschienen waren. Als sich nach einigen Tagen kriminalistischer Kleinarbeit herauskristallisierte, dass nur ein Bekannter oder Verwandter dafür in Frage kommen würde, wurde sie verdächtigt, mit deinem Erzeuger ihre Eltern aus Habgier ermordet zu haben.

Da sie für den Zeitraum, der für die Tötung infrage kam, ein wasserdichtes Alibi hatte, konnten die Verdächtigungen gegen sie nicht mehr aufrechterhalten werden und sie kam auf freien Fuß. Wenige Tagen später gestand dann dein Erzeuger, dass er deine Großeltern im Streit erschlagen hatte. Er hat vom Gericht für dieses Verbrechen eine lebenslange Haftstrafe erhalten, die wegen der Schwere der Schuld in eine anschließende Sicherungsverwahrung mündete. Er wird bis zu seinem Tod immer hinter Schloss und Riegel bleiben. Wobei ich dir nicht einmal sagen kann, ob er noch lebt.

Direkt nach der Beisetzung deiner Großeltern in einem Friedwald, packte deine Mutter ihre Koffer und flüchtete nach München. Immerhin hatte sie bereits einen Arbeitsplatz und eine Wohnung, als sie hier ankam. Sie hat von Anfang an in der Immobilienverwaltung gearbeitet.

Noch bevor du geboren wurdest hatte sie für einen kurzen Zeitraum einen Freund, von dem sie sich aber noch vor deiner Geburt wieder getrennt hat, mit der Begründung, dass er nicht dein Vater sein wollte. Sie hatte mit dieser Beziehung gehofft, dass sie dir damit nie erklären muss, wer und was dein Erzeuger ist, nämlich der Mörder ihrer Eltern und deiner Großeltern. Das ist alles, was mir Bettina zu deinen Großeltern mütterlicherseits und zu deinem Erzeuger erzählt hat.“

Ich schaute zu Christina und anschließend zu Noah, da ich davon ausging, dass er seine Probleme mit der Story bekommen könne. Beide, sowohl Christina als auch Noah, machten einen ruhigen und gefassten Eindruck, so dass ich meinte: „Wenn ich euch so ansehe, könnte man glauben, dass die von Gabi erzählte Geschichte bei euch keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Das ist etwas, was ich mir bei euch beiden überhaupt nicht vorstellen kann. Noah kann es sein, dass du von der Geschichte, die uns Gabi erzählt hat, so dermaßen geschockt bist, dass du dich am liebsten in dein Schneckenhaus verkriechen würdest oder dich bereits verkrochen hast?“

Noah grinste mich an und erwiderte: „Peter, ich bin schon schockiert vom dem, was Gabi uns berichtet hat. Auf der anderen Seite kann ich Bettina durchaus verstehen, warum sie bisher Christina nie mit diesem dunklen Kapitel in ihrem Leben konfrontieren wollte. Ich hätte auch abgewartet, bis sie volljährig gewesen wäre. Dass der Aufschub in diesem Fall zu einem Problem wurde, ist die Kehrseite dieses Vorgehens.

Wenn ich Christina genauer betrachte, habe ich eher den Eindruck, dass sie mit der Geschichte besser zurechtkommt, als du vielleicht annimmst. Für sie ist es auch eine gewisse Erleichterung, dass uns Gabi zumindest die ihr bekannte Variante vortragen konnte. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir in den Unterlagen noch Dokumente zu diesen Informationen finden werden.“

Da Noah jetzt schwieg, erklärte Christina: „Klar bin geschockt von der Tatsache, dass mein Erzeuger meine Großeltern ermordet hat. Dass etwas Schreckliches zu meinem Leben gehört, ahnte ich schon einige Zeit. Meine Mutter wollte mir nur den Grund nicht erklären. Zumindest verstehe ich jetzt, warum ich meinen Erzeuger nie kennenlernen werde, wenn er bis an sein Lebensende unter Verschluss gehalten wird.

Dass die Geschichte bei mir den Eindruck erweckt hat, dass ich nicht nachhaltig geschockt erscheine, liegt eher darin begründet, dass ich die Geschichte als Teil meines Lebens betrachten muss, diesem Teil aber keine große Bedeutung zumessen darf. Sie ist in der Hauptsache einfach eine Episode, die sich noch vor meiner Geburt abgespielt hat. Ich denke, wir sollten anfangen die Dokumente zu suchen.

Für die Entscheidung, wo und wie meine Mutter beigesetzt werden soll, haben vorhandene Dokumente keinen Einfluss, denn wir wissen aus Gabis Darstellung, dass meine Großeltern in einem Friedwald ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Trotzdem würde ich den Teil meiner Familiengeschichte aufheben wollen. Klar brauchen wir die Unterlagen auch wegen der abgeschlossenen Verträge, die zu kündigen sind. Zumindest bei der Wohnung wissen wir inzwischen, dass sie zum Bestand der Stiftung Sonneneck gehört und dort zu kündigen ist.“

Ich ordnete an: „Stephan und Raphael, ihr macht mit euren Fotos von den Möbeln weiter. Christina, du versuchst dein Glück im Schlafzimmer. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dort ein Ordner in einer tiefen Schrankecke aufbewahrt wird, der nicht so ohne weiteres gefunden werden soll. Noah, du versuchst dein Glück in den Möbeln im Wohnzimmer. Ich werde mit Gabi noch darüber sprechen, wie sie uns bei den Vorbereitungen zur Wohnungsauflösung unterstützen kann und ob sie am kommenden Wochenende bei der Beisetzung dabei sein will.“

Kaum hatten die Vier die Küche verlassen sagte ich: „Gabi, ganz überzeugt hast du mich nicht mit deinen Ausführungen. Du hast uns einiges verschwiegen oder unterschlagen, von dem was dir Bettina erzählt hat. Glaub mir, ich bin mir da sehr sicher. Ich hoffe nur für dich, dass du dabei nur die grausamen Details weggelassen hast.

Aber kommen wir zu den Themen, die ich angekündigt habe. Das erste Thema ist, ob du am kommenden Freitag zu uns kommst und an der Beerdigung deiner Freundin und Nachbarin mit anschließendem Leichenschmaus teilnehmen willst. Vermutlich gibt es sogar eine Mitfahrgelegenheit. Denn einige ihrer Arbeitskollegen werden am Freitag an der Beisetzung teilnehmen und nach Rosenheim kommen. Bis spätestens Mittwoch sollte ich das wissen.

Jetzt zum Thema Wohnungsauflösung. Wir werden morgen oder in den nächsten Tagen Christinas Kinder- oder Jugendzimmer abbauen und mitnehmen. Das haben wir bereits gestern beschlossen. Dazu sämtliche Bekleidung, die ihr gehört und ihre persönlichen Sachen.

Willst du uns helfen, die Wohnung leer zu bekommen? In einem ersten Schritt wäre es wichtig, dass alle Lebensmittel verbraucht werden. Wir werden nachher die Lebensmittel mitnehmen, die von Christina oder ihren Adoptivbrüdern gegessen werden.

Danach kommst du ins Spiel. Bitte alle Lebensmittel prüfen, wie lange sie noch haltbar sind und ob du sie verwenden kannst und willst. Was noch länger haltbar ist, können wir notfalls nach Rosenheim mitnehmen.

Ein weiterer Punkt, der von dir machbar wäre, ist der Kleiderschrank von Bettina. Alles, was noch an eine Kleiderkammer gehen kann, kannst du zusammenpacken und abholen lassen. Gegebenenfalls sorge ich dafür, dass es an die richtige Stelle kommt. Falls du etwas für dich behalten willst, geht das in Ordnung.

Bei den Möbeln schauen wir, was wir aufheben oder anderweitig verteilen können. Bei der Küche werde ich in unseren Unterlagen prüfen, ob sie Bestandteil der Wohnung ist. Ansonsten wird die Stiftung die Küche ablösen und diese kann in der Wohnung verbleiben, für einen Nachmieter.“

Gabi schaute mich ungläubig an und antwortete: „Peter, sicher habe ich nicht alles erzählt, was mir Bettina geschildert hat. Ich habe wegen der Kids sämtliche grausamen Details unterschlagen. All das wirst du vermutlich in einem der Ordner finden. Ich bin überzeugt davon, da sie mir die Unterlagen und Dokumente sogar einmal gezeigt hat. Dort kannst du sicher auch die grausamen Details nachlesen.

Da ich noch einen Schlüssel für die Wohnung habe und ihn dem Anschein nach nicht sofort abgeben soll, bin ich gern bereit, euch dabei zu unterstützen. Könntet ihr Kleidersäcke besorgen, in die ich die noch verwertbare Kleidung verpacken kann?“

Noah kam in die Küche und meinte: „Peter, ich glaube wir sind fündig geworden. Im Schrank im Wohnzimmer stehen eine Reihe von Ordner und diverse Fotoalben. Diese sollten wir uns gemeinsam näher ansehen.“

Ich wollte gerade antworten, als Stephan und Raphael in die Küche stürmten und erklärten, dass sie mit den Fotos der Möbel fertig seien. Ich sagte: „Bevor wir uns auf die von Noah gefundenen Unterlagen stürzen, habe ich eine Bitte an euch Jungs. Könntet ihr bitte aus dem Auto die Umzugskarton holen, die wir mitgebracht haben?“

Die Jungs grinsten, als ich ihnen die Autoschlüssel übergab, was mich ergänzen ließ: „Ich hoffe, ihr treibt keinen Blödsinn. Wir brauchen die Kartons, um Verschiedenes einzupacken und mitzunehmen. Unter anderem dürfen Stephan, Raphael und Christine in der Küche die Lebensmittel in eine Kiste und Einkaufstaschen einpacken, die ihr verbrauchen könnt. Eine weitere Kiste ist für Christinas Kleidung bestimmt, die wir heute bereits mitnehmen werden. In die restlichen Kisten verpacken wir die Dokumente und die persönlichen Sachen von Christina.“

Während die Jungs nach unten stürmten, ging ich mit Gabi bereits ins Wohnzimmer, wo wir auf Christina stießen, die bereits angefangen hatte, die Ordner und Fotoalben aus dem Schrank zu holen und auf dem Wohnzimmertisch abzulegen. Als wir eintraten, erklärte sie: „Peter, ich habe im Kleiderschrank im Schlafzimmer einen einzigen Ordner gefunden der, wie du schon angedeutet hattest, im untersten Fach hinter Handtüchern versteckt war. Den habe ich bereits zu den anderen Ordnern am Tisch gestellt.

Die Fotoalben kenne ich auch nur teilweise. Vor allem jene, in denen die Fotos von mir eingeklebt sind. Es gibt mindestens zwei oder drei Fotoalben mit älteren, teilweise noch schwarzweißen Fotos. Das müssen vermutlich Bilder von meinen Großeltern und meiner Mutter sein, als sie noch etwas jünger war.“

Ich erklärte Christina: „Wenn die Jungs gleich mit den Umzugskisten nach oben kommen, schnappst du dir Raphael und eine Kiste und gehst mit ihm in die Küche. Ihr holt aus den Vorratsschränken die Lebensmittel, die ihr nach Rosenheim mitnehmen wollt, um sie dort zu verbrauchen. Falls ihr einen Einkaufskorb oder Einkaufstaschen habt, könnt ihr die auch mit den Lebensmitteln vollmachen.

Anschließend geht ihr beide in dein Zimmer und packt die Sachen in ein oder zwei Umzugskisten, die ihr sofort mitnehmen wollt. Weil wir gerade hier sind. Gibt es im Wohnzimmer Dinge, die du nach Rosenheim mitnehmen willst? Du musst nicht sofort eine Entscheidung treffen. Erst bis zur Räumung der Wohnung solltest du dich entscheiden, was du als Erinnerungsstücke mitnehmen willst.“

Christina grinst und meinte: „Den Fernseher würde ich auf alle Fälle mitnehmen und in mein Zimmer stellen wollen. Ich werde das aber mit Marion und Jens vorher abklären.“

Die drei Jungs kamen mit den Umzugskisten und Christina erklärte ihren zukünftigen Adoptivbrüdern, dass sie mit ihr und einer Umzugskiste in die Küche mitkommen und dabei helfen sollten, noch brauchbare Lebensmittel in die Kiste und in Einkaufstaschen einzupacken. Noah fragte: „Christina, kann ich auch mitkommen? Vielleicht ist etwas dabei, was ihr nicht nehmen wollt, aber ich in meiner Küche gebrauchen könnte. Wäre schade, wenn es am Ende weggeworfen wird.“

Ich meinte: „Noah, ich denke, die Drei sollen das allein erledigen. Wenn sie alles angeschaut und sich entschieden haben, kannst du anschließend deine Entscheidungen treffen, was du von den übrig gebliebenen Sachen bei dir verwenden willst. Das gleich gilt auch für die Küchengeräte oder Dekoartikel, die bei dir und Simon gebraucht werden können. Aber immer erst, nachdem Christina für sich eine Entscheidung getroffen hat.

Jetzt du hilfst mir und Gabi, die Dokumente und Unterlagen zu sichten, die wir mitnehmen. Zuhause könntest du die Unterlagen digitalisieren und in einer digitalen Akte Bettina Binder Nachlassverwaltung hinterlegen, damit ich jederzeit auf alle Unterlagen zurückgreifen kann. Ich hoffe, Bernhard hat dich schon in die Verwaltung der Dokumente eingearbeitet.“

Während ich das Noah erklärte, hatten sich unsere drei Jüngsten in Richtung Küche verabschiedet. Noah meinte: „Klar kenne ich mich mit der Dokumentenverwaltung aus. Soll ich die Dokumente von Christinas Mutter gleich am Wochenende digitalisieren und dir bereitstellen? Zeit hätte ich genügend. Ich habe nichts vor an diesem Wochenende, außer abends mit Simon zu telefonieren.“

Ich meinte: „Du würdest mir zumindest sehr helfen damit, deshalb sollten wir uns heute Abend kurz zusammensetzen. Ich möchte mir die Dokumente vorher anschauen und entscheiden, welche die Wichtigsten sind und die als zuerst gescannt werden sollen. Dir ist schon klar, dass du vor dem Einscannen der Unterlagen Etiketten benötigst, die dir Bernhard erstellen muss.“

Er lachte und erwiderte: „Das glaube ich nicht, dass ich dazu Bernhard brauche. Als er vor einigen Tagen für mich eine eigene Datenbank in der Dokumentenverwaltung einrichtete, haben wir das gemeinsam gemacht. Genaugenommen, Bernhard hat mir alle wichtigen Vorarbeiten erklärt und zugeschaut, wie ich das abgearbeitet und die Dokumentenaufkleber für mich und Simon erstellt habe. Ich muss nur eine neue Beleggruppe für Bettina Binder einrichten, auf die nur du und Christina Zugriff erhalten sollen.“

Nach kurzem Nachdenken äußerte ich: „Noah, wenn du dich so perfekt auskennst und an diesem Wochenende nichts Besonderes vorhast, würde ich mich freuen, wenn du die Dokumente einscannen könntest. Denk aber bitte daran, dass du morgen deinen Wocheneinkauf vorher erledigen solltest.

Es wäre auch gut, wenn du die am Wochenende geplanten Arbeiten in deiner Wohnung vorher erledigt hättest. Ich will nicht von Dieter dafür verantwortlich gemacht werden, weil du deinen häuslichen Aufgaben nicht nachgekommen bist oder du zu wenig isst. Sind wir da einer Meinung?“

Noah grinst und antwortete: „Peter, keine Sorge. Ich werde alle Aufgaben vorher sorgfältig erledigen und erst danach werde ich mich mit den Dokumenten der Familie Binder beschäftigen. So, ich geh jetzt zu den Kids und helfe ihnen beim Einpacken. Vielleicht haben sie bereits Lebensmittel aussortiert, die ich mir anschauen und entscheiden kann, ob ich sie verbrauchen will.“

Er stand auf und ging zu den Kids in die Küche. Gabi schaute mich fragend an, so dass ich erklärte: „Gabi, ich ahne, warum du mich so fragend anschaust. Es geht um die Umgangsformen, die ich bei Noah zeige. Dazu sollte ich dir einiges erklären. Noah ist sein ganzes Leben lang eingestuft worden, dass er am Asperger-Syndrom leidet, einer leichteren Form von Autismus. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er bei seinen Eltern.

Bis vor einigen Wochen lebte er in einer betreuten Wohngruppe. Er wurde uns als Mitarbeiter für die Softwareprogrammierung angeboten. Seit er bei uns arbeitet, hat er sich nicht mehr in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Ich habe ihm angeboten, im Gutshofgelände in eine kleine Wohnung einzuziehen, damit er nicht jeden Morgen gebracht und abends wieder abgeholt werden muss.

Wir haben uns mit seinem Betreuer darauf geeinigt, dass wir in der Übergangsphase darauf achten und dass wir ihn beim selbstständig werden, unterstützen. Sollte der Versuch schief gehen, würde das in der Konsequenz nur bedeuten, dass Noah wieder ins betreute Wohnen zurückgehen muss. Ich bin so optimistisch, dass er trotz seiner Behinderung den Weg in ein selbstbestimmtes Leben gehen wird.“

Gabi antwortete: „Ich denke, ich habe jetzt verstanden, warum du so fürsorglich mit Noah umgehst. Ich hätte nie gedacht, dass Noah auf eine gewisse Weise behindert sein könnte. Er hat auf mich von Anfang an einen normalen Eindruck gemacht. Was mir aber jetzt auffällt, die Kids gehen ganz unbefangen mit Noah um, als würden sie seine Vorgeschichte nicht kennen.“

Ich grinste und erwiderte: „Stephan und Raphael wissen, dass Noah und sein Freund Simon, der im Sommer bei ihm einziehen wird, als behindert eingestuft sind. Was sie aber nicht davon abhält, ihnen beim Aufbau ihrer Wohnungseinrichtung zu helfen. Simon tritt im September seine Ausbildung zum Programmierer in unserer IT an, aktuell hat er seine Schullaufbahn noch nicht vollständig abgeschlossen.

Ich denke, wir sollten mit dem Plaudern aufhören und langsam die aufgefundenen Ordner mit den Dokumenten in eine oder zwei Kisten einzupacken. Am sichersten wäre, eine Kiste für die Fotoalben, in einer weiteren Kiste die sonstigen Dokumente, sonst werden die Kisten zu schwer zum Schleppen. Vor allem können die Fotoalben direkt zu Christina gehen und brauchen nicht in die die IT oder ins Büro geschleppt werde, da sie nicht zwangsläufig digitalisiert werden.“

In der einen Kiste standen am Ende sieben Fotoalben. In der zweiten Kiste waren es zumindest vier Ordner mit Dokumenten, die wir heute mitnehmen würden. Ich erklärte: „Ich werde mal nach meinen Mitreisenden sehen, wie weit sie in der in der Zwischenzeit mit ihren Aufgaben gekommen sind.“

In der Küche fand ich nur die beiden Jungs von Marion. Als ich sie fragte, wie weit sie mit den Lebensmitteln gekommen seien, erklärte Stephan: „Wir haben inzwischen fast zwei Kisten eingepackt mit all den Lebensmitteln, die bei uns auch verwendet werden. Zudem haben wir nur das eingepackt, wo das Ablaufdatum schon kurz ist. Den Rest werden wir erst beim nächsten Mal mitnehmen. Ich hoffe, dass wir da richtig entschieden haben.“

Ich antwortete: „Gute Entscheidung, da wir dafür zu wenig Umzugskartons mitgebracht haben. Ihr solltet so langsam fertig werden, da wir alles noch einladen und nach Hause fahren wollen. Könnt ihr mir sagen, wo Noah und Christina abgeblieben sind?“

Raphael meinte, dass die beiden vermutlich in Christinas Zimmer oder im Schlafzimmer zu finden seien. Im Flur traf ich auf Gabi, die mich auf meiner weiteren Suche begleitete. Fündig wurden im Kinderzimmer, wo bereits zwei weitere gefüllte Umzugskartons standen.

Christina erklärte: „Peter, wir haben zu wenig Umzugskartons mitgenommen. Meine restliche Bekleidung, die noch hier ist, bringen wir nicht in den Kartons unter, die noch nicht gefüllt sind.“

Ich schaute Christina an und erklärte: „Kein Problem, vermutlich werden wir morgen mit noch mehr Leuten hierher kommen. Dann werden wir deine restlichen Sachen einpacken und mitnehmen. Deine beiden Adoptivbrüder haben in der Küche bereits zwei Kartons mit Lebensmittel vorbereitet, die wir mitnehmen können. Sie haben bereits alles eingepackt, das bei ihnen auch verwendet wird und nur noch eine kurze Restlaufzeit aufweist.

Ich schaute zu Noah und fragte: „Wie fühlst du dich in einer für dich fremden Umgebung? Gut, ich bin mit dabei, aber du befindest dich nicht in einer dir bekannten und gewohnten Umgebung.“

Noah grinste und erklärte: „Peter, so lange du nur in der Nähe bist reicht das aus, mich sicher zu fühlen. Auf der anderen Seite, Christina, Stephan und Raphael akzeptieren mich so wie ich bin und allein das gibt mir bereits sehr viel Halt. Seit du mich damals mit ins Allgäu mitgenommen hast, hat sich einiges geändert für mich. Ich bin insgesamt sicherer geworden, weil mein Umfeld hinter mir steht und nicht einen behinderten oder kranken Menschen in mir sieht.“

Christina schaute ihn an und sagte: „Wer behauptet, dass du behindert bist? Du hast bei mir bisher nicht den Eindruck hinterlassen, dass du behindert sein könntest. Du bist doch intelligent, sonst würdest du sicher nicht mit Bernhard in der Software-Entwicklung arbeiten?“

Noah erklärte: „Christina, offiziell gelte ich als Behinderter und bis vor etwa zwei Monaten war ich es auch. Ich leide am Asperger-Syndrom, einer etwas leichteren Form von Autismus. Normalerweise bin ich bisher immer sehr in mich gekehrt durchs Leben gelaufen, was sich daran zeigte, dass ich nur schwer ansprechbar war.

Seit ich in Peters Büro zum Vorstellungsgespräch gewesen bin, hat sich vieles in meinem Leben geändert. Peter, aber auch Bernhard, besitzen eine Begabung, die mich aus meinem Schneckenhaus herauslockt. Dasselbe geschah mit Simon, den du noch nicht kennengelernt hast, weil er noch zur Schule geht und deshalb bis zum Sommer wieder bei seinen Eltern in Landsberg ist. Er wird ab Herbst ebenfalls eine Ausbildung zum Programmierer in der Gutshof-IT durchlaufen.

Wenn nur einer der beiden, Peter oder Bernhard, in unserer Nähe ist, ist es fast unmöglich sich, in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Dabei bin ich sogar froh darüber, dass ich mich so frei fühlen kann wie nie vorher in meinem Leben. Selbst bei Simon gibt es derzeit keine Anzeichen, dass er rückfällig wird. Immerhin haben wir jeden Abend einen Video-Call und der reicht aus, um bei Simon das Zurückziehen ins Schneckenhaus zu verhindern.“

Ich wollte noch etwas dazu erklären, aber Christina war schneller: „Peter, jetzt verstehe ich, warum es mir in deiner Nähe leichter fällt, über den Tod meiner Mutter so ohne größere Probleme hinwegzukommen. Scheinbar beeinflusst du nicht nur Simon und Noah, sondern dein Einfluss macht sich auch bei mir positiv bemerkbar.“

Noah grinste und meinte: „Das glaube ich weniger. Denn dann würde ich im Unterbewusstsein spüren, das zwischen dir und Peter eine derartige Verbindung bestehen würde. Eine besondere Beziehung zu Peter halte ich eher für wahrscheinlich, da er derjenige war, der dir vermutlich ziemlich schonend beigebracht hat, dass deine Mutter verunglückt ist und nicht mehr lebt. Er hat dich in den Arm genommen und dich festgehalten, als dein Schmerz am größten war.“

Ich griff ein und sagte: „Spart euch eure Mutmaßungen. Das hilft uns nicht weiter. Ich denke einfach, dass wir ein gutes Verhältnis zueinander haben und wir gemeinsam entscheiden, wie es auf deinem weiteren Lebensweg weitergehen soll. Klar entsteht dadurch so etwas wie eine Verbindung, auch deswegen, weil ich in dir kein Kleinkind sehe, sondern eine junge Frau.

Wenn ihr mit dem Einpacken so weit seid, sollten wir die Kisten ins Auto einladen und zurück nach Rosenheim düsen. Ich muss definitiv noch den Transporter für morgen reservieren, damit wir deine Jugendzimmermöbel abholen können. Gleichzeitig sollten wir alles, was nach Rosenheim gehen soll, morgen bereits einpacken und so viel wie möglich auch mitnehmen.“

Noah fragte: „Peter, wie weit sind die beiden Jungs mit den Lebensmitteln? Kann ich schon schauen, was ich gebrauchen kann?“

Ich lachte und antwortete: „Ich hoffe, du bist nicht allzu sehr enttäuscht, denn die Jungs haben bereits reichlich eingepackt, was in Christinas neuer Familie Verwendung findet. Schau einfach zu den beiden in die Küche und sprich mit ihnen.“

Nachdem Noah das Schlafzimmer verlassen hatte, sagte Gabi: „Peter, habe ich das jetzt richtig verstanden, dass ihr morgen bereits wiederkommt und nicht nur Christinas Kinderzimmer mitnehmen wollt, sondern am besten alles, was dauerhaft nach Rosenheim gehen soll. Ist das nicht alles ein bisschen arg kurzfristig?“

Ich schaute Gabriele an und erklärte: „Dass die Aktion sehr kurzfristig geplant ist, kann ich dir bestätigen. Ich bin überzeugt davon, dass wir das sicher problemlos über die Bühne bringen können. Wichtiger für mich ist eher die Tatsache, dass damit in einem frühen Stadium bereits feststeht, was vermutlich endgültig entsorgt werden kann und für die vollständige Räumung der Wohnung kann ich entsprechende Aufträge erteilen.

Ich werde nicht die sofortige Räumung anstreben, den vorher möchte ich zumindest eruieren, ob für Teile der Möbel Interesse besteht. Erst wenn erkennbar wird, dass keinerlei Interesse an den angebotenen Möbelteilen besteht, wird alles was übrig ist, entsorgt.“

Ich ging mit Gabi zurück in die Küche und erklärte Stephan: „Hier habe ich den Schlüssel für unser Auto. Könnt ihr jetzt alle gepackten Kisten bereits ins Auto bringen und einladen. Noah, hilfst du den Jungs oder bist du noch beim checken der Lebensmittel, die du zu dir mit nach Hause mitnehmen willst?“

Noah grinste und erklärte: „Viel Auswahl haben mir die Jungs nicht übriggelassen. Die meisten Dinge haben sie gleich bei sich eingepackt. Was passiert mit den Maschinen und Küchenkleingeräten? Das eine oder andere habe ich nicht in meinem Bestand, würde mir gefallen und kann ich sicher irgendwann gebrauchen. Teilweise habe ich sie zwischenzeitlich in den beiden anderen Haushalten über der IT kennengelernt.“

Ich erklärte: „Noah, wenn du die Sachen gebrauchen kannst, darfst du sie gern mitnehmen. Ich will nur hoffen, dass du nur das mitnimmst, wobei du dir sicher bist, dass du es zukünftig öfter benutzen wirst. Alternativ besteht die Möglichkeit, es mitzunehmen und allen anderen Mitbewohnern des Gutshofes anzubieten. Vielleicht kann der eine oder andere von den Neuzugängen der letzten Wochen die Geräte brauchen.“

Bevor Noah darauf reagieren konnte, meinte Raphael: „Noah, komm in die Gänge, wir bringen schon einmal die vollen Umzugskisten aus dem Schlafzimmer, dem Wohnzimmer und von Christinas Zimmer hinunter zum Auto und laden sie ein. Quatschen und deine Fragen klären kannst du mit Peter auch noch während der Rückfahrt nach Rosenheim.“

Noah schloss sich den beiden Jungs an und wieder war ich mit Gabi allein, diesmal in der Küche. „Peter, hätte ich Christina auch adoptieren können, da ich mir durchaus vorstellen kann, dass ich mich mit ihr sehr gut verstanden hätte?“

Ich dachte kurz nach und antwortete: „In der Theorie hätte es diese Möglichkeit geben können. Da aber Bettina bestimmt hatte, dass Christina in diesem Fall bei einer Familie unterzubringen ist, die im Gutshof lebt, wäre es nur möglich gewesen, wenn du nach Rosenheim umziehen würdest.

Aktuell gibt es am Gutshof nur zwei Familien, die für eine Adoption von Christina in Frage kommen würde. Das sind zum einen die Eltern von Stephan und Raphael und ansonsten gibt es noch Thomas mit meiner Wenigkeit. Erst ab Herbst, wenn die neuen Wohnungen fertiggestellt werden, kann es weitere Familien geben, die ein Kind adoptieren könnten.

Größere Chancen hätten noch ihre ehemaligen Arbeitskollegen, die im Spätsommer in die neuen Wohnungen einziehen werden, denn sie würden spätestens im Herbst am Gutshof wohnen, so wie es auch von Bettina geplant war. Ich kann dir aber nicht einmal sagen, welche Familien dafür in Frage kommen könnten.

Auf der anderen Seite: Stephan, Raphael und ihre Eltern haben Christina von Anfang an in ihr Herz geschlossen. ich bin überzeugt, dass sie die richtige Familie für sie sind. Auch Bettina hat sich für Familie Habermüller entschieden, als es darum ging, wo Christina während ihres Krankenhausaufenthalts und den nachfolgenden Rehabilitationsmaßnahmen untergebracht wird.“

Inzwischen war Noah mit den drei Kids wieder in der Wohnung angekommen und erklärte: „Peter, wenn du gleich mit uns nach unten kommst, können wir direkt losfahren. Bis auf letzten beiden Umzugskisten haben wir alles ins Auto eingeladen.“

Wir verabschiedeten uns von Gabi bis morgen. Wobei Noah sofort richtigstellte, dass er morgen nicht dabei sein werde, weil er morgens zum Einkaufen gehen will und im Anschluss daran im Büro die Dokumente von Bettina und Christina digitalisieren will. Christina verließ zuletzt die Wohnung und verschloss die Wohnungstür.

Sie sagte zu ihrer Nachbarin: „Gabi, wir sehen uns morgen. Vielleicht weißt du bis dahin, ob du am Freitag zu Beerdigung von Mama kommen willst. Wenn du zu Samstag übernachten willst, finden wir sicher eine Möglichkeit, wo du günstig unterkommen kannst. Peter, kann Gabi im Jugendhotel oder Seminarhotel übernachten?“

Raphael meinte dazu: „Das hängt ganz davon ab, wie ausgebucht das Jugendhotel von Freitag bis Sonntag mit jugendlichen Seminargästen ist. An manchen Wochenenden ist das Haus fast einhundert prozentig ausgelastet und unter der Woche sind fast immer ein oder zwei Schulklassen im Haus. Während der Schulferien, mit Ausnahme der Sommerferien, kommen inzwischen vor allem Heimkinder, die bei uns Urlaub machen. In den letzten Weihnachtsferien waren zwei Gruppen aus einem Münchner Kinderheim bei uns.“

Ich bestätigte Gabi, dass die Möglichkeit besteht, dass sie am Freitag nach der Beerdigung nicht sofort nach München zurückfahren müsse und sie in einem der beiden Hotels für ein oder zwei Nächte bleiben könne. Christina meinte noch, dass sie dabei die Gelegenheit hätte, Ihre zukünftigen Adoptiveltern kennenzulernen und wo und wie sie untergebracht ist.

Sie schaute uns an und sagt mehr oder weniger spontan: „Wenn ihr mir so ein attraktives Angebot unterbreitet kann ich schlecht erklären, dass ich nicht an der Beerdigung teilnehmen will. Ich komme am Freitag mit meinem kleinen Polo und bleibe bis zum Sonntag. Dabei freue ich mich schon darauf, deine zukünftigen Adoptiveltern kennen zu lernen. Mit deinen beiden Brüdern hatte ich ja heute schon das Vergnügen.“

Stephan meinte: „Gabi, wenn du Interesse daran hast, können wir eine Führung durch den Gutshof und die beiden Gärtnereien organisieren. Christina wird mit dabei sein, für sie war an diesem Wochenende eine Führung geplant, die jetzt verschoben wurde wegen des Todesfalls. Vielleicht haben Peters Adoptivsöhne, David und Tobias, Zeit und kommen mit zur Führung, dass wird eine Riesengaudi.“

Da Gabi mich fragend anschaute, erklärte ich: „Stephan übertreibt wieder einmal maßlos, was meine beiden Adoptivsöhne angeht. Nur kurz zu deiner Information. Ich habe insgesamt vier Kinder. Zu den beiden Adoptivsöhnen kommen aus meiner Ehe mit meiner verstorbenen Frau Gabriele eine Tochter und ein Sohn. Bei meiner Tochter gibt es bereits zwei Enkelkinder. Ich lebe inzwischen seit rund achtzehn Jahren mit einem Mann zusammen, nachdem mir und unseren beiden Kindern, die Partnerin und Mutter durch Brustkrebs genommen wurde.

Thomas hatte sich so nach und nach in den Herzen von mir und meinen beiden Kindern eingenistet. David und Tobias kamen letztes Jahr als Pflegekinder zu uns und Ende November haben wir die beiden Jungs adoptiert. Beide lebten zuletzt in einem Münchner Kinderheim. David, weil er von seinen Erzeugern vor die Tür gesetzt wurde, als er sich als schwuler Sohn outete.

Tobias hatte sich im Kinderheim in David verknallt und als dieser zu uns nach Rosenheim kam, erklärte er gegenüber seinen Betreuern, dass er sich aus dem Kinderheim absetzen will, um seinen David zu suchen. Wir wurden angefragt, ob wir Tobias ebenfalls als Pflegekind aufnehmen würden, bevor Tobias möglicherweise auf eine schiefe Bahn geraten könne. Logisch, dass wir Tobias bei uns aufgenommen haben.

Gabi, wenn du Fragen zu diesem Thema haben solltest, sollten wir diese auf nächstes Wochenende vertagen. Sonst sitzen wir morgen früh noch hier, um dir alles zu erklären. Ich denke auch, wir sollten unverzüglich ins Auto verschwinden und uns für heute auf den Heimweg zu machen, bevor irgendwer in Rosenheim nervös wird.“

Fünf Minuten später saßen wir alle im Galaxy, nachdem die beiden letzten Umzugskartons eingeladen waren. Christina hatte sich hinten zu ihren beiden Brüdern gesetzt und Noah hatte wieder auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Ich bekam mit, dass auf der Hinterbank über den großen Fernseher aus der Wohnung der Familie Binder diskutiert wurde. Stephan meinte, dass er viel zu groß für Christinas Kinderzimmer sei und der Fernseher besser im Wohnzimmer aufgehoben wäre.

Unser Fernseher im Wohnzimmer sei nicht so groß und würde besser in Christinas Zimmer passen. Raphael erklärte den beiden, dass sie das am besten zusammen mit ihren Eltern abklären sollten. Noah mischte sich ein und fragte: „Christina, kannst du dir vorstellen, dass du mir den großen Fernseher verkaufst und dir von dem Geld einen kleineren, in dein Zimmer passenden, neuen Fernseher, besorgst?“

Christina erklärte: „Noah, darüber können wir gern reden, wenn Marion und Jens den großen Fernseher nicht im Wohnzimmer haben wollen. Dass der Fernseher für mein Kinderzimmer viel zu groß ist, war mir von Anfang an bewusst. Ich wollte nur nicht, dass der fast neue Fernseher entsorgt wird. Dafür ist er dann doch zu schade.“

Noah antwortete: „Okay Christina, abgemacht, wenn der Fernseher bei euch nicht ins Wohnzimmer darf, übernehme ich ihn und er darf sich in meinem Wohnzimmer breitmachen. Über den Preis werden wir uns sicher einigen. Ich gehe davon aus, dass in den Dokumenten die Rechnung abgelegt ist. Peter, ansonsten bitte ich dich, mit mir einen Fernseher für Simons und mein Wohnzimmer zu kaufen, eventuell auch erst in den Osterferien, wenn Simon beim Einkauf mit dabei sein möchte. Das kann ich heute Abend, während unserer Telefonkonferenz, mit ihm abklären.“

Da sich danach nur noch Christina und die beiden Brüder Stephan und Raphael miteinander unterhielten, ohne dass Noah oder ich angesprochen wurden, meinte Noah nach einigen Minuten: „Peter, ich habe im Wohnzimmer gesehen, dass der Fernseher auf einem passenden Fernsehboard steht. Das würde hervorragend in unser Wohnzimmer und zu unser Einrichtung passen.

Ich würde das auch ohne den Fernseher gebrauchen können. Ich habe Simon vorher noch ein Foto geschickt und ihn gefragt, ob ich das Sideboard und den Fernseher für unsere Wohnung kaufen darf. Wo oder bei wem kann ich mein Interesse daran anmelden? Simon hat mir per Whatsapp seine Zustimmung erteilt.“

Ich erklärte: „Für den Fernseher hast du mit Christina ein Agreement. Wenn er nicht ins Wohnzimmer bei Familie Habermüller soll, darf er sich in deinem Wohnzimmer breit machen. Da das Sideboard bisher nicht zur Diskussion stand und entweder entsorgt oder anderweitig verwertet werden soll, können wir dir das morgen mitbringen, wenn wir wieder in München in der Wohnung sind. Geht das für dich so in Ordnung?“

„Peter, das ist genial, wenn ihr mir morgen bereits das Sideboard für unser Wohnzimmer mitbringt. Damit haben wir zumindest schon einen Platz für unseren Fernseher, egal ob den von Christina oder den, den Simon und ich uns kaufen werden. Ich hoffe nur, dass das Sideboard nicht zu schwer ist, damit wir es ohne Probleme nach oben in unsere Wohnung bringen können.“

Christina sagte aus Hintergrund: „Noah, schade, dass du nur das Sideboard für den Fernseher brauchen kannst. Vielleicht gefällte dir oder Simon noch das eine oder andere aus der Wohnung. Wenn du noch Geschirr, Küchenkleingeräte oder Küchenutensilien brauchen solltest, einfach überlegen, was dir fehlt. Wenn wir so etwas bei uns haben, würde ich es an dich abgeben.

Stephan hat mir vorher erzählt, dass du erst seit kurzer Zeit im Gutshof wohnst. Ich denke, da wird dir und Simon sicher noch so einiges fehlen, was erst so nach und nach auffällt, wenn man es plötzlich braucht. Hast du einen eigenen Kaffeevollautomaten?“

Noah grinste und sagte: „So einen Luxus habe ich nicht. Ich habe nur eine Maschine für Kaffeepads. Solang ich noch allein bin, reicht das für mich locker aus. Den meisten Kaffee trinke ich sowieso unter der Woche im Büro. Welchen Kaffeevollautomaten hat deine Mama sich geleistet und wie war sie mit ihm zufrieden? Vielleicht kannst du mich doch überzeugen, dass ich meinen Kaffee zukünftig damit zubereite.“

Christina meinte: „Mama war mit der Kaffeemaschine von De Longhi sehr zufrieden. Ich aber auch, vor allem, weil ich mir nur heiße Milch für meine Schokomilch damit ausgeben konnte. Ich fand das sehr praktisch, mir morgens schnell eine Tasse heißer Milch aus dem Kaffeevollautomaten zu holen und das Schokomilchpulver einzurühren. Vielleicht möchten Simon oder du hin und wieder statt Kaffee lieber eine Trinkschokolade zum Frühstück genießen.“

Noah schaute mich an und sagte: „Peter, hast du etwas dagegen einzuwenden, wenn ich das Angebot von Christina annehme und den Kaffeevollautomaten in meine Küche hole?“

Ich antwortete: „Noah, du bist alt genug solche Entscheidungen allein zu treffen. Ich verstehe dein Problem, warum du mich fragst, wie ich dazu stehe. Du bist es bisher nicht gewohnt, grundsätzlich eigene Entscheidungen zu treffen, weil dir immer irgendeiner die Entscheidung abgenommen hat. Früher waren es deine Eltern, zuletzt waren es die Betreuer im betreuten Wohnen.

Du allein triffst für dich alle wichtigen Entscheidungen. Was ich dir anbieten kann, mit dir über das für und wider zu diskutieren, um dir bei deinen Entscheidungen eine kleine Hilfestellung zu geben. Wenn Simon endgültig hier bei dir lebt, muss auch er lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Bei eurem Zusammenleben gibt es Entscheidungen, die ihr dann beide gemeinsam treffen müsst.

Thomas und mir geht es dabei auch nicht anders, ich muss in manchen Fällen für mich persönliche Entscheidungen treffen. Als wir David und Tobias adoptiert haben, haben Thomas und ich gemeinschaftlich entschieden, wobei in diesem Fall zusätzlich meine beiden Kinder mit in die Entscheidung eingebunden wurden. Das war notwendig, weil adoptierte Kinder wie eigene Kinder betrachtet werden und David und Tobias damit nach meinem und Thomas Tod erbberechtigt sind.“

Bevor Noah etwas sagen konnte, sprach Christina: „Peter, bedeutet das für mich, dass ich nach dem Tod von Jens und Marion, ebenfalls mit Stephan und Raphael zusammen als erbberechtigt gelte. Wenn ich das nicht will, kann ich da nichts dagegen unternehmen?“

Ich fing zu lachen an und antwortete: „Die gleiche Diskussion habe ich mit David und Tobias damals auch geführt. Sie wollten meinen beiden leiblichen Kinder nicht ihr Erbe wegnehmen. Philipp meinte damals, soviel könnten sie ihnen nicht wegnehmen, da inzwischen der größere Anteil der Immobilien über die Stiftung läuft und zum Verteilen auf mögliche Erben nicht mehr zur Verfügung stehen.

Außerdem würde sie im Erbfall keiner daran hindern, das Erbteil in die Stiftung einzubringen. Er würde seinen Erbanteil auf alle Fälle in die Stiftung einbringen, da er als Schwuler nie leibliche Kinder haben wird. Nachkömmlinge werden immer einen Arbeitsplatz in einer der Firmen bekommen, die zum Vermögen der Stiftung Sonneneck gehören, betonte er damals noch.

Wenn Thomas und ich dich adoptieren würden, hättest du ein weitaus größeres Problem damit als bei Marion und Jens. In diesem Fall würde ein Teil des Gutshofes und den bisher dort verbliebenen Immobilien an dich gehen. Aus der Nummer kämst du als adoptiertes Kind nur heraus, wenn du deinen Erbanteil an die Stiftung Sonneneck oder eine andere Stiftung abgibst.“

Diesmal war Noah schneller, als er frech meinte: „Peter, ich würde mich gern von dir und Thomas adoptieren lassen. Leider bin ich schon zu alt, um noch adoptiert zu werden. Meine Eltern haben mich ins betreute Wohnen abgeschoben und ich habe keinen blassen Schimmer, warum sie das getan habe. Ich könnte mir dich und Thomas sehr gut als meine beiden Väter vorstellen, denn wegen dir und Bernhard geht es mir heute erheblich besser da ihr es geschafft habt, mich aus meinem Einsiedlerdasein herauszuholen.“

Ich erwiderte: „Noah, es kann so viele verschiedenen Gründe haben, warum dich deine Eltern im betreuten Wohnen untergebracht haben. Sicher nicht deswegen, weil sie dich nicht mehr lieben. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sie sich davon erhofft haben, dass du dort besser gefördert werden könntest, als es ihnen möglich ist. Du hattest immerhin zu diesem Zeitpunkt deinen Job verloren. Vielleicht dachten sie, dass du dort größere Chancen hättest, schneller einen neuen Job zu bekommen.

Hast du seit deinem Umzug ins betreute Wohnen schon einmal Kontakt mit deinen Eltern aufgenommen? Vielleicht solltest du sie einfach anrufen und sie einladen, dich in deiner Wohnung im Gutshof zu besuchen. Am besten, wenn Simon in den Osterferien bei dir ist. Wobei du dazu auch Simons Eltern einladen solltest, damit sie erfahren, dass du mit Simon dauerhaft zusammenleben willst.

Du brauchst mir jetzt nicht erzählen, deine Eltern hätten dich anrufen können. Überlege dir einfach, als du bei ihnen gelebt hast bis zu deinem Auszug, hast du die meiste Zeit in deinem Schneckenhaus verbracht und deine Eltern kennen dich nur so. Sie haben keine Ahnung, dass du inzwischen ein freieres und offeneres Leben führen kannst. Außerdem haben sie höchstens die Nummer vom betreuten Wohnen oder hast du ihnen eine deiner beiden Rufnummern übermittelt?

Stell dir vor, deine Mutter oder dein Vater würden im betreuten Wohnen anrufen und sie erfahren dabei, dass du nicht mehr dort leben würdest und sie ihnen auch keine Auskunft geben können oder dürfen, wo jetzt wohnst. Das könnte ein weitaus größerer Schock für sie sein. Ich an deiner Stelle würde sie anrufen und einladen, mich zu besuchen. Sollten sie kein Interesse zeigen, kannst du immer noch deine Konsequenzen daraus ziehen.“

Mir war sofort aufgefallen, dass es bei den Hinterbänklern ruhig geworden war und sie nur noch dem Zwiegespräch zwischen Noah und mir lauschten. Da Noah vermutlich über meinen Vortrag nachdachte, blieb es lang Zeit ruhig im Auto bis Raphael anbot: „Noah, wenn du deine Eltern auf Besuch einlädst, können wir dich dabei irgendwie unterstützen. Auf uns drei kannst du dich verlassen. Immerhin gehören wir alle zur großen Gutshoffamilie.“

Noah kicherte und ließ sich zu einer spaßigen Reaktion hinreißen: „Soll ich euch meinen Eltern als meine Kinder oder noch besser als meine Geschwister in der Gutshoffamilie vorstellen?“

Dieser Satz löste bei meinen drei jüngeren Mitreisenden auf der Rückbank einen unerwarteten Heiterkeitsausbruch aus, den Christina mit folgender Aussage krönte: „Vielleicht kannst du behaupten, dass du unser Onkel bist, wäre doch ebenfalls eine gute Idee. Von deinem Alter her könntest du sowohl ein großer Bruder sein, aber eben auch ein Onkel sein. Einen großen Bruder oder einen Onkel hatte ich in meinem bisherigen Leben noch nicht. Wäre zur Abwechslung einmal etwas anderes. Spaß beiseite, ich kann dir nur empfehlen, dass du deine Eltern auf den Gutshof einladen sollst. Allein schon deshalb, um ihnen zu zeigen, wie du dich seit dem Auszug von deinem Zuhause positiv verändert hast.

Ich kenne dich erst seit wenigen Tagen und habe dich nur in diesem offenen Zustand kennengelernt. Peter sagt doch selbst, dass du dich in den letzten Wochen, seit du für die IT der Gutshofgruppe arbeitest, fortlaufend zu deinem Besten verändert hast. Zeige ihnen, was sie in den letzten Wochen oder Monaten verpasst haben.

Ich fühlte mich durch Christinas Ansage angesprochen und ergänzte: „Noah, ich verstehe deine möglichen Bedenken, warum du deine Eltern nicht zu dir in die neue Wohnung einladen willst. Deine Eltern haben keinen Anspruch darauf, dich wieder mit zu sich nach Hause mitzunehmen. Du bist zudem ein volljähriger junger Mann und kannst damit deinen gewöhnlichen Aufenthaltsort selbst bestimmen.

Außerdem, du gehörst jetzt zur großen Gutshoffamilie und das bleibt so lange, bis du selbst entscheidest würdest, dass du vom Gutshof wegziehen willst. Auch bist du gerade dabei, mit Simon eine eigene kleine Familie zu gründen. Solange Simons Eltern und wir hinter euch stehen und ihr euch nicht wieder dauerhaft in eurem Schneckenhaus verkriecht, wird sich an diesem Status nichts ändern.

Noah, du kannst in aller Ruhe darüber nachdenken und wenn du der Meinung bist, dass du deine Eltern einladen willst, sprich mit mir. Ich bin bereit, für deinen Eltern die gesamte Gutshoffamilie zu einer gemütlichen Kaffeerunde ins Restaurant einzuladen, so wie du es schon einmal erlebt hast.“

Nach meinem Monolog blieb es einige Minuten ruhig im Auto, bis Stephan fragte: „Wie lange dauert es noch, bis wir zu Hause sind?

Ich blickte kurz zum Navi und antwortete: „Wenn ich dem Navi Glauben schenken kann, dann sollten wir in den nächsten dreißig Minuten am Gutshof sein. Warum wolltest du wissen, wie lange wir noch unterwegs sind?

Kommen wir zu einem anderen Thema. Ich nehme nachher die Kisten mit den Ordnern mit in meine Wohnung, um die Ordner zum Scannen aufzubereiten. Ich werde die Dokumente, die oberste Priorität haben leicht schräg in den Ordnern einhängen. Diese Dokumente solltest du morgen als erstes digitalisieren. Kurz bevor wir im Gutshof eintreffen, werde ich meine beiden Jungs anrufen, dass sie die beiden Umzugskisten nach oben in unsere Wohnung bringen.“

Noah schaute mich an und fragte: „Peter, willst du nicht warten, bis ich dir die Etiketten zum Aufkleben vorbereitet habe? Dann kannst du alles aufbereiten und ich kann morgen direkt einen Ordner nach dem andere durch den Scanner laufen lassen. Wenn mich nicht alles täuscht, sollte für Christina bereits ein eigener Ordner angelegt sein. Oder willst du einen eigenen Bereich, auf dem Christina keinen Zugang bekommen soll?

Ansonsten müsste ich vermutlich dir nur noch deine Zugriffsberechtigung auf den digitalen Ordner einrichten, sofern Bernhard das nicht automatisch miterledigt hat. Für etwa eintausendfünfhundert Etiketten und um dir den Zugang zu ermögliche brauche ich etwas mehr als eine halbe Stunde. Ich helfe dir später gern beim Aufkleben der Etiketten auf die Dokumente und wenn deine Jungs mithelfen, geht das noch schneller.“

„Alle Dokumente, die die Familie Binder betreffen gehören zusammen, und damit in Christinas Ordner“, meinte ich und sprach weiter, „Es reicht, wenn ich auf diesen Ordner zugreifen kann bis entweder Christina volljährig ist oder ich aus meinen Pflichten als Vormund entlassen werde.

Ich schlage dir folgenden Deal vor. Wenn du die Etiketten vor dem Abendessen, so gegen achtzehn Uhr dreißig, fertig gedruckt hast, kannst du bei uns mitessen und anschließend kleben wir gemeinsam die Etiketten auf die Dokumente und bereiten die Ordner zum Scannen vor.

Ich weiß nicht, wie schnell eure Scanner in der IT sind. Der großer Scanner in unseren Büros ist einer der schnellsten, die im Unternehmen im Einsatz sind, da bei uns oft größere Mengen, vor allem ältere Dokumente, digitalisiert werden. Damit kannst du jeweils den halben Inhalt eines prallgefüllten Ordners in einem Rutsch scannen.

Die Buchhaltung hatte früher ebenfalls größere Mengen zum Scannen. Inzwischen wurde das weniger, da viele Rechnungen nur noch digital übermittelt werden. Dadurch, dass dezentral weitere Scanner eingesetzt werden und die Dokumente vor Ort digitalisiert werden, ist das Aufkommen beim Scanner im Gutshaus erheblich zurückgegangen. Wir haben fast alle alten Unterlagen aus den übernommenen Firmen mit den Hochleistungsscannern eingescannt.“

„Peter, ich werde mich beeilen, damit ich gegen achtzehn Uhr dreißig bei euch beim Abendessen bin, was aber aus meiner Sicht kein Problem sein sollte“ erklärte Noah.

Christina erklärte dazu: „Noah, ich dachte eigentlich, dass du uns hilfst die Umzugskarton nach oben zu bringen. Wenn du keine Zeit hast, muss ich mit meinen beiden Brüdern alles allein die drei Geschosse nach oben schleppen!“

Ich sagte: „Das Problem lösen wir ganz anders. Ich werde gleich mit Kevin oder Frederik telefonieren, die können euch helfen oder notfalls Helfer aus dem Verwalterhaus organisieren. Danach spreche ich mit meinen beiden Jungs, damit sie uns bei den Umzugskisten mit den zu digitalisierenden Ordnern helfen.“

Ich beauftragte Google eine Verbindung mit Alex Kevin herzustellen und als sich dieser meldete, wollte er gleich wissen, wo ich sei und ob ich Hilfe brauche. Ich erklärte ihm, dass wir in etwa fünfzehn Minuten am Gutshof ankommen und sieben Umzugskartons ins Dachgeschoss des Gesindehauses zu tragen sind. Als er meinte, er würde mit Frederik gern helfen und geht davon aus, dass keine zusätzlichen Helfer notwendig sind. Wir sollten kurz klingeln, wenn wir vor der Tür stehen würden.

Christina meinte: „Ich denke schon, dass wir fünf genügen, um die Kartons in die Wohnung ins Dachgeschoss zu bringen.“

Da damit alles geklärt und das Gespräch beendet war, forderte ich Google auf eine Verbindung zu David herzustellen. Als er sich meldete, sagt ich: „David, wir sind in rund zehn Minuten am Gutshaus. Kannst du dir Tobias schnappen und uns helfen, die Umzugskartons mit Ordner in mein Büro zu bringen? Das sind Unterlagen, die kurzfristig gescannt werden müssen.“

Wieso kommen diese Unterlagen in dein Büro und nicht in deine Wohnung?“ wollte Noah von mir wissen.

Ich antwortete: „Noah, ich habe etwas umgeplant, da ich dir die Aufgabe nicht allein aufbürden will. Nach dem Abendessen, also so kurz nach neunzehn Uhr trommeln wir die Leute zusammen, die morgen mit nach München kommen wollen und uns bei der teilweisen Räumung zu unterstützen. Es wird nicht nur der große Fernseher, sondern auch das Sideboard mit umgezogen. Alle die morgen mitkommen, können schauen, was sie eventuell aus der Küche gebrauchen können.

Wir werden anschließend auch in großer Runde die Dokumente mit fünf oder sechs Leuten aufbereiten und teilweise parallel einscannen. Dann sind die Dokumente spätestens in eineinhalb oder zwei Stunden komplett digitalisiert und brauchen nur noch verarbeitet werden. Verschlagwortung und Indexierung kann danach angegangen werden. Damit hast du die Möglichkeit, morgen wieder mit nach München mitzukommen.“

Noah meinte: „Peter, bist du dir da wirklich so sicher dass, wenn ihr mit mehreren Leuten die Dokumente aufbereitet und direkt einscannt, ihr dadurch erheblich schneller seid? Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich würde mich dennoch freuen, dass ich morgen noch einmal nach München mitkommen kann.“

„Ja, erheblich schneller, da nur die Etiketten aufgeklebt werden, ohne sich um den Inhalt zu kümmern. Das wird mit der Indexierung und den Schlagworten erledigt,“ erklärte ich und sprach weiter „inzwischen ist die automatische Verschlagwortung so gut, dass sie aus den Dokumenten das Wichtigste herausholt. Die Software hat in den letzten Jahren gut gelernt und ist immer besser geworden.“

Inzwischen waren wir im Gutshof angekommen und ich hatte den Wagen vor dem Jugendhotel geparkt, dass Christina und ihre Helfer die Kisten, die in die Wohnung von Familie Habermüller gehen sollten, direkt und auf kurzem Weg ins Haus gebracht werden konnte. Während die ersten Kisten aus dem Kofferraum gehoben wurden, standen plötzlich vier Seminarteilnehmer vor mir, die uns anboten beim Schleppen der Kisten zu helfen.

Als Christina erklärte, dass die Kisten ins Dachgeschoss müssten, meinten die vier Jungs, dass das kein Problem für sie sei. Jeder von den vier Jungs übernahm je einen Umzugskarton, nachdem ich geprüft hatte, dass es sich nicht um die Kisten mit den Dokumenten handelt. Die restlichen drei Umzugskisten, die nach oben sollten, schnappten sich Noah, Frederik und Kevin und folgten zusammen mit Christina den bereits mit Stephan und Raphael im Haus verschwundenen vier Jungs.

Inzwischen standen meine beiden Jungs neben mir und ich übergab Tobias die Schlüssel für mein Büro. Sie griffen sich die letzten beiden Kisten mit den Dokumenten und den Fotoalben und ich bat sie, die Kisten einfach in meinem Büro abzustellen und dort auf mich zu warten, da ich noch kurz etwas mit Noah besprechen und anschließend den Wagen in die Garage bringen möchte.

Auf Noah musste ich nicht lange warten und wir vereinbarten, dass er die Etiketten zum Einscannen der Dokumente vorbereitet und anschließend zu uns zum Abendessen kommt. Ich meinte noch, er solle doch bitte sein Notebook mitbringen, wenn er nachher zu uns kommt, was Noah sofort bestätigte. Ich parkte mein Fahrzeug in der Garage und ging ins Büro zu meinen Jungs.

Ich erklärte: „Ihr habt doch sicher bereits einen Teil eurer Dokumente digitalisiert und kennt euch damit aus. Ich möchte nach dem Abendessen und der kurzen Besprechung mit unseren Helfern wegen des morgigen Samstags, noch mit eurer und Noahs Hilfe den größten Teil der Dokumente von Christina und ihrer Mutter digitalisieren.

Vielleicht schaffen wir heute Abend auch noch einen Teil der Dokumente zu verschlagworten. Habt ihr die Einladung über Whatsapp zur kurzen Besprechung für morgen bereits erhalten oder hat Stephan sie noch gar nicht verschickt, da sie zumindest bei mir nicht angekommen ist.“

David grinste und meinte: „Klar haben wir die Nachricht von Stephan erhalten. Sie kam bereits vor einer knappen halben Stunde und wenn ich die Antworten überfliege, könnte es nachher bei uns sehr voll werden. Das komplette Verwalterhaus und alle Bewohner über der IT haben bereits zugesagt, dass sie kommen. Dazu aus dem Gutshaus Alejandro mit Jorge und Rafael, Gero, Randolf und Pit, sowie dein Enkel Kevin.

Stephan hat danach noch jede Menge Bilder von Möbelteilen verschickt und angefragt, ob einer der angeschriebenen Bewohner Interesse hätte, das eine oder andere Mobiliar aus Bettinas Wohnung günstig zu übernehmen, bevor es am Ende vielleicht nur weggeworfen wird. Soweit ich mitbekommen habe, haben Felix und Dennis gebeten, ihnen doch per Mail die Fotos zur Verfügung zu stellen, damit sie sich alles etwas detaillierter und genauer anschauen können.

Peter, wenn du unsere Hilfe beim Einscannen in Anspruch nehmen willst, helfen Tobias und ich dir gern beim Digitalisieren der Unterlagen. Wenn wir dich bei der Verschlagwortung unterstützen sollen, müsste uns jemand die vorübergehende Zugriffsberechtigung für diese Dokumente einrichten. Wir kommen auch gern morgen mit nach München und helfen euch beim Packen der Umzugskisten und dem Abbau der Möbel, die nach Rosenheim geholt werden.“

Ich antwortete: „Wer morgen mit nach München mitfährt, klären wir nachher im Gespräch mit den anderen. Wir brauchen auch nach unserer Rückkehr einige fleißige Helfer, die Christinas Möbel nach oben bringen und dort wieder aufbauen. Noah hat sich bereits für das Sideboard aus dem Wohnzimmer entschieden, da er dort ein großes TV-Gerät aufstellen will. Die Möbel, die wir morgen aus München mitbringen und nicht sofort einen Abnehmer finden, werden wir im Untergeschoss des Gutshauses einlagern.

Wir sollten jetzt nach oben gehen und das Abendessen vorbereiten. Noah kommt zum Abendessen zu uns, wenn er die Etiketten für die Digitalisierung der Dokumente der Familie Binder gedruckt hat. Wir sollten so zeitig mit dem Essen beginnen, damit wir pünktlich mit der kurzen Besprechung starten können.“

Als wir in die Küche eintraten, erwartete uns Thomas bereits. Er meinte: „Ich habe schon mitbekommen, dass gegen neunzehn Uhr eine Versammlung einberufen wurde. Deshalb habe ich mir erlaubt, bereits mit den Vorbereitungen fürs Abendessen anzufangen. Jungs, ihr könnt bereits den Tisch eindecken, heute sind wir wieder einmal vollzählig beim Essen anwesend.“

Tobias erklärte: Alles klar, dann werden wir für sieben Personen den Tisch eindecken und falls du dich darüber wundern solltest, Peter hat Noah zu uns zum Abendessen eingeladen. Peter und Noah wollen nach der Besprechung noch unten im Büro mit der Digitalisierung der Dokumente anfangen, die sie heute aus München mitgebracht haben. David und ich haben bereits zugesagt, sie dabei zu unterstützen. Vielleicht hilft noch der eine oder andere mit, damit wir schneller fertig werden.“

David und Tobias verschwanden ins Esszimmer, um den Tisch einzudecken. Thomas schaute mich an und sagte: „Peter, meinst du nicht, dass du wieder zu viel auf einmal erledigen willst? Du gehst an diesem Wochenende wieder bis an deine Grenzen, vor allem nachdem die ganze Woche schon so turbulent abgelaufen ist.“

„Thomas, mir ist bewusst, dass diese Woche bisher sehr hektisch abgelaufen ist, aber ich brauche die Dokumente kurzfristig, damit ich für und mit Christina richtige Entscheidungen treffen kann. Zumindest für das Begräbnis habe ich bereits Sicherheit, Bettinas Eltern sind in einem Friedwald in der Nähe von Hamburg beerdigt, auch deshalb, weil sie sich nie um das Grab ihrer Eltern kümmern konnte und wollte, als sie nach München umgezogen ist.

Wenn Christina einverstanden ist, wird ihre Mutter auf unserem Dorffriedhof beerdigt. Wichtig waren für uns auch die Information, die wir von der mit Bettina befreundeten Nachbarin erhalten haben. Sie konnte uns erklären, warum Christina ihren Vater vermutlich nie kennenlernen wird, weil er wegen Mordes an Christinas Großeltern zu lebenslänglicher Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde.

Wenn Christina irgendwann daran interessiert ist, kann ich versuchen herauszufinden, ob ihr Erzeuger noch lebt und in welchem Gefängnis er untergebracht ist. Ob es je zu einem Zusammentreffen zwischen ihr und ihrem Erzeuger kommen wird, sehe ich nicht unbedingt als realistisch an.“

Wir waren mit den Vorbereitungen fürs Abendbrot noch nicht fertig, als Noah in der Küche und auftauchte und erklärte, dass er knapp zweitausend Etiketten für die Dokumente von Christina und ihrer Mutter gedruckt hat. Thomas schaute ihn an und sagte: „Du kennst scheinbar auch kein Wochenende. Sonst hättest du Peter nicht unterstützt, als er dir erklärt hat, dass er noch heute Abend Dokumente digitalisieren will.“

Ich unterbrach Thomas und sagte: „Stopp, mit deinem Druck auf Noah könntest du unsere mühevolle Arbeit wieder zerstören. Noah hat mit meinen persönlichen Entscheidungen nichts zu tun. Dass er mich trotzdem unterstützt, liegt wohl eher darin begründet, dass er sich erkenntlich zeigen will, dass er mit Bernhards und meiner Unterstützung aus seinem Kokon ausbrechen konnte, in den er nie wieder zurückkehren will.

Wenn du mir sagen willst, dass ich es wieder einmal übertreibe, dann sag es mir direkt, ohne dich auf Schwächere zu stürzen mit deinen Vorwürfen. Du solltest vielleicht erkennen, dass, je eher ich das Problem gelöst habe, ich wieder weniger Druck und Belastung ausgesetzt bin, denn das ist meine Motivation, die mich antreibt.“

Thomas blickte mich immer noch so wütend und direkt an, nachdem ich ihn so radikal unterbrochen hatte. Er schaute kurz zu Noah und erklärte: „Noah, ich hoffe du kannst mir verzeihen, dass ich dich persönlich angegriffen habe. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen, dass mein Peter die treibende Kraft ist. Dass du Peter bei seiner Arbeit unterstützen willst, weil er dir ein neues offeneres Leben ermöglicht hat, konnte ich mir eben einfach nicht vorstellen.“

Noah sagte: „Thomas, jeder Mensch macht Fehler, nur witzigerweise habe ich mich bei deiner verbalen Attacke nicht persönlich angegriffen gefühlt. Das liegt aber eher daran, dass ich im Berufsleben gelernt habe, dass es nichts einbringt, wenn man auftauchende Probleme lange vor sich herschiebt. Gerade einem Programmierer fällt es schwer nicht nach dieser Devise zu handeln, weil das Problem ansonsten meist größer wird.

Ich denke, Peter handelt auch nach der Devise, was ich sofort erledige, beschäftigt mich nicht noch weitere Wochen. Die paar Etiketten auszudrucken war kein großer Aufwand für mich. Nachdem Peter mir auf dem Rückweg erklärt hat, wenn mehrere Leute mithelfen, können wir alle Dokumente noch heute, innerhalb kürzester Zeit digitalisieren. Mich forderte diese Aufgabe heraus und ich lerne noch dabei, wie man Dinge effizienter lösen kann. Das war mein Gedankengang, warum ich Peter unterstützen wollte.“

Ich meinte: „Hört auf mit euren Erklärungen und Entschuldigungen, wir sollten zusehen, dass wir endlich das Abendessen auf den Tisch bekommen, damit wir pünktlich die Einsatzbesprechung für den morgigen Samstag über die Bühne bringen können. Die Zeit, die ihr hier mit eurer Diskussion vertrödelt, fehlt uns am Ende für die Digitalisierung der Dokumente.“

Kurz nach neunzehn Uhr standen oder saßen mehr als zwanzig freiwillige Helfer im Esszimmer, so dass wir pünktlich starten konnten. Ich erklärte, wie ich mir das für morgen vorgestellt hatte und wie groß die Aufgaben sein würden. Daniel sicherte mir zu, dass wir morgen den großen Transporter für diese Aufgabe haben können. Zusammen mit den beiden Galaxy, sollten wir genügend Helfer dabeihaben, um möglichst viel zu erledigen.“

Felix sagte: „Stephan, du hast doch die Nachricht mit den anhängenden Bildern verschickt, dass die fotografierten Möbel günstig übernommen werden können. Dennis und ich hätten Interesse daran, eventuell das Schlafzimmer und die Möbel im Wohnzimmer zu übernehmen, für unsere neue Wohnung, in die wir im Spätsommer einziehen werden. Was verstehst du unter günstig?“

Stephan grinste und antwortete: „Was du unter günstig verstehen sollst, dazu fragst du besser Peter oder Christina, sie wollen die Möbel günstig abgeben. Von den Möbeln im Wohnzimmer ist das Sideboard ausgenommen, das hat Christina bereits Noah für sein Wohnzimmer versprochen. Er wollte auch den großen Fernseher übernehmen, der steht jedoch nicht zum Verkauf, da er bei uns ins Wohnzimmer einziehen darf.“

Jens schob hinterher: „Dafür geben wir unseren etwas kleineren Fernseher ab. Noah, wenn dir ein Fernseher mit fünfundfünfzig Zoll Diagonale auch ausreicht, überlassen wir ihn dir kostenlos. Das gilt auch für alle anderen, sofern Noah ihn nicht nehmen sollte. Noah hat das Vorrecht, sich als Erster zu entscheiden.“

Bevor Noah sich äußern konnte, sagte ich: „Felix, Dennis, ihr beide kommt morgen mit nach München, dann könnt ihr euch die Möbel vor Ort anschauen und entscheiden, ob ihr sie für eure Wohnung übernehmen wollt. Wenn ja, könnt ihr sie in eurem Kellerraum einlagern, bis ihr endgültig umzieht. Ich hoffe, wir finden heute in den Dokumenten die Rechnungen, von denen die Verkaufspreise abhängen, je nach Alter der Möbel.

Denkt daran, dass wir morgen früh mindestens zwanzig bis dreißig Umzugskisten mitnehmen, damit wir Geschirr und alle kleineren Dinge einpacken können. Die Sachen kann Christina auf einem Flohmarkt oder auch an euch verkaufen, wenn ihr daran interessiert seid. Christina, an dich die Frage, willst du die Bekleidung deiner Mutter auch auf dem Flohmarkt verkaufen oder sollen wir die in die Kleidersammlung geben?“

Marion erklärte: „Ich denke, wir bringen die Sachen zu einem Second Hand Laden in Rosenheim, der entscheiden kann, was noch verkauft werden kann. Ansonsten gäbe es noch die Möglichkeit die gesamte Bekleidung, den Kleinkram und die nicht benötigten Möbelstück im Sozialkaufhaus abzugeben.“

Christina fragte, ob in Rosenheim und Umgebung Flohmärkte veranstaltet werden. Andreas meinte, in den Sommermonaten gibt es jeden Monat ein oder zwei Flohmärkte im Umkreis von fünfzehn Kilometern um Rosenheim. In den Wintermonaten gibt es keine Flohmärkte, da es scheinbar keine geeignete Location gibt.

Ich erklärte: „Ich hätte da schon eine Idee, die ihr direkt mit Werner vom Marketing und Armin unserem Eventmanager besprechen solltet. Möglicherweise können wir im großen Saal neben dem Restaurant so etwas veranstalten. Die beiden sollen das abklären, höchstwahrscheinlich lässt sich da sogar kurzfristig etwas machen. Wer kümmert sich darum? Andreas, könntest du dich vielleicht mit Christina darum kümmern?“

Die beiden schauten zuerst sich an und dann zu mir, wobei Andreas sagte: „Christina, ich bin einer eurer Nachbarn und lebe mit Michael, dem Kollegen deiner Adoptivmutter zusammen. Wir haben uns bisher noch nicht persönlich kennengelernt. Als du vorgestellt wurdest, war ich in der Arbeit. Wir setzen uns am Sonntag zusammen und am Montag gehen wir am Nachmittag zu den beiden ins Büro, dass sich ebenso im Jugendhotel befindet.“

Ich meinte: „Für morgen ist jetzt alles geklärt, Abfahrt ist morgen früh um acht Uhr. Ich will jetzt gleich noch unten im Büro Dokumente digitalisieren. Wir könnten noch ein paar Helfer gebrauchen, damit es nicht so spät wird heute Abend. Wäre vielleicht gut, wenn sich jemand meldet, der schon etwas Erfahrung mit der Digitalisierung hat. Zugesagt haben bereits Noah, David und Tobias.“

Ich beobachtete die Reaktion von Thomas, als ich bemerkte, dass neun oder zehn Hände nach oben gingen. Er grinste mich an und sagte: „Peter, vor so viel Übermacht kapituliere ich freiwillig. Ich hätte nie gedacht, dass du an einem Freitagabend so viele Verrückte findest, die mit dir zusammen Dokumente zur Digitalisierung aufbereiten wollen. Mit zwölf Leuten könnte es funktionieren, dass ihr innerhalb von gut zwei Stunden alles abgearbeitet habt.“

Mit allen Helfern beim Digitalisieren ging es nach unten in mein Büro. Da einige Neulinge dabei waren, die noch nie gescannt hatten erklärte ich: „In einem ersten Schritt bekommt jedes Dokument ein Etikett, mehrseitige Dokumente bekommen jeweils nur ein Etikett auf dem ersten Blatt. Im zweiten Schritt werden die Dokumente durch den Scanner gejagt und im Hintergrund vorbearbeitet.

Wichtig ist, dass alle gescannten Originale anschließen nach Nummer aufsteigend in Ordner abgelegt werden, damit man das jeweilige Original später schnell wiederfindet. Der letzte Arbeitsschritt erfolgt dann am PC oder einem Notebook, wo man das Dokument auf Vollzähligkeit prüft, und die Schlagworte und Indexierung kontrolliert.“

Während die ersten bereits die Etiketten aufklebten, erklärte ich den Neuen kurz, wie die Dokumente eingescannt werden. Bernhard, Noah und ich hatten die Aufgabe übernommen, die Verschlagwortung und die Indizes zu überprüfen, wobei Bernhard vorher in die IT ging, um sein Notebook zu holen. Nach knapp einer Stunde hatten alle Dokumente einen Aufkleber und weitere zwanzig Minuten später waren die letzten Dokumente gescannt.

Während die Neulinge uns beim Bearbeiten der Dokumente über die Schulter sahen, sortierten vier Helfer die Dokumente fortlaufend nach Nummer in die Ordner ein. Als alle gescannten Dokumente abgelegt waren, sage mir mein Blick auf die Uhr, dass wir sehr gut innerhalb des Zeitrahmens lagen, den ich am frühen Abend überschlägig geschätzt hatte.

Da zwischenzeitlich auch noch Felix, David und Tobias in die Indexierung und Kontrolle eingestiegen war, blieben wir mit der Nachbearbeitung weit unter dem gesteckten Zeitrahmen, da ich davon ausgegangen war, dass ich die erst morgen oder am Sonntag abschließen würde. Ich bedankte mich noch einmal bei allen und verabschiedete mich von ihnen bis morgen früh.

Als ich nach oben ging und Thomas erzählte, dass einschließlich Indexierung alles erledigt ist, meinte er: „Nicht schlecht, ich bin nicht davon ausgegangen, dass ihr schon vor dreiundzwanzig Uhr mit dem Aufbereiten und Scannen der Akten fertig sein werdet. Mit wie vielen Mitarbeitern habt ihr Indexiert?“

Ich grinste und meinte nur, dass wir am Ende zu sechst die gescannten Dokumente abgearbeitet haben.

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