zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Regenbogenfamilie

Teil 72 - Ostsee zweiter Tag

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Am Samstagmorgen wurde ich durch Tobias schon sehr früh aufgeweckt. Er war zu mir ins Zimmer gekommen und erzählte mir, dass er letzte Nacht sehr schlecht und wenig geschlafen habe. Ihn quäle immer noch sein unverzeihlicher Ausrutscher, dass er mich gestern Abend vor allen anwesenden Auszubildenden geoutet hat. Ich lud ihn ein zu mir ins Bett zu kriechen und sich bei mir anzukuscheln.

Zögernd kam er meiner Aufforderung nach. Ich legte meinen Arm um ihn und beruhigte ihn: „Tobias, du brauchst deswegen kein schlechtes Gewissen haben. Ich habe dir gestern Abend bereits erklärt, dass das über kurz oder lang sowieso fällig gewesen wäre. Du kennst mich noch nicht lange genug um bereits zu wissen, dass ich meine Neigung nicht vor meinen Geschäftspartnern verstecke. Wenn einer deswegen mit mir keine Geschäfte machen will, dann ist das eben so. Bisher bin ich noch nie in die Lage gekommen, von einem dieser Partner abhängig zu sein. Es gibt immer Alternativen, und meist haben diese sich als die bessere Option herausgestellt. Ein Mitarbeiter dieses Hauses, der aus eigener Entscheidung seinen Arbeitsvertrag auflöst, hätte sowieso nicht in unser Unternehmen gepasst. Ich erwarte von allen Mitarbeitern ein tolerantes Auftreten gegenüber allen Minderheiten. Hinzu kommt, dass man von Mitarbeitern eines Beherbergungsbetriebes grundsätzlich erwarten kann, dass sie sich ihren Gästen gegenüber tolerant verhalten. Also denk’ nicht weiter darüber nach, es ist wie es ist.“

Er dachte wohl über meine Worte nach und einigen Minuten sagte er mir: „Peter, meine größte Sorge ist eigentlich nicht, dass es geschehen ist. Viel größer ist die Angst, du könntest mich deshalb wieder ins Heim zurückschicken. Du siehst das völlig richtig, wenn du sagst, dass ich dich nicht gut genug kenne. Deshalb habe ich diese Befürchtung.“

Ich lächelte ihn an und erklärte ihm: „Das ist sicher kein Grund, warum Thomas und ich dich ins Heim zurückschicken würden. Wir haben dich in der letzten Woche als einen ruhigen und besonnenen jungen Mann kennengelernt, der mit seiner gesamten Kraft versucht, als Erwachsener ein erfolgreiches Leben zu führen. Fehler macht jeder in seinem Leben. Wichtig ist es, aus seinen Fehlern zu lernen. Du bist noch in einer Phase deines Lebens, wo Fehler häufiger auftreten können. Das Einzige, was ich dir in dieser Situation mitgeben kann, ist der Hinweis, dass du an deinem Selbstbewusstsein noch kräftig feilen solltest.“

Ich hatte den Satz kaum beendet, als es an der Zimmertür klopfte. Nach einem lauten „Herein“ öffnete sich die Tür und David stand im Türrahmen. Als er Tobi in meinem Arm sah verfinsterte sich seine Miene. Bevor er irgendetwas sagen konnte, meinte Tobias: „Komm her, mit Peter kuscheln.“

David schaute ihn entgeistert an, so dass Tobi ihm erklärte: „Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen, wegen des Outings von Peter. Deshalb bin ich vorher zu Peter, um mich mit ihm auszusprechen. Er hat mich nur in den Arm genommen und mich getröstet und mir versprochen, dass ich deswegen nicht ins Heim zurückkehren muss. Das war meine größte Sorge. Jetzt komm, es ist beruhigend, von Peter im Arm gehalten zu werden.“

Langsam näherte er sich und erklärte uns: „Ich habe in der Nacht schon bemerkt, dass du unruhig schläfst. Als ich dich beim Aufwachen nicht im Bett vorfand, bin ich aufgestanden, um dich zu suchen. Da ich dich weder im Wohnraum noch im Bad gefunden habe, habe ich dich bei Dennis und Felix vermutet. Die beiden meinten nur, sie hätten dich heute Morgen noch nicht zu Gesicht bekommen. Jetzt blieb nur noch die Möglichkeit, dass du entweder bei Peter im Zimmer bist oder die Suite verlassen hast. Ich wollte Peter nur von deinem Verschwinden informieren, falls du nicht bei ihm gewesen währest. Als ich dich mit Peter im Bett angetroffen habe, hatte ich zuerst den Verdacht, dass Peter sich mit dir vergnügt haben könnte. Deswegen auch mein entsetztes Gesicht. Vor allem, nachdem Peter eigentlich erklärt hatte, dass er nie etwas mit uns anfangen würde. Nachdem du erklärt hast, warum du bei Peter liegst, fühle ich mich jetzt wieder besser. Peter, bitte verzeih mir, dass ich dir ein Verhältnis mit Tobi unterstellt habe.“

Ich schaute ihn an, lächelte und sagte: „Komm her, du verrückter Kerl, ich dachte eigentlich, dass wir dir erklärt habe, dass Kuscheln mit mir und Thomas immer erlaubt ist. Angebaggert wollen wir nicht werden, das war eine eindeutige Ansage. Ich soll dir verzeihen, dass du wieder in dein altes Verhaltensmuster zurückgekehrt bist. Das werde ich in der Situation nur, wenn du sofort mit uns kuschelst.“

Keine zehn Sekunden später lag er bereits in meinem Arm. Tobias erklärte: „Ich hoffe, damit ist alles wieder in bester Ordnung. David, denke bitte nie wieder, dass Peter mich möglicherweise missbrauchen könnte. Dazu liebt er uns als seine Söhne zu sehr.“

Wir hatten nicht bemerkt, dass Felix und Dennis im Türrahmen standen, sie hatten die letzten Sätze von Tobias mitgehört. Felix grinste fies und sagte zu David: „Habe ich das eben richtig mitbekommen, dass du wieder in dein altes Verhaltensmuster zurückgefallen bist. Komm sofort her, ich werde dir dann den versprochenen Arschtritt verpassen.“

David grinste frech und meinte: „Warum soll ich zu dir kommen? Du willst mir einen Arschtritt verpassen, also komm du doch her, wenn du dir das überhaupt zutraust.“

Felix ahnte scheinbar nicht, in welche Gefahr er sich begab. Er trat näher ans Bett heran und wollte David aus dem Bett ziehen. Der war jedoch schneller und riss Felix mit beiden Händen zu sich aufs Bett und umklammerte ihn fest. David lachte und sagte zu Felix: „Wer hat jetzt wem einen Tritt verpasst? Ich habe nur gesehen, dass du dich wie ein alter Lüstling auf mich geworfen hast.“

Tobi und ich fingen schallend laut zu lachen an. Nach kurzer Zeit stimmte auch Dennis mit ein. Als Dennis sich wieder etwas beruhigt hatte, erklärte er Felix: „Das hast du nun davon, dass du immer kleineren Jungs in den Arsch treten willst. Ab sofort habe ich damit einen alten Lüstling an meiner Seite. Ich glaube, das sollte ich mir wohl besser noch einmal überlegen.“ Nachdem er das gesagt hatte, trat er näher ans Bett und legte sich zu Tobias.

Ich schaute die Jungs an und lachte erneut. Als Tobias wissen wollte, was da jetzt so lustig sei, erklärte ich: „Ich habe mich an eine Situation erinnert, die inzwischen gut drei Jahre zurückliegt. Da lagen eines morgens vier volljährige Jungs in unserem Doppelbett und haben Thomas und mich jeweils in die Mitte genommen, weil sie mit uns kuscheln wollten. Heute habe ich sogar vier Jungs allein in meinem Bett liegen. Soll ich euch verraten, wer die Jungs gewesen sind. Drei von euch kennen definitiv alle vier, Tobias kennt nur zwei davon.“

Felix lachte und meinte, da können nur Philipp und Marcus dabei gewesen sein, da bin ich mir sicher, aber wer die beiden anderen sind, kann ich nur raten. Ich meinte, ihr könnt gern spekulieren, wer es gewesen ist. Zuletzt löste ich dann doch das Rätsel, Marcus und Philipp sind richtig und die beiden anderen waren mein Neffe Jonas und sein Freund Tim.

Ich sah auf die Uhr und meinte, so langsam sollten wir trotzdem aufstehen, selbst wenn kuscheln Spaß macht. Wir haben heute noch ein anstrengendes Programm zu erledigen. Na ja, wohl eher Felix und ich. Tobi, Dave und Dennis, ihr müsst bei den heutigen Terminen nicht notwendigerweise dabei sein. Ich werde euch aber nicht daran hindern, wenn ihr wieder mit von der Partie seid. Wenn ich am Nachmittag dann Einzelgespräche führe, könnt ihr für euch ein eigenes Programm gestalten. Vergesst aber bitte nicht, ihr habt abends noch ein Treffen mit den Auszubildenden.

Natürlich wurde im Bad gedrängelt, ist aber auch kein Wunder, wenn fünf männliche Wesen gleichzeitig einfallen. Kurz vor acht Uhr hatten wir es bis ins Restaurant geschafft und frühstückten. Viertel vor neun Uhr wechselten Felix und ich wieder in den Saal, wo die zweite Personalversammlung stattfinden sollte. Felix baute wieder die Technik auf, während sich die ersten Mitarbeiter im Saal einfanden.

Pünktlich um neun Uhr eröffnete Jan wieder die Versammlung, bedankte sich für zahlreiche Teilnahme und wies darauf hin, dass wir nur mit dem Vornamen angesprochen werden wollen. Alle Jungs saßen, wie gestern, bei mir auf dem Podium.

Nach kurzer Einführung übergab ich an Felix, für seinen Vortrag über die Firmengruppe Gutshof und die dazugehörige Stiftung. Mit derselben Präzision wie gestern brachte er seinen Vortrag über die Bühne. Auf meine Frage, ob es dazu noch Fragen gebe, gab es heute keine Reaktion, so dass ich mit meinem Teil startete.

Wie gestern arbeitete ich im ersten Block die Auszubildenden ab. Schwerpunkt auf die Fortsetzung der Ausbildung in unseren Häusern in südlicheren Gefilden. Als wir zu den Rückfragen kamen, blieb es wieder ruhig. Im nächsten Block ging es wieder um die Übernahme aller Mitarbeiter, die zeitweise Beschäftigung, ebenfalls bei uns im Süden oder in Österreich. Danach folgte wieder die kurze Pause, diesmal standen Pausengetränke sofort zur Verfügung.

Bevor wir zur Diskussion kamen, erklärte ich, dass ich heute Nachmittag ab 13:00 Uhr für Einzelgespräche zur Verfügung stehen werde. Die Liste zum Eintragen liegt am Ausgang aus. Ich wies noch einmal darauf hin, dass die Liste nur zur Koordination der Termine diene. Danach eröffnete ich die Diskussionsrunde.

Die Fragen waren fast dieselben wie am Vortag, also fielen unsere Antworten entsprechend aus. Erst als Dennis direkt von einem jüngeren Mitarbeiter angesprochen wurde, der sich als Dirk Bergmann und Auszubildender im zweiten Lehrjahr vorstellte, wurde die Diskussion interessanter: „Ich habe gehört, du seiest schwul und machst deine Ausbildung im Restaurant und im Jugendhotel am Gutshof. Ich würde gern von dir wissen, ob das bisher negative Auswirkungen auf dich hatte, nachdem du dich an deiner Arbeitsstelle geoutet hast?“

Dennis schnappte sich ein Mikrofon und antwortete: „Wenn dem so wäre, würde ich heute vermutlich nicht vor euch sitzen und eure Fragen beantworten. In den Firmen, die zum Gutshof gehören, wird echte Toleranz gegenüber Minderheiten eingefordert. Ich kann euch dazu ein Beispiel geben. Ein Mitarbeiter, der selbst schwul ist, meinte in einer Besprechung, Leiharbeiter wären arbeitsscheu und hätten kein Interesse an einem festen Job.

Peter, also unser Chef, der bei diesem Meeting anwesend war, hat ihn vor versammelter Mannschaft sofort drauf hingewiesen, dass er diese intolerante Aussage nicht dulden würde, vor allem bei einem Mitarbeiter, der selbst einer immer noch angefeindeten Minderheit angehöre. Zur Strafe darf er in den nächsten Wochen an sämtlichen Vorstellungsgesprächen mit Leiharbeitern teilnehmen.“

Ich unterbrach Dennis und berichtigte: „Ich sehe das nicht als Bestrafung an, für mich ist es eine erzieherische Maßnahme. Er muss lernen unvoreingenommen auf jeden Menschen zuzugehen und seinen Schubladenschrank mit sämtlichen Vorurteilen zu zerstören. Als Chef muss ich auf ein gutes Betriebsklima achten. Ich selbst beurteile meine Mitarbeiter nach ihren Leistungen, jeweils angepasst an ihre körperliche und geistige Verfassung. Ich könnte noch eine Menge zu diesem Thema sagen. Das Wichtigste, was Sie mitnehmen können, Intoleranz gegen jegliche Minderheiten und Schubladendenken wird in allen Unternehmen der Gutshof-Gruppe nicht akzeptiert. Da wir gerade bei einem etwas heikleren Thema sind, Ihr neuer Chef, also meine Person, gehört auch einer Minderheit an. Bevor es zu Spekulationen oder Missverständnissen kommt, oute ich mich ihnen gegenüber selbst. Ich gehöre auch der bisexuellen oder schwulen Gruppierung an. Dazu den ergänzenden Hinweis, schwule Mitarbeiter werden weder bei der Einstellung noch bei Beförderungen bevorzugt behandelt. Einzig bei schwerbeschädigten oder körperlich behinderten Bewerbern oder Mitarbeitern wird hier entsprechend den gesetzlichen Grundlagen gehandelt.“

Ich hatte die neuen Kollegen während meiner Erklärung immer wieder beobachtet. Verwundert war ich eher darüber, dass geklatscht wurde als ich meine Ausführungen beendet hatte. Ich schaute Jan an und stellte fest, dass er ebenfalls ratlos in die Runde blickte. Als es wieder ruhiger wurde, fragte ich: „Kann mir einer erklären, warum Ihr geklatscht habt, wird das in diesem Haus bisher nicht so gehandhabt?“

Eine Frau stand auf, sie stellte sich als Beate Frisch und Chefin der Zimmermädchen vor und erklärte: „Doch, nur hat es uns bisher nie ein Vorgesetzter oder Firmeninhaber in dieser Deutlichkeit gesagt. Dass sie sich als Chef vor alle Mitarbeiter hinstellen und erklären, dass sie einer Minderheit angehören, ist mir in meiner beruflichen Laufbahn bisher nicht untergekommen. Sie und ihre Kollegen haben alle Hochachtung vor mir, und das sollte mit dem Klatschen zum Ausdruck gebracht werden.“

Wieder brandete Beifall auf, bis ich erklärte: „Sie brauchen nicht deswegen zu klatschen, nur weil ich zu meiner Person und meinen Einstellungen und Fehlern stehe. Dies ist für mich schon immer selbstverständlich.“

Nachdem keine weiteren Fragen gestellt wurden, beendete ich die Versammlung und verabschiedete mich: „Ich hoffe auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit ihnen, auch wenn uns zwei vermutlich schwierige Jahre bevorstehen werden.“

Während die ersten bereits dem Ausgang zustrebten, kam Jan zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Gratuliere, mit deiner offenen und ehrlichen Art den Mitarbeitern gegenüber, hast du ihre Herzen erobert. Ich sehe der Umgestaltung zum Jugendhotel und Landschulheim inzwischen erheblich optimistischer entgegen, als vor der ersten Personalversammlung oder dem Zeitpunkt als mich der Notar und Nachlassverwalter von den Wünschen unseres verstorbenen Eigentümers unterrichtet hatte.“ Damit verabschiedete er sich für heute und meinte, wir würden uns morgen vor eurer Abfahrt sehen.

Ich ging zu meinen vier Jungs und fragte sie, was sie für den Nachmittag geplant hätten. Tobias erklärte mir, dass sie heute Nachmittag den Wellness-Bereich unsicher machen wollen, um herauszufinden, ob dieser auch tauglich sei für Kinder und Jugendliche. Ryan war vorher kurz hier und hat angekündigt, dass heute Abend alle Auszubildenden bei uns vorbeikommen würden.

Kurz vor zwölf Uhr gingen wir ins Restaurant, um unser Mittagessen einzunehmen. Pünktlich, also um zwölf Uhr fünfundvierzig, saß ich in dem Raum, in dem die Einzelgespräche stattfinden sollten. Beim Blick auf die Liste der Anmeldung stellte ich fest, dass erst um dreizehn Uhr dreißig der nächste Termin stattfinden wird und ich somit definitiv die Zeit für ein längeres Gespräch mit Carsten Arndt haben würde.

Mit leichter Verspätung öffnete sich die Tür und Carsten trat ein. Er entschuldigte sich für die kleine Verspätung, da er noch aufgehalten worden sei. Ich begrüßte ihn, bat ihn sich zu setzen und mir sein Anliegen vorzutragen. Er bedankte sich für die Möglichkeit, ein Gespräch unter vier Augen mit mir zu führen.

Scheinbar überlegte er noch kurz bevor er erzählte: „Ich bin mir nicht sicher, wie ich dir das am besten erklären soll. Du hast angeboten, dass wir unsere Ausbildung während der Umbauphase bei euch in Bayern fortsetzen können. Ich will nach dem Ende meiner Ausbildung nicht hier im Norden bleiben. Bestünde die Möglichkeit, dass ich sofort in den Süden wechseln, dort meine Ausbildung beende und danach bei euch weiterarbeiten kann?“

Ich dachte kurz nach. Eigentlich wollte ich wissen, warum er wechseln will, also antwortete ich ihm: „Grundsätzlich kann ich mir das schon vorstellen, aber dazu sollte ich schon die näheren Umstände kennen, warum du diesen Wunsch hast. Kommst du hier nicht mit deinen Kollegen klar? Dann würde ich dir anbieten, mit mir und deinem Abteilungschef darüber zu sprechen, bevor du dich zu diesem folgenschweren Schritt entscheidest. Immerhin würdest du deine Heimat und deine Familie deswegen aufgeben.“

Wieder überlegte er, bevor er sagte: „Nein, das hat nichts mit meinen Kollegen oder meinen Chefs zu tun. Ich fürchte, da muss ich dir wohl oder übel die ganze Geschichte erzählen. Mein Freund ist vor wenigen Monaten mit seinen Eltern in die Nähe von Rosenheim gezogen. Sein Vater hatte dort eine neue Stelle angenommen und da er noch nicht volljährig ist musste er mit seiner Familie dorthin umziehen.

Gestern, während der Versammlung, habe ich nach deinen Ankündigungen die Chance entdeckt, dass ich mit einem Wechsel nach Bayern keine längere Fernbeziehung mehr führen müsste. Ich habe gestern noch vor dem Treffen bei euch in der Suite, mit meinem Freund telefoniert und ihm davon berichtet, dass wir uns wahrscheinlich im nächsten Jahr öfter sehen könnten, wenn ich einen Teil meiner Ausbildung am Gutshof absolviere.

Seine Eltern, mit denen ich mich bestens verstehe, und mein Freund haben mich heute Morgen angerufen und angeboten, ich könnte jederzeit fest bei ihnen wohnen, wenn ich meine Ausbildung im Süden weiterführe. Sie haben gemeint, ich solle mit dir reden. Vielleicht ergäbe sich für mich die Möglichkeit bereits jetzt zu wechseln. Gestern, als ich um den Termin gebeten hatte, wollte ich mich nur outen bei dir und mit dir klären, ob eine Beschäftigung nach Ablauf meiner Ausbildung bei euch möglich ist.

Ich soll dir schöne Grüße ausrichten von seinen Eltern. Sie waren schon öfter bei euch im Restaurant und haben dich persönlich kennengelernt, bei einem Treffen der Angehörigen von schwulen Jugendlichen. Michael, mein Freund, besucht regelmäßig euren Treffpunkt für schwule Jugendliche im Gesindehaus.“

Ich überlegte, wen von den Eltern ich in den letzten Monaten neu kennengelernt hatte, die erst vor wenigen Monaten zugezogen waren. Plötzlich fiel mir ein, dass könnte Familie Gruber sein, deren Sohn Michael gerufen wird. Ich fragte Carsten: „Kann es sein, dass dein Freund mit Nachnamen Gruber heißt? Seine Eltern habe ich beim vorletzten Treffen des Elternstammtisches kennengelernt.“

Er schaute mich an, als hätte er mir nicht zugetraut, dass ich mich daran erinnern würde, welche Eltern ich beim Elternstammtisch kennengelernt habe. Er erklärte: „Jetzt bin ich aber platt. Michaels Eltern kennen dich wirklich persönlich, denn sonst hättest du dich sicher nicht an sie erinnern können.“

Ich lachte und sagte: „Du solltest nie Männer in meinem Alter in solchen Dingen unterschätzen, noch sind unsere grauen Zellen voll funktionsfähig. Genaugenommen kenne ich nicht nur seine Eltern, sondern ich habe auch Michael bereits persönlich kennengelernt. Er war vor kurzem bei mir im Büro zu einem Vorstellungsgespräch. Er hat sich um einen Ausbildungsplatz in unserer IT-Abteilung für das kommende Ausbildungsjahr beworben.

Wenn ich den Worten meines Sohnes Philipp und seinem Freund und zukünftigen Ehepartner Marcus vertraue, meine beiden Abteilungsleiter in der Informationstechnologie, gehört Michael mit zu den Favoriten, die von uns eine Zusage für einen Ausbildungsplatz erhalten. Ich mach dir einen Vorschlag. Wir beenden jetzt unser Gespräch und vielleicht kann ich dir heute Abend schon mehr zu deinen Wünschen erklären.“ Er verabschiedete sich bis später.

Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich noch fast zwanzig Minuten Zeit bis zu meinem nächsten Termin hatte. Ich rief Sebastian an und wollte wissen, ob er sich vorstellen könne, in den nächsten Wochen einen Auszubildenden zum Koch, derzeit im zweiten Ausbildungsjahr, aus dem Hotel an der Ostsee, fest zu übernehmen.

Er lachte, und alles, das ich zu hören bekam war, Peter der Samariter ist wieder unterwegs, um ein Problem eines jungen Mannes zu lösen. Ich grinste und meinte zu ihm, dass er da gar nicht so verkehrt läge mit seiner Vermutung. Ich erklärte ihm in kurzen Sätzen die Situation des Jungen. „Peter, du kennst doch unsere Situation in Sachen Personal genauso gut wie ich.

Wir suchen händeringend Mitarbeiter, vor allem, weil in Kürze auch das neue Seminarhotel eröffnet wird. Natürlich nehme ich auch einen Koch im zweiten Ausbildungsjahr. Peter, können wir die weiteren Formalitäten am Sonntag oder Montag klären, Alexandra erwartet mich schon.“

Kaum hatte ich mein Gespräch beendet, kam der nächste Mitarbeiter zum Einzelgespräch. Bis kurz vor vier führte ich noch einige Gespräche mit den Mitarbeitern. Es waren keine persönlichen Anliegen, teilweise waren es Verbesserungsvorschläge oder auch betriebliche Hintergründe.

Kurz nach vier war ich oben in unserer Suite. Die Jungs waren von ihrem Ausflug in die Wellness-Oase im Untergeschoß des Hotels bereits zurück. Felix fragte mich, ob ich noch aufnahmefähig genug sei, damit sie mir ihre Eindrücke und Anregungen von der Anlage vermitteln könnten. Ich erklärte, aufnahmefähig wäre ich schon noch, aber eine Pause würde mir sicher guttun, vor allem wenn nachher noch alle Auszubildenden meine Aufmerksamkeit erfordern. Felix lacht und verkündet, dass er sich das schon gedacht hat und sie Fotos haben. Jeder schreibt seine Eindrücke und Anregungen auf und zu Hause wollen wir dir alles präsentieren.

Das Treffen mit den Auszubildenden sollte heute bereits um achtzehn Uhr beginnen, so dass wir schon um siebzehn Uhr ins Restaurant aufbrachen. Rechtzeitig waren wir wieder an der Suite angelangt, wo bereits die ersten auf uns warteten.

Kurze Zeit später waren alle versammelt und ich sollte ein paar Worte an alle richten: „Ich freue mich, dass ihr heute alle erschienen seid. Meine Jungs haben mir erzählt, dass sie sich mit einigen von euch angefreundet haben und sich schon darauf freuen, wenn ihr im nächsten Jahr, während der Umbauphase des Hotels, einige Monate eure Ausbildung bei uns im Süden verbringt. Ich erinnere euch noch einmal daran, dass ihr mich jederzeit ansprechen könnt, wenn es Probleme gibt. Viel Spaß in den nächsten Stunden bei uns.“

Ich schaute zu Carsten und fragte, ob er kurz Zeit für mich habe. Er folgte mir auf den Balkon unserer Suite. Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, was er von mir erfahren würde.“

Er schaute mich an und antwortete mir: „Ich kann mir alles vorstellen, ich wäre jedoch schon zufrieden, wenn ich nach der Ausbildung bei euch in Bayern anfangen kann. Dazu ab dem nächsten Jahr die Ausbildung während der Umbauphase.“

Damit war ich wieder am Zug: „Heeute Nachmittag habe ich noch ein längeres Gespräch mit Sebastian, unserem Küchenchef, geführt. Ich fragte, ob er sich vorstellen könne, einen weiteren Auszubildenden im zweiten Ausbildungsjahr in seiner Küche zu beschäftigen. Seine erste Reaktion darauf war, Peter bist du wieder als Samariter für schwule Jungs im Einsatz.

Ich habe ihm kurz deine Lage erklärt und er hat sofort zugesagt, dass du ab sofort, also so schnell wie von deiner Seite möglich, bei uns in der Restaurantküche deine Ausbildung weiterführen kannst. Wir klären am Montag nur noch die Voraussetzungen. Ich denke wir werden dich spätestens in vierzehn Tagen bei uns auf dem Gutshof sehen.“

Er schaute mich ungläubig an, bis endlich der Groschen gefallen war. „Wow, das hätte ich jetzt nicht erwartet, ich werde nachher gleich Michael anrufen und ihn damit überraschen, dass ich demnächst bei ihm und seinen Eltern einziehen werde.“

Er schaute mich immer noch mit großen Augen an, bis er von sich gab: „Da habe ich mir jetzt aber ein verdammt großes Problem eingefangen, da ich meinen Eltern jetzt schonend beibringen muss, dass ich sie schon in Kürze verlassen und nach Bayern zu Michael und seinen Eltern ziehe.“

Ich fragte ihn: „Würde es dir helfen, wenn wir gemeinsam mit deinen Eltern ein Gespräch über deine Pläne und die Umsetzung führen? Nur sollten wir dieses Gespräch noch heute Abend führen, da wir morgen zurückfahren.“

„Ja, das wird wohl die beste Idee sein,“ meinte er, „Ich rufe sie gleich an, und entweder sie kommen hierher oder wir fahren zu mir nach Hause, um das Gespräch zu führen.“

Ich meinte: „Am besten du lockst deine Eltern unter einem Vorwand hier ins Hotel. Wie wäre es mit einem Kennenlernen deines neuen Chefs und wir treffen uns mit ihnen unten in der Bar ab neunzehn Uhr dreißig.

Ich ging zurück ins Wohnzimmer unserer Suite, wo Felix mich sofort fragte: „Was ist mit Carsten, worüber habt ihr euch so lange unterhalten?“

Ich meinte: „Das wird euch Carsten sicher gleich selbst erzählen, er telefoniert eben mit seinen Eltern und mit seinem Freund. Ich treffe mich später noch mit Carstens Eltern unten in der Bar.“

Felix lachte und sagte zu mir: „Du hast doch wieder etwas ausgeheckt. Das sehe ich dir an, auch wenn du dich so gibst als könntest du kein Wässerchen trüben. Mir kann’s egal sein, ich muss es nicht ausbaden.“

Felix widmete sich wieder seinen anderen Gesprächspartnern und so wartete ich darauf, dass Carsten ins Zimmer kam. Er ging sofort auf mich zu und erklärte mir: „Das mit dem von dir vorgeschlagenen Termin geht so nicht. Nachdem ich meiner Mutter gesagt habe, dass es bei dem Gespräch mit meinem neuen Chef auch um meine berufliche Zukunft gehen würde, haben meine Eltern nur noch gesagt, dass sie sich sofort auf den Weg machen.

Ich habe Michael nur kurz informiert, der sich riesig darüber gefreut hat, dass er mich demnächst wieder in seine Arme schließen kann. Wir sollten vielleicht sofort nach unten gehen, Ich denke meine Eltern sind in spätestens fünf Minuten im Hotel.“

Ich schaute ihn an und sagte zu ihm: „Okay, ich geh’ schon einmal allein voraus. Du hast erstmal die undankbare Aufgabe, deinen Ausbildungskollegen und meinen Jungs zu erklären, was Sache ist. Felix hat mich schon angesprochen und mir ins Gesicht erklärt, dass ich wieder etwas ausgeheckt habe. Ich habe ihm versprochen, dass du sie selbst informieren wirst, da es dich betrifft. Wir sehen uns in ein paar Minuten unten in der Bar.“

Ich verabschiedete mich aus der Runde mit: „Bis später“ und überließ Carsten seinem Schicksal. Ich fuhr mit dem Aufzug in die Lobby und ging gemütlich in Richtung der Hotelbar. Ich war noch vor der Lobby als ein Ehepaar an mir vorbeieilen wollte. Ich sah sie an und konnte sofort eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Carsten und seiner Mutter erkennen.

Ich sprach sie an: „Sie sind doch sicher die Eltern von Carsten.“ Verwundert blickten sie mich an und ich erklärte: „Ich bin Peter Maurer, der Geschäftsführer der Stiftung, dem neuen Eigentümer des Hotels. Wir brauchen uns nicht zu beeilen. Bis Carsten zu uns stößt, kann es noch einige Minuten dauern. Er erklärt derzeit seinen Mitauszubildenden und meinen vier jungen Begleitern, zwei Mitarbeitern und meinen zwei Pflegesöhnen, welchen Wunsch er an mich herangetragen hat und wie ich entschieden habe. Wir können uns inzwischen einen Tisch suchen und Getränke bestellen, bis Carsten zu uns stößt.“

Wir betraten die Hotelbar und suchten uns einen Tisch in einer ruhigen Ecke der Bar. Der Barkeeper kam zu uns an den Tisch und fragte nach unseren Wünschen, Ich hatte Lust auf ein gepflegtes Bier und so bestellte ich mir ein dunkles Weizenbier. Carstens Vater überlegte und schloss sich meiner Bestellung an. Seine Mutter erklärte, dass sie lieber ein alkoholfreies Mixgetränk bevorzugen würde und fragte, was der Barkeeper anbieten könne. Als sie sich entschieden hatte, meinte ich wir sollten für Carsten gleich mitbestellen, sie wüssten doch sicher, was er bevorzugt.

Als seine Mutter unruhig wurde und von mir wissen wollte, was ihr Sohn angestellt hätte, beruhigte ich sie erst einmal. Ich bot ihnen das Du an, weil das bei uns im Unternehmen so üblich sei, wobei ich meinte, ich bin Peter, aber das hätte ich bereit beim ersten Aufeinandertreffen gesagt. Sie stellte mir ihren Mann als Dirk und sich selbst als Tatjana vor.

Plötzlich stand Carsten am Tisch und begrüßte seine Eltern. Danach erklärte er, dass er sich darüber freue, dass sie so schnell kommen konnten. Er setzte sich zu uns an den Tisch. In dem Moment kam der Barkeeper mit den bestellten Getränken, die er gekonnt servierte. Carsten wunderte sich, dass ihm auch ein Glas vorgesetzt wurde. Ich meinte, ich hätte seine Eltern gebeten, gleich für ihn sein Lieblingsgetränk zu bestellen.

Ich fragte ihn unverfänglich, wie seine Erklärungen oben bei den Jungs und Mädchen angekommen. Sein strahlendes Gesicht zeigte mir deutlich, dass es wohl alle positiv aufgenommen haben. Ich bat ihn, dass er seinen Eltern die ganze Geschichte erzählen soll.

Es dauerte nicht lange bis es aus ihm heraussprudelte: „Ihr wisst seit Jahren, dass ich mit Mädchen nichts anfangen kann und seit zwei Jahren mit Michael fest befreundet bin. Seit seinem Wegzug vor einigen Monaten, sind wir vor allem über die sozialen Medien in Verbindung geblieben. Außerdem wollten wir uns in den Ferien oder im Urlaub treffen.

Wie ihr wisst, ist Michi mit seinen Eltern nach Rosenheim gezogen. Bei der gestrigen Personalversammlung habe ich erfahren, dass der Stammsitz von Peters Firmen in der Nähe von Rosenheim liegt. Wie ich euch gestern bereits erzählt habe, werden alle Auszubildenden, während der Umbauphase des Hotels, am Stammsitz im Jugendhotel, im Restaurant und einem Seminarhotel weiter ausgebildet.

Ich habe Peter heute Mittag gefragt, ob es möglich wäre, dass ich nach meiner Ausbildung in die Restaurantküche nach Rosenheim wechseln kann. Er fragte mich, ob ich Schwierigkeiten hier im Hotel hätte oder warum ich diesen Wunsch habe. Ich habe ihm die Geschichte von mir und Michael erzählt. Er meinte, er würde schauen, was er für mich tun kann. Er würde von sich hören lassen, wenn es Konkretes zu berichten gibt. Gleich zu Beginn unseres Treffens aller Auszubildenden, mit seinen beiden Pflegesöhnen David und Tobias, sowie seinen Mitarbeitern Felix und Dennis, hat er mich gebeten, ihm zu einem Gespräch, auf dem Balkon zu folgen, da er für mich ein Angebot hätte.

Ihr werdet es nicht glauben, was Peter angeboten hat. Ich war selbst im ersten Moment sprachlos. Hinzu kommt, dass Peter sowohl die Eltern von Michael, aber auch Michael bereits persönlich kennengelernt hat. Michaels Eltern hat er bei einem Angehörigenstammtisch von schwulen und lesbischen Jugendlichen kennengelernt. Michael hat sich in seinem Unternehmen als Auszubildender für einen Beruf in der Informationstechnologie beworben und die beiden haben vor kurzem ein Bewerbungsgespräch geführt.“

Sein Vater unterbrach ihn und erklärte, er solle endlich das Angebot unterbreiten und nicht dauernd um den heißen Brei herumreden. Carsten schaute mich mit bittenden Augen an, ich solle seinen Eltern alles erklären.

Ich blickte zu seinen Eltern und erklärte: „Bevor Carsten euch noch länger mit seinem langatmigen Erklärungen auf die Folter spannen will, werde ich euch einfach mein Angebot vorstellen: „Ich habe ihm, nach Rücksprache mit unserem Küchenchef, das Angebot unterbreitet, dass er mit sofortiger Wirkung seine Ausbildung in der Küche des Restaurants im Gutshof fortsetzen kann. Wir werden Anfang der Woche noch die Formalitäten klären, danach steht einem Wechsel nichts mehr im Weg.

Carsten hat bereits die Zusage, dass er bei Michael und seinen Eltern wohnen kann. Damit ist seine Unterbringung ebenfalls geklärt. Er hätte aber auch in unserem neuen Seminarhotel, zwei Kilometer vom Gutshof entfernt, in einem der Personalzimmer unterkommen können. Wie mir euer Sohn unmissverständlich zu verstehen gab, würde er das unwiderstehliche Angebot gern annehmen.“

Da ich geendet hatte und Carsten immer noch nur stumm da saß, meinte Tatjana seine Mutter: „Das waren jetzt eine Menge an Informationen rund um dein Angebot, Peter. Ich fasse einmal das Wichtigste für mich zusammen, Carsten könnte ab sofort seine Ausbildung bei euch im Restaurant im Gutshof fortsetzen. Wohnen würde er bei Michael und seinen Eltern. Das du Michael kennengelernt hast, weil er sich bei euch für einen Ausbildungsplatz beworben, leuchtet mir ein. Bis dahin habe ich alles verstanden, und ist für mich nachvollziehbar. Was für mich unklar geblieben ist, wieso kennst du Michaels Eltern persönlich von einem Stammtisch für Angehörige von schwulen und lesbischen Jugendlichen. Hast du selbst einen schwulen Sohn oder eine lesbische Tochter?“

Ich lachte, dann erklärte ich: „So gesehen ja, mein Sohn ist schwul, meine beiden Pflegesöhne ebenfalls. Im Gesindehaus gibt es Gruppenräume, die von Vereinen oder Gruppierungen unentgeltlich genutzt werden können. Eine Gruppe sind die schwulen Jungs. Sie treffen sich jeden Mittwoch am frühen Abend. Wir haben vom Jugendamt einen Sozialarbeiter, Michael Oberwagner, zugewiesen bekommen, der sich um unsere jugendlichen Gäste kümmert. Er leitet zudem die wöchentlichen Treffen und die Jungs können ihn bei allen Problemen ansprechen. Vor einigen Monaten hat mein Stiftungspartner Gerhard Bauer, der selbst einen schwulen Enkel hat, angeregt, ob wir nicht auch einen Stammtisch für die Eltern und sonstige interessierte Angehörige einrichten können, bei dem sich die Erwachsenen zu diesem Thema austauschen können. Auch für sie steht Michael als Ansprechpartner zur Verfügung. Damit sollte geklärt sein, wieso ich Michaels Eltern kenne.“

Michis Vater Dirk fragte seinen Sohn: Würdest du denn auch zu den Treffen der schwulen Jungs gehen? Der Angesprochen nickte zustimmend.

Ich schaute zu Tatjana und Dirk und fragte sie, wie lange sie Zeit hätten, denn dann würde ich ihnen gern mehr über die Stiftung und ihre Aufgaben erzählen.

Dirk meinte: „Peter, bevor du uns das alles erzählst, würde mich interessieren, wie sich mein Sohn das mit seinem Umzug so vorstellt?“

Da konnte ich jetzt nicht mehr helfen, das musste Carsten jetzt allein seinen Eltern erklären. Immerhin konnte man die Frage seines Vaters bereits als eine Art der Zustimmung betrachten.

Er äußerte sich dazu so: „Ich sehe zwei Möglichkeiten. Bei der Ersten würde ich zwei große Koffer packen, ihr bringt mich zum nächsten Bahnhof, Weiterfahrt mit dem Zug bis Rosenheim und dort holt mich Michael mit oder ohne seine Eltern vom Bahnhof ab. Alternativ könnte mich ein Mitarbeiter von Peter vom Bahnhof abholen und zu Michael und seinen Eltern bringen.

Die zweite Möglichkeit sieht wie folgt aus: Ich packe meine Sachen, wir verladen alles ins Auto und ihr bringt mich auf dem direkten Weg nach Rosenheim. Wenn wir an einem Freitag fahren, könntet ihr bis Sonntag bleiben, euch meinen neuen Arbeitsplatz anschauen, mit Michaels Eltern plaudern und euch erneut mit Peter treffen. Da wäre nur die Frage der Unterbringung für die zwei Nächte zu klären. Vielleicht könnt ihr bei Michaels Eltern übernachten. Ansonsten hoffe ich, dass euch Peter etwas anbieten kann.“

Ich lachte und sagte zu Carsten: „Sollte doch eigentlich klar sein, dass ich deinen Eltern eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten kann. Immerhin betreiben wir zwei Hotels vor Ort. Da wird sich schon ein Plätzchen finden. Weil meine beiden Gästezimmer derzeit belegt sind, gäbe es noch die Möglichkeit, bei meinem Sohn und seinem Lebensgefährten im Gästezimmer, eine Etage über unserer Wohnung unterzukommen.“

Tatjana meinte: „Der zweite Vorschlag würde mir gefallen, ich werde morgen mit Astrid klären, ob wir bei ihnen übernachten können. Ansonsten würden wir uns bei dir melden, Peter.“

Plötzlich stand Felix neben mir und fragte höflich, ob er mich für ein paar Minuten ausleihen könnte, da sich die Auszubildenden noch von ihrem neuen Chef verabschieden möchten. Ich sah zu Tatjana und Dirk, die beide nur nickten. Ich ging mit Felix zusammen in die Hotellobby. Unterwegs erklärte ich ihm, dass er mit den drei anderen am weiteren Gespräch mit Carstens Eltern teilnehmen soll.

Ich verabschiedete mich von jedem einzelnen mit Handschlag und verkündete, dass wir uns spätesten im nächsten Jahr alle im Gutshof wiedersehen werden. Nachdem alle das Haus verlassen hatte, ging Felix nach oben, um die anderen zu holen. Ich ging wieder in die Bar zurück und erklärte, dass meine beiden Pflegesöhne und die beiden Mitarbeiter gleich zu uns stoßen würden.

Kaum hatte ich meine Ankündigung ausgesprochen, standen alle vier neben mir. Ich stellte Tatjana und Dirk die Jungs der Reihe nach vor. „Derjenige, der mich ausleihen wollte, ist Felix Müller, Mitarbeiter der Stiftung und Ansprechpartner für das Hotel an der Ostsee. Neben ihm steht Dennis Huber, Auszubildender zum Hotelfachmann, er lernt sowohl im Restaurant als auch im Jugendhotel.

Der nächste in der Reihe ist David Politowsky und neben ihm steht Tobias Huber, meine beiden Pflegesöhne. Tobias hat mit neun Jahren seine Eltern durch einen Unfall verloren und lebte bis vor kurzem in einem Kinderheim. David hat es mit seinen Eltern nicht so gut getroffen. Als er ihnen erzählte, dass er schwul ist, haben sie ihn aus dem Haus geworfen und er lebte im selben Kinderheim wie Tobias.“

Carsten übernahm die Aufgabe, seine Eltern den Jungs vorzustellen. Ich fragte die Jungs, was sie trinken möchten, und Carsten übermittelte ihre Wünsche an den Barkeeper. Meine Jungs setzten sich zu uns. Während Carsten an der Bar auf die Getränke wartete und fragte ich die Jungs, was Carsten ihnen erzählt hat.

David erklärte uns: „Er hätte dich gefragt, ob er nach seiner Ausbildung bei uns einen festen Arbeitsplatz bekommen könne. Scheinbar hat er dir wohl auch von seinem Freund, der in Rosenheim wohnt, erzählt. Du hättest ihm angeboten, dass er seine Ausbildung sofort bei uns fortsetzen kann und er sich deswegen mit dir und seinen Eltern zusammensetzt.“

Carsten kam mit den Getränken und setzte sich zu uns. Tatjana fragte, ob sie den Jungs einige private Fragen stellen darf. Ich schaute die Jungs an und sie signalisierten, dass sie geneigt sind, ihre Fragen zu beantworten. Ich antwortete ihr: „Die Jungs wollen Fragen beantworten, sie solle aber akzeptieren, dass sie manche Frage vielleicht nicht beantworten wollen.“

Die erste Frage ging an Felix: „Felix, du arbeitest für die Stiftung, was hat dich bisher am meisten beeindruckt?“

Felix überlegte kurz, bevor er antwortete: „Da gibt es zwei Dinge, die mich bisher am meisten beeindruckt haben. Zum eines ist es die Person Peter, der immer das Wohl seiner Mitarbeiter als oberste Priorität sieht. Ich kann dir ein Beispiel aufzeigen, wo ich selbst involviert war. Vor wenigen Monaten hat die Stiftung einen größeren Nachlass übernommen. In diesem Nachlass war eine eigene Immobilienverwaltungsgesellschaft enthalten. Peter hat sich mit den Mitarbeitern in München zusammengesetzt und hat von vornherein klar erklärt, dass er alle Mitarbeiter übernehmen will, sie aber alle in der Zentrale im Gutshof sehen möchte.

Er hat sie mit ihren Familien zu einem Schnupperwochenende auf den Gutshof eingeladen, und dort seine Pläne detaillierter erläutert. Auf dem Gutshofgelände werden bis Ende nächsten Jahres acht Gebäude mit Wohnungen errichtet, dort würde er ihnen günstige Wohnungen anbieten können. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt die Verwaltung in München.

Mein Freund Dennis hat an diesem Schnupperwochenende seinen Ausbildungsplatz am Gutshof bekommen, seine Eltern sind derzeit noch in München, kommen dann nächstes Jahr nach. Sein Vater ist einer der Mitarbeiter aus der Immobilienverwaltung in München. Dennis’ andere Option wäre gewesen, seine Lehre in München zu beginnen und nächstes Jahr allein in München zu bleiben.

Der andere Punkt hat auch wieder mit Peter zu tun. Ursprünglich war geplant die Kinder aus den Kinderheimen während der Ferien im Gesindehaus unterzubringen. Durch eine Reihe von Fehlern wurden vom Jugendamt zuviele Zusagen vergeben, so dass die Kinder nicht mehr im Jugendhotel untergebracht werden konnten. Peter hatte mich gebeten eine Aufstellung zu machen wie viele Kinder je Woche hier sein würden. Gleichzeitig hatte Marion, unsere Sozialarbeiterin, den Vorschlag unterbreitet die Ferienunterbringung in einem Zeltlager durchzuführen.

Peter hat zugestimmt, unter der Voraussetzung, dass am Zeltlager auch Kinder aus normalen Familienverhältnissen teilnehmen dürfen. Durch Zusagen von Jugendgruppen vom Roten Kreuz, einigen Jugendgruppen vom Technischen Hilfswerk, zwei schwulen und lesbischen Jugendgruppen und einem Fußballverein wurde das Zeltlager ein Riesenerfolg, der zukünftig wiederholt werden soll. Bewundert habe ich dabei, wie routiniert Peter jegliche Probleme, die aufgetaucht sind, aus dem Weg geräumt hat.“

Dirk meinte: „Peter, das waren nur Lobeshymnen auf dich, siehst du das ebenfalls so?“

Ich schaute ihn an und erwiderte: „Ich verstehe, wie Felix das meint, nur sehe ich es nicht als Lobeshymne. Er kennt mich schon viele Jahre, nicht erst, seit er bei uns arbeitet. Es gibt einen Grundsatz, den ich unumstößlich vertrete, Toleranz jedem Menschen gegenüber. Wichtig ist für mich auch, dass ich zu einem gegebenen Wort stehe. Ich will ein verlässlicher Partner sein, sowohl gegenüber unseren Kunden als auch gegenüber allen Mitarbeitern.“

Tatjana stellte ihre nächste Frage: „Tobias und David, ihr seid Peters Pflegesöhne, wenn ihr wieder in ein Kinderheim zurückgehen müsstet, wie wäre das für euch?“

Als erster legte David los: „Für mich wäre das eine absolute Katastrophe. Ich habe vor ein paar Tagen gesagt, Peter und Thomas waren in einer Woche mehr Eltern für mich als meine leiblichen Eltern in meinem ganzen Leben vorher. Im Kinderheim habe ich mich nie wohl gefühlt. Ich würde darum kämpfen bei Peter und Thomas bleiben zu dürfen.

Tobias erklärte: „Für mich wäre es zwar keine Katastrophe, aber glücklich wäre ich auch nicht. Als schwuler Junge ist es ohnehin schwierig an Pflege- oder Adoptiveltern vermittelt zu werden. Ich war so glücklich als mir gesagt wurde, dass ich in eine Pflegefamilie kommen kann. Als ich Peter und Thomas kennengelernt habe ich sofort zugestimmt. Ja, ich würde auch kämpfen, um bleiben zu können. Ich vertraue bei Thomas und Peter darauf, dass sie mich nie wieder in ein Heim zurückschicken werden.“

Tatjana erklärte: „Keine weiteren Fragen an die Jungs, sie haben meinen ersten Eindruck von Peter bestätigt. Ich würde jedoch mehr wissen wollen von Peter und Thomas, seid ihr beide ebenfalls ein schwules Pärchen?“

Ich fühlte mich angesprochen und so erzählte ich in Kurzform meinen Lebensweg: „Mit fünfundzwanzig habe ich Gabi geheiratet, wir bekamen zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Nach gut neun Jahren glücklicher Ehe verstarb meine Frau an Krebs. Thomas war ein Arbeitskollege, mit dem sich meine Kinder von Anfang an gut verstanden haben. Irgendwann sind wir uns nähergekommen und seit etwas mehr als fünfzehn Jahren leben wir glücklich miteinander.

Ich würde mich daher als bisexuell bezeichnen. Wir sind zwar bereits verpartnert, haben uns jetzt entschlossen, unsere Verbindung vor einem Standesbeamten zu erneuern. In knapp acht Wochen findet unsere Hochzeitsfeier statt. Mein Sohn Philipp mit seinem Lebensgefährten Marcus und unser Gärtnerpärchen Manuel und Daniel schließen sich unserem Schritt an, so dass wir eine Dreifach-Hochzeitsfeier veranstalten werden.

Dirk schaute mich an und erklärte: „Ich hätte nie vermutet, dass du schwul oder bisexuell bist. Du zerstörst mein bisheriges Weltbild von Verhalten gleichgeschlechtlicher Personen. Obwohl, wenn ich deine Begleiter so betrachte, auch sie hinterlassen nicht unbedingt beim ersten Eindruck, dass sie schwul wären.“

Ich blickte zur Uhr und meinte: „Ich habe das gute Gefühl, dass einem Umzug eures Sohnes nichts mehr im Weg steht und gehe davon aus, dass wir uns in ein oder zwei Wochen bei uns in Rosenheim wiedersehen werden. Dann können wir unser Gespräch zu diesem Zeitpunkt fortsetzen und vertiefen. Ich fürchte fast, wenn wir jetzt weitermachen, sitzen wir weit nach Mitternacht immer noch hier. Was mich noch interessiert, was macht ihr beruflich?“

Dirk sagte: „Was unseren Sohn betrifft, vermutest du richtig, wir sind uns einig, dass er sein Leben selbst gestalten muss, und wenn er mit Michael glücklich werden kann, wieso sollten wir ihm im Weg stehen. Wir werden die Gelegenheit nutzen, unseren Sohn bei Astrid und Hubert abzuliefern und uns mit euch zu treffen. Wir freuen uns schon darauf, deinen Partner kennenzulernen. Was das Berufliche angeht, meine Frau und ich sind Architekten mit eigenem Büro, wobei Tatjana viele Jahre wegen der Kinder nur bedingt mitgearbeitet hat. Inzwischen ist sie aber wieder voll eingestiegen.“

Wir verabschiedeten uns von Familie Arndt und wünschten ihnen noch einen schönen Abend, mit der Anmerkung, dass wir uns in Kürze wieder Treffen würden. Wir machten es uns im Wohnzimmer gemütlich und ich wollte die Jungs fragen, was sie von Carstens Eltern halten, als Felix mich bremste.

Er schaute mich an und stellte uns seine Idee vor: „Du Peter, ich könnte mir vorstellen, dass Dirk und Tatjana als Architekten für die Bauleitung beim Hotelumbau in Frage kommen. Sie sitzen vor Ort und haben sicher einen guten Draht zu den örtlichen Handwerkern. Du solltest in Ruhe über meinen Vorschlag nachdenken. Immerhin haben wir sie bereits kennengelernt und sie uns ebenfalls. Wir haben doch vor einigen Tagen darüber gesprochen, dass das Architekturbüro Schreiber einen ortsansässigen Partner ausfindig machen soll. Die Suche hätte sich damit erledigt.“

Felix Vorschlag kam etwas überraschend für mich. Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir sein Vorschlag. Tobias erklärte ergänzend: „Felix’ Vorschlag klingt doch hervorragend. Ich denke du solltest sie jedoch vielleicht vorher fragen, ob sie sich, das zutrauen und ob sie genügend freie Kapazitäten haben, um dieses Projekt für uns abzuwickeln. Wenn nicht, dann muss eben doch nach einem anderen Partner für das Projekt gesucht werden.“

Mit diesen Argumenten blieb mir nichts anderes übrig, deshalb versprach ich: „Ich werde am Montag zuerst mit Jason oder Jenifer abklären, ob sie bereits einen Partner gefunden oder zumindest ins Auge gefasst haben. Ansonsten würde ich ihnen Carstens Eltern als mögliche Partner nahelegen. Die Idee von Felix klingt sehr gut und sein Argument, dass wir die Beiden bereits kennengelernt haben, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen.“

Nach diesem Statement stellte ich trotzdem noch die Frage, was sie von Carstens Eltern halten. Felix meinte nur, meine Meinung kennst du bereits, sonst hätte ich sie dir nicht als mögliche Geschäftspartner vorgeschlagen.

David vertrat die Meinung, dass Carstens Eltern schwer in Ordnung sind, immerhin haben sie kein Problem damit, ihn nach Bayern zu seinem Freund ziehen zu lassen. Dennis erwähnte nur, dass er sich bisher über Carstens Eltern keine Gedanken gemacht hat.

Tobias fand auch gut, dass Dirk und Tatjana ihrem Sohn keine Steine in den Weg legen wollen und ihn sogar dabei unterstützen wollen, seine Ausbildung in einem anderen Ausbildungsbetrieb fortzusetzen.

Ich wünschte den Jungs eine gute Nacht und zog mich in meine Einzelzimmer zurück.

Lesemodus deaktivieren (?)