Stories
Stories, Gedichte und mehr
Quersummen
Teil 4 - Hintergrundgeräusche
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Quersummen
- Autor: Tasfarel
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
Vorgeplänkel die soundsovielte.
Es ist mal wieder soweit. Die Langeweile hat mich überfallen und wie bekämpft man sie am besten? Man schreibt auf das man etwas zum lesen hat. Und wie das schon Gewohnheit geworden ist an dieser Stelle erst mal einen kleinen Dank an die Leute, die schon einmal vorher drübergelesen und hier und da ein paar Tipps dagelassen haben und wie immer mein herzlichstes Beileid an Tassi, den alten Kommafuchs. Was bleibt mir noch zu sagen außer viel Spaß beim Lesen und niemals die Sonnencreme vergessen, wenn man in die Sonne geht.
11
Als ich unser Klassenzimmer betrat erntete ich einige befremdliche Blicke. Wahrscheinlich würden sich die meisten Leute noch an mein neues Aussehen gewöhnen müssen. Aber das war mir im Moment vollkommen Schnitte. Die Frage war, wie sich Peter entscheiden würde. Die Antwort darauf sollte ich früher bekommen als mir lieb war, denn kaum hatte ich mich gesetzt flog Susi schon zur Tür herein.
„Ich mach dich platt. Ich hab’s dir gesagt. Ich hau dich um!“
Verdammte Scheiße. Es war schiefgegangen. Ich hatte es mir also doch zu einfach vorgestellt. Während ich noch dabei war in Selbstmitleid zu zerfließen, packte mich Susi am Kragen und wollte mich scheinbar an Ort und Stelle einstampfen. Normalerweise wäre das eine recht amüsante Situation gewesen, Susi war immerhin kleiner und leichter als ich. Im Moment war mir jedoch überhaupt nicht nach Scherzen zumute. Andererseits sollte man das den Frauen eigene Furien-Gen nicht außer Acht lassen.
„Was zur Hölle hast du ihm jetzt wieder an den Kopf geworfen. Er ist einfach abgehauen, bevor ich mit ihm reden konnte. Ich hab echt gedacht ich könnte dir vertrauen, wenigstens dieses eine Mal noch und was machst du? Du elender...“
Susis Worte gingen einfach unter. Mein Gehirn hatte fieberhaft angefangen zu arbeiten. Ich wusste mehr von Peter als Susi klar war und in diesem Moment konnte ich Jojo eindeutig nachfühlen. Sie hatte gesagt dass er weggelaufen war und folgerichtig war in meinem Kopf ein ganz bestimmter Film angelaufen. Dementsprechend fiel auch meine Reaktion aus. Ich gab Susis Druck nach und griff sie mir meinerseits am Kragen.
„Wohin?“
Ich glaube ich habe Susi richtig angeschrieen, denn sie wurde mit einem Mal kreidebleich und ließ mich los. Mit so einer Reaktion hatte sie wohl nicht gerechnet, ich im Normalfall allerdings auch nicht.
Eine knappe Minute später war ich aus der Schule raus und hatte dabei fast Frau Schaller umgerannt, die mir irgendetwas hinterher brüllte, was mir jedoch herzlich am, ihr wisst schon was, vorbeiging. Susi hatte mir nicht sagen können wohin genau, nur das er nach links gerannt war, nachdem er das Tor hinter sich gelassen hatte. Ich lief also in die gleiche Richtung, musste allerdings nach Kurzem feststellen, dass ich so nicht wirklich zu einem Erfolg kommen würde. Es blieb mir nur noch eine Wahl.
„Es ist mitten in der Nacht. Bist du bescheuert? Ich habe Ferien.“
„Halt die Klappe und sag mir wohin er gerannt ist.“
Jojo schaltete zum Glück relativ schnell und ließ den beißenden Kommentar stecken. Er sagte mir wo ich es versuchen könnte und ich machte mich umgehend auf den Weg. Derweil wollte Jojo versuchen Peter übers Handy zu erreichen.
Zehn Minuten später fiepte mein mobiles Kommunikationsgerät einmal kurz auf. Jojo hatte mir Peters Nummer geschickt und geschrieben, dass Peter ihn mehrmals weggedrückt hätte. Während ich weiterlief versuchte ich nun meinerseits mein Glück, doch meine Anrufe wurden nur von der Mailbox registriert, die nach dem fünften Klingeln verkündete, dass der Anrufer einfach keinen Bock hätte sich mit mir zu unterhalten. So etwas in der Art ist ja immer der Fall, wenn jemand nicht an sein Telefon geht.
Es war nicht mehr allzu weit bis zu dieser vermaledeiten Brücke und er ging immer noch nicht ran. Wenn der jetzt irgendeine Scheiße baut, dann belebe ich ihn wieder und töte ihn gleich noch einmal, das ist Fakt.
Ein paar Minuten später hatte ich mich endlich aus dem Wald heraus- und den Abhang hinaufgequält. Ziemlich ruhige Ecke hier und auch verdammt schön, wenn da nicht der Typ da auf dem Brückengeländer sitzen würde. Es waren mindestens zwanzig Meter bis nach unten, vielleicht auch mehr, denn Schätzen war leider keine meiner Stärken. Ist ja eigentlich auch vollkommen Brust. Ich sollte mich viel lieber darum kümmern, dass mir Peter nicht von der Brücke hüpft.
Im Grunde genommen gab es nur zwei Möglichkeiten. In der ersten würde ich mich als Psychiater versuchen, um ihm die Sinnlosigkeit seines Vorhabens detailliert darzulegen. Da mir dafür allerdings die Ausbildung und das Fingerspitzengefühl fehlten, entschied ich mich gleich für Plan B, schlich mich an und zerrte ihn ruckartig nach hinten. Das Dumme daran war, dass er doch einiges mehr wog als ich bedacht hatte und ich, als ich unter ihm lag erst, mal nach Luft schnappen musste während er, auf mir liegend, plötzlich anfing wild herumzuzappeln.
„Alter, willst du mich umbringen? Pass doch auf!“
„Ich dachte, du wolltest das!“
„Du?“
War das jetzt so unwahrscheinlich, dass ich hier auftauchen könnte?
„Ja, wie du siehst.“
„Was willst du und wie hast du mich hier überhaupt gefunden?“
„Ich hab mir Sorgen gemacht und...“
Ja tolle Wurst. Und nun? Lügen oder gleich das nächste Fettnäpfchen mitnehmen? Welch kolossal beschissene Wahlmöglichkeiten das Schicksal wieder einmal für mich auf Lager hat. Und natürlich ist auch kein Telefonjoker in der Nähe.
„Was und?“
Da ist aber jemand ziemlich ungeduldig. Ich zerbreche mir hier die Rübe damit mein Kopf nicht schon wieder in irgendeiner Schlinge landet, und der fängt an zu drängeln.
„...und ich hab Jojo angerufen.“
Es rattert... Es rattert immer noch. Wenn ich Glück habe, dann kollabiert sein Hirn jetzt und er fängt sich eine spontane Amnesie ein, so dass wir noch mal ganz von vorne anfangen können.
„Jetzt wird mir alles klar. Das Ganze war also doch nicht deine eigene Idee. Hätte ich mir auch denken können.“
„Was soll das denn bitte heißen?“
„Na ganz einfach. Jojo hat herausgekriegt wer du bist, hat dich zusammengefaltet und gezwungen, dich bei mir zu entschuldigen.“
„Du wirst gerade unlogisch!“
„Damit kennst du dich ja aus!“
Kruzitürken. Geht das jetzt schon wieder los? Jede dämliche Versöhnung, die ich versuche, endet mit Streit, Drohungen und Schlägen. Das muss irgendwie an meinem Gesicht liegen. Oder ich habe „Arsch“, nein wahrscheinlich eher „tritt mich, schlag mich, gib mir Tiernamen“ auf der Stirn stehen. Na gut, das zweite ist ein bisschen zuviel Text für meine Stirn, aber trotzdem.
‚Wechsel das Thema.’
‚Och ne, du auch noch.’
‚Ja, da bin ich wieder.’
‚Danke für den Tipp. Hast du vielleicht auch gleich die passende Idee auf Lager?’
‚Na klar.’
‚Und die wäre?’
...
„Du hast meine Entschuldigung also angenommen?“
„Wie kommst du denn auf den schmalen Pfad?“
„Du trägst es.“
„Ach das. Diesen Blödsinn hat bestimmt auch Jojo eingefädelt.“
‚So. Jetzt reicht es. Der hat ja wohl nicht mehr alle Hühner auf der Leiter!’
Ich ließ ihn einfach stehen und machte mich, ohne mich noch einmal umzusehen, auf den Rückweg zur Schule. Für den Scheiß hatte ich mir also gleich am ersten Tag einen Eintrag eingefangen. Deswegen durfte ich mir heute wahrscheinlich noch eine Moralpredigt von Frau Schaller anhören und Mathe hatte ich auch verpasst, was im Groben hieß, dass ich mir den Wirrsinn mit den Kursen und dem Stundenplan alleine erklären konnte. Wirr wurde man nämlich dabei auf jeden Fall, außer man war Lehrer oder kam vom Planeten Streberia.
Dementsprechend motiviert trampelte ich den Hügel wieder herunter und redete mit mir selbst, da konnte mir wenigstens keiner widersprechen...
„Unglaublich. Ich glaub echt es hackt. Da hockst du ewig und drei Tage herum und überlegst wie ein Bekloppter, was man anstellen könnte um alles wieder ins Lot zu bringen. Kurz vor dem geistigen Knockout fällt dir endlich was ein und dann so was. Kann ich doch nichts dafür, dass ich Jojo getroffen habe. Ich wollte mich doch sowieso entschuldigen. Na ja, irgendwie jedenfalls. Und dann steh ich heute früh eine geschlagene halbe Stunde im Bad, um alles perfekt zu machen und die Pflaume registriert das nicht einmal. Das war’s echt endgültig, der nächste, der mir dumm kommt, dem hau ich die Rübe runter.“
„Du schimpfst wie ein altes Waschweib.“
‚So, genug ist genug. Irgendwann ist auch meine Schmerzgrenze erreicht. Jetzt meinst du blöder, kleiner, giftiger, grüner Schlumpf auch noch die Fresse aufreißen zu müssen. Aber nicht mit mir! Und wenn ich mir dafür den Schädel spalten muss, du bist mir das letzte Mal blöde gekommen!’
‚Also erstens kannst du das schon mal vergessen. Ich rede, wenn es mir passt. Zweitens verbitte ich mir, dass du mich klein nennst, schließlich habe ich dich auch nie Schnapsdrossel genannt, obwohl ich Gründe genug dafür gehabt hätte. Drittens war ich das gerade eben überhaupt nicht und viertens...’
„... Vorsicht Baum!“
- Haben Sie öfter Migräne oder leiden Sie unter spontanen Kopfschmerzattacken, dann holen Sie sich jetzt, zum einmaligen Sonderpreis von nur fünf Geld achtzig, den einzigartigen, in wunderschönem gelb gehaltenen, robusten Sturzhelm der Firma Stürzen&Partner -
Verdammte Axt, wo kam der Baum her? Ach so, ich bin ja im Wald.
Mühsam versuchte ich den Wirrwarr in meinem Kopf wieder in Ordnung zu bringen, als es mir siedend heiß in den Kopf schoss. Der Giftzwerg hatte vorhin nichts gesagt und ich war auch kein Bauchredner. Ruckartig wollte ich aufspringen, hatte dabei aber vergessen, dass ich immer noch im Wald war und knallte volle Kanne an einen Ast, der sich unerhörter Weise genau über meinem Schädel positioniert hatte. Hört das denn heute überhaupt nicht mehr auf?
„Das wird dann wohl die zweite Beule.“
„Danke für die Blumen. Wa... wa... was machst du denn hier?“
„Ich bin Hobbyornithologe und habe vorhin den seltenen und überaus scheuen Rohrspatz schimpfen gehört und den wollte ich mir natürlich aus der Nähe anschauen.“
„Klugscheißer!“
„Vollidiot!“
„Gut, dann hätten wir das also geklärt. Kannst du mir dann jetzt mal hoch helfen, schließlich bin ich eine bedrohte Tierart und muss vor weiteren Verletzungen beschützt werden.“
„Hmm, na dann will ich mal nicht so sein.“
Pünktlich zur Frühstückspause hatten wir endlich unsere heißgeliebte Schule wieder erreicht. Welcher Schüler hält es denn auch lange ohne seinen liebsten Zweitwohnsitz aus. So langsam war ich mir sicher, dass ich heute einen zu viel auf die Nuss bekommen hatte, denn ich begann eindeutig unlogisch zu argumentieren.
Geredet hatten wir auf dem Rückweg auch nicht wirklich. Vielmehr waren wir beide damit beschäftigt gewesen, Löcher in die Gegend zu starren. Eigentlich brannte mir da ja eine bestimmte Frage auf der Seele, aber so recht traute ich mich nicht zu fragen, warum Peter eigentlich weggelaufen war. Ich hatte gehofft, dass er es vielleicht von selber erzählen würde, aber dem war nicht so. Dafür hatte ich mehrfach das Gefühl, dass mich jemand beobachten würde. Allerdings sah Peter immer in eine andere Richtung, wenn ich kurz zu ihm rüberschaute. So enterten wir, jeder weiterhin mit sich selbst beschäftigt, den bereits gut gefüllten Schulhof.
Und so wie der Typ, dessen Name mir gerade nicht einfällt, damals das Meer geteilt hatte, um sein Volk in die Freiheit zu führen, teilte Susi ihrerseits, zwar weniger monumental aber doch sehr eindrucksvoll, die wogenden Schülermassen und pflügte, einer Dampfwalze gleich, auf uns zu, wahrscheinlich um mich endlich von meinen Leiden zu erlösen.
Diese Gefahr nahm ich allerdings nicht allzu ernst, da sich gerade ein Lachkrampf seinen Weg ans Licht bahnte. Von den ersten Auswirkungen des selbigen behindert, schaffte ich es gerade noch, Peter davon zu berichten. Dann war Ende Gelände. Das Bild, welches sich in meinem Kopf manifestiert hatte, war einfach zum Schreien komisch und dem Gelächter neben mir nach zu urteilen, war ich nicht der Einzige, der das äußerst amüsant fand.
Irgendwann hatten wir es dann wieder im Griff. Der halbe Hof hatte uns wohl inzwischen bemerkt und Susi stand recht unschlüssig vor mir. Natürlich wolle sie sofort wissen, was denn so lustig wäre, aber den Impuls spontan die Wahrheit zu sagen konnte ich, dank langjähriger Erfahrung im Umgang mit Susi, gerade noch rechtzeitig unterdrücken. Als ich aber konternder Weise zu einem diplomatischen „Ach nichts“ ansetzten wollte, plapperte der Dödel neben mir einfach drauflos. Und dabei dachte ich immer, Schwule hätten in der Hinsicht ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl. Weit gefehlt in diesem Fall. Das Ergebnis waren zwei gut platzierte Kopfnüsse, da Susi das Bild eines blonden Racheengels im Xena-Kostüm, aus dessen Nasenflügeln kleine Rauchwolken hervorquollen, scheinbar nicht allzu lustig fand. Auch die todesmutigen Fünftklässler, die sich dem Racheengel heldenhaft in den Weg geworfen hatten und nun zu Dutzenden an seinen Beinen hingen, ohne dass der Racheengel sie wirklich wahrnahm und einfach hinter sich her schleifte, konnten Susi scheinbar nicht von der unübersehbaren Komik meines Bildes überzeugen.
Mit einem dahingenuschelten „Vollidioten“ ließ sie uns stehen und stapfte wieder zurück zu den anderen. Und wenn man genau hinsah, konnte man noch immer jene tapferen Fünftklässler an ihren Beinen hängen sehen.
„Idiot! So was erzählt man doch nicht weiter und vor allem nicht Susi!“
„Blödmann! Woher soll ich denn das wissen? Bin ich Moses? Wächst mir Gras aus den Ohren?“
„Lass mich mal nachschauen.“
„Es klatscht gleich... aber keinen Beifall.“
Also wenn er wollte, konnte der Typ ja richtig witzig sein. Ich war mir eigentlich nicht bewusst, dass er früher auch schon so schlagfertig gewesen war, allerdings hatte ich diese Zeit auch größtenteils aus meinem Gedächtnis gestrichen.
„Wir sollten dann langsam reingehen. Ich glaube wir haben für den ersten Schultag genug verpasst.“
„Glaub ich auch... Übrigens, du siehst gar nicht mal so schlecht aus.“
Es war ihm also doch aufgefallen. Wenigstens war er nicht blind. Moment. Stop. Hatte mich Peter da eben völlig verklärt angeschaut. Nicht, dass der sich jetzt in mich verguckt. Das kann ich nämlich überhaupt nicht gebrauchen.
Fragen konnte ich ihn das im Moment allerdings nicht, ganz abgesehen davon, dass ich so eine bescheuerte Frage niemals nüchtern stellen würde, da er bereits auf dem Weg ins Schulhaus war und ich zusehen musste, dass mein Hintern auch pünktlich zur nächsten Stunde auf meinem Stuhl war. Nach einem kurzen Umweg über die Bedürfnisanstalt meiner Bildungsanstalt, betrat ich dann zum zweiten Mal am heutigen Tag unser Klassenzimmer und stellte bestürzt fest, dass irgendeine Pflaume so dreist gewesen war, ihren Rucksack auf meine Schulbank zu knallen. Am Ende noch ein neuer Schüler. Gab es da noch irgendwelche Leute aus meiner Kindheit, die nicht auf dieser Schule waren? Wahrscheinlich machten sich meine Mitschüler einen Spaß daraus, die Neuen in Zukunft neben mir zu platzieren, damit diese erst einmal den Schock fürs Leben bekamen. Machen konnte ich im Moment allerdings sowieso nichts. Susi saß immer noch, ein paar Reihen hinter mir, mit Peter zusammen und jemand anderen wollte ich nun auch nicht unbedingt in meiner Nähe haben. Nichts gegen meine Klassenkameraden, versteht mich da bitte nicht falsch, die meisten sind vollkommen in Ordnung, aber manchmal labern die Leute einfach nur Grütze. Es hieß nun also abwarten und schauen welcher Wahnsinnige sich da neben mich setzen wollte.
„Guten Morgen die Zweite.“
Och nö. Frau Schaller. Ich hab doch heute echt niemandem etwas getan. Wieso also krieg ich hier ständig eins auf den Deckel.
„Alle Mann auf ihre Plätze, wir fangen jetzt an mit Mathe.“
Aha mein neuer Banknachbar hat sich also endlich neben mich bequemt. Na mal schauen wer dieses lebensmüde Bürschchen ist... Caramba, das hätte ich jetzt nicht erwartet.
„Sitzt du nicht mehr neben Susi?“
„Nö. Da wir ja jetzt Freunde sind, habe ich mir gedacht, ich geh dir jetzt öfter auf die Nerven.“
„Na schönen Dank auch.“
„Wenn die Herren in der ersten Reihe dann bitte ihre Gespräch... äh... beenden würden. Ich würde sehr gerne mit meinem Unterricht beginnen.“
Ui, mir scheint das Frau Schaller da eben fast sprachlos war, als ihr aufging wer da in der ersten Reihe eigentlich vor ihr saß. Das Bild mit dem Schwein, das ins Uhrwerk schaut, würde ihr Gesicht im Moment sehr gut beschreiben. Da hat sie wohl noch niemand über die Lage der Nation ins Bild gesetzt und ich konnte damit einen weiteren Strich auf meiner ich – schock – euch – alle – nieder Liste machen.
Die Mathestunde an sich war ziemlich langweilig, da Frau Schaller erwartungsgemäß zuerst einmal den Stoff aus dem letzten Schuljahr wiederholte. Und da ich, bis auf die letzten Wochen, immer ziemlich gut im Stoff gesteckt hatte, waren die gestellten Wiederholungsaufgaben eine recht einfache Kür, die es zu absolvieren galt. Das einzig Spannende war das Austesten der nervlichen Belastungsgrenze unserer Klassenlehrerin, durch ständiges leises Murmeln zweier Elemente der Gruppe Schüler, die sich in der ersten Bankreihe aufhielten. Im Laufe unseres Tests stellten wir fest, dass Frau Schaller, zum Ende der Stunde hin, doch ziemlich genervt von unserem ständigen Getuschel schien. Folgerichtig wurden wir nach dem Unterricht in ihr Zimmer bestellt.
„So ihr beiden. Setzt euch bitte... Wie mir scheint habt ihr inzwischen eure Differenzen beigelegt und seid Freunde geworden.“
„So sieht es aus.“
‚Welch selten geistreicher Kommentar war mir denn da wieder entschlüpft?’
„Das freut mich. Außerdem freut es mich, dass du dich scheinbar wieder gefangen hast und ich mir keine Sorgen mehr machen muss Florian.“
„So sieht es aus.“
‚Geil, irgendwo muss ich mein Hirn verloren haben. Hier läuft ja ständig die gleiche Platte.’
„Du hast heute ein bemerkenswert großes Repertoire an Antworten.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen.“
‚Ja na klar. Nun fall mir doch gleich bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken. Ein schöner Freund bist du mir.’
„Und du scheinst mir gerade eben deine Ader fürs Vorlaute gefunden zu haben Peter.“
Haha, der hatte gesessen. Da wurde einer ganz plötzlich zur Tomate. Das musste ich mir unbedingt merken und beim nächsten Mal einen Fotoapparat zur Hand haben.
„Also, weswegen ich euch nun eigentlich herbestellt habe. Ich bin ja wie gesagt froh, dass ihr euch endlich gut versteht, aber wenn ihr jetzt anfangt, zu kleinen Quatschtanten zu mutieren, dann lernt ihr mich von meiner guten Seite kennen. Bloß weil ihr beiden ziemlich gut in Mathematik seid, werde ich nicht tolerieren, dass ihr euch die ganze Stunde lang unterhaltet und den Rest vom Lernen abhaltet.“
„Ja Mutti.“
Oh Gott, habe ich das jetzt gerade gesagt oder gedacht? Spulen wir einmal schnell zurück... Ich glaub ich habe es gesagt, denn so entgeistert, wie mich die Beiden anschauen, bleibt kaum eine andere Möglichkeit. Ich glaub, jetzt bin ich die Leuchtreklame.
„Entschuldigung, das ist mir einfach so herausgerutscht.“
„Oh je, das wird bestimmt ein furchtbares Jahr für meine Nerven. Verschwindet ihr beiden und denkt daran was ich euch gesagt habe.“
Ach du Schande, ich habe meine Lehrerin Mutti genannt und das zu allem Übel auch noch im Beisein von Peter. So wie der schaut, wird es nicht lange dauern und der Rest der Klasse weiß es auch.
„Das bleibt unter uns oder wir sind keine Freunde mehr.“
„Das, mein lieber Flo, werde ich mir reiflich überlegen müssen, schließlich habe ich ja noch den ein oder anderen gut bei dir, oder?“
„Das war etwas ganz Anderes und ist überhaupt nicht zu vergleichen!“
„Na sieh mal einer an. Die Schwuchtel und ihr neuer Schoßhund.“
‚Alter, wer stört denn jetzt schon wieder und das auch noch auf diese selten dämliche Art und Weise? Lauf ich vielleicht auf allen Vieren und hab Fell auf den Ohren? Oh nein, nicht der.’
Vor uns ans Schultor gelehnt standen Ingo, den ich in diesem Moment im Geiste in Inge umtaufte, und drei seiner leicht schwachmatisch veranlagten Freunde. Der Typ hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. Als ob der Tag heute nicht schon stressig genug gewesen wäre, kam jetzt auch noch Hans Dampf und wollte Plätzchen backen. Aber nicht mit mir. Nicht jetzt, nicht hier und nicht heute!
„Hör zu Ing...o. Wir hatten einen anstrengenden Tag und das Letzte was wir jetzt gebrauchen können ist ein sinnloser Streit. Also lass uns doch einfach in Ruhe und such dir eine andere Beschäftigung.“
Ich war doch tatsächlich kurz versucht gewesen, ihn Inge zu nennen, aber das wäre definitiv auf eine Prügelei hinausgelaufen und dies wiederum war nun nicht gerade das, was ich mir als krönenden Abschluss vorstellen konnte.
Unser Gegenüber war meinem Vorschlag jedoch scheinbar gänzlich abgeneigt, denn sein selbstgefälliger Gesichtsausdruck wurde immer breiter und in mir machte sich langsam der Wunsch breit, ihm ganz gepflegt eins auf die Fresse zu geben.
„Was der Schwanzlutscher will ist mir eigentlich vollkommen Schnitte. Und dass du dich freiwillig mit so etwas sehen lässt, finde ich entsetzlich, wenn nicht sogar abartig. Aus dir hätte was werden können, aber so kann man sich in Menschen täuschen.“
Was ist denn das für eine selten dämliche Selbstbeweihräucherung. Als ob es in irgendeiner Weise erstrebenswert wäre, so zu werden wie diese vier Vollspaten. Haben die keinen Spiegel zu Hause oder sind die einfach ignorant. Obwohl eigentlich ist es wahrscheinlicher, dass sie bei der Ausgabe der Gehirne gerade einen Friseurtermin hatten. Und wenn die Eule noch einmal das Wort Schwanzlutscher in den Mund nimmt, dann hau ich ihm wirklich auf die Fresse oder... ja das ist gar keine so schlechte Idee.
„Das tut mir ziemlich Leid, dass ich dich enttäusche, aber ich denke du musst damit klarkommen. Denn weißt du was, ich rede nicht nur mit Peter, ich sitze auch nicht nur neben ihm in der Schule, ich mache nämlich auch noch ganz andere Sachen.“
Und da ich nun einmal so richtig in Fahrt gekommen war, legte ich einfach nach, schaltete sämtliche Warnanlagen ab und küsste Peter ohne Rücksicht auf Verluste. Wie erwartet klappten danach einige Kinnladen zu Boden. Ärgerlicherweise war Peter allerdings auch weniger begeistert von meiner Aktion und stampfte ziemlich wütend von dannen, nachdem er mich weggestoßen hatte. Meine Güte, was hatte ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht. Gerade in diesem Moment fiel mir das Ende unseres Gesprächs von heute Morgen wieder ein und ich ohrfeigte mich innerlich selbst für meine unglaubliche, wenn auch gutgemeinte Blödheit. Zum Glück war die Vollidiotenfraktion immer noch ziemlich verdattert und so konnte ich mich recht schnell absetzen und Peter verfolgen, der trotz mehrmaligen Rufens allerdings nicht stehen bleiben wollte.
Irgendwann hatte ich ihn dann doch eingeholt und zwang ihn zum Anhalten. Seinem Gesicht nach zu urteilen, war er irgendwo zwischen wütend und völlig fertig auf die Reifen. Ich Dämlack hatte also das nächste Fettnäpfchen gefunden.
„Sorry. Es tut mir leid. Ich wollte dich echt nicht so überfahren, aber ich fand die Idee halt gut, um den Idioten zu zeigen, woran sie sind.“
‚Verdammt nun sag was.’
‚Vollidiot!’
‚Kopf zu!’
‚Ist zu!’
„Lass uns einen Kaffee trinken gehen. OK?“
Das zögerliche Nicken nahm ich einfach als zustimmendes Ja, zerrte ihn ohne viel Federlesen einfach ins ‚Wohnzimmer’ und bestellte bei der freundlichen Bedienung vom Dienst zwei Tassen Tee. Und wenn sich jetzt irgendwer aufregt, weil wir keinen Kaffee trinken, sondern Tee, der soll sich mal überlegen, wie doof das klingt, jemanden auf einen Tee einzuladen, ganz abgesehen davon klingt „auf einen Kaffee treffen“ furchtbar erwachsen und somit grenzenlos genial.
Na ja ist ja auch egal. Jedenfalls bekamen wir unseren Tee und setzten uns in eine ruhige Ecke in der oberen Etage des Lokals und dieses eine Mal beschloss ich zu warten, um nicht wieder ein Fettnäpfchen mitzunehmen.
„Ich find das echt gut, dass du da eben auf dem Hof zu mir gestanden hast, aber das mit dem Kuss musste nicht unbedingt sein, weil...“
Fettnäpfchen ich komme!
„... weil du schwul bist und entweder auf mich stehst oder mich absolut abstoßend findest, wobei ich doch eher das Erste vermute.“
Tomatenmodus. Da war wohl zumindest irgendwo ein Treffer dabei. Im gleichen Moment wechselte allerdings auch ich in diesen Modus, weil mir so langsam aufging, was ich da überhaupt gesagt hatte.
„Alter was stellst du mir denn für Fragen. Das ich dich abstoßend finde glaubst du ja wohl selbst nicht... also ja ich finde dich doch gar nicht so hässlich, um es mal so auszudrücken. Und ja dein Kuss kam reichlich unerwartet.“
Och nö. Ich hab’s befürchtet. Vom Regen in die Traufe. Das kann ja heiter werden.
„OK. Lass uns bitte was klarstellen. Ich hab dir die Freundschaft angeboten, aber nur Freundschaft. Darüber hinaus wird zwischen uns beiden nichts laufen.“
„Also nix gegen dein Ego, aber erstens hast du ja schon klargestellt, dass du nicht schwul bist und zweitens bin ich nicht vollkommen doof und habe mitbekommen, dass du hetero bist und drittens bist du nun wirklich nicht der einzige hübsche Fisch im Teich und irgendeiner von den Anderen wird schon schwul sein.“
Holla die Waldfee, wenn das nicht eine mächtige Breitseite vor meinen Bug war, aber wenigstens hatte ich die Klippen erfolgreich umschifft und für klare Verhältnisse gesorgt.
‚Vollidiot!’
‚Fresse!’
„Hast du heute noch etwas Bestimmtes vor?“
Jetzt bin ich vollkommen verwirrt. War das jetzt eben meine Stimme oder hat mich das Peter jetzt gefragt?
Also meine Stimme war es schon mal nicht, denn die ist eine halbe Oktave oder so tiefer. Und dass Peter plötzlich so hoch spricht kann ich mir auch nicht vorstellen. Es könnte natürlich die niedliche kleine Blondine vor unserem Tisch sein, ungefähr in unserem Alter und im Moment ziemlich rot im Gesicht. Ziemlich ratlos wechselten wir ein paar Blicke, um erst einmal klarzukommen. So wie mich mein Gegenüber ansah, hatte auch er gerade das Ausschlussspielchen durchgezogen. Nun hieß es also erst einmal zurück in die Gegenwart und herausfinden, wen von uns beiden sie überhaupt angesprochen hatte. Obwohl, wer von uns beiden besser aussah, lag ja wohl auf der Hand, also konnte ich auch getrost weiter in meinem Tee rumlöffeln. Allerdings wurde ich dabei ziemlich schnell durch einen gezielten Tritt gegen mein Schienbein unterbrochen. Ich konnte gerade noch so an mich halten und ein lautes Aufschreien verhindern. Recht ungehalten sah ich zu meinem Gegenüber hinüber, der mir mit einem Wink zu verstehen gab, dass ich gemeint war. Entsprechend doof habe ich wohl aus der Wäsche geschaut, denn kurz darauf kam aus besagter Ecke ein leise unterdrücktes Kichern. Voll peinlich.
„Sorry, ich dachte du meinst ihn... und ähm... ich hab heute eigentlich nichts Besonderes vor.“
Irgendwo hatte ich doch mal so ein Buch mit Flirttipps. Ich hätte echt darin lesen sollen, statt es als Unterlage für mein Regal zu benutzen.
„Wenn du, ich meine, wenn ihr Lust habt, könnt ihr euch ja zu uns herübersetzen.“
Krasse Show, ich werde angebaggert. Der Mensch der das mit den Kleidern und den Leuten geschrieben hat, der hatte echt recht. Dummerweise hab ich das nachfolgende Märchen mit dem Mund der sprechen kann nicht mehr gelesen, sonst müsste jetzt nicht Peter für uns beide antworten. Hat am Ende doch was Gutes, wenn man einen guten Freund hat, der einem in den Notlagen des Lebens helfend zur Seite steht.
Fünf Minuten später saßen wir seit fünf Minuten mit den beiden Mädels an einem Tisch und so langsam schien sich wirklich ein Gespräch zu etablieren. Mir war es zwar immer noch nicht gelungen ganze Sätze zu formulieren, das übernahm aber Peter in meiner Vertretung und so wusste ich jetzt auch, dass die kleine Blondine Caro hieß und ihre brünette Freundin auf den Namen Melanie hörte, sie uns aber gleich belehrte, dass wir sie gefälligst Mel nennen sollten, weil sie uns sonst gar schreckliche Schmerzen zufügen und unsere Fingernägel nachher quietschlila lackieren würde. Wie sie auf quietschen und lila kam, war mir recht schleierhaft, aber ich beschloss, es nicht darauf ankommen zu lassen. Wir stellten dann ziemlich schnell fest, dass wir im gleichen Alter waren und tauschten uns anschließend über die Schrecknisse unserer jeweiligen Bildungsanstalten aus. So ging denn auch ohne weiteres eine Stunde ins Land, ohne dass wir merkten, wie schnell die Zeit verging. Irgendwann mussten die beiden dann, typisch Frau, aufs Klo.
„Ich glaub Caro findet dich niedlich.“
„Und ich glaube, dass Mel dich niedlich findet.“
„Tja, das ist mir auch schon aufgefallen, was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass ich nichts mit Mädchen anfangen kann. Aber wie findest du denn Caro?“
„Sieht wirklich nicht schlecht aus.“
Weiter kamen wir nicht in unseren Überlegungen, denn just in diesem Moment tauchten die Beiden wieder auf und setzten sich grinsend.
„Sagt mal. Das klingt jetzt vielleicht komisch, weil wir uns ja erst seit einer Stunde kennen, aber habt ihr nicht Lust am Wochenende zu unserer Geburtstagsparty zu kommen?“
Oh je, das ging ja ganz schön fix. Irgendwie ein ganzes Stück zu fix. Die beiden sind definitiv keine Kinder von Traurigkeit und wenn wir nicht aufpassen sitzen wir demnächst in einem ziemlich großen Haufen Scheiße und ich ganz besonders. Ich mein`, die beiden sind schon echt nett und aussehen tun sie auch wirklich nicht schlecht, aber das wird doch sowieso nichts, zumal Peter ja auf Typen steht. Oha da muss ich ja auch gleich noch aufpassen, dass ich nichts Falsches sage. Eine weitere Ente, die auf meine Rechnung geht, wird er mir wohl nicht mehr nachsehen.
Allerdings hatte ich, wie sich schnell herausstellte, die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn während ich noch krampfhaft nach den richtigen Worten suchte, legte mein Freund bereits los.
„Also die Einladung ehrt uns beide doch sehr, allerdings glaube ich ihr habt einen ganz bestimmten Grund uns einzuladen und ich glaube, das wird nix.“
Das hatte er ja sehr diplomatisch gelöst. Die beiden hatten im gleichen Moment von himmelhochjauchzend zu Jammertal umgeschaltet. Mel fing sich als Erste.
„Aber wieso denn, ich dachte ihr findet uns hübsch.“
„Oh das habe ich auch nicht bestritten, aber das wird trotzdem nichts.“
Gut, damit war ich dann wohl aus dem Schneider, schließlich hatte Peter die ganze Arbeit für mich erledigt. Dumm waren die beiden ja nicht, also würden sie wohl schnell auf den Trichter kommen, dass wir beide eine Freundin hätten und von dannen ziehen.
„Oh!“
Was wollte Caro uns denn jetzt damit sagen?
„Du hattest doch Recht Mel. Immer die Niedlichen, ich versteh das echt nicht.“
Ah nun sind sie endlich drauf gekommen.
„Also seid ihr beide wirklich?“
Meine Chance endlich auch einmal etwas zu sagen.
„Ja sind wir.“
...
„Also ich find das cool!“
Na ja zumindest Mel war schnell darüber hinweggekommen, dass wir beide eine Freundin hatten und fand das scheinbar auch nicht so schlimm.
„Wie dem auch sei, wenn ihr Lust habt, ihr seid ganz herzlich eingeladen. Auf der Einladung hier steht, wo die Party steigt.“
Habe ich irgendwas nicht mitbekommen? Ich muss definitiv etwas nicht mitbekommen haben, denn seitdem die beiden weg sind, liegt ein Häufchen Mensch neben mir, dass sich vor Lachen überhaupt nicht mehr einkriegt.
„Kannst du mich mal bitte aufklären?“
Ich weiß echt nicht, was an der Frage jetzt so unverständlich oder urkomisch war, aber der junge Herr neben mir fiel nun wirklich vor Lachen von seinem Sessel.
„Ey hallo. Wie jetzt?“
Immer wieder durch Lachanfälle unterbrochen, wollte mir Peter jetzt doch allen Ernstes die Geschichte von der Biene und der Blume erzählen, was ich meinerseits dazu nutzte ihm gepflegt meine Zigarettenschachtel an den Kopf zu werfen. Wenigstens hatte ich dadurch endlich seine ungeteilte Aufmerksamkeit wiedererlangt.
„Ich... oh man sorry... ich... du... du weißt schon, dass du den beiden Mädels gerade bestätigt hast, dass wir schwul und wahrscheinlich zusammen sind.“
„Ich habe was?“
Ich habe den beiden tatsächlich bestätigt, dass... ich will mir das jetzt überhaupt nicht vorstellen. Vom Regen in die Traufe, ich geh am Stock.
„Und du hast mich richtig schön ins Messer laufen lassen. Sag mal geht’s noch?“
„Durchaus. Ich hab dir ja vorhin gesagt, dass ich noch den ein oder anderen gut bei dir habe und da wollte ich dich einfach nicht unterbrechen. Was meinst du? Haben wir am Wochenende ein Date?“
‚Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mit dir da hingehe und einen auf Pärchen mache. Nein das glaubst du wirklich nicht. Rache ist Blutwurst und so.’
„Also wenn du kein Problem damit hast mich als deinen Freund mitzuschleppen, dann können wir gerne dahin gehen.“
Ich gebe zu der war ein klein wenig gemein, aber das hat er sich selber eingebrockt, als er mich ins offene Messer hat laufen lassen.
„Alles klar, machen wir.“
Ja ne oder? Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt. Verdammt, so war das doch aber überhaupt nicht geplant. Kann der sich nicht ein einziges Mal an das Drehbuch halten? Das gibt noch mehr Blutwurst und Rache und so.
Dermaßen geplättet ließ ich mich widerstandslos dazu breitschlagen, den Kursplan in der nächsten halben Stunde zu bekämpfen, der sich allerdings irgendwie all unseren Bemühungen widersetzte und einfach unverständlich blieb. Schließlich gaben wir entnervt auf und riefen Susi an. Wie Frauen, dass ja öfter machen, erklärte sie uns dann gönnerhaft, wie man den Plan denn zu lesen hätte und was man wie verstehen musste. Eine Viertelstunde und viele Lobhymnen später saßen wir zufrieden bei unserem dritten Tee und verglichen feste unsere Stundenpläne. Wie sich herausstellte, hatten wir ziemlich viele Sachen zusammen, was unter Umständen auch an unserer ähnlichen Kurswahl liegen könnte. Bis auf Musik, Geographie, welches ich belegt hatte während Peter sich den fächerübergreifenden Unterricht antun wollte, und Englisch hatten wir die gleichen Kurse und konnten im Doppel unsere Umwelt malträtieren.
Nachdem wir endlich alles geklärt hatten, wollten wir unseren jeweiligen Heimathafen ansteuern. Allerdings wurde diese durchaus sinnvolle Idee von einem, sich auf den Sessel neben mir fallen lassenden Etwas namens Jojo, unterbrochen. Kurzzeitig hatte ich deswegen das untrügliche Gefühl eines nahenden Herzkaspers, allerdings beruhigte sich mein Herzschlag relativ schnell wieder.
„Hallo Ihr beiden Hübschen. Wie geht’s?“
„Wo kommst du denn her?“
„Warum hattet ihr denn grad die Köpfe so eng beieinander? Hab ich da irgendetwas verpasst?“
„Musst du heute gar nicht zur Uni?“
„Hast du dir die Haare selber hergerichtet?“
„Ist das eine neue Hose?“
Ich hätte dieses Spiel noch eine Weile durchgehalten und Jojo wohl auch, aber Peter hatte scheinbar etwas gegen unser gegenseitiges - Ich frag dich bis du weich wirst in der Birne – Spiel.
„Ihr wollt mich wohl vollkommen Gaga machen? Gut. Von draußen. Geheim. Ja. Nein.“
„Aber immer doch Schatz.“
Das war eigentlich witzig gemeint, weil ich im Kopf immer noch ein wenig bei der Samstagssache war, aber Jojo starrte mich völlig verdattert an. Während der junge Herr zu meiner Linken schon wieder einen Lachflash hatte. Also musste ich wohl oder übel erklären, warum ich Peter gerade so genannt hatte, obwohl ich doch offensichtlich nicht auf Kerle stand. Am Ende lachten die beiden lauthals im Duett, während ich mal wieder peinlich berührt die Tapete begutachtete. So schnell wie es begonnen hatte, endete dieses kurze Intermezzo auch, denn Jojo fiel ein dass er ja eigentlich überhaupt keine Zeit hätte und nur kurz hätte „Hallo“ sagen wollen.
Bevor sich noch der nächste unerwartete Gast einfand, brachen auch wir unsere Zelte ab und verließen unsere gemütliche Verweilstätte, die ich mir auf jeden Fall merken würde. Auf der Straße angekommen standen wir beide eine ganze Weile leicht unschlüssig auf dem Bürgersteig herum, bis ich mich schließlich dazu durchrang die Verabschiedungszeremonie einzuleiten.
„So ich muss jetzt, sonst gibt es einen Aufstand bei mir zu Hause. Wir sehen uns morgen.“
„Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, schließlich haben wir wieder Mathe. Und Danke.“
„Ich glaube ich muss Danke sagen. Also dann, bis dahin.“
Eine halbe Stunde später, schloss ich die Wohnungstür auf und wurde sofort von einer ungehaltenen Claudia darauf hingewiesen, dass ich zu spät war. Um unnötigen Ärger zu vermeiden erzählte ich, dass ich mit einem Klassenkameraden unterwegs war und nicht auf die Zeit geachtet hätte, während ich mir mein Abendessen aufwärmte. Sie war mit meiner Erklärung zufrieden und ich konnte mich in mein Zimmer verkrümeln und den Tag noch einmal Revue passieren lassen.
Schon irgendwie komisch, wie man innerhalb von einigen Stunden eine ganze Welt umbauen kann, aber scheinbar ist es doch immer noch möglich. Schließlich hätte mir die Aktion heute wohl keiner meiner Freunde zugetraut, na ja, ich war mir selbst auch nicht sicher, ob das Ganze so glatt laufen würde, wie es letztlich doch gelaufen war. Mal schauen, wie sich die Sache nun weiterentwickeln würde. Susi und den Rest würden wir sicherlich morgen ins Bild setzen und mit ein bisschen Glück würde alles so werden, wie es früher mal war. Allerdings war da auch noch Ingo mit seinem Anhang um die man sich den ein oder anderen Gedanken machen musste, denn so glimpflich wie heute würde es beim nächsten Mal am Ende nicht mehr ablaufen, und da war ich mir leider ziemlich sicher.
Pünktlich um zehn klingelte mein Telefon und die nächsten zwei Stunden seilte ich mich aus der Welt ab und hörte zu oder erzählte das ein oder andere. Als ich etwas ausführlicher von meinen Tagesaktivitäten und auch von der am Samstag anstehenden Feierlichkeit berichtete, folgte erwartungsgemäß ein kurzes, aber durchaus heftiges Gewitter. Schließlich einigten wir uns aber doch darauf, dass ich mich benehmen würde und dafür auch den gemeinsamen Samstagabend für Peter und mich nutzen durfte.
1.11
Ich muss wohl barbarisch eine auf die Rübe bekommen haben. So jedenfalls fühlt sich mein Schädel an. Es kann natürlich auch sein, dass ich mich gestern Abend tierisch betrunken habe und gerade eben erst aus meinem Koma aufwache, allerdings kann ich mich, wenn ich mich nicht ganz täusche, noch an das heutige Frühstück erinnern. Das war schlecht wie erwartet, aber ich habe es eigentlich verputzt, was mich jedoch gleich zurück zu der Frage bringt: warum zum Geier mir der Schädel brummt?
...Es hat zwar einige Minuten gedauert, aber inzwischen bin ich wieder auf den Beinen. Ich habe in irgendeiner Ecke zwischen ziemlich ekligen Sachen gelegen und bin deshalb auch nicht allzu böse, aufgewacht zu sein und da wegzukommen. Wie ich dahin gekommen bin, weiß ich allerdings immer noch nicht. Dafür bin ich mir wenigstens wieder darüber im Klaren wie mein Name lautet und in welcher Stadt ich mich befinde, obwohl ich auf den Stadtteil hier ganz gediegen verzichten könnte. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich nicht alleine hierher aufgebrochen bin, was mich gleichzeitig zu dem kongenialen Schluss führt, das jemand fehlt...
...Mein Hirn funktioniert wieder vollständig und das gefällt mir überhaupt nicht, da ich die Ereignisse der letzten Stunden grob rekonstruieren konnte. Ich habe unseren Startpunkt gefunden, aber von ihm ist keine Spur zu sehen. Ich müsste ihm eigentlich den Kopf runterreißen, dafür dass er mir eine übergezogen hat, aber im Moment würde ich ihn am liebsten nur in der Nähe wissen...
...Eine halbe Stunde suche ich jetzt schon dieses verfluchte Viertel nach ihm ab und das ist nicht gerade einfach, wenn man humpelt. Damit hatte der ganze Ärger ja erst angefangen und wenn ich den Typen erwische, der die Bananenschale da liegen gelassen hat, dann werde ich ihm gehörig eins auf die Nuss geben. Ja und mir selber gebe ich dann bei der Gelegenheit auch noch einen Arschtritt, weil ich so dämlich war und bei der Masse an Straßenpflaster genau das nutzen wollte, wo die Bananenschale lag.
Danach hatten wir es ziemlich schwer, nicht erwischt zu werden. Mehrmals waren sie uns sehr dicht auf den Fersen gewesen und wir waren gerade so davongekommen. Das wäre uns auch weiter geglückt, aber aus irgendeinem für mich unerfindlichen Grund hatte er mir, als wir uns kurz ausruhten, eine übergebraten. Dabei hätte er mir doch nur was sagen müssen, irgendwie hätte ich mich schon versteckt, während er Hilfe organisiert hätte, aber diesen meinen Vorschlag hatte er einfach, ohne ihn ernsthaft in Erwägung zu ziehen, übergangen und so langsam wurde ich doch wieder sauer. Was zum Plastefuchs dachte sich der Typ eigentlich, mich hier mitten in der Walachei sitzen zu lassen und sich zu verkrümeln, ohne mir auch nur die klitzekleinste Nachricht zu hinterlassen. Dem geht’s wohl zu gut? Und ich Idiot latsche auch noch mit sonst wie schlimmen Verletzungen durch die Kante und versuche meinen sogenannten Freund zu finden, der inzwischen wahrscheinlich im Hotel sitzt und sich einen Wodka-Cola hinter die Binde kippt...
...Aus die Maus. Mir reicht es jetzt endgültig. Wir sind hier doch nicht bei wünsch dir was oder Deutschlands next Volltrottel. Er kann bleiben, wo der Pfeffer wächst, das ist mir vollkommen Schnitte. Mich hier einfach so sitzen zu lassen. Es hackt, aber ganz dolle. Da denkst du, du hast einen Freund, der zu dir steht und dann so was. Schönen Schrank auch. Aber dem werde ich was erzählen, sobald ich ihn gefunden habe. Das macht er kein zweites Mal mit mir... Verdammt... Ich bin schon wieder ausgerutscht und hab mir jetzt auch noch vollkommen meine Klamotten mit irgendeiner Suppe versaut. Haben die in dieser verfluchten Stadt denn keine Straßenreinigung oder einen Kehrdienst? Moment mal. Scheiße das ist ja Blut, was ich überall an mir kleben habe. Haben die hier ein Schwein geschlachtet oder was? Ich will hier endlich weg, zurück in unser Hotel und nicht mutterseelenallein durch die Kante stolpern...
...Mit ein wenig Glück habe ich gleich die Bushaltestelle erreicht, allerdings mache ich mir irgendwie schon Sorgen, denn die Blutlache war nicht nur eine Lache sondern auch eine Blutspur und die geht in die gleiche Richtung und ich will mir nicht vorstellen, was hier passiert ist... NEIN...
Es ist dunkel, genauso dunkel wie in all den letzten Nächten, auch wenn der Mond hell auf mich herabscheint und keine einzige Wolke die Sterne am Himmel verdeckt. Ich sehe sie nicht, nehme nichts wahr außer der Dunkelheit in mir, der Dunkelheit, die ich geworden bin. Sie haben mir alles weggenommen, was mir etwas bedeutet hat und dafür mussten sie nur einen einzigen Menschen töten. Er ist in meinen Armen gestorben und ich konnte nichts tun um ihn zu retten, ihn festzuhalten, ihn zu beschützen.
Er war noch da, als ich ihn endlich gefunden hatte. Er hatte auf mich gewartet und ist erst gegangen, nachdem er es mir erklärt hatte. Ich habe es nicht verstanden, ich konnte es nicht verstehen, warum er nicht vor ihnen weggelaufen ist, nur um mich zu beschützen. Er hätte das nicht tun dürfen. Ich hätte das tun dürfen, aber nicht er!
Sie haben mir alles genommen, aber ich habe sie gefunden, Einen nach dem Anderen. Es war einfach, den Schein zu wahren. Zurück ins Hotel zu gehen, zu den Anderen, die mich trösten wollten und doch überhaupt nichts verstanden. Zurück nach Hause, zurück in die Schule, ich schaffte alles, denn es war mir egal. Ich war an diesem Abend mit ihm gestorben, der Rest war Schall und Rauch. Nichts ist von Belang außer ihm und sie haben ihn getötet, nur weil er nicht wie sie war.
Den ersten fand ich zwei Jahre später in einer Kneipe. Es war nicht schwer, sein Auto zu finden und die Bremsleitungen entsprechend zu präparieren. Ich habe gelächelt als er schreiend in seinem brennenden Auto saß. Seine Augen sahen mich traurig an.
Den zweiten habe ich zu Hause besucht, als er gerade mit irgendeiner Frau zu Gange war. Nachdem er endlich eingeschlafen war habe ich sie weggeschickt und mich auf ihn gesetzt bevor ich ihn langsam von seinen Leiden befreit habe. Seine Hand lag auf meiner Schulter und konnte mich doch nicht zurückhalten.
Den Dritten habe ich auf seinem Motorrad erwischt. Vorsichtshalber habe ich noch einmal zurückgesetzt, um auf Nummer Sicher zu gehen. Sein Mund sprach zu mir und doch hörte ich ihn nicht.
Als ich den Vierten erschossen hatte, wandte er sich von mir ab ohne dass ich ihn hielt.
Nun habe ich endlich den letzten gefunden. Es hat mich einige Jahre gekostet, er hatte sich zu gut versteckt und ich war nicht gerade darauf aus gewesen, die Anderen vorher noch zu Wort kommen zu lassen. Aber letzten Endes hatte ich ihn nun endlich. Er wohnte mit seiner Familie ein ganzes Stück außerhalb und hatte sich scheinbar in den letzten Jahren zu einem guten Bürger entwickelt. Ich hätte fast lachen mögen bei diesem Gedanken, aber mehr als ein Krächzen hätte ich wohl nicht zustande gebracht. Doch all dies war nur Schein. Er war immer noch das gleiche Schwein, wie er es damals gewesen war und wenn er wüsste, was sein Sohn so trieb, dann... plötzlich wurde es interessant.
Er hatte die beiden entdeckt und war völlig ausgerastet. Das geschah ihm wohl recht, dass der eigene Sohn auch zu diesen Schweinen gehörte. Es war schön zu sehen, wie seine kleine heile Welt zusammenbrach und er seine Beherrschung verlor. Nun tat er seinem Sohn das Gleiche an, was er mir angetan hatte.
Ein Lufthauch erfasste mein kurzgeschorenes Haar, ein Schatten verdeckte den Mond, der über mir schien. Seine Hand berührte mich sanft an der Schulter, während er leise zu mir sprach.
Innerhalb weniger Herzschläge hatte ich das Dach seines Hauses erreicht und ließ mich auf ihn herabfallen, als er gerade wieder ausholen wollte. Ich sah die Angst in den Augen der Beiden und trieb ihn von ihnen weg, mit meinen Schlägen, die ihn mehr und mehr zerreißen sollten, wie mein Innerstes zerrissen worden war.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er nicht alleine war und deshalb wurde ich eben als ich es beenden wollte, von einem sengenden Schmerz herumgerissen. Noch während ich fiel, fiel auch er stöhnend gegen den Türrahmen.
Mühsam rappelte ich mich auf. Noch immer lagen die Beiden, vor Schmerzen gekrümmt auf dem Rasen. Nachdem sich sein Sohn hochgestemmt hatte, kam er langsam auf mich zugehumpelt, übel zugerichtet, aber dennoch in Ordnung als er plötzlich erschrocken stehen blieb. Ich wusste, was dies bedeutete, denn ich hatte es in seinen Augen gesehen. Es tat weh, aber nicht sehr lange, noch bevor er nachladen konnte war ich bei ihm.
„Du kommst mit mir.“
Es wurde langsam kalt. Er lag unter mir und hatte aufgehört zu sein, während mir noch einige Minuten geblieben waren. Sie waren völlig am Ende gewesen, doch sie waren endlich weggerannt. Was sie erzählen würden war nicht mehr wichtig. Sie hatten sich noch.
„Du hättest das nicht tun dürfen!“
„Es war der einzige Weg, um dich wiederzusehen.“
„Nein.“
„Sehen wir uns denn wieder?“
„Wir waren immer Eins.“
13
Heute Morgen war es irgendwie schwerer, aus dem Bett zu kommen. Das kann natürlich daran gelegen haben, dass ich wieder eine völlig abstruse Nacht hinter mir habe oder aber daran, dass ich gestern einfach zu früh aus dem Bett gekrochen bin. Aber da die Frau im Hintergrund schon einmal am Schreien ist, kann ich auch gleich aufstehen und ihr den Saft abdrehen. Das hält man ja im Kopf nicht aus. Am frühen Morgen irgendetwas über Schädlingsbekämpfung um die Ohren geballert zu bekommen.
Gerade als ich zur Tür hinaus wollte, wollte Claudia hinein. Das war ein Bild für die Götter obwohl ich im Nachhinein doch dankbar bin, dass sie keinen Fotoapparat dabei hatte. Meine Haare haben wohl wie ein expressionistisches Kunstwerk ausgesehen, was aber kein Wunder ist, wenn man sich die ganze Nacht im Bett herumwälzt. Eine halbe Stunde, einige Liter Wasser, ein kräftiger Schuss Gel und einen durchaus beeindruckenden Zahnsteinexorzismus später, stellte ich mir das übliche Frühstück in den Hals. Claudia hatte schon wieder diese barbarisch ätzende gute Laune, die wollte mir bestimmt noch irgendetwas heimzahlen. Irgendwann habe ich ihr dann mein „Machs Gut Straßenbahn“ an den Kopf geknallt und bin Hals über Kopf geflohen. So etwas hält nämlich kein normaler Mensch am frühen Morgen aus.
Zum Glück hatte ich mein Dimensionsportal, auch bekannt unter dem Decknamen MP3-Player, vorsorglich in meiner Hosentasche verstaut und konnte nun ohne große Probleme in eine andere Welt abschweifen. Das war auch meine Rettung, denn ich wurde an der Bushaltestelle schon erwartet und ohne meine inzwischen standardmäßig konsumierte Portion Musik am frühen Morgen bin ich wirklich ungenießbar oder sollte ich besser sagen, dank der Portion Musik am frühen Morgen bin ich schon vor dem Mittag für eine halbwegs gepflegte Konversation oder wenn gewünscht hirnlosen Trashtalk zu gebrauchen. Sei’s drum. Susi und Peter spuckten förmlich gute Laune. Ich ertrug es wie ein Mann und sagte ab und zu „Ja“ und „ist nicht wahr“. Den beiden fiel das nicht groß auf und ich konnte auf dem Weg zur Schule in den Normalbetrieb wechseln. Da erwarteten uns allerdings die ersten Gewitterwolken in Form von Inge samt Anhang.
Man hätte meinen können, dass die Deppen sich seit Gestern nicht bewegt hätten, weil ihre Hirne die Masse an auf sie einstürzenden Informationen einfach nicht hatten verarbeiten können. Dem war leider nicht so, wie man an den frischen Tennissocken deutlich erkennen konnte. Taktisch klug nahmen wir Peter in die Mitte, während Susi auf der Seite der Idioten entlangmarschierte. Aus selbiger Ecke waren dann auch die erwarteten Sprüche und Schimpfwörter zu hören, die uns aber gepflegt am Poppes vorbeigingen. Susi stutzte nur kurz, als sich Inge laut über meinen Kuss echauffierte, aber das erklärte ich ihr auf dem Weg in unseren Raum mit Peters Unterstützung.
Der Schultag an sich war schlicht und ergreifend sterbenslangweilig, was zum einen daran lag, dass die meisten Lehrer erst einmal Wiederholungsstoff durchnahmen um warm zu werden oder auch an der ziemlichen Hitze, dank der uns auch ohne Aufgaben schnell warm wurde. Und so war jeder ziemlich froh, als gegen Mittag endlich das lang erwartete Hitzefrei verkündet wurde.
Während sich der Rest für einen ausgedehnten Nachmittag im Freibad entschied, beließen wir es vorerst bei dem Gedanken, was mir nicht unbedingt unangenehm war, schließlich ist es recht öde, als Nichtschwimmer ins Schwimmbad zu gehen. So beratschlagten wir beiden erst einmal, wie wir den Nachmittag denn hinter uns bringen könnten. Schließlich hatte ich unseren Plan gefasst, ich zerrte Peter einfach hinter mir her in Richtung Straßenbahn, dann in Richtung Warenbereitstellungs- und im Gegenzug Geldannahmegeschäft um die Ecke und abschließend, bepackt wie zwei Esel, zu mir nach Hause. Warum sollte man Freunde auch nicht für den sowieso anstehenden Wocheneinkauf nutzen. Er bekam dafür ja auch ein Mittagessen und ich konnte meine fantabastischen Kochkünste demonstrieren.
Eine halbe Stunde später hatte ich einen Bauch, ich fühlte mich jedenfalls wie eine Kugel und dem Herrn auf der anderen Seite des Tisches schien es nicht anders zu gehen. Dementsprechend rollten wir uns kurz mit Geschirr beladen zum Abwasch und anschließend die Treppe zu meinem Zimmer hinauf, das wieder einmal aussah wie Atomschlag.
„Hier sieht’s ja schlimmer aus als bei mir.“
„Soll’n das bitte heißen?“
„Der Albtraum für jede Mutter die den Spruch: Ordnung ist das halbe Leben, also ordne nie und lebe ganz; nicht kennt.“
„Da hast du deinen Kopf ja gerade noch einmal aus der Schlinge gezogen, aber ich werde mal was zum sitzen frei räumen und noch mal fix die Treppe runterpurzeln, um etwas zu trinken zu besorgen.“
Als ich wieder oben ankam war Peter gerade damit beschäftigt sich meine CD-Auswahl genauer zu Gemüte zu führen die, unter uns gesagt, doch recht klein ausfiel. Allerdings konnte ich ihm dann auf meinem PC eine doch recht umfang- und abwechslungsreiche Auswahl präsentieren, die ihn scheinbar vorerst zufrieden stellte. Während der Herr damit beschäftigt war, eine ihm genehme Liederliste zu erstellen, beschäftigte ich mich eher gelangweilt mit dem Beseitigen der gröbsten Chaosbrutstätten. Fantastischer Weise fiel mir dabei mein Lieblingsfilm in die Hände, den ich gleich in Reichweite platzierte, denn damit war mein Abendprogramm gesichert. Gerade als ich dabei war, ein paar eben entdeckte Socken schnellstmöglich verschwinden zu lassen, meldeten meine Boxen, dass Peter wohl mit seiner Auswahl fertig und zufrieden war. Ein kurzer Blick in mein Zimmer bestätigte mir, dass es nun ordentlich genug war und ich mich getrost auf mein Bett fallen lassen und der Musik hingeben konnte.
„Was hast du in den letzten Jahren eigentlich so getrieben?“
Da läuft Musik zum Abschalten, man schaltet logischerweise ab und lässt sich fallen und wird dann von so einer Frage völlig unvorbereitet erwischt und zurück in die Wirklichkeit gezerrt. Entsprechend begeistert muss ich Peter auch angesehen haben, denn er entschuldigte sich gleich für seine Frage und schaute betreten von einer Ecke meines Zimmers zur nächsten, während ich krampfhaft versuchte mein Sprachzentrum mit den Sektionen, die für logisches Denken zuständig waren, zu koppeln. Dass ich dabei meine Mimik nicht auch noch kontrollieren konnte, muss man mir verzeihen, schließlich hatte er da einen großen Pulk an Informationen abgefragt, die ich erst einmal aktivieren und verarbeiten musste.
„Kein Ding, ich war nur gerade woanders... Aber komische Fragen stellst du trotzdem.“
„Du musst mir ja auch nicht antworten, ich war einfach nur neugierig.“
Damit war das Thema für ihn scheinbar erledigt und er wandte sich irgendeinem Buch zu, welches auf meinem Bett herumlag.
„Viel gibt es nicht zu erzählen. Wir mussten wegziehen, dass hast du ja noch mitbekommen und danach wurde es nicht wirklich besser. Mein Vater saß den ganzen Tag zu Hause rum, hat sich eine Pulle nach der anderen in den Hals gestellt und ständig bei irgendjemandem die Schuld gesucht. Tja und wenn Claudia mal nicht da war, war ich natürlich Anlaufstelle Nummer 1 für ihn. Ich hab anfangs nicht verstanden, was mit ihm los war und warum ich ihn immer so ärgerte, aber dann habe ich für mich festgestellt, dass die Schuld keineswegs bei mir, sondern vielmehr bei ihm lag. Ja klar, kleine Kinder sind ungezogen und manchmal frech, aber das ist noch lange kein Grund ständig den eigenen Frust an seinen Kindern auszulassen.
Na ja irgendwann hatte Claudia genug von der ganzen Scheiße und ich hatte sowieso schon eine Weile zuvor beschlossen, dass ich keinen Vater mehr hatte. Da sind wir von ihm weggezogen. Er hat am Anfang noch ziemlichen Stress gemacht, aber irgendwann hat er es aufgegeben und uns in Ruhe gelassen.
Ansonsten ist nicht wirklich viel passiert. Ich habe mich meistens um die Zwillinge kümmern müssen und so gute Freunde wie euch habe ich an meiner neuen Schule sowieso nicht gefunden. Das ist auch in den ersten Jahren auf dem Gymnasium nicht wirklich besser geworden. Ich war die meiste Zeit eben für mich allein und so richtig gestört hat es mich auch nicht, es war halt so und ich hatte nicht so große Lust etwas daran zu ändern. Ich kannte zwar die Leute alle schon, aber das ist eher unter den Punkt Bekannte gefallen. Man kannte halt die Namen der Anderen und hat ab und an mal mitgeredet oder mitgelacht, um kurzzeitig dazuzugehören, aber das war’s auch schon im Groben. Tja und dann ist Susi über mich gestolpert. Ich weiß bis heute noch nicht warum, aber sie erklärte mich wohl zu ihrem Sozialfall und machte sich daran mich umgehend zu sozialisieren. Dabei hatte sie aber nur mäßig Erfolg, wie du ja schon eindrucksvoll festgestellt hast. So hab ich dann nach und nach auch die anderen Leute kennen gelernt und es war kein Fehler. Ich hatte wieder Anschluss zu einer Gruppe und wir haben auch ab und an etwas unternommen. Und nun bist du wieder da und ich weiß nicht so recht was ich... ach egal.
Ich weiß das klingt jetzt nicht so spannend, aber das ist es halt, was ich grob in den letzten Jahren getrieben habe, neben Fernsehen und Schlafen.“
„Und dann bin ich gekommen und habe alles umgeworfen.“
„So kann man das sagen. Aber ich bin dir ehrlich dankbar dafür. Ich glaube, in den letzen Monaten habe ich erst richtig angefangen zu leben. Das klingt jetzt sicherlich völlig verstrahlt, aber ich fühle mich, als ob ich endlich aufgewacht wäre.“
„Das klingt wirklich ziemlich abgedreht und wenn ich ehrlich bin, muss ich mir das mit der Freundschaft nach diesem wahrhaft tiefgründigen Einblick in die Abgründe deiner Seelenwelt erst noch einmal gründlich überlegen.“
So nicht mein Freund. Mich verarschen musst du erst noch lernen. Wenn mich hier einer verarscht, dann bin ich das ja wohl selber, du musst da noch üben.
Zum Glück hatte ich ein Kissen in Reichweite und beförderte dies auch umgehend in sein Gesicht. Was sich daraus entwickelte kann sich jeder denken, der irgendwann mal ein Kind war. Wir verwandelten uns umgehend in zwei Elfjährige zurück und drehten richtig am Rad. Zum Glück war weder jemand anderes im Haus, noch ging irgendetwas Wertvolles zu Bruch, was wahrlich ein ziemlicher Glücksfall war, so wie wir uns benahmen.
Nach einer Viertelstunde kam Peter auf meinem Bauch zu sitzen und meinte mich durch Kitzeln zur Aufgabe zwingen zu können und was soll ich sagen, sein Plan ging vollkommen auf. Nach zehn Sekunden quietschender Aufgabeerklärungen ließ er endlich von mir ab und hielt einfach nur noch meine Hände fest, um sich vor meiner Rache zu schützen.
Irgendwie wurde das Ganze jetzt ein wenig komisch und auch Peter hat so einen seltsamen Gesichtsausdruck aufgelegt. In diesen Moment der Stille hinein, meldete sich mein Handy, genauer gesagt rief Lara mich an, wie ich am Klingelton erkannte. So schnell es ging wurschtelte ich mich unter Peter hervor und meine mobile Kommunikationsanlage aus meiner Hosentasche.
„Hi Schatz.“
...
„Geht gut.“
...
„Ja, war bei uns auch so.“
...
„Wir sind bei mir.“
...
„Peter ist da.“
...
„Ja, genau der.“
...
„Alles klar, lass uns heute Abend reden.“
...
„Ich dich auch Lara.“
„Wer ist denn Lara.“
„Meine bessere Hälfte. Ich habe sie im Ferienlager kennen gelernt. Sie ist einfach toll und ihr beiden müsst euch auch unbedingt einmal kennen lernen.“
Auch ein Blinder hätte die dunklen Wolken über seinem Kopf erkennen können. Also irgendwie wurde ich den Gedanken nicht los, dass da mehr war, als er zugeben wollte, aber danach bohren wollte ich nun auch nicht unbedingt. Deshalb zerrte ich ihn einfach kurzerhand die Treppe hinunter, um die Küche nach diversen Leckereien zu durchsuchen, denn inzwischen hatte ich wieder Hunger.
Gerade als wir die Treppe herunter stolperten, kam Claudia die Treppe raufgestiefelt.
„Floriaaaan, was hast du in der Küche angestellt, da lässt man dich einmal... oh hallo, wer bist du denn?“
Mitten im Satz hatte sie Peter entdeckt den ich hinter mir her gezerrt hatte und dessen Hand ich augenblicklich losließ. Muss ja nicht unbedingt sein, dass die Erziehungsberechtigte einen falschen Eindruck bekommt, wo wir doch im medialen Zeitalter sind und ich meine Mutter zu den aufgeklärteren Wesen ihres Alters zählen würde.
Also stellte ich, gut erzogen wie ich nun einmal bin, Peter vor und nach einigen Ach’s und Oh’s hatte sie ihn schon beinahe adoptiert. Zurück in der Küche wurde der Ärmste dann komplett ausgefragt, weil sich Claudia sehr für sein Leben und das seiner Eltern interessierte. Sie witterte wohl die Chance, eine unglücklich beendete Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Peter versprach, mit dem charmantesten Lächeln das er auf Lager hatte, ihre Grüße auszurichten.
Irgendwann konnten wir uns dann mit dem geplünderten Eis wieder nach oben absetzen, doch irgendwie war nicht mehr wirklich etwas mit ihm anzufangen. Er war ständig mit seinen Gedanken woanders und wollte mir auch nicht sagen, was ihn denn nun genau beschäftigte. Nach einer Stunde verabschiedete er sich dann unter einem Vorwand und machte sich auf den Nachhauseweg.
Den Rest des Abends verbrachte ich mehr oder weniger lustlos vor dem Computer. Die DVD war wieder zurück an ihren Stammplatz gewandert, ich würde sie mir ein anderes Mal anschauen. Die Sache mit Peter beschäftigte mich einfach viel zu sehr und ich sprach auch mit Lara darüber, als sie zur üblichen Zeit anrief. Nach einer halbstündigen Diskussion war ich endlich wieder soweit auf dem Damm, dass ich über ihre Witze lachen konnte, auch wenn sie meine Befürchtungen bezüglich meines Freundes eher bestätigt als entkräftet hatte.
Der Rest der Schulwoche gestaltete sich ungefähr so spannend wie auch schon die ersten beiden Tage. Zwar hatten der Lehrkörper nach und nach damit begonnen neuen Stoff einzuführen, aber wir waren halt alle noch halb in den Ferien und mussten auch erst mal warm werden. Dementsprechend nervtötend war es auch den täglich anwachsenden Hausaufgabenstapel zu erledigen. Ich hatte dabei eine höchst eigentümliche, aber bisher auch sehr erfolgreiche Methode der Bearbeitung für mich entdeckt. Nein ich gehöre nicht zu den Leuten, welche die Hausaufgaben von ihren strebsamen Mitschülern erpressen und nein auch nicht zu der Kategorie, die ihre geldgeilen Streberschweine genannten Mitschüler dafür bezahlt, um die Aufgaben nicht selber machen zu müssen. Ich redete mir einfach kräftig ein, dass ich eigentlich ein sehr intelligenter Mensch wäre und alles ohne Probleme und in fünf Minuten erledigen konnte. Deswegen verschob ich das Erledigen der Hausaufgaben einfach auf die allmorgendliche Straßenbahnfahrt. Ich gebe ja zu, dass ich die Hausaufgaben eigentlich grundsätzlich nicht erledigt hatte, aber es war immerhin bei den meisten Aufgaben genug Zeit gewesen, um mir grob ein Bild über die Lage zu machen und anschließend alles Notwendige aus meinem Zylinder, den ich mir auch unbedingt mal kaufen musste, zu zaubern oder, wenn sich die Aufgabe doch als schwierigerer Fall herausstellte, um mir einen guten Ansatz zu überlegen und mich, so ich denn wider Erwarten doch aufgerufen werden sollte, nach der Präsentation meines Ansatzes als hoffnungslos Gescheiterten zu präsentieren, der mit den Tränen ringend sein Unverständnis für die Materie kundtut. Nun gut, das mit den Tränen musste ich bisher noch nicht auffahren. Das wäre auch ziemlich peinlich geworden, schließlich sind die Mädchen doch die einzig wahren Heulsusen auch wenn wir, also ich meine jetzt die Männer an sich, ab und an einen sensiblen Moment haben, der dann gleich erschreckender Weise als: „Oh Gott ist der romantisch.“, „Ja, er ist wirklich einer, der weiß was die Frauen wollen.“, „Ja meiner hat auch nahe am Wasser gebaut.“ und was es da noch so alles gibt, ausgelegt wird. Also ich will vorher gleich klarstellen, dass ich im Grunde nichts gegen Frauen habe, schließlich sind sie sehr wichtige Elemente unserer Existenz und der Staubsauger ist auch wichtig. Aber ich bitte euch. Männer weinen nicht. Das ist nur der im männlichen Hirn verankerte Automatismus zur Reinigung der Augen, der zugegebenermaßen ab und an zu ungünstigen Zeitpunkten seine Mission erfüllt. Und dieser ganze Quatsch mit Romantik und romantisch veranlagt sein, vergesst es einfach, das gibt es nicht. Das ist nämlich einfach die Routine, welche sich darum kümmert, die beim weiblichen Geschlecht unbeliebten Entscheidungen, wie: „Schatz ich geh zum Fußball… Schatz der Abwasch, ich würde ja, aber ich hab’s im Kreuz… Schatz wir brauchen ein neues Auto“ und so weiter durchzusetzen.
Und Gott sei Dank unterhalte ich mich gerade mit mir selber und erzähle das nicht Susi, die mir gegenüber sitzt und irgendwelchen Klamottenschnickschnack mit Jojo bequatscht. Ja ihr werdet es kaum glauben, aber Susi und ich waren heute Nachmittag gemeinsam unterwegs und wen treffen wir da? Nein nicht Jojo. Wir treffen Peter, der gerade irgendwoher kommt, obwohl er mir gesagt hat, dass er heute keine Zeit hat, um etwas zu unternehmen. Da wollte ich ihm doch gleich erst einmal die Scheiße verpassen, aber dann haben wir Jojo getroffen, der ungefähr knapp hinter Peter kam, den wir aber bisher nicht bemerkt hatten, weil er scheinbar in jeden in irgendeiner Weise geöffneten Laden hineinsprang. Also verlagerte ich das mit dem die Scheiße verpassen erst mal nach hinten und fragte ob die Beiden denn nicht Lust hätten, einen Kaffee mit uns zu trinken. Beinahe hatte ich den Eindruck, als ob Peter damit nicht so ganz einverstanden wäre, aber Jojo meinte sofort, dass sie jetzt eh fertig wären und man ruhig noch Einen trinken gehen könnte. Gesagt getan, wir landeten also umgehend in der ‚Scheune’ und pflanzten uns auf das bequeme Sofa in der Ecke. Und während Jojo und Susi sofort auf Klamotten zu sprechen kamen, stierten wir beiden Löcher in die Luft. Das wäre wohl noch endlos so weiter gegangen, wenn mir nicht urplötzlich eingefallen wäre, dass wir uns ja gar nicht mehr wegen Samstag unterhalten hatten.
„Du Jojo. Was machst du eigentlich am Samstag?“
„Dafür bist du noch zu jung.“
„So genau wollte ich das jetzt nicht wissen. Ich wollte wissen, ob du am Samstag ein Stündchen oder auch zwei für uns beiden Hübschen hier erübrigen könntest.“
„Kommt drauf an ob ich Abzüge davon bekomme.“
„Wie jetzt?“
„Vergiss es, war ein Insider.“
Ja schön, dass ich mal wieder der Dumme bin. Aber wenn ich mir die Gesichter der beiden Anderen so recht anschaue, dann frage ich mich doch an wen der Insider gerichtet war. Schwule! schrie mein Kopf innerlich, um die Unmöglichkeit der Informationsverarbeitung deutlich zu machen, den Schuldigen klar zu klassifizieren und eine weitergehende Durchführung notwendiger Hirntätigkeiten zu gewährleisten.
„Warum mag der Hase das Lotto? Weil es ohne Gewehr ist.“
„Wääääh?“
„Was?“
„Besoffen?“
Ich sollte meine Klappe in Zukunft halten, wenn mir dumme Witze während meiner Selbstgespräche einfallen, da ich scheinbar die Angewohnheit habe, diese dann einfach lautstark meiner Umwelt mitzuteilen, die sich dann wiederum ziemlich verarscht vorkommen muss.
„Hab ich das gerade laut gesagt?“
„Würden wir dich sonst anschauen wie Autos?“ konterte die allerliebste Susi.
„Ich bin ein Käfer, ich bin ein Käfer“
OK jetzt wird’s mir langsam doch ein wenig zu komisch. Nun hat wohl auch Jojo seinen dämlichen oder was will der mir mit dem Käfersatz sagen. Also schnell zum Thema zurückkehren.
„Also Jojo, wie sieht’s nun aus?“
„Äh ja, können wir machen, wenn’s nicht zu spät wird und ihr mir endlich mal verratet, was ihr von mir wollt.“
„Na nichts einfacher als das. Wir haben dir doch schon von der Party bei den Mädels erzählt und mir ist gerade wieder eingefallen, dass wir da doch standesgemäß und wenigstens halbwegs im Partnerlook oder so was auftauchen müssen und da dachte ich mir, da kennst du doch einen, so einen völlig wirren Zeitgenossen, der sich mit solchen Sachen auskennt.“
Täuschte ich mich oder hatte mich da gerade jemand dezent getreten? Ich täuschte mich nicht, denn mein Knie tat weh. Verursacher ausmachen! Verursacher ausgemacht! Wieso schaut der mich so komisch an? Ich würde sagen sein Blick ist eine Mischung aus wütend, völlig entgeistert und völlig verängstigt. Was er mir damit sagen will, kann ich mir allerdings nicht wirklich zusammenreimen. Also setze ich meinen - ich steh im Wald, wo sind die Bäume – Blick auf und starre zurück, welches ihn scheinbar zu einer Antwort animiert.
„Moment Jojo, noch haben wir uns nicht entschieden ob wir da wirklich hin wollen und wenn wir uns denn dafür entscheiden, dann wird das nicht übertrieben.“
„Also ich hab Lust!“ So einfach nicht mein Lieber. Wir machen das jetzt fest, denn dabei kann ich den Mädels gleich verklickern, dass ich nicht schwul bin, aber ich trotzdem keine weitergehenden Beziehungsplanungen oder ähnlichen Schnickschnack haben muss.
„Na gut. Gehen wir also. Ich würde sagen wir treffen uns in der Stadt und fahren dann zu mir, weil Flo bisher ja noch nicht bei mir war.“
Weiter intensivierten wir unser Planungsgespräch erst einmal nicht, denn die Fragezeichen über Susis Kopf drohten uns inzwischen zu erschlagen. Also setzten wir sie abwechselnd ins Bild und besahen uns ausführlich, wie es genau aussieht, wenn eine Frau einen Lachflash bekommt und vom Sofa purzelt. Das kann zum einen an unserem besonderen Erzählstil, zum anderen aber auch an Jojos bildlicher Untermalung des Geschehens gelegen haben. Irgendwann hatte sie sich dann wieder gefangen und wir planten noch ein wenig weiter, bevor wir schließlich alle aufbrachen.
Und dann kam der Freitag. Eigentlich ein normaler, wenn nicht sogar schöner, weil das Wochenende einläutender, Tag. Nicht so dieser spezielle, der wie die meisten ihm vorangegangenen, ohne besondere Vorkommnisse begann. Doch zu unserem Leidwesen sollte sich das bald ändern. Ehrlich gesagt hatte ich schon beim Aufstehen ein schlechtes Gefühl, konnte es aber nicht richtig einordnen. Der Schultag ging relativ schnell vorbei und hatte auch nichts wirklich Herausragendes für uns zu bieten. Bevor sich aber alle zur individuellen Wochenendgestaltung verkrümeln konnten, berief Susi ein großes Palaver auf dem Schulhof ein, bei dem sie uns vorschlug, doch endlich mal wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. Und sie hatte sogar schon einen passenden Vorschlag auf Lager, der in unserer kleinen Runde allgemeine Zustimmung hervorrief. Hätte ich meine Augen aufgemacht, dann hätte ich es wahrscheinlich mitbekommen, aber ich war mit meinen Gedanken schon wieder woanders und achtete nicht auf meine Umgebung.
Nachdem die für unseren Grillabend notwendigen Utensilien zwischen den einzelnen Leuten aufgeteilt waren, blieb nur noch die Frage der Lokalität. Hier sprang ich in die Bresche, denn ich konnte mich noch gut an ein nettes Fleckchen erinnern, das zu abendlicher Stunde auch immer einiges an Unterhaltung bot.
Gegen sechs trafen wir uns dann wie verabredet im Park und suchten uns ein gemütliches Plätzchen, um uns mehr oder wenig häuslich einzurichten. Der Park war zu dieser Stunde schon recht gut von grillwütigen und Fußball, Volleyball und sonstigen Sportarten frönenden Leuten bevölkert. Eine halbe Stunde später meldete auch unser Grill Arbeitsbereitschaft und wir beförderten umgehend Fleisch, Würstchen und sonstigen Kleinkram auf den Grillrost.
Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir mit essen, trinken und dem Erzählen mehr oder minder lustiger Anekdoten der letzten Jahre, die Peter ja noch nicht kannte und die ihn mehr als einmal zum Lachen brachten. Auch er trug seinen Teil bei und erzählte das ein oder andere von seiner alten Schule. Als es etwas dunkler wurde begannen die kleineren und größeren Gruppen der anwesenden Kleinkünstler mit ihren täglichen Vorführungen. Während aus der einen Ecke des Parks Musik zu hören war, konnten wir der Darbietung einer Gruppe von Fackelschwingern, die sich etwa zwanzig Meter entfernt von uns tummelten, beobachten. Gegen zehn verabschiedete sich dann nach und nach der Rest unserer Gruppe, während wir beiden noch eine Weile sitzen und quatschen wollten. Wären wir mit den Anderen aufgebrochen, wäre uns wohl einiges an Ärger erspart geblieben, denn just als wir eine Viertelstunde alleine waren kündeten sich neue Besucher der unangenehmeren Sorte an.
„Na sieh einer an. Die Schwuchteln.“
‚Geh kacken Alter.’ Mir war sofort klar, wer sich uns da, scheinbar schon recht gut vorgefüllt, näherte. Inge hatte einige seiner Kumpane im Schlepptau und platzierte sich mit seinem Anhang genau vor unserer Nase.
Ein kurzer Seitenblick bestätigte mir, dass es für uns nun wohl an der Zeit war unsere Zelte hier abzubrechen. Doch leider wollten uns unsere neuen Gäste diese Möglichkeit nicht zugestehen und begannen, wie bei kleinen Kindern und leicht zurückgebliebenen Jugendlichen üblich, unsere Sachen in ihren Besitz zu bringen.
„Was wollt ihr? Habt ihr kein Zuhause?“ Hmm Peter hatte etwas getrunken, ob er wohl deshalb so mutig oder besser leichtsinnig war.
„Das geht dich grundsätzlich einen Scheiß an. Aber ich bin ja nicht so. Ich wollte meinen Kumpels heute mal zeigen, was der Abschaum so treibt und da ich wusste wo ihr seid, dachten wir uns, wir besuchen euch doch glatt mal.“
Jetzt war mir auch wieder klar, was mich heute Mittag gestört hatte. Mir war eine ganze Zeit so gewesen, als ob uns jemand beobachtete und scheinbar hatte ich Recht gehabt auch wenn ich meiner Eingebung nicht gefolgt und mich nicht suchend umgeschaut hatte. Jetzt hieß es erst einmal heil aus der Situation herauszukommen.
„Lasst uns einfach in Ruhe. Wir haben keinem von euch etwas getan.“
„Das könnte dir so passen du kleiner Scheißer. Ihr tut uns schon durch eure Anwesenheit genug an. Solche Leute wie ihr richten unser schönes Deutschland nämlich zu Grunde, aber das wird sich schon wieder ändern.“
Na geil. Nationales Gedankengut am Abend. Das brauchte ich jetzt so dringend wie einen Einlauf. Bloß weg hier, bevor die Deppen noch auf irgendwelche dummen Ideen kamen.
Zu spät!
„Na wollt ihr meinen Kumpels nicht mal zeigen was ihr für eklige Schwanzlutscher seid und uns eine kleine Show bieten?“
Na Klasse. War klar, dass mir die Aktion noch einmal auf die Füße fallen würde. Peters Gesicht konnte ich zwar nicht mehr so richtig erkennen, aber ich merkte dass er kurz davor war einen großen Fehler zu begehen.
„Pass auf Ingo. Es ist mir verdammt noch mal scheißegal ob du ein Problem mit mir hast. Ich steh auf Kerle. Na und? Das geht dich einen Scheiß an und nur zu deiner Information, Flo ist nicht schwul und der Kuss war nur dafür gedacht euch endlich mal zu zeigen, wie verdammt dämlich ihr euch benehmt.“
Darauf hatte Inge wahrscheinlich schon gewartet, denn noch bevor einer von uns beiden reagieren konnte, hatte er sich Peter am Kragen gepackt und zerrte ihn grob auf die Füße. Als ich mich einmischen wollte hatte ich sofort eine ziemlich behaarte Pranke auf der Schulter und jemand hinter mir sagte mir in einem wohlwollend gehässigen Ton, dass ich gefälligst meine Füße stillhalten sollte, während die Schwuchtel ihr Fett wegbekam. Wenn ich nichts unternahm würde Peter wahrscheinlich ziemlich was auf die Fresse bekommen und dass ich hier ungeschoren davonkam konnte ich auch nur im Traum hoffen. Also versuchte ich mich von meinem Bewacher zu befreien und Peter zu helfen, der inzwischen unsanft an einen Baum gedrückt wurde, sich aber nicht weiter verteidigte.
„Ingo lass ihn in Ruhe. Wir haben euch nichts getan.“
„Halt die Fresse und warte bis du dran bist, du Schwuchtelfreund.“
Tja, wenn uns nicht bald etwas einfiel, dann würde das hier böse enden. Plötzlich erhellte ein heller Strahl unser dunkles Firmament oder besser gesagt, es fanden sich ein paar neue Akteure ein.
„Kaum wird es dunkel, kriecht das Nazipack aus seinen Löchern. Ihr müsst ja wirklich ziemlich dämlich sein, um euch hier blicken zu lassen und dann auch noch einen Freund von uns anzupöbeln.“
Wenn mich nicht alles täuschte kannte ich die Stimme irgendwoher, aber zuordnen konnte ich sie in diesem Moment nicht wirklich. Ingo und seine Spacken ließen sich davon allerdings nicht weiter einschüchtern.
„Wenn du was auf die Fresse haben willst komm her und stell dich an.“
„Wollen wir.“
Tja und schlagartig änderten sich die Verhältnisse auf unserem Sitzplatz. Während wir vorher noch von sieben leicht national einzuschätzenden Schwachstromelektrikern umkreist waren, waren diese jetzt von gut zwei Dutzend Punks eingekreist, die vereinzelt auch noch ein paar nette Hündchen dabei hatten. Da war Inge aber mit einem Mal richtig schön still. Das hätte ich ihm auch vorher sagen können, dass er sich hier in ein eher alternatives Viertel gewagt hatte.
„So ich würde jetzt vorschlagen, die kleine Kommode lässt Flo los und das Großmaul den anderen Typen.“
Wie gewünscht geschah es auch, denn die einst so mutigen Helden der Nacht waren inzwischen recht unsicher über den Ausgang selbiger. Hatte noch vor kurzem ihr taktisch sensationell blöder Plan einen scheinbaren Erfolg erwarten lassen, waren sie es nun, die kurz davor waren mächtig was auf die Fresse zu bekommen.
Als ich dem Anführer der Punks näher kam erkannte ich auch endlich sein Gesicht wieder. Büchse war einer der Leute gewesen, die ich am Ende des letzten Schuljahres kennen gelernt hatte. Scheinbar hatten wir im Suff mehr als ein paar Worte gewechselt, schließlich kannte er ja noch immer meinen Namen.
„Alter, ich hab dich ja fast nicht wieder erkannt, du siehst fast aus wie eine Schaufensterpuppe.“
„Danke für die Blumen, ich wollte mal einen kleinen Tapetenwechsel vornehmen.“
„Scheiß egal. Was sollen wir mit den Flachwichsern machen?“
„Keine Ahnung. Mir wäre es am liebsten, wenn wir sie verschwinden lassen. Es würde eh nichts bringen, dass jetzt hier zu klären, das führt nur zu noch mehr Stress.“
Mein Vorschlag wurde von der Mehrheit der Anwesenden mit einem Murren aufgenommen. Scheinbar war man wohl gewillt heute ein paar Glatzen zu klatschen. Ich allerdings malte mir schon bildlich aus, was passieren würde, wenn wir Inge & Anhang das nächste Mal über den Weg laufen würden. Und ganz ehrlich, diese Situation wollte ich nicht provozieren.
„Also dein Vorschlag ist ja mal vollkommen für den Arsch, weil Typen wie die es sowieso nie lernen. Aber ich hab dich einmal gefragt und da ihr Zwei scheinbar die gleiche Meinung habt, lassen wir es für heute damit bewenden. Und wenn wir euch Vögel hier noch mal sehen, dann seid ihr Mode. Los verpisst euch.“
So schnell sie konnten trollten sich Ingo und seine Freunde und sie konnten wirklich von Glück reden, dass der Rest der Anwesenden scheinbar noch ziemlich nüchtern war. Ansonsten, und wenn Büchse nicht das Wort gehabt hätte, wäre es hier wohl weniger friedlich ausgegangen.
Noch immer völlig fertig ließen wir uns auf die Wiese fallen und fragten anschließend in die Runde, ob wir denn etwas zu trinken ausgeben könnten. Zehn Minuten später war der nächstgelegene Spätshop um einige Euro reicher und unsere neuen bzw. meine alten Freunde mit einem Bier versorgt, während wir uns an die Reste unserer Weinflasche klammerten. Irgendwann verabschiedeten wir uns dann von Büchse und seinen Leuten und verkrümelten uns in Richtung Straßenbahn.
„Wartest du kurz auf mich?“
„Ja kein Ding, aber mach, ich will die Bahn erwischen.“
Er wartete an der Haltestelle auf mich und wollte sich, als die Bahn sich näherte, eben von mir verabschieden.
„Wenn du nichts dagegen hast fahr ich noch ein Stück mit. Claudia habe ich angerufen, die weiß bescheid, dass ich spät komme.“
Ohne etwas zu antworten gingen wir beide zur Straßenbahn und ich fuhr mit in seine Richtung. Auch während der Fahrt schien Peter vollkommen im Zauberwald zu sein und ich hütete mich erst einmal ihn anzusprechen. Wer weiß schon, worüber er gerade nachgrübelte. Erst, als ich unschlüssig an der Straßenbahnhaltestelle stehen blieb, drehte er sich zu mir um.
„Kommst du noch mit zu mir?“
‚Ja ne, ich stehe gerne mitten in der Nacht mitten in der Pampa und schau mir die Sterne an.’
„Jo“
Zehn Minuten später kamen wir bei einem recht, sagen wir es so, wohlhabend aussehenden Haus an, an dessen Eingangstor sich mein Begleiter nun zu schaffen machte. Ich ging derweil schon einmal vorsichtshalber meine spätere Aussage durch, schließlich wollte ich nicht wegen Einbruchs verknackt werden. Als dann jedoch die Tür plötzlich aufging und Peter einen Haustürschlüssel ans Tageslicht beförderte, klappte mir die Kinnlade erst einmal auf Höhe Meeresspiegel. Der wohnte hier tatsächlich in dieser Villa. Alter, wenn seine Eltern kein Geld hatten, war ich ein Mädchen mit blonden Zöpfen.
„Hier wohnt ihr?“
„Ja das gehört uns.“
„Gehört euch? Ist dein Vater Bankräuber?“ Ah da hatte jemand sein Grinsen wieder gefunden.
„Klingt spannend, sollte ich ihm vielleicht einmal vorschlagen.“ Und seine große Klappe auch noch.
Hätten wir unsere Ruhe gehabt, wäre das wohl wieder in einen Blödelwettstreit ausgeartet, aber wir wurden spontan von einer aufgerissenen Tür und unverständlichem Elterngewäsch unterbrochen. Normalerweise hätte ich mich ja, höflich wie ich bin, vorgestellt. In diesem speziellen Fall allerdings war ich viel zu sehr damit beschäftigt mich vor Lachen zu krümmen. Ursache und auch Opfer des Ganzen war Peter, der seinen Schlüssel schon ins Schloss gesteckt hatte, als die Tür von innen geöffnet wurde und der aufgrund der Geschwindigkeit mit der dies geschah, einfach mitgezerrt wurde und auf seinem Hosenboden landete. Seinen Schrecken und Unmut über diese Beschädigung seiner Würde tat er kund, indem er eine seltendämliche Grimasse zog, die mich nur noch mehr zum Lachen animierte. Durch dieses sozial unangepasste Verhalten meinerseits wurde nun der scheinbar erziehungsberechtigte Türöffner auf mich aufmerksam und musterte mich kurz, bevor er sich wieder dem jungen Herrn zu seinen Füßen zuwandte.
„Also junger Mann, wo kommst du um die Uhrzeit her? Hatten wir nicht eine Abmachung diesbezüglich?“
So sind sie die lieben Erziehungsberechtigen. Immer feste Regeln aufstellen ohne Rücksicht auf Verluste. Schließlich sind wir ja auch erst drei und können noch nicht alleine aufs Töpfchen.
„Ich weiß ja, aber wir waren noch unterwegs und da habe ich die Zeit vergessen.“
„Das mag ja gut und schön sein. Aber wir hatten abgemacht, dass du um Zehn zu Hause zu sein hast und du weißt auch genau wieso.“
„Och komm Paps nicht schon wieder die Leier. Ich hab dir doch erklärt, dass nun alles geregelt ist.“
„Dieses Mal vielleicht. Aber was ist wenn der Typ es sich anders überlegt und wieder von vorne anfängt oder sich ein anderer Idiot findet? Na gut lassen wir das, sonst denkt dein Freund noch sonst etwas von uns. Einen guten Abend wünsche ich dir, mein Name ist Karl Steinberg und wie du sicher schon mitbekommen hast, trage ich außerdem das Prädikat Vater.“
Aha, deshalb hatte er also nie bei seinen Eltern erwähnt, dass er wieder Kontakt zu mir hatte. Das hätte mir ja eigentlich auch klar sein können. Tja und was nun?
‚Action Jackson!’
„Schönen guten Abend Herr Steinberg. Ja das habe ich schon mitbekommen. Und wegen der anderen Sache über die sie gerade diskutiert haben...“
Den warnenden Seitenblick des immer noch auf dem Boden sitzenden Peters bekam ich schon mit, aber scheiß drauf!
„...da müssen sie sich wirklich keine Sorgen machen. Ich überlege mir das sicher nicht mehr anders, weil ganz so blöd, wie es scheint, bin ich dann wohl doch nicht.“
Das Gewitter, was sich da gerade aufbaute war definitiv nicht von schlechten Eltern. Ade Leben, es war schön dich gekannt zu haben auch wenn wir des Öfteren Probleme miteinander hatten. Warum ich das Ganze gerade eben angesprochen hatte? Tja die Frage stellte sich mir auch gerade. Der Alkohol war schuld und wenn nicht der, dann meine neue ehrliche Ader, die ich in diesem Moment allerdings mehr als verfluchte. Irgendwie schien mein Hirn in letzter Zeit in brenzligen Situationen vollkommen abzuschalten und mich die wahnsinnigsten Pläne umsetzen.
Aber noch bevor der Riese auf mich losgehen konnte hatte sich etwas oder besser gesagt jemand zwischen uns geschoben.
„Paps darf ich dir Florian vorstellen und Grüße von seiner Mutter soll ich auch ausrichten, sie heißt Claudia Gerber.“
Da hatte wohl eben jemand mein junges Leben gerettet und dabei einen erwachsenen Menschen vollkommen aus dem Konzept gebracht. Als sich Peters Vater wieder halbwegs gefangen hatte bat er uns hinein. Warum ihn diese Nachricht so vollkommen verwirrte konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären, aber damit war ich erst mal aus dem Schneider und alte Leute sind ja grundsätzlich komisch.
Im Hausflur angekommen erwartete uns auch schon die noch fehlende Frau Steinberg, die ihren Sohn erst ungehalten musterte und mich dann freundlich begrüßte. Offensichtlich hatte sie von dem Gespräch vor der Tür nichts mitbekommen.
Peters Vater lotste uns dann umgehend in das recht üppig eingerichtete Wohnzimmer, während Frau Steinberg etwas zu trinken besorgte. Als dann schließlich alle versammelt waren, wurde ich von ihm seiner Frau vorgestellt.
„Katja, ich möchte dir kurz drei Leute vorstellen.“ Verwirrte Gesichter links und rechts hatte er wohl eingeplant.
„Das ist Florian, ein Freund von Peter, gleichzeitig ist er der Sohn von Claudia und er ist derjenige, der unserem Herrn Sohn die ersten Schulwochen zur Hölle gemacht hat. Wen wir allerdings heute hier haben, dass musst du selbst entscheiden.“
Und wieder diese Mischung aus – ich mach dich platt – Blick und – ich fass es nicht – Gesichtsentgleisung. Das mussten die beiden seit Jahren vor dem Spiegel proben, sonst würde man das doch nicht ohne weiteres so perfekt hinbekommen.
Bevor das Ganze in einer Verdächtigenbefragung endete nahm ich den Rest Mut, der sich noch irgendwo in meinem linken Jackenärmel versteckt hatte, beisammen und erzählte ihnen was genau, wie und weswegen vorgefallen war. Schimpfwörter und Details ließ ich natürlich aus, um das zarte Gemüt der alten Leute nicht unnötig zu belasten.
Und während ich ihnen das Ganze erzählte stand ich neben mir und beobachtete mich dabei. Ehrlich gesagt fragte ich mich, warum ich Peters Eltern die Geschichte überhaupt erzählte. Im Grunde war er nur ein ganz normaler, nun ja, ein guter Freund, aber trotzdem setzte man sich deswegen doch noch lange nicht in ein fremdes Wohnzimmer und erzählte Erwachsenen was man so für Unsinn angestellt hatte. Ich musste also an einer, mir bisher völlig unbekannten, und auch schleichend voranschreitenden, geistigen Umnachtung leiden, anders konnte ich mir den Wahnwitz wirklich nicht plausibel erklären.
Glücklicherweise nahmen sie es äußerlich doch recht gefasst auf. Aber wie Erwachsene nun einmal so sind, sollte ich nicht ohne die übliche Moralpredigt davonkommen. Herr Steinberg hatte sich eben einleitend geräuspert, als ihm sein Sohn schon ins Wort fiel.
„Paps lass es. Er weiß alles was du ihm sagen willst auch so schon.“
Da war er. Der böse Blick. Jenes machtvolle und gefürchtete Instrument jener, die mitten in einem lange geprobten Monolog unflätig unterbrochen wurden. Und was machte ich in diesem Moment, in dem ich besser die Fresse gehalten hätte? Ich fing laut an zu lachen und zog natürlich sechs ungläubige Augen auf mich. Infolge dessen lief ich umgehend zur Tomate an, was die restlichen Anwesenden wiederum zum Lachen brachte. Diese natürliche Schutzreaktion meines Kopfes bewahrte mich wahrscheinlich vor dem nächsten Donnerwetter und brach gleichzeitig die recht bedrückende Stimmung. Und trotzdem wurde ich in der nächsten Stunde einem Verhör unterzogen, denn die beiden Senior Steinbergs wollten so einiges über mich und meine Familie wissen und auch Peter bekam einige neue Eindrücke. Irgendwann gegen Mitternacht meldete sich dann mein mobiler Informationsgeber und teilte mir mit, dass Claudia inzwischen leicht ungehalten war. Es war also Zeit um nach Hause aufzubrechen, allerdings fand der Steinbergclan mein diesbezügliches Ansinnen mehr als schlecht. Vater Steinberg meinte, dass er mich normalerweise natürlich nach Hause fahren würde, aber da er schon etwas getrunken hatte, würde dies heute Abend wohl eher wegfallen. Deswegen stellten sie mich vor die Wahl entweder ein von ihnen bezahltes Taxi zu benutzen oder einfach hier zu übernachten. Ansonsten, so drohten sie mir an, würden sie mich eiskalt im Keller festbinden, bis einer der beiden wieder fahrtüchtig wäre.
Da ich weder Variante 1 noch Variante 3 sonderlich bevorzugte, schlug ich im Gegenzug vor, dass einer der beiden meine Mutter über die aktuelle Lage der Nation in Kenntnis setzen könnte, um ihr Einverständnis einzuholen. Frau Steinberg übernahm diese Aufgabe sofort und setzte uns nach fünf Minuten darüber in Kenntnis das ich hier schlafen könne, nur um gleich darauf wieder mit dem Telefon in einen anderen Raum zu verschwinden. Ich sag’s ja immer wieder. Weiber sind die geborenen Quatschtanten und die beiden hatten Jahre aufzuarbeiten, also würden wir sie wohl morgen früh noch telefonierend vorfinden.
Kurze Zeit später lernte ich dann Peters Zimmer im ersten Stock kennen und mir fielen beinahe die Augen heraus. Der Kerl hatte kein Bett, der hatte eine Liegewiese! Und das Zimmer war ungefähr doppelt so groß wie mein Eigenes. Dass die Einrichtung einfach nur phänomenal war, muss ich ja nicht unbedingt erwähnen und bei seiner CD-Sammlung sind mir die Augen wirklich rausgefallen, aber ich hab zum Glück schnell meine Lider davor geschoben und so gab es kein größeres Unglück. Ich beschränkte mich im Folgenden also einfach nur darauf baff zu sein und dem Schwein im Uhrwerk Konkurrenz zu machen. Zum Glück fand mein Hirn schnell eine andere Beschäftigung, und so hatte ich mir nach ungefähr 30 Sekunden schon mindestens fünf CDs ausgesucht, die ich mir unbedingt mal ausborgen musste. Währenddessen hatte sich Peter ein paar Klamotten geschnappt und verschwand mit dem Hinweis, dass er sich bettfertig machen würde im angrenzenden Badezimmer.
Und was war mit mir? Ich hatte natürlich keine Klamotten dabei. War ja klar. Eigentlich war es ja auch nicht geplant, dass ich hier pennen würde. Zum Glück löste sich das Problem mit seiner Rückkehr in Wohlgefallen auf, da er mir ein paar passende Schlafklamotten aus seinem Schrank zuwarf.
Das Badezimmer war der nächste Hammer. Eine Badewanne für was weiß ich wie viele Leute. Auf jeden Fall war sie riesig und das Düsending sah auch nicht schlecht aus. Wenn die keinen Bankräuber in der Familie hatten, dann war ich echt ratlos. Wir selber lebten ja halbwegs gut, aber so etwas war mir halt bis dato noch nicht unter die Augen gekommen.
Zehn Minuten glotzen und fünf Minuten Körperhygiene später war ich bettfertig. Steinbergs hatten sogar Gästezahnbürsten im Badezimmer, einfach unglaublich. In der Nacht würde ich wohl mal heimlich das Haus erkunden und die Heinzelmännchen suchen, denn das mit dem Bankräuber hatte ich nach reiflicher Überlegung verworfen.
Zurück in Peters Zimmer ließ ich meine Klamotten gewohnheitsmäßig an der erstbesten Stelle fallen. Er hatte inzwischen eine zweite Matratze auf dem Boden ausgebreitet und lag schon auf seiner Liegewiese. War das nicht eigentlich so, dass man seinen Gästen das bequemere Bett anbot? Egal, selbst die Matratze sah größer aus als mein Bett, also würde ich wohl gut schlafen können, denn ehrlich gesagt war mir mein eigenes Bett in letzter Zeit ein wenig zu klein. Darüber würde ich dringend mit Claudia sprechen müssen, auch wenn das wieder in eine Endlosdiskussion ausarten würde.
Gerade eben als ich mich näher mit dem Sandmann unterhalten wollte unterbrach mich Peter in meinem stummen Dialog mit der selten dämlichen Frage, ob ich denn schon schlafen würde. Was bitte soll man darauf antworten? Ja ich schlafe? Nein ich schlafe nicht? Weiß ich nicht genau, aber du schläfst! Irgendwann gab ich dann ein gegrummeltes Nein von mir, was ihn allerdings dazu ermunterte mich vollkommen aus den Armen des Sandmanns herauszureißen. Nicht, dass wir noch irgendwelche weltbewegenden Dinge besprechen wollten, das hatte ich ihm gleich ausgeredet als er mir sagte, dass er mir noch etwas Wichtiges erzählen müsste. Vielmehr vergnügten wir uns mit dem Kramen in unseren lückenhaften Erinnerungen, die nach einigem Knirschen doch noch die ein oder andere lustige Begebenheit zu Tage brachten.
Es muss gegen zwei gewesen sein, als wir endlich eingeschlafen waren. Besser gesagt, der Herr konnte seine Augen nicht mehr offen halten, während ich putzmunter war. Also lag ich noch eine halbe Stunde alleine wach und grübelte eine Runde vor mich hin, bevor sich der alte Knacker mit dem Schlafsand endlich bequemte mich einzusammeln.
Dementsprechend zerstört war ich am nächsten Morgen, als man mich mitten in der Nacht aus meinem wohlverdienten und harterkämpften Schlaf riss.
„Verdammt es ist noch nicht einmal Zwölf! Es ist Samstag! Und ich schlafe noch!“ grummelte ich mir einen ab. Mein unbekannter Peiniger war davon jedoch nicht sonderlich beeindruckt und zog mir einfach die Decke weg. Und ich war mit einem Male wach und rot wie eine Tomate. Man hätte das Ganze natürlich klären können, weil das wohl dem ein oder anderen des Öfteren passiert. Man hätte auch einfach cool darüber hinwegspielen können. Ich für meinen Teil machte, dass ich ins Bad kam und die Tür hinter mir abschloss. Es war mir halt schlicht und ergreifend peinlich. Und da ich gerade einmal hier war und zudem vollkommen wach, konnte ich auch gleich duschen gehen, denn nach etwas Anderem war mir im Moment sowieso nicht zumute. Erst einmal einen klaren Kopf bekommen und dann weitersehen.
Eine Viertelstunde und viele Liter Wasser später fühlte ich mich gefestigt genug, um der Welt wieder gegenüber zu treten. Das Problem an meinem Vorhaben war, dass ich bei meiner überstürzten Flucht aus Peters Zimmer genialer Weise meine Klamotten liegen lassen hatte. Ganz großes Kino!
Ich musste also wohl oder übel mit einem Handtuch bekleidet zurückgehen, da es mir irgendwie doch ein wenig zu blöd war, mir meine Schlafklamotten wieder anzuziehen. Als ich die Tür aufmachte kam mir Peter schon entgegengestapft und fing sofort an sich zu entschuldigen. Ich für meinen Teil beschränkte mich darauf mir meine Klamotten zu schnappen und mich wieder ins Bad zu verkrümeln und mein Gegenüber mit vielen Fragezeichen über seinem Kopf stehen zu lassen. Dieses Gespräch konnte er gerne zu einem anderen Zeitpunkt haben, aber doch bitte nicht mitten in der Nacht und ohne dass ich vorher Musik hatte hören können.
Ich mag es zwar nicht wirklich, zeitig geweckt und dabei noch in Peinlichkeiten sonders gleichen gestürzt zu werden, aber das Frühstück war dann doch eine kleine Entschädigung und nebenbei noch eine ziemliche Überraschung, denn als wir beiden die Treppe herunterkamen hörte ich schon ein paar mir wohl bekannte Stimmen und sah kurz darauf zwei wirbelnde Lachsäcke, die mich umrissen. Mit Mühe und Not kämpfte ich mich unter meinen beiden Geschwistern hervor.
„Peter, darf ich vorstellen? Das sind Linus und Annika. Ihres Zeichens Quälgeister und große Brüder Umwerfer.“
„Ja das hätte ich mir jetzt fast gedacht, so wie die Beiden dich umgeworfen haben.“
Dass Claudia nicht weit war konnte ich mir denken, auch wenn ich sie bisher noch nicht gehört hatte. Wir fanden sie dann auch ziemlich schnell zusammen mit Peters Mutter in der Küche, wo sie die letzten Vorbereitungen für unser Frühstück trafen. Mein gegrummeltes „Guten Morgen“ kannte Claudia schon, während mich Peters Mutter doch ziemlich ungläubig ansah.
‚Ja es ist wahr. Ich bin der gleiche Typ, der gestern Abend noch so nett war, aber es ist einfach mal mitten in der Nacht und ich rede erst nach dem Mittag ganze Sätze.’
Irgendwann hatte es meine Umgebung oder besser gesagt die Steinbergs eingesehen, dass ich nicht im Geringsten daran dachte mich an irgendeiner Konversation mit ganzen Sätzen zu beteiligen. Also ließ man mich in Ruhe und ich konnte mich aufs Essen konzentrieren, während der Rest des Tisches in einer schier unerträglichen Fröhlichkeit über Gott und die Welt diskutierte.
Kurz vor elf verabschiedeten wir uns dann fürs Erste und steuerten den heimatlichen Hafen an. Ich verzog mich sofort in mein Zimmer, um kein unnötiges Risiko einzugehen und von Claudia ausgequetscht zu werden, und suchte mir ein paar Klamotten aus meinem Schrank, die ich für den heutigen Abend in Erwägung zog. Der ganze Kram landete kurze Zeit später in meinem Rucksack und ich landete ebenfalls kurz darauf in der Küche, um die zweite Etappe in Angriff zu nehmen.
Gegen sechs kam ich dann wieder bei Peter an, der mich, zusammen mit Jojo, schon sehnsüchtig erwartete. Kaum war ich da, wollte ich auch schon wieder weg. Die beiden im Doppel waren anscheinend manchmal schwer zu ertragen. Einer dieser, bisher für mich unbekannten, Momente war anscheinend der heutige Abend. Während ich ganz leicht genervt in der Ecke saß, stritten sich die beiden Herren darum, was ich denn nun genau anziehen sollte. Und um es noch schlimmer zu machen einigten sich die beiden darauf, dass ich einfach mehrere Outfits durchprobieren sollte und sie sich nachher entscheiden würden. Das konnten die beiden Dösköppe aber ganz schnell vergessen, auch wenn sie es bisher nicht wussten, denn ich hatte mir inzwischen schon ganz genau überlegt, was ich anziehen wollte. So kam es, wie es kommen musste, ich verzog mich mit dem ganzen Stapel ins Bad und kam so wie ich es wollte wieder.
„Das solltest du doch überhaupt nicht anziehen.“
„Ich weiß. Aber mir ist heute danach, also zieh ich das auch an.“
Punkt. Aus. Ende. Dass die beiden nun wild mit mir herumdiskutieren wollten, war mir schon fast klar, aber so einfach ließ ich mich nicht unterkriegen. Schließlich hatte Jojo damals die Cargo für mich herausgesucht und das Hemd war nun wirklich nicht schlecht. So gaben sich die beiden denn auch irgendwann geschlagen und ich hatte meinen Willen. Eben genau so, wie es sein soll. Da sie die erste Schlacht verloren hatten machten sie sich im Folgenden daran mich mit lauter Krimskrams, der zugegebenermaßen nicht unbedingt schlecht aussah, zu behängen, aus dem ich mir schließlich eine Kette und so ein Lederarmband heraussuchte. Und während ich mich Jojos Haarattacke unterziehen musste, zog sich auch Peter um, der sein Outfit wohl schon vorher mit Jojo abgeklärt hatte.
Pünktlich eine Stunde zu spät standen wir dann vor der angegebenen Adresse und beäugten die Umgebung erst einmal kritisch. Typisch Großstadtvorort. Die Einfamilienhäuser waren mehr oder weniger aneinandergereiht und machten alle einen gutbürgerlichen Eindruck. Ich konnte mir eher weniger gut vorstellen, dass man hier eine ordentliche Party steigen lassen könnte, weil dann garantiert Fritzchen Müller, der Frührentner von nebenan, mit dem Besen an die Scheibe klopfen würde. Aber man soll ja grundsätzlich ohne Vorurteile an solche Sachen herangehen, vielleicht waren das hier ja alles nette Nachbarn.
Auf unser Klingeln reagierte jedenfalls erst einmal keine Sau. Hatten wir uns doch in der Adresse geirrt? Während wir ratlose Blicke tauschten, wurde die Tür hinter uns aufgerissen und eine mir noch recht bekannte Stimme jauchzte vor Freude. Caro hatte sich heute Abend ziemlich in Schale geworfen und sah gar nicht mal so schlecht aus. Da stellte sich mir doch die Frage, warum sie keinen Freund hatte. Na ja das konnte man ja im Laufe des Abends herausbekommen.
„Schön, dass ihr gekommen seid. Wir dachten schon ihr lasst uns sitzen.“
„Wir doch nicht. Allerdings dachten wir schon fast, dass ihr uns eine falsche Adresse gegeben habt, weil keiner auf unser Klingeln reagiert hat.“
„Tut mir leid. Wir sind alle im Keller, weil sich die Nachbarn sonst über die laute Musik beschweren.“
Ich hatte also doch Recht. Hier waren die ganzen Fritzchen Müllers und Hugo Meiers zu Hause, die jedem, der auch nur mal ein bisschen Lärm zu etwas fortgeschrittenerer Stunde machte, sofort aufs Dach stiegen.
Wir folgten Caro also umgehend ins Innere des Hauses und ließen die üblichen Kommentare a la „schöne Bude habt ihr da“ ab. Und dann waren wir auch schon mittendrin. In dem zum Partyraum umgebauten Keller tummelten sich schon gut zwanzig partywillige Gäste. Mel entdeckte uns als erstes und stürmte mit einem Freudenjauchzer auf uns zu. Das musste hier scheinbar eine Angewohnheit sein oder aber man wollte so das gesamte Partyvolk auf Neuankömmlinge aufmerksam machen. Wenn es das war, dann ging Mels Plan vollkommen auf. Ich kam mir wie auf einer Fleischbeschau vor, so unverhohlen wie die uns alle musterten. Wahrscheinlich lief gerade in zwanzig Köpfen entweder das Programm – Will der mir die Mädels wegschnappen? – oder das Gegenstück – Sieht der besser aus als mein jetziger Freund? Ich hätte ja gerne unverhohlen zurückgestarrt, aber Mel hatte sich mir um den Hals geworfen und ich hatte alle Hände voll damit zu tun, um nicht nach hinten zu fallen. Derart begrüßt verkrümelten wir uns anschließend erst einmal auf eines der Sofas und versuchten uns erst einmal in Ruhe einen Überblick zu verschaffen.
„Also ich glaube, das war keine so gute Idee hier aufzutauchen. Die schauen uns alle an, als ob wir Aliens wären.“
„Wer weiß ob die Mädels schon gequatscht haben und wir hier als bisher unbekannte Unikate der Gattung Mensch vorgeführt werden.“
„Na das fehlte mir gerade noch. Wir kennen hier kein Schwein und die tratschen schon jetzt über uns. Dabei haben wir uns noch nicht einmal richtig daneben benommen.“
Wir fühlten uns auch während der nächsten halben Stunde noch wie Aussätzige, da sich keiner der anderen Partygäste in unsere Nähe traute und wir uns im Gegenzug auch sehr wohl auf unserem Sofa fühlten. Und wie das in solchen Situationen so ist, ordneten wir die Anwesenden einfach in Kategorien ein, denn ein wirklich spannendes Thema wollte auch uns nicht einfallen. Auffällig war jedoch, dass keiner der anwesenden Gäste rauchte und da meine Lunge schon lange kein Nikotin mehr inhaliert hatte, verabschiedete ich mich irgendwann von Peter und suchte Caro, um mich über die Rauchmöglichkeiten zu informieren. Ich wurde freundlicherweise von einem anderen Raucher, der eben mit Caro im Gespräch war, in den Garten begleitet und konnte endlich den ekligen Sauerstoff aus meiner Lunge verbannen.
Ungefähr zwei Minuten später wünschte ich mir nie mit dem Rauchen angefangen zu haben. Der einzige und dennoch vollkommen ausreichende Grund dafür war Janine. Janine war wie ich passionierte Glimmstengelanhängerin und hatte sich scheinbar schon den ganzen Abend im Garten aufgehalten. Deshalb war sie mir bisher auch nicht aufgefallen und ich wäre nicht unbedingt böse gewesen, wenn das so geblieben wäre. Aber da mir in der Hinsicht mal wieder nichts erspart blieb, wurde ich nun von dieser, vielleicht grundsätzlich netten, im Moment aber furchtbar penetranten Person belagert. Kommen wir also schnell zu den Fakten meines persönlichen Albtraums. Ungefähr so groß wie ich, dabei gar nicht schlecht anzuschauen und auch einen erträglichen Kleidungsstil hatte sie aufzuweisen. So wie ich sie einschätzte war sie wohl am Wochenende meistens in irgendwelchen Diskotheken zu finden. All das allein macht eine Frau ja nicht wirklich zum Problem, aber diese hier wusste um ihre Reize und bekam scheinbar immer das, was sie wollte. Diese Eingebung bestätigten mir auch die beiden anwesenden männlichen Geschöpfe, die Janine die ganze Zeit nach dem Mund redeten. Tja, und am heutigen Abend war wohl ich das von ihr auserkorene Zielobjekt und sie rückte mir auch umgehend auf die Pelle. Hatte mir Jojo etwa ein Schild auf den Rücken geklebt oder stand mir billig und willig auf der Stirn. Vielleicht war ich auch einfach zu nett für diese Welt, ich sollte wohl mal wieder den guten alten Florian heraushängen lassen, um mir etwas Ruhe vor meiner Umwelt zu sichern. Ich blieb trotzdem höflich und versuchte ihr auf nette Art und Weise mitzuteilen, dass ich überhaupt kein weitergehendes Interesse an ihr hätte und eigentlich nur in Ruhe eine Zigarette rauchen wollte und mich eventuell durch einige mehr oder weniger geistreiche Kommentare am allgemeinen Gesprächsgeschehen einzubringen gedachte. Und was passierte? Klarer Fall von Denkste. Meine gesamte sorgfältig durchdachte und perfekt umgesetzte Argumentation prallte an einer Mauer aus Ignoranz ab. Sogar die beiden Typen hatten mich inzwischen verstanden und die waren am Ende auch nicht die Schnelldenker vor dem Herrn. Janine aber rückte mir weiter konkret auf die Pelle und arbeitete dabei ungeniert mit ihren Reizen.
‚Ey hallo ich hab eine Freundin und eigentlich bin ich heute Abend schwul und in Begleitung. Ach nein, das weißt du wahrscheinlich noch nicht. Aber nun geh mir nicht weiter auf die Ketten Olle!’
‚Hahaaaaa’
‚Gehst du weg!’
‚Nein ich halte es wie die gute Janine.’
‚Alkohol! Drogen! Pickel im Gesicht!’
Janine vor mir, der kleine Störenfried in meinem Kopf und weit und breit keine Hilfe zu sehen. Und dann kam es wie es kommen musste, die Frau schaffte mich. Nicht, dass sie mir ihre Brüste ins Gesicht drückte, nein, mich darüber aufzuregen hatte ich schon vor fünf Minuten aufgegeben. Auch ihr penetrantes Rumgegrabsche an mir konnte ich gerade so noch ignorieren. Aber als mich dann frisch von der Leber weg fragte, ob sie mir denn ihr tolles neues Arschgeweih zeigen solle, gingen bei mir alle Lichter aus. Bin ich denn hier im Irrenhaus gelandet? Bloß weg von hier, ansonsten fällt das Weib noch über mich her und dann ist Ende Gelände. So schnell wie irgendwie noch mit meiner angeborenen Höflichkeit zu vereinbaren machte ich dass ich vom Acker kam, denn dass die Frau mir unheimlich war hätte wohl auch ein Blinder mit Krückstock mitgeschnitten. Wieder im Haus angekommen rannte ich beinahe Caro um. Die schaute mich ziemlich verdattert an, also erklärte ich ihr umgehend, dass ich eben meinen persönlichen Albtraum kennen gelernt hatte. Sie schloss folgerichtig daraus und fragte mich nur rein rhetorisch, ob ich denn Janine kennen gelernt hätte. Als ich ihr das bestätigte brach sie erst einmal in schallendes Gelächter aus. Und was machte ich, ich stand da wie ein begossener Pudel. Da redet alle Welt immer vom weiblichen Feingefühl und dann so was. Ich stehe im Regen und Caro hat nix besseres zu tun, als sich köstlich darüber zu amüsieren. Also ließ ich sie einfach stehen und machte mich auf den Weg in den Keller um mir wenigstens von Peter eine große Tüte Mitleid abzuholen, aber der war nicht mehr auf unserem angestammten Sofa. Während ich mich noch suchend umsah, näherte sich aber schon das Unheil von der Treppe her. Janine hatte ihre abendfüllende Zigarettenpause anscheinend unterbrochen, um mir jetzt den Rest zu geben. In ihrem Schlepptau befand sich die noch immer kichernde Caro und auch die beiden Typen, die mit mir im Garten gestanden hatten, wollten sich dieses Spektakel wohl auch nicht entgehen lassen. Tja und da nirgendwo eine anständige Deckung zu finden war verkrümelte ich mich einfach an die Stelle, welche von den meisten Leuten umlagert wurde, den Getränkestützpunkt.
Die hatten ja sogar Wodka da. Na wenn ich mir den jetzt nicht verdient hatte, dann weiß ich auch nicht mehr.
Nicht mal in Ruhe besaufen kann man sich. Wie hätte es auch anders sein sollen. Janine hatte mich mit ihrem Adlerblick inmitten der anderen Partygäste gefunden und wahrscheinlich hatte Caro ihr noch dabei geholfen. Na die konnte sich eine Pfeife anbrennen, wenn ich hier lebend herauskam. Das war allerdings unwahrscheinlich, denn Janine versperrte mir doch glatt den Fluchtweg und nahm auch postwendend wieder Tuchfühlung auf und weit und breit keine Sau die mir hilft. Echt mal schönen Schrank. Das Volk schaut belustigt zu, wie der arme Jüngling von der bösen Hexe vergewohltätigt wird, statt heldenhaft einzugreifen. Und da Janine keiner davon abhielt, zeigte sie mir natürlich ihr tolles Arschgeweih und ich beglückwünschte mich dazu das ich angekommen war im ‚land of too much information’. Nichts für ungut. So was sieht wirklich nicht schlecht aus, aber wenn ich’s doch überhaupt nicht sehen will und mir dann ansehen darf, dann geht mir echt die Hutschnur. Das versuche ich der Guten auch klarzumachen, aber wie schon ein paar Minuten vorher prallen all meine Worte an ihrer Mauer aus Ignoranz ab und sie befummelt mich kräftig weiter.
So jetzt reicht’s aber endgültig. Es ist ja auch nicht schon schlimm genug, dass ich hier von einer wildfremden Tussi begrabbelt werde, nun gesellt sich doch glatt noch jemand dazu und legt seinen Arm um meine Schulter. Recht ungehalten drehe ich mich nach links und entdecke meinen Helden, den Ritter in der weißen Rüstung. Peter versteht meine stummen Hilfeschreie und schaut die junge Dame vor uns mit einem strafenden Blick an. Die jedoch scheint sich plötzlich noch einmal zu verlieben und weiß gar nicht, wen sie als erstes begrabbeln soll. Aber statt mich in Ruhe zu lassen fing sie nun an auf Peter einzureden und weiter an mir herumzugrabschen. Wir verständigten uns derweil stumm mit Blicken und während sie nebenbei Peters Namen herausfand hatten wir unseren Plan gefasst.
Besser hätte es gar nicht laufen können, sie lief uns genau in die Falle.
„Und hast du eine Freundin?“
„Nein eine Freundin nicht.“
Im Hintergrund hatte das Publikum zwei weitere interessierte Zuschauer als Verstärkung erhalten. Mel und Caro schienen sich köstlich zu amüsieren, wohl weil sie zu wissen glaubten, was nun passieren würde und damit hatten sie hundertprozentig Recht.
„Mensch da hab ich aber Glück. Gleich zwei niedliche Schnuckel für mich am selben Abend. Da werden Lisa und Marie aber Augen machen, wenn ich ihnen das erzähle. Das glauben die mir nie und nimmer, aber ich habe ja zum Glück genug Zeugen für den heutigen Abend. Also, wer von euch will denn zuerst mit mir auf die Couch kommen?“
Die Frau hatte wirklich ein gesundes Selbstvertrauen. Das musste man ihr lassen. Aber jetzt war es Zeit für unseren Auftritt.
„Wir enttäuschen dich ja ungern, aber du hast da etwas falsch verstanden. Ich hab dir zwar gesagt, dass ich keine Freundin habe, aber das heißt nicht, dass ich jetzt sofort mit dir in die Kiste hüpfen möchte.“
„Wieso das denn nicht. Hier findest du sowieso keine hübschere Freundin als mich.“ Da wurde doch nicht etwa Unmut im Raum laut? Ich war mir ziemlich sicher, dass sich Janine so eben mindestens zehn neue Feindinnen geschaffen hatte. Nur die beiden Gastgeberinnen waren nach wie vor ziemlich fröhlich.
„Du hast Peter ich glaube immer noch nicht richtig verstanden.“
Ein weiterer Seitenblick gab mir sein Einverständnis und ich beugte mich zu ihm rüber, mir dessen voll bewusst, dass soeben einigen Leuten die Augen aus dem Kopf fallen würden. Der Kuss dauerte etwas länger als geplant, aber er verfehlte seine Wirkung nicht. Janine hatte ruckartig ihre Hand von mir weggezogen und starrte uns völlig entgeistert an.
„Ich glaub’s ja nicht.“
„Tja, es ist aber so.“
Vorsichtiger Weise schaute ich mich noch im Raum um, ob wir irgendwelche ungewollten Reaktionen hervorgerufen hatten, aber die meisten Anwesenden waren einfach nur völlig baff oder waren kurz vor einem Lachflash. Ein paar verwirrte Gesichter hier und da gab es schon und Janine war wohl völlig am Ende mit den Nerven und tat ihren Unmut auch lautstark kund.
„Boah ey, Caro, wieso ladet ihr denn Schwuchteln auf eure Feier ein, wenn ich hier bin?“
„Vorsicht was du sagst. Wir haben die beiden eingeladen und wenn du ein Problem hast, dann kannst auch gerne gehen.“
Und was tat die gute Janine, sie wackelte aufreizend von dannen und nahm ihren Anhang, bestehend aus den beiden Gartentypen, gleich mit. Der Rest der Partygäste erwachte derweil langsam wieder aus seiner Apathie und nun waren wir auf der Party angekommen und wurden mit Fragen bombardiert, zumeist von den weiblichen Gästen, aber ein paar der Jungs hörten uns auch aufmerksam zu.
Wir hatten den Rest des Abends alle Hände voll damit zu tun uns irgendwelche Geschichten auszudenken, wie wir uns kennen gelernt hatten und wie das so war, wenn man schwul war. Peter hatte damit ja keinerlei Probleme und ich baute einfach auf die Geschichten, die ich in den Ferien gelesen und mir zu einem gewissen Teil gemerkt hatte. Nebenbei schütteten wir uns noch eine reichliche Menge Alkohol hinter die Binde, und waren dann auch bereit den sinnlosen Partyspielen, die zu fortgeschrittener Stunde angegangen wurden, beizuwohnen. Bevor wir allerdings dazu kamen uns in den Kreis der Anderen einzureihen, versperrte uns Janine, die eben wieder in den Keller gekommen war, den Weg.
„Jungs, wenn ich vorhin etwas überreagiert habe dann tut mir das echt leid. Aber ich hab das echt erst nicht auf die Reihe gekriegt, dass ihr beide schwul seid. Und inzwischen bin ich mir sicher, dass euch Caro unter anderem auch deswegen eingeladen hat, um mich einmal richtig zu ärgern. Aber dafür werde ich mich noch schrecklich rächen!“
Also schlossen wir bereitwillig mit ihr Frieden und gesellten uns gemeinschaftlich zu den anderen noch verbliebenen Gästen. Das Flaschendrehen an sich gestaltete sich zu einer recht peinlichen Angelegenheit, da wir irgendwie ziemlich oft Mode waren. Einmal mussten wir uns eine schmutzige Geschichte aus dem Stehgreif zusammenbasteln. Ein anderes Mal sollte einer der Anwesenden Peter küssen und auch ich war in der Richtung ziemlich Mode. Da das Ganze ordentlich mit Alkohol verfeinert wurde, war es uns irgendwann ziemlich egal und wir machten einfach mit.
Gegen drei fand ich Peter im Garten. Er hatte sich irgendwann abgeseilt, während ich noch immer am Erzählen war. Dass ich eindeutig betrunken war, hatte ich schon auf dem Weg nach oben bemerkt. Deshalb dachte ich mir auch nichts weiter dabei Peter von hinten zu umarmen, schließlich hatten wir das in den letzten Stunden sowieso des Öfteren gemacht. Schweigend schauten wir uns die Sterne an während jeder seinen eigenen Gedanken nach hing. Ich überlegte gerade, was Lara wohl den ganzen Abend getrieben hatte, als sich Peter plötzlich zu mir umdrehte. Seine Augen hatten irgendwie einen komischen Glanz und ich hatte das sichere Gefühl, dass er mir irgendwas sagen wollte.
„War ein coole Show, die wir da drinnen abgeliefert haben oder?“
Irgendwas hatte ich wohl falsch gemacht. Wieder einmal. Er drehte sich wieder um und bat mich kurze Zeit später den Heimweg anzutreten.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.