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Leanders Erbe

Teil 2

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Finn

In den kommenden Tagen gewann er schnell seine Kräfte zurück. Nicht zuletzt dank Lauris perfekter Pflege hatte sich seine Wunde nicht entzündet und auch wenn sie manchmal noch schmerzte, gab es kurze Momente, in denen er fast vergessen konnte, was passiert war. Er genoss die Zeit mit seinem Freund sehr. Es erinnerte fast ein bisschen an die Wochen, die sie damals auf der Lichtung verbracht hatten. Lauri war sehr um ihn besorgt und ließ ihn nur selten allein, um Nahrung zu beschaffen oder um die nähere Umgebung nach Genzo und seinen Männern abzusuchen.

„Ich würde mich ganz gern morgen mal ein bisschen umsehen.“

Lauri löffelte ruhig weiter seinen Eintopf.

„Klar, mach ruhig! Mein Haus ist dein Haus!“

Finn musste grinsen. Typisch Lauri … Finn legte den Löffel neben sich auf den Tisch und stützte sein Kinn auf den gefalteten Händen ab.

„Nein … ich meine draußen!“

Lauri hätte sich fast an der Suppe verschluckt.

„Was? Kommt gar nicht in Frage!“

„Mir geht’s schon viel besser und etwas frische Luft kann ich sicher gut vertragen!“

„Du kennst dich hier überhaupt nicht aus und du weißt, dass ich dich morgen nicht begleiten kann!“

„Das ist kein Problem. Ich werd schon wieder nach Hause finden!“

Lauris Gesichtsausdruck verriet wie sehr ihm Finns Wunsch missfiel.

Finn konnte Lauris Sorge ja verstehen, aber gleichzeitig ärgerte er sich, dass sein Freund ihm so wenig zutraute. Er holte tief Luft und schob seine Hand über den Tisch zu Lauri.

„Ich versteh ja, dass du dir Sorgen machst, aber du musst mich nicht wie ein rohes Ei behandeln!“

„Du bringst dich aber selbst ständig in Schwierigkeiten!“

Lauri konnte das Grollen in seiner Stimme kaum unterdrücken.

„Ach was …, bloß weil du mir jedes Mal das Leben retten musstest …“

„Finn das ist NICHT lustig!“

Finn seufzte. So kam er einfach nicht weiter und Lauris abwehrende Haltung machte ihm ziemlich unmissverständlich klar, dass er gerade auf Granit biss.

Schweigend räumte Finn den Tisch ab. Offensichtlich war Lauri dank der Diskussion ohnehin der Appetit vergangen. Aus dem Augenwinkel beobachtete Finn, wie sein Freund die Hütte für den allabendlichen Rundgang verließ. Natürlich wusste er, dass er Lauri mehr als einmal sein Leben verdankte und besonders nach dem letzten Zwischenfall konnte er Lauris Sorge verstehen. Der Gedanke, dass Lauri Stunden und Tage die Angst aushalten musste, dass er vielleicht nicht mehr aufwachte, schmerzte ihn selbst. Dennoch fühlte er sich langsam wie in einem Käfig eingesperrt. Bislang hatte Lauri ihm nur in seiner Begleitung die wenigen Schritte vor die Hütte gestattet, runter zum Steg und zum Fluss. Sie schienen hier doch sicher zu sein. Wenn Genzo und Luca die Hütte all die Jahre nicht entdeckt hatten, warum dann ausgerechnet jetzt?

Es war bereits dunkel und Finn hatte das Feuer im Kamin angezündet, als Lauri immer noch stumm und grimmig dreinblickend nach Hause kam. Seufzend ließ er sich auf einem der Hocker nieder und starrte ins Feuer. Finn entschloss sich einen Besänftigungsversuch zu wagen.

Sanft ließ er seine Hand über Lauris Nacken streichen und da Lauri sich nicht wehrte, trat er näher an seinen Freund heran und ließ seine Hände über dessen Schultern nach vorne gleiten, so dass er mit der Brust gegen Lauris Rücken lehnte und seine Hände auf Lauris Brust ruhten. Er vergrub sein Gesicht in den dunklen Locken seines Freundes.

„Ich will nicht mit dir streiten!“

Lauri seufzte und griff nach Finns Händen.

„Das will ich doch auch nicht …“

Er zog Finn um sich herum, so dass dieser kurz vor Lauri stand, bevor er sich auf dessen Schoß setzte.

„… ich hab einfach nur Angst um dich. Ich war schon so oft ganz kurz davor, dich zu verlieren.“

„Ich weiß!“

Finn blickte in Lauris klare blaue Augen und strich ihm einige der wilden Locken aus dem Gesicht. Sein Blick wanderte weiter bis zu Lauris vollen Lippen, die noch etwas zerknirscht aufeinander gepresst waren. Doch die sanfte Berührung von Finns Fingerspitzen öffnete Lauris Lippen wie von Zauberhand, so dass Finn seine Lippen sofort zärtlich darauf legte. Seine Hände begaben sich derweil auch auf Wanderschaft und knöpften langsam Lauris Hemd auf, um es ihm anschließend von den Schultern zu streifen. Einen kurzen Moment verharrte seine rechte Hand auf der hässlichen Narbe, die sowohl Lauris als auch seine eigene Brust verunzierte. Seine Lippen wanderten von Lauris Mund über dessen Hals, das Schlüsselbein und die Brust, was Lauri einige wohlige Seufzer entlockte. Finn liebte diesen Anblick. Lauri hatte die Augen geschlossen, die Lippen leicht geöffnet, den Kopf in den Nacken gelegt und war auf dem Holzstuhl etwas tiefer gerutscht. Sein Atem ging bereits etwas schneller und die Muskeln an Brust und Bauch spannten sich an. Finn rutschte zwischen den Küssen langsam von Lauris Schoß und sank vor seinem Freund auf die Knie. Die Lippen noch immer auf Lauris warme Haut gepresst, fuhr er mit den Fingerspitzen über Lauris flachen Bauch und machte sich schließlich an dessen Hosenbund zu schaffen.

Seit seiner Verletzung war bis auf einige Küsse und vorsichtige Umarmungen nicht wirklich viel zwischen ihnen beiden gelaufen, aber so langsam sehnte Finn sich danach, wieder mehr von Lauri zu spüren.

„Finn?!“

Lauris Hände hielten seine sanft und doch bestimmt fest, und seine Stimme klang rau, während er Finn schwer atmend von oben her ansah. Finn musste grinsen, weil er genau wusste, dass Lauri insgeheim sehr wohl wollte, dass er mit dem weiter machte, womit er begonnen hatte. Wieder einmal staunte Finn über Lauris Selbstbeherrschung.

„Lauri?!“, gab er belustigt zurück und presste seine Lippen danach aufreizend auf die unübersehbare Wölbung in Lauris Hose.

Lauris „Nicht …“ ging fast völlig in seinem wohligen Seufzen unter und veranlasste Finn dazu, die schwache Gegenwehr seines Freundes einfach zu ignorieren.

Lauri

„Das hat mir gefehlt …“, seufzte Finn und kuschelte sich tiefer in Lauris Arm.

„Nach den paar Tagen?“, grinste Lauri zurück. Er streichelte Finns Arm, den sein Freund eng um seine Taille geschlungen hatte und beobachtete, wie sich dabei die kleinen Härchen aufstellten.

„Lauri … das meinte ich nicht!“, Lauri konnte das Grinsen auf Finns Gesicht förmlich hören, auch wenn er von Finn nur die wirren blonden Haare sehen konnte, die auf seiner Brust lagen. „Ich meine dieses Gefühl, als gäbe es nur uns zwei! Weißt du? Wie damals auf der Lichtung … Als gäbe es das alles da draußen einfach nicht.“

Lauri seufzte. Genau das war Finns Problem …

„Vielleicht ist das genau der Fehler, den du machst. Du lebst manchmal in deiner kleinen Traumwelt.“

Finn hob den Kopf und sah Lauri verwundert an.

„Natürlich ist das alles schön und ja es könnte auch nach mir ewig so weitergehen. Aber die Welt ist nicht so und außerhalb deiner perfekten kleinen Blase gibt es verdammt viel Leid und solche Menschen wie Genzo und Colin. Du bist zu naiv manchmal!“

„Manchmal denke ich, du willst mich einfach nicht verstehen.“

„Nein DU willst nicht verstehen, Finn! Du bringst dich nur deshalb ständig in Schwierigkeiten, weil du viel zu blauäugig an alles herangehst.“

„Und du bist immer viel zu verbohrt!“

Lauri wollte nicht wieder streiten. Wirklich nicht. Also drückte er Finn wieder eng an sich und dachte sich nur seinen Teil dazu.

Ja vielleicht. Vielleicht war er verbohrt und misstrauisch und vorsichtig … Aber er hatte sich auch 10 Jahre lang allein durchs Leben geschlagen und hatte es bis hierher geschafft. Auch wenn das ein furchtbarer Gedanke war, aber er bezweifelte, dass Finn das ebenso geschafft hätte.

„Ich weiß, dass ich dich hier nicht ewig festhalten kann …“, Finns Kopf schnellte wieder nach oben und zwei erwartungsvolle grüne Augen strahlten ihn an. „… auch wenn ich das manchmal am liebsten täte! Aber bitte, bitte Finn, tu mir nur einen Gefallen!“ Ein Lächeln stahl sich auf Finns Lippen.

„Pass bitte wirklich auf dich auf! Geh nicht so weit weg am Anfang und halt dich im Hintergrund. Sprich mit niemandem und … ach, sorg einfach dafür, dass ich keine Angst um dich haben muss!“

„Manchmal klingst du wirklich wie mein Kindermädchen!“, lachte Finn und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.

„Wahrscheinlich nur, weil du dich wie ein Kind aufführst!“, grummelte Lauri.

„Keine Sorge! Mir wird schon nichts passieren.“ Zufrieden kuschelte sich Finn wieder in Lauris Arm.

„Das hoffe ich …“, flüsterte Lauri etwas weniger zufrieden und versuchte die furchtbaren Bilder in seinem Kopf auszublenden, die seine Angst schürten.

„Wenn du dich östlich hältst, kannst du einfach etwas durch den Wald streifen. Südlich vom Fluss liegt ein Dorf. Aber du solltest dich wirklich von anderen Menschen fernhalten fürs Erste. Wenn du in der Nähe vom Fluss bleibst, solltest du auch immer wieder zurückfinden und …“

„Lauri! Ist schon gut!“

Lauri seufzte. Er hatte einfach kein gutes Gefühl bei der Sache. Er selbst musste heute in Wessington etwas zu Essen besorgen und wäre auch mit Pferd sicher einige Stunden unterwegs. Was wenn Finn doch etwas zustoßen würde?

„Ich bin so schnell es geht wieder hier.“

„Ich lauf schon nicht weg!“ Finn grinste und strich ihm zärtlich über die Wange, bevor er seinem Freund einen Kuss auf die Lippen hauchte.

Das mulmige Gefühl wollte nicht verschwinden, aber es half alles nichts. Er musste los, also schwang er sich auf die Stute und trieb das Tier Richtung Westen an. In Gedanken versuchte er sich krampfhaft vorzustellen, dass Finn wohlbehalten in der Hütte auf ihn warten würde, wenn er zurück kam, doch eine Bilderflut wogte durch seinen Kopf, die ihm etwas ganz anderes zeigte …

Finn

Finn seufzte als Lauri zwischen den Bäumen verschwand.

Was sollte denn schon passieren?

Eine Weile schlenderte er in östlicher Richtung am Fluss entlang. Es war mittlerweile schon morgens angenehm warm und Finn genoss die Sonnenstrahlen auf der Haut. Hier lag alles so friedlich und still, dass Lauris Ängste ihm immer irrationaler erschienen. Ab und an schreckte er ein Tier auf, was sich im Dickicht versteckt hatte, aber sonst begegnete er niemandem.

Mit der Zeit lenkten ihn seine Schritte immer weiter nach Süden. Vielleicht kannte er das Dorf, von dem Lauri gesprochen hatte? Er musste ja mit niemandem reden. Konnte sich ganz im Hintergrund halten.

Nach einem guten Wegstück trug der Wind erste Geräusche zu ihm. Das Dorf musste also ganz in der Nähe sein und der Wind stand günstig, so würde ihn sicher auch niemand bemerken.

Vorsichtig schlich er sich einen kleinen Hügel hinauf und dahinter lag der kleine Ort auch schon.

Es herrschte geschäftiges Treiben, wie man um diese Tageszeit auch vermuten sollte.

Eine kleine hölzerne Kapelle bildete den Mittelpunkt des Dorfes und Finn erkannte sie sofort wieder. Er war einmal mit Genzos Männern hier gewesen. Aber nur, um Schutzgeld einzutreiben. Das Dorf hatte keine Schulden bei Luca gehabt und war daher bisher von den Männern nicht groß behelligt worden.

Finn machte es sich zwischen den Büschen und hohen Gräsern bequem und beobachtete die Menschen im Dorf. Eine willkommene Abwechslung mal wieder so etwas wie ganz normales Leben zu betrachten, nachdem er in den Monaten zuvor nur so viel Leid mit ansehen musste und danach tagelang in der Hütte am Fluss eingesperrt war. Er malte sich aus, wie es wäre, wenn Lauri und er irgendwo, weit weg von hier, auch in einem Dorf oder einer kleineren Stadt leben würden. Irgendeinem normalen Beruf nachgingen und ihre ganze Vergangenheit hinter sich lassen könnten.

So in den Gedanken an eine bessere Zukunft versunken, bemerkte er die eintreffenden Männer erst nicht. Erst als die Stimmen auf dem Platz lauter wurden, wurde er wieder aufmerksamer und rutschte sogleich tiefer ins Dickicht.

Genzo! Und Colin mit einem guten Dutzend an Männern. Was wollten sie hier?

Von den Gesprächen konnte er nichts verstehen, dazu war er zu weit entfernt, aber Genzo schien auch nicht gekommen zu sein, um zu reden.

Mit aufgerissenen Augen musste Finn mit ansehen, wie der feiste Mann völlig ungerührt seinen Dolch zückte und ihn dem Dorfvorsteher, der den Männern entgegengeeilt war, ohne mit der Wimper zu zucken in den Bauch rammte. Sofort brach ein riesiger Tumult los. Colins Männer schwärmten aus und machten mit den Dorfbewohnern kurzen Prozess.

Finns Puls überschlug sich fast. Was taten sie denn da?

Die Schreie der Dorfbewohner, hauptsächlich Frauen und Kinder, drangen schmerzhaft zu ihm nach oben und ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. Und ein einziger Gedanke jagte immer wieder durch seinen Kopf: Warum?

Er verstand einfach nicht, was Colin da gerade anrichtete. Das war keine übliche Vorgehensweise von Luca gewesen. Er hatte zwar Exempel statuieren lassen, wenn jemand sich gegen ihn gestellt hatte, aber Finn wusste, dass das Dorf regelmäßig das Schutzgeld bezahlt hatte und Colin eigentlich keinen Grund haben dürfte das Dorf anzugreifen?!

Das ganze endete so schnell wie es begonnen hatte. Innerhalb von Minuten war es so furchtbar still im Dorf, das Finn sich kaum traute zu atmen. Colin hatte die ganze Zeit selbstzufrieden auf seinem Pferd gesessen und das Spektakel betrachtet. Nun wendete er das Tier und führte seine Männer zurück, als wäre nichts geschehen.

Fassungslos starrte Finn auf die Szenerie und erst jetzt bemerkte er wie ihm Tränen über die Wangen liefen. Als Colin und sein Trupp außer Sichtweite waren, konnte er sich nicht zurückhalten und stolperte den Hügel hinunter auf das Dorf zu. Es war so unglaublich still und überall lagen die Menschen in ihrem Blut. Verzweifelt taumelte er über den Platz und hoffte inständig irgendwo noch ein Lebenszeichen zu entdecken.

Da! Einer der blutverschmierten Körper bewegte sich. Sofort stürzte Finn darauf zu und drehte die Person vorsichtig auf den Rücken. Die vor Schreck geweiteten Augen des jungen Mädchens starrten ihn an. Ihre Lippen zitterten und Finn war sich nicht sicher, ob sie versuchte ihm etwas zu sagen. Sein Blick glitt an ihr herunter. Ihr einfaches Kleid war stellenweise zerfetzt und blutdurchtränkt. Sie mochte kaum älter sein als er. Erst versuchte er mit seinen bloßen Händen ihre Wunden abzudrücken, aber sie war zu schwer verletzt und verlor so viel Blut. Finn hatte das Gefühl, sein Verstand würde aussetzen. Er konnte nichts sagen, nichts tun. Also hielt er das Mädchen einfach nur im Arm. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange, während sie ihn mit ihren großen braunen Augen anstarrte.

„Es tut mir so leid …“, flüsterte er. Und dann spürte er wie ihr Körper plötzlich schwer wurde, ihre Augen zufielen und ihr letzter Atemzug ihre Lungen verließ. Sie war tot …

So wie wahrscheinlich alle Menschen, die sich im Dorf aufgehalten hatten, als Colin mit seinen Männern hier eingefallen war.

Sanft legte er die junge Frau auf der Erde ab.

Er konnte hier nichts mehr tun. Er musste zurück zu Lauri. Vielleicht wusste er mehr, als er Finn verraten hatte? Benommen stolperte er immer wieder über seine eigenen Füße und im Grunde wusste er selbst nicht, wie er den Weg zurück gefunden hatte. Aber irgendwann tauchte endlich der Fluss vor ihm auf, dann schließlich der Steg und die kleine Hütte.

Lauri

Lauri hatte gerade das Feuer im Kamin entfacht, als er Finns Schritte draußen hörte.

„Du bist du ja endlich!“ freudig drehte er sich zur Tür um, aber binnen Sekunden erstarrte das Lächeln auf seinen Lippen.

Finn sah furchtbar aus. Er war kreidebleich und Tränenspuren zogen sich über seine staubigen Wangen. Aber am schlimmsten war das Blut. Es war überall. An Finns Händen, auf seiner Kleidung, sogar in seinem Gesicht.

Und er sagte nichts. Er stand im Türrahmen und sah Lauri nur mit diesem unsagbar traurigen Blick an.

Nach endlos scheinenden Sekunden fand Lauri die Sprache wieder. Er stürzte auf seinen Freund zu und packte Finn an den Schultern aus Angst, der junge Mann könne im nächsten Moment zusammenbrechen.

„Finn! Was ist passiert? Bist du verletzt?“

Tausende furchtbare Gedanken jagten durch seinen Kopf und die Ängste der letzten Wochen kochten sekundenschnell wieder hoch.

„Finn! Rede mit mir! Was ist passiert?“

Finn wirkte seltsam gefasst, auch wenn seine schmalen Schultern leicht bebten. Seine glasigen Augen schienen eine Weile durch Lauri hindurch zu sehen, bis Finn Lauris Blick fixierte.

Diese seltsame Ruhe machte Lauri fast noch mehr Angst. Sanft wischte er eine einzelne Träne von Finns Wange und fragte erneut, so ruhig wie es ihm zurzeit möglich war: „Bitte sag mir, was passiert ist! Bist du verletzt?“

Finn ließ den Kopf hängen und starrte auf seine blutverschmierten Hände. Er schüttelte den Kopf und Lauri vernahm ein leises: „Nein …“

Finn holte tief Luft, bevor er fast flüsternd weitersprach.

„Das ist nicht mein Blut. Ich habe versucht ihnen zu helfen … Aber … ich konnte nichts tun!“

Lauri hatte Mühe, die wirren Äußerungen seines Freundes zu verstehen. Vorsichtig manövrierte er Finn zum kleinen Tisch in der Stube und setzte ihn dort auf den Hocker.

„Wo warst du denn?“

„Das … das Dorf südlich vom Fluss.“

Was zum Teufel hatte Finn dort zu suchen? Lauri schüttelte kaum merklich den Kopf, um selbigen wieder frei zu bekommen.

„Und was ist passiert?“, fragte er zaghaft.

„Colin war dort … Aber das macht keinen Sinn. Das Dorf hatte keine Schulden bei Luca. Ich weiß das genau. Ich habe die Rechnungen und Bücher überprüft, bevor wir geflohen sind.“

Lauri legte nachdenklich die Stirn in Falten, sagte aber nichts, bis Finn weitersprach.

„Es war auch mit nichts vergleichbar, was Luca und Genzo jemals getan haben.“ Finn schluckte.

„Das war ein Massaker! Colin ließ die Menschen abschlachten wie Tiere!“

Kurz erzählte Finn ihm, was er gesehen hatte.

Eine Weile schwiegen sie.

„Wusstest du davon?“

„Mh?“, überrascht blickte Lauri auf. „Wovon?“

„Dass Colin so außer Kontrolle geraten ist!“

Lauri stand auf und legte Holz nach. Er hatte Dinge beobachtet und einiges aufgeschnappt, aber von solchen Massakern wusste er nichts.

„Nein, davon wusste ich nichts!“

„Aber …?“ Finn kannte ihn einfach schon zu gut.

Er seufzte, als er sich wieder neben Finn nieder ließ.

„Ich hab in der Stadt einige Gerüchte gehört. Ich hörte, dass Colin noch viel mehr Männer um sich scharrt als Luca dies jemals getan hat. Die Truppe bestand ja schon vorher nicht gerade aus den nettesten Zeitgenossen, aber scheinbar hat er sich ein ziemlich mieses Pack angelacht und sie werden immer mehr.“

„Was bezweckt er denn damit? Je größer die Gruppe, desto weniger kann er die Meute unter Kontrolle halten?! Das wusste sogar mein Vater!“

„Vielleicht will er das gar nicht?“ Die Worte waren über seine Lippen gekommen, bevor er darüber nachdenken konnte.

Finn sah ihn verwirrt und zugleich misstrauisch an.

„Was meinst du damit?“

Lauri zögerte und zuckte mit den Schultern. So richtig wusste er es wirklich selbst nicht. Aber irgendetwas war da im Gange.

„Ich weiß es auch nicht! Lass uns darüber jetzt nicht die Köpfe zerbrechen. Bald sind wir ohnehin weg von hier! Wasch dir lieber das ganze Blut ab. Ich mach uns was zu essen.“

Finn blieb noch einen Moment unschlüssig sitzen und betrachtete traurig seine blutverschmierten Hände. Aber als Lauri begann sich um die Vorräte zu kümmern, die er aus der Stadt mitgebracht hatte, setzte er sich doch in Bewegung und wanderte nach draußen, um sich im Fluss von den grausigen Andenken aus dem Dorf zu befreien.

Lauri selbst versuchte ebenso den Kopf frei zu bekommen, während er den Tisch deckte. Finns Anblick eben hatte ihm wirklich das Blut in den Adern gefrieren lassen. Und ein wenig brodelte die Wut darüber in ihm, dass Finn mal wieder nicht auf ihn gehört hatte und zum Dorf gewandert war. Die Erleichterung, dass ihm nichts geschehen war, überwog allerdings und sein Entschluss Wessington Forrest und die ganze Gegend so schnell wie möglich zu verlassen wurde abermals gefestigt.

„LAURI!“

Der entsetzte Schrei seines Freundes ließ ihn reflexartig herumwirbeln und zur Tür stürzen. Tausend Gedanken stürzten über ihn herein. Hatten Genzo und Colin ihr Versteck doch entdeckt? War Finn vielleicht jemand gefolgt?

Sofort verschaffte Lauri sich einen Überblick über das Gelände als er aus der Hütte rannte. Doch Finn war allein … oder?!

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