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NetEscape

Teil 5

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Montag morgen. Obwohl Rip mir ja gesagt hatte, ich sollte gut frühstücken, kriegte ich nicht viel runter ... ja, ich geb's ja zu, ich hatte Angst. Naja, wie das so ist, der Kaffee wurde langsam kalt, ich rauchte eine und blättere so' n bißchen in 'ner alten Zeitung und dann sah ich was, das mir irgendwie bekannt vorkam. Da stand was von 'nem tödlichen Unfall auf 'ner Bundesstraße, der Typ hatte zwei Kinder, 14 und 19. Und auch wenn es da nicht so direkt drinstand ... der Typ war wohl absichtlich gegen einen Baum gefahren. Und dann kriegte ich klar, von wem da die Rede war, das war Janoschs Vater gewesen. Die hätten lieber schreiben sollen, warum der Arsch tot war. Und das es nicht schade um ihn war. War jetzt aber auch egal, Rip hatte gesagt, ich sollte vorher noch in sein Büro kommen, er wollte mir noch erklären, was er machen wollte. Ich war wohl 'n bißchen früh dran, aber die Tür war auf, also ging ich rein und schaute mich um ... naja, ein Büro halt, Schreibtisch, Stühle, Bücher ... Moment, da war doch ... Tatsache, da waren Bücher, auf denen Rip's Name stand, also, außen drauf, die mußten wohl von ihm sein. Wie hieß das ...'Grundlagen der Implantologie bei Jugendlichen nach traumatischen Frakturen' aua, was Frakturen sind, wußte ich, also, das war kein Buch, was man vor 'm Einschlafen lesen sollte. Und das andere ... ' Combining Implantology and Orthodonty in Pediatric Dentistry', was sollte das denn heißen? Ich versuchte den Trick, den ich bei Simons Mails gelernt hatte und las es einfach laut:

»Combining Implan .... Implanta ...«

»Implantogy and Orthodonty in Pediatric Dentistry. Das ist meine Dissertation, auf deutsch heißt sie ' Ansätze der Kombination von Kieferorthopädie und Implantologie', wenn es dich interessiert, kann du sie dir gern ausleihen?«

Ich verzog das Gesicht.

»Danke, aber muß nicht sein. Ich wußte gar nicht, daß du Bücher schreibst?«

Rip setzte sich, machte sich 'ne Kippe an und warf mir die Schachtel rüber.

»Du weißt nicht viel über mich, oder?«

Ich schüttelte den Kopf und er nahm einen Zug und fing an, zu reden.

»Ich bin in Los Angeles geboren worden und ich habe dort auch Zahnmedizin studiert, an der UCLA, jedenfalls die meiste Zeit, später bin ich dann hierher nach Hamburg gezogen und habe in Eppendorf gearbeitet. Um einen Doktortitel zu bekommen, muß man eine Doktorarbeit schreiben und Combining Implantology ist meine Doktorarbeit.«

»Und das andere Buch, das mit den Frakturen?«

»Das habe ich eigentlich als Fachbuch geschrieben und dann ist es noch eine Doktorarbeit geworden.«

»Wow, Rick hat ja schon gesagt, daß du berühmt bist, aber ...«

Rip lachte.

»Also, jetzt mach mal halblang. Meine Patienten sind berühmt, nicht ich. Ich bin ...«

Er grinste.

» ... nur jemand, der Zähne repariert. Was uns zum Thema bringt ...«

Oha, jetzt sah er ziemlich ernst aus.

»David, das wird eine größere Sache. Einige deiner Backenzähne sind in einem katastrophalen Zustand, einige andere werde ich wohl noch retten können. Ich denke, wir machen folgendes ...«

Also, als er fertig war, hatte ich Angst. Und ich hatte noch viel mehr Angst, als Nick mich zu dem Stuhl brachte. Ich setzte mich hin und bekam dieses Papierteil umgehängt und dann kam Rip. Der guckte 'n bißchen überrascht, aber dann zog er sich so 'n Hocker ran und setzte sich neben mich.

»Gut, David, dann wollen wir mal. Ich gebe dir jetzt die Spitze, das piekst ein bißchen, ist aber nicht weiter schlimm. Dann dauert es einen Moment, bis das Mittel wirkt und dann legen wir los, wir haben das ja besprochen.«

Er strich mir über den Kopf und dann kriegte ich Kopfhörer auf, keine schlechte Idee eigentlich, ich machte die Augen zu, hörte Musik und dachte an Amerika - bis zum ersten Einstich, dann war Essig. Die ganze Sache wurd' ziemlich schlimm und ich war froh, daß Nick meine Hand hielt und auch wenn Rip mir immer wieder zulächelte, konnt' ich doch sehen, daß es ihm auch keinen Spaß machte. Es dauerte ewig und als Rip fertig war, war mein T-Shirt naß. Rip nickte mir zu.

»Du hast es geschafft, herzlichen Glückwunsch! Ich weiß, daß du dich jetzt nicht gut fühlst, ruh dich aus und warte mit dem Trinken noch. Und wenn du Schmerzen hast, sag mir bitte Bescheid, dagegen kann man etwas tun.«

Na, weh tat's nicht, aber es fühlte sich nicht gut an, überhaupt nicht gut. Nick half mir beim Aufstehen und das war 'ne gute Idee, meine Beine fühlten sich wie Pudding an.

»Langsam, David! Wir wollen doch nicht, daß du uns hier umfällst. Dad, ich bring ihn rasch auf die Terrasse, ich räume dann später hier auf.«

Rip lächelte.

»Laß dir Zeit, heute vormittag kommen keine Patienten mehr.«

Nick legte meinen Arm um seinen Nacken und brachte mich nach draußen, ich glaub zwar nicht, daß das nötig war, aber es tat gut, auch deshalb, weil's Nick war. Rip's Stühle sind echt bequem und zwischendurch döste ich immer mal wieder weg und wenn ich wieder aufwachte, ging's mir jedesmal mieser als vorher. Irgendwann hatt' ich die Schnauze voll, hinter mir rümpelte wohl wer die Küche aus und es roch nach Essen und ich ging weiter in den Garten und suchte mir 'ne ruhige Ecke. Mann, war das 'n Scheiß! In meinem Kopf dröhnte alles, nee, nicht wie bei Kopfschmerzen, eher so, als wenn da alles hohl wär'. Und das alles, nur weil der verfluchte Bastard mir die Zähne ausgeschlagen hatte. Okay, nicht ganz, wenn ich früher ab und zu mal zum Zahnarzt gegangen wär', dann würd' ich hier nicht sitzen. Ach, scheiße, warum mußte mir immer sowas passieren? Warum hatten andere Kids 'n ganz normales Leben und ich fiel von einer Scheiße in die nächste? Ich tat mir selbst leid und das war keine gute Idee ... hatte Rip nicht was von Medizin gesagt? Es tat zwar nicht richtig weh, aber wenn er was hatte, damit ich den ganzen Mist mal 'n paar Stunden vergessen konnte ... er war im Büro.

»Hi, Rip. Hast du was gegen Schmerzen?«

Er schaute mich lange an und ich dacht' schon, er hätte was gemerkt, aber dann nickte er und griff hinter sich.

»Ja, sicher. Hier, du kannst es im Bad nehmen und dann leg dich bitte umgehend hin, das Medikament wirkt recht schnell und zuverlässig.«

Er gab mir ... ein Zäpfchen?!

»David, das ist immer noch eine sehr schonende Form, belastet den Magen nicht und ist auch sonst gut verträglich.«

Ich nickte und ging ins Bad, verdammt, Zäpfchen sind was für Babys! Egal, auch wenn's nur ein bißchen half, war's okay. Ich nahm das Ding, also, ich nahm es nicht, sondern schob es rein und dann setzte ich mich wieder auf den Liegestuhl auf der Terrasse, wegen so 'ner Babymedizin mußte ich mich echt nicht hinlegen. Himmel, was hätte ich für 'ne Kippe gegeben, aber Rip hatte klar gesagt, daß ich da heute nicht mal dran denken sollte. Oh Mann, jedes Geräusch hallte in meinem Schädel, das wurde ja immer schlimmer, das hallte ja wirklich endlos ...

»Guten Morgen, David! Na, wie geht's dir?«

»Was? Wie? Oh. Morgen, Nick. Wieso ... warum ...«

Nick lachte.

»Dad hat dir doch etwas gegen die Schmerzen gegeben und dir gesagt, du sollst dich hinlegen. Er war etwas überrascht, dich auf der Terrasse zu finden.«

»Ja ... stimmt. Bin ich eingeschlafen?«

»Kann man so sagen, ein Felsblock war lebendiger als du. Luke hat sich bereit erklärt, nochmal auf der Couch zu schlafen und Dad hat dich dann ins Bett gebracht. Es sah wirklich niedlich aus, wie er dich hoch getragen hat und wie du ...«

»Schon gut, laß stecken ...«

Ich mußte unbedingt was gegen rote Ohren machen.

» ... Mann, hab ich einen Durst!«

Ich krabbelte aus dem Bett und ging ins Bad und hängte mich an den Wasserhahn ... und nach dem ersten Schluck trank ich dann ganz vorsichtig. Zum Frühstück gab's Brei, aber immerhin Kaffee und nach der Kippe hätt' ich wieder Bäume ausreißen können ... naja, vielleicht erstmal 'ne Blume oder zwei, aber es war echt viel besser als gestern.

»Morgen, David, na, wie geht's meinem Patienten?«

»Hi Rip, danke, viel besser! Und ... danke, daß du mich ... ins Bett gebracht hast.«

Er lächelte.

»Gern geschehen, es hat mich an die alten Zeiten erinnert, als ich die Jungs ins Bett gebracht habe...«

Er kriegte für 'n Moment diesen Blick ... ich glaub, er war ganz weit weg in seinen Erinnerungen. Dann holte er tief Luft.

» ... es war schon eine schöne Zeit. Ach ja, kommst du gleich noch mal in die Praxis, ich ...«

Er kriegte wohl mit, daß mir das gar nicht gefiel.

» ... hey, keine Panik, ich möchte nur kurz nachschauen, ob alles in Ordnung ist.«

Tat er dann auch und er war zufrieden ... und ich erst! Tja, jetzt mußte ich nur noch warten, Rip hatte mir das erklärt, erstmal mußte das alles heilen und das dauert viel länger, als ich gedacht hatte und dann kriegte ich so 'n Teil zum Einsetzen und da sollten dann alle meine neuen Zähne dran sein und das war's dann ... aber das würde noch dauern und bis dahin hatte ich sozusagen Ferien in Hamburg. Und ich fing sie damit an, mich vor Nicks Rechner zu setzen, ich mußte unbedingt Mails schreiben. Erstmal an Simon, ich wußt' nicht so genau, wieviel er über die Gruppe wußte, deshalb ließ ich das weg und dann an Julian und das war schon schwieriger. Ich konnt' ihm ja schlecht erzählen, daß ich in 'ner riesigen Villa war, zusammen mit einem Filmstar, Julian hätte mich für bescheuert gehalten. Ich wollte ihn aber auch nicht anlügen, also schrieb ich so 'n bißchen drumrum, Hauptsache, er wußte, daß es mir gut ging. Als ich die Mails weggeschickt hatte, saß ich noch was vor dem Rechner ... ich hätte gern an Benni geschrieben, aber das ging wohl nicht ... naja, ehrlich gesagt hab' ich 'ne Mail an ihn geschrieben und ich hab ihm alles aufgeschrieben, was so passiert war und es tat ziemlich weh, als ich die Mail gelöscht hab. Egal, jedenfalls rief Nick mich dann zum Mittagessen und da waren wir dann wieder alle zusammen, es war fast schon ein bißchen eng. Wie immer lief das Radio, ich hatte inzwischen auch schon mitgekriegt, daß es morgens noch vor der Kaffeemaschine angemacht wurde und dann einfach an blieb. Janosch grinste mich an.

»Hi David, geht's wieder besser?«

»Hallo, Leute, ja, ist wieder alles klar. Äh, Luke, danke ... daß du auf dem Sofa geschlafen hast.«

Er grinste.

»Kein Problem, abgesehen davon hat Janosch erzählt, daß du ...«

Janosch ging dazwischen.

»Hey! Du hast mir versprochen, daß du es nicht weitererzählst!«

Was ging denn hier ab?

»Was nicht weitererzählen?«

Janosch guckte ziemlich verlegen.

»Naja, das du ein bißchen schnarchst!«

Jason und Rip sahen so aus, als würden sie gleich vor lachen platzen und Richie wußte auch nicht so genau, wo sie sich hintun sollte und ich versuchte, ganz ernst zu gucken.

»Tja, das war bei meinem Opa auch so und das wurde immer schlimmer und als er im Krieg war, da war er auf so 'nem großen Schiff und da hat er so laut geschnarcht, daß das Schiff untergegangen ist und dann haben ihm die Amis einen Orden verliehen ...«

Genau in dem Moment konnte Rip sich nicht mehr halten und platze los und dann war's einfach zu spät und wir lachten alle. Bis ich wie ein Blöder zusammenzuckte, weil da irgendwas an meinem Bein war - Rinty!

»Hey, mein Kleiner, was machst du denn hier?«

Rip guckte nicht gerade glücklich.

»Ich würde es eigentlich vorziehen, wenn wir ohne Hund essen würden.«

Er hatte aber nicht mit Janosch gerechnet.

»Aber wo soll er denn hin, schließlich hat er ja keine eigene Küche!«

»Die braucht er nun auch nicht unbedingt!«

»Ja, aber irgendwas, wo er sich auch mal hinsetzen kann? Du hast das ganze Haus und Rinty hat gar nichts.«

Hm, Janosch hatte schon ein ziemliches Gefühl für Gerechtigkeit, aber Rip wußte nicht so genau, was er denn jetzt machen sollte.

»Da ist was dran, aber ich kann ihm ja schlecht die halbe Küche abgeben.«

»Nein, aber ich könne ihm eine Hundehütte bauen!«

Luke gefiel die Idee.

»Rip, ich finde die Idee nicht schlecht - das sind zwei Fliegen mit einer Klappe. Du hast einen Platz für Rinty, und bei der Wohnung kann Janosch momentan eh' nicht helfen. Sein Zimmer ist ausgeräumt, den Rest müssen Mum und ich machen.«

Also, im ersten Moment dacht' ich, daß Rip Nein sagen würde und ich glaub, eigentlich wollt' er das auch, aber dann:

»Okay, warum nicht. Überleg' dir, was Du brauchst, und einer der Jungs fährt dann mit Dir zum Baumarkt, und morgen kannst Du loslegen.«

Janosch guckte ein bißchen durcheinander von einem zum anderen und alle lächelten ihn an, verdammt, was ging denn hier ab, warum ließen sie ihn denn so auflaufen? 'n Blinder mit 'nem Krückstock konnte sehen, daß er keine Ahnung hatte, wie man sowas baut und eigentlich gedacht hatte, daß alle mitmachen würden ... als Rip kurz zu mir rüberschaute, kapierte ich es, hm, okay, immerhin schuldete ich Rip so einiges und das war 'ne gute Gelegenheit, mal was für ihn zu tun und ich wollte Janosch auch nicht im Regen stehenlassen.

»Ist 'ne gute Idee, hast du was dagegen, wenn ich 'n bißchen mitmache?«

Janosch strahlte mich an.

»Toll! Das wird bestimmt eine super Hütte!«

Tja, vielleicht, aber ich hatte auch nur in der Schule mal 'ne Laubsäge in der Hand gehabt ... oh Mann, vielleicht sollten wir erstmal mit wem reden, der da Ahnung von hatte.

Den gab es auch, und zwar im Baumarkt. Luke hatte uns mit dem Van hingefahren und wir standen grade ziemlich ahnungslos vor den ganzen Holzbrettern, als so ein älterer Typ ankam.

»Kann ich euch helfen?«

»Äh, ja, das wäre ganz toll, wir wollen nämlich 'ne Hundehütte bauen und wir haben sowas noch nie gemacht und wir wissen nicht so genau, was wir da alles brauchen.«

Der Typ grinste.

»Na, so schwer ist das nicht, was habt ihr denn für einen Hund?«

Wir sagten es ihm und dann ging's los. Der Typ konnte echt erklären, er malte uns sogar auf, wie man sowas macht, hm, so schwer sah das wirklich nicht aus, wir mußten eigentlich nur so 'ne Art Rahmen bauen und dann die Bretter draufmachen und dann noch Dachpappe drüber. Wir sagten Danke und nach 'ner guten halben Stunde standen wir an der Kasse, mit einem von diesen riesigen Einkaufskarren. Luke bezahlte und wir fuhren das ganze Zeug nach Hause und dann mußten wir erstmal Pinsel suchen, wir hatten das ganze Holz in den Garten gebracht, denn wir mußten es ja mit so 'nem Zeug anstreichen, damit es nicht vergammelte. Naja, das mit dem Streichen war nicht schwer, aber nach 'ner Minute oder so war Rinty weg und das konnt' ich gut verstehen, das Zeug stank wie Sau. Hinterher mußten wir erstmal duschen und uns umziehen, aber immerhin, wir hatten alles, was wir für Rintys Hütte brauchten und wir hatten auch schon angefangen und das war ein gutes Gefühl.

Beim Abendessen hatte ich so richtig Hunger, aber es gab natürlich nur diese Matsche und ich maulte 'n bißchen rum, aber da konnten die anderen ja nichts für. Irgendwie war's grade mal ruhig, sonst hätten wir das gar nicht mitgekriegt, jedenfalls hatte die Frau vom Radio wohl 'n paar Probleme, auf die Reihe zu kriegen, was sie denn jetzt sagen wollte und dann kam's:

»Und hier ... nein ... oder ... Entschuldigung, hier eine aktuelle Suchmeldung der Polizei: Vermißt wird der 15-Jährige David Ellert aus Bochum. David ist einen Meter 74 groß, wiegt 59 Kilo, hat lange blonde Haare und braune Augen. Ihm fehlen zwei Vorderzähne ... wer David gesehen hat, wende sich bitte an die Polizei in Bochum oder jede andere Polizeidienststelle.»

Alle guckten mich an ...

»Hey, keine Panik, ich hab mir die Haare gefärbt und wenn ich nicht rede, merkt das mit den Zähnen keiner!«

Rip lächelte, aber nur ein bißchen.

»Vielleicht solltest du doch gelegentlich mal in den Spiegel schauen, du bist eindeutig blond, die Farbe ist schon wieder raus. Es wundert mich allerdings, daß deine Suchmeldung hier in Hamburg läuft, da scheint sich jemand sehr zu engagieren und ich frage mich gerade, wer das ist. Bleib in den nächsten Tagen besser auf dem Grundstück, ich werde mir etwas einfallen lassen.«

Das Telefon schellte und Rip ging hin, als er wiederkam, hatte er auch gleich Neuigkeiten.

»Das war Roland, ein guter Freund, der auch zur Gruppe gehört. Er hat mich auch noch mal gebeten, Dir auszurichten, auf keinen Fall das Grundstück zu verlassen. Die Gartenzäune sind hoch genug, im Garten brauchst Du Dir also keine Sorgen zu machen. Roland kümmert sich darum.«

Da hatte er wohl recht, es wär' ziemlich schlimm gewesen, wenn die Bullen mich bei Rip gefunden hätten. Aber es war schon was besonderes, seinen Namen im Radio zu hören, irgendwie war ich jetzt ja wohl auch berühmt.

Nachts wachte ich auf, und ich hatte 'n ziemlichen Durst, mußte wohl an dem Zeug liegen, mit dem wir das Holz angestrichen hatten, egal, jedenfalls war ich viel zu müde, um aufzustehen, aber mein Mund war wirklich trocken und dann stand ich doch auf. Die kleine Lampe am Sofa war ziemlich hell und wenn ich das große Licht anmachte, dann würd' ich richtig wach werden und das wollte ich nicht, also ging ich so in die Küche. Rip hatte immer Sprudel im Kühlschrank ... oh Mann, tat das gut, natürlich kippte ich das Zeug viel zu schnell runter und hinterher rülpste ich leise vor mich hin. So, jetzt noch die Flasche wieder in den Kühlschrank und dann ab ins Bett ... und dann hörte ich irgendwas und drehte mich um und da stand Bennis Vater. Ich merkte, wie mir irgendwas Warmes die Beine runterlief und dann kam er auf mich zu und ich schmiß mich in die Ecke und machte mich ganz klein und wartete auf den Schmerz. Ich weiß nicht, wie lange ich da lag, aber der Schmerz kam nicht und das nächste, was ich weiß, ist, daß ich hochgehoben wurde und dann saß ich auf dem Schoß von Mama, so wie früher, als ich noch klein war und dann wurde aus Mamas Stimme eine andere und dann kriegte ich mit, daß ich auf Rips Schoß saß und er hielt mich ganz fest und guckte mich ziemlich erschrocken an.

»David, ich bin's nur. Ganz ruhig, mein Kleiner, alles in Ordnung.«

Ich glaub ich war noch nie so froh, Rips Gesichts zu sehen und es tat so gut, daß er da war und er hielt mich die ganze Zeit fest, bis ich aufgehört hatte, zu weinen. War ziemlich schlimm, aber ich zuckte nochmal zusammen, als ich klarkriegte, warum das an meinen Beinen so feucht war.

»Oh Gott, Rip, ich glaub, ich hab ... ich hab mir ...«

»Hey, kein Problem, das passiert, wenn jemand einen gewaltigen Schrecken bekommt. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn du noch eben unter die Dusche springst, okay?«

Das war mehr als nur gut, ich krallte mir frische Sachen und schlich mich unter die Dusche, Himmel, was mir das peinlich. Als ich wiederkam, hatte Rip den Fußboden in der Küche gewischt und Rinty stand im Wohnzimmer.

»Ich hab Rinty gesagt, daß er heute Nacht auf dich aufpassen soll.«

Das war eine wirklich gute Idee und ich legte mich auf die Couch.

»Danke ... Rip?«

»Ja?«

»Tut mir leid, ich hab ... ich weiß ...«

Er setzte sich zu mir.

»David, da ist nichts, was die leid tun müßte! Du hast gedacht, du wärst wieder bei deinen Eltern, oder?«

»Nicht ganz, ich hab Bennis Vater gesehen.«

Rip nickte.

»David, was passiert ist, ist ganz allein seine Schuld, nicht deine. Und mir tut es leid, daß ich so überraschend aufgetaucht bin, ich hatte zufällig gesehen, daß bei dir noch Licht brennt und ich wollte nur schauen, ob du in Ordnung bist. So, und jetzt versuch, zu schlafen, ihr habt morgen einen anstrengenden Tag vor euch.«

Er deckte mich noch zu und ging dann und dann hörte ich nur noch Rinty ...

Am nächsten Morgen gab's dann so 'n Weißbrot ohne Kruste für mich und das war schon ziemlich gut, so langsam hing mir der Brei wirklich zum Hals raus, keine Ahnung, wie manche Leute das machen, von so'm Zeug zu leben. Ich hatte gerade die erste Tasse Kaffee auf und redete mit Nick, als Janosch runterkam.

»Hi, Janosch, alles klar?«

Er lächelte.

»Ja, sicher, ich hab sogar von Rinty geträumt.«

Er schaufelte sich sein Frühstück rein und sowas ist ansteckend, Nick krallte sich noch 'n Brot und ich nahm auch noch eins und wir grinsten uns an. Ich glaub', für 'n Moment war ich im Himmel, ich mein, okay, wir waren drei Jungs aus drei Familien, aber ich hätt' viel dafür gegeben, wenn wir eine Familie gewesen wären, Janosch hatte sowieso 'n bißchen Ähnlichkeit mit Benni und 'n großen Bruder wie Nick, da konnt' ich nur von träumen. Also, wenn das in Amerika nur halb so toll wär, wie hier, dann wär ich echt glücklich.

Aber trotzdem gab's da noch 'n Haufen Holz, der 'ne Hundehütte werden sollte. Ich zog nochmal die Sachen von gestern an und dann ging's los ... und wie das losging! Weil der Typ vom Baumarkt uns genau erklärt hatte, was wir machen mußten, war's eigentlich ganz einfach. Ich sägte das Holz und Janosch bohrte die Löcher und dann mußten wir den Rahmen eigentlich nur noch zusammenschrauben ... na gut, das mit dem Dach war ein bißchen schwierig und vielleicht paßte nicht alles so auf den Millimeter genau, aber es funktionierte und als wir zum Mittagessen gingen, stand da ein Holzrahmen, der ziemlich stabil war und schon verdammte Ähnlichkeit mit einer Hundehütte hatte. Natürlich mußten alle nach dem Essen mit raus, naja, ich glaub, die waren erstaunt, daß wir überhaupt was hingekriegt hatten und Janosch und ich waren schon ziemlich stolz auf den Rahmen. Jetzt mußten wir eigentlich nur das Holz für die Wände und das Dach sägen und festmachen und dann noch die Dachpappe ... sollte kein Problem sein. Es dauerte was, aber dann hatten wir die Wände fertig und wir waren auch ganz schön fertig.

»Pause! Was hältst du von irgendwas zu trinken?«

»Ich hol was, ich wollt' mir sowieso die Hände waschen.«

Bah, irgendwie klebte alles und dazu noch Sägemehl, ich war froh, als ich mich 'n bißchen waschen konnte, so, noch zwei Flaschen Wasser aus der Küche und auf ging's.

»Hier, frisch aus dem Kühlschrank!«

»Danke. Hast du noch eine Zigarette?«

»Klar, Rip hat mir gestern noch welche gegeben.«

Ich zog mein T-Shirt aus und kippte mir ein bißchen Wasser über den Kopf, das hatte ich mal im Fernsehen gesehen ... tat das gut! Irgendwie hatte Janosch das wohl auch mitgekriegt, jedenfalls machte er das auch ... und er schüttelte sich genauso wie ich, als ihm das kalte Wasser den Rücken runterlief. Ja, so hätte von mir aus jeder Tag sein können, wir grinsten uns an und legten uns in die Sonne, 'n bißchen Pause konnt' ja nun wirklich nicht schaden.

»David?«

»Mhm.«

»Denkst du noch manchmal an deine Familie?«

Ich dachte 'n Moment nach.

»An Benni, ja. Und manchmal auch an seinen Vater und meine Mutter. Ich will das gar nicht, aber manchmal sind sie einfach in meinem Kopf.«

»Ja ... bei mir auch. Eben beim Mittagessen hab ich nur auf Richies Zigaretten geguckt und schon war ich wieder bei Dad. Ich kriege ihn einfach nicht aus dem Kopf, er kommt immer wieder ... David, manchmal hab ich Angst, verrückt zu werden.«

Ich hatt' ja eigentlich nicht vor, irgendwem zu erzählen, was mir heut Nacht passiert war, aber Janosch war eben nicht Irgendwer und ich glaub', er hatte wirklich Angst davor, durchzudrehen. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, mit allen Einzelheiten.

» ...ich weiß nich', ob du verrückt wirst, aber wenn, dann sind wir beide bescheuert.«

Und dann passierte was wirklich schönes. Rinty kam und stupste Janosch mit der Schnauze an und Janosch fing wieder an, zu lächeln und streichelte Rinty. Also, wenn ich in Amerika war, dann würde ich mir auch einen Hund kaufen.

»Hey, der will, daß wir weitermachen, ich glaub, Rinty will heute noch einziehen!«

Das sah aber wirklich so aus und ich mußte auch lachen und dann machten wir weiter, bis Rip und noch wer kamen. Janosch kannte den anderen Typen wohl und ging gleich rüber.

»Hallo Roland!«

»Hallo Janosch, ich habe schon gehört, daß ihr hier ein größeres Bauprojekt in Angriff genommen habt, das sieht ja wirklich gut aus! Ich nehme an, du bist David?«

»Ja, bin ich.«

»Hallo, ich bin Roland Westermann. Es ist bestimmt ein schlechter Zeitpunkt, jetzt, wo ihr doch bald Richtfest feiert, aber Rip und ich würden gern mal mit dir sprechen.«

Ich guckte zu Janosch und der nickte, ich hatte seinen Namen auch schon mal gehört.

»Ja, sicher ... Moment, ich zieh eben mein T-Shirt an.«

Rip winkte ab.

»Laß mal ruhig, es wäre sowieso gut, wenn du eben duschen gehst und dir was anderes anziehst, wir treffen uns dann bei mir im Büro.«

Das hörte sich ja komisch an, aber ich war natürlich neugierig und beeilte mich mit dem duschen ... so, mit den guten Sachen kam ich mir zwar immer noch irgendwie komisch vor, aber was soll's, auf ins Büro.

»Ah, David, nimmst du auch einen Kaffee?«

»Klar ... danke.«

»Roland gehört zur Gruppe, du erinnerst dich vielleicht an seinen Namen, er hat mich damals mit ins Boot geholt. Er ist Rechtsanwalt und wir haben häufiger telefoniert und er möchte dir einen Vorschlag machen. Gut, Roland, jetzt bist du dran.«

»David, ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, wie es mit dir weitergehen soll. Wir von der Gruppe haben uns da auch schon ein paar Gedanken gemacht, das sind aber nur Ideen, wenn dir etwas nicht gefällt, dann sag es einfach.«

Ich war ganz Ohr.

»Also, es wird ja noch etwas dauern, bis du deine neuen Zähne hast, bis dahin bleibst du am besten hier. Anschließend würden wir dich gern für ein paar Wochen nach England bringen, damit du die Sprache besser lernst, denn in den Staaten spricht kaum jemand deutsch und du wirst sowieso Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung haben, da wäre es nicht gut, wenn du auch noch große Probleme mit der Sprache hättest.«

Rip unterbrach ihn.

»Wir haben da an eine Familie gedacht, die ich auch persönlich sehr gut kenne, Tom spricht etwas deutsch, so daß er dir helfen kann, wenn du nicht mehr weiter weißt. Alle anderen sprechen nur englisch, du kannst also gar nicht anders, als englisch zu lernen. Du kannst übrigens auch mal mit Nick sprechen, er kennt die Familie am besten.«

Er nickt Roland zu und der machte weiter.

»Anschließend möchte Simon dich unbedingt kennenlernen ... «

Er grinste.

» ... Colin kann sich schon gar nicht mehr retten vor Mails und Anrufen, wann du denn nun endlich kommst. Tja, und dann gibt es da eine Familie, die dich gern aufnehmen würde, hier, damit du wenigstens weißt, wo du hingehst.«

Roland gab mir ein Blatt Papier mit einem Foto drauf ... Drei Leute, der Mann sah aus, wie 'n Bauarbeiter oder Holzfäller oder sowas und man konnte irgendwie sehen, daß er gern lachte. Die Frau sah 'n bißchen aus, wie Julians Mutter und ich konnt' mir irgendwie so richtig vorstellen, daß sie auch im Haus sagte, wo's langging. In der Mitte, zwischen den beiden stand ein Junge, vielleicht 'n bißchen jünger als ich, vielleicht aber auch nicht. Sie lächelten alle, aber der Junge strahlte so richtig und er hatte seine Arme ausgebreitet.

»Du kannst es gern behalten, sie haben es für dich gemacht.«

»Was? Extra für mich?«

»Ja, was meinst du denn, warum der Junge seine Arme so hält? Er will nicht den nächsten Baumstamm umarmen, er will sagen: Herzlich willkommen!«

Ich wollte eigentlich wahnsinnig viel fragen, aber je länger ich auf das Bild guckte, umso weniger war das wichtig. Aber eins mußte ich fragen.

»Wissen die Leute was mit mir ist? Und ... «

Oh Mann, ich wünschte, ich hätte das früher gesagt, aber ich mußte das jetzt einfach klarmachen.

» ... ich muß noch was sagen. Ich ... ich bin schwul!«

Roland lächelte.

»Ja. Es wird dir vielleicht nicht gefallen, aber die Familie weiß genauso viel über dich, wie wir und Rick meinte, daß du wahrscheinlich auf Jungs stehst. Die Familie weiß das, es wäre nicht gut, Geheimnisse zu haben, entweder sie nehmen dich, so wie du bist, oder sie verdienen dich nicht.«

Naja, die Frage war ja wohl, ob ich sie verdiente ... aber da war noch was.

»Wie heißen sie denn eigentlich?«

»Tut mir leid, aber das kann ich dir nicht sagen. Es könnte immer noch sein, daß du abspringst und dann wäre es schlecht, wenn du die Namen kennen würdest, sie wissen übrigens auch nicht, wie du heißt. Ich kann dir nur sagen, daß sie in Michigan wohnen und das die Gruppe solche Familien sehr sorgfältig aussucht.«

Roland trank einen Schluck Kaffee und Rip übernahm.

»Kannst du dir vorstellen, das wir das so machen, ich meine, die Zwischenstation in England, dann Simon und dann die neue Familie?«

»Ja ... klar.«

»Gut, dann such dir mal einen neuen Nachnamen aus.«

»Was?«

Rip grinste.

»Tja, wir werden dir ja wohl neue Papiere besorgen müssen und die können schlecht auf deinen richtigen Namen lauten. Übrigens kannst du auch einen neuen Vornamen bekommen, wenn du möchtest.«

»Nee, laß mal, ich heiß gern David.«

Roland stellte seine Tasse weg und griff sich noch ein Blatt Papier.

»Gut, dann bleiben wir bei David. Wir haben uns eine Geschichte für dich ausgedacht, man nennt so etwas Legende. Also: Dein Vater war Soldat der US-Streitkräfte in Deutschland, er starb bei einem tragischen Autounfall, als du zwei Jahre alt warst, du kanntest ihn also kaum. Das heißt, du hast einen amerikanischen Paß, aber du sprichst natürlich nicht viel englisch, weil du bei deiner deutschen Mutter aufgewachsen bist. Sie hat ein paar Jahre mit einem anderen Mann zusammengelebt, dann aber herausgefunden, dass er dich misshandelt hat und sich dann von ihm getrennt. Deine Mutter ist nun kürzlich auch verstorben, ich schlage eine Krankheit vor und ...«

Schon irre, wie Roland mal eben meine Verwandtschaft niedermetzelte.

» ... deshalb gehst du jetzt zu deinen Verwandten in die Staaten, da lassen wir uns noch was einfallen, deine neue Familie wird entfernt mit deinem Vater verwandt sein. In Deutschland kannst du nicht bleiben, weil alle anderen Verwandten ...«

»... von einem wahnsinnigen Killer abgeschlachtet wurden, schon klar.«

Rip prustete los und Roland kriegte wohl auch mit, daß er aus meiner Familie 'n Schlachtfeld gemacht hatte und er lachte auch mit.

»Okay, ich verstehe, was du meinst, aber das können wir leicht lösen. Sagen wir einfach, deine Mutter war ein Einzelkind und ihre Eltern wollen oder können dich nicht aufnehmen, dann hast du immerhin noch Großeltern. Gut, wir besorgen dir also einen Paß, der dich zu einem Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika macht - lern schon mal die Nationalhymne auswendig - und wir sorgen dafür, daß dein Name in den Computern auftaucht, und zwar an den richtigen Stellen. Aber ...«

Er lehnte sich vor und schaute mich ernst an.

» ... und das vergiß bitte niemals: Kein Ärger mit dem Gesetz. Kleinigkeiten spielen keine Rolle, aber wenn du einen wirklich großen Prozeß am Hals hast, dann haben wir ein Problem. Aber das hoffen wir mal nicht. Gut, dann laß uns mal die Photos für den Paß machen.«

Das ging ziemlich schnell, war klar, daß Roland das nicht zum ersten Mal machte.

»Gut, tut mir leid, daß ich ein bißchen auf die Tube drücken muß, aber Markus fliegt morgen sehr früh nach Reykjavik und wir müssen sein Gepäck noch zum Flughafen bringen. Trotzdem brauche ich noch deinen neuen Nachnamen, am besten einen amerikanischen.«

Keine Ahnung, wer Markus sein sollte, aber das war jetzt auch egal. Tja, wie wollte ich denn heißen? Puh, gar nicht so einfach.

»Sag mal, der Name steht doch erstmal nur im Ausweis, oder? Und in Amerika ... wär das ja ... Rip?«

Er nickte.

»Rip, ich kann mir jetzt einen neuen Namen aussuchen ... und so 'n bißchen ja auch 'ne Familie. Ich weiß nicht, wer mein Vater ist, aber wenn ich mir einen aussuchen könnte, dann wär er, glaube ich, ungefähr so wie du. Rip, wenn ich nach Amerika komme, dann möchte ich, daß in meinem Ausweis David Masters steht ... wenn du einverstanden bist.«

Ich hatte Rip noch nie so richtig platt gesehen, aber jetzt fiel ihm echt die Kinnlade runter. Ich dacht' schon, es wär' keine so tolle Idee gewesen, aber dann kriegte ich mit, daß seine Augen ein bißchen glänzten, so ähnlich, als ob sie naß wären. Er schluckte.

»David ... das freut mich sehr. Ich bin sehr stolz, daß du meinen Namen möchtest ... und ich beneide die Familie, die dich als Sohn bekommt. Du hast schon recht, es ist eigentlich nur ein Name in deinem Paß, aber trotzdem ... willkommen im Masters-Clan! Na, komm her!«

War fast 'n bißchen so, als ob ich meinen Vater umarmen würde. Irgendwann stand Roland auf.

»Ich arbeite ja gerne für die Gruppe, aber solche Momente sind einfach unersetzlich. In deinem Paß wird David Masters stehen und ich freue mich darauf, ihn dir zu bringen. Es wird aber noch etwas dauern, also nicht ungeduldig werden. So, jetzt muß ich aber wirklich los, paßt auf euch auf und ... ach so, David, Rip hat mir von der Suchmeldung im Radio erzählt, ich werde mich mal vorsichtig umhören, wer da so interessiert ist, dich zu finden. Paßt auf euch auf!«

Und weg war er.

»Ja, ich glaub' ich geh besser und helfe Janosch mit der Hütte, sonst macht er noch 'n Bergwerk draus.«

Rip lachte.

»Du bist nicht mehr im Ruhrgebiet, hier baut er höchstens ein Schiff. Aber ihr habt das gut hingekriegt, wenn ihr fertig seid, müssen wir dann noch Einweihung feiern!«

Also, das fand ich wirklich eine gute Idee und ich ging mich umziehen und dann mal schauen, ob Janosch schon fertig war - war er nicht.

»Hey, ich hatt' ja gedacht, ich müßte nur noch das Werkzeug wegräumen! Was hat dich aufgehalten?«

Janosch grinste.

»Ich wollte dir die Arbeit ja nicht wegnehmen und dann mußte ich noch ein Eis essen und das hat auch ein bißchen gedauert.«

War wohl nur fair, ich mein, daß er ein Eis gegessen hatte, immerhin hatte ich in der Zwischenzeit Kaffee und eine neue Familie und einen neuen Nachnamen gekriegt.

»Okay, dann laß uns mal weitermachen, Rip hat gesagt, das es eine kleine Feier gibt, wenn wir fertig sind.«

Die gab's dann auch und es wurd' noch so richtig schön. Rip hatte `ne Flasche Sekt geholt und die Hundehütte kriegte auch was ab - und Janosch und ich waren ziemlich stolz, denn die Hütte sah richtig super aus und ich hätte nie gedacht, daß wir das so gut hinkriegen würden. Rinty war zwar noch nicht ganz so begeistert von der Hütte, aber er würde sie schon mögen. Später kriegte ich dann zum ersten Mal seit ein paar Wochen einen Anruf, Roland war dran.

»'n Abend, David, sag mal, kennst du jemanden namens Schröder?«

»Äh, ja, klar, er war mein Lehrer.«

»Hm, er ist auf jeden Fall derjenige, der hinter der Suchmeldung steht, die im Radio lief, dazu ist dein Bild seit ein paar Stunden im Internet und er hat das halbe Ruhrgebiet mit Suchplakaten gepflastert. Ich weiß nicht, ob er ein guter Lehrer ist, aber ist auf jeden Fall sehr engagiert.«

»Er ist 'n guter Lehrer, aber ... er ist auch so ziemlich der Einzige, der mir damals geholfen hat, er hat ...«

Ich hab Roland dann erzählt, was da so passiert ist.

»... weißt du, er war immer da, wenn ich ihn gebraucht hab, und er hat mich nie gelinkt.«

»Dann gibt es wohl keine Chance, daß er in den nächsten Wochen mit seinen Suchaktionen aufhört. David, bleib bitte unbedingt auf dem Grundstück, deine Papiere sind noch nicht fertig und wenn die Polizei dich sieht, haben wir alle ein echtes Problem!«

War schon ein bißchen verrückt, Schröder wollte mir bestimmt helfen, aber genau damit brachte er mich in Schwierigkeiten. Aber es war schön, daß es da wen gab, dem es nicht völlig egal war, wie's mir ging und als wir schlafen gingen, da hatte ich ein echt gutes Gefühl, es war ein wirklich schöner Tag gewesen und ich brauchte nicht mehr auf dem Sofa schlafen, Janosch hatte mir gesagt, daß ich auch bei ihm pennen konnte, war ganz praktisch, Rip hatte so richtig breite Betten und so groß waren wir ja beide nicht.

Am nächsten Nachmittag saßen wir gerade auf der Terrasse, als Richie grinsend rauskam.

»Ratet mal, wer gerade gekommen ist! Julian!«

Ich hab überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie Rip das jetzt wieder hingekriegt hatte, Himmel, ich freute mich viel zu sehr, Julian mal wieder zu sehen und raste los, wie blöd ... und im Flur lief ich dann in irgendwen rein, den ich gar nicht kannte.

»Hey, mach mal langsam, wer bist du denn?«

Ich bin mir nie so dämlich vorgekommen.

»Äh .. David ... ich ... Entschuldigung, ich wollte Sie nicht umlaufen, Richie sagte, das Julian gekommen wäre ...«

Er hob die Hand hoch und lächelte.

»Moment, ich bin Julian, aber wohl nicht der, den du meinst. Dr. Masters ist mein Vater und ich wollte nur kurz vorbeischauen. Bist du zu Besuch hier?«

Hm, ich wußte nicht so genau, was ich sagen sollte und deshalb blieb ich auf der sicheren Seite.

»Ja, meine Zähne sind nicht so ganz in Ordnung und weil das länger dauert, bin ich ein bißchen hier. Ja ... äh ... ich geh dann mal wieder in den Garten und ...«

Da kam dann auch Rip und ich verzog mich. Janosch wartete schon im Garten auf mich.

»Was war denn mit dir los? Kennst du Julian?«

»Nee, den nicht. Aber ich hab dir doch erzählt, wie ich abgehauen bin und da war ich auch mal kurz bei einer Familie in Münster. Da gab es einen Julian. Er war ...«

Ich mußte doch mal schlucken, ich trug immer noch die Halskette, die Julian mir geschenkt hatte und ich dachte immer wieder an ihn.

»... naja, ich glaub, er war der erste Junge, in den ich mich verliebt hab und er war auch der erste, der mich geküßt hat, auch wenn's nur zum Abschied war. Er hat mir auch ...«

Und dann kriegte ich mit, wie Janosch mich groß anguckte.

»Du bist ... du bist schwul?«

»Ja, sicher. Jedenfalls hat ...«

Und dann brüllte er los. Und ging langsam rückwärts ... weg von mir. Er schrie ziemlich schlimme Sachen, aber es tat mir viel mehr weh, wie er mich anguckte. Am Anfang war's, glaub ich, mehr sowas wie Enttäuschung, aber dann, als wär' ich 'n Stück Scheiße oder irgendwas ekliges. Ich hab einfach nur da gestanden, ich wußt' einfach nicht, was eigentlich los war, ich mein, das war Janosch und irgendwie war es sowas wie ein kleiner Bruder und jetzt flippte er völlig aus. Dann drehte er sich um und lief ins Haus. Ich kriegte noch mit, wie Rip Luke am Arm festhielt und dann kam Nick.

»Was ist denn hier los?«

»Ich ... ich hab keinen blassen Schimmer. Ich hab ihm von Julian erzählt und dann ist er durchgedreht.«

»Was hat denn mein Bruder damit zu tun? Und woher ...«

»Nee, nicht dein Bruder. Julian ist der Junge ...«

Ich erzählte ihm kurz die Geschichte.

» ... und dann hab ich gesagt, daß Julian der erste war, der mich geküßt hat und dann ging's los.«

Inzwischen war Rip da und wollte natürlich auch wissen, was Sache war. Nick strich sich durch die Haare.

»Sag mal, weiß Janosch eigentlich über dich Bescheid?«

»Ja, sicher, und er hat mir auch von seinem Vater erzählt.«

»Nein, das meinte ich nicht. Hast du ihm mal gesagt, daß du schwul bist?«

Oops. Meine Ohren wurden warm.

»Nee ... eigentlich nicht. Aber ich dachte, er wüßte das ... irgendwie.«

Nick schaute Rip an und der schüttelte den Kopf.

»Nein, da kennst du dich besser aus. Klärt bitte, was mit Janosch los ist, aber holt euch ein paar Stühle. Ich beruhige inzwischen Luke, sonst hat David bald keinen Kopf mehr, er ist wirklich wütend, weil er meint, David hätte Janosch weh getan.«

Wir holten uns Stühle und trugen sie in den Schatten, vorbei an der Hundehütte, die Janosch und ich gebaut hatten. Ich machte mir 'ne Kippe an und da merkte ich, daß meine Hand zitterte ... so ähnlich, wie meine Stimme.

»Also, was hab ich falsch gemacht? Ich würd' Janosch doch nicht weh tun, ich mein, dafür mag ich ihn doch viel zu sehr und ...«

Nick unterbrach mich.

»Langsam. Du hast gedacht, das Janosch wissen würde, daß du schwul bist, aber das wußte er nicht.«

»Na und? Richie und Jason sind schwul, du bist schwul, wieso regt er sich da bei mir auf?«

»Hm ... er hat dir erzählt, was sein Vater getan hat?«

»Ja. Er hat mir sogar die Wunden gezeigt.«

»Ja ... das erklärt einiges. Er hat dir vertraut und das heißt schon etwas, denk bitte daran, was ihm passiert ist. Er hat mit dir im gleichen Bett geschlafen, ihr habt zusammen Rintys Hütte gebaut und jetzt denkt er wahrscheinlich, daß du nur mit ihm ins Bett willst ...«

Ich wollte eigentlich was sagen, aber Nick redete weiter.

» ... und nachdem er vergewaltigt worden ist, ist das natürlich ein rotes Tuch für ihn. Weißt du, die letzten Jahre waren die Hölle für Janosch und ich nehme an, er hat dir nur deswegen so schnell vertraut, weil sich eure Geschichten ähneln. Jetzt bist du aber plötzlich zu einer Bedrohung geworden und ...«

Also, jetzt war es aber gut.

»STOP! Spinnst du? Ich bin doch keine ... keine ... Bedrohung! Ich bin sein Freund!«

»David, ich weiß das und du weißt das, aber Janosch weiß das gerade nicht mehr so genau. Sag mal, du hast doch Vertrauen zu Dad, oder?«

»Ja, klar.«

»Wenn du jetzt plötzlich mitkriegen würdest, daß er uns früher regelmäßig verprügelt hat und das es ihm Spaß gemacht hat, dann würdest du ihm nicht mehr trauen, oder?«

Ich schüttelte mich.

»Nee ... das wär' ziemlich schlimm.«

»So, und jetzt stell dir mal vor, dein Vater hätte dich vergewaltigt und dann triffst du einen Jungen und vertraust ihm und dann mußt du plötzlich Angst haben, daß er vielleicht auch nur mit dir ins Bett will, dann wärst du doch auch ein bißchen durcheinander.«

»Klar, aber ich will doch gar nicht ... ach so. Du meinst, nur weil ich schwul bin, meint Janosch, daß ich ... «

Naja, okay, das war zwar eigentlich völliger Schwachsinn, aber so langsam kriegte ich klar, warum Janosch durchgeknallt war.

»Oh Mann, scheiße, Janosch meint also, nur weil ich schwul bin, würde ich ihn auch ... naja, mit ihm schlafen.«

»Ja, wahrscheinlich. Er ... muß erst noch verstehen, daß Mißbrauch und Sex zwei ganz verschiedene Sachen sind. Gib ihm etwas Zeit, ich bin sicher, er kriegt das auf die Reihe.«

Wenn ich da mal auch so sicher gewesen wäre. War ich aber nicht. Und ich fing auch an, mich richtig mies zu fühlen, okay, nicht nur wegen Janosch, da konnte ich ja eigentlich nichts für, sondern weil ich nicht wußte, was die anderen denken würden. Ich meine, Janosch hatte mich angeschrien und war weggelaufen, die dachten bestimmt, ich hätt' ihn irgendwie angefaßt oder so. Und ich hatte echt keine Lust, jetzt zum Abendessen zu gehen. Wegen den anderen.

»Nick? Kannst du ... den anderen erklären, was los ist? Ich hab ... keinen Hunger.«

Ich glaub, das mit dem Hunger kaufte er mir nicht ab, aber wenn mich überhaupt irgendwer verstand, dann Nick.

»Kein Problem, laß dir Zeit.«

Ich legte mich hinter 'n Baum und guckte den Ästen beim Nichtstun zu. Mist, da war gerade was verdammt wichtiges kaputt gegangen. Nicht nur Janosch, sondern auch, weil mich wer angeschrien hatte, weil ich schwul war. Ich hatte nicht viel Erfahrung damit, ich mein, ich hatte ja nicht jedem gleich gesagt, daß ich schwul bin, aber es war nie schwierig gewesen ... Julian hatte ich ja nur deswegen kennengelernt und bei Rips Familie war das ja echt kein Problem. Aber wenn ich die Augen zumachte, konnte immer noch sehen, wie Janosch mich angeguckt hatte. Ich mein, ich war doch immer noch David ... allerdings im Moment ein ziemlich trauriger David. Ach, scheiße, vom rumliegen wurd' das auch nicht besser, 'n Stück weiter gab's 'n paar Läden und da war sicher auch irgendwo 'ne Pommesbude oder so. Hatte ich gedacht. Aber hier gab's nur reiche Leute und die Pommesbude sah so richtig edel aus und ich guckte erstmal, wieviel Geld ich hatte. Der Typ hinter'm Tresen dachte wohl, ich wär' krank oder so, als ich Pommes-Mayo und 'ne Currywurst bestellte, so, wie das hier aussah, wär's normaler gewesen, 'n Stück von 'ner australischen Seeschlange zu bestellen. Als ich dann noch nach 'nem Aschenbecher fragte, hätte er mich am liebsten rausgeschmissen und so schmeckten die Pommes dann auch. Scheißladen. So, und jetzt? Vielleicht konnte ich für ein paar Tage zu Julian ... nur so lange, bis die Zähne fertig waren und der neue Ausweis. Geld für die Fahrkarte hatte ich noch und vielleicht würde Rip noch 'n bißchen Kohle rausrücken ... doch, bestimmt würde er das, denn das wär' ja auch für ihn die beste Lösung. Dann wär' ich aus dem Weg und er könnte sich in Ruhe um Janosch kümmern, der Kleine brauchte ihn sowieso viel mehr, immerhin hatte er jetzt ja keinen Vater mehr. Hm, jetzt mußte ich nur noch versuchen, Rip alleine zu erwischen, ich hatte echt keine Lust, den anderen über den Weg zu laufen. Sollte aber nicht so schwierig sein, Rip ging nach dem Abendessen meistens noch in sein Büro, ich mußte nur 'n bißchen warten. Ich lief noch 'n durch die Gegend und schlich mich dann zu Rip

»Hi, kann ich mal ... kurz mit dir reden?«

»Natürlich, setz dich. Ich nehme an, es geht um Janosch?«

»Ja, auch ein bißchen, aber eigentlich mehr um mich. Ich hab da 'ne Idee ...«

Ich erklärte ihm, was ich wollte.

»Hm, du willst also weg, weil wir meinen könnten, daß du Janosch weh getan hast?«

Warum können Erwachsene eigentlich sowas immer in einem Satz sagen und brauch' dafür 'ne halbe Ewigkeit?

»Ja, so ungefähr. Und ... ich mein, Janosch gehört doch irgendwie zu deiner Familie und jetzt, wo doch sein Vater tot ist, da kannst du ihm viel besser helfen, wenn ich weg bin. Und es ist doch eigentlich egal, ob ich hier bin, oder in Münster.«

Rip machte sich 'ne Kippe an und schmiß mir die Schachtel rüber. Dann stand er auf.

»Warte bitte einen Moment.«

Er ging raus, und als ich meine Kippe halb fertig hatte, war er wieder da und gab mir einen ziemlichen Haufen Hunderter.

»Hier, das reicht für Fahrkarten und auch für ein bißchen mehr. Wenn du willst, bringt dich morgen jemand zum Bahnhof, du mußt nur vorher mit der Familie telefonieren. Die Zähne dauern vielleicht noch zwei Wochen und bis dahin ist sicher auch dein Paß fertig. Ich habe aber eine Bedingung. Janosch ist in seinem Zimmer. Geh zu ihm und rede mit ihm. Erklär' ihm, warum du weg willst. Danach gehört das Geld dir.«

Oh, oh, das war so ziemlich genau das, was ich überhaupt nicht wollte. Eigentlich wär's mir viel lieber gewesen, unauffällig mein Zeug zusammen zu packen und dann zum Bahnhof zu laufen. Obwohl, mit der ganzen Kohle hätte ich auch den Bus nehmen können. Ach, scheiße, für so 'n Haufen Geld konnte ich mich auch nochmal von Janosch angucken lassen und wenn er wegen mir kotzen mußte, dann war das eben so. Aber eigentlich machte ich es, weil Rip es wollte.

»Okay, ich geh zu ihm.«

Janosch saß auf dem Bett. Ich guckte auf den Fußboden.

»Hi, ich bin gleich wieder weg, aber Rip hat gesagt, daß ich kurz mit dir reden soll. Ich wollte dir nur sagen, daß ich mein Zeug zusammenpacke und nach Münster fahre ... ich mein, dann hast du hier Ruhe und kannst besser auf die Reihe kriegen ... was so passiert ist und ...«

Tja, und dann passierte das, wovor ich soviel Angst gehabt hatte. Janosch schrie und sprang mir an den Hals. Irgendwie konnt' ich mich nicht wehren und es war mir auch egal, ich fiel hin und Janosch lag auf mir ... und es war okay, ich mein, wenn es einen Menschen gab, der mir weh tun durfte, dann war es Janosch. Dauerte was, bis ich die Augen aufmachte und merkte, daß er mir gar nicht weh tat. Und dann kriegte ich auch klar, was er da eigentlich geschrien hatte ... er hielt mich fest und er hatte »Nein« geschrien und jetzt weinte er, er blubberte irgendwas vor sich hin, war schwierig, zu verstehen. War aber klar, daß da was ganz anders war, als ich gedacht hatte und ich machte halt, was ich auch immer gemacht hatte, wenn Benni weinte, ich hielt Janosch fest. Ich kriegte dann aber doch Angst, weil ... naja, es war schon ziemlich schlimm, er drehte echt durch und ich hielt ihn fest, so gut es ging. Ich hatt' ja Angst davor gehabt, wie er mich wohl angucken würde, aber als ich in seine Augen guckte, da hatte ich Angst um ihn.

Irgendwann weinte er nur noch und das wurd' auch weniger und dann guckte er mich an. Ist schon komisch, was einem da so auffällt, seine Wimpern waren ein bißchen durcheinander und ich hatte vorher nie gemerkt, das seine Augen ein ganz tolles Blau hatten.

»Bitte, geh nicht. Nicht wegen mir. Dad ist doch schon ... gegangen ... wegen mir. Nicht du auch noch. Bitte!«

Da gab's nichts zu überlegen.

»Gerne ... wenn du mich haben willst. Ich dacht' nur ... ist auch egal. Komm, wir gehen zu Rip!«

Naja, vorher mußten wir uns erst noch wieder richtig anziehen und bei der Gelegenheit rieb ich mir noch eben unauffällig die Schulter, gibt's eigentlich so 'n Naturgesetz oder so, daß man immer auf die Stellen fällt, die sowieso schon weh tun?

»Ich hoffe, ich habe Dir nicht wehgetan?«

Wovon redete der Kleine?

»Naja, mit der Schulter hätt' ich aufpassen können, war wohl eher 'n bescheuerter Zufall.«

»David, es war meine Schuld. Ich ...«

Nu' war aber gut. An der ganzen Sache war nur einer Schuld und der Arsch hatte sich ja wohl mit 'nem Baum angelegt und verloren. Und ich hätt' ja auch mal nachdenken können, bevor ich die Klappe aufmachte.

»Nee, laß mal, wenn überhaupt, dann hab ich Mist gemacht. Nick hat mir das erklärt ... weißt du, wir sind irgendwie so schnell Freunde geworden ... vielleicht auch, weil ich immer an Benni denken mußte ...«

Ich mußte mal schlucken, weil ... naja, ich kriegte klar, wie ähnlich sich Janosch und Benni eigentlich waren und dann sagte Janosch was sehr schönes.

»David, du bist für mich wie ein Bruder.«

Ich hatt's ja nicht geglaubt, aber es gibt echt so Momente, da ist es einfach nur schön. Und Janosch setzte sogar noch einen drauf.

»Und ich habe auch kein Problem damit, daß du schwul bist.«

War vielleicht nicht die beste Idee, aber ich mußte Janosch einfach nochmal umarmen.

»Janosch, du bist was ganz besonderes und ich würd' dir nie weh tun, echt nicht.«

Und dann machte ich gleich noch 'ne Dummheit, ich küßte ihn, aber nur auf die Backe, naja, weil ... irgendwie waren wir jetzt ja Brüder. Und Janosch verstand das glaub ich, denn er lächelte mich an und wir hatten beide dieses Grinsen im Gesicht, als wir zu Rip gingen.

Wow, bei dem war's aber echt blau, ich mein, vom Qualm. Er saß hinter seinem riesigen Schreibtisch und kam zu uns. Rip schaute mich nur an und fing schon langsam an, zu lächeln. Ich hielt ihm den Packen Hunderter hin.

»Danke, die brauch' ich nicht.«

»Ich hatte wirklich gehofft, daß du genau das sagen würdest ... aber ich hätte jede Entscheidung respektiert. Eure Aussprache war ja etwas ... lebhafter. Ich schlage vor, ihr zeigt euch jetzt dem gemeinen Volk.«

»Äh, was?«

Rip grinste.

»Ihr wart bis auf die Terrasse zu hören und ich glaube, jeder hat sich gefragt, ob ihr euch umbringt oder versöhnt. Es wäre gut, wenn wir zu den anderen gehen, die würden sich sehr freuen, euch zu sehen. Ach, und ... David, du kannst nicht immer weglaufen, du mußt auch ankommen.«

Der Abend wurde wunderschön. Keiner hat mich gefragt, was da eigentlich in Janoschs Zimmer passiert ist und das hat mir wirklich gut getan. Und so langsam gewöhnte sich Rinty auch an seine Hütte, naja, hatte vielleicht was damit zu tun, daß Rip ihm das Fressen jetzt immer da rein stellte - aber es funktionierte.

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