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Murat Kokosnuss

Neu im Team

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Ich kann mich noch erinnern, dass ich an jenem Tag, an dem ich Murat das erste Mal sah, absolut keinen Bock hatte zum Handballtraining zu fahren. Es war einer jener Tage, an denen ich morgens schon mit dem linken Fuß aufgestanden war. In der Schule lief es nicht so besonders – ich war zwar nur ein Jahr von der Matura entfernt, aber Mathematik und vor allem Latein bereiteten mir irrsinnige Probleme. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass es deswegen auch zu Hause des Öfteren Stunk gab, der vor allem von meinem Vater ausging, der ja „alles bezahlte“ und meinte, ich würde „meine Chancen nicht nützen“ blablabla. Und dass Lisa, meine ältere Schwester, sowieso immer viel ehrgeiziger gewesen wäre.

Ach, wie mich das alles nervte. Lisa. Sie hatte leicht Lachen – sie hatte diese blöde Matura ja schon in der Tasche, sie studierte bereits. Gut, das hatte zumindest den Vorteil, dass sie nur an den Wochenenden zu Hause war. Unser Verhältnis zueinander war nie sonderlich gut gewesen – sie, die Streberin und ich der `Lernfaule´. Auch an den Wochenenden sah ich so gut wie nie etwas von ihr, da hing sie zumeist mit ihrem neuen Freund ab. Mike, wie sie ihn nannte. Den konnte ich noch weniger riechen, da er mich genauso von oben herab behandelte, wie Lisa es tat. Obwohl er gar nicht schlecht aussah – aber dieser dämliche Spitzname: Mike. Brrr.

Ja, richtig, ich fand ihn wirklich gut aussehend, was mich zu meinem damaligen eigentlichen Problem führt – ich kam halt immer mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass es bei mir wohl doch keine `Phase´ sei, die viele Jungs in der Pubertät durchmachen; keine Phantasien, die irgendwann verschwinden würden. Es half auch nichts, diese Erkenntnis einfach mit den Gedanken zu ignorieren, irgendwann würde ich schon auf Mädchen stehen. Nein – für mich war damals klar geworden: Ich, Max Seifert, 17 Jahre alt, stand eindeutig auf Jungs. Schwul. Schöner Mist. War es da ein Wunder, dass ich mich in der Schule auf nichts mehr konzentrieren konnte? Dass meine Gedanken während des Unterrichts oft abschweiften und ich zumeist nicht mit dem Gehirn dachte, sondern mit…naja, ihr wisst schon: Womit Jungs halt manchmal denken. Faul war ich ja nie – eher immer verträumt.

Naja und an diesem Dienstag war halt so ein Tag, an dem ich zu nichts Lust hatte. Nicht mal für Handball, den „wir dir ja auch streichen können, wenn du nichts für die Schule machst“. Richtig – die Worte meines Vaters.

Als ich mich am späten Nachmittag doch noch auf mein Rad schwang, um zur nahegelegenen Sporthalle zu fahren, stieg die Laune dann doch etwas an. Ich spielte bereits seit 8 Jahren im Team unserer kleinen Stadt – stieg in immer ältere Teams auf und war nun in der U18 angelangt. Unser Team war auch gar nicht so schlecht – immerhin konnten wir auch schon internationale Turniere, zu denen wir im Sommer oft eingeladen wurden, für uns entscheiden. Dadurch hab ich auch schon einiges von Europa gesehen – von Deutschland, Frankreich oder Holland. Ich liebte auch das Reisen schon immer – kein Wunder, wenn man aus so einem kleinen, österreichischen Nest wie Freistadt im oberösterreichischen Mühlviertel kommt. Also praktisch aus dem österreichischen Hinterland, wo man aufgeschmissen ist, wenn man unter achtzehn ist und noch keinen Führerschein besitzt.

Oh sorry, ich schweife schon wieder ab – auch dafür bin ich bekannt.

Ich betrat die Umkleidekabine und traf meine Teamkollegen, wie jeden Dienstag. Da fast alle ebenfalls in Freistadt wohnten, kannte ich die meisten natürlich auch aus meiner Schule – zwei waren sogar in meiner Klasse: Bernhard und Martin, die auch meine Freunde waren.

„Der Burker lässt sich ja heute wieder mal ordentlich Zeit“, muffelte Martin, während er sich seine Shorts hochzog. „Aber Hauptsache uns verdonnert er zu Strafrunden, wenn wir mal spät dran sind“, maulte Bernhard zurück. Toll – die beiden schienen genauso gut drauf zu sein wie ich es war. Nachdem ich mich ebenfalls umgezogen hatte – und Burker (unser Trainer) noch immer nicht da war, latschten wir in die Halle um uns aufzuwärmen.

Als das Einwerfen schon fast in ein überehrgeizig geführtes Spiel ausartete, tönte ein schriller Pfiff durch die Halle.

„In einer Reihe anstellen“, brüllte Burker durch den Saal, nur um die wenig später einsetzende Demut unseres Anstellens mit einem Grinsen zu genießen. Er war ja alles andere als ein Schleifer, unser Burker.

Erst als ich mich zu ihm umdrehte, bemerkte ich, dass er die Halle nicht alleine betreten hatte: Neben ihm stand ein hoch aufgeschossener Typ mit leicht dunklem Teint. Noch ehe ich mir Gedanken machen konnte, was der hier wollte, stellte ihn unser Trainer auch schon vor.

„Das ist Murat. Er ist erst diese Woche aus Wien hierhergezogen und wird unsere Mannschaft verstärken…Jürgen, Hand aus der Hose“, unterbrach er seine Vorstellungsrunde und schickte Jürgen, der sich gern mal an den Eiern kratzte wenn ihm langweilig war, auf Strafrunden.

„Also, behandelt ihn bitte nicht so, wie ihr euch behandelt, sondern vielleicht mit ein bisschen Respekt.“

Ich merkte, wie ihn Murat in diesem Augenblick etwas argwöhnisch betrachtete – scheinbar dachte er sich: „Mit etwas Respekt. Nur weil ich Türke bin?“ So in etwa schien Murat in diesem Augenblick zu denken.

„Vielleicht kannst du ja selbst noch etwas über dich sagen“, fuhr Burker fort, der sofort erkannt hatte, dass er wohl gerade falsch verstanden wurde.

„Also, ich heiße Murat Korkusuz…..“

„Kokosnuss!“, rief Jürgen dazwischen – und wurde sofort auf weitere Strafrunden geschickt.

Neugierig blickte ich zu Murat, um gespannt auf dessen Reaktion zu warten. Anstatt rot zu werden – wie es mir wohl an seiner Stelle passiert wäre – lachte Murat nur. „Ja, richtig, das war auch in Wien mein Spitzname in der Schule. Selbst meine türkischen Freunde haben mich dann so genannt. Ist kein Problem, wenn ihr das sagt. Also, ich bin der Murat und bin letzte Woche mit meinen Eltern, meinen vier Brüdern und meiner kleinen Schwester aus Wien hierhergezogen. Ich habe in Wien lange Handball gespielt und würde mich freuen, wenn ihr mich in eurem Team aufnehmen würdet.“

Wow – der Junge legte ja ein ordentliches Selbstbewusstsein an den Tag. Ich glaub nicht, dass mir das so gut gelungen wäre. Ich betrachtete ihn von oben bis unten und naja, was soll ich sagen: Ich habe das mit `Liebe auf den ersten Blick´ ja immer als vollkommenen Schwachsinn abgetan, aber mich durchzuckte es wie vom Strom erfasst, als ich Murat das erste Mal vor mir stehen sah.

Er war in etwa so groß wie ich, also etwa 1,83m, hatte kurze, dunkle, gelockte Haare, rehbraune Augen und ein makelloses Gesicht. In unserer Schule gab es ein paar Türken, von denen die meisten schon ein ziemlich bärtiges Gesicht hatten – Murats Gesicht war allerdings, mit Ausnahme einiger Barthärchen am Kinn, total glatt. Vielleicht rasierte er sich aber auch schon. Mein Blick wanderte seinen Körper entlang – unter seinem Trikot schien sich ein schlanker, durchtrainierter Oberkörper zu befinden. Seine Arme waren ebenfalls athletisch geprägt und ein regelrechter Himmel waren seine langen, ebenfalls unbehaarten Beine. Natürlich warf ich auch einen Blick auf jene Stelle, wo seine Beine endeten – und konnte zumindest die Konturen seines Schwanzes erkennen. Mir wurde total wohlig ums Herz, wurde allerdings durch einen Knuffer in die Seite aus den schönsten Gedanken gerissen. Während ich Murat betrachtete, hatten sich die anderen bei ihm vorgestellt – was mir natürlich total entgangen war.

Der Knuffer kam von meinem Nebenmann Alex, der mit seinem Kopf in Murats Richtung deutete und damit signalisierte, ich solle mich doch auch vorstellen.

„Erm…“, stammelte ich, weil ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte.

„Also….das ist Max, bekannt als unser Träumer, aber auf dem Spielfeld ganz gut zu gebrauchen“, übernahm Burker meine Vorstellung.

Ich merkte, wie ich rot anlief und blickte verstohlen zu Murat rüber.

Er schenkte mit ein herzliches Lächeln.

„Hallo Max!“

Ich musste aufpassen nicht umzukippen. Dieses Lächeln – ich denke, er mochte mich auch von Beginn an.

Die miese Laune war an dem Tag also förmlich wie weggeblasen. Ich genoss das Training in vollen Zügen – klar, schließlich wollte ich `dem Neuen´ ja imponieren. Allerdings lief es fast in umgekehrter Manier – was Murat im Training an den Tag legte, war nicht von schlechten Eltern. Und wahnsinnig schnell war er, obwohl er sich fast graziös und anmutig bewegte wie eine Gazelle. Auf Anhieb niedlich fand ich außerdem sein kurzes Stöhnen, dass er jedes Mal ausstieß, wenn er den Ball in Richtung Tor drosch.

Beim abschließenden Trainingsspiel, in dem unser Trainer immer heftig rotierte und jeder einmal auf der Bank Platz nehmen musste, hatte ich endlich die Möglichkeit, ihn in Ruhe zu betrachten.

Er schwebte förmlich über das Spielfeld – und wenn er zum Wurf hochstieg, entblößte sein Shirt öfters für kurze Zeit seine Bauchnabelregion: braungebrannt, schlank und ein paar schwarze Härchen unter dem Bauchnabel. Als Murat mal einen Wurf verhaute, zog er sich vor Ärger kurz sein Shirt über den Kopf. Atemberaubend. Ich konnte kaum das Ende des Trainings abwarten, um ihn nackt unter der Dusche zu sehen.

Leider duschte er dann nicht. Später erklärte er mir mal, dass es muslimischen Männern nicht gestattet wäre, sich nackt mit anderen Männern in einem Raum – also in der Dusche aufzuhalten.

Ich fand das an diesem Tag schade, aber irgendwie auch wieder gut – am Ende hätte ich beim Betrachten noch einen Steifen bekommen und ich hatte ja schon Mühe `ihn´ bei den Gedanken an Murat `unten zu behalten´.

„Und was hältst du von dem Neuen?“, quatschte mich just in dem Moment Bernhard an, der neben mir duschte.

„Super ist der!“, und kurz stockte ich, weil das wohl doch etwas zu euphorisch klang. Schließlich wusste zu dem Zeitpunkt kein Mensch, dass ich schwul war.

Bernhard hatte es allerdings gottlob nicht so aufgefasst.

„Ich denke, er passt hervorragend zu uns“, meinte er nur trocken, während er sich die Haare einschäumte. „Also ins Team! Für einen Türken ist er nicht schlecht!“

Für einen Türken ist er nicht schlecht! „Idiot!“, dachte ich sofort. „Er spielt viel besser als du – und das hat gar nichts damit zu tun, wo er herkommt“, hätte ich am liebsten zu Bernhard gesagt, verkniff es mir aber.

Den ganzen Heimweg über hatte ich nur zwei Gedanken im Kopf: Den blöden Spruch von Bernhard über Murat und naja, eben Murat. Mir war es immer ganz egal, wo jemand herkam – meine Eltern dachten da genauso; auch wenn mein Vater öfters mal über Ausländer schimpfte, generell war er natürlich auch nicht gegen sie eingestellt. Ich versuchte Bernhards Spruch also auch so zu deuten: Vielleicht hatte er es ja gar nicht so gemeint.

Zu Hause angekommen hatte ich noch Schularbeiten zu erledigen aber – richtig erraten – natürlich konnte ich mich mal wieder nicht darauf konzentrieren. Außerdem war es kurz nach acht und ich war hundemüde vom Training. Also beschloss ich Mathe am nächsten Tag abzuschreiben. Womit wir wieder bei meinem Schulproblem waren.

Ich wusste da eine Beschäftigung, die mir zu diesem Zeitpunkt viel lieber war als irgendwelche Logarithmen und Formeln: Ich schloss die Zimmertür ab, fuhr den PC hoch und beschäftigte mich in den nächsten Minuten beim Betrachten abgespeicherter, nackter Jungs mit mir selber. Eigentlich brauchte ich diese Bilder an dem Abend gar nicht – mit den Gedanken war ich ausschließlich bei diesem bildschönen Jungen. So dauerte es an diesem Abend auch gar nicht lange…

Danach saß ich, wie immer nach dem Wichsen, einige Minuten erschöpft da und starrte blöd vor mich hin, als mir plötzlich ein Gedanke einschoss: Facebook! Er muss einen Account bei Facebook haben! Unbedingt! Jeder hat das!

Ich stieg also bei Facebook ein, um nach seinem Namen zu suchen. 5 unnötige Statusmeldungen ignoriert, als plötzlich ein Einser bei der Freundschaftsanfrage aufleuchtete. Ich hatte so eine Vorahnung als ich draufklickte: Tatsächlich – die Anfrage kam von Murat. Ich war wie elektrisiert: Empfand er dasselbe für mich? Empfand! Wie sich das anhörte!

Natürlich nahm ich die Anfrage an – und war wenig später etwas enttäuscht: Er hatte dem halben Team Anfragen geschickt. Was hatte ich auch erwartet, schließlich war er neu in der Stadt und suchte natürlich Anschluss.

Murat Kokosnuss ist jetzt mit dir und 7 weiteren Personen befreundet stand da. Auch wenn ich anfänglich etwas eifersüchtig war, musste ich lachen: Der Typ hatte wirklich Humor. Da meine Blase geleert werden wollte, verließ ich kurz mein Zimmer, beeilte mich aber, da ich unbedingt die Fotos auf seiner Seite betrachten wollte.

Als ich nach kurzer Zeit zurückkam, leuchtete nun ein Einser bei den Nachrichten auf. So wie vorher, setzte sofort ein nervöses Kribbeln ein. Und tatsächlich: Die Nachricht kam von Murat.

Hallo Max, wie geht’s?“

„Danke, super. Dir?“

Auch super. Das Training war klasse – hab ganz vergessen zu fragen, wann das nächste ist!“

„Haben´s dir die anderen nicht gesagt?“

(Mit dieser an sich sinnlosen Frage wollte ich lediglich feststellen, ob er außer mir mit noch jemandem gechattet hatte.)

Nein, hab noch mit keinem anderen gesprochen. Du spielst übrigens ur gut!“

(Klasse! Mit niemandem gesprochen! Mein Herz klopfte abermals voller Erregung – arm eigentlich, was so ein Menschenherz alles mitmachen muss!)

„Danke, du aber auch. Das nächste Training ist am Donnerstag, selbe Zeit wie heute! Freu mich schon drauf!“

Ich mich auch – Sport ist für mich das größte! Was machst grad?“

„Mit dir chatten!^^“ (Verdammt, war das witzig…)

Witzbold! Vielleicht können wir am Donnerstag gemeinsam zum Training – ich wohn in der Werndlstraße!“

„Cool, das ist ja fast ums Eck von mir. Ich könnte dich 20 Minuten vor Trainingsbeginn abholen! Gehst du auch bei uns zur Schule?“

Nö, dazu bin ich in Deutsch zu schlecht. Ich hab in Wien eine Lehre als Mechatroniker begonnen – aber dann mussten wir umziehen und ich hab´s hingeschmissen. Ich hab aber hier im Ort bald ein Vorstellungsgespräch bei…Mist, hab den Namen vergessen.“

„Sicher beim Schredl – da hat auch mein Vater sein Auto her.“

(Vollkommen unnötig die Antwort – absolut kein Satz, auf den man irgendetwas antworten könnte. Verdammt.)

Also tippte ich schnell weiter.

„Du hast also vier Geschwister?“

Lol. Fünf sogar. Vier Brüder: Mehmet und Ali sind jünger als ich. Musti ist ein Jahr älter als ich und Metin ist schon 21. Und die kleine Fatma ist erst zwei. Ach ja, ich bin 17.“

„Ich bin auch 17. Und ich habe nur eine Schwester – die ist 22 und studiert. Aber ich kann sie nicht ausstehen – dauernd meckert sie an mir herum.“

Ich mag meine Geschwister. Auch wenn es manchmal etwas eng wird bei so vielen Leuten. Aber so ist das bei uns Türken – fast nur große Familien, lol.“

Kurze Pause.

„Und was machst du so?“

Mit dir chatten!“

„Witzbold!“

Das Eis war gebrochen – wir chatteten noch fast eine Stunde und ich hatte recht: Ich glaube er mochte mich auch von Beginn an. Ich wollte ihn noch länger im Chatroom haben, aber er verabschiedete sich höflich, da er noch mit seiner Familie zu Abend essen und beten musste.

Ich schaute noch kurz in mein E-Mail Fach, ehe ich kurz vorm Runterfahren nochmals in meinen Facebook Account einstieg.

Wieder hatte ich eine neue Nachricht – wieder von Murat.

Gute Nacht, Maxi! Ich freu mich auf Donnerstag!“

Maxi nannte er mich, wie süß.

„Gute Nacht, freu mich auch sehr!“, schrieb ich zurück, aber ich konnte erkennen, dass er wohl schon abgedreht hatte.

`Sehr´ schrieb ich – Blödmann. War das nicht etwas verräterisch? Er hatte doch auch nicht `sehr´ geschrieben. Aber egal – er freute sich, mich wiederzusehen. Aber was bedeutete das schon? Vielen Südeuropäern sagt man ja nach, oft sehr überschwänglich zu agieren – ob das wirklich so gemeint war? Ihr seht schon – wieder mal machte ich mir viel zu viele Gedanken. Jedenfalls tat ich mir an diesem Abend schwer mit dem Einschlafen – mein Kopf war voller Eindrücke des abgelaufenen Tages und ich konnte den Donnerstag gar nicht abwarten.

Am nächsten Tag war ich wie ausgewechselt: Ich hüpfte förmlich in die Küche, um am Frühstückstisch Platz zu nehmen (Ja, meine Familie frühstückt tatsächlich noch zusammen – das kommt ja heutzutage eher selten vor.) Meine Mutter schien überrascht, mich so wohlgelaunt zu sehen und goss mir mit einem Lächeln eine Tasse Früchtetee ein.

„Schön, dich mal so gut gelaunt zu sehen“, meinte sie und man sah ihr die Freude auch wirklich an. Ich muss in den letzten Wochen wohl ein ziemlicher Muffelkopf gewesen sein.

„Mathe gemacht?“, raunte eine Stimme hinter der Zeitung hervor. Der raue `Charme´ meines Vaters, der sofort mit einem bösen Blick meiner Mutter bestraft wurde, während Vater so tat, als ob er nicht wüsste, was sie damit meinte.

„Ja, habe ich“, log ich kurz und beeilte mich mit dem Frühstück. Schließlich musste ich Mathe noch von Klaus abschreiben, unserem Klassenstreber.

Der Schultag zog sich dann wiedermal gehörig und ohne besondere Vorkommnisse in die Länge, außer dass ich in Latein öfters als sonst ermahnt wurde, doch „endlich aufzupassen, sonst schaffst du deine Matura nie“. Blablabla. Zwischen all den Stunden konnte ich natürlich nur an Murat denken – und irgendwie schien das auch den anderen aufzufallen, denn ich schien noch abwesender zu sein, als es sonst schon der Fall war. Aber gottlob fragte niemand nach – ich wär bei einer unangenehmen Frage sicher wieder nur rot angelaufen und hätte sinnloses Zeug von mir gegeben.

Nach der Schule fuhr ich noch etwas mit dem Rad durch die Gegend – natürlich fuhr ich auch durch die Werndlstraße, also jene Straße, in der Murat mit seiner Familie seit kurzem wohnte. War ja auch wirklich nicht weit weg von mir. Ich fuhr die Straße entlang und überlegte, in welchem Haus er wohl wohnte. Insgeheim spekulierte ich natürlich mit dem Gedanken, ihn in der Straße anzutreffen doch waren nur wenige Leute unterwegs. Ich sah also weder Murat, noch eines seiner zahlreichen Geschwister. Etwas enttäuscht fuhr ich nach Hause, natürlich nicht ohne alle 5 Minuten auf mein Handy zu blicken, ob sich Murat nicht vielleicht auf Facebook gemeldet hatte. Meinen `Gute Nachtgruß´ hatte er um 5:29h gelesen – seitdem kam aber leider keine Meldung mehr. Irgendwie war ich auf einmal down – schon komisch, wie schnell sich die Stimmungslagen bei Pubertierenden ändern können. Morgens war ich noch förmlich aus dem Bett gehüpft - nachdem ich nach Hause gekommen war, lag ich in voller Montur drauf und blies Trübsal.

Beim gemeinsamen Abendessen stocherte ich lustlos im Kartoffelpüree herum, was meine Mutter zu einem Seufzer veranlasste. Es war also alles wie immer.

Gegen neun unternahm ich dann den letzten Versuch, eine Nachricht von Murat auf Facebook zu finden.

Du hast eine Erinnerung mit Raphael Heller, auf die du zurückblicken kannst.

Waaa, wen interessierte denn das. Kurz bevor ich mich abmelden wollte war sie dann doch da – die heißersehnte Nachricht von meinem Murat.

Sorry, hatte tagsüber was mit meinem Vater in Wien zu erledigen. Wollte dir eher schreiben, habe aber mein Handy in Freistadt vergessen. Gute Nacht, Maxi!“

Ich schrieb noch `Gute Nacht´ zurück und hoffte, er wäre noch online doch er war schon weg. Wie ich später erfuhr, musste er sich einen PC mit seinen Brüdern teilen. Also, für mich wäre das undenkbar gewesen, dass Lisa den gleichen PC benutzt wie ich. Schlimm wäre das, vor allem, was sie darauf alles entdecken hätte können.

Meine gute Laune war wieder da – jaja, die Stimmungsschwankungen – und ich schlief schnell ein.

Ziemlich verwirrt musste meine Mutter ebenfalls meine Stimmungsschwankungen registriert haben, da ich am nächsten Morgen so freudig erregt wie tags zuvor am Frühstückstisch erschien. Auch meinem Vater schien das nun aufzufallen, der erstaunt meine Mutter fragte, während er abwechselnd mich und meine Mutter anblickte: „Schatz, glaubst du es ist alles in Ordnung mit ihm?“

Der raue Charme meines Vaters.

Ja, verdammt, alles war in Ordnung mit mir – ich war bis über beide Ohren verliebt, in einen türkischen Jungen und ich konnte den Nachmittag nicht allzu schnell herbeisehnen.

In der Schule versuchte ich mich an diesem Tag so gut es ging zu konzentrieren, da ich mir einredete, der Tag würde so schneller vergehen. Welch Trugschluss – bereits in der Physikstunde (also in der zweiten Stunde!) langweilte ich mich zu Tode und warf in Gedanken bereits gemeinsam mit Murat Bälle ins Tor, während Jürgen seine Strafrunden drehte, da er sich wieder mal an den Eiern gekratzt hatte.

In der 10 Uhr Pause hüpfte mein Herz vor Freude, als ich eine Nachricht von Murat las.

Bleibt´s heute dabei, dass du mich zum Training abholst? Ich hab ganz vergessen zu sagen, welche Hausnummer wir haben. Werndlstraße 4. Bis später und hab einen schönen Tag, Maxi!“

Ich schrieb hastig zurück, dass ich gegen halb vier vor seiner Haustüre warten würde – aber natürlich wusste ich, dass ich sicher schon eine Viertelstunde vorher da sein würde. Ich wäre auch schon um 10 Uhr vormittags vor seiner Tür gestanden, hätte das nicht eine Verwarnung der Schule nach sich gezogen. Geschweige denn, die lästigen Fragen meiner Eltern, die dann gekommen wären. Also beschloss ich, die restlichen Stunden über mich ergehen zu lassen.

15:00. Schule aus, schnell heim, aufgewärmtes Mittagessen runterwürgen, Sporttasche vollstopfen, aufs Rad schwingen – und ab in die Werndlstraße. Pünktlich um 15:18 stand ich vor Hausnummer 4. Kaum war ich angekommen, hörte ich wie im zweiten Stock hastig ein Fenster geschlossen wurde und nur wenige Augenblicke später vernahm ich Schritte, die eilig der Haustür entgegen rannten.

Die Tür öffnete und vor mir stand Murat, der mich mit schneeweißen Zähnen anlächelte – so lieb, wie zwei Tage zuvor.

„Ich hab schon auf dich gewartet. Leider muss ich aber neben dir herlaufen – ich habe kein Fahrrad!“, meinte er etwas außer Puste geraten. Er musste die Stufen förmlich runter `geflogen´ sein, so eilig hatte er es scheinbar mich zu sehen – was mich natürlich total freute.

„Du kannst auf meinem Gepäckträger Platz nehmen, dann geht’s schneller!“ Doch so wie ich diese Worte gesagt habe, bereute ich sie auch schon – warum sollte ich eigentlich `schnell´ zur Halle gelangen, wo ich doch so viel mehr Zeit allein mit ihm verbringen konnte? Aber zu spät – schon nahm er hinter mir Platz und ich trat in die Pedale.

Zart und fast ein bisschen unbeholfen legte er doch glatt seine Hände um meine Hüften, um etwas Halt zu finden. Es fühlt sich schön an, seine Hände da zu spüren und ich malte mir aus, wo ich sie noch überall spüren wollte.

Einige Leute sahen uns komisch nach – so als würden sie denken: Was will der Blonde mit dem? Ich denke, dass auch Murat diese Blicke spüren konnte, doch als ich mich nach ihm umdrehte, lächelte er mich nur an.

Verdammt, bildete ich mir das alles nur ein? Was wäre, wenn er sich tatsächlich auch, nun ja, in mich verliebt hatte? Denn für mich gab es da überhaupt keine Zweifel mehr, dass ich voll auf ihn abfuhr. Nur, wie sollte ich es ihm sagen und wann? Oder sollte ich überhaupt?

Bei der Halle angelangt, sprang er schon vom Rad, ehe es noch zum Stehen kam und huschte in die Halle, während ich mein Rad absperrte.

Während des Trainings kam ich natürlich nicht drum herum, Murat fast ständig zu beobachten. Leider verging es für meinen Geschmack viel zu schnell, dafür endete es aber großartig: Ich und Murat landeten beim Abschlussspielchen im selben Team und wir harmonierten prächtig. Angriff über Angriff wurde durch uns aufgebaut und nach einem besonders toll abgeschlossenen Angriff umarmte mich Murat voll Freude. Ich erwiderte die Umarmung wohl etwas zu innig, aber es fiel keinem auf – außer Murat vielleicht, der mich eine Zehntelsekunde fragend anblickte, dann aber wieder das tat, was er so gut konnte: Er lächelte mich strahlend an.

Abschließend gab es noch Anweisungen von Burker für das nächste Spiel, das am drauffolgenden Sonntag stattfinden sollte. Auf das Duschen verzichtete Murat wieder aus bekannten Gründen, doch dieses Mal wartete er vor der Halle auf mich.

„Darf ich dein Taxi benutzen?“, fragte er schelmisch und schon nahm er wieder hinter mir Platz. Ich verabschiedete mich von den anderen und wir fuhren los.

Viel zu schnell waren wir wieder vor seinem Haus.

„Wir sehen uns dann am Sonntag. Morgen können wir auch gerne miteinander chatten. Am Freitag sind meine Brüder immer unterwegs – da gehört der PC mir allein“, freute sich Murat.

„Gerne“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen, ehe mir noch eine viel bessere Idee kam. „Was hältst du davon, wenn wir am Samstag noch etwas trainieren? Die Sporthalle ist zwar geschlossen, aber neben unserem Fußballplatz gibt es noch einen kleineren Platz mit einem Handballtor. Da könnten wir noch ein bisschen für Sonntag trainieren. Was hältst du davon?“

Bitte sag ja, bitte sag ja!

„Ja, klingt großartig. Machen wir!“, antwortete er und hielt mir die Hand zum Abschied hin. Ich ergriff sie und wollte sie gar nicht loslassen – sie fühlte sich warm und zart an. Murat bemerkte das natürlich, lächelte mich aber wie gewohnt nur an.

„Bis dann, schlaf gut Maxi!“, hauchte er – zumindest bildete ich mir ein, er hätte es gehaucht. Ich stand noch einige Minuten vor dem Haustor, ehe ich nach Hause fuhr.

Am Freitagabend chatteten wir fast drei Stunden, also den ganzen Nachmittag, miteinander. Er erzählte mir von seiner Familie, auf die er total stolz zu sein schien, von Wien, wo es in der Schule ziemlich übel zugegangen war und er auch nicht unbedingt ein Lehrerliebling war – und wie schön es auch bei seinen Verwandten in der Türkei immer sei. Und dann sagte er etwas, was mich total freute: Dass er froh war, so schnell einen so guten Freund wie mich gefunden zu haben und dass er mich mochte. Natürlich gab ich selbiges zur Antwort, nur dass ich wieder ein `sehr´ dazu fügte – also, dass ich ihn `sehr´ mochte. Wir verabredeten uns für den folgenden Tag und dann musste er leider weg – gegen 18:00h verabschiedete er sich höflich wie immer, da er mit seinem Vater in die Moschee nach Linz fahren wollte.

So sehr mich das Chatten wieder freute – die Leere die er immer dann zurückließ, wenn er sich von mir verabschiedete, wurde von Mal zu Mal größer. Ich war regelrecht zerrissen und fühlte mich total allein. Der Wunsch, mit irgendjemanden über mein Gefühlsleben zu sprechen, stieg an diesem Abend ins Unermessliche. Aber noch hatte ich nicht den Mut dazu.

Am Samstag holte ich ihn gegen 13:00h Mittag ab und wir fuhren zu unserem kleinen Sportplatz – er natürlich wieder bei mir hinten oben. Da der Mai gerade zu Ende ging, war es schon ziemlich heiß und nach einer Weile waren wir bereits durchgeschwitzt. Also zogen wir beide unsere Shirts aus und spielten so weiter. Wie mich das vom Spielen ablenkte – er hatte nur mehr seine Shorts an und hatte einfach den perfekten Körper!

„Pause, Pause!“, schnaufte ich und ließ mich knapp hinter dem Tor in den Rasen fallen – ich hätte noch stundenlang ohne Pause weiterwerfen können, der Grund meiner Pause war, dass ich während des Laufens eine Regung meines besten Stück in meiner Hose wahrnehmen konnte, so sehr genoss ich den Anblick seines nackten Oberkörpers. Ich musste mich also hinsetzen, ehe er davon Notiz nahm – doch nur Sekunden nachdem ich mich gesetzt hatte, war auch er neben mir.

„Warm heute“, meinte er und blickte gerade aus. Wir saßen so dicht nebeneinander, dass ich die Wärme spüren konnte, die von seinem Körper ausging. Ich hielt diese Spannung in der Luft fast nicht mehr aus und blickte ihn von der Seite aus an.

Da passierte es: Er drehte sich zu mir rüber, blickte mich kurz an – und küsste mich auf den Mund. Es dauerte nicht lange, aber es fällt mir bis heute schwer dieses irre schöne Gefühl beschreiben zu können. Aber `irre´ und `schön´ trifft es schon ganz gut. Ich spürte das erste Mal in meinem Leben die Lippen eines Jungen auf den meinigen – das schönste, was ich bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hatte. Es war so irre, dass meine Boxershort fast unbemerkt feucht geworden war.

Wie gesagt leider verging er viel zu schnell, mein erster Kuss. Murat löste sich von mir, blickte mich kurz an, zog sich sein T-Shirt an und lief weg. Er ließ mich einfach so sitzen. So schön der Nachmittag begonnen hatte, so verwirrend endete er. Ich fuhr traurig nach Hause, warf mich auf mein Bett und weinte. Dabei konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Geringsten erahnen, welche Probleme und Wirrungen in den nächsten Wochen noch auf mich warten würden.

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